Schamanen und ihre Spirits - Kurt Fenkart - E-Book

Schamanen und ihre Spirits E-Book

Kurt Fenkart

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Beschreibung

Dieses Buch beschäftigt sich mit dem wohl geheimnisvollsten Aspekt des Schamanismus: der bewusst herbeigeführten Begegnung mit Geistwesen. Kurt Fenkart berichtet von Geisteranrufung und Dämonenaustreibung, Heilritualen und spektakulären Bewusstseinsreisen, die er selbst bei verschiedensten schamanischen Traditionen erlebte. Dabei eröffnet er allen Leserinnen und Lesern praktische Möglichkeiten, eigene Erfahrungen zu sammeln und die schamanischen Kräfte ganz konkret im Alltag zu nutzen: - Traum und Prophetie: Die Sprache der Spirits verstehen - Den Führungs-Geist empfangen: Der Master-Spirit als Lebensbegleiter - Spirits der Pflanzen: Helfer mit heilenden Fähigkeiten - Die Seelen der Ahnen: Rat und Hilfe erlangen, sich mit den Ahnen versöhnen - Negative Geister: die eigenen Dämonen erkennen und sich von ihnen lösen - Geistoperation und Aurachirurgie: krankmachende Energien erkennen und auflösen

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Schamanen und ihre Spirits

1. Auflage, erschienen 11-2022

Umschlaggestaltung: Kurt Fenkart

Text: Kurt Fenkart

Layout: Romeon Verlag

ISBN (E-Book): 978-3-96229-645-2

www.romeon-verlag.de

Copyright © Romeon Verlag, Jüchen

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.

DasvorliegendeBuchistsorgfältigerarbeitetworden.DennocherfolgenalleAngabenohneGewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die ausden im Buch gemachten praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Kurt Fenkart

Schamanen und ihre Spirits

Unsichtbare Heiler, Helfer,

Berater in der schamanischen Praxis

»Ihr könnt euch das noch immer nicht vorstellen, ihr Weißen, aber die Spirits sind genauso real wie du und ich, Kurt.

Du brauchst sie nur um Hilfe zu bitten, und schon sind sie da. Aber was du aus der Botschaft machst,

ist natürlich deine Sache …«

Elk Heart, Schamane der Lakota-Sioux

(einer meiner spirituellen Lehrer)

Liebe Leserin, lieber Leser,

mein erstes Buch trägt den kräftigen Titel Auch du bist ein Schamane. Und dieses hier könnte gut und gern Du bist nie allein heißen, denn in seinem Mittelpunkt stehen die zahllosen unsichtbaren Helfer in der spirituellen Welt, die nur darauf warten, uns in unserer persönlichen Entwicklung beizustehen. Und das Schöne ist: Das Einzige, was wir benötigen, um in den Genuss dieser unschätzbar wertvollen Unterstützung zu kommen, sind Aufgeschlossenheit und Akzeptanz. Die Anerkennung des Tatbestandes, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als es der Alltagsverstand nahelegt.

Sollten Sie bereits einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis geworfen haben, ist bei Ihnen vielleicht der Eindruck entstanden, dass die Reihenfolge der Kapitel in diesem Buch beliebig ist. Und in gewisser Weise stimmt das auch. Das Reich der Geister ist allumfassend, sodass es sich einer einfachen linearen Darstellung entzieht. Lesen Sie also ruhig diejenigen Kapitel zuerst, deren Themen Sie intuitiv am meisten ansprechen. Dagegen ist absolut nichts einzuwenden – solange Sie

»nur« aus einem allgemeinen Interesse am Schamanismus heraus zu diesem Buch gegriffen haben.

Falls Sie es jedoch als Arbeitsanleitung zur Erweiterung Ihrer schamanischen Kompetenz nutzen möchten, sollten Sie es am besten von vorn bis hinten durchlesen, denn die Übungspraktika, die sich jedem Einzelkapitel anschließen, folgen ihrer eigenen inneren Logik und bauen aufeinander auf.

Wie Sie vorgehen, ist also ganz Ihnen und Ihren persönlichen Bedürfnissen überlassen.

Und mir bliebe eigentlich nur noch, Ihnen viel Spaß, Erfolg und spannende Aha-Erlebnisse zu wünschen …

… wären da nicht noch zwei Dinge, die mir am Herzen liegen:

Erstens muss ich mich bei den Leserinnen unter Ihnen entschuldigen, weil ich des besseren Leseflusses wegen auch in diesem Buch wieder das generische Maskulinum verwende und auf die grammatikalisch weibliche Form verzichte. Dafür bitte ich um Ihr Verständnis.

Und zweitens möchte ich Ihnen sagen, dass meine beiden Bücher völlig voneinander unabhängig sind. Um Schamanen und ihre Spirits (hoffentlich!) genießen zu können, brauchen Sie also nicht vorher Auch du bist ein Schamane gelesen zu haben. Allerdings ergänzen sie sich ganz schön, wie ich finde (und diese äußerst subtile Form der Eigenwerbung verzeihen Sie mir bitte auch … ).

In diesem Sinne grüße ich Sie sehr herzlich Ihr Kurt Fenkart

Erste Begegnung mit einem Seelenheiler

Es war dunkel, nur das Mondlicht schien fahl in die Hütte. Ich lag auf dem Boden und wartete. Wartete darauf, dass die Wirkung des Ayahuascas einsetzte, wie die anderen auch. Miguel, der Schamane, hatte uns zu einer Heilungszeremonie eingeladen, von der er überzeugt war, dass sie uns guttun würde. »Uns« – damit meine ich eine kleine Gruppe von Europäern und Amerikanern, Bekannte und Freunde von Miguel.

Die Atmosphäre hatte etwas Unheimliches. Sogar die Kerze, die kurz zuvor noch gebrannt hatte, war jetzt aus. Damit wollte Miguel sicherstellen, dass wir so wenig wie möglich abgelenkt wurden und ganz bei unseren Gedanken und Gefühlen sein konnten.

Wir lagen auf Matten, hatten leichte Wolldecken über uns gelegt und harrten gespannt, nervös und etwas bang der Dinge, die da auf uns zukommen sollten. Denn niemand wusste, was geschehen würde, sobald die Wirkung des Gebräus einsetzte, das wir zu uns genommen hatten, und der Spirit des Ayahuascas seine Arbeit aufnahm.

Der Raum, in dem wir uns befanden, war sehr klein. Und Miguel hatte uns mit Nachdruck gebeten, ihn während der Zeremonie nicht zu verlassen, es sei denn, jemand musste dringend auf die Toilette, dann würde er nach draußen gehen dürfen, allerdings nur in Begleitung.

Für den Fall, dass sich jemand übergeben musste, hatte uns der Schamane kleine schwarze Plastiktüten in die Hand gedrückt.

Da ich fest entschlossen war, mich nicht zu erbrechen, hatte ich das Beutelchen zwar entgegengenommen, es aber achtlos neben mich gelegt. Mir würde schon nicht schlecht werden. Warum denn auch?

Als Miguel uns zu dieser heilenden Ayahuasca-Zeremonie eingeladen hatte, waren meine Frau Christine und ich noch zwiespältig gewesen. Unsere Bedenken, was eine eventuell auftretende Übelkeit betraf, hatte der Schamane zu zerstreuen versucht. »Nein«, sagte er, »so schlimm wird es schon nicht, es ist ganz leicht auszuhalten.«

Überzeugung geht anders!

Den Ausschlag aber hatte Miguels nächster Satz gegeben:

»Ihr bekommt bestimmt schöne Visionen.« Ich besprach mich kurz mit Christine und dann stand unser Entschluss fest: Wir würden an dieser Zeremonie teilnehmen.

In seinem gebrochenen Englisch hatte uns Miguel die Regeln erklärt, anschließend verschloss er die Tür, die nach draußen führte, und verabreichte uns die Mischung aus den Meisterpflanzen. Sie schmeckte ausgesprochen eklig.

Und nun lagen wir also mehr oder weniger ruhig da und versuchten uns zu entspannen. Ich schloss die Augen und muss wohl irgendwann eingeschlafen sein.

Jedenfalls wurde ich von einem Stöhnen geweckt. Es kam aus der linken Ecke des Raums, schräg gegenüber von mir, wo Jane lag, wie ich sie hier nennen möchte, eine der Amerikanerinnen aus unserer Gruppe. Ihr Stöhnen wurde immer lauter, ging bald in ein gequältes Ächzen über. Irritierend. Ich selbst merkte noch nicht viel. Nur so ein Flimmern vor den Augen und ein leichtes Kribbeln in den Händen.

Miguel versuchte Jane zu beruhigen, doch mit wenig Erfolg. Bald schrie sie wie am Spieß, voller Panik. Die ganze Gruppe schreckte hoch. Plötzlich schien sich ein Schleier der Angst über uns alle gelegt zu haben.

Ich fragte Christine, wie sie sich fühle.

»Ein bisschen übel ist mir, aber es geht noch«, antwortete sie.

»Legt euch bitte alle wieder hin«, forderte Miguel uns auf.

»Bleibt ganz bei euch und lasst euch von Janes Stöhnen nicht irritieren. Ich werde bei ihr anfangen und ihr helfen, ihre schlechten Energien loszulassen.«

Also legten wir uns wieder hin. Ich versuchte dem Stöhnen keine Beachtung zu schenken und döste bald wieder ein. Im Traum erschienen mir Dämonen mit Fratzen wie aus einem schlechten Horrorfilm. Völlig verschreckt versuchte ich das Wachbewusstsein wiederzuerlangen.

Jetzt bloß nicht wieder einschlafen, um den Dämonen nicht noch einmal zu begegnen. Jane, die immer noch laut stöhnte und ächzte, sieht vermutlich ähnliche Bilder, dachte ich, und verstrickt sich immer tiefer in ihre Angst. Darauf hatte uns Miguel nicht vorbereitet. Und es wurde nur schlimmer. Mir war inzwischen leicht übel. Ich schlief nicht, war aber auch nicht wach. Kaum schloss ich die Augen, schossen die Dämonenfratzen wieder auf mich zu. Zombies mit verwesenden Gesichtern, wie Leichen, die zum Leben erwacht waren. Was für ein Horror! Und dazu die Angst, die große Angst, die ich empfand. Meine Übelkeit verstärkte sich. Doch ich konnte mich den Dämonenfratzen nicht entziehen. Zwischendurch zeigten sich auch normale, menschliche Gesichter, die mich verspotteten und auslachten. Andere hatten Masken auf, wie im Fasching. Sie alle stürzten kurz auf mich zu, als wollten sie mir einen Schreck einjagen, dann waren sie wieder verschwunden.

Die ganze Situation war irgendwie total ungut geworden. Mein Körper fühlte sich an, als gehörte er nicht mehr zu mir. Nur mit äußerster Konzentration konnte ich meine Hände und Beine noch spüren.

Ein Teil von mir hätte sich gern aufgerichtet, um diesem Schreckensszenario zu entkommen, letztlich aber war mir klar, dass ich dazu nicht imstande sein würde. Also ließ ich mich einfach weiter treiben und überließ mich den Visionen, die mich heimsuchten. Manche davon waren jetzt sogar recht hübsch anzusehen: farbige Lichtmuster in rascher Bewegung. Doch kaum hatte ich mich darauf eingestellt, verwandelten sie sich auch schon wieder in diese abscheulichen Fratzen.

Und dann hörte ich eine Stimme. Laut und vernehmlich sagte sie zu mir: »Das sind die Dämonen, die du anziehst.«

Wie bitte? Ich sollte Dämonen anziehen? Für mich war das erst einmal ein Schock. Dann kam eine diffuse Angst hinzu. Und entschiedene Ablehnung. Ich wollte das alles nicht, keine bösartigen Gestalten, keine Dämonen, die mich umgaben und nichts anderes im Sinn zu haben schienen, als mir Schaden zuzufügen. Und ich sollte sie auch noch angezogen haben? NEIN!

Und wieder löste sich aus den hübschen farbigen Lichtmustern eine Gruselgestalt, ein Auge halb ausgelaufen, das andere weiß und starr. Sie kam auf mich zu, am liebsten wäre ich davongelaufen, aber das ging natürlich nicht.

In meiner Verzweiflung rollte ich mich auf der Matte zusammen und versuchte mir die Wolldecke über den Kopf zu ziehen. Nur nichts sehen. Nicht diese Fratzen. Nicht diese Dämonen. Doch dann hörte ich wieder die Stimme in meinem Kopf: »Du kannst dich ihnen nicht entziehen, denn sie gehören zu dir. Du selbst bist es, der sie nährt: Mit jedem negativen Gedanken, mit jedem negativen Gefühl – mit Ärger, Zorn, Hass – nährst du sie, rufst du sie herbei.«

Ich hatte nur noch Fluchtgedanken: nichts sehen, nichts hören, bloß weg, weg, weg! Doch mein Körper verweigerte jede Bewegung. Mir blieb nichts anderes, als einfach loszulassen. Und glücklicherweise beruhigte ich mich nach einer Weile wieder und auch meine Übelkeit legte sich etwas.

Ein weiteres Mal ließ mich von den schönen Lichtmustern betören.

Eine Zeit lang herrschte Ruhe im Raum und auch in meinen Visionen, dann war wieder Janes Stöhnen zu vernehmen. Ich weiß noch, dass es mich nun nicht mehr so irritierte. Im Grunde war ich wohl ganz froh, dass es mich von der Konfrontation mit meinen eigenen Schattenwesen ablenkte.

Jane hatte begonnen, sich heftig zu bewegen. Sie schüttelte sich, schlug in die Hände und schrie dabei herzzerreißend. Auch sie kämpft mit ihren Dämonen, wusste ich plötzlich, genau wie ich. Der Ayahuasca hatte die bösen Geister in uns freigesetzt.

Miguel sprach beruhigend auf Jane ein. Immer wieder sagte er zu ihr: »Ja, lass es raus, kämpf nicht dagegen an, lass es los, leiste keinen Widerstand …«

Obwohl ich auf meiner Matte lag und nicht einmal den Kopf gehoben hatte, um zu Jane hinüberzuschauen, fühlte ich mit ihr. Deutlich nahm ich die Panik wahr, in der sie sich befand. Dann hörte ich, dass sie sich erbrach. Miguel stand ihr weiterhin bei. Nicht alles, was er zu ihr sagte, konnte ich verstehen, er sprach jetzt zum Teil Spanisch und verwendete auch Worte, die für meine Ohren vollkommen fremdartig klangen. Es waren wohl spezielle schamanische Heilmantras, die er da von sich gab. Zwischendurch forderte er Jane auf Englisch immer wieder auf: »Versuch nicht dagegen anzukämpfen, lass alles raus.«

Doch es war ein langwieriger, mühsamer Prozess. Plötzlich fühlte ich mich an den Film Der Exorzist erinnert. Jane rang mit ihren unverarbeiteten Erinnerungen, mit allen negativen Erlebnissen, die sie je hatte, sie kämpfte mit ihren verdrängten Gefühlen, mit ihren Enttäuschungen, Verletzungen, allem, was sie im Laufe ihres Lebens unglücklich gemacht hatte. Und das jetzt loszulassen war so schmerzhaft, machte so viel Angst, tat so weh.

Die Dämonen, von denen wir verfolgt werden, sind tatsächlich nichts Fremdes, nichts von außen Kommendes, sondern ebendiese negativen Gefühle, die uns immer wieder heimsuchen. Doch es hilft ja nichts: Wir müssen uns ihnen stellen, wenn wir heil werden wollen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diesen Konfrontationsprozess in Gang zu setzen (siehe auch das fünfte Kapitel dieses Buches), eine davon sind Rituale mit psychoaktiven Substanzen wie dem Ayahusca.

Denn der Spirit des Ayahuascas ist ein Heiler: der Heiler, der diese Dämonen freisetzt, ihre Energien in uns löst und lockert.

Genau so ist es. Die Erkenntnis kam mir ganz plötzlich. Während Jane auf ihrer Matte hockte und tobte, panisch schrie und in die Hände klatschte. Und noch etwas wusste ich auf einmal mit größter Sicherheit: Es war die Angst, die mich die ganze Zeit so eng mit Jane verbunden hatte, die Angst, mich selbst genauso qualvoll mit meinen Dämonen herumschlagen zu müssen wie sie.

Nachdem Jane sich allmählich beruhigt hatte, wieder still dalag und nur noch leise vor sich hin wimmerte, wurde mir übel. Von Minute zu Minute fühlte ich mich schlechter. Ein Brechreiz stieg in mir auf, den ich bald nicht mehr unterdrücken konnte. Mühsam richtete ich mich auf, griff nach dem schwarzen Beutel neben meiner Liege und erbrach mich.

Es war, als würden sich Unmengen negativer Energie aus meinem Mund ergießen. Was für eine Erleichterung!

Nachdem ich einen Knoten in die Plastiktüte gemacht hatte, um sie zu verschließen, legte ich mich wieder hin und genoss das angenehme Gefühl der Befreiung.

Wieder stellten sich die bunten, bewegten Lichtmuster ein. Und jetzt konnte ich sie nach Herzenslust genießen. Ich wurde von einem starken Gefühl der Freiheit und Zufriedenheit durchflutet, war richtig glücklich. Genoss den Nachhall der Erleichterung in meinem Inneren und dämmerte in einem merkwürdigen Zustand vor mich hin, irgendwo zwischen Traum, Schlaf und Wachsein. Ich folgte den Lichtmustern und ließ mich von ihren Farben einhüllen. Auch meine Aura empfand ich als bunter und leuchtender, bedeutend sauberer, reiner als zuvor.

Den anderen muss es wohl ähnlich ergangen sein, denn ein paar Minuten lang herrschten Ruhe und sanfte Stille. Dann näherte sich die Zeremonie ihrem Ende. Als Miguel die Kerze in der Mitte des Raums wieder anzündete, setzten wir uns einer nach dem anderen auf, wir rieben uns die Augen, räkelten uns. Jane schräg links von mir, eine andere Frau, ich glaube, sie war Engländerin und hieß Erica, direkt gegenüber, dann noch ein Pärchen, Tom und Ann, an meiner Seite Christine.

Ich fühlte mich entspannt wie nach einem langen, erholsamen Schlaf, und die anderen empfanden es, glaube ich, genauso. Noch sprachen wir nicht, nur Tom und Ann wechselten flüsternd ein paar Worte. Ich schaute Erica an, irgendwie blicklos, nur so, weil sie mir eben unmittelbar gegenübersaß. Dann plötzlich … nein, das konnte doch nicht sein … Ihr Gesicht konnte sich doch nicht verändern … nicht so … Das war bestimmt nur eine Täuschung. Jetzt schaute ich genauer hin. Und tatsächlich: Ericas Gesicht war zu einer jener Fratzen geworden, die ich in meinen Visionen gesehen hatte. Ganz real! Da ich meinen Augen nicht traute, rieb ich sie mir erneut, blinzelte, schaute die anderen an, dann konzentrierte ich mich ganz auf Erica. Sie war kaum mehr wiederzuerkennen. Aber das gab es doch nicht. Das Gesicht eines Menschen konnte sich doch nicht so dramatisch verändern.

»Siehst du das auch?«, fragte ich Christine leise, halb in der Hoffnung, dass ich mir das alles eingebildet hatte.

Doch zu meiner großen Überraschung antwortete sie: »Komisch. Es sieht so aus, als hätte Erica jetzt ein ganz anderes Gesicht.« Es war also kein Hirngespinst von mir. Ericas Gesicht hatte sich wirklich verändert. Und es schien kein Ende nehmen zu wollen: Mal hatte sie das Gesicht einer leidenden, alten Frau, dann sah sie wieder jung und unbeschwert aus, nur um sich wenig später erneut in eine Dämonenfratze zu verwandeln. Ihre Züge wechselten ständig den Ausdruck.

Da niemand der Anwesenden Deutsch verstand, brauchten wir keine Rücksicht auf die anderen zu nehmen. Leise flüsternd tauschten wir uns über unsere Wahrnehmungen aus.

Und immer stimmten sie hundertprozentig überein. Es war unglaublich. Ein Rätsel, was da geschah. Und das Verrückteste: Bei Tom und Ann beobachteten wir Ähnliches, auch ihre Gesichter veränderten sich. Auch sie wurden einen Moment lang immer wieder zu Dämonenfratzen, gleichsam als würde sich eine Maske davorschieben.

Als wir alle wieder vollkommen in die Gegenwart zurückgekehrt waren, gab Miguel das Zeichen zum Aufbruch. Er zündete die Lampe an der Decke an und verabschiedete sich von uns.

Das Rätsel der sich verändernden Gesichter blieb einstweilen ungelöst. Christine und mich beschäftigte es weiterhin, sogar noch Monate später, als wir schon lange wieder zu Hause waren. Wir meinten auch eine mögliche Erklärung gefunden zu haben: Bei den Fratzen, die wir in den Gesichtern von Erica, Tom und Ann gesehen hatten, könnte es sich um die »Reste« der Dämonen in ihrer Aura gehandelt haben, dachten wir uns. Der Spirit des Ayahuascas musste sie gelockert und schließlich ganz vertrieben haben.

Jahre später wurden wir ein weiteres Mal mit diesem merkwürdigen Phänomen konfrontiert, während einer Heilungszeremonie bei dem Schamanen José im heiligen Tal der Inkas.

Auch dieses Ritual fand nach Einbruch der Dunkelheit statt. Doch José arbeitete nicht mit dem Ayahuasca zusammen wie Miguel, sondern mit einer anderen Meisterpflanze, dem San- Pedro-Kaktus, der in Peru weit verbreitet ist. Die Pflanzenmischung war schon fertig zubereitet, als unsere Gruppe eintraf, die diesmal nur aus Amerikanern und Kanadiern bestand – abgesehen von Christine und mir natürlich.

San Pedro sei etwas sanfter als der Ayahuasca, erklärte uns José. Es könnte uns davon höchstens etwas schwindelig werden. Ansonsten sollten wir einfach auf die energetischen Reinigungsprozesse vertrauen, die sich ganz natürlich einstellen würden. Der Spirit San Pedros helfe, schlechte Erfahrungen und verdrängte Emotionen aufzulösen, sodass das weitere Leben nicht mehr unnötig von diesen Energien belastet würde.

Die Zeremonie dauerte mehrere Stunden. Dabei stimmte José immer wieder seine Icaros an, wie die Heilgesänge der peruanischen Schamanen genannt werden und die dazu dienen, die Energien zu lenken.

Bei mir ereignete sich diesmal nichts Spektakuläres. Doch John, ein Kanadier, tat sich ausgesprochen schwer mit der Zeremonie. Nachdem die Wirkung der Pflanze eingesetzt hatte, kämpfte und schrie er und stöhnte laut – ganz ähnlich wie Jane seinerzeit bei unserem Ayahuasca-Erlebnis mit Miguel.

Christine und ich, die wir in der Zwischenzeit schon einige einschlägige Erfahrungen hatten sammeln können, empfanden großes Mitgefühl mit John. Wie erbittert er sich den Dämonen, die in ihm tobten, entgegenstemmte. Doch da musste er jetzt durch. Wenn er anschließend ein befreiteres, leichteres Leben führen wollte, musste er sich seinen verdrängten Gefühlen stellen. Die Dämonen zulassen, um sie loszuwerden … Doch obwohl sich Johns Kämpfe sogar noch dramatischer gestalteten als bei Jane, beruhigte auch er sich irgendwann.

Mit einem letzten, die Seele berührenden Icaro beendete José die Zeremonie, schaltete die elektrische Deckenbeleuchtung an und verließ den Raum, um eine Suppe für die Gruppe vorzubereiten, die, wie er sagte, unserer »Erdung« dienen sollte.

Wir saßen da und tauschten uns leise über unsere Erfahrungen aus. Alle außer einer Frau namens Harriet. Sie lag immer noch auf ihrer Matte, vollkommen reglos, und starrte vor sich hin. Auf einmal fing sie an zu stöhnen. Offensichtlich hatte sie den Reinigungsprozess bis jetzt zu unterdrücken versucht. Nun aber ging es bei ihr los. Und wie! Wir spürten ihre Angst, ihre Panik. Ihr Atem raste so schnell, so heftig, dass sie anfing zu hyperventilieren. Christine und ich machten uns bereit, ihr gegebenenfalls Hilfe zu leisten. Doch schließlich kümmerte sich Harriets Mann sehr liebevoll um sie.

Und dann geschah es wieder: Plötzlich veränderte sich Harriets Gesicht zu einer Dämonenfratze. Christine beobachtete es auch, gab sie mir zu verstehen. Das Gesicht der jungen Amerikanerin maskierte und demaskierte sich im Rhythmus ihres Atems. Beim Einatmen sah sie ganz normal aus, beim Ausatmen legte sich die Fratze des Dämons über ihre Züge.

Bestimmt zehn, fünfzehn Minuten lang ging das so. Kein Zweifel: Harriet befreite sich von ihren »dämonischen« Anhaftungen und Besetzungen. Und dieser Prozess spiegelte sich höchst dramatisch in ihrem Gesicht wider, in der raschen Abfolge leidvoller, bösartiger, schöner Antlitze. Fantastisch!

Nach und nach begaben sich die Leute in die Gaststube. Auch Christine und ich setzten uns dazu, wir aßen unsere Suppe und gingen dann schlafen.

Nachdem wir dem Phänomen der »Gesichtsverwandlung« nun bereits zum zweiten Mal begegnet waren, sprachen wir José am nächsten Tag darauf an.

Der Schamane bestätigte unsere Vermutung: Die Meisterpflanze hatte die negativen Energien, die in Harriets Aura gespeichert waren, tatsächlich gelockert. Ferner erzählte uns José, dass auch er negative Energien wahrnehme, wie alle Schamanen, und dass er anhand der verschiedenen Gesichtsausdrücke des jeweiligen Menschen nicht nur sagen könne, welche Energien es im Einzelnen waren, die sich in ihm festgesetzt hatten, sondern auch in der Lage sei zu beurteilen, wie weit der Heilungsprozess bei ihm bereits fortgeschritten sei. Als Faustregel könne gelten: Je mehr negative Energie aus einem Menschen austrete, desto besser sei es. (Wobei natürlich nur austreten kann, was vorhanden ist. Wenn ein Mensch von vornherein wenig negative Energien hat: umso besser.) Es hänge alles vom Charakter des Betreffenden und von seinen Erlebnissen und Erfahrungen der Vergangenheit ab.

Eine schamanische Heilzeremonie dient also immer auch der Reinigung. Und die Spirits sind es, die sie auslösen und befördern.

Substanzen irgendeiner Art sind dafür nicht unbedingt nötig.

Aber ohne die Geister … ohne die Geister geht gar nichts.

Eins

Die Welt der Spirits

Für die Naturvölker ist die Welt der Spirits heute noch so selbstverständlich wie für uns alles Materielle. Auch für unsere Vorfahren war es so. Erst im Zeitalter der Aufklärung verschwanden die Geister aus dem Denken und den Vorstellungen der westlichen Welt, da sich die aufkommende Naturwissenschaft ausschließlich auf die Materie konzentrierte. In dem Maße, in dem sie sich weiterentwickelte, wich auch der Glaube an das Übernatürliche und das ursprünglich einheitliche Weltbild, in dem Geister ebenso Platz hatten wie die materiellen Erscheinungsformen, erfuhr eine Spaltung. Die Welten trennten sich: hier alles Materielle, dort das Reich des Unsichtbaren, Geistigen. Und je größer die Fortschritte wurden, die die Wissenschaften machten, desto mehr entfernte sich der Mensch von der unsichtbaren, jenseitigen Welt. Was übrig blieb, waren einige wenige religiöse Rituale – der Kontakt zur Spiritualität aber kam vielfach abhanden.

Historisch ist dieser Prozess durchaus nachvollziehbar: Es handelte sich um einen Machtkampf zwischen der aufgeklärten (Natur-)Wissenschaft und dem Klerus. Grob gesagt, stehen sich seit dem ausgehenden Mittelalter zwei große geistige Strömungen gegenüber, die auch heute noch die Welt dominieren: Wissenschaft und Liberalismus auf der einen Seite, Religion und Konservatismus auf der anderen.

Praktisch bedeutete dies jedoch, dass sich die Menschen nicht vom Einfluss der kirchlichen Lehren emanzipieren konnten, ohne sich dabei auch von ihrer Spiritualität zu verabschieden.

Die technologischen Fortschritte des 19., insbesondere aber des 20. Jahrhunderts kamen einer Revolution gleich, die das Leben von Grund auf umwälzte. Der Mensch schickte sich an, den Weltraum zu erobern, das Internet ermöglicht seit Jahren weltweit Kommunikation in Sekundenschnelle. Die »Machbarkeit« regiert, als »real« gilt, was technisch durchführbar ist. Und die Folge: Die Welt der Geister ist noch weiter in die Ferne gerückt.

Die Wissenschaft erklärt alles materiell – oder versucht es doch zumindest, selbst den Geist und die Seele. Der Geist: bloß eine Hirnfunktion; die Unsterblichkeit der Seele: reine Wunschvorstellung, der bange Versuch, der Endlichkeit des menschlichen Lebens zu entfliehen.

Doch andererseits besteht auch Hoffnung: die Quantenforschung ist auch eine Wissenschaft, und zwar auf allerhöchstem Niveau. Und dieser Forschungszweig dringt immer mehr in die unsichtbare Welt der Energien vor – in das Reich der Geister, wie die Naturvölker sagen würden.

So wurden beispielsweise Theorien über vermutete Paralleluniversen aufgestellt, in denen wir unendlich viele Doppelgänger hätten – unfassbar für den physikalischen Laienverstand! Unser Kosmos – ein Labyrinth von Universen, die über

»Wurmlöcher« miteinander verbunden sind?

Seit jeher haben die Menschen versucht, sich die Welt zu erklären, und neue Begriffe für ihre jeweiligen Erkenntnisse gefunden. »Geist« zum Beispiel oder »Seele«. Könnten unsere Vorfahren mit diesen Ausdrücken nicht jenes Phänomen erfasst haben, das wir heute mit dem Begriff der »Energien« belegen (auch ohne es vollkommen durchdrungen zu haben)?

Die Wissenschaft der Zukunft wird die Kluft zwischen dem Materiellen und der geistigen Welt eines Tages vermutlich überwinden. Noch allerdings ist es nicht so weit. Noch verfügen wir nicht über die technischen Möglichkeiten einer unmittelbaren Kontaktaufnahme mit den Anderswelten. Und vielleicht ist Technik ja auch nicht die Antwort. Denn der Mensch war schon immer in der Lage, mit der geistigen Welt zu kommunizieren – und ist es auch heute noch. Denken wir etwa an das Fachgebiet der Medizin. Dass geistiges Heilen zielführend sein kann, wäre von der abendländischen Orthodoxie noch bis vor zwanzig Jahren unwidersprochen abgestritten worden. Und herrschende Mehrheitsmeinung ist das auch heute noch. Wegweisende Forschungsergebnisse weisen mittlerweile jedoch darauf hin, dass Heilung auch auf Wegen erfolgen kann, von denen die Apparatemedizin nichts weiß. Das Problem ist nur die Forderung nach Objektivität und Wiederholbarkeit, auf der das bisherige naturwissenschaftliche Denken beruht. Und manche Phänomene sind nun einmal so fein, so subtil, dass sie sich unseren gegenwärtigen Untersuchungsmethoden (noch) entziehen. Aber das ist ein weites Feld – und nicht Gegenstand dieses Buches. Kommen wir also zu den Begriffen »Geist« und »Seele« zurück.

Auch die moderne Psychologie benutzt diese Begriffe. »Geist« etwa wird in dieser Disziplin gleichbedeutend mit analytischem Denken, Ratio, Intelligenz oder Klugheit verwendet – alles Kompetenzen der linken Gehirnhälfte, wenn man so will.

Mit dem Ausdruck »Seele« dagegen belegt die Psychologie die Aktivitäten der rechten Hirnhemisphäre. Demnach ist »Seele« in dieser Disziplin eine Metapher für das Nicht-Rationale, die Gesamtheit unserer Gefühlsregungen.

Sowohl bei den Naturvölkern als auch in den großen Religionen werden die Begriffe »Geist« und »Seele« jedoch weiter gefasst und sind mehr als bloße Metaphern. In vorindustriellen Gesellschaften, aber auch in den Religionen der Welt bezeichnet »Seele« den unsterblichen Teil des Menschen, der nach seinem körperlichen Tod in ein irgendwie geartetes Jenseits eingeht.

Jenseitsvorstellungen gibt oder gab es in allen Kulturen. Nur dem heutigen abendländisch-modernen Menschen rein rationaler Prägung ist dieses Konzept fremd geworden. Seither stehen sich zwei Weltbilder unversöhnt gegenüber: das rein materielle und das der Gläubigen. Denn jenseits aller Konfessionen besteht ein Konsens unter den Gläubigen: der Glaube an die Existenz einer unsichtbaren Welt jenseits der materiell greifbaren.

Auch bei den Vertretern des materiellen Weltund Menschenbildes herrscht in einem Punkt Einigkeit: Sie glauben an nichts, was sich nicht messen, wiegen, prüfen oder streng wissenschaftlich beweisen lässt.

Beide Weltbilder beruhen also auf reinem Glauben. Die einen glauben an die Existenz der unsichtbaren geistigen Welt, die anderen glauben, dass es sie nicht gibt.

Eine Pattsituation, wie sie im Buche steht.

Denn so wie diejenigen, die an eine andere Welt glauben, deren Existenz nicht beweisen können, können ihre Gegner auch das Gegenteil nicht beweisen.

Zwar gilt im Allgemeinen das als richtig, wovon die Mehrheit überzeugt ist – aber Kopfzahlen sagen gar nichts aus. Über die Wahrheit lässt sich nicht mittels einer Abstimmung befinden.

Ich möchte die Verdienste der Wissenschaft beileibe nicht schmälern. Generationen von Forschern haben unendlich viel dazu beigetragen, unser Leben bequemer und vielleicht auch leichter zu machen. Das Einzige, was ich erwarte, wäre ein bisschen Demut: das stillschweigende Eingeständnis, dass auch die Naturwissenschaft ihre Grenzen hat und nicht alles erklären kann, jedenfalls im Moment noch nicht.

Oder ist das schon zu viel verlangt?

Psychologie oder Schamanismus?

Nun möchte ich noch einmal auf die Psychologie zurückkommen: Um geistig-seelische Vorgänge zu erklären, bedient sie sich zweier weiterer Begriffe, die längst auch in unsere Alltagssprache eingegangen sind: »Bewusstsein« und »Unterbewusstsein« beziehungsweise »das Unbewusste«.

Die Grenzen, die das Bewusste vom Unbewussten trennen, sind jedoch fließend. Wenn wir zum Beispiel bewusst – also aufmerksam – ein Buch lesen, sagen wir einen Roman, folgen wir den Handlungssträngen und unterscheiden die Charaktere der auftretenden Figuren. Parallel zu diesem bewussten Prozess entstehen beim Lesen aber auch Bilder, wir hören die Gestalten sprechen, sehen sie geradezu vor uns und können sie mitunter sogar riechen. Der Text löst also Assoziationen und Fantasiegebilde aus, die nicht mehr eindeutig dem Bewussten zuzuordnen sind.

Manche Vorgänge laufen auch gänzlich unbewusst ab, beispielsweise der gesamte Stoffwechsel, den wir nur an seinen morgendlichen Endprodukten erkennen – oder erst bewusst erleben, wenn der Magen drückt, weil die Verdauung streikt.

Auf der unscharfen Grenze zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten liegen auch all jene Abläufe, die sich »automatisiert« haben, sodass sie sich im Normalfall der bewussten Wahrnehmung entziehen. Das Autofahren ist dafür ein beliebtes Beispiel. Wer einmal über genügend Praxis verfügt, braucht nicht mehr nachzudenken: Kuppeln, Gang einlegen, Gas geben … geht alles wie von selbst. Und in der Regel bremsen wir auch genau im richtigen Moment, ohne bewusst dem Fuß einen Befehl dafür zu erteilen. Das alles erledigt das Unterbewusstsein für uns. Wir haben die einzelnen Schritte und ihre Abfolge gelernt, trainiert, automatisiert. Und das Einzige, was noch der bewussten Aufmerksamkeit bedarf – dies allerdings immer und unter allen Umständen –, sind die Straßenund Verkehrsverhältnisse.

Weil sie jedoch allein mit den Begriffen Bewusstsein und Unterbewusstsein noch immer nicht alle geistig-seelischen Vorgänge, die sie interessieren, erklären konnte, hat die Psychologie Zuflucht bei weiteren Differenzierungen gesucht. So spricht sie etwa vom Über-Ich (insbesondere die Freud’sche Schule) und meint damit die gesellschaftliche Kontrollinstanz, die in unseren Köpfen am Werk ist und darauf achtet, dass wir uns nicht »danebenbenehmen«. Ein anderer Begriff der Psychologie (den vor allem die Vertreter der Jung’schen Richtung verwenden) ist das kollektive Unbewusste, eine Art Reservoir des unbewussten Wissens aller Menschengenerationen, zu dem jeder von uns Zugang hat, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht.

Die verschiedenen Strömungen der Psychologie kennen noch viele, viele weitere Begriffe, mit denen sie versuchen, sich und uns das schwer Erklärbare verständlich zu machen. Ich will sie hier gar nicht alle aufzählen. Wichtig ist mir nur: All das, was die Psychologen meinen, wenn sie von Bewusstsein, Unterbewusstsein oder auch dem kollektivem Unbewussten sprechen, kennen die Schamanen dieser Welt ebenfalls. Nur benennen sie es anders. Schamanen sprechen von Geist und von Seele und beziehen diese Begriffe nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf die Natur – und mehr noch, wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden: auf alles, was ist.

Und dieses All-Umfassende des Schamanismus ist vielleicht auch schon der größte Unterschied gegenüber dem Materialismus gleich welcher Art.

Wenn die Schamanen von »anderen Welten« sprechen, meinen sie damit andere Realitäten, unterschiedliche Wirklichkeiten, die einander durchdringen und sich gegenseitig beeinflussen.

Diesen Übergang von einer Realität in die andere erleben wir täglich: Wenn wir abends ins Bett gehen, sinken wir zuerst in einen trance-ähnlichen Zustand des Tagträumens, bevor wir einschlafen und »richtig« träumen, wobei auch das Gehirn immer wieder sehr aktiv wird.

Beim Träumen tauchen wir in eine ganz andere Realität ein, eine metaphorische, bildhafte, kreative Welt, die uns jedoch nicht weniger »wirklich« erscheint als das Leben sonst auch. Und erst beim Aufwachen, wenn wir wiederum in die Alltagsrealität überwechseln, wird uns bewusst, dass wir geträumt haben.

Viele Menschen begegnen in dieser Realität des Traumes lieben Verstorbenen, kommunizieren mit ihnen und sind mitunter traurig, wenn sie aufwachen und realisieren, dass es »nur« ein Traum war. Manche begegnen auch Tieren oder durchstreifen buchstäblich traumhaft schöne Landschaften.

Im Traum ist das Traumgeschehen völlig real, im Alltag das Alltagsgeschehen. Zwischen beiden Welten gibt es Berührungspunkte, sie wirken aufeinander ein, aber letztlich sind es zwei verschiedene Realitäten.