Zebra mit Bratkartoffeln - Werner Hasselbacher - E-Book

Zebra mit Bratkartoffeln E-Book

Werner Hasselbacher

4,8

Beschreibung

Dreizehn phantasievolle Zoogeschichten: Überschüssige Zootiere werden dem Zoopersonal bei einem Betriebsfest als Braten serviert, ein Orang-Utan zeigt seinem Pfleger, wer der Herr im Hause ist, der Transport eines Nilpferdes kann Kopfschmerzen bereiten, einem Zoodirektor erscheinen seine Zöglinge nachts im Traum ... Das Ganze versehen mit einem kräftigen Schuss Humor und einer Prise Sarkasmus.

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Werner Hasselbacher, geb. 1948, arbeitete neun Jahre als Tierpfleger im Frankfurter Zoo, dem er zeitlebens verbunden blieb. Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg. Danach an der Goethe-Universität Frankfurt tätig. Er reiste viel, engagiert sich für den Naturschutz und seine große Leidenschaft ist der Fußball.

Für Marion

Elefanten werden immer wieder wohlmeinend mit dem Menschen verglichen. Dies ist als großes Kompliment gedacht. Dabei kann es für diese außergewöhnlichen Geschöpfe keine größere Herabwürdigung geben.

Bill Canning, Elephant Days

Inhalt

Wie ich zu einem ungewöhnlichen Essen kam

Seine Majestät

Glückliches Ende

Ich fange ein Nilpferd

Karl

Der Fachmann

Auf den Namen kommt es an

Die armen Küken

Des Zoodirektors böser Traum

Die weiße Ziege

Der Kampf mit dem Dämon

Außenseiter

Orandi

Wie ich zu einem ungewöhnlichen Essen kam

Womit alles anfing, weiß ich nicht. Meine Schulzeit verlief ziemlich normal. Meine Bildung bezog ich – abgesehen von der Volksschule, in der ich acht Jahre mit mäßigem Erfolg die Bank drückte – hauptsächlich aus Heftchen, die ich mit Heißhunger verschlang, vor allem aber aus Filmen, für die ich weit mehr Interesse zeigte als für meine Hausaufgaben.

Das Kino war meine wahre Bildungsstätte. In ihm studierte ich Geschichte, Erdkunde, Soziologie und Ethik. Unter der Führung von Kirk Douglas befreite ich mich im Aufstand des Spartacus vom Joch der Sklaverei und lehrte die römischen Legionen das Fürchten. Ich saß an König Artus’ Tafelrunde, liebte, unglücklich wie Lanzelot alias Robert Taylor, Ginevra, des Königs schöne Gemahlin, und schwor, den Heiligen Gral zu suchen. Als in England Sir John Anspruch auf die Krone erhob, die Scheunen der Bauern leer und die Wälder um Nottingham von Rebellen voll waren, da war ich es, Ivanhoe, der schwarze Ritter, dem die Jüdin Rebekka und Lady Rowena ihr Herz schenkten, und ich zog blank für Gott, Elizabeth Taylor und meinen König, Richard Löwenherz. An der Seite von John Wayne trieb ich Rinderherden durch Texas, trotzte Indianern, Banditen und Abstinenzlern. Der Lehrer zog mir die Ohren lang, wenn ich mit den Gedanken bei meinen Helden statt beim Unterricht war. Er erreichte immerhin, daß die gekaperten Galeonen, die unter der Totenkopfflagge Kurs auf Tortuga nahmen, wo Rum und Mädchen auf mich warteten, jedesmal mit Verspätung vor Anker gingen.

Alles in allem besaß ich also Voraussetzungen wie neunzig Prozent der Gesellschaft. Dennoch landete ich nicht am Fließband, wie es sich gehört hätte. Vielleicht bewahrte mich die Tatsache, daß ich ein großer Tierfreund war, vor diesem Schicksal.

Solange ich denken kann, wünschte ich mir nichts sehnlicher als ein Pferd, obwohl in unserer Wohnung nur für einen Kanarienvogel Platz war. Aber unter einem Pony war bei mir nichts zu machen. Das Ende vom Lied war, daß ich keins von beiden bekam. Als Entschädigung erwarb unsere Familie eine Dauerkarte für den Zoo, deren Rentabilität durch mich garantiert war. Ich freute mich auf die Ferien, sofern wir sie auf dem Land verbrachten. Kein Kuhstall, in den ich nicht meine Nase steckte. Ich plünderte meine Sparbüchse, um mir den Film Serengeti darf nicht sterben fünfmal im Kino anzusehen. Das sechste Mal sah ich ihn gratis zusammen mit meiner Schulklasse und hätte ihn mir bestimmt zum siebten Mal angeschaut, wenn ich nicht für den Rest des Monats pleite gewesen wäre. Andere legen sich später einen Hund oder eine Katze zu und sind zufrieden damit – ich nicht.

Obwohl ich keinen Drang zum Höheren verspürte, stand ich mit dreizehn vor der Wahl: kaufmännische Lehre oder Handelsschule. Eine Bauerngenossenschaft bot mir eine Lehrstelle an. Während des Vorstellungsgesprächs deutete mir die Personalchefin anhand meines Schulzeugnisses – unter besonderer Berücksichtigung der Drei in Rechnen – die Zukunft. Die sah alles andere als rosig aus. Ich bat um Bedenkzeit, ging in den Western Die glorreichen Sieben und kam nach Ende des Films zu dem Schluß, daß ich zum Kaufmann kein Talent hatte. Dann schon lieber Handelsschule. Das lief zwar letzten Endes auf dasselbe hinaus, aber ich dachte mir, kommt Zeit, kommt Rat. Ich bestand die Aufnahmeprüfung und war darüber so glücklich, daß ich vor Freude an einer Schneeballschlacht teilnahm, mir prompt eine Erkältung holte und zur Truppe stieß, als diese bereits bei der doppelten Buchführung angelangt war.

Ich lernte eine Menge. In Deutsch, daß ein Dingwort ein Substantiv und ein Tuwort ein Verb ist. In Stenographie, wie die Handschrift auszusehen hat, daß, wenn sie rechtsgestellt ist, man einen guten, wenn sie linksgestellt ist, man einen schlechten, und wenn sie geradegestellt ist, man überhaupt keinen Charakter besitzt und ich der letzten Kategorie angehörte, da mich mein Klassenlehrer in der Volksschule mit Kopfnüssen aus der ersten vertrieben hatte. In Maschinenschreiben, das Lehrbuch mitzubringen oder andernfalls mit vorgehaltenem Drehstuhl zwanzig bis dreißig Kniebeugen zu absolvieren und anschließend mit zitternden Händen einen Text zu tippen. Ferner, daß die Hände an der Schreibmaschine waagrecht zu halten sind – ein Prinzip, das uns mit einer in die Handballen piekenden Stecknadel eingefleischt wurde. In Wirtschaftskunde, den Kopf einzuziehen, um vor zweckentfremdetem Inventar in Deckung zu gehen. Außerdem, wie man einen Störenfried bestraft, indem man das Kollektiv nachsitzen läßt, und schließlich und endlich, wie man der Schule fernbleibt.

Nach einer Woche strenger Überwachung des elterlichen Briefkastens fing ich einen Brief der Schulleitung ab, in welchem mein unentschuldigtes Fehlen beklagt wurde. Ich setzte ein entsprechendes Antwortschreiben auf, unterschrieb mit dem Namen meiner Mutter – die Unterschrift meines Vaters beherrschte ich nicht annähernd so gut –, übergab das Schreiben der Post und holte so das Versäumnis nach.

Einstweilen konnte ich mich wieder den Zoobesuchen widmen, die täglich auf meinem Programm standen, da sie dank des Familienabonnements der billigste Weg waren, in jenen kalten Wintertagen nicht auf der Straße zu erfrieren. Schließlich mußte ich frühmorgens bei Wind und Wetter aus dem Haus, um „Üb immer Treu und Redlichkeit“ vorzutäuschen. Ich war zwei Wochen lang der erste Besucher im Zoo, dessen kann ich mich rühmen. Hierbei ergab es sich, daß ich neben Kehrbesen und Dreckschippe erstmals Bekanntschaft machte mit einer Greifzange und einem Schlagstock, deren Gebrauch mir ein Wärter, der Weitblick besaß, in groben Zügen erläuterte, bevor er sich von einer Kiste mit weißen Mäusen zurückzog und mir zur Erprobung des Instrumentariums freie Hand gab. Die Mäuse hatten das Nachsehen, zum Wohle kleiner Raubtiere, die sie sich schmecken ließen.

Wenn ich ausnahmsweise bei Kasse war, quittierte ich vorübergehend meinen freiwilligen Dienst im Zoo und ging statt dessen in die Matineevorstellung zwielichtiger Filmtheater, wo Streifen liefen, in denen irgendwelche Muskelprotze als Herkules oder so unbekannte Schauspieler wie Ronald Reagan als Gesetzeshüter agierten – so tief war ich gesunken. Nachts lag ich mit offenen Augen und schlechtem Gewissen im Bett und bat den lieben Gott in inbrünstigen Gebeten um Beistand. Als aber in der dritten Woche der Briefträger meinen Eltern einen Einschreibebrief überbrachte, zweifelte ich an Gottes ewigem Ratschluß. Nach Vollzug der Prügelstrafe wurde ich aus Gründen der Familienräson in Acht und Bann getan. Ich war vogelfrei und somit im Besitz der nötigen Reife, mich um eine Anstellung als Tierwärter im Zoo zu bewerben. Unter einer letzten Bedingung: Es mußte ein Lehrberuf sein. Es war einer. Ich unterschrieb meinen Eltern ein Dokument, aus dem hervorging, daß meine Berufswahl mein ureigenster Wunsch und Wille war, dann den Arbeitsvertrag, und war nun Tierpflegerlehrling mit Aussicht auf Rente. Ich hatte Berge von Mist zu versetzen – genau das Richtige für mich Dreikäsehoch – sowie hungrige Mäuler zu stopfen, wobei mir meine Vorkenntnisse zugute kamen, da ich im Erschlagen von Mäusen beachtliche Fertigkeiten mitbrachte.

Im Laufe meiner Karriere arbeitete ich mich in dieser Branche vom Eintagsküken über Tauben, Hühner, Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen bis zum Großvieh hoch. Anfänglich erledigte ich mein Handwerk mit Gewissensnot, später mit Ehrgeiz und zuletzt mit Routine. Durch Verarbeitung der Überschüsse zu Löwenfutter half ich, die Expansion von Hängebauchschweinen, Zwergziegen, Mähnenschafen und anderen sich freudig vermehrenden Huftieren in Grenzen zu halten. Ich schaffte es bis zur Elenantilope. Fehlten nur noch Bantengs in meiner Sammlung. Ich hatte Glück und erwischte gleich zwei. Sie waren die Krönung meiner Laufbahn.

In Eugen Schumachers Letzte Paradiese hatte ich diese Wildrinder auf der Leinwand bestaunt und mir nicht träumen lassen, daß sie mir eines Tages auf einem Teller mit Soße und Kartoffeln serviert werden würden. Damals wußte ich noch nicht, daß auch Zootiere den Gesetzen des Marktes unterliegen. Mit einem seltenen Okapi läßt sich ein gutes Geschäft machen. Ein gewöhnlicher Braunbär ist dagegen schon ein Ladenhüter. Überangebote senken die Preise, während Monopole den Absatz, künstliche Verknappungen die Gewinne sichern. Meine beiden Bantengs gehörten zwar einer seltenen Art an, doch die Zuchtgruppe, aus der sie stammten, war die einzige im Lande, und das sollte sie auch bleiben. Darüber hinaus waren sie junge Bullen, folglich schwerer zu verkaufen, kurzum: totes Kapital. Infolgedessen wurden sie anläßlich einer Betriebsfeier auf die Speisekarte gesetzt.

Ich muß sagen, sie waren ausgezeichnet im Geschmack, zarter als Wapitihirsch und nicht so streng wie Warzenschwein. Der Leiter der Werbeabteilung und der Hüter der Zebraherde waren so begeistert, daß sie nach dem Essen ein Ständchen gaben. Sie sangen, Krawatte und Gummistiefel in trautem Verein, von einem Birnbaum drunten in der Lobau. Keine Ahnung, wo die lag. Meine Kollegen vermuteten, irgendwo im Süden. Auf alle Fälle schienen dort Birnbäume zu wachsen. Wir schauten noch tiefer in unsere Gläser. Zu solch einem Essen kommt man schließlich nicht alle Tage.

Seine Majestät

Nach Meinung mancher Zeitgenossen leben wir im Zeitalter der Computer; das ist ein Irrtum; wir leben im Zeitalter der Monarchen. Niemals waren sie so zahlreich vertreten wie heute.

Anstelle von Kronen tragen sie Schuppen, Federn oder Haare. Ihre Residenz haben sie für gewöhnlich in Zwei- oder Dreizimmerwohnungen. Je vornehmer ihr Stammbaum, je höher ihr Anschaffungspreis, desto reichlicher sind sie von Filterkohle, parfümiertem Sand, Sofakissen und ähnlichen Annehmlichkeiten umgeben. Sie sorgen für Gesprächsstoff, der die Spalten mehrerer Zeitschriften füllt. Außerdem schaffen sie beträchtlichen volkswirtschaftlichen Nutzen dadurch, daß sie ihren Hoflieferanten, den Zoohändlern, Arbeit und Brot geben, und, was nicht hoch genug veranschlagt werden kann, sie halten die Fleischpreise stabil.

Darum genießen einige von ihnen völlig zu Recht das Privileg, ihre Lakaien, Herrchen und Frauchen genannt, an einer Leine durch die Straßen ziehen zu dürfen. Es ist verbürgt, daß sie währenddessen ihre Geschäfte erledigen. Das schadet zwar ihrem guten Ruf, wird aber, wie eingehende Untersuchungen zeigen, in Kauf genommen, zumal die Mehrheit ihre Allüren privat pflegt.

Diese Erkenntnis verdanke ich einem jener ungekrönten Könige, von denen hier die Rede ist: Seiner Majestät dem Schlitzrüßler, Solenodon paradoxus.

Er ist der Vertreter eines uralten Geschlechts, mit einer Ahnenreihe, die zurückreicht bis ins untere Oligozän, also um ein Stück länger ist als die der Hohenzollern. Das erste Kapitel seiner Familienchronik berichtet von einem Kampf gegen schauerliche Drachen, geläufig auch unter dem Namen Dinosaurier. Er endet mit der Niederlage derselben, die es nicht verstanden, den Emporkömmlingen vom Stamme der Säuger den Garaus zu machen. Vermutlich waren sie darüber so beschämt, daß sie, um der Schande zu entgehen, freiwillig aus dem Leben schieden. Jedenfalls ist es eine plausible Erklärung für ihr plötzliches Verschwinden.

Die restlichen Kapitel lesen sich wie das Blatt eines Kleintierzüchtervereins – im wesentlichen nichts Neues. Erwähnenswert ist nur das eine: die Entdeckung der Großen Antillen, und zwar vor Christoph Kolumbus. Auf ihnen hat der Schlitzrüßler noch heute Grundbesitz.

Ob unser einheimischer Igel ein direkter Abkömmling von ihm ist oder der Angehörige einer jüngeren Linie, kann hier mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Standpunkte der Experten nicht entschieden werden. Es kann aber als gesichert gelten, daß ich einem Schlitzrüßler zu Diensten war. Er residierte im Zoologischen Garten zu Frankfurt am Main, wo er sich gegen Eintrittsgeld, Kinder und Studenten die Hälfte, dem Volk zeigte.

Vor seinem Eintreffen waren am Hof die nötigen Vorbereitungen getroffen worden. Den Untermietern, den allgegenwärtigen Küchenschaben, wurde durch Verpflichtung eines Kammerjägers gekündigt. Dessen Bemühungen war ein gewisser Erfolg nicht abzusprechen. Das Schabenheer nahm um genau fünfzig Prozent ab, was ich daran feststellte, daß nur noch halb so viele Exemplare meine Garderobe bevölkerten. Eine weitere Maßnahme auf dem Gebiet der Hygiene, die Desinfektion des Königsgemachs, erfolgte nach den modernsten Methoden, derart, daß ich mir nebenbei die Qualifikation zum Zwiebelschneiden erwarb, da mir infolge der chemischen Dämpfe Hornhaut auf den Augen wuchs. Das Gemach, drei Meter lang, achtzig Zentimeter breit und hoch, erhielt einen frischen Anstrich und einen neuen Teppichboden aus Sägemehl, so daß es dem gehobenen Standard entsprach. Auch an das Tafelgeschirr war gedacht. Die Hofverwaltung ging mit der Zeit und schaffte Näpfe aus blauem Plastik an, nachdem ich die herkömmlichen aus Steingut mit Geduld, Scheuerpulver und Seifenlauge auf Hochglanz poliert hatte.

Der Tag des Einzugs war ein großes Ereignis. Das Empfangskomitee, bestehend aus mir, bezog bei Sonnenaufgang seinen Posten. Als gegen Mittag in der Nachbarschaft die Kirchenglocken läuteten, hielt es Ausschau, weil es dachte, daß es jetzt soweit wäre. Es handelte sich aber nur um die Generalprobe, denn von Seiner Majestät war weit und breit nichts zu sehen.

Mit Verspätung, aber trotzdem pünktlich zur Teestunde ertönte die Hupe der Staatskarosse. Hoheit hatte unterwegs das Vergnügen gehabt, zwei Umleitungen mittlerer und einen Verkehrsstau erster Güte kennenzulernen. Der Chauffeur hatte es nicht umsonst mit dem Blutdruck. Während er Wörter benutzte, die nicht im Großen Duden stehen, suchte ich nach einem Kästchen mit der Aufschrift „Lebende Tiere! Nicht stürzen!“. Es lag – mit der Unterseite nach oben – unter dem Beifahrersitz. Ich holte es hervor, drehte es vorsichtig um, hob es vor mein Antlitz und stellte mich meinem Herrn und Gebieter durch die Luftlöcher in der Stirnseite vor. Er gab von innen Klopfzeichen, und das war soviel wert, als hätte er mir guten Tag gesagt.

Zunächst nahmen er und seine Gemahlin, die ihn begleitete, Quartier in einer abgeschiedenen Kammer, um sich an unser Klima, die ungewohnten Speisen und an meinesgleichen zu gewöhnen. Er war sehr um seine Gesundheit besorgt und bestand darauf, daß ihn sein Leibarzt zweimal die Woche untersuchte. Zu jeder Mahlzeit mußte ich ihm Medikamente reichen, die er mit großem Unbehagen schluckte; dafür aß er für zwei, und wurde doch nicht dick. Als ich ihn nach Sinn und Zweck der Arzneikur fragte, gab er mir im Vertrauen zu verstehen, daß er auf die Dauer nicht über die Mittel verfüge, seine Reisebegleiter, Amöben, Salmonellen und diverse Würmer, zu verköstigen, ohne Schaden an Leib und Seele zu nehmen, und deshalb habe er ihre Ausreise beantragt. Und in der Tat, nach einem Fläschchen Antibiotika, einer Tube Entwurmungspaste und einer Packung Stärkungspillen nahmen sie von ihm Abschied. Seine Gemahlin hatte nicht soviel Glück und starb an einer unheilbaren Krankheit.

Er aber zog in sein hergerichtetes Gemach ein und trat so erstmals vor das Volk. Die Menge empfing ihn mit gemischten Gefühlen. Die Erwachsenen sagten: „Der sieht ja beinahe so aus, als wäre er ein Schlitzrüßler.“ Die Kinder hingegen riefen: „Iiih! Eine Ratte!“ Seine Majestät war zutiefst gekränkt. Denn er sah nicht aus wie eine Ratte, eher wie eine Maus von der Größe eines Meerschweinchens, mit Pfoten zum Unkrautjäten und einer Schnauze, die auf nahe Verwandtschaft zu einer Mohrrübe schließen ließ. In seiner Not wandte er sich nach links an seine Ratgeber, die Wickelbären, dann nach rechts an seinen Hofnarren, den Roten Uakari, und kam nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß, daß es in diesem Fall das beste sei, sich volkstümlich zu geben, setzte sich hin und tat, was sogar der Kaiser von China ab und zu tun mußte.

Für die Zukunft machte er sich das zur Regel. Er war überhaupt ein unverbesserliches Gewohnheitstier. Morgens stand er nie vor elf Uhr auf, trank stets auf nüchternen Magen einen Schluck Wasser, vertrat sich dann ein Viertelstündchen die Füße und legte sich anschließend wieder aufs Ohr. Am Nachmittag pflegte er sich an die gedeckte Tafel zu setzen und ausgiebig zu speisen. Danach unternahm er einen Verdauungsspaziergang, wobei er im Zickzack ging, als hätte er zu tief ins Glas geschaut. Wie er den Abend verbrachte, weiß ich nicht, da ich zu dieser Zeit zu Hause vor dem Fernseher saß, um mich vom Treiben bei Hofe zu erholen. Aber in der Nacht schien er wilde Orgien zu feiern, denn am Morgen herrschte in seinen vier Wänden ein Durcheinander wie in einer zünftigen Wohngemeinschaft.

Obwohl ich mich auf die Zubereitung von ausgefallenen Gerichten gut verstehe und imstande bin, vom Kolibri bis hin zum Elefanten jedem das Gewünschte vorzusetzen, versagte meine Kunst bei diesem Herrn nach und nach. Ich wählte unter den süßen Früchten die süßesten aus, ließ zähes Geflügel zurückgehen, hob Mäusenester aus, kurz: tischte ihm das Beste vom Besten auf. Er aber rührte nichts davon an, ja kippte sein Essen mir zum Verdruß auf den Boden. In dem Bemühen, ihn wenigstens bezüglich der Tischsitten zur Umkehr zu bewegen, kam das ausgediente Steingutgeschirr wieder zu Ehren – jedoch vergebens. Er war nicht davon abzubringen, mit Speise und Trank Unfug zu treiben, spielte mit den Fleischklößchen Ball, panierte den Fisch in Sägemehl und nahm in der Kraftbrühe ein Bad.

Als er so viel abgenommen hatte, daß ihm sein Rock eine Nummer zu groß war, beschloß er, die Nulldiät zu beenden. Er bestellte Milchsuppe mit Zwiebackeinlage und einen Mehlwurm zum Dessert. Noch am selben Tag wurden Jäger ausgesandt, um Wild zu erlegen. Sie kehrten heim mit reicher Beute, einem Zigarrenkästchen, besetzt mit Heupferdchen und dem letzten, wenn nicht gar einzigen Maikäfer der Saison. Erstere wie letzteren betäubte ich mit Lachgas und servierte sie Hoheit zum nächsten Frühstück.

Am Morgen versammelte sich der gesamte Hofadel vor dem Königsgemach, um zu sehen, ob Hoheit das Wildbret mundete. Ich mußte Seine Majestät wecken, da es nicht seine Zeit war. Er schnauzte mich an, als hätte er gerade von seinen überseeischen Besitzungen auf Haiti geträumt, und meinte, was mir einfalle, ging aber schließlich doch auf meine Empfehlung hin frühstücken. Er steckte seine Nase in die Schüssel, um zu erkunden, was es gab, blickte auf und leckte sich genüßlich die Lippen. Sein zähnestarrender Rachen öffnete sich, und im Nu war ein Heupferdchen waidmännisch zerlegt und unter dem Beifall der Edlen in seinem Bauch verschwunden. Dieser Vorgang wiederholte sich fünfmal. Dann war der Maikäfer an der Reihe. Der aber war nicht nach Majestäts Geschmack, sondern erhielt nach kurzer Untersuchung freies Geleit. Er erwachte aus der Narkose, brummte ein fröhliches Liedchen und flog, noch etwas benommen, zu einer Kastanie, wo ein ordinärer Spatz kam, der ihn mit Andacht verspeiste.

Ich trug Seiner Majestät nun täglich Heupferdchen auf. Er dankte es mir, indem er täglich sechs als Vorspeise aß und alsbald wieder zu Kräften kam. Aber der Hofmarschall war in diesem Punkt anderer Meinung. Er redete sich ein, Seine Königliche Hoheit würde krank, wenn er pro Tag nicht mehr als sechs Heupferdchen esse, und daran wäre ich schuld, denn sieben müßten es sein. Von Majestäts mathematischer Begabung wollte er nichts wissen. Deshalb dichtete ich, als mich der Hofmarschall wieder einmal nach der Anzahl der verzehrten Heupferdchen fragte, eins hinzu, worauf er „Na bitte“ sagte und bei Majestät bereits eine Gewichtszunahme festzustellen glaubte.

Nach einem Jahr wurde auf Seine Majestät ein Attentat verübt. Ein ehrgeiziger Hofrat, ein Doktor Soundso, hatte die brillante Idee, den rauhen Sägemehlteppich in des Königs Gemach gegen einen flauschigen aus Torf auszuwechseln. Hatte sich Majestät bereits auf dem alten Belag die Füße wund gelaufen, so lief er sich jetzt die Sohlen auf dem neuen vollends durch. Nachdem auch das Besprengen des Torfs mit klarem Wasser keine Besserung brachte, verordnete ihm der Arzt eine Salbe, mit der ich einmal am Tag seine schwärenden Wunden behandelte, ein Verfahren, das mich stets um meine Finger bangen ließ, da er äußerst kitzlig war und nach ihnen schnappte.

Schon nach etwa achtzig Tagen zeigte sich die erste Wirkung, allerdings nicht aufgrund der verwendeten Salbe, sondern dank eines Höflings von niederer Herkunft, der Majestäts Beschwerden der Torfsäure zuschrieb. Auf sein untertäniges Anraten hin wurde der Fußboden des Königsgemachs mit runden Kieselsteinen und trockenem Laub ausgelegt. Nach einem Monat waren die Füße Seiner Majestät wie durch ein Wunder geheilt, und er ging fortan unbeschwert wie in Schuhen von Salamander.

Im achten Jahr seiner Regentschaft dankte Seine Majestät ab. Er bezog ein Fach im Gefrierschrank, verließ es nach fünf Tagen, wurde ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, dann mit Holzwolle gefüllt und ist nun im Naturkundemuseum zu besichtigen.

Glückliches Ende

Ich war Tierpflegerlehrling im ersten Lehrjahr. Ein älterer Arbeitskollege suchte für ein Indisches Streifenhörnchen, das jemand im Zoo abgegeben hatte, einen Abnehmer. Er fand ihn in mir. Ich nahm das Hörnchen in einer leeren Milchpulverdose mit zu uns nach Hause. Noch am selben Tag kaufte ich einen Hamsterkäfig. Über den Bewegungsdrang eines Streifenhörnchens machte ich mir wenig Gedanken. Viel wichtiger war für mich, wie ich meine Eltern dazu bringen konnte, meine neueste Errungenschaft in der Wohnung zu dulden. Ich durfte eigentlich keine Haustiere halten. Ich redete mit Engelszungen auf sie ein und pries das ruhige Wesen der Streifenhörnchen im allgemeinen und die Sanftmut und Anspruchslosigkeit dieses Hörnchens im besonderen. Meine Fürsprache hätte einen Stein erweichen können. Das Hörnchen spielte mit und verhielt sich friedlich. Meine Eltern waren einverstanden. Wir hatten ein neues Familienmitglied. Ich nannte es Fritz.

Nach einer Woche wurde mir klar, daß der Hamsterkäfig zu klein für Fritz war. Er brauchte Auslauf. Ich setzte ihn in die Badewanne. Meiner Mutter, die sich fürchtete, in Anwesenheit von Fritz auf die Toilette zu gehen, sprach ich Mut zu. Ich erklärte ihr, daß die glatten, emaillierten Wände einer Badewanne für ein Streifenhörnchen absolut unüberwindlich seien. Ich glaubte selbst fest daran, bis meine Mutter in der Toilette schrie: „Das Hörnchen ist los!“ Mein Vater, meine Schwester und ich – wir waren gerade beim Abendessen – sprangen vom Tisch auf und eilten ihr zu Hilfe. Ich riß die Toilettentür auf. Meine Mutter stand wie versteinert da. Vor ihr, auf dem Klodeckel, saß Fritz, putzte sich sein Schnäuzchen und ahnte nichts von menschlichen Bedürfnissen. Meine Mutter verlangte, die Tür wieder zu schließen. Ein Streifenhörnchen auf dem Klo war ihr lieber als eins im Wohnzimmer. Meine Schwester meisterte die Situation. Sie sagte meiner Mutter, sie solle sich nicht so anstellen, komplimentierte sie aus der Toilette und ging selbst hinein. Wir lauschten gespannt an der Tür. Nach einer Weile sagte uns das vertraute Geräusch der Spülung, daß es meiner Schwester gelungen war, den Platz von Fritz einzunehmen.

Es sollte nicht das letzte Mal sein, daß Fritz entwischte. Er verkroch sich sogar einmal im Gasherd! Meine arme Mutter. Der Zwiespalt, einerseits kochen zu müssen, andererseits Fritz nicht rösten zu wollen, stand ihr im Gesicht geschrieben. Wir wußten uns keinen Rat. Mein Onkel wurde geholt, der gleich seinen Werkzeugkasten mitbrachte. Er hatte den Herd bereits abmontiert, als Fritz rußgeschwärzt aus dem Ofenrohr hüpfte. Ein Aufatmen. Aber wir hatten uns zu früh gefreut. Jetzt ging die Jagd erst los: unter den Stuhl, über den Tisch, hinter den Schrank. Zum Glück hatten wir einen dunkel gesprenkelten Bodenbelag in der Küche, so daß ich wenigstens die braunen Pillen, die Fritz bei seiner Flucht hinterließ, beseitigen konnte, bevor sie meine Mutter entdeckte.

Ein halbes Jahr verging. Fritz war inzwischen zutraulich geworden. Er nahm Weintrauben und Nüsse aus meiner Hand. Er ließ sich sogar von mir im Käfig streicheln. Ich hatte ihn ganz langsam daran gewöhnt. Zuerst getraute ich mich nur, ihn mit Lederhandschuhen anzufassen. Diese Vorsicht war unnötig. Ich konnte getrost mit bloßen Fingern sein schönes samtiges Fell berühren.

Sein Lieblingsplatz war vor dem Küchenfenster. Er liebte den Rundblick, den er von dort auf die angrenzenden Häuser und die grünen Hinterhöfe hatte. Mit Vorliebe beobachtete er die Spatzen, Amseln und Tauben im Nußbaum gegenüber.

An einem Sonntagmorgen, ich war noch im Schlafanzug, genoß er wieder einmal die schöne Aussicht. Zu meinem Schrecken nicht im, sondern auf dem Käfig! Ich war wie gelähmt. Er kletterte die Hauswand hoch, als wäre es nichts. An der Dachrinne machte er kehrt. Kopfüber stieg er hinab, zum Greifen nah an unserem Stockwerk vorbei. Die Nachbarn streckten die Köpfe aus den Fenstern. Das war ein Schauspiel! Es war noch Tage danach in der Nachbarschaft Thema Nummer eins. Ich schnappte den Käfig und rannte die Treppe hinunter. Wohlgemerkt: im Schlafanzug. Fritz saß unten auf dem Rasen. Er ließ mich nicht näher als fünf Meter an sich herankommen. Die nächste Hauswand war ihm. Er türmte an ihr hoch und verschwand über die Dächer auf Nimmerwiedersehen.

Hier könnte die Geschichte enden. Doch tags darauf wollten Schulkinder ein paar Straßen weiter ein Streifenhörnchen gesehen haben. Das konnte nur Fritz gewesen sein! Meine Phantasie ging mit mir durch. Ich dachte an die Hunde und Katzen, die Fritz nachspüren und jagen, an die Autos, die ihn bedrohen, an seinen Hunger, sein Heimweh, wie er uns sucht, den Weg zurückfindet, endlich vor unserem Küchenfenster sitzt und Einlaß begehrt – und niemand ist da, der ihm öffnet. Nein, das durfte nicht sein!

Ich besorgte mir ein Holzbrettchen, eine dünne Schnur, einen ausgedienten Messinggriff, eine leckere Mandel und baute den Hamsterkäfig zu einer Falle um. Zur Probe entfernte ich die Mandel, die die Schnur in einer in das Holzbrettchen gesägten Kerbe festklemmte. Das mit dem anderen Ende der Schnur verbundene und mit dem Messinggriff beschwerte Käfigtürchen fiel herab. Die Falle funktionierte. Ich stellte sie auf den Fenstersims. Jetzt hieß es abwarten und Tee trinken.