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Manuela Schörghofer ist zurück! Und diesmal mit einer historischen Krimireihe
Allgäu 1376: In den rußgeschwärzten Ruinen des Klosters Weißenfels wird die Leiche des Bürgermeisters entdeckt – doch schnell stellt sich heraus, dass er bereits vor dem verheerenden Brand ermordet wurde. Der zuständige Richter von Füssen erkrankt, und kurz vor seinem Tod setzt er seine Frau Isabella Falk als Erbin ein unter der Bedingung, den Mord an seinem Freund aufzuklären.
Gemeinsam mit dem charismatischen Gerichtsschreiber Leonhard folgt Isabella einer Fährte aus Verrat und dunklen Machenschaften – und gerät dabei selbst in tödliche Gefahr. Ein packender historischer Krimi voller Intrigen, Mut und Leidenschaft.
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Seitenzahl: 469
Veröffentlichungsjahr: 2025
Zum Buch
Süddeutschland 1376: In den rußgeschwärzten Ruinen des Klosters Weißenfels wird die Leiche des Bürgermeisters entdeckt – doch schnell stellt sich heraus, dass er bereits vor dem verheerenden Brand ermordet wurde. Der zuständige Richter von Füssen erkrankt, und kurz vor seinem Tod setzt er seine Frau Isabella Falk als Erbin ein unter der Bedingung, den Mord an seinem Freund aufzuklären.
Gemeinsam mit dem charismatischen Gerichtsschreiber Leonhard folgt Isabella einer Fährte aus Verrat und dunklen Machenschaften – und gerät dabei selbst in tödliche Gefahr.
Zur Autorin
Manuela Schörghofer schreibt seit Jahren erfolgreich spannende und berührende historische Romane. Die quirlige Rheinländerin wohnt mit ihrer Familie im Süden des Bergischen Landes.
Lieferbare Titel
Die Klosterbraut
Die Sündenbraut
Das Spiel der Ketzerin
Das Gelübde der vergessenen Tochter
Das Heiligtum und die vergessene Tochter
Manuela Schörghofer
Schatten über dem Kloster
Roman
HarperCollins
Originalausgabe
© 2025 HarperCollins in der
Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH
Valentinskamp 24 · 20354 Hamburg
Covergestaltung von Zero Media, München
Coverabbildung von FinePic®, München
E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN9783749909469
www.harpercollins.de
Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte der Urheberin und des Verlags bleiben davon unberührt.
Hauptfiguren
Isabella Falk, Frau des Richters Rudolf Falk
Leonhard Stadler, Stadtschreiber
Magnus Bader, studierter Medicus
Bewohner des Hauses Falk
Frieder, Knecht, der von Nordmännern abstammt
Gesine, Magd
Heiner, Knecht, dem eine Hand fehlt
Lina, Küchenhilfe
Rosa, Köchin
Rudolf Falk, Isabellas Gemahl, Richter von Füssen
Isabellas Familie
Almut Moosegger, ihre Stiefmutter
Anton Moosegger, ihr leiblicher Vater
Berthold Falk, ihr Schwager
Gertrudis Falk, ihre Schwägerin
Ludwig (Lutz) Moosegger, ihr jüngerer Halbbruder
Leonhards Familie
Blasius Stadler, Leonhards Vater, später Richter von Füssen
Odine Stadler, Leonhards Mutter
Bewohner von Füssen
Alois Vogler, ehemaliger Bürgermeister von Füssen
Balthasar Stockert, Henker
Corbinian Huber, neuer Bürgermeister von Füssen
Dietbrand Högl, Notarius
Hias, Hurenknecht
Hubertus Bader, Medicus und Magnus’ Vater
Irmgard, Magd der Stadlers und ehemalige Amme von Odine
Viktoria, Hurenwirtin
Ordensleute und Geistlichkeit
Burkhard von Ellerbach, Bischof von Augsburg von 1373 bis 1404
Bruder Ewald, Pförtner von Sankt Mang
Bruder Gregorius, Infirmarius von Sankt Mang
Bruder Heinrich, Mönch in Sankt Mang
Bruder Hieronymus, Cellerar von Sankt Mang
Bruder Valentin (Ferdl), junger Mönch in Sankt Mang
Egbert von Schwarzenfels, Prior des Klosters Sankt Mang
Karl, Knecht im Kloster Sankt Mang
Klara Bernhauser, Äbtissin von Kloster Weißensee und Isabellas Freundin
Schwester Barbara, Nonne im Kloster Weißensee
Cellerar
Als Kellermeister war der Cellerar für die Verwaltung der materiellen Güter und Vorräte des Klosters verantwortlich.
Fischmühle
Als Vorbild der im Roman beschriebenen »Fischmühle« diente das Fischerhaus der Augustinerabtei Cong Abbey in Irland, das im 16. Jahrhundert errichtet wurde. Die Überreste befinden sich in einem Park und sind von der Ruine der Abtei aus über eine Brücke zu erreichen.
Friedhof bei Sankt Stephan
Zum Zeitpunkt, an dem der Roman spielt, wurden die Einwohner von Füssen auf dem Friedhof bei der ehemaligen Kirche St. Stephan beerdigt. Er lag südlich des heutigen Sebastiansfriedhofs. Dieser wurde 1528 angelegt, da der bisherige Friedhof mit dem Wachstum der Stadt und den damit verbundenen steigenden Begräbnisbedürfnissen zu klein geworden war. Der ursprüngliche Friedhof bei der Kirche wurde später aufgegeben und ist heute mit den Stadtstrukturen überbaut.
Gruft
Die beschriebene Gruft entstammt ausschließlich meiner Vorstellungskraft. Die heute im Kloster vorhandene Gruft wurde erst im Zuge des Kirchenneubaus zwischen 1701 und 1711 unmittelbar unter der Sakristei anstelle des alten Kapitelsaals angelegt.
Gugel
Ein mittelalterlicher Überwurf mit Kapuze, der von Männern – insbesondere von Mönchen, Reisenden und Bauern – getragen wurde.
Halde
Der Begriff bezeichnet ein Grundstück in Hanglage. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erhielt sie die nähere Bezeichnung Lechhalde.
Heuke
Ein ärmelloser, glockenförmiger, seitlich geschlitzter Mantel.
Hornung
Historische Bezeichnung für den Monat Februar.
Infirmarium
Krankensaal eines Klosters.
Klarissen
Die Klarissen, auch als »Arme Schwestern« bekannt, gehören zu dem Franziskanerorden und folgen den Idealen des heiligen Franziskus und der heiligen Klara von Assisi. Der Orden wurde im 13. Jahrhundert gegründet, und die Klarissenpraxis betonte besonders die Aspekte der Armut und Einfachheit.
Die Klarissen waren bekannt für ihre strenge Observanz der Armut und lebten oft in strengem Verzicht auf persönlichen Besitz. Ihre Lebensweise war von einem einfachen, kontemplativen Leben geprägt, und sie widmeten sich dem Gebet, der Meditation und der Arbeit.
Die Klarissen hatten unterschiedliche Zweige, darunter auch solche, die weltzugewandter waren und sich stärker in sozialen Diensten engagierten. Diese Konvente konnten Schulen betreiben, sich um Kranke kümmern oder sich in karitativen Werken engagieren, während sie weiterhin die klösterliche Lebensweise pflegten.
Als Vorbild diente mir das Klarissenkloster in Neuss, das bereits im 13. Jahrhundert eine Mädchenschule betrieb.
Der Unterricht erfolgte in der Regel durch die Nonnen selbst und konzentrierte sich auf folgende Bereiche:
Religiöse Erziehung: Der Hauptfokus des Unterrichts lag auf der Vermittlung von religiösem Wissen. Die Mädchen lernten lesen und schreiben, um religiöse Texte zu verstehen, und wurden in den Grundlagen des christlichen Glaubens unterrichtet.
Liturgie und Gebet: Die Klarissen betonten das kontemplative Leben, und die Mädchen erlernten die liturgischen Praktiken, die für das klösterliche Gebetsleben wichtig waren. Dies konnte das Rezitieren von Liturgien, Psalmen und anderen Gebeten umfassen.
Handwerkliche Fähigkeiten: Neben der religiösen Bildung wurden den Mädchen auch handwerkliche Fähigkeiten beigebracht. Dazu gehörten häufig das Weben, die Herstellung von Textilien und anderen handwerklichen Fertigkeiten, die den Nonnen in ihrem klösterlichen Leben nützlich sein konnten.
Moralische und ethische Erziehung: Die Klarissen legten großen Wert auf moralische und ethische Prinzipien. Der Unterricht beinhaltete oft Lehren über Tugenden, Nächstenliebe und soziale Verantwortung.
Kruseler
Charakteristische Art von Frauenkopfbedeckung, die im Spätmittelalter getragen wurde, vor allem vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. Der Kruseler bestand aus einem fein gefalteten oder gekräuselten (daher der Name) Schleier aus leichtem Stoff, meist Leinen. Die Kräuselungen wurden in Reihen angeordnet und sorgten für das typische, kunstvoll gewellte Aussehen. Er wurde über einem Kopfgebinde oder einer Haube getragen und umrahmte das Gesicht der Trägerin. Der Kruseler war besonders unter wohlhabenden Frauen beliebt, da er handwerklich aufwendig herzustellen war und damit auch den sozialen Status seiner Trägerin unterstrich. Die Mode des Kruselers war vor allem im deutschsprachigen Raum und den Niederlanden verbreitet.
Latwerge
Eingedickter Fruchtsaft mit Honig und Gewürzen, der luftgetrocknet und in dünne Scheiben geschnitten wird. Mit Arzneimitteln versetzt wurde er auch in der Heilkunde eingesetzt.
Ostermond
Historische Bezeichnung für den Monat April.
Rathaus Füssen
Das beschriebene Rathaus Ecke Reichen-/Rittergasse (heute Reichenstraße und Ritterstraße) wurde erst im 15. Jahrhundert erbaut, als die Stadt dem Bischof gegenüber größere Freiheiten gewann. Es wurde im 19. Jahrhundert abgerissen. Vor dem Bau des Rathauses im Jahr 1477 tagte der Rat der Stadt Füssen vermutlich an verschiedenen Orten. In vielen mittelalterlichen Städten wurden Ratsversammlungen in öffentlichen Gebäuden, Kirchen oder auch in privat genutzten Räumen abgehalten, solange noch kein Rathaus vorhanden war.
Sakristan
Der Sakristan war dafür zuständig, dass kirchliche und heilige Räume sowie sakrale Gegenstände sicher verwahrt und gepflegt wurden.
Schecke
Sehr kurze Jacke. Ab etwa 1360 bedeckte sie so gerade das Gesäß. Weiterhin zeichnete sie sich durch ihren den Körper modellierenden, eng anliegenden Schnitt aus. Die Schecke wurde deswegen meist vorne durchgehend geknöpft oder geschnürt.
Skapulier
Ein langer Stoffstreifen, der über Brust und Rücken fällt und ursprünglicher Bestandteil der Ordenskleidung in Klöstern war.
Tappert
Ein meist knielanger Mantelrock, der mit oder ohne Ärmel getragen wurde und seitlich häufig geschlitzt war. Der Tappert war im Mittelalter ein verbreitetes Kleidungsstück und wurde sowohl von Männern als auch von Frauen getragen.
Trippen
Holzsohlenschuhe, die oft mit Lederriemen oder Stoff befestigt wurden. Sie dienten vor allem dazu, die Füße vor Schlamm, Kälte und grobem Untergrund zu schützen. Trippen wurden von Menschen aller sozialen Schichten getragen, aber die Ausführungen konnten je nach dem sozialen Status variieren.
Wams
Eng anliegende Rumpfbekleidung, an das die Beinlinge angenestelt wurden und das somit als Hosenträger diente. Das Wams gilt als Vorläufer der Weste.
Weißensee mit Kloster
Die Insel mit dem Klarissenkloster im Weißensee entspringt meiner Fantasie. Der See selbst gehörte mit den Fischerei- und Waldrechten jedoch tatsächlich zum Kloster Mang in Füssen.
Wittum
Die Witwenversorgung diente dazu, die Witwe finanziell abzusichern, nachdem ihr Ehemann verstorben war. Sie umfasste ein lebenslanges Recht auf Unterhalt, das oft in Form von Landbesitz, Geld oder anderen Vermögenswerten gewährt wurde.
Weißensee, Frühjahr 1376
Der Nebel hing so dicht über dem See, dass noch nicht einmal die Spitze des Einbaums zu erahnen war, der beinahe lautlos ins Wasser glitt. Selbst das ansonsten allgegenwärtige Geräusch der Wellen, die sacht ans Ufer schlugen und den Schilfgürtel bewegten, wirkte gedämpft und war kaum hörbar.
Das war dem nächtlichen Reisenden gerade recht. Lautlos tauchte er das Paddel abwechselnd auf der rechten und linken Seite des Bootes ins Wasser. Sein Ziel war nicht weit und trotz des Nebels nicht zu verfehlen. Die Feuchtigkeit kroch unter seinen Umhang. Ein Frösteln überlief ihn, doch er wusste nicht, ob es die Nachtluft war oder die Angst vor dem Kommenden.
Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken daran zu vertreiben.
Sein Ziel war die Insel mitten im Weißensee, auf der ein Kloster der Klarissen erbaut worden war. Diesseits wurde sie von einem kleinen Sandstrand gesäumt, während auf der Seeseite teils spitze Felsbrocken ins Wasser ragten und eine Annäherung von dort beinahe unmöglich machten.
Es knirschte leise, als der flache Boden des Bootes wenig später auf Sand stieß. Der Ankömmling atmete tief durch. Hier konnte er nicht an Land gehen, da er seine Spuren nicht sorgfältig genug würde verwischen können. Er musste den Steg finden.
Er stieß sich wieder vom Ufer ab und paddelte nach links. Kurz darauf verriet ihm ein dumpfes Geräusch, dass der Bug gegen ein weiteres Boot gestoßen war. Er hatte sein Ziel erreicht. Vorsichtig tastete er sich mit der Hand an dem anderen Einbaum entlang, bis er schließlich einen der Pfosten fand, die den Steg säumten, und befestigte daran mit einem Strick seinen Einbaum.
Geräuschlos zog er sich auf die Planken und erreichte trockenen Fußes den Weg, der zum Kloster führte.
Er war schon so oft hier gewesen, dass er den Pfad auch blind gefunden hätte, der außen an der Mauer entlanglief und vor einem Nebeneingang endete, der durch eine schlichte Holztür versperrt wurde.
Sachte klopfte er zweimal dagegen, machte eine kleine Pause und klopfte ein weiteres Mal. Sofort wurde von innen der Riegel zurückgezogen und die Tür geöffnet. Der bayerische Gesandte erwartete ihn bereits. »Alois Vogler?«, fragte der Mann, der den breitkrempigen Pilgerhut weit ins Gesicht gezogen hatte.
Wortlos streckte Vogler ihm seine rechte Hand mit dem klobigen Ring aus Gold entgegen, beileibe keine wahre Handwerkskunst. Dennoch liebte er ihn. Das Schmuckstück war beinahe ein Teil von ihm geworden und gemahnte ihn täglich an seine Aufgabe, die das schwere Amt des Bürgermeisters mit sich brachte.
Sein Gegenüber hob die Öllampe ein wenig höher und betrachtete den Ring eingehend, ehe er nickte. »Ganz schön kühn von Euch, dass Ihr den Treffpunkt auf augsburgischem Boden vorgeschlagen habt«, sagte Vogler. »Weshalb haben wir uns nicht auf der anderen Seite des Lechs, auf bayerischem Gebiet getroffen?«
»Mir wurden keine Gründe genannt«, antwortete der andere kurz.
Schweigend legten sie den schmalen Weg zurück, der zwischen den Beeten hindurch zum Gästetrakt des Klosters führte. Dort öffnete der Mann einladend die Tür. Wie der andere zog auch Vogler leicht den Kopf ein, als er über die Schwelle trat.
Offenbar wurde der Raum mittlerweile auch als Lagerstätte genutzt. Der hintere Teil war vollgestellt mit kaputten Stühlen, Pulten, Hockern und Bänken, nur notdürftig bedeckt mit löchrigen Tüchern. Der Boden war mit trockenen Binsen bedeckt, die bei jeder Bewegung leise raschelten. Einige Betten standen an den Seiten. Aus einer der Matratzen quoll etwas Stroh heraus.
»Kommen wohl nicht mehr viele Gäste hierher«, stellte der Bürgermeister fest.
Der Mann nickte bedächtig, setzte sich auf einen etwas wackelig wirkenden Schemel, der vor dem ersten Bett stand. Er scharrte mit dem Fuß einige Binsen beiseite und stellte das Öllicht auf den Boden. Dann deutete er auf einen weiteren Hocker, der nicht vertrauenerweckender aussah.
Alois Vogler unterdrückte das aufkommende mulmige Gefühl im Bauch und nahm Platz. Er betrachtete sein Gegenüber schweigend. Dieser hatte Hut und Pilgermantel bisher nicht abgenommen, sodass der Bürgermeister lediglich dessen Kinn mit dem dunklen Bart erkennen konnte. »Wie lautet Euer Name?«, fragte er angespannt.
»Der tut nichts zur Sache. Wichtig ist lediglich, dass Eure Nachricht mich erreicht hat und wir beide nun hier sitzen.« Der Mann in den Diensten des bayerischen Herzogs klopfte sich bestätigend auf die Brust.
»Ihr tragt meinen Brief bei Euch?«, rief Vogler erschrocken aus. »Nicht auszudenken, wenn der in die falschen Hände geriete.«
»Macht Euch deshalb keine Sorgen. Er liegt bereits in den richtigen.«
Der Bürgermeister runzelte die Stirn und wollte gerade nachfragen, als er im Widerschein der Öllampe einen metallischen Gegenstand in der Hand des anderen entdeckte. Schlagartig erkannte er, dass er in eine Falle getappt war. Er sprang auf, um der Reichweite des Messers zu entkommen.
Doch der andere war darauf vorbereitet. Er stürzte nach vorne. Dabei traf sein linker Fuß die Lampe, die augenblicklich umkippte. Das Öl lief über die Binsen, und die Flamme, die nun neue Nahrung fand, loderte hell auf.
Die Hand mit dem Messer flog auf Vogler zu. Doch er schlug den Unterarm gegen das Handgelenk seines Angreifers und konnte so den Angriff abwehren. Gleichzeitig versetzte er ihm mit der Linken einen Kinnhaken, sodass der Mann mit einem Schmerzenslaut zurücktaumelte und über den Hocker stürzte.
Der Bürgermeister warf einen Blick auf das Feuer, das sich in rasender Geschwindigkeit ausbreitete. Der Rauch wurde dichter. Er hustete, und seine Augen begannen zu tränen. Rasch wandte er sich zur Tür. Er war unbewaffnet und konnte sein Heil nur in der Flucht suchen.
Gerade streckte er die Hand nach dem Riegel aus, als er an der Schulter gepackt und herumgerissen wurde. Instinktiv versuchte er, dem Stoß des Messers auszuweichen. Die Klinge verfehlte seinen Bauch, schlitzte stattdessen seine Seite auf. Obwohl der Schnitt dank seiner Kleidung nicht tief ins Fleisch gedrungen war, setzte der brennende Schmerz sofort ein. »Herrgott, erbarme dich meiner!«, schrie er, ehe er sich in einem Akt der Verzweiflung auf seinen Angreifer stürzte.
Füssen, Mitte des Lenzmondes 1376
Isabella Falk zog die Kapuze ihres Umhangs tiefer ins Gesicht. Sie schützte nicht nur vor dem einsetzenden Regen, sondern auch vor allzu neugierigen Blicken, als sie an der Seite ihres Mannes Rudolf die Reichengasse entlangschritt.
Die hölzernen Trippen, die mit einem Lederriemen unter ihre Schuhe geschnallt waren, verhinderten, dass sie allzu tief in den Morast der Straße einsank. Sie strebten der Rittergasse zu, an deren Ecke das Füssener Rathaus lag, bei der Bevölkerung auch Dinghaus genannt. Unter den Arkaden des Erdgeschosses passten auch größere Wagen hindurch, um ihre Waren zu der städtischen Waage zu bringen. Die beiden Obergeschosse zierten viele Fenster, sodass der sich dort befindliche Ratssaal von Licht durchflutet wurde. Bislang hatte Isabella ihn allerdings noch nie betreten, und auch heute würde ihr Weg sie in den Keller führen – wieder einmal.
Gelegentlich begleitete sie ihren Gemahl, wenn er einen Leichnam begutachten musste. Sollte sich dabei herausstellen, dass der Tote ermordet worden war, so wurde der Fall an den bischöflichen Vogt übergeben, der für die Aufklärung und Ahndung der Gewaltverbrechen zuständig war. Rudolf Falk, dem der Ruf vorauseilte, sein Richteramt sehr gewissenhaft und gerecht auszuüben, machte sich üblicherweise zunächst selbst ein Bild, ehe er den Vogt damit behelligte.
Zunehmend bezog Rudolf dabei seine Frau ein, auch wenn dies sehr ungewöhnlich war. Sie habe die besseren, weil viel jüngeren Augen und verfüge über einen scharfen Verstand, behauptete er. Dieses Mal legte er ganz besonders großen Wert darauf, da es sich bei dem Toten um seinen Freund, den Bürgermeister Alois Vogler, handeln sollte und ihm kein Detail entgehen durfte.
Rudolf war blass geworden, hatte gewankt und sich an die Brust gegriffen, als der Bote heute Mittag die Nachricht überbracht hatte. Isabella hatte ihrem betagten Gemahl schnell einen Stuhl geholt, auf den er schwer niedergesunken war. Immer wieder hatte er den Kopf geschüttelt und vor sich hin gemurmelt, dass es sich hierbei um einen fatalen Irrtum handeln müsste. Das hoffte auch Isabella immer noch, während sie Richtung Rathaus eilten.
Ein ganz in Schwarz gekleideter Mann mit Handschuhen öffnete ihnen die Tür. Der Henker wirkte nicht überrascht, den Richter in Begleitung seiner jungen Frau zu sehen. Er nickte den beiden zu und führte sie über die von Pechfackeln beleuchteten Stufen ins Untergeschoss, wo ihnen ein leicht muffiger Geruch entgegenschlug. Isabellas Blick streifte die Kammern, die teils mit massiven Holztüren verschlossen, teils mit Eisengittern versperrt waren. Hin und wieder wurden hier Diebe, Zechpreller und sonstiges Gesindel vorübergehend eingesperrt, deren Vergehen in den Zuständigkeitsbereich des Stadtgerichts fielen.
Der Henker öffnete die erste Tür. In dem kargen, weiß gekalkten Raum stand lediglich ein schwerer Holztisch in der Mitte. Er war mit einer dunkelbraunen Wolldecke bedeckt, unter der sich unebene Umrisse abzeichneten. Mehrere Öllampen brannten in den Wandnischen.
Als Isabella die Kapuze zurückschlagen wollte, verfing sie sich in ihrem Kruseler. Die Kopfbedeckung aus mehreren halbkreisförmig übereinandergelegten weißen Schleiertüchern, deren gekräuselte Vorderkanten ihr Gesicht umrahmten, entsprach zwar der herrschenden bürgerlichen Mode, war jedoch manchmal höchst unpraktisch.
Das plötzliche Keuchen ihres Mannes ließ sie aufsehen. Der Henker war an den Tisch herangetreten und ließ den soeben angehobenen Zipfel der Decke wieder sinken. »Der Bürgermeister bietet wahrlich keinen schönen Anblick«, sagte er und sah abwechselnd den Richter und seine Frau an. »Es wäre besser, Herr Falk, dieses Mal auf die Unterstützung Eurer Gemahlin zu verzichten.«
Isabella straffte die Schultern und schüttelte den Kopf. »Ich habe schon einige Tote gesehen, wie Ihr Euch erinnern werdet. Diejenigen, die im Lech ertrunken oder beim Bau von einem Gerüst gestürzt sind. Und zuletzt der Junge, dem das Bein zerquetscht wurde, als die Fässer vom Wagen rollten. Er hat den Unfall zwar überlebt, wird sein Leben lang jedoch am Stock gehen müssen.«
Der Henker warf Rudolf einen fragenden Blick zu, zuckte dann jedoch mit den Schultern, als der Richter keinen Einwand vorbrachte. Er zog die Decke zurück, und Isabella kämpfte gegen den plötzlichen Würgereiz an, als sie der schwarzen, gekrümmten Gestalt ansichtig wurde.
Nichts ließ erkennen, dass der Mensch vor ihnen einst Alois Vogler gewesen war. Die Kleidung war vollständig eingebrannt. Die Fäuste waren erhoben und angezogen, als wollte er gleich zum Schlag gegen einen unsichtbaren Gegner ausholen. Isabella wandte sich ab und atmetet mehrmals tief ein und aus, bis das Gefühl nachließ, sich gleich übergeben zu müssen. Sie wollte dem Henker nicht die Genugtuung gönnen, recht behalten zu haben, dass sie zu schwach war, den Anblick des Toten zu ertragen.
Rudolf schwankte leicht, als er sich dem Tisch näherte. »Hat Alois um sein Leben gekämpft und versucht, sich zu wehren?«, fragte er kaum hörbar.
Der Henker deutete auf die gekrümmten Finger. »So sehen Brandleichen immer aus, wenn die Hitzeeinwirkung einen gewissen Grad erreicht, weil die Muskeln sich zusammenziehen.«
Während ihr Mann erleichtert aufatmete, fragte Isabella: »Wie kannst du sicher sein, dass es sich bei dem Toten um unseren Bürgermeister handelt?«
Der Henker hob ein goldenes Schmuckstück auf, das seitlich auf dem Tisch lag. »Das ist sein Ring. Er wurde neben ihm gefunden.«
»Neben ihm?«, sagte Rudolf scharf. »Alois hätte ihn niemals abgelegt.«
»Er wurde auch nicht abgenommen, sondern fällt von selbst ab, sobald die Körperflüssigkeit verdampft und die Finger schrumpfen.«
Isabella war bekannt, dass ein Henker oft mehr über den menschlichen Körper wusste als mancher Medicus. Er musste dessen Schwachstellen genau kennen, insbesondere, wenn er den Delinquenten einer peinlichen Befragung unterziehen und ihn zum Reden bringen sollte.
»Was hat er wohl im Kloster gewollt, und wie ist es zu dem Brand gekommen?«, fragte Isabella in die drückende Stille hinein.
»Das herauszufinden, ist Eure Aufgabe, Herr Falk. Es gibt aber etwas, das mich stutzig werden ließ.« Der Henker schob seine Filzkappe so weit in den Nacken, dass der Ansatz seines schwarzen Haars sichtbar wurde, das auf der linken Seite eine hellgraue Strähne aufwies. Die dunklen Augen in dem harten Gesicht blickten fragend auf den Richter. »Hat der Bürgermeister Euch gegenüber je erwähnt, dass er Feinde hat oder ihm jemand nach dem Leben trachtet?«
Rudolf verneinte entschieden. »Niemals.«
»War er vielleicht schwer krank?«
»Auch davon ist mir nichts bekannt. Worauf willst du hinaus?«
Ohne zu antworten, hebelte der Henker den Mund des Toten ein wenig weiter auf. »Seht selbst.«
Rudolf beugte sich vor, zuckte dann jedoch ratlos mit den Achseln. »Mir fällt nichts Ungewöhnliches auf.«
Isabella näherte sich nun ebenfalls dem Toten, darauf bedacht, sich nur auf die Mundhöhle zu konzentrieren.
»Schaut Euch den Rachen an.«
»Er sieht völlig normal aus«, antwortet nun auch Isabella. Sie rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nasenwurzel. »Und genau das stört dich offenbar. Was müsste denn dort zu sehen sein?«
»Wenn der Bürgermeister am Rauch erstickt wäre, müsste er ihn zwangsläufig eingeatmet haben. Demnach müssten Mundraum und Kehle zumindest schwarze Ablagerungen aufweisen. Ich kann aber nichts entdecken.«
»Du vermutest also, Alois Vogler war schon tot, bevor das Feuer ihn erreichte?«
Der Henker nickte schwer.
»Aber das würde bedeuten, dass Alois ermordet wurde«, stieß der Richter hervor.
Abermals ein knappes Nicken. »Es handelt sich wahrscheinlich um eine Bluttat, und somit muss der Vogt verständigt werden.«
Rudolfs Brust hob und senkte sich einige Male, bevor er antwortete: »Ehe ich das tue, muss ich ganz sicher sein.«
Der Henker deutete auf die Augenwinkel der Leiche. »Jeder Mensch kneift bei Gefahr die Augen zusammen. Leider ist der Leichnam zu sehr verbrannt, sonst würdet Ihr in den Winkeln gewiss hellere Falten erkennen. Das wäre ein weiteres Anzeichen dafür, dass wir es hier mit einem Mord zu tun haben.«
Rudolf zögerte immer noch.
Isabella legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Mein Lieber, ist es denn wahrscheinlich, dass dein Freund eines natürlichen Todes starb?«
»Im Gästetrakt des Klosters? Was wollte er dort, und wie kam es zu dem Brand? Nein, meine Liebe, ich glaube, jemand hat ihn umgebracht und wollte seine Leiche beseitigen. Vielleicht kann uns deine Freundin, die Äbtissin, in der Angelegenheit weiterhelfen.«
An den Henker gewandt, fuhr er fort: »Ich werde den Vogt dennoch erst aufsuchen, wenn ich Gewissheit habe, was mit unserem Bürgermeister geschehen ist. Bis dahin bitte ich dich, Stillschweigen über die Angelegenheit zu bewahren. Offiziell gilt sein Tod zunächst als Unfall.«
Er zitterte leicht. Isabella hätte ihren Mann gerne getröstet, aber sie wusste nicht, wie.
Isabella rückte sich den Stuhl zurecht und nahm im Arbeitsraum ihres Mannes Platz. Oft stand er hier bis spät in die Nacht an seinem Pult aus Eichenholz, das an den Seiten mit geschnitzten Blätterranken verziert war.
Auf den Wandbrettern dahinter stapelten sich fein säuberlich nach Größe geordnet Papierbögen, die ihm regelmäßig aus Italien geliefert wurden. Daneben befanden sich verschiedene Schreibfedern und Tintenfässer aus glasiertem und bemaltem Ton. Ein mit Reliefkacheln verkleideter Ofen aus Luzern, der vom Flur aus beheizt wurde, spendete eine rauchfreie und behagliche Wärme. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein schlichtes Bett mit einem Nachttopf darunter. Rudolf nutzte es sehr oft, besonders wenn er in einen neuen Fall vertieft war und nachts nicht mehr die knarrende Stiege zur Schlafkammer emporsteigen wollte.
Als Richter oblag ihm nicht nur die Wertung der Zeugenaussagen und Beweismittel, er hatte sich auch aktiv an der Urteilsfindung zu beteiligen. Isabellas Mann nahm seinen Beruf sehr ernst. Er war ein Verfechter davon, den Schöffen nicht allzu viel Gewicht einzuräumen, und achtete darauf, immer das letzte Wort zu haben und sich das Verfahren nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Dadurch eckte er bei einigen Ratsmitgliedern an, die neben ihren sonstigen Tätigkeiten als Schöffen tätig waren.
»Kindchen«, sagte er oft zu ihr, wenn sie ihre Bedenken gegen sein manchmal eigenwillig anmutendes Vorgehen äußerte. »Wer will mir denn da reinreden? Der Bürgermeister steht hinter mir, und die Schöffen verfolgen oft genug ihre eigenen Interessen bei der Urteilsfindung. Von Unterstützung kann da nicht immer die Rede sein.«
Isabella mochte diesen Kosenamen nicht besonders, weil der Altersunterschied von über dreißig Jahren ihr dadurch noch größer erschien. Sie fühlte sich dann klein und unbedeutend, obwohl sie wusste, dass Rudolf es liebevoll und nicht abwertend meinte. Außerdem sah sie nicht kindlich aus. Ihre Kinnpartie war ein wenig zu kantig, was den starken Willen, den sie besaß, nach außen trug. In ihren hellbraunen Augen leuchtete oft ein Feuer, wenn sie sich in etwas verbissen hatte, dem sie auf den Grund gehen wollte. Zudem war sie ungewöhnlich groß, fast so groß wie die meisten Männer, und die kleineren überragte sie sogar oft um mehr als eine Handspanne.
Isabella betrachtete ihren Mann, der noch immer regungslos am Pult stand, die Schreibfeder in der Hand hielt und ihre Anwesenheit offensichtlich vergessen hatte. Mit einem leisen Hüsteln brachte sie sich in Erinnerung.
»Ach, da bist du ja«, sagte er und warf ihr ein Lächeln zu. Rudolf setzte noch eine letzte Notiz auf das Papier und nahm es vom Pult. Er rollte es zusammen, bevor er sich schwerfällig auf den Stuhl Isabella gegenüber fallen ließ. Mit dem Ende der Rolle tippte er sich ans Kinn. »Ich habe nachgedacht, und mir ist doch etwas über Alois eingefallen.« Jetzt blickte er seine Frau direkt an. »Erinnerst du dich noch an den Unfall, den er vor ein paar Wochen hatte?«
»Redest du von dem Stein, der sich plötzlich aus der Stadtmauer gelöst hat und ihn nur knapp verfehlte?«
»Allerdings. Wir sind seinerzeit davon ausgegangen, dass die Stelle nach über dreißig Jahren, in denen die Mauer erhöht wurde, brüchig geworden war. Doch was, wenn eine finstere Absicht dahintersteckte und der Stein absichtlich aus dem Verbund gelöst wurde?«
»Weshalb sollte jemand unserem Bürgermeister nach dem Leben trachten?«
»Es könnte ein Neider sein, der selbst gerne an der Spitze des Rates stehen möchte. Vielleicht hat es auch mit einer Entscheidung zu tun, die er zuletzt getroffen hat. Dazu müssen wir die Aufzeichnungen des Stadtschreibers durchgehen. Ich werde mich gleich morgen darum kümmern.«
»Demnach bist du überzeugt, dass wir es mit einem Mord zu tun haben?«
»Ich bin mir dessen sicher, aber das konnte ich dem Henker schließlich nicht sagen. Sobald herauskommt, dass es sich um eine Bluttat handelt, wird sich der Vogt einmischen, und mir wird der Fall entzogen. Das kann ich nicht zulassen. Es ist erschreckend, wie oberflächlich solche Angelegenheiten oft untersucht werden, zumal wenn der Betreffende manchmal etwas unbequem sein konnte. Du weißt, wie stur Alois war, wenn ihm etwas nicht passte und er unbedingt seinen Willen durchsetzen wollte.« Er seufzte. »Ich bin es meinem Freund schuldig, die Umstände seines Todes restlos aufzuklären. Der Verantwortliche soll dafür zur Rechenschaft gezogen werden, und ich werde nicht eher ruhen, bis ich den Täter überführt habe.«
Isabella lächelte ihren Mann an. »Wie kann ich dir dabei helfen?«
»Ich möchte, dass du dich morgen auf den Weg zum Kloster Weißenfels machst. Lass dir von Mutter Klara bitte alles genau schildern. Dir vertraut sie und wird auch Details und Vermutungen nicht zurückhalten, die sie mir oder einem anderen Mann sicherlich nicht offenbaren würde. Am Tatort können wir vielleicht mehr erfahren, das hilft, Licht in diese traurige Angelegenheit zu bringen. Aber versprich mir, vorsichtig zu sein. Ein Mörder weilt unter uns, und ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst.«
Nach dem Frühmahl am nächsten Morgen brach Isabella auf, begleitet von den guten Wünschen ihres Mannes. Frieder öffnete das Hoftor und ließ seiner Herrin den Vortritt. Isabella zog den Umhang fester um sich, als sie nebeneinander die Gasse entlanggingen. Frieder zuliebe machte sie ein wenig größere Schritte. Der breitschultrige Hüne stammte von den Nordmännern ab, die einst Raubzüge in das Rheinland unternommen hatten. Sein Urahn konvertierte zum Christentum und gründete eine Familie, deren Nachfahren es bis ins Allgäu verschlug.
Frieder war der größte und wagemutigste Mann, den Isabella kannte. In seiner Gegenwart fühlte sie sich vollkommen sicher. Seine Hände wirkten größer als mancher Topfdeckel, der in der Falk’schen Küche zu finden war. Seine Nase war breit, als wäre sie mit einem Hammer bearbeitet worden. Die blauen Augen standen etwas zu eng zusammen, sodass Isabella sich gelegentlich fragte, ob Frieder problemlos an seiner Nase vorbeisehen konnte. Die Haare, die unter seiner dunklen Filzkappe hervorsahen, hatten die Farbe frischen Strohs und wippten bei jedem Schritt im Takt mit.
Der Weg zum Kloster führte durch das Hintere Bürgertor, das seinen Namen erhalten hatte, weil die Bewohner der Dörfer Pfronten und Rieden durch dieses Tor bei Gefahr die Stadt betreten durften. Zum Ausgleich dafür mussten sie in Friedenszeiten am Bau der Mauer mitwirken. Isabella und Frieder folgten dem sogenannten Ländeweg, der sich hinter Faulenbach zu einem Fußweg verjüngte.
Sie verließen ihn nach einer knappen Stunde, wandten sich nach rechts, folgten dem Anstieg und anschließenden Abstieg hinunter zum See, umrundeten dessen östliche Spitze und erreichten bald darauf den Steg unterhalb der Kirche Sankt Walburga, an dem der Fährmann auf Kundschaft wartete.
Der hagere Alte bedachte Frieder mit einem missmutigen Blick. Er wusste gleich, dass seine Entlohnung geringer ausfiel, wenn er nicht selbst zur Klosterinsel ruderte.
Isabella fischte in ihrer Geldkatze nach einer Münze, während Frieder bereits einen der beiden Einbäume losband. Er half ihr in das schaukelnde Boot, setzte sich hinter sie und trieb das Boot mit kräftigen Paddelschlägen vorwärts.
Das viereckige Hauptgebäude des Klosters lag in der Mitte der Insel und war von einer Palisade umgeben. Die Kirche besaß keinen Turm, sondern lediglich einen Dachreiter, in dem zwei Glocken hingen. Etwas abseits auf der rechten Seite stand ein einzelnes Gebäude. Die verkohlten Dachsparren ragten einem Gerippe gleich in den Himmel. Schaudernd wandte Isabella den Blick ab und starrte auf das Wasser.
Wenig später erreichten sie den gegenüberliegenden Steg. Isabella bedeutete dem Knecht, bei dem Boot auf ihre Rückkehr zu warten. Im Kloster würde ihr keine Gefahr drohen, zudem wollte sie den Klarissen nicht unnötig die Anwesenheit eines Mannes zumuten.
So beschritt sie allein den Weg zur Klosterpforte, die auf ihr Klopfen hin sofort geöffnet wurde. Isabella war keine Unbekannte hier. Mutter Klara stand einem weltoffeneren Zweig des Ordens vor, der einst nach dem Vorbild des heiligen Franz von Assisi gegründet worden war. Abkehr von weltlichem Besitz, strenge Klausur und vollständige Konzentration auf Gebet und innere Einkehr waren nicht ihr Bestreben. Sie wollte etwas bewegen, Wissen unter Frauen verbreiten und hatte deshalb keine Hemmungen, für die Erreichung ihrer Ziele auch regelmäßige Einnahmen und Besitz anzunehmen.
Obwohl ihr Besuch einen traurigen Anlass hatte, freute sich Isabella auf das Wiedersehen mit ihrer Freundin. Eine Novizin, erkennbar an dem weißen Schleier, eilte herbei und führte die Besucherin über den quadratischen Innenhof nach rechts. Natürlich kannte Isabella den Weg zu Klaras Sprechzimmer, doch es war ungehörig, sich allein auf dem Klostergelände zu bewegen. Zumal Klara sich um diese Zeit auch im Unterricht hätte befinden können.
Die Novizin klopfte an die Tür und zog sich nach dem Öffnen sofort zurück, sodass Isabella eintreten konnte.
Der Raum war karg und spartanisch eingerichtet, wie es sich für einen Orden, der Wert auf Armut und Besitzlosigkeit legte, gehörte. Auch wenn Klara einem gewissen Wohlstand nicht abgeneigt war, so wahrte sie doch nach außen den Schein, sollte einer der Kirchenoberen das Kloster aufsuchen.
Die Äbtissin trat von dem Pult zurück und streckte Isabella beide Hände entgegen. »Welch eine Freude, dich zu sehen, meine Liebe.« In ihre blauen Augen trat ein freudiges Strahlen, als sie zu ihrer Freundin aufblickte.
Isabella ergriff die schlanken Finger und drückte sie fest. »Verzeih, dass ich hier so unangemeldet hereinstürme. Du ahnst sicherlich, weshalb ich hier bin.«
»Wegen des Brandes und des toten Bürgermeisters«, vermutete Klara.
Sie warf die Enden ihres schwarzen Schleiers über die Schultern zurück, ehe sie auf einen der beiden schlichten Stühle deutete und sich auf den anderen setzte. Dann zupfte sie ihren braunen Habit zurecht und richtete ihr Zingulum, einen weißen Strick, in den drei Knoten als Symbole für die Gelübde Armut, Keuschheit und Gehorsam geknüpft waren.
»Mein Mann schickt mich«, eröffnete Isabella das Gespräch. »Er würde gerne aus deinem Mund erfahren, was sich genau zugetragen hat.«
»Das habe ich sowohl dem Büttel als auch dem Prior von Sankt Mang bereits ausführlich berichtet.« Klara seufzte tief auf und faltete die Hände in ihrem Schoß.
Isabella wartete geduldig, bis ihre Freundin fortfuhr: »Es war weit nach der Komplet. Wir hatten uns nach dem Abendgebet bereits alle zur Ruhe begeben, doch ich konnte nicht schlafen, wanderte in meiner Zelle auf und ab. Plötzlich roch ich Qualm. Ich stürzte zur Fensteröffnung und sah, dass unser Gästehaus in Flammen stand. Gott sei Dank ist es aus massivem Stein gebaut und steht etwas abseits von den anderen Gebäuden. Wir hatten großes Glück, dass die Flammen nicht auf den Haupttrakt des Klosters oder gar die Kirche übergeschlagen sind. Dann wäre alles vernichtet worden, was wir uns hier aufgebaut haben. Vor allem den Unterricht für die Töchter könnten wir nicht weiter fortführen.«
Isabella runzelte die Stirn, unterbrach Klara jedoch nicht.
»Als das Feuer in den Morgenstunden keine neue Nahrung mehr fand, erlosch es von selbst. Wir hatten Eimerketten gebildet und mit dem Wasser aus dem See die anderen Gebäude benetzt. Zum Glück war es nahezu windstill. Nicht auszudenken, wenn der Wind aufgefrischt oder sich sogar gedreht hätte. Wir haben eine zusätzliche Messe gefeiert, um Gott für seine Großmut zu danken und dafür, dass er in dem Unglück seine schützende Hand über uns Schwestern und die Schülerinnen gehalten hat.« Die Äbtissin bekreuzigte sich. »Natürlich ist der Brand nicht unbemerkt geblieben. Schlechte Nachrichten verbreiten sich ohnehin schneller als gute, will mir scheinen. Dennoch hat es mich überrascht, dass sowohl der Büttel mit der Stadtwache als auch Prior Egbert mich so schnell aufsuchten.«
»Was ist denn daran verwunderlich, wenn der Prior erfahren will, was in dem Kloster, für das er verantwortlich ist, geschehen ist?«
»Eigentlich nichts«, gab Klara zu und rieb sich nachdenklich über die Stirn. »Ich fand es nur etwas ungewöhnlich, dass er eine Stunde vor dem Büttel hier ankam.«
»Hast du ihn nach dem Grund gefragt?«
Isabellas Freundin schüttelte den Kopf. »Im Gegensatz zu Abt Friedrich ist der Prior uns Klarissen nicht wohlgesinnt. Er betrachtet uns als lästiges Übel. Ich wollte ihn nicht noch mehr gegen die Töchterschule aufbringen, indem ich ihn möglicherweise in Verlegenheit stürze.«
»Das wäre kein kluger Schachzug, da stimme ich dir zu. Wer hat den Leichnam entdeckt?«
Bei der Erinnerung hob Klara fröstelnd die Schultern und strich sich über die Oberarme. »Es war einer der Knechte vom Pfarrhof Sankt Walburga. Der Bürgermeister lag unweit des Eingangs zwischen den heruntergestürzten verkohlten Dachbalken. Zum Glück hatte ich die meisten Schwestern und alle Schülerinnen ins Haupthaus geschickt.«
»Hast du eine Ahnung, was der Bürgermeister hier gewollt hat?«
»Leider nein. Er hat sich auch nicht angekündigt. Du kannst dir sicherlich vorstellen, wie überrascht ich war.«
»Vielleicht wollte er sich dort mit jemandem treffen«, vermutete Isabella.
»Ich wüsste nicht, wer das sein könnte. Es war niemand Fremdes hier.«
»Weißt du, wie das Feuer entstanden ist?«
Klara seufzte leise. »Das ist uns schleierhaft. Es gab kein Gewitter und somit auch keinen Blitzeinschlag. Der Büttel vermutete, dass der Bürgermeister das Gästehaus möglicherweise selbst angezündet hat und dabei ums Leben kam. Ob absichtlich oder aus Versehen, bleibt ungewiss.«
»Er geht doch wohl nicht von einem Selbstmord aus?«, fragte Isabella erschrocken.
Klara beugte sich vor und legte ihrer Freundin die Hand auf den Unterarm. »Auszuschließen ist das nicht.«
Isabella erbleichte. Wenn das der Wahrheit entsprach, würde Alois Voglers Seele auf ewig verloren sein und das Entsetzen darüber ihren Gemahl womöglich umbringen. Sie schluckte heftig. »Ich würde mir den Unglücksort gerne ansehen.«
Klara hob erstaunt die Augenbrauen. »Was versprichst du dir davon?«
»Das weiß ich selbst nicht«, musste sie zugeben. »Aber ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich nicht alles genau untersuche und sich nachher rausstellt, dass ich einen Fehler gemacht habe. Das würde Rudolf enttäuschen.«
Ihre Freundin nickte verstehend. »Der Bürgermeister war gut mit deinem Mann befreundet, nicht wahr?«
»Das stimmt, und Rudolf wird alles in seiner Macht Stehende tun, um die Umstände seines Todes zu erhellen.«
Isabella stand auf, und auch die Äbtissin erhob sich. Die beiden Frauen verließen das Hauptgebäude. Sie folgten dem Pfad, der durch den Garten an den wohlgeharkten Beeten vorbeiführte, bis zu der Ruine, die kurz zuvor noch die Gästeunterkunft des Klosters gewesen war. An einem Weidenstrauch verharrte Isabella kurz und brach eine Rute ab.
Der Brandgeruch wurde immer stärker. Isabella hielt sich ein mit Lavendelöl getränktes Tüchlein vor die Nase.
»Bist du glücklich?«, fragte Klara unvermittelt, als sie den verkohlten hölzernen Türsturz erreicht hatten. Die Wände standen noch, auch wenn die Steine durch die Einwirkung der Flammen geschwärzt waren. Insbesondere die rechte Innenwand zeigte im mittleren Bereich deutliche Rußspuren.
»Ich habe mit der Eheschließung die richtige Entscheidung getroffen«, antwortete Isabella. »Ein Leben im Kloster wäre nichts für mich.« Sie trat durch den Türrahmen. Vor ihnen versperrten einige herabgestürzte Balken den Weg. Die Dachbalken im hinteren Bereich des Gebäudes ragten schwarzen Fingern gleich mahnend in den Himmel.
Isabella sah sich aufmerksam um. Sie deutete auf den schwärzesten Bereich der Wand. »Ich denke, das Feuer ist hier in der Mitte ausgebrochen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, duckte sie sich und bahnte sich vorsichtig den Weg zwischen den Balken hindurch. Dabei achtete sie darauf, nirgends anzustoßen und ihr Kleid dadurch zu ruinieren. In der Nähe der Türe waren die Überreste der Binsen verschoben und einige Fußabdrücke in der Asche zu sehen. Wahrscheinlich Spuren der Helfer, die den Leichnam geborgen hatten.
Im mittleren Bereich fand Isabella nur wenige Hinweise, dass jemand vor ihr hier gewesen war. Auf ihre Frage hin erklärte ihre Freundin, dass der Prior den Brandort ebenfalls an dieser Stelle untersucht hatte. Mit der Schuhspitze fuhr Isabella durch die am Boden liegende Asche. Ein leises Klirren lenkte ihre Aufmerksamkeit auf eine Öllampe aus Ton, die zwischen den Brandresten hervorlugte.
Sie lag auf der Seite. Der Henkel war abgebrochen. Isabella hockte sich nieder. Mit der Rute stocherte sie in der Asche.
»Wonach suchst du?« Klara war näher gekommen und kniete sich nun ebenfalls nieder.
»Nach dem hier«, antwortete Isabella, steckte das Lavendeltüchlein ein und hob mit spitzen Fingern den Henkel in die Höhe. »Ich vermute, dass der Brand durch das auslaufende Öl verursacht wurde. Da sich der Henkel daneben befindet, wurde die Lampe nicht mehr bewegt, nachdem sie umgefallen war.«
Die Äbtissin blickte sie verständnislos an. »Sie könnte dem Bürgermeister aus der Hand gefallen sein, und dabei ist der Henkel abgebrochen.«
»Natürlich wäre das möglich. Was würdest du denn tun, wenn dir ein Öllicht ins Stroh fällt?«
»Es aufheben, damit nicht noch mehr Öl ausläuft und versuchen, die noch kleinen Flammen mit den Füßen auszutreten.«
»Hat Alois Vogler aber offensichtlich nicht getan.«
Klara bekreuzigte sich. »Das könnte der Beweis sein, dass er sich womöglich doch selbst richten wollte.«
Isabella schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn das sein Ansinnen gewesen wäre, dann hat er es sich im letzten Moment wohl anders überlegt. Er wurde doch bei der Tür gefunden, hat es aber nicht mehr hinausgeschafft.«
Ihre Freundin atmete erleichtert auf. »Es war also doch ein Unfall.«
Isabella schürzte die Lippen. Leise sagte sie: »Es könnte doch sein, dass unser Bürgermeister nicht allein war, obwohl du nichts von einem Gast wusstest. Vielleicht hat er hier jemanden getroffen, und es kam zum Streit.«
Klara riss die Augen auf. Sie sah sich kurz um und vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war. Dennoch flüsterte sie, als sie weitersprach: »Willst du damit andeuten, Alois Vogler wurde ermordet? Aber das wäre eine Bluttat und dein Gemahl somit nicht mehr zuständig.«
Isabella hob den Finger an die Lippen. »Deshalb bitte ich dich, meine Vermutungen für dich zu behalten, bis ich Gewissheit habe. Sollte es sich bewahrheiten, dass Rudolfs Freund tatsächlich ermordet wurde, so wird mein Mann selbstverständlich den Vogt darüber in Kenntnis setzen.«
Sie sah Klara nachdrücklich an. »Siehst du eine Möglichkeit, dass jemand unbemerkt von euch Schwestern hier eingedrungen sein könnte?«
Klara überlegte sichtlich angestrengt.
»Unsere Pforte ist ab der Komplet nicht mehr besetzt. Davor muss jeder Neuankömmling an Schwester Ruthildis vorbei.«
Isabella erinnerte sich an die ältere Schwester, deren stets grimmiger Gesichtsausdruck einem wütenden Wachhund glich. Solange diese Schwester das Tor hütete, kam nicht einmal eine Maus ungesehen auf das Klostergelände.
»Also gut, wer könnte denn nach dem Abendgebet das Kloster betreten?«
»Niemand, oder jedenfalls nur derjenige, der einen Schlüssel besitzt.«
Isabella stutzte. »Besaß Alois Vogler einen?«
»Weshalb sollte er? Als Bürgermeister von Füssen endet seine Macht an der Stadtmauer. Soweit mir bekannt ist, gibt es nur einen weiteren Schlüssel, und der liegt wohlbehütet im Kloster Sankt Mang.«
»Aber wie ist es dem Bürgermeister dann gelungen, hier in euren Gästetrakt einzudringen?«
Klara hob ratlos die Schultern und vermutete: »Vielleicht ist er über die Mauer geklettert.«
Isabella antwortete nicht. Sie war nunmehr sicher, dass jemand den Bürgermeister hereingelassen hatte, um ihn zu ermorden. Nur wer? Ein Fremder oder gar eine Schwester des Konvents?
»Das ergibt keinen Sinn«, erwiderte sie schließlich, weil Klara sie immer noch unentwegt anstarrte. »Ich meine, weshalb sollte er hier einbrechen, um sich umzubringen?«
»Willst du etwa damit andeuten, eine meiner Schwestern hätte ihm das Tor geöffnet?«, fuhr Klara erbost auf. Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Das glaube ich einfach nicht.«
»Ich doch auch nicht, aber wir müssen alles in Betracht ziehen, wenn wir das Rätsel lösen wollen. War das Tor verschlossen, als der Brand bemerkt wurde?«
Klara bestätigte das mit einer knappen Kopfbewegung. »Es wurde erst geöffnet, als die Helfer aus Weißensee und Oberkirch eintrafen. Den Nebeneingang habe ich allerdings noch nicht kontrolliert.«
»Dann sollten wir das jetzt nachholen«, bestimmte Isabella.
Die beiden Frauen gingen auf die kleine Tür im hinteren Teil der Mauer zu. Der Riegel war nicht von innen vorgeschoben.
»Da hast du es«, triumphierte Klara. »Wäre eine der Nonnen darin verwickelt, hätte sie die Tür wieder verschlossen.«
»Könnte es nicht auch sein, dass einer der Helfer sie geöffnet hat, um Wasser aus dem See zu schöpfen?«
»Nein«, erwiderte Klara fest. »Ich sagte dir bereits, dass wir die Hauptgebäude geschützt haben, und die liegen näher an der Pforte. Von dort wurde die Eimerkette gebildet. Nachdem die sterblichen Überreste des Bürgermeisters gefunden worden waren, wurden sie ebenfalls durch das Haupttor getragen. Niemand hat sich der kleinen Tür genähert, dessen bin ich gewiss.«
Isabella konnte sich auch vorstellen, dass jemand den Riegel absichtlich offen gelassen hatte, damit kein Verdacht auf die Nonnen fiel. Sie hätte es jedenfalls an dessen Stelle so gemacht. Aber vielleicht war sie auch einfach zu misstrauisch. Sie kannte fast alle Schwestern hier und konnte sich keine als Mörderin vorstellen. Außerdem war Alois Vogler ein gestandenes Mannsbild gewesen. Er hatte sich stets zu wehren gewusst und war ganz geschickt im Umgang mit seinen Fäusten gewesen. Eine Frau allein oder auch zwei hätten ihn sicherlich nicht einfach niederringen können.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Hier kam sie vorerst nicht weiter. »Hat der Prior irgendetwas Wichtiges gesagt, als er den Brandort besichtigte?«
»Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass Egbert von Schwarzenfels mich für würdig genug erachtet, das Wort an mich zu richten. Er hat genauso in der Asche herumgewühlt wie du, aber offenbar nichts gefunden. Jedenfalls ist mir nicht aufgefallen, dass er etwas aufgehoben hätte.«
Nachdenklich runzelte Isabella die Stirn.
Im Falk’schen Anwesen in der Reichengasse herrschte helle Aufregung, als Isabella und Frieder am späten Nachmittag nach Füssen zurückkehrten. Die Mägde weinten, und die Knechte standen mit betretenen Gesichtern im Hof. Niemand ging seiner Arbeit nach. In Isabellas Hals bildete sich ein Kloß. Sie ballte die Hände zu Fäusten und versuchte sich für die schlimme Nachricht zu wappnen, die ihr gleich offenbart werden würde.
»Ach, Frau Isabella, da seid Ihr ja endlich«, schluchzte die Köchin Rosa und wischte sich mit dem Zipfel ihrer Schürze über die Augen. Die grauen, gekräuselten Haare, die unter ihrer Haube hervorlugten, zitterten mit ihrer Trägerin um die Wette.
»Was ist geschehen?«, drängte Isabella. »So rede doch, um Himmels willen.«
»Der Herr«, presste Rosa hervor, kam jedoch nicht weiter, weil ein erneuter Schluchzer sie daran hinderte.
Eiskalte Finger schienen Isabellas Herz zu umklammern, und sie schwankte leicht. Sofort stellte Frieder sich an ihre Seite, um sie notfalls aufzufangen, sollten ihre Beine nachgeben.
»Der Herr ist plötzlich zusammengebrochen. Wir haben ihn in seine Kammer getragen und sofort nach dem Medicus geschickt. Er ist jetzt noch bei ihm.« Die Köchin rang die Hände. »Was für ein Unglück. Was soll nur aus uns werden, wenn der Herr verstirbt?«
»So weit ist es wohl noch nicht«, antwortete Isabella etwas zu barsch.
Sie ließ die Köchin stehen und eilte von Frieder begleitet ins Haus. Gerade als sie die Stiege erreichte, die ins Obergeschoss führte, hörte sie die Kammertüre zufallen. Die oberste Stufe knarzte, und in ihr Sichtfeld traten dunkle Schnabelschuhe, deren Spitzen hochgebunden waren, damit der Träger nicht stolperte. Ihnen folgte eine eng anliegende braune Hose, in der muskulöse Beine steckten.
Wer war das? Hubertus Bader mit Sicherheit nicht. Wie andere Angehörige des Gelehrtenstandes verzichtete auch der städtische Medicus auf modischen Schnickschnack. Seiner Würde angemessen galt eine lange, bestenfalls halblange Gewandung, die weit geschnitten war.
Eine kurze blaue Schecke wurde sichtbar und schließlich das Gesicht eines dunkelhaarigen, gut aussehenden jungen Mannes, nur wenig älter als Isabella. In seine braunen Augen trat ein mitfühlender Ausdruck und auf seine Lippen ein verständnisvolles Lächeln, als er sie erblickte.
Er trat von der letzten Stufe und blieb vor ihr stehen. Da er nur eine Handbreit größer war als sie, begegnete sie seinem Blick auf gleicher Höhe.
»Wer seid Ihr, und was habt Ihr bei meinem Gemahl zu schaffen?«, fuhr sie ihn an.
Kurz zeigte sich Überraschung in seiner Miene, ehe er eine Verbeugung andeutete. »Ich bin Magnus Bader, der Sohn des Medicus. Mein Vater ist noch oben bei dem Herrn Richter. Ich bin auf der Suche nach der Köchin. Sie soll Eurem Gemahl eine kräftige Hühnerbrühe kochen, und er braucht warmes Wasser für die Hand- und Fußbäder.«
»Geht es Rudolf wieder besser?« Isabella hielt kurz den Atem an.
»Er hat sich ein wenig erholt. Mein Vater hat ihn zur Ader gelassen, doch er ist noch sehr schwach.«
Isabella wollte an ihm vorbeigehen und die Stiege erklimmen, als er sie durch eine kurze Berührung an der Schulter zurückhielt.
»Ich muss Euch warnen. Das Gesicht Eures Gemahls ist verzerrt, und er spricht nur sehr undeutlich. Mein Vater geht davon aus, dass der Schlag Gottes ihn getroffen hat. Nach Ansicht meines Vaters sind seine Körpersäfte im Ungleichgewicht.«
Sie zog die Augenbrauen in die Höhe. »Glaubt Ihr das nicht? Seid Ihr auch ein Medicus?«
Magnus Bader zögerte einen Augenblick. »Ich bin gerade von der Medizinschule aus Montpellier zurückgekehrt, um meinen Vater zu unterstützen. Die Säftelehre nach Galen erfreut sich dort nicht des hochrangigen Stellenwerts wie hierzulande. Ich gehe davon aus, dass ein Blutgerinnsel im Gehirn hierfür verantwortlich ist. Doch ich bin kein Chirurg, der es eventuell entfernen könnte. Deshalb finde ich es wichtig, dass Euer Gemahl Dinge zu sich nimmt, die das Blut verdünnen können, wie Fischöl oder Knoblauch und Ingwer. Auch Bier in Maßen könnte helfen.«
Er lächelte leicht. »Ich wäre Euch außerordentlich verbunden, wenn Ihr gegenüber meinem Vater Stillschweigen hinsichtlich meiner Ratschläge bewahren würdet.«
Sie neigte den Kopf, um ihre Zustimmung zu zeigen, und Magnus Bader atmete sichtlich erleichtert auf.
Isabella stieg nun ins Obergeschoss. Sie öffnete die hölzerne Tür zur Kammer ihres Gemahls und trat ein. Durch die kleine Fensteröffnung fiel nur wenig Licht. Auf einem Schemel neben dem Bett saß Hubertus Bader und fühlte am rechten Handgelenk nach Rudolfs Puls.
Der Anblick ihres Gemahls jagte Isabella einen heißen Schrecken durch die Glieder. Ein Mundwinkel hing schlaff herunter, das Gesicht war fast so weiß wie das Linnen, mit dem das Kissen bezogen war. Seine Augen wirkten müde, doch sein Blick erfasste sie. Er versuchte sie anzulächeln, aber seine Miene verzerrte sich dabei zu einer Fratze.
Er murmelte etwas. Mit viel Fantasie glaubte Isabella ihren Kosenamen »Kindchen« zu verstehen. Sie setzte sich auf die andere Bettseite und ergriff die linke Hand. Sie lag schwer und bewegungslos in der ihren. Rudolf war nicht in der Lage, den leichten Händedruck zu erwidern.
Hubertus Bader räusperte sich. »Euer Gemahl hat zu viel Schleim im Körper. Ich habe ihn bereits zur Ader gelassen. Er soll mindestens zweimal am Tag seine Füße baden. Gebt ordentlich Salz und Asche hinein. Umwickelt den linken Arm mit Brennnesseln. Das hilft gegen die Lähmung.«
»Ich tue alles, damit er wieder gesund wird«, versprach Isabella, während sie weiterhin Rudolfs Hand streichelte.
Der Medicus erhob sich. »Ich werde morgen wieder nach ihm sehen. Es schadet auch nicht, für den Heiligen Wolfgang eine Kerze anzuzünden und innig zu ihm zu beten, er möge beim Herrn für Euren Gemahl sprechen.«
»Danke für Eure Mühe«, verabschiedete ihn Isabella. Als sie mit Rudolf allein war, legte der seine rechte Hand auf die ihre und sah sie auffordernd an.
»Du willst wissen, was ich im Kloster herausgefunden habe, nicht wahr?«, fragte sie.
Ihr Gemahl nickte kaum merklich.
»Ruh dich jetzt aus. Ich berichte es dir morgen.«
Doch Rudolf widersprach durch einen energischen Laut.
Sie seufzte und begann zu erzählen, was sich im Kloster Weißensee zugetragen hatte.
Unterbrochen wurden sie nur durch ihre Magd Gesine, die warmes Wasser in einem Bottich brachte, auf dem Aschestückchen schwammen. Mit vereinten Kräften hievten sie Rudolf auf einen Stuhl. Zum Glück war der Richter nicht schwer, denn seine Mithilfe beschränkte sich auf unbeholfene Bewegungen mit den Beinen.
Isabella schickte die Bedienstete anschließend fort, um sich selbst um ihren Gemahl zu kümmern. Sie zog sich einen Schemel heran und wusch mit einem Lappen seine Beine ab. Währenddessen berichtete sie von dem Fund der Öllampe und dem offenen Riegel an der kleinen Tür. Sie endete mit der Schlussfolgerung, dass Alois Vogler möglicherweise durch einen Eindringling im Kloster ermordet worden war, denn einer Schwester würde sie die Freveltat nicht zutrauen. Zumal diese keinen Vorteil aus dem Tod des Bürgermeisters ziehen würden. Im Gegenteil, Vogler hatte die Töchterschule immer unterstützt.
Es herrschte eine Weile Schweigen im Raum, nur unterbrochen vom leisen Plätschern des Wassers, in das Isabella unermüdlich den Lappen tauchte.
Rudolf brach die Stille, indem er verzweifelt versuchte, ein Wort zu formen.
Isabella zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich verstehe leider nicht, was du mir sagen willst.«
Er blickte sie durchdringend an und legte den rechten Zeigefinger an die Lippen.
»Selbstverständlich werde ich zu niemandem darüber sprechen«, versicherte sie ihm und erkannte die Erleichterung auf seinem Gesicht. »Ich weiß doch, dass du der Sache zunächst selbst auf den Grund gehen willst. Aber erst einmal musst du wieder gesund werden.«
Der zweifelnde Blick, den er ihr zuwarf, schnitt ihr ins Herz. Tröstend drückte sie seine gelähmte Hand. »Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben.«
Die Kammertür öffnete sich, und die Magd trat mit einem Becher Bier ein. Isabell nahm ihn ihr ab und setzte ihn ihrem Gemahl an die Lippen. »Magnus Bader, der Sohn unseres Medicus, hat mir gesagt, dass du es in Maßen trinken darfst, weil es dein Blut verdünnt. Das erscheint mir sinnvoller, als deinen Arm mit Brennnesseln zu umwickeln. Es sei denn, du möchtest diese Schmerzen auf dich nehmen.«
Rudolf schüttelte behutsam den Kopf, was Isabella ein trauriges Lächeln entlockte. »Das habe ich mir schon gedacht.«
Am nächsten Morgen ging es Rudolf deutlich besser. Den linken Arm konnte er zwar immer noch nicht bewegen, aber Isabella war zu ihrer großen Freude in der Lage, einzelne Wörter wieder besser zu verstehen.
Sie gestattete sich jedoch nicht, allzu euphorisch zu sein, zumal Hubertus Bader ihr nach seinem Besuch zugeraunt hatte, dass einem Schlag ein zweiter folgen konnte. Sie veranlasste, dass Rudolfs Speisen stark mit Knoblauch gewürzt wurden, und achtete darauf, dass er nichts von der Suppe übrig ließ. Gerade hatte sie ihm den letzten Löffel verabreicht, als die Magd einen Besucher ankündigte.
Isabella drückte ihr die leere Holzschale in die Hand und stieg die Treppe hinunter. Der Besucher stand im Arbeitszimmer vor den Wandbrettern. Er hielt die Mappe in der Hand, in der die Blätter mit Aufzeichnungen über die Ausgaben des Falk’schen Haushalts aufbewahrt wurden. Ungeniert betrachtete er die fein säuberlich eingetragenen Notizen und Zahlen.
Der dunkle Tappert, der bis zu den Knöcheln reichte, raschelte leise, als der Mann sich bei Isabellas Eintritt umwandte, ein schmieriges Grinsen aufsetzte und die Mappe mit aufreizender Langsamkeit schloss.
»Grüß Gott, Frau Schwägerin. Wie geht es meinem todkranken Herrn Bruder?« Berthold Falk musterte sie abschätzig aus hellen Augen.
Sie zählte innerlich bis drei, ehe sie antwortete: »Er ist auf dem Wege der Besserung, verehrter Schwager. Es ist noch zu früh, sich Haus und Hof unter den Nagel zu reißen.« Damit trat sie auf ihn zu und nahm ihm die Mappe aus der Hand.
»Aber, aber, wer wird denn gleich so unhöflich sein? Ich möchte mir lediglich ein Bild über mein Erbe machen. Schließlich muss ich wissen, was mich erwartet, sobald der Tag gekommen ist.«
»Dieser Tag wird nicht heute sein. Um Erkundigungen einzuholen, bleibt dir noch genug Zeit.« Sie trat einen halben Schritt auf ihren Schwager zu, damit Berthold, der einen halben Kopf kleiner war als sie, den Blick heben musste. Der Gewürzhändler war von Beginn an gegen ihre Ehe gewesen. Er befürchtete wohl, sie könnte Rudolf noch einen Sohn und Erben schenken. Immerhin zählte sie nicht mehr als sechsundzwanzig Lenze.
»Wie überaus freundlich, dich hierherzubemühen. Doch du kommst mir gerade wie gerufen. Sicherlich hast du noch einige Ingwerwurzeln in deinem Lager, die du mir für Rudolf günstig überlassen würdest.«
Berthold trat einen Schritt zurück. Einen Augenblick überlegte er sichtlich angestrengt, ehe er antwortete: »Ich bedaure aufrichtig, dir mitteilen zu müssen, dass ich nicht ein einziges Stück mehr besitze. In ganz Füssen ist derzeit keiner zu bekommen.«
Ob das der Wahrheit entsprach, war Isabella im Moment gleichgültig. Sie freute sich, ihren Schwager in offensichtliche Bedrängnis gebracht zu haben.
»Ist Rudolf oben in seiner Kammer? Ich würde mich gerne selbst von seiner anstehenden Genesung überzeugen.«
Das konnte Isabella ihm nicht verwehren. So zeigte sie wortlos auf die Stiege. Am liebsten hätte sie ihn begleitet, doch sie wusste aus Erfahrung, dass es besser war, die beiden Brüder allein miteinander sprechen zu lassen. Rudolf hatte ihr bisher anschließend immer alles berichtet. Er war weit duldsamer mit seinem jüngeren Bruder. Isabella hingegen war ihre Ungeduld und Abneigung oft nur allzu deutlich anzumerken.
Berthold gierte nach dem Anwesen. War er sonst Rudolf gegenüber bemüht freundlich, schien er jetzt im Angesicht von dessen schwerer Krankheit die Maske fallen zu lassen. Isabella glaubte nicht einen Moment lang, dass es in der ganzen Stadt keine Ingwerwurzeln zu kaufen gäbe. Sie würde sich später selbst davon überzeugen. Ihr Vater war Mitglied des Rates und hatte als Tuchhändler weitreichende Verbindungen. Gewiss würde er ihr weiterhelfen können. Sie sollte ihn ohnehin aufsuchen, denn noch wusste ihre Familie nichts von Rudolfs Zustand. Doch solange Berthold in ihrem Haus weilte, wagte sie nicht fortzugehen. Ihr Schwager könnte möglicherweise etwas mitnehmen, was er als Vorauszahlung auf sein Erbe betrachtete, und die Mägde würden es nicht wagen, ihn daran zu hindern.
Isabella suchte die Küche auf, besprach mit der Köchin die Abendmahlzeit, inspizierte die Vorratskammer und trat auf den Hinterhof hinaus.
Zur Reichengasse hin bildeten die hölzernen Häuser eine geschlossene Front. Im hinteren Bereich befanden sich die Wirtschaftsgebäude und Gärten, in denen die Bürger ihr Gemüse für den eigenen Bedarf anbauten und das Vieh hielten. Die Hühner kamen hurtig angelaufen, als Isabella auf den umzäunten Bereich aus Weidenruten zutrat, der das Federvieh daran hindern sollte, seine Hinterlassenschaften überall zu verteilen.
Sie warf ihnen eine Handvoll angewelkter Kohlblätter zu, auf die sie sich gierig stürzten, wobei sie nacheinander hackten und aufgeregt umherflatterten. »Ist doch für alle genug da«, murmelte sie der gackernden Schar zu und beobachtete, wie der Hahn eine der Hennen rigoros verdrängte.
»Du bist auch nicht besser als der Gockel, der gerade im Haus weilt. Nur dass ich dich leichter in den Suppenkessel stecken kann.«
Leise seufzend wandte sie sich ab und ging zurück ins Haus. Überrascht sah sie, dass der ungebetene Gast Rudolf nach unten in das Arbeitszimmer gegangen war und sich auf die Bettstatt gesetzt hatte. Sein selbstgefälliges Lächeln versetzte sie in höchste Alarmbereitschaft.
»Lass nach dem Notarius schicken, Schwägerin. Mein Bruder möchte sein Testament ergänzen.«
Isabella wurde blass und blickte Rudolf fragend an. Der nickte zur Bestätigung, und ihr wurde schwer ums Herz. Was hatte Berthold ihm eingeredet?
Oder hatte Rudolf bisher versäumt, etwas zu regeln? Isabella war immer davon ausgegangen, dass ihr Mann bereits Vorkehrungen für den Fall seines Ablebens getroffen hatte. Schließlich war es aufgrund ihres Altersunterschiedes sehr wahrscheinlich, dass er vor ihr starb. Anders wäre die Situation, wenn sie ein Kind unter dem Herzen trüge. Die Sterblichkeitsrate während oder nach einer Geburt war sehr hoch. Doch davon konnte in ihrem Fall bisher keine Rede sein, auch wenn sie inzwischen seit einem halben Jahr verheiratet waren. Dennoch hoffte sie weiterhin, eines Tages die Freuden des Mutterglücks am eigenen Leib zu erfahren.
