Samurai 6: Der Ring des Feuers - Chris Bradford - E-Book

Samurai 6: Der Ring des Feuers E-Book

Chris Bradford

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Beschreibung

*** Band 6 der Bestseller-Reihe von Chris Bradford in neuem Look! *** Jacks Reise verschlägt ihn in ein Dorf, in dem schlimme Zustände herrschen: Die Bauern dort werden regelmäßig von dem gefürchteten Banditen Akuma überfallen und ausgeraubt. Als wahrer Samurai verspricht Jack sofort, ihnen beizustehen. Doch es bleibt nur wenig Zeit, um Mitstreiter für den Kampf zu gewinnen. Denn Akuma kann jeden Augenblick zurückkommen … Ein junger Engländer. Gestrandet in Japan. Ausgebildet zum Samurai. Bereit für den Kampf seines Lebens. Entdecke alle Abenteuer der "Samurai"-Reihe: Band 1: Der Weg des Kämpfers Band 2: Der Weg des Schwertes Band 3: Der Weg des Drachen Band 4: Der Ring der Erde Band 5: Der Ring des Wassers Band 6: Der Ring des Feuers Band 7: Der Ring des Windes Band 8: Der Ring des Himmels Band 9: Die Rückkehr des Kriegers Die Kurzgeschichte "Der Weg des Feuers" ist als E-Book erhältlich und spielt zwischen den Ereignissen von Band 2 und Band 3.

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2020Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2013, 2020 Ravensburger Verlag GmbHPostfach 24 60, 88194 RavensburgDie Originalausgabe erschien 2011unter dem Titel »Young Samurai. The Ring of Fire«bei Puffin Books/Penguin Books Ltd, 80 Strand,London WC2R 0RL, EnglandText Copyright © 2011 by Chris Bradford

Covergestaltung: Paul YoungLandkarte: Gottfried MüllerÜbersetzung: Wolfram StröleAlle Rechte vorbehaltenISBN978-3-473-38033-6www.ravensburger.de

Für meinen Sohn Zach,das Feuer in unserem Leben

PrologDer Brief

Japan, 1614

Liebste Jess,ich hoffe, dieser Brief erreicht dich irgendwann. Bestimmt glaubst du, ich sei schon vor Jahren auf dem Meer umgekommen. Du wirst dich freuen zu hören, dass ich lebe und wohlauf bin. Vater und ich sind im August 1611 in Japan angekommen. Leider muss ich dir mitteilen, dass Vater bei einem Überfall auf unser Schiff, die Alexandria, getötet wurde. Ich habe als Einziger überlebt.Die vergangenen drei Jahre habe ich in einer Samuraischule in Kyoto zugebracht. Ihr Leiter, ein japanischer Krieger namens Masamoto Takeshi, nahm mich in seine Obhut. Aber ich hatte es trotzdem nicht leicht.Ein Auftragsmörder, ein Ninja, der sich Drachenauge nennt, sollte den Portolan unseres Vaters stehlen. Du erinnerst dich bestimmt an dieses Logbuch, es war für Vater sehr wichtig. Dem Ninja gelang es zwar, seinen Auftrag auszuführen, doch konnte ich das Buch mithilfe meiner Freunde, die ebenfalls Samurai sind, zurückholen.Ebendieser Ninja hat auch unseren Vater ermordet. Ich kann dir versichern, dass der Schurke jetzt tot ist, auch wenn dich das kaum trösten wird. Er hat seine gerechte Strafe erhalten. Nur leider erweckt sein Tod Vater nicht wieder zum Leben. Ich vermisse ihn unendlich und könnte seinen Rat und seinen Schutz zurzeit gut gebrauchen.Japan wird gegenwärtig von einem Bürgerkrieg gespalten. Ausländer wie ich sind nicht mehr willkommen. Als Flüchtling muss ich jeden Tag um mein Leben fürchten. Jetzt wandere ich in Richtung Süden, durch dieses merkwürdige, fremdartige Land. Ich versuche die Hafenstadt Nagasaki zu erreichen, in der Hoffnung, dort ein Schiff zu finden, das mich zurück nach England bringt.Auf dem Tokaido, der Straße, auf der ich unterwegs bin, lauern allerdings zahlreiche Gefahren und viele Feinde trachten mir nach dem Leben. Hab aber keine Angst um mich. Masamoto hat mich zum Samurai ausgebildet und ich werde kämpfen, bis ich zu dir nach Hause zurückgekehrt bin.Eines Tages kann ich dir hoffentlich persönlich von meinen Abenteuern berichten.Möge Gott dich bis dahin schützen, geliebte Schwester.

Dein Bruder Jack

PS:Nachdem ich diesen Brief am Ende des Frühjahrs geschrieben hatte, wurde ich von Ninja entführt. Aber ich fand heraus, dass sie gar nicht meine Feinde waren, wie ich geglaubt hatte. Sie haben mir sogar das Leben gerettet und mich in der Lehre der fünf Ringe unterwiesen, der fünf großen Elemente des Universums – Erde, Wasser, Feuer, Wind und Himmel. Die Fertigkeiten im Ninjutsu, die ich mir erworben habe, übertreffen alles, was ich als Samurai gelernt habe. Aber weil unser Vater von Ninja getötet wurde, fällt es mir immer noch schwer, den Weg des Ninja in voller Überzeugung zu gehen.

1Klirrende Kälte

Japan im Winter 1614 Jacks Glieder waren steif gefroren und ihm war so kalt, dass er nicht einmal mehr zittern konnte. Eisern musste er sich zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich weiter durch den Schneesturm zu kämpfen.

Die Entscheidung, den Weg durch das Gebirge zu nehmen, bereute er inzwischen zutiefst. Zwar war er den Häschern des Shoguns bisher entkommen, dafür hatte ihn die Überquerung des Funasaka-Passes beinahe das Leben gekostet. Über Nacht hatte sich das Wetter so verschlechtert, dass er hastig die Flucht ergriffen und ins Tal abgestiegen war.

Eisige Böen schnitten wie Messer durch seinen seidenen Kimono und drangen ihm durch Mark und Bein. Er hatte die Arme schützend um den Oberkörper geschlungen und hielt den Kopf gesenkt, da der dünne Strohhut kaum Schutz vor dem Schnee bot, den der Wind ihm ins Gesicht trieb. An seiner Hüfte baumelten klappernd die beiden Samuraischwerter mit rot umwickelten Griffen, die seine beste Freundin Akiko ihm geschenkt hatte. Auf dem Rücken trug er seine gesamte Habe, darunter Akikos schwarze Perle, fünf Wurfsterne und vor allem den Portolan seines Vaters – jenes unschätzbar wertvolle Logbuch, das er mit Zähnen und Klauen gegen alle Gefahren verteidigte. Doch so viel diese Dinge ihm auch bedeuteten, jetzt hingen sie wie Bleigewichte an seinem Nacken.

Jack fror, er war müde, hatte Hunger und seine Kräfte begannen nachzulassen.

Er hob den Kopf, um sich zu orientieren, aber es war nichts zu sehen. Eine dicke weiße Schneedecke hüllte die Landschaft ein und ein endloses graues Wolkenmeer bedeckte den Himmel. Die einsame Fußspur, die er hinterließ, verschwand bereits unter einer neuen Schicht Schnee.

Wenigstens bin ich nicht mehr in den Bergen, dachte er und ließ den Blick über die endlose Ebene von Okayama wandern. Vielleicht sollte ich mich eine Weile ausruhen. Mich vom Schnee zudecken lassen. Niemand würde mich finden, nicht einmal Kazuki …

Jack schüttelte sich. Solche selbstzerstörerischen Gedanken durfte er nicht zulassen. Verzweifelt wehrte er sich gegen seine Erschöpfung und klammerte sich an die einzige Hoffnung, die ihn noch aufrecht hielt – dass er eines Tages nach Hause zu seiner Schwester Jess zurückkehren würde.

Nach der Trennung von seinen Freunden, dem Samurai Ronin und der Diebin Hana, war er auf seiner Flucht gut vorangekommen. Sein Ziel war Nagasaki, die Hafenstadt im Süden. Dort hoffte er ein Schiff nach England zu finden. Wie durch ein Wunder hatte er den Stadtrand von Osaka unbehelligt passiert. Anschließend war er der Küstenstraße gefolgt. Die Kontrollpunkte der Samurai hatte er sorgfältig gemieden. So war er nach Himeji mit seiner Burg gelangt. Und hier hatte er den ersten Fehler gemacht. Der Proviant war ihm ausgegangen und er hatte auf einem Markt von seinem letzten Geld ein wenig Reis gekauft. Doch die Häscher des Shoguns waren allgegenwärtig – und sie suchten nach Ausländern, insbesondere nach einem ganz bestimmten Gaijin-Samurai. Sie hatten Jack entdeckt, obwohl er sich den Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Er hatte fliehen müssen. Drei Tage lang waren sie ihm dicht auf den Fersen gewesen. Und er hatte sie nur dadurch abschütteln können, dass er seine Spuren verwischt hatte, wie er es als Ninja gelernt hatte, und von der Küstenstraße ins Gebirge abgebogen war.

Jetzt sah es allerdings so aus, als hätte er damit sein Schicksal besiegelt.

Blind stolperte er durch das Schneetreiben und betete um ein schützendes Dach über dem Kopf. Zweimal stürzte er und stand wieder auf. Beim dritten Mal verweigerte sein Körper den Dienst – der Mangel an Nahrung, Schlaf und Wärme forderte seinen Tribut.

Rasch bildete sich eine dünne Schneedecke auf seinen kältestarren Gliedern.

Während Jack langsam mit dem Boden verschmolz, hörte er in Gedanken die Stimme seines Freundes Yori … Siebenmal unten, achtmal oben!

Das Mantra, das ihn vor zwei Jahren beim Wettbewerb der Schulen in den Kampfkünsten gerettet hatte, wurde mit jeder Wiederholung lauter.

Siebenmal unten, achtmal OBEN! Siebenmal unten, ACHTMALOBEN! SIEBENMALUNTEN, ACHTMALOBEN!

So sehr hatte er die Lektion verinnerlicht, dass man nie aufgeben durfte, dass sie auch diesmal stärker war als sein körperliches Versagen. Unter Aufbietung seiner letzten Kraftreserven richtete er sich auf. Und als er schließlich wieder stand, bildete er sich ein, in einiger Entfernung das flackernde orangefarbene Flämmchen einer Öllampe zu sehen. Schwankend stapfte er darauf zu. Weitere Lampen kamen in Sicht und zuletzt tauchte eine größere Ortschaft vor ihm aus dem Schneesturm auf.

Zwar mied Jack bewohnte Gegenden sonst möglichst, aber diesmal trieb ihn die Verzweiflung weiter. Mit letzter Kraft erreichte er das erste Haus und duckte sich in eine Ecke der Veranda, wo er vor dem eisigen Wind geschützt war.

Sobald er sich ein wenig erholt hatte, sah er sich um.

Die Lichter zahlreicher Herbergen und Wirtshäuser, welche die Hauptstraße säumten, fielen in einladenden Bögen über die Straße und hießen den müden Reisenden mit ihrem warmen Schein willkommen. Lautes Gelächter und Grölen waren zu hören und kleine Gruppen von Samurai, Geishas, Händlern und Einheimischen eilten auf der Suche nach Unterhaltung und Schutz vor dem Unwetter von Haus zu Haus.

Jack bemerkte, dass er in seiner Ecke den Blicken der Passanten ausgesetzt war. Bestimmt würde man ihn bald entdecken. Hastig zog er sich den Strohhut tiefer ins Gesicht, stand auf und ging die Straße entlang wie ein ganz gewöhnlicher Samurai.

Der Geruch von gekochtem Reis, Sojasoße und gegartem Fisch stieg ihm in die Nase und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Auf der rechten Straßenseite stand die Schiebetür eines Hauses ein wenig offen. Drei Samurai waren dahinter zu erkennen, die an einem lodernden Herdfeuer saßen, Sake tranken und große Mengen gekochten Reis in sich hineinschaufelten. Jack wusste nicht mehr, wann er zuletzt eine richtige Mahlzeit zu sich genommen hatte. Eine ganze Woche lang hatte er sich mühsam etwas zusammensuchen müssen. Der Winter war eine magere Zeit. Ganz am Anfang hatte er mit einem Wurfstern ein Eichhörnchen erlegen können, ansonsten war er im Gebirge keinerlei Tieren begegnet. Sie hatten sich vor dem Schnee in ihre Verstecke geflüchtet.

Einer der Samurai schloss die Schiebetür und Jack überlegte angestrengt. Wenn er überleben wollte, musste er sich etwas zu essen beschaffen. Doch ohne Geld konnte er nur betteln, etwas eintauschen oder stehlen.

Plötzlich prallte er mit einem stämmigen Samurai zusammen, der von einer Geisha mit weißem Gesicht begleitet wurde.

»Aufgepasst!«, schimpfte der Samurai, während die Geisha anfing, haltlos zu kichern.

»Sumimasen«, entschuldigte sich Jack auf Japanisch und machte eine höfliche Verbeugung. Ein Streit war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.

Doch er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Der Samurai war betrunken und dachte nur an das nächste Wirtshaus. Jack hatte er schon wieder vergessen.

Weiter vorn wurde die Schiebetür einer Kneipe aufgerissen und drei Männer taumelten auf die Straße und landeten mit den Gesichtern im Schnee.

»Und lasst euch hier nie wieder blicken!«, rief der Wirt ihnen nach und zog die Tür mit einem Knall wieder zu.

Die drei Männer rappelten sich auf und klopften sich benommen den Schnee von den Kleidern. In ihren fadenscheinigen Kitteln und Hosen sahen sie aus wie verarmte Bauern oder Bettler. Jedenfalls begriff Jack, dass man in diesem Ort für Landstreicher nicht viel übrighatte.

Während er noch überlegte, was er tun sollte, kamen die Männer auf ihn zu. Sie wirkten zwar nicht besonders angriffslustig, waren aber in der Überzahl und stellten angesichts seines geschwächten Zustands eine Bedrohung dar. Instinktiv griff Jack nach seinen Schwertern. Doch seine starren Finger wollten sich kaum um die Griffe schließen und es war fraglich, ob er überhaupt die Kraft haben würde, sich zu wehren.

»Mach schon!«, sagte einer der Männer, offenbar ihr Anführer, ein Bursche mit einem verdrossenen Gesicht, eingefallenen Wangen und dünnen, blutleeren Lippen. Er gab dem Jüngsten der drei einen Schubs.

Jack blickte ihm unbewegt entgegen.

Der junge Mann hatte Segelohren und eine Zahnlücke und war sichtlich nervös. »Seid Ihr ein … ronin?«, fragte er.

Ein herrenloser Samurai? Jack nickte nur und wollte weitergehen. Doch der andere trat ihm in den Weg. Jack erstarrte, bereit, sich zu verteidigen, während der junge Mann seinen ganzen Mut für die nächste Frage zusammennahm.

Er holte tief Luft, dann platzte er heraus: »Sucht Ihr Arbeit?«

2Reis

Entgeistert starrte Jack ihn an.

»Wir können Euch bezahlen«, sagte der dritte und älteste der Männer, über dessen fast kahlen Schädel sich nur noch einige wenige Haarsträhnen zogen.

Jack zögerte. Geld konnte er dringend gebrauchen, doch ihrem heruntergekommenen Aussehen nach zu schließen, waren die Männer nicht in der Lage, ihn zu bezahlen. Und selbst wenn – Arbeit anzunehmen, war viel zu riskant. Er durfte ihnen nicht vertrauen. Sie würden entdecken, wer er war, und seine Reise würde sich verzögern. Außerdem war das Angebot wahrscheinlich sowieso eine Falle.

Er schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen.

»Bitte hört uns erst an«, beharrte der Alte. Sein runzliges, trauriges Gesicht hatte einen flehenden Ausdruck angenommen. »Leistet uns wenigstens beim Abendessen Gesellschaft. Wir haben frisch gekochten Reis.«

Als Jack das hörte, begann sein Magen zu knurren. Und die Verzweiflung des Alten schien echt. Was konnte er verlieren, wenn er ihm zuhörte? Schließlich siegte der Hunger über die Vernunft und er nickte. »Aber ich verspreche nichts.«

»Einverstanden.« Der Anführer machte eine Verbeugung. »Folgt uns.«

Jack ging hinter den dreien eine Gasse entlang bis zu einem baufälligen Speichergebäude am Ortsrand. Seine Sinne waren aufs Äußerste angespannt und er sah sich immer wieder nach verräterischen Anzeichen eines Hinterhalts um – Fußspuren, die in einer dunklen Gasse verschwanden, Schnee, der von einem Dach heruntergefallen war, oder Häusern, in denen sich Angreifer verstecken konnten. Doch wenn es hier Feinde gab, hatten sie sich gut versteckt.

Der Mann mit dem mürrischen Gesicht stieß eine windschiefe Tür auf und trat als Erster ein. Jack blieb auf der Schwelle des Speichers stehen und versuchte festzustellen, ob ihm von drinnen Gefahr drohte. Doch es war stockfinster und nur der Gestank von fauligem Stroh stieg ihm in die Nase.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte der Alte und bedeutete ihm mit einer demütigen Geste, einzutreten. »Aber wir können uns nur diese bescheidene Unterkunft leisten.«

Ein Kerzenstummel erwachte flackernd zum Leben und das Flämmchen erleuchtete einen spartanisch eingerichteten Raum mit einem Boden aus gestampfter Erde und einer hölzernen Plattform zum Schlafen.

Der junge Mann machte die Tür hinter ihnen zu und der Anführer lud Jack ein, sich auf die Plattform zu setzen. Jack nahm sein Bündel ab, zog seine Schwerter aus dem Gürtel und legte sie griffbereit neben sich. Die drei Männer knieten sich vor ihn auf die Erde.

»Ich heiße Toge«, erklärte der Anführer mit einer Verbeugung. »Wir sind Bauern aus dem Dorf Tamagashi. Das ist Sora …«, der Alte verbeugte sich, »… und der Junge heißt Kunio.«

Der Junge mit der Zahnlücke warf sich grinsend vor Jack auf den Boden. Jack schätzte, dass er kaum älter als er selbst war. Sechzehn, höchstens siebzehn.

Er nickte als Antwort, beschloss aber, seinen Namen noch nicht preiszugeben. Solange er die Absichten dieser Leute nicht kannte, musste er vorsichtig sein. Andererseits wollte er sie auch nicht anlügen. Ein unbehagliches Schweigen trat ein, denn den drei Bauern war in Gesellschaft des geheimnisvollen Samurai sichtlich unwohl.

»Da kommt Euer Reis«, verkündete Sora und zeigte auf den rückwärtigen Teil des Speichers.

Erst jetzt bemerkte Jack, dass sich eine vierte Person im Raum aufhielt. Offenbar hatte die Erschöpfung ihm die Sinne benebelt. Unwillkürlich griff er nach seinem Kurzschwert, hielt aber nach einem zweiten Blick inne. Denn im Halbschatten stand, über die Glut eines kleinen Feuers gebeugt, ein Mädchen. Sie füllte gerade eine Portion Reis aus einem zerbeulten Kessel in eine Schale und kam dann hastig näher.

Das schmächtige Mädchen in einem zerknitterten Kimono mochte vielleicht vierzehn Jahre alt sein und hatte einen wirren Schopf schwarzer Haare und ein rundes, blasses und trotz der vielen Schmutzschichten hübsches Gesicht. Als sie vor Jack stand, fiel ihm auf, dass ihre Katzenaugen ständig zwischen ihm und den Bauern hin- und herhuschten. Hinter dem ungepflegten Äußeren schien sich ein wacher Geist zu verbergen.

Auf eine ungeduldige Handbewegung Toges hin kehrte sie zu dem Kessel zurück, füllte wortlos Reis in drei weitere Schalen und brachte sie den Bauern.

»Lasst es Euch schmecken«, sagte Toge, ohne zu lächeln.

»Danke«, antwortete Jack. Er musste sich beherrschen, dass er den Reis nicht auf einmal verschlang. Zu hungrig durfte er nicht erscheinen. Da es offenbar keine Stäbchen gab, aß er mit den Fingern. Doch sobald er den ersten Reis im Mund hatte, entfuhr ihm ein dankbarer Seufzer und er fiel gierig über das Essen her.

»Es schmeckt Euch?«, fragte Sora, der sich darüber aufrichtig zu freuen schien.

Jack nickte. Unfähig, an sich zu halten, stopfte er den Reis in sich hinein und hatte die Schale mit wenigen heißhungrigen Bissen geleert. Wohltuend wärmte der nahrhafte Reis seinen Magen und belebte seine Geister ein wenig.

»Nehmt noch etwas«, drängte Sora ihn, ohne auf Toges gequälten Blick zu achten. Der Alte winkte dem Mädchen und sie füllte Jacks Schale erneut.

Mit der zweiten Portion ließ Jack sich, nachdem der erste Hunger gestillt war, Zeit. Er wollte nicht Gefahr laufen, alles wieder von sich zu geben.

»Warum braucht ihr die Dienste eines Samurai?«, fragte er schließlich, um auf seinen Teil der Abmachung zu sprechen zu kommen.

»Er soll unseren Reisspeicher bewachen«, erklärte Toge, der so sorgfältig kaute, als könnte jedes Reiskorn sein letztes sein.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dafür einen Samurai braucht.«

Toge schluckte rasch. »Oh doch, ganz gewiss.«

»Dieser Reis ist für uns sehr wertvoll«, fügte Sora hinzu. »Er ist für das Überleben unseres Dorfes unentbehrlich und wir können nicht vorsichtig genug sein, besonders im Winter.«

»Dann wird bei euch viel gestohlen?«, wollte Jack wissen.

»Nur zum Schwarzen Mond«, erwiderte Toge und stellte seine leere Schale auf den Boden.

Jack überlegte kurz. »Ist es weit bis zu eurem Dorf?«

Während Toge ihm die abgeschiedene Lage des Dorfes am Rand der Okayama-Ebene beschrieb, bemerkte er, dass die Bauern nur wenig Reis in ihren Schalen übrig gelassen hatten, während seine noch halb voll war. Verstohlen sah er zu dem Mädchen hinüber, das damit beschäftigt war, einige getrocknete Reste aus dem Topf zu kratzen. Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Offenbar aß er die letzten Vorräte der Bauern auf.

Obwohl er noch mindestens fünf weitere Schalen Reis hätte essen können, stand er auf und hielt dem Mädchen seine Schale hin. Sie blickte besorgt auf und hob dann den Topf hoch, um ihm zu zeigen, dass er leer war. Mit einem Kopfschütteln bedeutete sie ihm, dass es nichts mehr zu essen gebe.

»Für dich«, sagte Jack und bot ihr erneut seinen Reis an.

Doch das Mädchen schien sein Japanisch nicht zu verstehen und er musste ihr die Schale in die Hände drücken. Erst jetzt begriff sie, was er wollte. Sie warf Toge einen raschen Blick zu, wartete aber nicht auf seine Erlaubnis. Mit einem Lächeln bedankte sie sich bei Jack und zog sich hastig in ihre Ecke zurück. Die Bauern wechselten überraschte Blicke. Sie hatten nicht mit dieser großzügigen Geste gerechnet.

»Siehst du, ich wusste gleich, dass er für einen Samurai ein gutes Herz hat«, flüsterte Sora hinter vorgehaltener Hand dem erstaunten Kunio zu.

»Aber er hätte den Reis auch uns geben können«, brummte Kunio leise.

Jack verstand jedes Wort, tat aber so, als habe er nichts gehört. Er setzte sich wieder und überlegte, was er tun sollte. Die Bauern waren ehrlich zu ihm gewesen und hatten ihm ihr ganzes Essen gegeben in der ungewissen Hoffnung, er könnte ihnen helfen. Als Samurai, der an den Verhaltenskodex des Bushido gebunden war, fühlte er sich deshalb zumindest verpflichtet, ernsthaft über ihre Bitte nachzudenken.

Die Aufgabe klang einfach und er war gewiss imstande, mit einigen Dieben fertigzuwerden. Außerdem war es sowieso aussichtslos, die Reise nach Nagasaki mitten im Winter und ohne jeden Proviant fortsetzen zu wollen. Zuerst musste er wieder zu Kräften kommen. Gleichwohl musste er diesen Vorteil gegen das Risiko einer weiteren Verzögerung abwägen. Womöglich holten die Samurai des Shoguns ihn ein. Und Kazuki und seine Bande waren ihm bestimmt auch bald wieder auf den Fersen.

»Ich befinde mich auf einer wichtigen Pilgerreise«, erklärte er. »Ich könnte nicht lange bleiben.«

»Aber das macht nichts!«, rief Toge hoffnungsvoll. »Ein Monat reicht vollkommen aus – bis zum nächsten Neumond.«

Jack dachte nach. Das Dorf lag abgelegen von der belebten Hauptstraße, seine Feinde würden ihn also während seines Aufenthalts dort kaum finden. Und wenn das Wetter sich besserte und die Straßen wieder frei waren, konnte er jederzeit aufbrechen.

»Was zahlt ihr mir?«

Die Bauern wechselten verlegene Blicke. Toge hüstelte und murmelte dann: »Wir sind Bauern und können Euch nur mit Reis bezahlen. Zwei Mahlzeiten am Tag und die Unterkunft.«

Er würde sich zwar erholen, dachte Jack, aber Proviant konnte er von diesem kärglichen Lohn nicht kaufen.

Als Toge merkte, dass ihr Kandidat schwankte, fügte er rasch hinzu: »Drei Mahlzeiten am Tag. Und den Proviant, den Ihr für Eure weitere Reise braucht.«

»Seht Euch unser Dorf doch erst einmal an«, schlug Sora vor. »Dann könnt Ihr Euch immer noch entscheiden.«

Das Angebot klang immer verlockender. Jack wusste zwar, dass es am vernünftigsten gewesen wäre, sich überhaupt nicht darauf einzulassen, andererseits war Arbeit genau das, was er in seiner Lage brauchte. Die Frage war nur, ob die Bauern wissen durften, wer er war. Aber das konnte er immer noch überlegen. Wenn sie sich gegen ihn wandten, konnte er aus einem abgelegenen Dorf zumindest leichter fliehen als aus einer belebten Stadt. Und hatte er wirklich die Wahl? Die einzige Alternative zum Angebot der Bauern war es, in Okayama ums Überleben zu kämpfen, einem feindseligen Ort, in dem es vor Samurai nur so wimmelte und er früher oder später auf jeden Fall entdeckt und gemeldet würde.

Er wandte sich an die Bauern. »Ich nehme euer Angebot an.«

3Neko

Sora und Kunio schienen äußerst erleichtert. Toge reagierte ein wenig zurückhaltender, aber Jack schrieb das seiner herben Art zu.

»Wir brechen morgen Früh auf«, erklärte Toge.

Er zog eine große Strohmatte unter dem Holzboden hervor und legte sie zusammen mit einem Bündel Stroh neben Jack.

Die Bauern zogen sich an das andere Ende des Speichers zurück und legten sich zum Schlafen nebeneinander, um sich gegenseitig zu wärmen. Jack hatte den ganzen Bretterboden für sich allein. Als Samurai gebührte ihm nach der Rangordnung der japanischen Gesellschaft der beste und bequemste Platz.

Er verteilte das lose Stroh als Schlafunterlage. Dabei fiel sein Blick wieder auf das Mädchen im hinteren Teil des Raums, das in einem Trog mit eisverkrustetem Wasser den Kochtopf sauber schrubbte. Sie verrichtete die niedrige Arbeit klaglos, aber Jack beneidete sie nicht darum.

Er deckte sich mit der Matte zu, zog sich den Hut übers Gesicht und schloss die Augen. Die Bauern begannen miteinander zu flüstern, aber Jack war zu müde, um ihrem Gespräch zu folgen. Sein Hunger war gestillt und er schlief rasch ein.

Mit einem Ruck fuhr er hoch, denn er spürte, dass jemand an seinem Hut zog. Instinktiv, wie er es bei seiner Ausbildung im waffenlosen Kampf gelernt hatte, packte er die fremde Hand und verdrehte sie. Der Hut fiel dabei herunter und er blickte unvermittelt in das Gesicht des Mädchens. Trotz des schmerzhaften Griffes, mit dem Jack sie festhielt, gab sie keinen Laut von sich, sondern starrte nur entgeistert auf seine blonden Haare, seine blauen Augen und seine helle Haut. Jack ließ sie los.

»Entschuldigung, aber du hättest das nicht tun sollen«, flüsterte er.

Das Mädchen rieb sich im Dunkeln das Handgelenk. Vor allem seine blonden Haare hatten es ihr angetan. Fasziniert streckte sie die Hand aus, berührte eine Strähne, die sich gelöst hatte, und grinste entzückt, weil sie sich so weich anfühlte. Auch Jack lächelte, erleichtert, dass sie offenbar nichts gegen Ausländer hatte. Er warf einen Blick über die Schulter. Die Bauern schliefen fest und Kunio schnarchte laut wie ein Schwein.

Das Mädchen gab ihm mit einer höflichen Verbeugung den Hut zurück, kehrte leise in ihre Ecke zurück und rollte sich auf dem Boden zusammen. Dabei sah sie ihn fortwährend an. Sie schien keine Angst vor ihm zu haben und alarmierte zu Jacks Überraschung auch nicht die Bauern.

Vielleicht weiß sie gar nicht, dass der Shogun alle Ausländer aus Japan verbannt hat, dachte er. Oder dass er eine Belohnung für meine Festnahme ausgesetzt hat, egal ob tot oder lebendig.

Er schöpfte ein wenig Hoffnung. Vielleicht wussten die Bauern es ja auch nicht. Dann war ihr Dorf das ideale Versteck. Er legte sich den Hut wieder aufs Gesicht und schloss die Augen. Hoffentlich hatten die Bauern genauso wenig wie das Mädchen dagegen einzuwenden, dass er ein Gaijin war.

Verschlafen und steif vor Kälte trat Jack am nächsten Morgen aus dem Speicher. Das Unwetter der vergangenen Nacht hatte sich gelegt und die schneebedeckte Landschaft glitzerte weiß in der frühen Morgensonne. Das Frühstück war kärglich ausgefallen – wässrige Misosuppe und eine Tasse Grüntee –, hatte aber wenigstens die Glieder aufgewärmt. Sora hatte sich sofort dafür entschuldigt und eine herzhafte Mahlzeit bei ihrer Ankunft im Dorf in Aussicht gestellt.

Die Bauern begegneten Jack mit demselben zurückhaltenden Respekt wie am Vorabend und er schloss daraus, dass das Mädchen ihnen nichts von ihrer nächtlichen Begegnung verraten hatte. Jetzt folgte sie ihnen, beladen mit sämtlichen Kochutensilien.

Sie verließen das Städtchen und schickten sich an, die Okayama-Ebene zu durchqueren. Der Schnee lag kniehoch und sie kamen nur mühsam voran. Jack beneidete die Bauern um ihre dicken Strohstiefel. Die Socken und Sandalen, die er trug, boten nur wenig Schutz gegen die Kälte. Er stampfte beim Gehen mit den Füßen auf, um sie warm zu bekommen. Erst jetzt bemerkte er, dass das Mädchen barfuß ging. Gebeugt unter dem Gewicht ihres Bündels stapfte sie durch den Schnee und weiße Atemwolken kamen aus ihrem Mund. Als Jack das sah, tat er sich nicht mehr so leid.

»Glaubst du wirklich, wir können ihm trauen?«, fragte Toge, der mit Sora vorausging, leise. Seine Stimme war in der winterlichen Stille deutlich zu vernehmen und Jack, der seine Sinne in der Ausbildung an der Niten Ichi Ryū geschärft hatte und ausgezeichnet hörte, konnte ihrem Gespräch mühelos folgen.

»Es bleibt uns nichts anderes übrig«, antwortete Sora dumpf. »Wir haben keine andere Wahl.«

»Nicht einmal seinen Namen kennen wir«, flüsterte Toge.

»Samurai sind manchmal so unhöflich. Sie halten sich für etwas Besseres als die Bauern. Aber wo wären sie ohne uns, frage ich dich.«

»Aber er zeigt uns auch nicht sein Gesicht. Irgendetwas stimmt da nicht …«

In diesem Augenblick trat Kunio neben Jack. »Einen harten Winter haben wir dieses Jahr«, sagte er und rieb die Hände aneinander.

Jack nickte und versuchte dem Gespräch der Bauern weiter zu folgen, aber Kunio plauderte munter weiter.

»Woher kommt Ihr?«, fragte er.

»Aus Kyoto«, antwortete Jack.

»Ist es dort wirklich so schön, wie man sagt? Die Tempel sollen aus Gold und Silber sein!«

»Das stimmt«, erwiderte Jack.

Kunio riss staunend die Augen auf und Jack erinnerte sich an seine eigene Begeisterung, als Akiko ihm den Gin-kaku-ji und den Kinkaku-ji gezeigt hatte, den Silbernen und den Goldenen Pavillon.

»Ihr macht also eine musha … musha …« Der Junge suchte nach dem richtigen Wort.

»Eine musha shugyō«, half Jack ihm. Viele Samurai unternahmen eine solche Kriegerwallfahrt, bei der sie in Zweikämpfen auf Leben und Tod ihre Schwertkünste erprobten.

»Genau! Und, habt Ihr schon gekämpft?«

Jack dachte daran, wie man ihn durch eine List zu einem Zweikampf mit Sasaki Bishamon gezwungen hatte, einem furchterregenden Samurai auf der Suche nach Ruhm. Bishamon hätte ihn fast mit dem Schwert aufgespießt.

»Ja, das habe ich.« Er nickte und unwillkürlich überlief ihn ein Schauer.

Kunio starrte ihn ehrfürchtig an. »Ich habe noch nie einen echten Samurai kennengelernt.« Er betrachtete die Schwerter an Jacks Hüfte und konnte sich an den rotseidenen Griffen nicht sattsehen. »Sie sind wunderschön«, sagte er und streckte die Hand aus, um sie zu berühren.

»Und sehr gefährlich«, fügte Jack hinzu und packte warnend das Heft seines Langschwerts.

Kunio zog die Hand hastig zurück und lächelte verlegen. »Ja, bestimmt sind sie sehr scharf.«

Jack versuchte das Gespräch von sich abzulenken. »Wer ist eigentlich das Mädchen?«, fragte er.

Kunio sah sich um, als hätte er vergessen, um wen es sich handelte. »Sie heißt Neko. Wir nennen sie so, weil sie wie eine Katze ist.«

Jack beobachtete, wie Neko sich tapfer durch den Schnee kämpfte. Er hätte ihr gerne einen Teil ihrer Last abgenommen, doch sein Rang als Samurai verbot ihm, eine so niedrige Tätigkeit zu verrichten. Er musste sich seiner Rolle gemäß verhalten und durfte das Misstrauen der Bauern nicht noch mehr schüren.

Trotzdem fragte er Kunio: »Warum hilfst du ihr nicht?«

Kunio sah ihn verwirrt an. »Warum sollte ich?«

»Weil du stärker bist als sie.«

Kunio drückte stolz die Brust heraus. »Stimmt, aber es wäre mir zu anstrengend. Der Weg nach Tamagashi ist weit.«

Jack schüttelte ungläubig den Kopf. Ob das Mädchen überhaupt ein Mitspracherecht hatte? »Neko redet nicht viel, oder?«, fuhr er fort.

Kunio lachte. »Natürlich nicht. Sie ist taub, stumm und dumm.«

Tiefes Mitgefühl überkam Jack. Jetzt wusste er, warum Neko den Bauern nichts gesagt hatte. Sie hätte sie allerdings wecken können. Offenbar hatte er in ihr eine heimliche Verbündete gefunden.

Neko hob den Kopf und erwiderte seinen Blick. Sie grinste listig und klopfte sich mit dem Finger an die Nase, als wollte sie sagen, dass seine Identität ihr kleines Geheimnis war. Jack begriff, dass sie vielleicht nicht hören konnte, aber zäh, ausdauernd und kein bisschen dumm war.

4Der Schwarze Mond

Das Dorf Tamagashi bestand aus einer Ansammlung windschiefer, strohgedeckter Hütten am Rand der Ebene von Okayama. Nördlich davon ragte ein gewaltiges Gebirge zum Himmel auf, dessen schiere Masse das Dorf regelrecht zu erdrücken schien. Im Westen schloss sich ein weitläufiger Zedernwald an und nach Süden, zur Ebene hin, breitete sich ein Flickenteppich von Reisfeldern aus, die unter dem Schnee kaum zu erkennen waren. Jack und seine Begleiter näherten sich dem Dorf von Osten. Auf den Feldern war niemand zu sehen und auch sonst wirkte das Dorf verlassen.

An zwei heruntergekommenen Bauernhäusern und einer alten Mühle vorbei gelangten sie zu einem rasch dahinströmenden Fluss. Die hölzerne Brücke, die darüber führte, knarrte bedrohlich unter ihrem Gewicht. Sie überquerten sie und folgten dem Weg an einigen Reisfeldern entlang in das eigentliche Dorf. Der Weg führte um einen großen Teich herum und dann zum Dorfplatz. Auch er war menschenleer. Niemand begrüßte sie, aber Jack bemerkte, wie Fensterläden und Türen sich einen Spaltbreit öffneten und ihn ängstliche Augenpaare anstarrten.

»Wovor haben die Menschen Angst?«, fragte er.

»Vor nichts«, erwiderte Toge ein wenig zu schnell.

»Sie sind nur mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt«, erklärte Sora mit einem angestrengten Lächeln.

Bevor Jack weiter fragen konnte, trieb Toge sie zur Eile an. »Kommt, das Oberhaupt des Dorfes erwartet Euch bereits.«

Sie stiegen eine morastige Anhöhe hinauf, auf der das größte Haus des Dorfes stand. Dort zogen die Bauern ihre Stiefel aus und betraten die Veranda. Auch Jack schlüpfte aus seinen Sandalen und folgte ihnen. Neko wollte ebenfalls mitkommen, doch Toge bedeutete ihr mit einigen unwilligen Gesten, dass sie die Kochtöpfe zu Soras Frau zurückbringen sollte.

Dann verbeugte er sich vor Jack. »Einen Augenblick, bitte.«

Er klopfte an die Tür des Hauses und trat zusammen mit Sora ein, während Jack und Kunio draußen warteten.

»Und, was sagt Ihr dazu?«, fragte Kunio und zeigte stolz auf das Dorf.

Jack sah sich um. »Es ist … sehr friedlich hier«, antwortete er. In Wirklichkeit beunruhigte ihn das bedrückende Schweigen zunehmend.

Verglichen mit dem Dorf der Ninja war Tamagashi deutlich ärmer und weniger gut organisiert. Die Häuser der Bauern waren willkürlich über das Gelände verstreut, die meisten Dächer mussten neu gedeckt werden und einige Gebäude sahen aus, als würden sie demnächst einstürzen. Das Haus des Dorfoberhauptes war zwar das größte im Dorf, aber bei Weitem kein Palast. Die Bretter der Außenverschalung waren grob zugeschnitten und verzogen, die Wände krumm und undicht.

»Das Haus meiner Familie steht da drüben am Teich.« Kunio zeigte auf eine kleine, windschiefe Hütte.

Er erklärte Jack ausführlich, wer in welchem Haus wohnte, doch Jack interessierte sich viel mehr dafür, was im Haus des Dorfoberhauptes vorging.

»Du warst drei Wochen weg und kommst mit nur einem Samurai zurück?!«, ertönte eine wütende männliche Stimme.

»Kein anderer Samurai wollte unser Angebot annehmen«, rechtfertigte sich Toge.

»Wo ist dann der viele Reis, den wir euch mitgegeben haben?«

»Alle ronin, die wir angesprochen haben, haben nur unseren Reis gegessen und sind dann gegangen«, erklärte Toge bitter. »Sobald wir erklärt haben, worum es geht und was wir zahlen können, warfen sie uns vor, wir würden nur ihre Zeit verschwenden. Oder sie hatten zu viel Angst.«

»Aber mit dem Reis hätte man eine kleine Armee ernähren können!«

»Okayama ist voller Diebe«, ließ Sora sich traurig vernehmen. »Ein Großteil des Reises wurde gestohlen. Neko taugt nicht als Wächterin.«

»Ihr Dummköpfe! Was sollen wir jetzt tun?«

»Einen Samurai haben wir immerhin«, erklang die raue Stimme eines alten Mannes.

»Bei allem Respekt, Yoshi, was nützt uns einer?«

»Sehen wir ihn uns genauer an, dann wissen wir es.«

Die Tür ging knarrend auf und Soras trauriges Gesicht erschien.

»Kommt herein!«, sagte er mit aufgesetzter Munterkeit. »Das Dorfoberhaupt und der Dorfälteste freuen sich, Euch zu sehen.«

Misstrauisch trat Jack durch die Tür. Worauf hatte er sich da bloß eingelassen? Im Inneren des Hauses war es dunkel und es roch stark nach Rauch. Abgesehen von einigen Tontöpfen zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und einem Wasserfass in einer Ecke gab es keine Möbel. Über einem offenen Herdfeuer in der Mitte des Raums hing an einer Kette ein Topf, in dem Reis kochte. Dank der Wärme des Feuers wirkte der Raum trotz aller Bescheidenheit einladend.

Jack wurde aufgefordert, sich auf den besten Platz am Feuer zu setzen.

Toge saß mit zwei weiteren Männern ihm gegenüber. Da Jacks Gesicht im Schatten der Hutkrempe verborgen war, riskierte er einen Blick auf sie. Der eine Mann war mittleren Alters und hatte eine ständig gerunzelte Stirn sowie ein stoppeliges Kinn. Der andere war sehr alt und faltig und hatte feine weiße Haare. Im flackernden Licht des Feuers wirkten alle drei Gesichter hohlwangig und angespannt.

»Ich bin Junichi, das Oberhaupt des Dorfes«, erklärte der Mann mittleren Alters mit einer Verbeugung. »Und das ist Yoshi, der Dorfälteste.«

Der Alte brummte etwas, brachte aber mit seinem vom Alter steifen Hals keine Verbeugung zustande.

Jack erwiderte Junichis Begrüßung seinerseits mit einer Verbeugung. Als er sich wieder aufrichtete, sah er, dass Neko durch eine Ritze in der Rückwand spähte und mit Spannung dem Geschehen folgte.

»Wir danken Euch, dass Ihr uns in unserer Not helfen wollt«, fuhr Junichi fort. »Das Dorf braucht einen tapferen Samurai wie Euch. Ich bedaure zutiefst, dass die Belohnung so gering ist, aber Ruhm und Ehre werden dafür umso größer sein – und eines Samurai würdig.«

Sein ernster Ton verstärkte Jacks mulmiges Gefühl. »Aber es geht doch nur darum, euer Reislager gegen den ein oder anderen Dieb zu verteidigen …«

Der Alte, Yoshi, räusperte sich. »Der Name Schwarzer Mond sagt Euch etwas?«

Jack nickte. Das japanische Wort für Neumond war ihm geläufig und er war bereit, den vereinbarten Monat zu bleiben.

»Und er macht Euch keine Angst?«

»Inwiefern Angst?«

Yoshi musterte Jack und wandte sich dann an Toge. »Du hast es ihm nicht gesagt?«

»Ich … ich wollte es«, stotterte Toge. »Aber es ergab sich keine Gelegenheit.«

Das mulmige Gefühl in Jacks Bauch nahm zu.

Yoshi saugte hörbar die Luft ein und schüttelte betrübt den Kopf. »So nennen wir den Banditen Akuma, der das Gebirge unsicher macht«, erklärte er.

In dem Raum schien es noch dunkler zu werden, kaum dass der Name gefallen war. Die Bauern zitterten und hielten die Blicke gesenkt.

»Denn dann schlägt er zu«, erklärte Yoshi weiter. »Am ersten Schwarzmond des Winters, wenn es nachts am dunkelsten ist, überfällt er unser Dorf und stiehlt all unseren Reis. Deshalb müssen wir hungern und uns mühsam anderswo Nahrung zusammensuchen.«

»Ein einziger Mann stiehlt euren gesamten Reis?«, fragte Jack. »Aber ihr seid ein ganzes Dorf!«

»Er kommt mit seinen Kumpanen.«

»Wie vielen?«

»Etwa vierzig.«

5Sieben Samurai

Jack wusste nicht, ob er lachen oder Reißaus nehmen sollte. »Selbst der größte Samurai könnte nicht so viele Banditen besiegen!«

»Ich habe es dir ja gesagt, Yoshi«, seufzte Junichi. »Es ist zwecklos. Wir sollten Akuma unseren Reis kampflos überlassen. Dann haben wir es hinter uns.«

Doch Yoshi hörte ihm nicht zu. »Wie viele Samurai braucht man?«, wandte er sich an Jack.

»Gegen vierzig Banditen?« Jack konnte nicht glauben, dass er überhaupt ernsthafte Überlegungen in dieser Richtung anstellte. Er dachte an seine Ausbildung zum Samurai und an die Schlacht um die Burg von Osaka. Dort hatte er gesehen, wie die besten Samuraikämpfer es mit fünf oder sechs Gegnern gleichzeitig aufgenommen hatten. Wenn die Gegner – wie vermutlich im Fall der Banditen – schlecht organisiert und schlecht ausgebildet waren, mochten es sogar noch mehr sein.

»Wenn sie etwas taugen und Erfahrung haben, dann vielleicht … sieben.«

»Sieben?!«, rief Toge. »Wir haben Wochen gebraucht, um einen zu finden. Woher um alles in der Welt sollen wir sieben Samurai bekommen?«

»Kann euer Daimyo euch nicht helfen?«, fragte Jack. Er wusste, dass die Samuraifürsten die Aufgabe hatten, die Einwohner ihres Herrschaftsgebiets zu schützen.

Die Bauern schnaubten verächtlich.

»Wir sind Daimyo Ikeda doch egal«, schimpfte Junichi. »Solange er seine Reissteuer bekommt, macht dieser Heuchler keinen Finger für uns krumm.«

»Aber wie könnt ihr ihn bezahlen, wenn euch euer Reis gestohlen wurde?«

»Akuma ist schlau«, erklärte Yoshi. »Er überfällt uns erst, nachdem die Steuer eingesammelt wurde.«

»In diesem Jahr bereits zum dritten Mal«, fügte Junichi niedergeschlagen hinzu. »Uns blieb keine andere Wahl, als selbst nach Samurai zu suchen. Aber die Mühe war vergeblich. Unsere Lage ist hoffnungslos.«

Jack musste ihm zustimmen. Angesichts einer Übermacht von vierzig zu eins war die Schlacht verloren, noch bevor sie begonnen hatte.

»Tut mir leid«, sagte er zögernd, »aber ich kann euch nicht helfen.«

Toge verlor in seiner Verzweiflung die Beherrschung und ballte wütend die Faust. »Ihr Samurai seid doch alle gleich!«, rief er empört. »Wir bestellen die Felder und bauen Reis an, damit ihr euch die Bäuche vollschlagen und für eure Herren Krieg führen könnt. Aber wenn wir euch brauchen, wo seid ihr dann?«

»Was erwartest du von mir?«, verteidigte sich Jack. »Dass ich ganz allein vierzig Banditen verjage?«

»Ist Mut nicht eine Tugend der Samurai?«

»Mut schon, nicht aber Übermut.«

»Ich finde nur …«

»Genug, Toge!«, fiel ihm Yoshi ins Wort. »So behandelt man keinen Gast. Er kam freiwillig hierher. Wir müssen seine Entscheidung zu gehen respektieren.«

Stille kehrte ein und nur das Knistern des Feuers und das Blubbern des kochenden Reises waren zu hören.

Jack war hin- und hergerissen. Einerseits hätte er den Bauern gerne geholfen. Er fühlte sich als Samurai geradezu dazu verpflichtet. Doch die Wahrheit war, dass er den Kampf gegen so viele Gegner mit dem Leben bezahlen würde – ohne damit etwas zu bewirken. Denn die Banditen würden sich den Reis trotzdem holen.

Tränen traten Sora in die Augen und er begann zu schluchzen. »Was sollen wir unseren Kindern nur zu essen geben?«

Niemand antwortete. Die Bauern starrten niedergeschlagen auf den Boden und kneteten voller Verzweiflung ihre Hände.

Da hob Kunio plötzlich den Kopf und sah die anderen hoffnungsvoll an. »Wir können ja noch weitere Samurai anwerben!«, schlug er vor.

Toge schüttelte fassungslos über so viel Einfalt den Kopf. »Denk doch mal nach, wie lange wir schon für einen Samurai gebraucht haben! Und bis zum nächsten Schwarzen Mond ist es nicht einmal mehr ein Monat.«

»Aber mit ihm geht es bestimmt schneller«, beharrte Kunio und zeigte auf Jack.

»Kunio hat Recht!«, sagte Sora. In seine Augen war ein erregtes Funkeln getreten. »Auf einen Bauern hören die Samurai nicht, auf einen anderen Samurai dagegen sehr wohl.«

Die Bauern wandten sich erwartungsvoll Jack zu.

»Ich weiß nicht …«, begann er. Auf einen Gaijin hörten die Samurai bestimmt noch weniger als auf einen Bauern.

»Ich bitte Euch inständig!«, rief Sora und warf sich vor Jack auf den Boden. »Ihr seid unsere einzige Hoffnung.«

Auch Kunio warf sich zu Boden, Junichi und Toge folgten seinem Beispiel. Und Yoshi, der am ganzen Leib zitterte, streckte flehend die Hände aus. Jack war von so viel Unterwürfigkeit peinlich berührt. Doch die armen Bauern waren völlig verzweifelt. Und von dem für sie zuständigen Daimyo hatten sie offenbar keine Hilfe zu erwarten.

Vielleicht kann ich ihnen ja helfen, sich selbst zu verteidigen, überlegte er. Oder ich zeige ihnen wenigstens, wie sie ihr Dorf besser befestigen können. Trotzdem, vierzig Banditen!

Doch egal wie groß die Übermacht war, Jack musste ihnen einfach helfen. Bei seiner Ankunft in Japan hatte der große Samurai und Schwertkämpfer Masamoto Takeshi ihn vor dem sicheren Tod gerettet. Masamoto hatte den elternlosen Jungen, der nicht nach Hause zurückkehren konnte, adoptiert und in seiner Samuraischule in Kyoto in den Kampfkünsten ausgebildet, sodass er sich seiner Haut zu wehren wusste. Jetzt war es an der Zeit, diese Schuld zu begleichen und seinerseits als Samurai anderen zu helfen. Er wusste zwar, dass er dabei alles riskierte, aber sein verstorbener japanischer Freund und Bruder Yamato hatte ihm durch sein selbstloses Opfer gezeigt, was es bedeutete, ein Samurai des Masamoto-Clans zu sein.

»Also gut. Ich werde euch helfen«, erklärte er.

Sora weinte vor Freude, eilte zum Feuer, löffelte hastig einen großen Batzen dampfenden Reis in eine Schale und hielt sie Jack mit einer Verbeugung hin.

»Arigatō gozaimasu, arigatō gozaimasu«, wiederholte er dankbar.

Anschließend verteilte er den restlichen Reis und Kunio schenkte allen eine Tasse Grüntee ein. Feierlich hob Junichi seine Tasse.

»Wir sind Euch für Eure Hilfe zu großem Dank verpflichtet, Samurai. Darf ich fragen, wie Ihr heißt?«

Da wusste Jack, dass der Zeitpunkt gekommen war, sich zu erkennen zu geben. Die Bauern standen in seiner Schuld und brauchten ihn und Nekos Reaktion nach zu schließen, gab es keinen Grund, sich weiter zu verstecken.

»Jack Fletcher«, antwortete er und nahm seinen Hut ab.

6Feuer

Sora wich erschrocken zurück. Kunio riss fassungslos den Mund auf. Junichi tat einen Schrei und Yoshi starrte ihn verwirrt an und schien seinen alten Augen nicht zu trauen.

»Ein Gaijin!«, rief Toge.

»Der noch nicht einmal erwachsen ist!«, kreischte Junichi. »Raus!« Er zeigte zur Tür.

»Aber ich will euch doch helfen«, protestierte Jack.

Doch Toge riss ihm die Schale mit Reis aus den Händen.

Verdattert sah Jack die Bauern an. Damit hatte er nicht gerechnet. Eben noch hatten sie ihn um Hilfe angefleht, jetzt wollten sie ihn schnellstens loswerden.

Junichi wandte sich empört an Toge. »Soll das ein Witz sein? Ein ausländischer Junge, der so tut, als sei er ein Samurai?«

»Er hat uns hereingelegt!«, rief Toge mit einem wütenden Blick auf Jack.

»Nicht mehr als ihr mich mit dem Schwarzen Mond«, erwiderte Jack. »Ich bin zwar kein Japaner, aber ganz gewiss ein Samurai.«