Sandrasselottern - Werner Hasselbacher - E-Book

Sandrasselottern E-Book

Werner Hasselbacher

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Beschreibung

Bodo, gutaussehend und lebenslustig, fliegen die Herzen der Mädchen nur so zu. Das läßt er sich etwas kosten - mehr als er im Zoo als Tierpfleger verdient. Doch er nimmt es auf die leichte Schulter, bis er eine Dummheit begeht. Plötzlich aus der Bahn geworfen, weiß er weder ein noch aus. Da kommt er auf eine wahnwitzige Idee.

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Werner Hasselbacher, geb. 1948, arbeitete neun Jahre als Tierpfleger im Frankfurter Zoo, dem er zeitlebens verbunden blieb. Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg. Danach an der Goethe-Universität Frankfurt tätig. Er reiste viel, engagiert sich für den Naturschutz und seine große Leidenschaft ist der Fußball.

Meinen Eltern gewidmet

Inhaltsverzeichnis

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

I

Wenn ein Hansdampf in allen Gassen jemand ist, der nichts anbrennen läßt, und ein Luftikus jemand, der nicht an gestern denkt und nicht nach morgen fragt, so verdiente Bodo diese Beinamen. Die Natur war bei seiner Erschaffung verschwenderisch umgegangen mit Eigenschaften, die bei Frauen in hohem Ansehen stehen, und es wäre unnötig zu sagen, daß er eine feste Freundin hatte und neben ihr noch andere schöne Mädchen, hätten sie nicht Ansprüche an ihn gestellt, die er befriedigen wollte. Es waren keine großen Ansprüche, eher bescheidene Wünsche, denen die Aufgabe zufiel, die Sehnsucht nach dem großen Glück zu dämpfen: miteinander ausgehen, Bestätigung finden, einmal kräftig auf die Pauke hauen und vor allem lieben und geliebt werden – nach der unkomplizierten Methode, bei welcher der Körper die Hauptrolle spielt. Aber auch diese Kleinigkeiten waren nicht umsonst zu haben.

Bodo ließ diese kleinen Träume Wirklichkeit werden. Er kaufte Kinokarten und heiße Würstchen und Trostpflaster gegen Eifersucht. Er wechselte Hemd und Hose häufiger, als es Wetter und Sauberkeitsvorstellungen erforderten. Allabendlich säumten Striche und Kreuze seinen Bierdeckel wie ein Ring magischer Zeichen, der ihm an der Theke Freundschaften herbeizauberte. Er spendierte Runden, um zu zeigen, daß er wer war. Er sorgte für Stimmung, und seine Freundinnen sahen: Bodo war wer.

Wenn er gute Laune hatte, und selten war er schlecht aufgelegt, nannte er sie herausfordernd „Strickstrumpf“. Dann knufften sie ihn in die Seite oder warfen in gespieltem Trotz ihren Kopf in den Nacken, weil sie nicht als brave Hausmütterchen gelten wollten und auch weit davon entfernt waren, welche zu sein. Auf seinem Gesicht aber erstrahlte ein heiteres Lächeln.

Und bei alledem vergaß Bodo, wer er war: ein junger Bademeister, der seinen Beruf an den Nagel gehängt hatte, um einen reizvolleren auszuüben, nicht mehr ein öffentliches Schwimmbad in einer deutschen Großstadt in sauberem Zustand hielt und Nichtschwimmern das Schwimmen beibrachte, sondern als frischgebackener Tierpfleger im Zoo der Stadt vorerst die Schwimmbecken der Flußpferde und Seelöwen und andere Tiergehege reinigte, für einen Lohn, der anfänglich geringer war als der, den er als Bademeister erhalten hatte.

Dies wäre nicht weiter von Bedeutung gewesen, hätte sein Portemonnaie nicht die schreckliche Angewohnheit besessen, objektiv zu sein. Jeden Monat signalisierte es vorzeitig Pleite. Diese unumstößliche Tatsache brachte sein Gedächtnis auf Trab. Er merkte, daß er über seine Verhältnisse lebte. Es kam jedesmal zu einem kleinen Gefecht zwischen Bedarf und Brieftasche, in dem die Finanzkräfte siegten und bei seinen Bedürfnissen den Rotstift ansetzten. Diese Niederlagen zeigten sich am deutlichsten an den weißen Flächen des Bierdeckelrandes und an der fehlenden Zerstreuung, die damit verbunden war. Das war der Moment, da sich das geknechtete Verlangen gegen die finanzielle Willkür erhob und die nüchternen Einwände des Portemonnaies vom Tisch fegte. Nach mehreren solchen Scharmützeln wurde seine Vermutung, daß zum Glücklichsein auch Geld gehört, zur Gewißheit. Jedenfalls war mit Geselligkeit und Kameradschaft allein nicht viel auszurichten.

Er beschloß, mehr zu verdienen. Den langwierigen Dienstweg klammerte er von vornherein aus. Das Ziel war schneller zu erreichen, wenn er die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten auf sich lenkte und ihre Gunst erlangte. Da konnte es nicht verkehrt sein, ein bißchen zu prahlen und so zu tun, als ob man alles, was andere können, schon längst kann.

Darum erschien er jeden Morgen eine Stunde früher als nötig am Arbeitsplatz. Hier bestand seine erste Amtshandlung darin, alle Lichter einzuschalten. Vorübergehende erblickten in der Festbeleuchtung ein Zeichen emsiger Betriebsamkeit, besonders im Winter, wenn es draußen noch stockfinster war, und sie fragten sich, wer außer ihnen noch so zeitig auf den Beinen sein mochte. In dem Augenblick bog Bodo mit klimperndem Schlüsselbund um die Ecke, und sie wußten es. Im hellen Schein der Glühbirnen und Leuchtstoffröhren warteten währenddessen drinnen dick belegte Butterbrote und eine Kanne dampfenden Kaffees auf die baldige Rückkehr des Lichtmachers.

So alt der Trick auch war, die Direktoren fielen darauf herein, obgleich sie Zoologie studiert hatten und das Wespenkleid der Schwebfliegen ihnen sowenig Rätsel aufgab wie der scheinbar flügellahme Kiebitz, der den Fuchs vom Nest weglockt.

So tun als ob.

Die Nachricht von Bodos unbezahlten Überstunden traf in der Chefetage nicht auf taube Ohren. Die Folge war, daß Bodo zuweilen denjenigen, die Fachausbildung besaßen, aber an Strom sparten, vorgezogen wurde. Sie schaufelten Sand und entleerten Sickergruben; er führte junge Gorillas vor und fütterte die Robben, wofür er auch noch besser bezahlt wurde.

Das mußte Ärger geben. Die Betroffenen murrten auch und sträubten sich gegen die ungerechte Behandlung. Aber Bodo behauptete seine Stellung. Mit Rükkendeckung von oben. Denn das Gerangel um die billigen Plätze im Parkett hat ja noch niemals denen geschadet, die auf den Logenplätzen sitzen.

Die Lohnerhöhung trug reiche Früchte. In dem Maße, wie Bodos Portemonnaie sich füllte, wurden seine Thekenbrüder voller und seine Freundinnen fröhlicher. Er gab das Geld mit vollen Händen aus. Da er sein Konto überzog, klafften auf dem Bierdeckelrand bald wieder die berüchtigten weißen Lücken. Die Stunde seiner festen Freundin schlug: Sie rückte zu seiner Verlobten auf. Ernüchtert stellte er fest, daß es ihm nicht besser als vorher ging.

Mehr scheinen als sein – das ist ein Teufelskreis, in dem die Unzufriedenheit triumphiert. In ihm war Bodo gefangen.

Die Rettung aus seiner chronischen Geldnot nahte in Gestalt bunter Magnetscheibchen, die am Dienstplan hafteten. Bodo entnahm ihnen nicht nur, daß er mit der Betreuung von Pavianen und Rhesusaffen beauftragt wurde. Sie wiesen ihn auch auf die schiefe Bahn.

Tausende von Münzen, die den bedrohten Tieren in aller Welt zugute kamen, waren in den kleinen Brunnen vor dem Affenhaus geworfen worden, bevor Bodo seinen Dienst antrat, und Abertausende sollten es in den kommenden Jahren noch werden. Dafür Sorge zu tragen, daß der Brunnen auch weiterhin seinen edlen Zweck erfüllte, gehörte nunmehr zu Bodos Aufgaben.

Er leistete ganze Arbeit. Regelmäßig sammelte er das Geld ein, hielt das Brunnenbecken peinlich sauber, reinigte mit Chlorkalk gründlich das hellblaue Mosaik, damit der Blick stets durch klares Wasser bis zum Grund fiel. Bei dieser Beschäftigung schaute er nicht auf die Uhr, und oft war es schon Feierabend, wenn er, bewaffnet mit Schrubber und Schlammschaufel, gegen die Not der Tiere zu Felde zog.

Bodo schloß seine eigene Notlage mit ein. Daher sein Eifer.

Abend für Abend benutzte er die zwei ordinären Bergungsgeräte, um die Spenden an Land zu hieven. Die ausländischen Währungen ließ er für den nächsten Tag als Anreiz im Becken liegen. Den feuchten Ertrag schüttete er auf das Sieb eines Heißluftapparates, und nach der Scheidung von Wasser und Metall halbierte er die Trockenmasse. Die eine Hälfte leerte er in die dafür vorgesehene Stahlkassette, die andere verschwand in seiner Tasche. Niemand sah es, und der kleine Gorilla verriet nichts. Erstens war er am Brunnen den lieben langen Tag damit beschäftigt, einen bleistiftdünnen Wasserstrahl aus seinem Mund zu spritzen, zweitens so stumm wie die Bronze, aus der er gegossen war, und drittens können Gorillas sowieso nicht reden.

Für Bodo waren die Abende wieder schön.

Leider war die Spendenbereitschaft kalkulierbar, und der Kalkulator saß in der Rechnungsabteilung, wo man einen merklichen Rückgang der Spenden registrierte. Und das in der Hochsaison! So währten die ungetrübten Stunden nicht lange. Der Rechnungsführer ließ nach dem Hauptkassierer rufen, der Hauptkassierer zitierte den Oberaffenpfleger zu sich.

Ein Gang aufs Büro verhieß nichts Gutes. Die Schweißdrüsen des Oberaffenpflegers begannen bereits auf halbem Wege mit ihrer Tätigkeit. Am liebsten hätte er die steinernen Stufen der Freitreppe, die im Verwaltungsgebäude zu den Büroräumen hinaufführten, in die Unendlichkeit verlegt. Statt dessen leiteten sie ihn zielsicher zum Rechnungswesen, und dort wurde er nach mehrmaligem Klopfen an der Tür in barschem Ton hereingebeten. Nachdem er eingetreten war und Platz genommen hatte, unterrichtete ihn der Hauptkassierer über die Sachlage und fragte abschließend:

„Haben Sie eine Erklärung dafür?“

Der Oberaffenpfleger, in Schweiß gebadet, beteuerte achselzuckend:

„Keine Ahnung. Wirklich nicht!“

Aber die Buchhaltung war kleinlich. Sie nahm seine Aussage unter die Lupe, ging seiner Pflichterfüllung mit der Schieblehre nach und legte seine Worte auf die Goldwaage. Um so großzügiger war sie beim Verteilen der Verantwortung. Der Oberaffenpfleger trug schwer an ihr, als er den weißen Prunkbau aus der Gründerzeit verließ, in dem die Verwaltung gleich den Göttern des Olymp über die Schar verlorener Seelen in der kleinen Welt zu ihren Füßen thronte und deren Schicksal bestimmte. Mit jedem Schritt, den er machte, stieg das Mißtrauen in ihm, und am Ende des Rückwegs war die Zahl seiner Verdächtigen zweistellig.

Dem gespendeten Kleingeld widerfuhr eine noch nie dagewesene Fürsorge. Für Lausbubenstreiche brachen schlechte Zeiten an.

Mancher Kaugummi und manches Heftchen waren bislang aus dem Wunschbrunnen finanziert worden. Das war eine feine Sache, zu der es nur etwas Einfallsreichtum und Geschicklichkeit bedurfte. Man konnte zum Beispiel an einer Schnur einen Magneten befestigen, diesen, so als wäre er eine Münze, ins Wasser werfen und ihn, wenn die Luft rein war, um den Wert einiger Limonaden reicher, am Faden wieder herausziehen. Oder es genügten auch ein langer Arm und ein Paar flinke Beine, um zum gleichen Ergebnis zu kommen.

Dergleichen wurde nun ein Ende bereitet durch ein radikales Verstopfen der Kanäle, in denen das Geld versickerte. Diese Maßnahme schlug bei den Kiosken der näheren Umgebung schon sehr bald als Minus zu Buche. Die Kioskbesitzer allerdings nahmen die geringen Einbußen als naturgegeben hin und machten sich keine weiteren Gedanken darüber, oder sie forschten erst gar nicht nach der Ursache, da es sich doch lediglich um Pfennigbeträge handelte. Zuallererst aber bekamen den neuen Kurs die auf frischer Tat ertappten Kinder zu spüren. Die sträfliche Aufbesserung ihres Taschengeldes endete mit einer Mitteilung an Eltern und Schule oder bestenfalls mit einer Backe, die sich rötete und anschwoll, weil sie sich nicht rechtzeitig außer Reichweite der Fürsorglichkeit gebracht hatte.

Bodos Hand gehörte zu den Händen, die genau zielten und sicher trafen. Um seiner selbst willen war er Räuber und Gendarm in einem. Und der Gendarm waltete seines Amtes ohne Ansehen der Person, duldete keine Ausnahme – Bodo eingeschlossen. Wenn sich beim Einsammeln des Geldes die Versuchung einstellte, meldete er sich und befahl: „Laß das!“ Und Bodo ließ es, und das schnöde Ansinnen hatte das Nachsehen. Die Befolgung dieser Weisung aber brachte die zusätzliche Einnahmequelle zum Versiegen, und das rief verstärkt den Räuber auf den Plan.

Eines Tages, als der Oberaffenpfleger frei hatte und sich weitab in seinem Schrebergarten seinen Kaninchen und Hühnern widmete, hörte Bodo am Abend die verführerische Stimme sagen: „Sei kein Dummkopf. Greif zu. So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder!“

II

Die drei Mann vom Spätdienst hatten ihre Arbeit beendet und machten sich auf den Heimweg; alle anderen Kollegen waren bereits eine Stunde vor ihnen gegangen. Die Kassette mit den Monatseinnahmen, die in der Futterküche des Affenhauses in einem Schrank aufbewahrt wurde, zog Bodo magisch an. Er hatte den Schlüssel schon parat. Wenn ich aber die Schranktür mit dem Schlüssel öffne, sagte er sich, bin ich der erste, der in Verdacht gerät. Es muß wie ein Einbruch aussehen. Die Tür wurde zu einem Hindernis, wenn auch keinem unüberwindlichen. Unter dem Spülbecken stand der Werkzeugkasten; in ihm mußte sich ein Stemmeisen befinden. Der Kasten war rasch hervorgeholt. Er öffnete ihn. Im oberen Fach lagen ein Hammer, eine Zange ... im mittleren Nägel, Schrauben ... Er klappte den Kasten ganz auf – da war es, das Stemmeisen! Er nahm es heraus und stemmte es zwischen Tür und Rahmen, mit Mühe; mehrmals glitt die Spitze aus der schmalen Fuge. Einmal, zweimal ... viele Male drückte er gegen das Stemmeisen. Das Kunststoffurnier platzte ab, das Schloß hielt stand. Er wiederholte den Vorgang. Von der Türkante splitterte das Holz, ohne daß er dadurch seinem Ziel näher kam. Er machte eine Pause und überlegte, ob er nicht doch den Schlüssel nehmen sollte, der im Verein mit anderen an seinem Hosenbund hing. Der Gedanke war verführerisch. Und wie um seine Hände von dem verlockenden Griff nach dem Schlüssel abzuhalten, schlug er im Takt das Eisen mit der rechten Hand in die Handfläche der linken.

„Mist, verdammter“, murmelte er und trat mit dem Fuß kräftig gegen die Tür, die ihm solche unerwarteten Schwierigkeiten bereitete.

In Verbindung mit dem Fußtritt wirkte dieser Fluch wie das „Sesam, öffne dich!“ in der Geschichte von Ali Baba und den vierzig Räubern, denn die Schranktür sprang daraufhin auf. Aber dahinter winkte kein Schatz. Gähnende Leere tat sich auf. Das überraschte Bodo keineswegs. Er hatte die Kassette bereits vorher unter Verwendung des Schlüssels herausgeholt. Der Einbruch brauchte ja nicht bis in die kleinste Einzelheit vorgetäuscht zu werden.

Zufrieden wandte er sich der Kassette zu, die auf dem Tisch stand. Im Handumdrehen hatte er sie mit dem Kasettenschlüssel geöffnet. Ihren Inhalt verteilte er gleichmäßig auf drei unauffällige Plastiktüten, wie sie in jedem Lebensmittelgeschäft erhältlich waren, und verstaute die offene Kassette in einer vierten. Den Schlüssel legte er in eine verschließbare Schublade zurück.

Er verließ das Haus durch den Hinterausgang und vergaß nicht, die Tür hinter sich abzuschließen. Dadurch war er gezwungen, die vier Plastiktüten in einer Hand zu halten. Sie hatten ein beachtliches Gewicht, obgleich das Geld nur ihren Boden ausfüllte. Bodo fürchtete, sie könnten jeden Augenblick zerreißen.

Neben dem Hinterausgang, unter einer Hecke, lag ein faustgroßer Stein, der gewöhnlich dazu verwendet wurde, das Zuschlagen der Tür zu verhindern. Bodo bückte sich nach dem Stein und hob ihn mit der freien Hand auf. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß ihn niemand beobachtete, schlug er mit ihm die Scheibe des Küchenfensters ein. Dann streute er etwas Erde durch das Fenster und sorgte für deutliche Fußspuren, so daß der Eindruck entstand, als sei jemand von außen eingestiegen.

Gerade als er im Begriff war zu gehen, sah er einen jungen Burschen und ein Mädchen Hand in Hand den Weg entlangkommen. Um nicht entdeckt zu werden, versteckte er sich hinter der Hecke, die frisch gestutzt war und ihm nur notdürftig Deckung bot.

Etwa dreißig Schritte von ihm entfernt blieben die beiden stehen. Sie umarmten sich und begannen, angeregt durch die exotische Umgebung und im Glauben allein zu sein, sich ungeniert zu küssen und auch an sonstigen Liebkosungen nicht zu sparen.

Bodo überlegte, ob er die Gelegenheit nutzen und verschwinden sollte. Er konnte versuchen, sich leise davonzustehlen und, einen Bogen beschreibend, die Gefahrenzone umgehen. Oder sollte er die Flucht nach vorn wagen? Er entschied sich für die zweite Möglichkeit. Unbemerkt trat er aus seinem Versteck und ging auf das Liebespärchen zu. Als er sich ihm bis auf wenige Meter genähert hatte, rief er:

„Herrschaften ... Feierabend. Aber ein bißchen dalli!“

Auf der Stelle lösten sich die beiden aus ihrer Umarmung, starrten erst Bodo an und dann zu Boden wie zwei reumütige Schulkinder, die der Lehrer in einer dunklen Ecke beim Rauchen ertappt hat.

Sie hatten sich bisher für aufgeklärte Menschen gehalten, die sich wegen ihrer Zuneigung nicht schämen. Ihre Eltern hatten ihnen zur rechten Zeit die einschlägige Literatur in die Hände gespielt oder wenigstens der Neugier keine Zwangsjacke verpaßt. Im Sexualkundeunterricht war nicht nur von Blüten bestäubenden Bienen die Rede gewesen, vielmehr konnten sie auch eine gediegene Straßenaufklärung vorweisen. Nicht umsonst übten sie sich gekonnt in der fraglichen Disziplin. Und jetzt mußten sie erleben, wie ein paar schnoddrige Worte das Feuer ihrer Liebe zum Erlöschen brachte wie ein tosender Orkan eine Streichholzflamme.

Bodo, der nur wenig älter war als sie, stand breitbeinig vor ihnen und gab sich gelassen. Sein Herz pochte zwar, aber das bemerkte nur er.

„Wir dachten, es sei noch geöffnet“, entschuldigte sich der junge Bursche.

„Denken soll man den Pferden überlassen. Die haben den größeren Schädel“, erwiderte Bodo. „Keine Augen im Kopf, he? Oder meint ihr, die Ketten hängen nur so zum Spaß vor den Wegen?“

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, fingerte er gewichtig an seinem Schlüsselbund herum.

„Wir verstehen schon“, sagte das Mädchen verlegen, „Sie wollen ja auch mal nach Hause.“

„Eben.“

Daraufhin machten sich Bodo und das Pärchen gemeinsam auf den Weg zum Ausgang. Das Klimpern der Schlüssel war vom Klirren der Münzen nicht zu unterscheiden.

„Sie haben einen interessanten Beruf“, sagte unterwegs das Mädchen. „Er ist sicherlich sehr abwechslungsreich, aber es gehört auch viel Idealismus dazu, nicht wahr?“

Bodo nickte versöhnlich. „Das Wochenende geht meistens drauf, von den Feiertagen gar nicht zu reden.“

„Das wäre nichts für mich“, meinte das Mädchen.

Und ihr Freund fragte:

„Verdienen Sie wenigstens einigermaßen?“

„Kann nicht klagen. Hab’ freien Eintritt in den Zoo, was will man mehr.“

Sie lachten.

Am Ausgang angelangt, sagte das Mädchen:

„War nett, Sie kennenzulernen“.

Ihr Freund nickte zustimmend. Dann verließen die beiden durch eine Drehtür den Zoo.

Gott sei Dank, die bin ich los, dachte Bodo und begab sich zu den Umkleideräumen, die sich nahe dem Ausgang im ersten Stock eines dreistöckigen Gebäudes befanden.

Im Flur zu den Umkleideräumen hing ein Wandschränkchen, in das nach Dienstschluß die Schlüssel zu den Tierhäusern durch einen oben angebrachten Schlitz geworfen wurden. Spätabends hing der Nachtwächter die Schlüssel an numerierte Haken im Schränkchen, wo sie bis zum frühen Morgen unter Verschluß blieben. Die Schlüssel für das Affenhaus waren die letzten, die noch gefehlt hatten. Nachdem sich Bodo auch dieser Pflicht entledigt hatte, machte er einen Spaziergang hinunter zum Fluß.