sanMemoria - Matthias Schmidt - E-Book

sanMemoria E-Book

Matthias Schmidt

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Beschreibung

"sanMemoria - Der Junge mit der roten Box" ist ein Fantasy-Roman und beschreibt den Aufbruch in ein grosses Abenteuer. Tom, ein ganz normaler 12-jähriger Junge, lebt zusammen mit seiner Zwillingsschwester Anna und seinen Eltern in einem beschaulichen Ort. Am liebsten spielt er mit seinem besten Freund Andy Videospiele. Er brennt darauf, sein neues und mühsam zusammengespartes Spiel "sanMemoria", in dem verschiedene Insignien erobert werden müssen, endlich spielen zu können. Doch dann entdeckt er eine seltsame rote Box auf seinem Schreibtisch, die ihn sofort in seinen Bann zieht. Die rote Box, die lediglich für ihn sichtbar ist und immer verschwindet, sobald sich jemand in der Nähe aufhält, offenbart mit der Zeit immer mehr Geheimnisse, deren Spuren er nachgeht. Als dann auch noch die erste Insignie real in seinem Zimmer erscheint, ist das Chaos perfekt.

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Matthias Schmidt

sanMemoria

~

Der Junge mit der roten Box

tredition GmbH ~ 22359 Hamburg

Autor: Matthias Schmidt

Cover: Thomas Heim

Lektorat, Korrektorat: Claudine Saurer, Rheintext

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback

978-3-7497-8047-1

Hardcover

978-3-7497-8046-4

E-Book

978-3-7497-8048-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

© 2019 Matthias Schmidt

Alle Rechte vorbehalten

Ein Hoch auf das Leben!

Ich möchte mich bedanken.

Ich möchte mich bei dir bedanken – mein Leben.

Vor vielen Jahren begegnete ich jemandem, der bis heute wahrscheinlich gar nicht weiss, was er für mich getan hat.

Ich möchte mich bei dir bedanken – mein Leben.

Ist es reiner Zufall oder ist es Vorsehung?

Ich schaue heute noch immer verblüfft auf diesen kleinen Streifen Papier, der mir den entscheidenden Impuls gegeben hat.

Ich möchte mich bei dir bedanken – mein Leben.

Schon immer hatte ich viel zu erzählen. Meine Geschichte ist bunt.

Und sie ist es deshalb, da die Energie kraftvoll ist.

So viele Menschen sind in mein Raumschiff gestiegen und mit mir geflogen. Manche zieht es woanders hin. Und gerade deshalb bedanke ich mich.

Denn ich erinnere mich.

Ich erinnere mich. Alles hat seine Bedeutung. Es ist schön.

Ein Hoch auf das Leben!

Ich danke meinen Zwillingen und meiner lieben Ehefrau, ohne die es niemals dieses Buch gegeben hätte.

Tom

„Tom! !!“, dröhnte Mamas Stimme wieder mal aus dem Wohnzimmer. Tom, das bin ich. Oh Mann, wie ich das hasste, wenn sie mich so rief.

„Ja, was ist denn?“, antwortete ich.

„Könntest du bitte…“ Ich wusste schon, ich sollte mir Socken anziehen, damit ich nicht krank würde.

„Ja, mach ich!“ schnauzte ich genervt und zog mir sofort die Socken an. Der Vorteil, wenn ich es gleich mache, ist, dass die Zufriedenheit meiner Eltern sofort steigt. Meine Zwillingsschwester Anna verhält sich da ganz anders. Sie legt es immer darauf an. Wenn sie etwas erledigen soll, macht sie es erst recht später, um zu provozieren. Warum sie das macht, verstehe ich bis heute nicht. Aber ehrlich gesagt: Eltern können auch manchmal echt nervig sein. Immerzu wollen sie etwas. Tom, zieh dich an, Tom, hast du schon Zähne geputzt, Tom, mach mal dieses, Tom, mach mal jenes… Sie kapieren es einfach nicht. Ich bin zwölf Jahre alt, und es sind gerade Ferien. Die ganzen Verpflichtungen gehen mir echt auf den Keks.

Wenn ich nur daran denke! Vor den Ferien meinte meine Klassenlehrerin, Frau Corelli, dass ich an einem eigenen Projekt arbeiten dürfe. Na Klasse, dachte ich mir, und als ich sie fragte, wieso eigentlich ich, erzählte sie mir von irgendwelchen späteren beruflichen Fähigkeiten, die es bei mir herauszufinden galt. Also nicht nur, dass meine Eltern mich nerven. Das kommt irgendwie von allen Seiten. Manchmal verbündet sich sogar Anna mit unseren Eltern, aber nur, damit sie gut dasteht. Na ja, Mädchen muss man nicht verstehen, und Anna erst recht nicht. Das Leben ist echt kompliziert.

Und es gibt noch nicht einmal Hoffnung auf Besserung. Letztens erzählte uns Papa, dass er sich freue, dass wir immer älter würden und somit auch mehr Verantwortung übernehmen könnten – also nebst dem Müll, den ich ja schon seit Jahren wegbrachte, sollte ich auch noch andere Verpflichtungen im Haushalt übernehmen. Anna und ich versicherten ihm, dass wir uns schon „sehr“ freuen, ihn und Mama im Haushalt noch mehr zu unterstützen. Bis jetzt kam noch keine neue Verpflichtung dazu, aber ich wette, der grosse Hammer kommt bald.

Die rote Box

Die zweite Ferienwoche war bereits angebrochen. Mama arbeitete, Anna traf sich mit einer Freundin und Papa blieb zu Hause, da er sich gerade eine sogenannte Auszeit gönnte. Er war lange krank gewesen und ich bin glücklich, dass es ihm wieder besser geht. Ausserdem nervt er mich nicht ganz so wie Mama.

In diesen Herbstferien sind wir nicht weggefahren und ich war auch ganz froh darüber. Ich bin gern daheim, auch gerne mal allein – niemand da, der einen nervt.

Es war früh am Nachmittag. Papa hatte sich gerade auf der Wohnzimmercouch schlafen gelegt, da klingelte es plötzlich an der Tür. Hm, eigentlich würde Papa jetzt zur Tür gehen, überlegte ich. Doch der hatte das Klingeln scheinbar nicht gehört und schlief tief und fest. Wer konnte das wohl sein? Vielleicht ein Freund, der mich besucht? Johann zum Beispiel, der fuhr in den Ferien nie weg. Der könnte es sein. Oder Andy, mein bester Freund. Da klingelte es ein zweites Mal. Okay, dachte ich, bevor Papa jetzt aufwacht, geh ich schnell zur Tür. Auf dem Weg schaute ich noch einmal nach ihm. Doch er schlief friedlich weiter. Jetzt musste ich mich aber beeilen. Da wir in einem grossen Haus wohnen, ist der Weg von meinem Zimmer bis zur Eingangstür echt weit. Also rannte ich los, jedoch darauf bedacht, dass ich Papa nicht aus Versehen aufweckte. Ich riss die Eingangstür auf, doch zu meinem Erstaunen war niemand da.

„Hallo?“, rief ich etwas zögerlich. „Hallo? Johann? Andy?“ Niemand antwortete. Hm, überlegte ich, vielleicht erwische ich den Besucher ja noch, bevor er ausser Sichtweite ist. Also schlich ich vorsichtig nach draussen und liess meinen Blick über unseren kleinen Vorhof schweifen, vorbei an den Mülltonnen, an denen sich oft die Katze unserer Nachbarn, die kleine Lizzy, zu schaffen machte, bis hinüber auf die gegenüberliegende Strassenseite. Doch ich sah niemanden, alles schien ganz normal. Wie meistens in unserem Dorf waren zu dieser Tageszeit keine Menschen unterwegs. Und in den Ferien erst recht nicht, denn die meisten machen Ausflüge oder sind für länger verreist. Und während ich darüber nachdachte, vergass ich vorübergehend, weshalb ich eigentlich hier draussen stand, denn ich spürte die noch wärmende Herbstsonne, die mich dazu verleiten wollte, noch länger im Freien zu bleiben. Doch die Enttäuschung darüber, dass niemand da war, dass sich niemand zu erkennen gab, der bei uns geklingelt haben könnte, kam schnell zurück. Es war weit und breit niemand zu sehen. Und bis auf das Rascheln der beiden Silberlinden, die links und rechts vor unserer Garageneinfahrt wuchsen, herrschte eine seltsame Stille.

Hm, schade, dachte ich. Wäre doch eigentlich gut gewesen, wenn jemand zum Spielen gekommen wäre. Doch vielleicht war ich auch einfach nur zu spät zur Türe gegangen. Ich genoss noch ein wenig die Wärme, schaute mich noch einmal um und ging wieder zurück ins Haus.

Mysteriös das Ganze, fand ich und überlegte mir, was ich jetzt tun könnte, da Papa schlief und ich Zeit für mich hatte. Und während ich enttäuscht im Flur stand, fiel es mir plötzlich ein: Spielen! Das war das Stichwort. Vor zwei Tagen hatte ich mir ein neues Spiel gekauft – ein Videospiel. Das würde ich jetzt ausprobieren. Bis jetzt hatte ich nämlich noch keine Gelegenheit dazu gehabt, denn man muss wissen, die vielen Verpflichtungen rauben einem nicht nur den Nerv, sondern auch Zeit. Aber jetzt hatte ich Zeit.

Ich schlich in mein Zimmer zurück, denn ich wollte Papa, der mittlerweile laut schnarchend auf der Couch lag, nicht aus Versehen aufwecken. Leise schloss ich die Zimmertür hinter mir. Geschafft! Schon irgendwie eigenartig, dass keiner an der Tür war. Aber na ja, möglicherweise ging ich einfach zu spät los und der Besucher mochte nicht länger warten.

Da sah ich plötzlich dieses seltsame rote Ding auf meinem Schreibtisch. Ich rieb mir die Augen. „Hä, was ist das denn?“, murmelte ich verwundert. Noch einmal rieb ich mir die Augen, nur um sicherzugehen. Doch das Ding stand immer noch da. Das musste ich mir aus der Nähe ansehen und so ging ich langsam, ohne es aus den Augen zu verlieren, zu meinem Schreibtisch. Was ist das nur? Mit etwas Sicherheitsabstand schaute ich es argwöhnisch an. Das Ding, der Würfel, also das, was da jetzt vor mir auf meinem Schreibtisch stand, sah aus wie eine Geschenkbox – ja, wie eine rote Geschenkbox, ohne Schleifen zwar, aber mit seltsamen Symbolen auf den Seitenflächen. Woher kam sie bloss? Hatte Papa vielleicht etwas damit zu tun? War das Klingeln vielleicht nur ein kleines Ablenkungsmanöver von ihm gewesen? Papa würde ich einen solchen Scherz zutrauen. Mir schoss es in den Kopf, ihn zu fragen. Doch was, wenn er doch nichts damit zu tun hatte? Ich war mir gerade nicht sicher, was ich tun sollte. Ich schlich also noch einmal hinaus, doch Papa schlief nach wie vor tief und fest. Er konnte es also bestimmt nicht gewesen sein, der die Box auf meinen Schreibtisch gestellt hatte. Ich liess ihn schlafen.

Ich überlegte mir, die seltsame Box etwas genauer anzusehen, aber mich befiel ein ziemlich mulmiges Gefühl. Wie kam diese Box hierher? Wieso in mein Zimmer? Und dann diese seltsamen Symbole. Hatte das Ganze vielleicht etwas mit dem mysteriösen Klingeln von eben zu tun? Ich schlich um meinen Schreibtisch und betrachtete sie von allen Seiten. Doch weil die ganze Sache irgendwie unheimlich war, beschloss ich, meinen besten Freund Andy anzurufen. Vielleicht würde er vorbeikommen und wir könnten gemeinsam schauen, was es mit der Box auf sich hatte.

Ich wartete vor unserem Haus auf ihn. Obwohl Andy nur etwa zehn Minuten entfernt wohnte, kam es mir wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich auftauchte.

„Da bist du ja endlich!“, rief ich ihm schon von weitem zu. Und während er sein Fahrrad an der Hauswand abstellte, erzählte ich ihm ganz aufgeregt, was passiert war. Unsere Anspannung hätte kaum unterschiedlicher sein können. Während Andy, ganz der Forscher, schon voller Tatendrang war und die Box endlich sehen wollte, wurde mir immer mulmiger zumute. Mir kam das Ganze unheimlich vor. Wir schlichen an meinem schlafenden Vater vorbei zu meinem Zimmer, Andy schnell vorneweg.

„Wo ist denn die Box?“, rief er.

„Hey, sei leise!“, ermahnte ich ihn und huschte schnell aus dem Wohnzimmer. „Sie steht auf meinem Schreibtisch.“

„Auf dem Schreibtisch ist keine Box. Hier ist alles andere, nur keine Box. Hast du sie vielleicht woanders hingetan?“ Jetzt wurde mir ganz schlecht. Als ich ins Zimmer kam, sah ich, dass die Box tatsächlich nicht mehr dastand.

„Hey, Andy, ich schwöre, hier war eine rote Box auf meinem Schreibtisch und jetzt ist sie weg.“ Wir suchten den Boden ab, vielleicht war sie runtergefallen. Doch sie blieb verschwunden.

„Okay, lass uns mal überlegen“, meinte Andy. „Wer könnte die Box weggenommen haben?“

„Hm, der Einzige, der noch hier ist, ist mein Papa, aber der schläft.“ Wir schlichen noch einmal zum Wohnzimmer und schauten nach, ob Papa tatsächlich noch schlief. Andy flüsterte mir zu:

„Dein Papa schläft, also hat er dann wahrscheinlich auch nichts mit dem Verschwinden zu tun. Das ist wirklich seltsam“, meinte er.

„Ja, das ist es“, sagte ich leise. Zurück in meinem Zimmer rätselten wir darüber, wohin die Box wohl verschwunden sein könnte. Aber sie war einfach weg und, obwohl Andy mir glauben wollte, bemerkte ich, dass er doch leichte Zweifel hegte, ob es überhaupt je eine rote Box gegeben hatte.

Wir beschlossen, uns nun meiner neusten Errungenschaft, meinem Videospiel, zu widmen. Ich hatte es mir mühsam über mehrere Monate zusammengespart und endlich konnte ich es spielen. Dazu noch mit Andy – perfekt! Es handelt sich dabei um ein Abenteuerspiel für meine Spielkonsole. Man muss in diesem Spiel zum fernen Planeten sanMemoria reisen und auf dem Weg dorthin bestimmte Insignien erobern. Das sind sogenannte Amtszeichen, die dem jeweiligen Besitzer Macht und Status verleihen. Auf dieser Reise würde man Weggefährten treffen und am Ende musste man ein gefährliches Monster besiegen. So stand es zumindest in der Beschreibung.

Endlich ging es los und mein flaues Gefühl wegen der verschwundenen roten Box verflog im Nu. Ich liess die Jalousien herunter und verdunkelte das Zimmer, denn am Nachmittag knallte immer die Sonne durch mein Fenster und man konnte auf dem Bildschirm nichts erkennen. Andy startete derweil die Konsole, und schon ging es los.

Zuerst trainierten wir im Trainingsmodus mit den Jägern unsere Flugfähigkeiten und je länger es dauerte, umso besser wurden wir. Wir trainierten, was das Zeug hielt. Mal war ich der Bessere, dann wiederum Andy. Doch mit der Zeit stellte sich heraus, dass ich der bessere Pilot, aber er der bessere Schütze war. Doch man musste beides beherrschen, denn auf der abenteuerlichen Reise nach sanMemoria musste man immer wieder Hindernissen ausweichen oder sie gegebenenfalls abschiessen. Mir wurde wieder klar, warum ich das Spiel unbedingt hatte haben wollen. Gemeinsam starteten wir kurze Zeit später die Mission und machten uns mit einem Raumschiff auf eine unbekannte Reise durch das Weltall.

Inzwischen war Papa aufgestanden. Er sah kurz bei uns vorbei, begrüsste Andy und fragte, ob alles gut sei. Das machte er immer so – wirklich nett von ihm. Uns ging es natürlich super, konnten wir doch schon ins zweite Level vordringen. Zugegeben, das erste Level bereitete uns keine grossen Schwierigkeiten. Mit Andy machte es wirklich Spass, denn er zockte mit der gleichen Begeisterung wie ich. Nachdem wir im ersten Level dem Volk des Planeten Syrakus geholfen hatten, reisten wir weiter durch das Weltall und steuerten schon den nächsten unbekannten Planeten an. Wir fanden heraus, dass es eine lange Reise werden würde, bis wir die geheimnisvolle Welt von sanMemoria erreichen würden. Es war unglaublich spannend. Die Zeit verging wie im Flug und wir wünschten uns, dass dieser Moment nie vergehen würde. Doch mittlerweile war es spät geworden und Andy musste nach Hause.

„Hey, Tom, das Spiel ist echt der Hammer. Das müssen wir unbedingt weiterspielen.“

„Ja, auf jeden Fall. Morgen vielleicht?“, schlug ich vor.

„Okay, mal sehen, was meine Eltern sagen.“ Wir gingen gemeinsam zur Eingangstür, als meine Mama plötzlich hereinkam.

„Hi Tom, hi Andy", begrüsste sie uns, sichtlich überrascht über Andys Besuch bei uns. "Na, wie geht’s euch?“, erkundigte sie sich.

„Gut, wir haben gerade Toms neues Spiel gespielt. Das ist der Hammer, sag ich Ihnen. Aber leider muss ich jetzt nach Hause“, sagte Andy mit seufzender Stimme.

„Na ja, Andy, morgen ist ein neuer Tag und vielleicht könnt ihr ja dann weiterspielen“, versuchte Mama ihn zu trösten.

„Also dann, ciao Andy, bis morgen“, verabschiedete ich mich.

„Und bestell deinen Eltern schöne Grüsse“, rief Mama ihm hinterher, als er bereits wegradelte.

Es war wirklich schon spät geworden. Das merkte ich vor allem daran, weil Mama in letzter Zeit oft sehr spät von der Arbeit kam. Aber klar, sie hatte eine neue Stelle und sie hat gesagt, am Anfang müsse man sich einarbeiten und da gehe es eben manchmal etwas länger. Ich finde es zwar schade, kann es aber verstehen.

Bis zum Abendessen war noch etwas Zeit. Ich ging wieder in mein Zimmer und wollte noch ein bisschen mein neues Spiel weiterspielen. Schon schade, dachte ich, dass ich jetzt nicht mehr mit Andy…

Da sah ich sie wieder – die rote Box auf meinem Schreibtisch. Als ob sie nie weg gewesen wäre. Sofort beschlich mich wieder dieses mulmige Gefühl. Nur, dass es jetzt immer stärker wurde. Wie konnte es sein, dass…? Ich hatte nicht mal den Mut, näher an die Box ranzugehen, geschweige denn sie zu berühren, so unheimlich kam mir das Ganze vor. Was sollte ich jetzt tun? Mama und Papa davon erzählen? Was ist, wenn sie dann wieder verschwindet? Und wieso verschwand sie eigentlich überhaupt? Ich war verzweifelt. Ich musste an mein neues Spiel denken. Es ist so einfach, mutig zu sein, wenn man nur den Controller in der Hand hält und auf den Bildschirm schaut. Aber es ist etwas völlig anderes, wenn unheimliche Dinge in der realen Welt passieren.

Ich setzte mich auf mein Bett und starrte die Box an. Ich hatte das Gefühl, als ob jeden Augenblick etwas passieren würde. Aber es geschah nichts. Die Box stand einfach nur da. Gerne hätte ich weitergespielt, aber mit der Box auf meinem Schreibtisch, in meinem Zimmer, erschien mir das unmöglich. Also blieb ich einfach auf dem Bett sitzen und hing meinen Gedanken nach, hin und wieder mit einem prüfenden Blick zu der mysteriösen roten Box. Ich sah mir mein Zimmer an. Meine Eltern hatten es vor einiger Zeit renoviert. Ich habe seit kurzem ein Doppelstockbett für mich allein. Ich kann sowohl oben als auch unten schlafen oder Freunde zum Übernachten einladen. Überhaupt finde ich, dass sie es ziemlich cool eingerichtet haben. Es gibt überall Sterne und manche leuchten sogar in der Nacht. Wenn ich mal nicht einschlafen kann, dann reise ich als Jedi-Ritter durch die Galaxie und versuche das Imperium zu besiegen. Ja, das ist cool.

Mein ganzer Stolz aber sind meine Konsole und mein eigener Fernseher. Das ist schon ziemlich ungewöhnlich für einen Jungen in meinem Alter. Doch es gibt leider auch strenge Regeln, was die Nutzung von Fernseher und Konsole betrifft. Und noch schlimmer ist es, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Ehrlich, ich würde zu gern öfter zocken oder fernsehen, aber das Risiko, dass meine Eltern mir alles wegnehmen, ist echt zu gross. Und ich kenne meine Eltern gut. Sie sind sehr konsequent und das für eine sehr lange Zeit. So eine Art Alarmanlage wäre nicht schlecht. Immer, wenn jemand zu mir ins Zimmer käme, würde vorher Alarm geschlagen. Ich könnte dann schnell reagieren, den Fernseher ausschalten und die Konsole ruckzuck verstauen. Ich glaube, das wäre eine optimale Lösung. Kaum zu Ende gedacht, kam Mama ins Zimmer.

„Du Tom, Anna ist zurück und es gibt Abendessen. Magst du kommen?“

„Was gibt es denn?“, wollte ich wissen.

„Na, komm einfach, ich habe etwas mitgebracht. Du wirst schon sehen, es wird dir schmecken.“ Als sie das Zimmer verlassen hatte, dachte ich darüber nach, was es wohl zu essen gäbe. Jetzt erst bemerkte ich, dass ich ziemlich hungrig war. Ich sah mich noch einmal im Zimmer um und blickte auch prüfend noch einmal zur roten Box. Hatte Mama das Ding eigentlich bemerkt? Sie hätte sie doch sehen müssen, oder nicht? Ich war verwirrt. Ich überlegte mir, sie vielleicht darauf anzusprechen, und ging in die Küche.

Hm, Lasagne Bolognese, das ist wirklich spitze. Nach dem ganzen Zocken hatte ich einen Bärenhunger.

„Anna, was hast du heute erlebt?“, fragte Mama neugierig. „Hast du Spass gehabt?“

„Und wie!!!“, freute sich Anna. Sie erzählte von ihrem Ausflug mit ihrer besten Freundin Emilia und deren Eltern. Sie waren schon früh am Morgen losgefahren, um die derzeit grösste Publikumsmesse in der Region zu besuchen. Es gab unter anderem viele Tiere, die man streicheln und sogar füttern konnte. Anna gefiel sowas. Für mich wäre das total langweilig. Zum Glück musste ich da nicht mit. Manchmal ist es nämlich so, dass man als Kind mit den Eltern mitgehen muss, und das ist ganz schön ätzend. Anna quasselte ununterbrochen wie ein Wasserfall und Mama war begeistert, dass sie ein so schönes Ferienerlebnis gehabt hatte.

„Na, und was habt ihr zwei so getrieben?“, fragte Mama erwartungsvoll in meine und Papas Richtung. Für Papa war der Tag eigentlich nicht besonders erlebnisreich gewesen. Ich dagegen hatte viel zu erzählen.

„Du hast ja Andy noch gesehen, Mama. Wir zwei haben mein neues Spiel ausprobiert. Es ist echt cool“, berichtete ich ihr.

„Ihr habt sicher wieder stundenlang gezockt“, meinte sie etwas mürrisch. Ich konnte nicht verbergen, dass sie mit ihrer Annahme natürlich wieder mal Recht hatte. Papa musste schmunzeln. Ich überlegte, ob ich sie jetzt auf die rote Box ansprechen sollte, wusste aber nicht wie. Ich hatte einen Kloss im Hals.

„Tom, erzähl mal von dem Spiel. Ich habe doch vorhin gesehen und vor allem auch gehört, wie viel Spass ihr hattet“, mischte sich Papa scherzhaft ein. „Und wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Andy hierherkam?“

„Äh, na ja“, stammelte ich, wollte ich doch nicht erwähnen, dass ich ihn wegen der roten Box angerufen hatte. „Also, äh, ich wollte Andy das neue Spiel zeigen.“

„Na, dann erzähl mal.“

„Okay, also...“, und so begann ich von den Abenteuern, die ich mit Andy im Spiel erlebt hatte, zu erzählen. Ich merkte, dass auch ich wie ein Wasserfall redete, redete und redete.

„So, ihr Lieben, wer räumt ab?“, unterbrach Mama plötzlich. Ach ja, da waren sie wieder, diese Verpflichtungen, und es gab keine Möglichkeit, ihnen zu entkommen.

Vollgegessen und zurück in meinem Zimmer, überlegte ich mir, trotz meines unguten Gefühls, die mysteriöse rote Box zu verstecken. Ich nahm also all meinen Mut zusammen, packte die Box und stellte sie erstmal unters Bett. Puh, das war doch gar nicht so schwer. Jetzt kam ich zumindest nicht in Erklärungsnot, denn wenn irgendjemand plötzlich ins Zimmer kam, sah er sie nicht gleich als Erstes. Ich wollte in aller Ruhe herausfinden, worum es sich bei der Box handelte. Also machte ich mir einen Plan. Obwohl wir in den Ferien meist etwas länger aufbleiben dürfen, brannte ich diesmal darauf, schnell ins Bett zu gehen. Ich zog mir schon mal den Pyjama an und putzte meine Zähne, was mir auch sofort ein Lob einbrachte. So gesehen, hatte meine Neugier auf die Box ja schon mal Vorteile. Da meine Eltern erfahrungsgemäss erst sehr spät einschlafen, stellte ich mir meinen Wecker auf 1:00 Uhr. Bis dahin sollten auch sie tief schlafen. Ich legte den Wecker unter mein Kopfkissen und stellte ihn etwas leiser als üblich ein. Das sollte funktionieren. Ich hoffte, dass er aber trotzdem laut genug wäre, um mich aufzuwecken. Ich ging noch schnell zu Mama und Papa ins Wohnzimmer.

„Gute Nacht, Mama!“

„Gute Nacht, mein Schatz. Gehst du schon ins Bett?“, war sie etwas verwundert.

„Ich lese noch ein bisschen. Ich bin müde vom Zocken.“ Sie sah mich fragend an, aber ich glaube, sie ahnte nichts. „Gute Nacht, Papa!“, rief ich ihm von weitem zu und verschwand wieder in meinem Zimmer. Da ich es meist nicht schaffte, länger als meine Eltern wachzubleiben, wollte ich nun schnell einschlafen und mich dann wecken lassen.

Dem Geheimnis auf der Spur

„Tom, aufwachen! Tom!!!“

„Was ist?“, murmelte ich leise.

„Hey, Bowling steht heute auf dem Programm, erinnerst du dich?“

„Welches Bowling?“

„Na, wach erst mal auf und zieh dich an, wir haben noch etwas Zeit. Du hast lang geschlafen und Mama ist schon längst wieder auf Arbeit.“ Kaum waren seine Worte verklungen, fragte ich mich, was Papa da eigentlich erzählte. Ach verdammt, der Wecker, fiel es mir ein. Ich hatte den Wecker nicht gehört. Ich öffnete erschrocken die Augen. Papa hatte gerade mein Zimmer wieder verlassen, da sprang ich wie ein wild gewordener Stier aus dem Bett und schaute nach, ob sich die Box noch in ihrem Versteck befand. Puh, zum Glück stand sie noch immer unter meinem Bett. Ich war erleichtert. Aber ich dachte mir, wenn ich jetzt zu dem blöden Bowling muss, dann kann ich die Box wieder nicht untersuchen. Ich musste mir etwas einfallen lassen und zwar ziemlich schnell. Ich ging raus zu Papa in die Küche. Er hatte richtig gute Laune und pfiff vor sich hin. Er brutzelte gerade Rührei, das ich so gerne mochte.

„Komm, setz dich, mein Junge“, forderte er mich auf. „Iss erstmal was, bevor es losgeht!“ Ich nahm an unserem Esstisch Platz und starrte in den Raum. Und während er mir einen grossen Teller meines Lieblingsrühreis mit Speck servierte, sah er mich fragend an. Er bemerkte, dass mir etwas auf dem Herzen lag.

„Was ist los, Tom? Hast du denn keinen Hunger?“

„Äh, weisst du, Papa, mir ist irgendwie übel. Ich würde heute gern im Bett bleiben“, antwortete ich ihm. Und obwohl das Rührei direkt vor mir duftete und ich ihm kaum widerstehen konnte, riss ich mich zusammen. Ich rührte keinen Bissen davon an, nur dem Gedanken an die Box folgend und daran, dass ich unbedingt mehr über sie herausfinden wollte.

„Wie schlimm ist es denn?“, fragte er besorgt. „Sollen wir zum Arzt gehen?“

„Nein, nein, ich glaube, so schlimm ist es nicht, aber fürs Bowling geht es mir nicht gut genug. Geht ihr doch ohne mich“, schlug ich vor. „Ich komme schon klar.“ Papa runzelte die Stirn und sah mich ungläubig an. Für gewöhnlich gibt sich Papa mit so einer Begründung nicht zufrieden, aber dieses Mal hatte ich Glück. Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig und er lächelte.

„Also okay“, meinte er plötzlich. „Es scheint ja nicht so schlimm zu sein. Bleib du hier und erhol dich mal. Wir nehmen Emilia mit, sie wollte sich ohnehin mit Anna treffen, und dann machen wir uns in zehn Minuten auf den Weg.“ Ich konnte mein Glück kaum fassen. Passierte das jetzt wirklich? Ich konnte es kaum abwarten, als wenige Minuten später auch schon die Tür ins Schloss fiel.

Als alle aus dem Haus waren, klingelte kurz darauf das Telefon. Am anderen Ende meldete sich Andy.

„Hi Andy“, begrüsste ich ihn. „Na, alles klar bei dir?“ Doch er hatte keine guten Nachrichten.

„Hi Tom, ich habe die ganze Zeit an das Spiel gedacht. Es war so cool, aber ich kann heute leider nicht kommen. Meine Mutter meint, dass ich nicht so viel zocken soll. Ich habe es auch schon mit Fahrradfahren und so weiter versucht, aber sie lässt sich nicht darauf ein. Ein anderes Mal, okay?“

„Okay, schade“ entgegnete ich ihm. „Aber da kann man wohl nichts machen.“ Und dann verabschiedeten wir uns auch schon wieder. So sehr ich das Spiel gern mit ihm weitergespielt hätte, freute es mich doch innerlich, dass Andy nicht kommen durfte.

So musste ich nicht mehr länger warten. Ich begab mich schnurstracks wieder in mein Zimmer und holte endlich die rote Box unter meinem Bett hervor. Meine Angst vor dem Unbekannten war verschwunden, das mulmige Gefühl von gestern wie weggeblasen. Ich stellte die Box vorsichtig vor mich auf den Teppichboden und begutachtete sie von allen Seiten. Schwer war sie nicht, vielleicht wie ein Schuhkarton mit Schuhen. Zur Überprüfung hob ich sie noch einmal an. Ja, so gross und in etwa so schwer wie ein Schuhkarton, aber mit leichten Sportschuhen, schätzte ich. Und ich fragte mich, ob etwas in ihr steckte. Ich schüttelte sie kurz, doch sie gab keine Geräusche von sich. Etwas ratlos stellte ich sie wieder ab. Was bist du bloss für ein seltsames Ding? Die quadratische Box sah schon sehr sonderbar aus. Ihre Seitenflächen glänzten in roten und goldenen Farben. Dadurch sah sie wie eine gewöhnliche Weihnachtsgeschenkbox aus. Doch die Symbole, die auf ihr prangten, waren alles andere als gewöhnlich. So etwas hatte ich vorher noch nie gesehen. Goldig schimmernde Linien verschlangen sich ineinander zu seltsamen Symbolen. Auf einer Seite glaubte ich ein Gesicht zu erkennen – ein ausserirdisches Gesicht wie von einem Alien. Bei dem Gedanken daran lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich drehte und wendete die Box. Auf jeder ihrer Seiten gab es jeweils andere Symbole. Doch so fremd sie mir auch erschienen, sie sahen auch irgendwie cool aus. Die Box hatte kein Oben und kein Unten und eine Öffnung hatte sie auch nicht. Und je länger ich sie betrachtete, umso mehr verlor sie ihren Schrecken, den sie mir vor allem gestern noch eingejagt hatte. Ich musste auch ein wenig lachen. Ich hatte also Angst vor einer Geschenkbox, einem rotgoldenen Würfel. Das fand ich zugegebenermassen ziemlich peinlich und da ich nicht so recht wusste, was ich jetzt mit ihr machen sollte, stellte ich sie zu meinem Sitzhocker und Sitzkissen. Vielleicht könnte ich sie ja als zweiten Hocker benutzen. Sie war zwar nicht so gross, doch stabil genug schien sie zu sein.

Ich entschied mich zu zocken. Da niemand im Haus war, hatte ich meine Ruhe und es konnte mich niemand erwischen. Ich liess die Jalousien, die, sobald es hell wird, immer automatisch hochfahren, wieder herunter und verdunkelte das Zimmer. Zwar schien die Sonne am Morgen nicht so direkt ins Zimmer, doch das Licht blendete immer ein wenig.

Schon sass ich im Raumschiff und steuerte den nächsten unbekannten Planeten an. Er befand sich in einer weit entfernten Galaxie, die man nur mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit erreichen konnte. Andy und ich hatten schon Level 2 erreicht. In Level 1 hatten wir bereits die Karte der Erinnerung erobert. Sie gehörte zu den Insignien, die man in dem Spiel erobern musste. Doch dies ist uns eigentlich nur durch einen glücklichen Umstand gelungen. Denn als wir im ersten Level dem Volk des Planeten Syrakus zu Hilfe eilten, bekamen wir einen entscheidenden Hinweis. Wir erhielten zum Dank für unsere Hilfe die Koordinaten für unsere Weiterreise. Doch ich vertauschte versehentlich die Zahlen und gab somit die falschen Flugdaten in den Bordcomputer ein. Das Ergebnis war, dass wir uns einige Sekunden später schon am Ziel wähnten. Doch das erwies sich als ein grosser Irrtum. Durch die falsche Eingabe der Koordinaten landeten wir an Bord des Raumschiffes des mächtigen Mercator, das sich in der Nähe des Planeten Syrakus aufhielt. Als wir erkannten, dass wir uns in grosser Gefahr befanden, ergriffen wir sofort die Flucht. Und bei dieser Flucht entdeckten wir die Karte. Das Spiel zeigte sie uns sofort an. Wir konnten es kaum fassen. Wir stahlen sie mit einem Ablenkungsmanöver aus einem der Kommandoräume und machten uns mit etwas Glück unentdeckt aus dem Staub.

Nachdem ich jetzt die korrekten Daten in den Bordcomputer eingegeben hatte, befand ich mich ich nun auf dem Weg zum Planeten Sorantes, um die nächste Insignie, den Stein der Erinnerung, zu suchen. Keine leichte Aufgabe, die da jetzt vor mir lag, denn man kann den Stein nur finden, wenn man seiner würdig ist. Man muss gute Dinge tun, um sich seiner als würdig zu erweisen. Dafür gibt es einige Optionen. Zum Beispiel, wenn man der Bevölkerung eines Planeten hilft, indem man sie beispielsweise vorwarnt, wenn ein Asteroideneinschlag droht, oder sie beim Bau von wichtigen Gebäuden unterstützt. Wann man sich allerdings des Steines als würdig genug erwiesen hat, weiss man vorher nicht. Während ich also auf dem Weg zum Planeten Sorantes war und ich mich noch nicht recht entscheiden konnte, welche gute Tat ich vollbringen würde, schielte ich immer mal wieder zu der roten Box. Manchmal, so schien es, sah es so aus, als würden die Symbole und die Linien anfangen zu leuchten. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Auf jeden Fall liess ich sie nicht mehr aus den Augen. Nach einer Weile näherte ich mich dem angepeilten Planeten. Ihn umgab ein mystischer Nebel. Es handelte sich dabei um den Umgebungsnebel des Sorantes. Als ich mit meinem Schiff in ihn eintauchte, kam es sehr auf meine Flugkünste an. Ich musste vorsichtig sein, denn der Nebel hatte seine Tücken. Die Instrumente funktionierten hier nämlich nicht richtig, so dass ich nun zeigen musste, wie gut meine Flugfähigkeiten wirklich waren.

Ich merkte nicht, wie die Zeit verging, so sehr zog das Spiel mich in seinen Bann. Plötzlich hörte ich von draussen Geräusche. Ich stoppte meine Mission und wollte gerade rausgehen, um nachzusehen, da bemerkte ich, dass Papa und Anna vom Bowling zurückkamen. Ich speicherte den Spielstand ab und verstaute eilig die Spielkonsole. Denn schliesslich ging es mir nicht gut und überhaupt, wenn Papa denkt, dass ich die ganze Zeit im Bett gelegen habe, könnte ich nachher ganz offiziell fragen, ob ich noch etwas zocken darf, weil es mir ja jetzt schon gaaaanz viel besser geht. Was für eine clevere Idee!

Jetzt noch schnell die Box verstauen, dachte ich mir… Doch als ich nach der roten Box greifen wollte, geschah das Unglaubliche! Es sah so aus, als würde sich die Box allmählich in Luft auflösen. Ihre Kanten verschmolzen zusehends mit der Umgebung und die Symbole zerfielen förmlich in sich selbst. Ich rieb mir die Augen, kniff sie mehrmals zusammen und öffnete sie wieder. Doch das, was sich da gerade vor meinen Augen abspielte, geschah wirklich. Auf einmal hörte ich, wie Anna an meinem Zimmer vorbeistampfte. Oh mein Gott, dachte ich. Was sollte ich jetzt tun? Ich geriet etwas in Panik. Was, wenn gerade jetzt jemand hereinkäme? Mir schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Das war wirklich unheimlich. Ich starrte auf eine Box, die sich fast vollständig aufgelöst hatte. Was das bloss zu bedeuten hatte, fragte ich mich. Plötzlich kam Anna zur Tür herein. Ich schaute völlig erschrocken zu ihr.

„Was ist denn mit dir los?“, fuhr sie mich an. „Du schaust ja, als hättest du einen Geist gesehen.“ Ich drehte mich wieder in Richtung der Box, doch sie blieb tatsächlich verschwunden.

„Wie? Was? Anna, du?“

„Ja, wir sind zurück. Emilia war auch dabei. Es hat Spass gemacht. Hast echt was verpasst. Papa hat uns zum Schluss noch auf ein leckeres Eis eingeladen. Ich habe wie immer ein Bananensplit genommen. Ja und was ist mit dir? Geht es dir besser?“ Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.

„Ähm, nein, weisst du… Ich glaube, ich leg mich wieder hin, mir geht es noch nicht besser“, versuchte ich zu erklären. Und tatsächlich verspürte ich jetzt eine gewisse Übelkeit. Ich glaube, ich war im Augenblick kein guter Gesprächspartner. Anna verliess stirnrunzelnd mein Zimmer. Sofort wanderte mein Blick wieder schnurstracks zu dem Platz, wo ich die Box hingestellt hatte. Wie erstarrt sass ich auf dem Teppichboden und konnte meinen Blick kaum von der Stelle lösen. Hin und wieder bildete ich mir ein, dass ich die Box noch erkennen würde, als plötzlich Papa hereinkam.

„Na, mein Junge! Anna meinte, es geht dir noch nicht besser.“ Ich schaute verdutzt zu Papa und sagte nichts. Ich war völlig abwesend. „Pass auf, Tom! Ich mach dir einen Tee und gebe dir etwas Zwieback. Dann kommst du schon wieder auf die Beine“, versuchte er mich aufzumuntern und ging wieder raus in die Küche. Als er draussen war, stellte ich fest, dass die geheimnisvolle rote Box tatsächlich verschwunden blieb. Ich konnte es nicht glauben. Doch gerade, als sich in mir ein trauriges und enttäuschtes Gefühl ausbreiten wollte, da erkannte ich plötzlich wieder die Umrisse der Box.

„Was???“, entfuhr es mir. Wie aus dem Nichts tauchten auch die geheimnisvollen Symbole wieder auf. Ich wollte meinen Augen nicht trauen und kniff sie noch einmal ganz fest zusammen. Doch als ich sie wieder öffnete, stand die rote Box in ihrer ganzen Pracht wieder vollständig vor mir. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, ich hatte eiskalte Hände und bestimmt war ich kreidebleich. Was geschah hier bloss? Was war das für ein abgefahrenes rotes Ding?

Da rief Papa aus der Küche, dass ich doch rauskommen und etwas essen sollte. Ich schnappte mir die Box, schob sie wieder unters Bett und ging raus.

„Komm, setz dich, Tom, und iss etwas, damit du wieder zu Kräften kommst“, meinte Papa. Ich nahm an unserem Esstisch Platz. Kurz darauf setzte sich Anna zu mir und meinte:

„Tom, als ich vorhin zu dir ins Zimmer kam, ist mir etwas aufgefallen.“ Oh mein Gott, dachte ich. Hatte sie vielleicht etwas mitbekommen? Sofort fing mein Herz wieder schneller zu schlagen an. Sie flüsterte mir ins Ohr: „Du musst den Fernseher schon richtig ausmachen, sonst kriegt Papa mit, dass du wieder heimlich gezockt hast.“ Dabei kicherte sie leise. „Und ausserdem waren auch die Jalousien noch unten.“ Ich atmete erleichtert auf, ich hatte schon gedacht. Wenn Papa es spitzkriegen sollte, dass der Fernseher noch an ist, dann würde mir schon eine Ausrede einfallen. Das war das geringere Problem. Erleichtert trank ich jetzt meinen Tee. Ich mag am liebsten Pfefferminztee mit Zitrone. Papa macht ihn mir immer super lecker. Genau die richtige Menge Zitrone und zwei Löffel Zucker. Jetzt hatte ich aber Hunger und stopfte jede Menge Zwieback in mich hinein.

Pizza und andere Leckereien

„Kinder, was haltet ihr davon, wenn wir Mama überraschen und sie nachher von der Arbeit abholen?“, platzte es plötzlich aus Papa heraus. „Wir könnten dann zu Franco fahren, dort unsere Lieblingspizzas essen und, wenn alle Lust haben, gehen wir danach noch ins Kino – mit Popcorn und allem Drum und Dran. Na, wie wär’s?“

Anna und ich staunten. Was für eine Idee und ausgerechnet von Papa. Nicht schlecht, dachten wir.

„Super Idee!“, riefen wir beide im Chor und klatschten uns ab.

„Okay, abgemacht. Ich sag euch Bescheid, wenn es nachher losgeht“, freute sich auch Papa. Wir wussten natürlich, dass Mama bereits Bescheid wusste, denn sie arbeitet meist länger und kann gar nicht spontan früher von der Arbeit kommen, ausser bei Notfällen. Aber wir gönnten Papa seine „spontane“ Idee und die Freude.

Franco war unser Lieblingsitaliener. Er machte alle Pizzas selbst und belegte sie nach unseren Wünschen. Mama und Papa nahmen immer die gleiche Pizza, Anna eigentlich auch. Wenn ich mich nicht für eine Hawaii entschied, dann stellte ich mir meine eigene Pizza zusammen. Pizza Fantasia nannte die Franco immer. Man konnte sogar Grösse und Form selber bestimmen. Manchmal nahm ich eine viereckige oder eine dreieckige. Wenn ich sternförmig bestellte, schaute er mich immer grimmig an. Aber für mich gab es definitiv nichts Besseres, denn man konnte jede Sternenzacke anders belegen. Das Coole dabei: Die Pizza Fantasia war jedes Mal anders und deshalb konnte Franco die auch nicht auf seiner Karte anbieten.

Ich hatte mich zwar gerade ziemlich mit Zwieback vollgestopft, dennoch überlegte ich mir schon, wie meine Pizza heute aussehen könnte. Anna holte derweil einige Brettspiele aus ihrem Zimmer. So vertrieben wir uns die Zeit, bis es losging.

Papa parkte unseren Van ganz in der Nähe von Mamas Büro. Wir liefen auf dem sogenannten „Glücksweg“ zu ihrer Firma. Mama arbeitete neuerdings als Personalleiterin in einer Schokoladenfabrik. Sie selbst sagt immer, sie habe jetzt einen „Schoki-Job“. Den Spass verstehen aber meist nur die Erwachsenen. Auf jeden Fall haben wir, seitdem sie dort arbeitet, eindeutig viel mehr Schokolade bei uns zu Hause in der Süssigkeitenschublade. Anna findet das besonders toll, da sie sich ausschliesslich von Schokolade ernähren könnte. Deshalb nennt Papa sie auch immer Naschkatze. Und seitdem sie einmal als Burgfräulein zum Karneval gegangen ist, ist sie für Papa nur noch das Burgfräulein Naschkatze. Sie findet es zwar nicht sonderlich lustig, wenn man sie so nennt, doch vielleicht hat Papa gerade deshalb so viel Spass daran und zieht sie gern damit auf. Ach und übrigens: Ich finde die Schokobananen am besten.

„Wartet hier! Ich gehe schnell zu Mama ins Büro und sage ihr, dass wir da sind“, sagte Papa in seinem typisch strengen Ton, wenn wir auf jeden Fall gehorchen mussten. Wir standen im Foyer des Besuchereingangs, durch den man ins Schokoladenmuseum gelangt. Dort kann man Näheres über die Geschichte der Firma erfahren, bei der Schokoladenherstellung zuschauen und natürlich Schokolade kaufen. Papa erzählt uns immer, wie wichtig es ist, dass man das Geld in der Region ausgibt. Anna und mich nervt dieses Thema zwar, vor allem wenn Papa erst mal richtig loslegt. Aber hier Schokolade für uns zu kaufen halten wir für akzeptabel. Im Foyer gab es ein cooles Bild vom Gründer der Firma. Der ist schon lange tot, aber sein Porträt hat eine spannende Besonderheit. Es sieht nicht nur so aus, als wäre der Mann lebendig, er zwinkert den Besuchern auch regelmässig zu. Natürlich wusste ich, dass das Zwinkern durch Technik ermöglicht wurde, dennoch erschien es mir jedes Mal, als ob der Mann direkt vor mir stünde.

Während Papa zu Mama ins Büro ging und wir warteten, vertrieb sich Anna die Zeit im Verkaufsshop und ich schaute mir das Bild an. Der Moment des Zuzwinkerns ist der beste. Ich stand ganz allein vor dem Bild. Man sah, dass der Mann aus einer anderen Zeit kam. Die Haare würde heute keiner mehr so tragen und die Klamotten wohl auch nicht. Er stand vor einem alten Holzschrank, so einer Art Kleiderschrank, und auf dem Tisch im Hintergrund standen allerlei Bücher, alte Flaschen, Tassen und Teller sowie eine rote Kiste. Eine rote Kiste? Eine rote Box? Ich ging etwas näher heran und meine Augen klebten förmlich an diesem Bild. Mein erster Gedanke… aber nein, das war idiotisch, das konnte nicht sein. Was sollte die Kiste auf dem Bild mit meiner roten Box daheim zu tun haben? Derweil kam Anna aus dem Shop zurück.

„Wo bleiben denn nur Mama und Papa?“

Ich zuckte mit den Schultern. Wir warteten, inzwischen ziemlich gelangweilt, im Foyer, als sie endlich kamen.

„Jetzt aber nix wie los zu Franco“, meinte Papa etwas entschuldigend.

„Ja, ich habe schon einen Riesenhunger“, unterstützte ihn Mama. Wir stiegen ins Auto und brausten los. Während der Fahrt diskutierten wir darüber, welche Pizza wohl jeder nehmen würde. Während Mama und Papa sich wie immer für die gleiche Pizza entscheiden würden, wollte Anna diesmal was ganz Spannendes bestellen – Schokopizza. Okay, das war wirklich neu, aber ob sie die bekommen würde, da hatte ich so meine Zweifel. Aber bis jetzt hatte Franco immer alles möglich gemacht. Für mich stand fest, dass ich die Sternpizza nehme. Mama studierte inzwischen am Handy die Kinofilme. Das Internet ist schon cool. Du kannst alles unterwegs herausfinden, online Filme schauen und Spiele spielen. Was jedoch das Internet betrifft, sind meine Eltern total streng. Sie erlauben mir nur sehr selten zu surfen. Sie sagen immer, dass es sehr gefährlich sein kann. Ich frage mich bloss wie. Das Internet kann einen ja schliesslich nicht erschiessen. Ich finde, da sind sie irgendwie ängstlich. Vielleicht liegt es daran, dass sie alt werden. Mein Freund Aaron erzählte mir mal, dass die Menschen, wenn sie älter werden, Gehirnmasse verlieren und sie deshalb immer ängstlicher werden. Und später sterben sie dann, weil sie kein Gehirn mehr haben, denn ohne Gehirn kann man nicht leben. Ich hoffe, dass Mama und Papa noch richtig lange viel Gehirn haben.

„Also Kids, hört mal zu“, meinte Mama plötzlich. „Heute läuft eine Vorpremiere. Ein Abenteuerfilm für die ganze Familie. Was meint ihr?“

„Aber nur, wenn da kein Küssen oder so ein Liebeskram drin vorkommt“, antwortete ich. Dieser ganze Prinzessinnen- und Liebeskram nervt mich nämlich. Es gab noch ein paar andere Filme zur Auswahl und dann stimmten wir demokratisch ab. Papa hat mir mal erklärt, dass in einer Demokratie die Mehrheit entscheidet. In unserem Fall entschied sich die Mehrheit für den Abenteuerfilm.

Wir mampften also unsere Lieblingspizzas bei Franco. Anna musste sich, zum Glück für Franco, doch noch anders entscheiden, da Mama etwas gegen die Schokopizza hatte. Und dann sahen wir uns den Film im Kino an. Was für ein toller Familienabend. Endlich verbrachten wir mal wieder Zeit zu viert. Und der Film war obendrein auch richtig lustig und das Wichtigste: Es gab keine Liebeskramszenen. Cool!

Als wir wieder zu Hause ankamen, kontrollierte ich schnell, ob die rote Box noch unter meinem Bett stand. Yes, das tat sie!!! Ich überlegte mir, dass ich am nächsten Tag unbedingt herausfinden musste, warum die Box manchmal verschwand. Mann, was für ein aufregender Tag!

Alarmanlage

„Beep, Beep, Beep, Beep, Beep, Beep, Beep!“ Ich fuhr aus dem Bett hoch. Was war los?

„Beep, Beep, Beep!“ Da fiel es mir ein. Aber natürlich, mein Wecker. Ich hatte ihn doch vorgestern auf 1.00 Uhr gestellt und der Alarm war noch immer gespeichert. Ich sprang aus dem Bett, denn ich hatte den Wecker gestern auf meinen Schreibtisch gestellt. Schnell schaltete ich den Alarm aus. Puh! Hoffentlich haben Mama und Papa nichts mitbekommen, dachte ich. Ich schlich hinaus, um nachzusehen. Das Schlafzimmer befand sich nicht in unmittelbarer Nähe. Ich musste erst durch einen langen Flur laufen. Doch dann sah ich schon von weitem, dass die Tür zum Schlafzimmer, wie es meistens der Fall ist, offenstand. Ich stellte fest, dass Mama und Papa schliefen. Anschliessend schaute ich bei Anna nach. Zum Glück schlief auch sie tief und fest. Aber die kriegt eh meistens nichts mit. Sie ist im Übrigen eine echte Langschläferin. In den Ferien schläft sie manchmal fast bis zum Mittag. Das finde ich voll krass und total übertrieben.

Ich schlich wieder zurück in mein Zimmer. Es beruhigte mich, dass niemand von dem Klingeln des Weckers aufgewacht war. Ich beschloss, mich wieder hinzulegen, und wollte versuchen schnell wieder einzuschlafen. Doch gerade als ich die Leiter meines Doppelstockbettes hochklettern wollte, da bemerkte ich im Zimmer ein schwaches Licht. Langsam stieg ich die erste Stufe wieder hinab. Ich vermutete die Lichtquelle unter meinem Bett. Ganz vorsichtig legte ich mich auf den Boden und sah nach. Ha, und wie ich es mir schon gedacht hatte, sendete die rote Box das schwache Licht aus. Auf dem Bauch liegend, beobachtete ich sie. Ich entdeckte, dass das Licht von den Symbolen kam, die sich aus den in sich verschlungenen Linien formten. Dabei pulsierten die Linien etwas. Manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger. Es sah schön aus. Diesmal hatte ich keine Angst. Trotzdem war ich etwas aufgeregt, denn ich fragte mich, welche Geheimnisse mir die rote Box wohl noch offenbaren wollte. Ich holte sie unter dem Bett hervor und stellte sie in die Mitte meines Zimmers. Schnell schloss ich die Tür und setzte mich im Schneidersitz vor sie. Es ist schon bemerkenswert, wie sehr das rote Ding mich in seinen Bann ziehen konnte. Wieder einmal beobachtete ich sie ohne Unterlass. Und währenddessen bemerkte ich, dass das Leuchten langsam stärker wurde – ein schönes gelbgoldenes Licht. So ähnlich stellte ich mir den Feenstaub aus dem Tal der Feen vor, mit dem man fliegen kann. Ich weiss das von Anna, die auch heute noch zu gern Tinker Bell schaut.

Ich konnte meinen Blick wieder einmal kaum von der Box lassen, denn das Leuchten war traumhaft schön. Und je mehr die Zeit voranschritt, umso mehr verlor ich mich in dem faszinierenden und magisch anziehenden gelbgoldenen Licht. Bis zu dem Zeitpunkt, als die verschlungenen Linien sich unerwartet zu bewegen begannen, um neue Formen auszubilden. Ich schüttelte meinen Kopf. Träumte ich etwa? Was war denn jetzt los? Auf der Oberfläche der Box tauchten plötzlich und unerwartet kleine Feuerwirbel auf. Sie drehten sich, tanzten und hüpften und wurden immer mehr. Dann verliessen sogar einige von ihnen die Box und sprangen auf mein Bett und auf meinen Schreibtisch. Sogar auf mir tanzten sie herum, was mich ein wenig kitzelte. Etwas verdutzt stand ich auf. Das ganze Zimmer war plötzlich durch die vielen tanzenden Feuerwirbel erhellt.

„Wow!“, staunte ich mit offenem Mund. Die verschlungenen Linien der Box formten sich inzwischen nicht nur zu Wirbeln, sondern sie verliessen die Box als kleine, sanfte Lichtblitze und schossen umher, um sich anschliessend mit den Sternen an meinen Wänden zu verbinden. Und unversehens flogen und tanzten auch die Sterne wild umher. Sie setzten sich auf meine Schultern und kreisten sanft um meinen Körper. Ein wenig schien es, als würden sie mir zulächeln. Das ist doch verrückt, dachte ich. Allmählich begann ich, an meinem Verstand zu zweifeln. Wirklichkeit und Fantasie schienen miteinander zu verschmelzen. Ich verlor die Orientierung. Da legten sich die Sterne ganz behutsam unter mich und ich begann zu schweben. In diesem Moment dachte ich, so müsste es sich anfühlen, wenn man mit Feenstaub in Berührung kam. Mein Zimmer wich plötzlich dem sich vor mir auftuenden Weltall. Ich schwebte durch das All, immer höher und immer weiter. Doch ich hatte keine Angst. Auf meinem Weg erkannte ich den Planeten Syrakus, auf dem ich mit Andy zusammen gekämpft hatte. Dann erblickte ich Sorantes mit seinem Nebel und flog immer weiter in die Tiefen des Alls hinein. Die Sterne wiesen mir den Weg. Ich befand mich auf einer Reise zu weit entfernten Galaxien. Ich konnte alles sehen. Das ganze Weltall lag vor mir und es war mega cool.

Doch plötzlich! Alles wurde schwarz um mich herum. Die Sterne, die kleinen Feuerwirbel und die sanften Lichtblitze, sie alle verschwanden – und zwar schneller, als sie gekommen waren. Das magische Leuchten der Box war schlagartig weg, alles um mich plötzlich dunkel und mir wurde kalt. Ich sass wieder auf dem Teppichboden in meinem Zimmer. Krass! Was war das denn? Angst beschlich mich. Da kam Mama zur Tür herein und knipste das Licht an. Ganz verschlafen fragte sie:

„Tom, was machst du denn auf dem Fussboden?“ Sie hatte Geräusche gehört und war davon aufgewacht.

Ich stammelte: „Ich kann nicht schlafen, Mama.“

„Na komm, leg dich wieder ins Bett und versuche es wenigstens. Denk an was Schönes, dann klappt es ganz sicher“, redete sie mir gut zu. Sie half mir auf und ich legte mich wieder ins Bett. Dann gab sie mir einen Kuss, streichelte meinen Kopf und löschte das Licht. Kurz darauf verliess sie mein Zimmer wieder. Ich wartete einen Moment, bis Mama wieder im Schlafzimmer war. In der Stille der Nacht konnte man das gut hören, denn obwohl das Schlafzimmer recht weit von meinem Zimmer entfernt lag, hörte ich das Bett knarzen, als sie sich hinlegte. Dann riskierte ich wieder einen Blick nach unten. Seelenruhig stand die rote Box da auf dem Teppichboden in der Mitte des Zimmers. So, als ob nichts passiert wäre.

Jetzt hatte ich den eindeutigen Beweis. Denn, als Mama ins Zimmer kam, verschwand die Box kurzerhand. Ich schloss daraus, dass scheinbar nur ich die rote Box sehen konnte und immer dann, wenn jemand in der Nähe war, die Box unsichtbar wurde. Dieses Geheimnis hatte ich nun gelüftet. Und dennoch entschied ich mich dafür, die Box wieder unter dem Bett zu verstauen. Sicher ist sicher.

Als ich am nächsten Morgen sehr früh aufwachte, konnte ich an nichts anderes mehr denken als an das coole Erlebnis in der Nacht. Hatte ich das wirklich erlebt oder etwa nur geträumt? Wie konnte es sein, dass ich Syrakus gesehen hatte? Mir kam der Gedanke, dass ich alles, was ich in meinem Spiel schon erlebt hatte, noch einmal sehen konnte. Ich kletterte vom Bett hinunter und schaute nach der Box. Sie stand unversehrt unter meinem Bett. In diesem Moment wurde mir klar, dass die Box einen ganz entscheidenden Vorteil für mich hatte. Wenn es wirklich funktionierte, dass die Box immer dann verschwindet, wenn jemand in der Nähe ist, dann könnte ich… Ja, das wäre perfekt! Ich müsste sie immer nur so platzieren, dass sie in meinem Blickfeld ist. Ab jetzt könnte ich zocken und fernsehen, so viel ich wollte. Wenn jemand käme, würde mich die Box durch ihr Verschwinden warnen. Pure Freude stieg in mir auf. Das war ein guter Plan und ich wollte ihn auch sofort ausprobieren.

Ich holte die Box unter dem Bett hervor und stellte sie direkt rechts neben den Fernseher auf den Boden. Ihre Grösse müsste eher ein Vorteil sein, da man gut sehen konnte, wenn sich etwas tat. Dazu kam, dass sie neuerdings dieses schwache Licht aussendete. Es erschien mir deshalb unmöglich, ihr Verschwinden nicht mitzubekommen.

Also Konsole raus, Fernseher an, Jalousien noch schnell runter und losgespielt. Ich begab mich zunächst in den Trainingsmodus. Dort konnte ich meine Flugfähigkeiten im Raumschiff trainieren. Mir erschien es erst einmal wichtig, mich darauf zu konzentrieren. Denn, um durch den Nebel des Sorantes fliegen zu können, waren gute Flugfähigkeiten unerlässlich. Und dann musste ich auch unbedingt darauf achten, dass ich die Box gleichzeitig im Auge behielt. Nach einer Weile bemerkte ich, dass mich das ziemlich anstrengte. Einerseits wollte ich natürlich meine Flugfähigkeiten verbessern, andererseits musste ich meinen Blick immer wieder in Richtung Box richten. Doch je länger ich spielte, umso besser ging das. Eine Rechtskurve hier, die nächste wieder links und Blick zur Box, dann ein Schuss auf ein Hindernis, schnell wieder zur Box schauen und weiter ging es. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit machte ich das schon automatisch. Jetzt hoffte ich natürlich, dass jemand überraschenderweise in mein Zimmer kommen würde, um mich zu vergewissern, dass die Box auch wirklich funktionierte. Mama war schon längst wieder auf Arbeit und Anna schlief, aber Papa könnte bald nach mir sehen. Ich trainierte weiter und wiederholte die einzelnen Übungen immer und immer wieder, bis ich sie fehlerfrei meisterte.

Da Papa nicht ins Zimmer kam, beschloss ich, ihm einen Besuch im Schlafzimmer abzustatten. Ich könnte ihn wecken, um die Sache ein bisschen zu beschleunigen. Ich sah noch einmal zur Box und wollte gerade rausgehen, als ich bemerkte, dass sich etwas tat. Die Box löste sich urplötzlich auf. Ich staunte. Vor lauter Aufregung, dass mein Plan funktionierte, vergass ich fast den Fernseher auszustellen und die Konsole zu verstauen. Dann schnappte ich mir schnell ein Buch und setzte mich an den Schreibtisch. Da kam Papa auch schon ins Zimmer.

„Guten Morgen, Tom.“ Ich drehte mich zu Papa.

„Hi Papa“, sagte ich vergnügt.

„Du bist schon wach?“

„Du weisst doch, Papa, dass ich ein Frühaufsteher bin. Ich dachte mir, ich könnte ein bisschen lesen.“ Papa war sichtlich zufrieden und verliess dann auch schon wieder mein Zimmer. Ich jubelte und hätte vor lauter Freude an die Decke springen können. Wie cool ist das denn? Jetzt hatte ich meine eigene Alarmanlage, wie ich sie mir schon immer gewünscht hatte. Ich sah die Box freudestrahlend an. Das war der Beweis. Jetzt hatte ich keine Zweifel mehr.

In den nächsten Tagen unternahmen wir nicht viel. Anna traf sich hauptsächlich mit ihren Freundinnen und Papa sass viel am Computer. Er suchte schon seit längerer Zeit wieder eine neue Arbeit. Bevor er krank wurde, hatte er eine Niederlassung einer Lebensmittelfirma geleitet. Das war ziemlich cool, da er mich manchmal mit in die Tiefkühlzelle nahm. Wenn ich mir jedoch überlegte, dass dort Menschen arbeiten – das wäre mir auf Dauer dann doch viel zu kalt. Tiefkühlzellenmitarbeiter? Das kommt für mich definitiv nicht in Frage. Wenn ich erwachsen bin, werde ich ganz sicher Raumschiffpilot, denn das konnte ich gut.

So hing ich, trotz des Dauertrainings der letzten Tage, immer noch im zweiten Level fest. So schnell Andy und ich durch das erste Level gejagt sind, umso schwerer war es jetzt in Level 2. Hier musste man den Stein der Erinnerung finden, aber ich kam einfach nicht durch den Nebel des Sorantes. Dabei hatte ich so viel trainiert. Ich nahm an, dass es nicht nur auf meine Flugfähigkeiten ankam. Aber ich kam nicht hinter das Geheimnis, das mich durch den Nebel führen würde. Nach unzähligen Versuchen wuchs meine Verzweiflung. Andy hätte mir sicherlich helfen können, aber er ist mit seinen Eltern nochmal für ein paar Tage zu seinen Grosseltern gefahren. Ich musste die Lösung also alleine finden. Ich dachte nach. Vielleicht könnte mir die Box helfen. Doch wie nur? Die Box hatte jetzt ihren Stammplatz neben dem Fernseher und funktionierte perfekt. Ich sah sie an und folgte mit den Augen den Linien, aus denen sich die kleinen Feuerwirbel geformt hatten. Und ich erinnerte mich an den magischen Moment, als ich in jener Nacht durch das Weltall geschwebt bin.

Die Schule geht wieder los

Mittlerweile war Sonntagabend. Am nächsten Tag ging die Schule wieder los. So richtig Bock hatte ich nicht darauf, aber man konnte es nicht ändern – Verpflichtungen eben. Noch immer hatte ich das Rätsel um den Stein der Erinnerung nicht lösen können. So sehr mir die Box half, dass ich ohne Risiko zocken konnte, so sehr biss ich mir die Zähne aus. Wenn ich doch nur einen Hinweis bekommen könnte, wie man durch den Nebel fliegt.

Heute mussten Anna und ich wieder früher ins Bett, wegen der Schule eben. Mama und Papa sind da sehr streng. Es gibt leider nicht viel Verhandlungsspielraum, wenn wir am Abend versuchen, noch etwas länger wachzubleiben. Sie durchschauen uns meistens.

Da ich noch nicht müde war, überlegte ich mir, ob ich es vielleicht nochmal mit Level 2 probieren sollte. Vielleicht würde ich es jetzt schaffen, den Nebel zu durchfliegen. Doch ich entschied mich dagegen. Es schien mir besser, mal eine Pause einzulegen. Ich würde am nächsten Morgen mit Andy darüber sprechen. Vielleicht hatte er ja eine Idee. Während ich wach im Bett lag, dachte ich noch lange über den geheimnisvollen Nebel nach.

Am nächsten Morgen wurde es hektisch. Mama hatte den Wecker nicht gehört. Sie stürmte zu mir ins Zimmer.

„Tom! Aufwachen! Schnell! Wir sind spät dran. Du hast nur noch fünfzehn Minuten.“ Sie riss meinen Kleiderschrank auf, um Sachen für mich rauszulegen. Danach rannte sie zu Anna. Obwohl ich todmüde war, sprang ich sofort aus dem Bett. Bei Anna gab es wie immer Knatsch. Das ist so typisch für sie. Sie diskutiert ständig rum. Dabei ist ihr völlig egal, was passiert ist. Ich hörte sie aus ihrem Zimmer schreien, warum Mama sie denn nicht früher wecken könne. Das Gezeter spornte mich an, es besser zu machen. Also zog ich mich schnell an, putzte mir die Zähne und schlang eine kleine Portion Cornflakes hinunter. Meine Schultasche hatte ich im Gegensatz zu Anna auch schon gepackt. Während Mama mal wieder sichtlich Mühe mit ihr hatte und der Streit langsam zu eskalieren drohte, entschied ich, die rote Box aus Sicherheitsgründen wieder unter dem Bett zu verstauen. Obwohl nur ich sie sehen konnte, erschien mir der Platz unter dem Bett geeigneter in der Zeit, in der ich nicht zuhause war.

Ich stürmte also schnell in mein Zimmer und schnappte mir die Box. Da sah ich auf ihr einen kleinen zusammengefalteten Zettel liegen. Ich dachte erst, dass das eine meiner diversen Sammelkarten ist und ich sie versehentlich auf die Box gelegt hatte. Eine Sammelkarte war es nicht, aber da ich keine Zeit hatte, den Zettel näher zu inspizieren, nahm ich ihn und steckte ihn flugs in meine Hosentasche. Anschliessend verstaute ich die Box unter meinem Bett. Ich verabschiedete mich von Mama und hetzte los, denn ich traf mich mit Andy jeden Morgen zur gleichen Zeit. Völlig verschwitzt kam ich an der blauen Kreuzung an.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte er überrascht. Etwas ausser Atem erzählte ich ihm von dem Stress bei uns. Auf dem Weg zur Schule berichtete er mir von den Erlebnissen bei seinen Grosseltern. Er verbrachte gerne Zeit dort, vor allem weil ihm seine Oma immer grosszügig Geld zusteckte. Das war auch diesmal nicht anders.

Montags ging es immer los mit Mathe, einem meiner Lieblingsfächer. An diesem Morgen konnte ich mich schlecht konzentrieren, zu sehr beschäftigte mich immer noch die Unlösbarkeit von Level 2. Dabei fiel mir ein, dass Andy die Box nicht sehen konnte. Somit konnte ich ihm auch nicht von meinem Erlebnis mit den Feuerwirbeln und Sternen erzählen. Er würde mich für komplett verrückt erklären.

In Mathe behandeln wir gerade den Zahlenraum bis eine Million und ich fragte mich, wie viele Sterne es im gesamten Weltall wohl gibt. Denn zählen kann man sie ja nicht. Dafür sind es einfach zu viele. Ob die Lehrer das wissen?

Als ich so in Gedanken war, tippte mir plötzlich jemand von hinten auf meine rechte Schulter. Verdutzt drehte ich mich um, doch niemand gab sich zu erkennen. Ich musterte Tim, der direkt hinter mir sass, doch auch er war total in seine Matheaufgaben vertieft. Wer könnte es sonst gewesen sein? Vermutlich hatte sich jemand einen Scherz erlaubt. Ich beschloss etwas aufmerksamer zu sein. Eine gute Entscheidung, denn ein wenig später musste ich einige Aufgaben vor der Klasse an der Tafel lösen.

„Boah, nach den zwei Stunden Mathe bin ich ganz schön platt“, meinte Andy.

„Das ist immer so am ersten Schultag nach den Ferien“, sagte ich völlig entspannt, denn ich hatte die Aufgaben an der Tafel alle richtig gelöst. Andy hält lange durch, wenn es ums Zocken geht, aber in der Schule fehlte ihm jegliche Ausdauer. Obwohl er ein richtiges Genie ist, vor allem was Computer und Zahlen anbelangt, meint er immer, dass die Schule ein notwendiges Übel sei und abgeschafft gehöre. Die richtige Schule sei das Leben, das hätte er mal von seinem Papa gehört. Bevor wir in unsere erste grosse Pause gehen konnten, mussten wir noch eine Musikstunde überstehen.

Endlich klingelte es. Wir rannten auf den Schulhof, denn schliesslich durften wir keine Zeit verlieren. Fast alle Jungs in unserer Klasse tauschten gegenseitig Sammelkarten. Aufgrund der Hektik von heute Morgen hatte ich meine nicht dabei. Aber ich hatte sowieso keine rechte Lust, meine Gedanken waren eh woanders.

Da kam Andy zu mir: „Sag mal, bist du eigentlich im Spiel schon weitergekommen?“ Mir schoss sofort der Gedanke in den Kopf, dass ich darauf achten musste, mich nicht aus Versehen wegen der roten Box zu verplappern.

„Nein, leider nicht. Ich komme nicht durch das zweite Level. Ich habe es schon tausendmal probiert – nix. Ich komme einfach nicht durch den Nebel“, seufzte ich. Ich erklärte ihm kurz, was es mit dem Nebel auf sich hatte, da er den Planeten Sorantes noch nicht kannte.

„Wir könnten es ja nochmal zusammen versuchen“, meinte er.

„Ja, das wäre schon cool. Aber wann?“ Zusammen zocken könnten wir frühestens am Mittwochnachmittag, da haben wir nur bis Mittag Schule. Wir verabredeten uns vorläufig für Mittwoch, einzig unsere Eltern müssten noch zustimmen. Das ist jedoch immer ein bisschen wetterabhängig, da wir bei tollem Wetter immer draussen spielen sollen. Also wünschten wir uns für Mittwoch richtig mieses Wetter.

Die Karte der Erinnerung

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