Schatten über Mallorca - Kristin Sander - E-Book

Schatten über Mallorca E-Book

Kristin Sander

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Beschreibung

Es scheint ein perfekter Urlaub zu werden. Jessy, frisch getrennt von ihrem eifersüchtigen Freund, fliegt das erste Mal nach Mallorca. Mit Sonja, ihrer besten Freundin, freut sie sich auf zwei tolle Wochen mit Pool, Strand, Cocktails und natürlich einer Menge Spaß. Die Freundinnen lernen Maik und Frank kennen, die im selben Hotel Urlaub machen. Im Gegensatz zu Sonja, ist Jessy allerdings noch nicht bereit, sich auf einen heftigen Flirt einzulassen. Das ändert sich jedoch, als sie Christian trifft. Als Surflehrer ist er wirklich gut, und nett ist er auch noch. Ach ja, und er sieht einfach umwerfend aus. Jessy schwebt im siebten Himmel. Wirklich ein toller Urlaub. Ein kleiner Notizzettel ändert jedoch alles. Ein verrückter Stalker hat es auf Jessy abgesehen. Anstatt am Strand zu liegen, jagen die Freunde nun einem Phantom hinterher, und versuchen Jessy zu beschützen. Als dann noch jemand auftaucht, den sie auf keinen Fall erwartet hätten, ist es mit der Urlaubsidylle endgültig vorbei.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 280

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel Eins: Ticket für zwei

Kapitel Zwie: Einer sieht alles

Kapitel Drei: Oleander und Pinien

Kapitel Vier: Neue Freunde und alte

Kapitel Fünf: Wind und Wellen

Kapitel Sechs: Ein Verehrer

Kapitel Sieben: Freund oder Feind?

Kapitel Acht: Ein Wiedersehen

Kapitel Neun: Hass und Liebe

Kapitel Zehn: Unterwegs mit Freunden

Kapitel Elf: Angst und Wut

Kapitel Zwölf: Auf der Suche

Kapitel Dreizehn: Falsche Freunde

Kapitel Vierzehn: Alex‘ Geschichte

Nachwort

eins

Ticket für zwei

„So ein Mistkerl! Wie konnte er mir das antun? Der ist irre. Total weggetreten.“

Jessy weinte in ein Papiertaschentuch, das ihre Freundin Sonja ihr gerade angeboten hatte. Um sie herum lag bereits ein Dutzend davon. Zerknüllt und durchweicht von Jessys Tränen, die wie ein scheinbar endloser Strom aus ihren Augen quollen. Sie fühlte sich furchtbar und konnte einfach nicht aufhören zu weinen. Erst hatte sie einen Mordskrach mit ihren Eltern gehabt, dann einen fürchterlichen Streit mit ihrem Freund. Danach war sie sofort zu Sonjas Wohnung gefahren und hatte ihrer Freundin stockend berichtet was geschehen war. Sonja hatte sich schweigend alles angehört, nur zweimal ungläubig den Kopf geschüttelt und einmal ein lautes Schnauben hören lassen. Sie hatte diesen Tomas nie besonders gut leiden können. Es war die Art, wie er verächtlich über Jessys Freunde sprach, als wäre er sich zu fein für sie. Er tat so, als ob er der Einzige wäre, mit dem sie sich abgeben dürfte. Streber, nannte er alle. Wichtigtuer. Fachidioten. Er hasste Studenten. Tomas selber war Maurer.

„Richtige Männer müssen richtig arbeiten, studieren ist was für Weicheier und Schwächlinge“, prahlte er immer und spannte dabei seine unnatürlich aufgepumpten Muskeln an, wobei er irgendwie aussah wie ein Gorilla.

Was für ein Idiot, dachte Sonja und sah aus dem Fenster.

Es war ein sehr schöner Tag, warm und sonnig. Über den makellos blauen Himmel segelte ein einziges weißes Wölkchen, das aussah wie luftige Zuckerwatte. Eine dicke Hummel versuchte sich auf die Blüte einer kleinen Rose zu setzen, die Sonja auf dem Balkon stehen hatte. Die Blüte neigte sich bedenklich unter dem Gewicht des kugeligen Insekts. Nach ein paar vergeblichen Versuchen von der Rose zu naschen, flog sie wieder davon. Es war Juni und die Semesterferien standen kurz bevor.

Sonja blickte wieder zu ihrer besten Freundin Jessy, die verheult und schniefend auf der kuscheligen beigefarbenen Couch hockte und ihre roten, geschwollenen Augen betupfte.

Sie hatten sich vor ungefähr zwei Jahren auf der Uni kennengelernt, als sie am gleichen Projekt arbeiteten. Seitdem waren sie so unzertrennlich wie Zwillinge. Äußerlich waren sie sich sogar sehr ähnlich. Beide waren fünfundzwanzig Jahre alt, etwa gleich groß und hatten lange dunkle Haare. Die meisten Leute, besonders die Männer, sahen nicht weiter hin und schlossen sofort auf eine Verwandtschaft.

„Die sind einfach zu oberflächlich. Haben ihr Hirn ´ne Etage tiefer“, pflegte Sonja dann naserümpfend zu sagen.

Tatsächlich war die Ähnlichkeit auf den zweiten Blick nicht mehr so groß.

Sonjas Augen waren von einem dunklen Braun und leicht mandelförmig. Ihre Haare waren fast schwarz. Sie hatte hohe Wangenknochen und einen großen Mund mit vollen Lippen. Wenn sie lachte, und das tat sie oft, konnte man beneidenswert weiße Zähne sehen.

Sonja war kontaktfreudig und für jeden Spaß zu haben. Immer gut gelaunt konnte ihr kaum etwas die Stimmung vermiesen.

Jessy fand es unglaublich wie viele Leute Sonja kannte. Sie schien mit der halben Stadt befreundet oder bekannt zu sein. Ihre zahlreichen Verehrer wickelte sie um den kleinen Finger. Wie ferngesteuert wuselten sie um Sonja herum und tanzten nach ihrer Pfeife.

Insgeheim beneidete Jessy ihre Freundin oft um ihre Kontaktfreudigkeit, sie selber fand sich etwas zu schüchtern. Sie hatte lieber weniger Menschen um sich und stand nicht so gerne im Mittelpunkt. Auf einige wirkte ihre zurückhaltende Art arrogant. Aber das war sie ganz sicher nicht.

Jessy hatte nicht die wilde, sexy Ausstrahlung ihrer Freundin. Sie wirkte eher sanft und etwas geheimnisvoll.

Hinter langen, sehr dichten schwarzen Wimpern leuchteten smaragdgrüne Augen. Das glatte, dunkle Haar schimmerte in der Sonne in einem warmen Kastanienbraun. Ihr fein geschnittenes Gesicht, mit dem makellosen Teint, war zeitlos schön und sehr ebenmäßig.

Auch Jessy hatte jede Menge Verehrer. Die wenigsten trauten sich allerdings sie anzusprechen, was wohl wieder an ihrem zurückhaltenden Wesen lag.

„Und er hat wirklich gesagt, du darfst dich nicht mehr mit mir treffen? Was soll denn das? Der hat sie doch nicht mehr alle“, schimpfte Sonja jetzt und stand vom Boden auf, wo sie die ganze Zeit gesessen hatte. Sie zupfte sich ein paar graue Katzenhaare ihres Katers Pepe von der Hose und fing an, die herumliegenden zerknautschten Taschentücher einzusammeln.

„Er denkt tatsächlich, ich würde dich zum Fremdgehen anstiften? Wie kindisch ist das denn? Der Mann hat Komplexe. Er denkt sicher du bist zu hübsch für ihn…, was auch stimmt. Und er kann es nicht leiden, dass du studierst. Du könntest dir auf der Uni einen Klügeren als ihn angeln. Was nicht wirklich schwer wäre“, sagte Sonja gehässig. „Ich hab es dir immer gesagt, der Typ ist bescheuert.“

Sonja hatte sich richtig in Rage geredet und riss Jessy energisch das letzte durchweichte Taschentuch aus der Hand.

„Der ist es gar nicht wert, dass seinetwegen überhaupt jemand heult. Man Jessy, er hat dein Handy an die Wand geworfen, weil Marc dich wegen der Prüfung etwas fragen wollte.

Das Armband, das du von deiner Mutter zum Geburtstag bekommen hast, hat her zerrissen, weil er dachte es ist von irgendeinem Typen. Jetzt erzählt er deinem Vater, du würdest dir haufenweise Joints reinziehen, damit du zu Hause rausfliegst. Er weiß doch ganz genau, dass deine Eltern schon ausgerastet sind, als sie mal eine Schachtel Zigaretten in deinem Zimmer gefunden haben. War ja super ausgedacht von ihm. Wahrscheinlich hat Tomas dir gleich angeboten bei ihm einzuziehen, damit er dich komplett unter Kontrolle hat. Mach Schluss, bevor Schlimmeres passiert.“

Sonja hatte einen roten Kopf bekommen und ihre Nasenflügel bebten. Sie war jetzt richtig in Fahrt. Es sah aus, als würde gleich Feuer und Rauch aus ihrem Hals schießen. Und wäre Tomas in diesem Moment hier im Raum gewesen, Sonja hätte ihn vermutlich in Stücke gerissen und an Pepe verfüttert.

Jessy musste grinsen, als sie ihre Freundin so sah. Wie sie da stand mit wütendem Gesicht, die Hände zu Fäusten geballt und sie wild schüttelnd. Wie ein Racheengel. Sehr eindrucksvoll.

Jessy atmete tief durch, sie fühlte sich etwas besser. Mit einer entschlossenen Handbewegung wischte sie eine letzte Träne aus ihren langen Wimpern und griff langsam nach der Tasse, mit dem inzwischen nur noch lauwarmen Kaffee, die Sonja ihr vor einer halben Stunde hingestellt hatte.

„Tja, ist wohl besser, wenn ich ihn loswerde“, murmelte Jessy zwischen zwei Schlucken Milchkaffee nachdenklich.

„Sehr vernünftig“, nickte Sonja zufrieden und entspannte sich sichtlich. „Sowas kann echt ins Auge gehen. Erst sind sie nur eifersüchtig, dann versuchen sie dein Leben zu bestimmen und ehe du weißt was los ist, liegst du angekettet im Keller.“

„Sonja, jetzt hör aber auf. Du hast zu viele schlechte Filme gesehen“, lachte Jessy.

„Kann sein“, sagte Sonja augenzwinkernd. „Aber wenigstens kannst du wieder lachen. Und jetzt hör auf die kalte Brühe da zu trinken, Jessy. Ich mach uns einen neuen Kaffee. Außerdem habe ich eine Überraschung für dich. Betrachte es als verspätetes

Geburtstagsgeschenk. Eine Ablenkung wie diese, wird dir sicher gut tun.“

Jessy sah verwirrt auf und beobachtete, wie Sonja in einem wirren Haufen Papiere auf der Küchenzeile nach etwas suchte. Ein paar von Sonjas Kontoauszügen flogen dabei zur Seite, ein Scheck ihres Vaters hinterher. Sonja brauchte sich um Geld keine Sorgen zu machen. Ihre Eltern hatten ein gut gehendes Elektrogeschäft. Sie wurde während ihres Studiums reichlich finanziell unterstützt. Natürlich wurde sie auch mit dem neuesten Multimedia-Schnickschnack versorgt. Das tollste Handy, ein superflacher Fernseher für die Wand und so weiter. Sonjas neue Wohnung, in der sie sich gerade befanden, war ebenfalls der Großzügigkeit ihres stolzen Vaters entsprungen. „So ein fleißiges Mädchen ist meine Sonja, und gute Noten hat sie. Das muss doch belohnt werden…“

„Da sind sie ja!“, rief Sonja aufgeregt. Sie stürmte auf Jessy zu und wedelte mit zwei länglichen Briefumschlägen.

Jessy stellte endlich die Tasse mit dem kalten Kaffee auf den gläsernen Couchtisch und richtete sich gespannt auf. „Was ist das?“, fragte sie und betrachtete neugierig die Umschläge.

„Das, meine Süße, ist deine verdiente Entspannung. Das ist deine Chance, dich von diesem Spinner zu erholen und Spaß zu haben“, erklärte Sonja mit gespielt hochmütiger Miene und präsentierte Jessy die Umschläge geziert auf der flachen Hand, als wären sie besonders kostbar. Auf einen der Umschläge hatte Sonja mit ihrer zierlichen Handschrift Jessys Namen geschrieben.

Jessy lachte und nahm sich den beschrifteten Brief.

„Was hast du dir wieder einfallen lassen?“, fragte sie grinsend, während sie den Umschlag öffnete.

„Ist es ein Sektfrühstück mit anschließender Massage, oder ist es ein…oh, was…Sonja was ist…bist du verrückt?!“

Sonja hatte sich bereits triumphierend in den Sessel geworfen, der neben der Couch stand, und ließ Jessys verdatterten Gesichtsausdruck genüsslich auf sich wirken. Sie war froh, Jessy nicht mehr weinen zu sehen. Es zerriss ihr das Herz, wenn ihre Freundin traurig war. Sie war ein so liebevoller Mensch und hatte es auf keinen Fall verdient, von so einem ekelhaften Kerl tyrannisiert zu werden.

Jessy hatte gerade ihre Sprache wiedergefunden und hielt den Inhalt des Kuverts in die Höhe. „Das ist ein Flugticket“, sagte sie einfallslos, als ob Sonja es nicht wissen würde.

„Was du nicht sagst“, neckte Sonja sie.

„Ein Ticket nach Mallorca. Mit Hotel für zwei Wochen. Und Halbpension“, leierte Jessy.

„Ja. Halbpension war mir wichtig, da wir wahrscheinlich meistens das Frühstück verschlafen werden“, erklärte Sonja feixend.

Jessy blinzelte. „Mensch, es geht doch nicht um die Halbpension…, du kannst mir nicht einfach einen Urlaub schenken…, weiß du was das kostet?“

„Nö, keine Ahnung. Meine Eltern schenken mir die Reise, weil sie dieses Jahr alleine nach Hawaii fliegen. Zweite Flitterwochen, oder so. Die liegen gerade an so einem Traumstrand mit Palmen und lassen sich bunte Cocktails servieren. Jedenfalls konnte ich mir aussuchen wohin und mit wem ich fliegen möchte, und du bist nun mal meine beste Freundin.“

„Das ist unglaublich, ich kann´s nicht fassen. Das ist echt toll“, seufzte Jessy. Sie sprang auf und fiel Sonja um den Hals.

„Klasse. Ich hatte schon Angst, dein toller Freund würde es dir verbieten. Aber das hat sich ja wohl erledigt“, sagte Sonja erleichtert und erwiderte Jessys Umarmung herzlich.

„So, jetzt mach ich erstmal neuen Kaffee, oder sollen wir gleich mit einem Sekt auf deine neue Freiheit anstoßen?“, lacht Sonja und verschwand wieder in der Küche.

Jessy sah auf das Flugticket.

In Gedanken hatte sie bereits Koffer gepackt und mit Tomas Schluss gemacht. Leider stand ihr beides noch bevor, wobei letzteres das Schlimmere war. Tomas würde ausflippen. Sie beschloss es kurz vor der Abreise zu tun. Jessy schielte noch einmal auf das Ticket. In zwei Wochen ging es los, in zwei Wochen würde sie es ihm sagen. Ihr Magen schnürte sich zusammen. Wie würde er reagieren? Egal. In zwei Wochen würde sie es wissen.

zwei

Einer sieht alles

„Jessy, nun komm schon“, drängelte Sonja ungeduldig. „Ich weiß, wo wir hinmüssen.“

Jessy studierte noch aufgeregt die Anzeige des Monitors im Terminal 2 des Hamburger Flughafens. Sie sah nur Nummern und Uhrzeiten und fragte sich, wie Sonja da so schnell

durchsah. Sie selber war noch nicht oft geflogen und war nicht so routiniert wie Ihre Freundin.

Sonja zupfte sie am Ärmel. „Jessy, los jetzt. Wir checken schnell ein und setzten uns in das Café da oben“, sie deutete mit der Hand in Richtung der Rolltreppen, die in den ersten Stock fuhren.

Von dort oben konnte man, fernab des Trubels, in die Abfertigungshalle blicken, in der sie gerade standen. An einigen der kleinen Tische saßen wartende Passagiere und tranken Kaffee oder kalte Getränke, einige aßen eine Kleinigkeit. Gerade warf ein kleines Kind einen leeren Pappbecher über die Brüstung, seine Mutter schimpfte laut.

Eine große gläserne Tür führte hinaus auf eine weitläufige Terrasse, von wo aus man die Start-und Landebahn sehen konnte. Auch hier standen Tische und Stühle zum bequemen Verweilen.

„Du musst mir doch noch erzählen wie Tomas auf deine Abfuhr reagiert hat. Du hast doch Schluss gemacht, oder? Siehst auch noch ganz gut aus, er hat also nicht versucht dich in Ketten zu legen?“

Jessy riss sich von dem Monitor los und sah schuldbewusst in Sonjas erwartungsvoll blickende Augen.

„Ich war nicht persönlich bei ihm“, gestand Jessy zögernd und zwirbelte eine Strähne ihres langen Haares. „Ich hab ihn aber angerufen und ihm erklärt, dass ich nicht mehr mit ihm zusammen sein kann. Wegen der ganzen Sachen, die vorgefallen sind. Und dass ich mit dir in den Urlaub fahre, um Abstand zu bekommen“

„Ja, und? Ist er nicht sauer geworden?“, fragte Sonja ungeduldig.

„Tja, erst hat er gar nichts gesagt. Ich dachte schon er hätte einfach aufgelegt, aber dann sagte er ganz ruhig, dass er mich immer lieben werde. Er würde schon verstehen, dass mich seine Art erschreckt habe und es täte ihm leid. Dann hat er mir einen schönen Urlaub gewünscht“, endete Jessy.

„Mehr hat er nicht dazu gesagt?“, fragte Sonja erstaunt. „Das klingt so gar nicht nach Tomas. Hat er überhaupt begriffen, dass eure Beziehung endgültig zu Ende ist?“

Jessy zuckte gleichgültig mit den Schultern und sagte: „Keine Ahnung, ist mir eigentlich auch egal. Ist doch gut, dass er mir keine Szene gemacht hat. Ich hatte nämlich schon Angst, dass so was passieren würde. Deswegen wollte ich erst per SMS Schluss machen, das kam mir dann aber doch zu fies vor.“

„Vielleicht braucht sein kleines Gehirn eine Weile, um die Information zu verarbeiten“, meinte Sonja mit einem abfälligen Lächeln. Sie wusste, dass sie gemein war, aber dieser Tomas verursachte ihr eine Gänsehaut. Ihrer Freundin zuliebe hatte sie sich bisher mit allzu bösen Kommentaren zurückgehalten. Als Ex-Freund jedoch war er sozusagen Freiwild für kleine gehässige Lästereien.

Jessy schüttelte mit gespieltem Entsetzen den Kopf und grinste. Sie war jetzt wirklich froh, dass die Geschichte mit Tomas ein Ende gefunden hatte. Wenn sie genau darüber nachdachte fragte sie sich, wieso sie dass eigentlich alles so lange mitgemacht hatte. So toll war kein Mann, dass man unkontrollierte Eifersuchtsausbrüche ertragen musste. Und wer kann schon sagen, was als nächstes passiert wäre. Man hörte ja so einiges. Eifersuchtsdramen nahmen manchmal kein gutes Ende. Jessy lief ein Schauer über den Rücken und sie versuchte nicht mehr darüber nachzudenken.

„Falls ich je wieder einen Freund haben möchte, werde ich den Auserwählten von dir persönlich auf Beziehungstauglichkeit und Hirngröße prüfen lassen“, erklärte Jessy feierlich.

Sonja tätschelte ihr gönnerhaft die Schulter und sagte: „Es wird mir eine Freude sein, meine Süße. Mir schlüpft so leicht kein faules Ei durch die Maschen. Für dich kommt nur der Beste in Frage.“

„Hey! Was soll denn das? “, rief Sonja empört. Ein etwa zwölfjähriger Junge hatte in der Halle mit seinem Fußball gespielt und war dabei offenbar über die, etwas abseits stehenden, Koffer von Sonja und Jessy gestolpert. Sie sahen gerade noch, wie er über Sonjas Koffer fiel und ihn dabei mit sich zu Boden riss. Der Junge rappelte sich aber schnell wieder hoch, rieb sich das rechte Knie und stammelte mit hochrotem Kopf eine hastige Entschuldigung. Aufgeregt, und ohne die Mädchen noch einmal anzusehen, schnappte er sich seinen Fußball und lief eilig davon.

„Kinder“, meinte Sonja nur nachsichtig lächelnd, stellte ihren Koffer wieder aufrecht hin und wandte sich dann Jessy zu.

„Na komm, checken wir ein.“

Das Thema Ex-Freund war damit, zu Jessys Erleichterung, erledigt. Nachdem sie beide ihr Gepäck am Check-In losgeworden waren, schlenderten sie in Richtung Rolltreppe, die sie zum Café hinaufbrachte.

Es war eigentlich ein kleines SB-Restaurant, in dem man auch Sandwiches, Kuchen und sogar ein paar warme Gerichte bekommen konnte.

Jessy nahm sich einen Milchkaffee und ein Schokocroissant. Sonja entschied sich für einen Cappuccino und ein großes Stück Erdbeerkuchen. Sie bezahlten und suchten sich einen Platz, von dem aus sie das Getummel in der Halle unter ihnen beobachten konnten. Auf die große Terrasse wollten sie lieber nicht. Es war heute nicht besonders warm und es hatte gerade zu regnen begonnen. Eigentlich ein typischer Sommer in Hamburg, auf Sonne konnte man sich nicht wirklich verlassen. Beim Anblick des immer stärker werdenden Regens, freuten sie sich noch mehr auf das warme, sonnige Mallorca.

Während sie ihren Kaffee tranken und das Gebäck verspeisten, beobachteten sie die Leute, die unter ihnen beim Einchecken waren. An Schalter Nummer drei, an dem sie selber vorhin gestanden hatten, warteten noch sechs Leute. Ganz vorn am Schalter versuchte gerade eine aufgetakelte Blondine mittleren Alters, ihren riesigen Koffer auf das Band zu wuchten. Hilfe suchend sah sie den jungen Mann hinter sich an, der hatte aber nur Augen für seine ebenso junge Freundin. Anscheinend waren sie frisch verliebt, denn sie hielten sich an beiden Händen, tauschten schmachtende Blicke und küssten sich hin und wieder. Genervt wandte die Blondine sich wieder ihrem Koffer zu, aber ein aufmerksamer Gentleman aus der Reihe neben ihr, hatte sich ihm schon angenommen. Erfreut lächelte sie ihn an, warf ihr Haar in den Nacken und ließ ihn großzügig in ihren tiefen Ausschnitt starren.

Hinter den Verliebten stand ein älteres Ehepaar mit ihrem ungefähr neunzehnjährigen Sohn, welcher mürrisch ins Leere starrte. Er hatte seine Hände tief in die Taschen seiner Jeans gesteckt und hatte allem Anschein nach, nicht die geringste Lust die Ferien mit seinen Eltern auf Mallorca zu verbringen.

Worüber sich die Menschen dort unten unterhielten, konnten Sonja und Jessy nicht verstehen. Die Entfernung war dafür viel zu groß, außerdem herrschte ein ziemlicher Lärm um sie herum. Durch das Stimmengewirr der vielen Menschen drangen hin und wieder Lautsprecherdurchsagen, die auf bevorstehende Abflüge aufmerksam machten, verspätete Fluggäste zum Boarding baten, oder alle Wartenden zu ermahnen ihr Gepäck nicht aus den Augen zu lassen.

Nachdem Sonja und Jessy ihren kleinen Imbiss beendet hatten, machten sie sich auf den Weg zur Abflughalle. Sonja wollte unbedingt noch durch die kleinen Boutiquen stöbern, die auf dem Weg dorthin überall waren. Es gab keinen Laden, der vor Sonja sicher war, sie liebte Shopping. Das führte leider auch häufig dazu, dass sie Dinge kaufte, die ihr später gar nicht mehr gefielen. Jessy hatte dadurch schon so manch schöne Handtasche oder Schmuckstücke von ihrer Freundin abstauben können. Teilweise beschlich Jessy jedoch die Ahnung, dass Sonja absichtlich Sachen kaufte, die hauptsächlich Jessy gefielen. Indem sie dann einfach behauptete, sie wolle gerade Gekauftes doch nicht mehr haben, brauchte Jessy nicht das unangenehme Gefühl zu haben ständig von ihr beschenkt zu werden. Im Gegensatz zu Sonja hatte Jessy eben kaum Geld um sich mal etwas Teureres zu leisten. Und da Sonjas Herz genau so groß war wie ihr Bankkonto, konnte es durchaus sein, dass sie mit diesen kleinen Schwindeleien ihrer Freundin eine Freude machen wollte.

Als sie aufgestanden waren und sich auf den Weg machten merkten sie nicht, dass sie beobachtet wurden.

***

„Alex, Schätzchen, was ist mit dir? Du bist so still auf einmal. Alles in Ordnung?“

Alex Mutter strich ihm besorgt über sein zerzaustes Haar. Er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass seine Eltern bereits einige Schritte vorgerückt waren. Er hatte etwas gesehen, das ihn an die furchtbare Sache vor drei Jahren erinnerte und grübelte gerade darüber nach.

„Was? Ach, nichts. Ich musste nur wieder an Katja denken…“, sagt Alex und nahm die Hände aus seiner Jeans.

„Alex, es ist für alle schrecklich, aber du musst versuchen darüber hinwegzukommen. Es war ein Unfall“, sagte seine Mutter mit betont sachlicher Stimme, aber sie merkte wie ihre Augen sich mit Tränen füllten und atmete tief durch.

Auch Alex hatte bemerkt, dass seine Mutter mit den Tränen kämpfte. Er wollte nicht, dass sie wieder weinte und sagte nichts mehr. Aber er wusste, dass es damals kein Unfall gewesen war. Es war Mord.

Als er noch einmal zum Café hinaufschaute sah er, dass die beiden Mädchen gegangen waren.

***

Am Gate D4 angekommen, sahen Sonja und Jessy, dass das Boarding bereits in Gang war. Eine lange Schlange hatte sich schon vor dem Schalter für den Abflug gebildet. Das Schalter-Personal nahm die Bordkarten entgegen und ließ die Passagiere nacheinander in den überdachten Gang gehen, der direkt vom Gate zum Flugzeug führte.

Jessys Blick fiel auf die Blondine, die sie vorhin vom Café aus beobachtet hatten. Sie flirtete gerade ungeniert mit einem älteren Herrn und ignorierte hartnäckig die vernichtenden Blicke seiner angesäuerten Ehefrau.

So aus der Nähe betrachtet konnte Jessy sehen, dass die Blondine noch gar nicht so alt war, wie sie gedacht hatten. Sie war mit Sicherheit nicht viel älter als dreiundzwanzig. Es war nur das dicke, ziemlich billig wirkende Make-up, dass sie so alt machte.

Sonja war Jessys Blick gefolgt und dachte offenbar das Gleiche.

„Die schon wieder! Was für eine Tussi. Sie hält sich offenbar für unwiderstehlich mit dem ganzen Kleister“, schnaubte sie. „Ich wette mit dir, sie ist auch in unserem Hotel, hat das Zimmer neben uns und isst mit uns am selben Tisch. Wenn du jemanden am Flughafen schon gefressen hast, dann verfolgt er dich im ganzen Urlaub.“

Jessy kicherte. Sie liebte es, wenn Sonja sich so theatralisch aufregte. Sie konnte sich bereits bildlich vorstellen, wie ihre Freundin mit dem Blondchen aneinandergeriet. Sonja konnte Mädchen nicht ausstehen, die sich auf billige Art und Weise zum Lustobjekt machten und dachten, dass alle Typen ihretwegen Frau oder Freundin verlassen würden.

Jessy sah sich weiter die wartenden Fluggäste an und ihr Blick blieb an dem mürrisch dreinschauenden jungen Mann hängen, den sie ebenfalls am Schalter beim einchecken beobachtet hatten. Er drückte sich hinter einer Säule herum, als lauere er auf irgendetwas, seine Eltern waren nirgends zu sehen. Jessy lief eine Gänsehaut über den Rücken, der Kerl starrte zu ihnen hinüber, er fixierte sie regelrecht mit zu kleinen Schlitzen verengten Augen.

Als er bemerkte, dass Jessy ihn entdeckt hatte und zurückstarrte, sah er schnell weg. Er tat so, als würde er jemand suchen und verschwand dann in einer Gruppe von Menschen, die sich gerade erhoben hatte, um sich zum Flugzeug zu begeben.

Jessy blinzelte und überlegte was sie davon halten sollte. War es Zufall, dass der Mürrische sie so fixiert hatte? Aber warum hatte er sich halb hinter der Säule versteckt gehalten? Und warum hatte er sich so merkwürdig verhalten, als sie ihn bemerkt hatte?

Es war natürlich nichts Ungewöhnliches, wenn ein Mann zwei hübsche Mädchen ansah, weil sie ihm gefielen. Und wenn er sehr schüchtern war, wäre es ihm auch unangenehm gewesen, wenn er sich dabei ertappt fühlte. Nur hatte dieser schlecht gelaunte, fast schon böse dreinblickende Spanner nicht viel gemeinsam mit einem schüchternen, schmachtenden Verehrer.

Jessy kam nicht dazu weiter darüber nachzudenken, Sonja zog sie mit sich, Richtung Schalter.

Sie gaben ihre Bordkarten der freundlichen Dame vom Bodenpersonal und wurden mit einem Lächeln und „Guten Flug“ in den Gang zur Maschine gelotst.

Die meisten Passagiere waren schon an Bord und hatten ihr Handgepäck verstaut. Eine alte Dame schimpfte gerade auf die Stewardess ein, weil diese ihr Handgepäck in den Laderaum verfrachten wollte, es sei zu groß. Sonja meinte, das sei mal wieder typisch. Einige Leute schleppten geradezu koffergroßes Handgepäck in die Kabine, obwohl es eine Begrenzung auf fünf Kilo gab. Da jeder Fluggast auf Kurzstrecke ein Gewicht von zwanzig Kilo frei hatte, kamen einige auf die Idee einfach mehr in ihr Handgepäck zu stopfen, aus Angst für Übergepäck zahlen zu müssen.

„Geben sich hier wie Lord Irgendwas und sind zu geizig für ihren ganzen Kram zu bezahlen“, zischte Sonja durch die Zähne und wich dem schweren Alukoffer aus, den die Stewardess nun entschlossen gepackt hatte und energisch von der protestierenden Dame wegzerrte.

Sonja und Jessy setzten sich auf ihre Plätze in Reihe fünf und schnallten sich schon mal an.

Jessy hatte den Fensterplatz und schaute gebannt nach draußen. Sie sah, wie die letzten Gepäckstücke verstaut wurden und der Tankwagen davonrollte. Ein Fluglotse kam geschäftig angelaufen und gab dem Piloten im Cockpit Zeichen. Sonja hatte sich das Bordmagazin geschnappt und studierte die Seiten des Bordshops. Die letzten Passagiere kamen eilig ins Flugzeug und suchten hektisch ihre Plätze. Wenig später ging es los. Das Flugzeug begann sich zu bewegen. Jessy hatte einen Kloß im Hals. Mit achtzehn war sie mit ihrem damaligen Freund mal nach Paris geflogen. Ein kleiner romantischer Urlaub, in dem sie allerdings nicht sehr viel von der Stadt zu sehen bekamen. Wenn sie sich gerade mal nicht geküsst hatten, waren sie damit beschäftigt gewesen sich Liebesschwüre ins Ohr zu hauchen.

Als Jessy zwanzig war, hatten sie sich getrennt, weil er die gleichen Liebeleien auch einer anderen ins Ohr gesäuselt hatte. Sie hatte den Untreuen, wütend und verletzt, in die Wüste geschickt und war mit ihren letzten paar Kröten spontan zu ihrer, in München lebenden Schwester geflogen, um sich auszuheulen.

Bei diesen beiden Flugerfahrungen war es bis heute geblieben. Daher war es nicht verwunderlich, dass Jessy etwas mulmig zu Mute war. War jemals ein Flugzeug nach Mallorca abgestürzt? Nicht, dass sie wüsste. Also nur nicht verrückt machen. Jessys Hände waren schweißnass. Die Maschine wurde immer schneller, Jessy wurde in ihren Sitz gepresst. Sie krallte sich in die Armlehnen und war käseweiß im Gesicht. Ihr war übel. Als sie abhoben gab Jessy ein würgendes Geräusch von sich und schloss die Augen.

„Hey, entspann dich mal“, sagte Sonja sanft zu Jessy und ergriff ihre Hand. „Du hättest mir sagen können, dass du Flugangst hast.“

Jessy drückte dankbar Sonjas Hand und lächelte schwach. „Geht gleich wieder“, presste sie durch die zusammengebissenen Zähne. Ist bloß der Start.“

Als das Flugzeug die Reisehöhe von circa 11000 Metern erreicht hatte und die Anschnallzeichen erloschen, entspannte sich Jessy langsam. Die ungesunde weiße Hautfarbe, die sogar einen leichten Grünstich gehabt hatte, wich wieder Jessys frischem Teint. Auch das hübsche Lächeln war wieder da. Es war ihr ein bisschen peinlich vor Sonja, der das Ganze anscheinend überhaupt nichts ausmachte. Sie saß cool, fast schon gelangweilt, in ihrem Sitz, als ob sie jeden Tag fliegen würde. Jessy riss sich zusammen und konzentrierte sich auf die schönen Seiten des Fliegens. Sie blickte aus dem Fenster und sah unterhalb des Flugzeugs flauschige Wolken vorüberziehen. Die Sonne schien von oben auf sie herab, was sie bezaubernd leuchten ließ. Es sah aus, als könne man sich auf sie legen und umhersegeln. Jessy lächelte. Das Abenteuer Mallorca konnte beginnen.

drei

Oleander und Pinien

Der Flug verlief angenehm ruhig und die Zeit verging einigermaßen schnell. Bald nach dem Start wurde ihnen ein kleiner Imbiss serviert. Da es bereits zwanzig Uhr war gab es Abendbrot, das aus zwei kleinen Roggenbrötchen und einer Scheibe Schwarzbrot bestand. In einer anderen Schale lagen zwei winziges Päckchen, eins mit Butter eins mit Frischkäse, und als Aufschnitt gab es je zwei kleine Scheiben Kochschinken, Salami und milden Käse. Dazu ein saftiges Salatblatt und eine Cocktailtomate. Als Nachtisch stand ein Schälchen mit Obstsalat auf dem Tablett.

Sonja war begeistert von diesem Service. Sie meinte, bei einigen Fluggesellschaften gäbe es nur ein scheußlich schmeckendes Sandwich und vielleicht einen Joghurt dazu.

Während sie aßen, verfolgten sie einen Reisebericht über Lanzarote, der auf dem Bildschirm über ihnen zu sehen war. Danach bewunderten sie den wunderschönen Sonnenuntergang, der den gesamten Himmel rot färbte und unterhielten sich über ihren bevorstehenden Urlaub, und was sie alles auf Mallorca machen wollten. Später lösten sie gemeinsam ein Kreuzworträtsel und waren erstaunt, wie spät es schon war. Die Anschnallzeichen leuchteten mit einem Signalton auf und der Flieger setzte zum Landeanflug auf Palma an, der Hauptstadt von Mallorca.

Jessy war aufgeregt. Sie hatte schon viel von Mallorca gehört, aber sie war noch nie selber dort gewesen. Eigentlich hatte sie noch nie eine so weite Reise gemacht. Als Jessy klein war, war sie mit ihren Eltern oft nach Dänemark gefahren. Das war auch schön gewesen, leider hatte es meistens geregnet und zum Baden war es häufig zu kalt. Oft saßen sie nach langen Spaziergängen gemütlich vor dem Kamin des gemieteten kleinen Häuschens. Jessys Mutter hatte dann immer leckeren, heißen Kakao gemacht und es wurden Brettspiele gespielt oder gebastelt. Jessy fand das super, aber nach Mallorca wollte sie schon immer mal. Sonja wusste das. Wahrscheinlich hatte sie auch genau deswegen Mallorca als Reiseziel ausgewählt. Sonja selber war schon ziemlich oft dort gewesen. Ihre Eltern liebten die Insel.

„Einfach fantastisch, eine Perle des Mittelmeeres. Wer die Schönheit von Mallorca nicht sieht, muss blind sein wie ein Maulwurf“, schwärmte Sonjas Mutter oft mit verträumten Augen. Sie überlegten sogar, sich dort im Rentenalter niederzulassen.

Es war jetzt ganz dunkel. Jessy sah wieder aus dem Fenster und ließ ein begeistertes „Oh, wie schön!“ hören. Es sah toll aus, Mallorca leuchtete wie ein Weihnachtsbaum. Tausende von Lichtern ließen die Umrisse der Insel erahnen, am hellsten strahlten die Küstenorte. Zur Mitte hin wurden die Lichter schwächer, nur an einigen Stellen funkelte es hell.

Sie überquerten einmal den Luftraum der ganzen Insel, um dann nach einer großen Kurve vom Süden her, über den Hafen von Palma hineinzukommen. Sie flogen schon sehr tief und man konnte hell erleuchtete Boote sehen, die vor der Küste Mallorcas ankerten und sanft auf dem Wasser schaukelten. Es sah sehr idyllisch aus. Da kam schon die Landebahn in Sicht, deren blinkende Lichter dem Piloten den Weg wiesen. Jessy fand das alles sehr eindrucksvoll und starrte mit offenem Mund nach draußen.

Sonja betrachtete sie amüsiert lächelnd und freute sich, dass es ihrer Freundin gefiel.

Mit einem sanften Ruck setzte der Pilot die Maschine gekonnt auf die Landebahn. Aus dem hinteren Teil drang ein lautes Klatschen.

„Wie peinlich, es gibt diese bescheuerten Klatscher immer noch. Als ob der Pilot gerade seine erste Landung hingelegt hätte. Wenn ein Busfahrer an der Haltestelle stoppt klatscht doch auch keiner“, kommentierte Sonja den Applaus.

„Das ist die Erleichterung, endlich wieder unten zu sein“, vermutete Jessy grinsend und verschwieg verlegen, dass sie auch beinahe mitgeklatscht hätte.

Immer langsamer werdend, rollten sie in Richtung Terminal, wo eine faltbare Gangway auf sie wartete. Ein Mann mit gelber Warnweste saß an einem kleinen Pult und bediente ein paar Hebel. Als das Flugzeug seine endgültige Parkposition erreicht hatte, platzierte er das offene Ende der Gangway geschickt genau auf der Tür der Maschine. Es sah aus, als ob sich ein riesiger Wurm angesaugt hätte.

Sonja streckte sich ausgiebig und gähnte laut. „Geschafft, ich kann schon nicht mehr sitzen“, sagte sie und stand auf.

Die anderen Passagiere hatten sich ebenfalls erhoben und angelten nach ihrem Handgepäck in den Fächern über ihnen. Es dauerte eine Weile, bis das Gewusel abebbte und sie das Flugzeug verlassen konnten.

Der Flughafen von Palma war riesig. Weitläufige Hallen führten zu den einzelnen Gates. Es gab Laufbänder mit denen man schneller vorankam. Sie sahen aus wie Rolltreppen, nur dass sie eben flach waren. Trotzdem schien der Weg kein Ende zu nehmen und als sie bei der Gepäckausgabe ankamen, liefen schon die ersten Koffer auf den Bändern ein.

Wie zu erwarten war, drängten sich die Fluggäste aus Hamburg nun aufgeregt um das Gepäckband, und zwar alle ganz vorne, wo die Koffer aus einer Öffnung auftauchten.

Wenn einer sein Hab und Gut erspäht hatte, drängte er sich durch die Massen und wuchtete das Gepäckstück dann mit Schwung vom Band, garantiert in die Magengrube eines Mitreisenden.

Kopfschüttelnd deutete Sonja auf das Menschenknäuel. „Warum machen die das immer? Da hinten, am Ende des Laufbandes, ist jede Menge Platz und es dauert nur ungefähr eine Minute länger, bis die Koffer auch dort ankommen. Sieh mal, da ist schon Deiner Jessy.“

Nach einer Weile fuhr auch Sonjas Koffer heran. Als sie ihn vom Band nehmen wollte zögerte sie. Sie wollte sich vergewissern, dass es wirklich ihr Koffer war und suchte nach dem kleinen Papieranhänger, auf dem ihr Name, das Hotel, der Ort und der Zielflughafen standen. Sie konnte ihn nirgends entdecken. Da der Koffer aber ganz sicher wie Ihrer aussah, zog sie ihn dennoch herunter.

„Wo ist der Anhänger?“, fragte sie und sah Jessy fragend an. „Ist Deiner noch da?“

„Ja, meiner ist noch dran. Ist wahrscheinlich beim Transport abgerissen worden“, vermutete Jessy schulterzuckend.

„Egal. Das ist auf jeden Fall mein Koffer. Ich erkenne ihn an der dicken Schramme hier. Die hatte er gleich bei seinem ersten Flug bekommen“, sagte Sonja und befühlte den tiefen Kratzer auf ihrem Samsonite Hartschalen-Koffer.

„Gut. Nicht, dass du den falschen Koffer mitnimmst und am Ende vielleicht gezwungen bist Herrenklamotten zu tragen“, überlegte Jessy mit ernster Mine.

„Ist vielleicht gar nicht so schlecht. Damit könnte man gut ein paar Speckröllchen kaschieren“, überlegte Sonja und kniff sich in ihren absolut flachen Bauch.

Beide grinsten. Keiner von ihnen musste sich über Speckröllchen Gedanken machen. Jessy hatte von Natur aus eine zarte Figur und musste nicht allzu viel dafür tun. Sonja dagegen, zog jeden Tag ein kleines Fitnessprogramm durch, um in Form zu bleiben. Eine halbe Stunde Joggen und gezielte Bauch-Beine-Po-Übungen waren Pflicht.

Nachdem sie sich lachend gegenseitig in ihr nicht vorhandenes Fett gekniffen hatten, nahmen sie endlich ihre Koffer und schlenderten zum Ausgang.

Ein paar Reiseleiter, mit Schildern der jeweiligen Veranstalter, warteten am Ausgang. Sonja stürzte sich auf die Tui-Tante, wie sie sagte, und nannte ihr Hotel, worauf sie zu Bus Nummer dreiundachtzig geschickt wurden.

Als Sonja und Jessy das klimatisierte Flughafengebäude verließen, schlug ihnen angenehm warme Luft entgegen. Jessy atmete tief ein und lächelte. Die Luft roch würzig nach Pinien und irgendeiner Blume, die Jessy nicht kannte. Ganz in der Nähe, in einem Oleanderbusch, zirpte eine Grille. Große Laternen warfen ein schmeichelndes gelbliches Licht auf den großen Parkplatz vor dem Gebäude. Einige Busse warteten dort mit laufendem Motor, wahrscheinlich damit die Klimaanlage kühlte. Die Busfahrer vertraten sich die Beine oder hielten ein Schwätzchen mit den Kollegen. Sie waren zwar noch am Flughafen, aber Jessy gefiel es hier jetzt schon. Sie vernahm ein leichtes Kribbeln in der Magengegend, wie es frisch Verliebte spürten, wenn sie sich ansahen. Es war ein ganz besonderes Gefühl. Ein Gefühl, als ob sie hierher gehörte.