Schatten über Nicholas - J. S. Fletcher - E-Book

Schatten über Nicholas E-Book

J.S. Fletcher

0,0

  • Herausgeber: Reese Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Der junge Ronald Camberwell tritt eine Stelle als Gesellschafter und Bibliothekar in Wrides Park, einem Landsitz in der Grafschaft Surrey an. Eines Tages taucht dort ein Fremder auf, der sich im Hause des wohlhabenen Gutsbesitzers Christopher Nicholas äußerst fragwürdig benimmt und alsbald im Park als Leiche aufgefunden wird. Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf und Mr. Nicholas gerät unter Mordverdacht. Bei der Verhandlung vor dem Polizeigericht klinkt sich der Privatdetektiv Chaney in den Fall ein, der mit messerscharfen Verstand analysiert, in London und an der südenglischen Küste recherchiert und zusammen mit dem zu vorschnellen Schlüssen neigenden Kriminalbeamten Seargent Willerton das Rätsel um den toten Fremden zu lösen versucht. Bevor der Fall aber endgültig ad acta gelegt werden kann, taucht noch ein Lebewesen mit zehn Buchstaben auf und gibt dem Kriminalroman zum guten Schluss zusätzlichen Biss. J. S. Fletcher, eigentlich Joseph Smith Fletcher (* 7. Februar 1863 in Halifax, West Yorkshire; † 30. Januar 1935) war ein englischer Journalist und Schriftsteller. Neben historischen und wirtschaftlichen Betrachtungen seiner näheren und weiteren Heimat veröffentlichte Fletcher auch über 100 Kriminalromane, die nicht nur Woodrow Wilson, dem damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, begeisterten. Die besten von ihnen sind in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt worden und erreichten wie die Kriminalromane von Sir Arthur Conan Doyle und Edgar Wallace Weltgeltung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 255

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Titelseite

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

Über den Autor

Impressum

Hinweise und Rechtliches

E-Books im Reese Verlag:

J. S. Fletcher

Schatten über Nicholas

Kriminalroman

Reese Verlag

1

Am 1. März trat ich meine Erbschaft an. An diesem Tag zahlten mir die Treuhänder, die meine Vormundschaft geführt hatten, die Summe von sechstausend Pfund aus. Mit fünf Prozent verzinst, wirft dieser Betrag im Jahr dreihundert Pfund ab, und ich mußte daher etwas unternehmen, um mein Einkommen zu erhöhen. Aber was sollte ich tun? Niemals hatte ich die geringste Neigung verspürt, bei der Marine oder im Heer zu dienen; ebensowenig fühlte ich mich zur Kirche, zur Bühne, zum juristischen oder medizinischen Studium hingezogen. Aber ich mußte mir eine Beschäftigung suchen, und deshalb kaufte ich mir, als ich das Büro der Rechtsanwälte verließ, die neueste Nummer der „Times“ und las die Stellenangebote durch. Schließlich fand ich folgende Annonce, die mein Interesse erregte:

Der Inserent sucht die Gesellschaft eines jungen, wohlerzogenen Herrn von verträglichem Charakter, der ausgesprochene Vorliebe für Bücher besitzt und außerdem gewillt ist, auf dem Lande zu leben. Er würde ferner seinen Herrn gelegentlich auf Reisen ins Ausland zu begleiten haben. Kenntnisse in Billard und Whist (nicht Bridge) wären erwünscht. Gehalt jährlich fünfhundert Pfund. Bewerbungen mit Bild, ausführlichem Lebenslauf und mindestens zwei erstklassigen Referenzen erbeten an die „Times“, E.C.4, Nr. X. Y. C. 3748.

Ich saß gerade beim Mittagessen im Holborn-Restaurant, als ich diese Anzeige las, und schon, bevor ich mit der Mahlzeit fertig war, hatte ich beschlossen, meine Bewerbung einzuschicken. Die Stellung schien wie für mich geschaffen zu sein, vorausgesetzt natürlich, daß mir der betreffende Herr sympathisch war. Ich liebte Bücher über alles und besaß selbst eine sehr schöne Bibliothek; ich zog ein Leben auf dem Lande den Zerstreuungen der Stadt bei weitem vor, und gelegentliche Reisen ins Ausland waren mir höchst willkommen. Für einen Amateur konnte ich leidlich Billard spielen, und da ich im Hause meines Vormunds etwas altmodisch erzogen worden war, stand ich auch beim Whistspiel meinen Mann. Meines Aussehens brauchte ich mich nicht zu schämen; das Foto, das ich einschickte, zeigte einen hübschen jungen Mann. Und an guten Referenzen hätte ich mindestens zwei Dutzend angeben können.

Zwei Wochen lang hörte ich nichts, und ich glaubte schon, daß nichts aus der Sache werden würde. Aber am nächsten Morgen erhielt ich folgenden Brief:

Wrides Park, Havering St. Michael, Surrey, 15. März.

An Mr. Ronald Camberwell.

Sehr geehrter Herr, in Beantwortung Ihres Schreibens vom 1. d. M. teile ich Ihnen mit, daß ich mich sehr freuen würde, wenn Sie mich morgen, am 16. März, um vier Uhr nachmittags im Hotel Claridge auf suchen wollten. Sollte Ihnen diese Zeit ungelegen sein, so benachrichtigen Sie mich bitte und schlagen dann selbst vor, wo und wann wir uns sprechen können.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Christopher Nicholas.

Ich hatte zu der angegebenen Zeit nichts vor, und fünf Minuten vor vier trat ich durch die große Schwingtür des Hotels Claridge und fragte nach Mr. Nicholas. Vermutlich war er nach London gekommen, um mit verschiedenen Herren zu verhandeln, die er in engere Wahl gezogen hatte, und ich glaubte bestimmt, daß ich viele Mitbewerber vorfinden würde. Aber ich wurde sofort zu den Räumen von Mr. Nicholas geführt.

Als ich eintrat, waren zwei Personen zugegen. Die eine war ein großer, schlanker Herr von etwa sechzig bis fünfundsechzig Jahren. Erst später erfuhr ich, daß er bedeutend jünger war. Haar und Bart waren bereits gelichtet und der Schnurrbart vollkommen weiß. Er ging etwas gebückt und hatte ein blasses, kränkliches Aussehen, war aber äußerst elegant in der Art eines vornehmen Gentlemans vom Lande gekleidet. Sein Blick war merkwürdig bedrückt, als ob er große Sorgen oder in letzter Zeit Schweres durchlebt hätte. Aber sein Wesen war liebenswürdig und gewinnend, und er benahm sich mir gegenüber fast wie ein väterlicher Freund, obwohl wir uns noch gar nicht kannten. Es fiel mir jedoch auf, daß eine gewisse Zurückhaltung, ja Scheu den Grundzug seines Charakters bilden mußte.

In einem Sessel saß eine junge Dame, die ungefähr dreiundzwanzig Jahre zählte. Sie hatte eigenartige Züge und machte einen fast männlichen Eindruck. Schön konnte man sie nicht nennen, aber ein Paar dunkle, kluge Augen machten ihr Gesicht sympathisch.

„Dies ist Miß Starr, meine Nichte“, sagte Mr. Nicholas.

Ich machte eine Verbeugung und beobachtete, daß sie mich sehr genau und kritisch musterte. Auf eine Aufforderung von Mr. Nicholas nahm ich zwischen den beiden auf einem bequemen Sessel Platz. Er zog mich in eine längere Unterhaltung, an der sich Miß Starr kaum beteiligte. Ich nahm an, daß sie nur sprach, wenn es unumgänglich notwendig war. Ihr Onkel dagegen hatte eine leichte und angenehme Art, sich zu unterhalten, und schon nach ein paar Minuten verstanden wir uns ausgezeichnet.

„Wären Sie wohl imstande, meine Bibliothek in Ordnung zu bringen, sie neu einzuteilen und einen Katalog aufzustellen?“ fragte er nach einiger Zeit. „Als ich vor einigen Jahren den Landsitz Wrides Park von einer Tante erbte, fand ich dort eine sehr gute Bibliothek vor. Es sind meistens Bände aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, die einen großen Wert repräsentieren. Aber im Lauf der Jahre ist diese Bibliothek leider etwas in Unordnung geraten. Würden Sie sich Zutrauen, diese Aufgabe zu lösen? Sie können sich ruhig Zeit dazu lassen, die Sache eilt nicht“, setzte er fast entschuldigend hinzu.

Ich hatte natürlich nichts dagegen. Mr. Nicholas war mir äußerst sympathisch und hatte sofort mein Interesse und meine Neugierde erweckt. Nach einer kurzen Besprechung waren wir miteinander einig und machten aus, daß ich am nächsten Montag meine Stellung in Wrides Park antreten sollte.

„Ich glaube, wir beide werden ganz gut miteinander auskommen“, meinte er mit einem etwas verlegenen Lächeln, als er mir zum Abschied die Hand reichte. „In Wrides Park gefällt es Ihnen sicher gut, es ist ein geradezu idyllisch gelegener Platz.“

Als ich ankam, sah ich, daß er nicht übertrieben hatte. Der Ort lag in einem wundervollen Tal im schönsten Teil von Surrey, und zwar in der Nähe von Havering St. Michael. Das solide Steinhaus mochte etwa hundertfünfzig bis zweihundert Jahre alt sein, aber es war in modernem Stil umgebaut und mit allem Luxus ausgestattet. Es erhob sich mitten in einem Park, der mehrere hundert Morgen groß war und einen reichen Baumbestand aufwies. Die Gegend war um so reizvoller, als ein kleiner Fluß das Gelände belebte, der sich von Norden nach Süden zog. Die Gärten und die Parkanlagen in der Nähe des Hauses waren gepflegt und in bester Ordnung; überall zeigte sich, daß Mr. Nicholas ein Mann von gutem Geschmack und großem Vermögen sein mußte.

Der Eindruck, den ich von außen hatte, wurde bestätigt, als ich die inneren Räume betrat. In Wrides Park war alles aufs beste eingerichtet, und ein zahlreiches Dienstpersonal hielt die Räume in Ordnung. Mr. Nicholas besaß auch mehrere Autos und eine Anzahl guter Pferde. Ich fand das um so erstaunlicher, als der Haushalt nur aus drei Personen bestand. Zu den achtzehn Dienstboten, die das Haus zu betreuen hatten, kamen noch mehrere Chauffeure, Kutscher, Reitknechte und Gärtner. Das erschien mir fast unerklärlich, denn während der Zeit, die ich in Wrides Park zubrachte, lud Mr. Nicholas nicht ein einziges Mal Gäste ein. Ich erfuhr auch von dem Kammerdiener, daß Mr. Nicholas keine Geselligkeit liebte.

Die Dienerschaft entsprach den höchsten Erwartungen. Hoiler, der Butler, und Mrs. Hands, die Haushälterin, waren dem Personal vorgesetzt. Mrs. Hands war groß und stark wie ein Grenadier. Gewöhnlich trug sie nachmittags ein schwarzseidenes Kleid, und obwohl sie mir stets mit dem größten Respekt entgegenkam, merkte ich doch, daß sie eine viel höhere Stellung einzunehmen glaubte als ein bezahlter Gesellschafter. Auch Hoiler schien von seinem Wert durchaus überzeugt zu sein; im übrigen war er ein ruhiger, reservierter Mann von etwa fünfzig Jahren. Er nahm es sehr ernst mit der Erfüllung seiner Pflichten und besaß das volle Vertrauen seines Herrn. Mr. Hoiler und Mrs. Hands teilten sich in die Verwaltung des Hauses und machten es so behaglich und komfortabel wie ein elegantes Hotel. Der Haushalt klappte wie eine gut geölte Maschine.

In den ersten Tagen meiner Anwesenheit machte ich mich mit den Lebensgewohnheiten von Mr. Nicholas vertraut, die er pünktlich einhielt. Wenn es das Wetter gestattete, ritt er morgens mit Miß Starr aus. Später beschäftigte er sich im Garten und in der Bibliothek, bis es Zeit zum Mittagessen wurde. Dann schlief er bis gegen drei Uhr und machte nachher mit seiner Nichte eine Spazierfahrt im Auto. Nach der Rückkehr trank er Tee und spielte mit mir Billard, bis wir uns zur Abendmahlzeit umkleiden mußten. Genau um neun Uhr setzte er sich an den Kartentisch. Zu meiner Verwunderung bemerkte ich, daß der vierte Spieler Mr. Hoiler war, der jeden Abend pünktlich auf die Minute erschien. Miß Starr und ich konnten gut Whist spielen, aber wir wurden von Mr. Nicholas und Mr. Hoiler weit in den Schatten gestellt.

Einen Monat lang ging das Leben in Wrides Park seinen gewohnten Gang, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete. Ich fand meinen Posten sehr angenehm, obwohl die streng eingehaltene Regelmäßigkeit allmählich etwas monoton auf mich wirkte. Ich hatte eine Anzahl von Räumen für mich allein; ein Kammerdiener erfüllte alle meine Wünsche, und mit Ausnahme der Zeit, die ich Mr. Nicholas beim Billard- und Whistspiel widmen mußte, konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Der Park war ausgedehnt und wildreich, so daß es sich lohnte, auf die Jagd zu gehen. In nächster Nähe lag auch ein Kricketklub, und Mr. Nicholas hatte mir versprochen, daß wir ihn häufiger besuchen wollten, wenn es erst Frühling sein würde.

Die alte Bibliothek interessierte mich außerordentlich; sie nahm drei große Räume ein und bestand aus vielen tausend Bänden in allen Größen und Ausstattungen. Ich machte mich sofort an die Arbeit und begann mit dem Ordnen und Katalogisieren der kostbaren Werke.

Ungefähr vier Wochen nach meiner Ankunft war ich eines Morgens wieder damit beschäftigt, als der Diener Jeeves zu mir in die Bibliothek kam. Er sah mich etwas verwirrt an.

„Es tut mir leid, daß ich Sie stören muß“, sagte er, „aber es ist ein Fremder da - ich weiß kaum, wie ich ihn beschreiben soll. Jedenfalls ein ganz eigentümlicher Mensch. Er behauptet, daß Mr. Nicholas ihn kennt, aber er will seinen Namen nicht nennen. Wie Sie wissen, ist Mr. Nicholas mit Miß Starr ausgeritten, und Mr. Hoiler ist nicht im Haus, der hat heute seinen freien Tag. Deshalb habe ich mir erlaubt, zu Ihnen zu kommen.“

„Wo ist der Mann denn?“

„Im Speisezimmer - er ist einfach dorthin gegangen. Als ich ihm öffnete, sagte ich sofort, daß Mr. Nicholas nicht zu Hause sei. Er erwiderte barsch, daß das nichts ausmache - er wolle auf ihn warten, bis er zurückkomme. Dann ging er glatt an mir vorbei. Er ist groß und stark und redet ziemlich vulgär. In der Eingangshalle hat er sich unverschämt umgesehen und ist dann ohne weiteres ins Speisezimmer marschiert. Und ich glaube, er hat sich auch gleich die Whiskyflasche vom Büfett genommen!“

Ich ging sofort mit Jeeves ins Speisezimmer und war gespannt, was für einen Menschen ich finden würde. Die Tür war angelehnt; ich stieß sie auf und trat ein. Am Büfett stand ein großer Mann mit braungebranntem Gesicht. Er hatte sich ein Glas Whisky eingeschenkt und hielt einen Siphon mit Sodawasser in der Hand.

2

Ich war über das dreiste Benehmen des Fremden so verblüfft, daß ich im ersten Augenblick nicht wußte, was ich dazu sagen sollte. Aber er schwieg nicht.

„Hallo, junger Mann!“ rief er selbstbewußt und mit einer gewissen Anmaßung, wie sie nur Leute kennen, die ihrer Sache vollkommen sicher sind. „Wer sind Sie denn?“

„Es wäre wohl angebrachter, wenn ich diese Frage an Sie richtete“, erwiderte ich. „Was soll denn das heißen, daß Sie sich hier einfach ins Haus eindrängen?“

Er musterte mich von Kopf bis Fuß, goß sein Glas voll und nahm einen großen Schluck. Dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und sah mich wieder herausfordernd an.

„Sachte, sachte, lieber Freund! Sie wissen anscheinend nicht, mit wem Sie hier reden. Na, das können Sie ja schließlich auch nicht wissen. Also, ich nehme es Ihnen nicht weiter übel. Aber hüten Sie sich, bei mir eine freche Klappe zu riskieren. Sagen Sie mir vor allem, wo ist denn -“, er unterbrach sich, aber ich hätte einen Eid darauf leisten können, daß er nicht sagen wollte: ‚Mr. Nicholas‛.

„Mr. Nicholas ist nicht zu Hause“, entgegnete ich kurz.

„Und wie lange wird es dauern, bis er zurückkommt? Aber flausen Sie mir ja nichts vor!“

„Er kann eigentlich jeden Augenblick wieder hier eintreffen.“

„Sehen Sie, das ist schon besser. Ich warte hier auf ihn. Muß sagen, der Alte hat sich ganz nett eingerichtet. Genügend Alkohol hat er auch zur Hand, und mehr braucht einer ja nicht zum Leben. Noch eins, mein Junge. Ich bin heute morgen seit dem Frühstück schon weit gewandert, und ich könnte jetzt etwas Essen gebrauchen. Nicht zuviel, denn ich will mir den Appetit zum Mittagessen mit dem alten Nicholas nicht verderben. Lassen Sie mir ein paar belegte Brote machen.“

Ich hatte ihn mir inzwischen genauer angesehen und hielt es für besser, ihn nicht scharf anzufassen. Er sah nicht gerade vertrauenerweckend aus, und ich wußte nicht, was ich von ihm halten sollte. Es war schwer zu sagen, welcher Gesellschaftsklasse er angehörte. Er war groß, stark, muskulös und trug einen neuen, dunkelblauen Anzug. Unwillkürlich hatte ich den Eindruck, daß er früher ein Seemann gewesen sein müsse. Seine Hände waren ziemlich groß und sahen abgearbeitet aus.

„Kennt Mr. Nicholas Sie denn?“ fragte ich plötzlich. Ein mitleidiges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht.

„Na, und ob der mich kennt! Aber das geht Sie doch nichts an. Lassen Sie Ihre Fragerei und sorgen Sie lieber dafür, daß ich meine belegten Brote bekomme, mein Junge! Etwas kalten Hühnerbraten und so weiter!“

„Ich werde mit der Haushälterin sprechen, daß sie sich um Ihre Wünsche kümmert.“

„Das ist vernünftig“, erwiderte er und rieb sich die Hände. „Wenn Sie mich anständig behandeln, bin ich auch anständig zu Ihnen. Im anderen Fall können Sie etwas erleben!“

Ich hielt mich nicht länger bei ihm auf, sondern ging zu Mrs. Hands und bat sie, dem Fremden eine kleine Erfrischung ins Speisezimmer zu schicken.

Sie schien nicht im mindesten überrascht zu sein.

„Ich werde ihm selbst etwas hineinbringen“, sagte sie. „Es ist wohl irgendein alter Seemann, den Mr. Nicholas auf seinen vielen Reisen kennengelernt hat. Überlassen Sie die Sache nur ruhig mir, ich sorge schon für ihn.“

Das tat ich sehr gern. Da ich aber wußte, daß Mr. Nicholas bald von seinem Ritt zurückkehren mußte, hielt ich mich in der Vorhalle auf, um ihn vor dem Fremden zu warnen.

Gleich darauf erschien Mrs. Hands mit einem kleinen Tablett und ging ins Speisezimmer. Als sie eintrat, hörte ich einen lauten Ausruf des Fremden. Wahrscheinlich freute er sich darüber, daß er etwas zu essen bekam. Mrs. Hands schloß die Tür, und ich hatte den Eindruck, daß sie es für ihre Pflicht hielt, diesen merkwürdigen Menschen zu beruhigen. Da ich mir von ihrem Einfluß eine gute Wirkung versprach, entschloß ich mich, doch in die Bibliothek zurückzugehen.

Ungefähr zehn Minuten später sah ich Mr. Nicholas und Miß Starr durch den Park reiten und begab mich wieder ins Speisezimmer.

Der Fremde war allein - Mrs. Hands hatte den Raum verlassen. Er hatte alles aufgegessen und sich einen starken Whisky-Soda eingeschenkt. Ich bemerkte auch, daß er Zigarren gefunden hatte. Als ich erschien, sah er mich wohlwollend an.

„Nun, junger Mann, was gibt es denn? Wollen Sie mir hier Gesellschaft leisten?“

„Mr. Nicholas kommt gleich“, erwiderte ich und zeigte aus dem Fenster. „Ich werde ihm entgegengehen und ihm sagen, daß Sie hier sind. Welchen Namen kann ich ihm nennen?“

Er erhob sich schwerfällig, ging zum Fenster hinüber und sah in den Park hinaus.

„Tatsächlich, das ist er“, meinte er vergnügt. „Das ist Nicholas. Unter Tausenden hätte ich ihn wiedererkannt.“

„Wie ist Ihr Name?“ fragte ich noch einmal.

Er wandte sich um und schaute mich merkwürdig an. „Meinen Namen wollen Sie wissen? Unter guten Freunden kommt es doch gar nicht darauf an. Da Sie aber so großen Wert darauf legen, können Sie Nicholas ja ruhig sagen, daß Dengo hier ist. Haben Sie verstanden? D-e-n-g-o! Richten Sie ihm aus, daß Dengo hier ist!“

Ich ließ ihn am Fenster stehen und ging zur Haustür. Mr. Nicholas und Miß Starr waren eben aus dem Sattel gestiegen, und die Pferde wurden zum Stall geführt. Mein Gesichtsausdruck mußte verraten haben, daß etwas nicht in Ordnung war.

„Was gibt es denn, Camberwell?“ fragte Mr. Nicholas scharf,

„Im Speisezimmer wartet ein Fremder, der sich nicht abweisen ließ. Er wollte Sie unter allen Umständen sprechen.“

„Was für ein Mann ist es denn?“

„Ich sollte Ihnen sagen, daß Dengo hier ist -“

Mr. Nicholas machte eine abweisende Handbewegung und wandte sich schnell zur Seite, als ob er mir und Miß Starr sein Gesicht nicht zeigen wollte. Aber ich hatte schon bemerkt, daß er totenbleich geworden war.

„Dengo?“ wiederholte er halblaut und versuchte, seine Bestürzung durch ein Lachen zu verbergen. „Ach ja, das ist ein alter Pensionär von mir.“

Er ging ins Haus und ließ mich mit seiner Nichte auf der Terrasse stehen. Einen Augenblick hatte ich den Eindruck, daß sie mich etwas fragen wollte. Aber dann drehte sie sich um und wandte sich dem Garten zu.

Sie war stets sehr zurückhaltend und sprach fast nie mit mir. Manche Leute hätten sie für mürrisch und unfreundlich halten können, aber das war sie nicht.

Ich machte mich wieder an meine Arbeit in der Bibliothek. Als ich an der Tür des Speisezimmers vorüberkam, konnte ich hören, daß Mr. Nicholas mit dem Fremden sprach. Die Stimmen der beiden Männer klangen laut und erregt.

Eine halbe Stunde später kam Mr. Nicholas zu mir. Er gab sich die größte Mühe, ruhig zu erscheinen, aber ich bemerkte sofort an seinem Verhalten, daß er großen Ärger gehabt haben mußte.

„Camberwell, ich muß auf ein bis zwei Stunden in die Stadt gehen. Soviel ich weiß, ist Miß Starr in den Park gegangen. Sagen Sie ihr doch bitte, wenn Sie sie sehen, daß ich erst zum Mittagessen zurückkomme.“

Damit verließ er mich. Als ich ihm aus dem Fenster nachschaute, bemerkte ich, daß er mit dem Fremden zum Tor ging, und zwar zu Fuß, was er nur äußerst selten tat. Der Fremde hatte einen etwas unsicheren Gang und konnte nur mühsam mit Mr. Nicholas Schritt halten. Solange ich sie beobachten konnte, wanderten sie schweigend nebeneinander her.

Miß Starr sah ich erst beim Essen wieder. Ich entledigte mich meines Auftrages, aber sie erwiderte nichts darauf. Erst später; als Jeeves, der uns bei Tisch bediente das Zimmer verließ, brach sie das Schweigen.

„Wer war eigentlich der Fremde, der Mr. Nicholas besuchte?“

„Ich habe leider nicht die geringste Ahnung.“

„Aber Sie haben ihn doch gesehen?“

„Gewiß, aber ich weiß nicht, wer er ist: Er nannte sich Dengo, aber das ist natürlich nur ein Spitzname.“

„Und was wollte er?“

„Darüber kann ich Ihnen auch keine Auskunft geben. Mir ist nur bekannt, daß er mit Mr. Nicholas sprechen wollte.“

„Ist mein Onkel mit ihm ausgegangen? Wohin?“

„Sie gingen in der Richtung nach Havering St. Michael.“ Als sie darauf nichts entgegnete, fügte ich noch hinzu, daß der Mann nach Mrs. Hands’ Meinung vielleicht ein alter Bekannter sei, den Mr. Nicholas auf einer seiner vielen Seereisen getroffen hatte.

„Wie sah er denn aus?“

Ich beschrieb ihr Dengo und erwähnte auch, wie er sich benommen hatte. Dabei beobachtete ich sie scharf, weil ich sehen wollte, ob sie ihn nach meiner Schilderung erkannte. Aber ihr Gesichtsausdruck blieb vollkommen ruhig. Plötzlich erhob sie sich und verließ ohne weitere Bemerkung das Zimmer. Sie bewohnte eine Anzahl von Räumen für sich, allein und brachte den größten Teil ihrer Zeit dort zu. Ich sah sie fast nur zu den Mahlzeiten.

Mit Mr. Nicholas kam ich erst beim Abendessen wieder zusammen, und ich erfuhr nicht, wann er am Nachmittag aus der Stadt zurückgekehrt war. Der Tee wurde mir in der Bibliothek serviert, und daraus schloß ich, daß Mr. Nicholas noch nicht heimgekommen war. Beim Abendessen passierten mehrere ungewöhnliche Dinge. Mr. Nicholas hatte seine Kleider nicht gewechselt, obwohl er im allgemeinen sehr streng auf diese Etikette hielt. Während der Mahlzeit selbst war er ungewöhnlich schweigsam und tauschte kaum ein paar Worte mit Miß Starr und mir. Er aß nur wenig, trank aber um so mehr. Bis dahin hatte ich ihn als einen sehr mäßigen Menschen kennengelernt, der bei Tisch höchstens ein oder zwei Glas Wein und vor dem Schlafengehen ein Glas Portwein zu sich nahm. Aber an diesem Abend trank er Whisky und füllte sein Glas so oft, daß ich höchst verwundert war. Miß Starr beobachtete ihn ängstlich, aber sie sagte nichts.

Später wurde nicht wie gewöhnlich Whist gespielt. Miß Starr begab sich nach dem Essen sofort auf ihre Zimmer, und da ich sah, daß Mr. Nicholas mich nicht brauchte, ging ich in die Bibliothek, wo ich rauchte und las. Mr. Nicholas blieb im Speisezimmer an dem großen Eßtisch sitzen und trank noch mehr Whisky. Ich war sehr betroffen über sein Verhalten, das mir klar zeigte, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sein mußte. Sicher hing sein seltsames Benehmen mit dem Besuch des Fremden zusammen, der sich Dengo nannte.

Eine halbe Stunde, nachdem ich mich zurückgezogen hatte, stand ich auf, denn ich brauchte ein Buch, das ich am Morgen im Frühstückszimmer gelassen hatte. Als ich durch die Halle ging, sah ich Mr. Nicholas in der Nähe der Haustür. Er trug einen Mantel und eine weiche Mütze und nahm gerade einen Stock aus dem Garderobenständer. Gleich darauf öffnete er die Tür und verschwand. Auch das war ungewöhnlich, denn im allgemeinen verließ er das Haus nach dem Abendessen nicht mehr.

Aber es ereigneten sich noch mehr sonderbare Dinge. Als ich mein Buch gefunden hatte und zur Bibliothek zurückging, sah ich für den Bruchteil einer Sekunde Miß Starr, die ihrem Onkel folgte.

Die Sache erschien mir immer geheimnisvoller. Warum ging Mr. Nicholas noch zu so später Stunde mit seiner Nichte in den Park, und warum verließen sie das Haus nicht gemeinsam?

Wohin mochten sie gegangen sein? Einen Besuch konnten sie kaum noch machen, denn das nächste Gebäude in der Nähe war das Pfarrhaus, und das lag zwei Meilen entfernt.

Je länger ich über diese merkwürdigen Vorgänge nachdachte, desto stärker wurde meine Überzeugung, daß Dengo für die jähe Unterbrechung des regelmäßigen Lebens in Wrides Park verantwortlich sein mußte. Wer war dieser Fremde nur?

An diesem Abend sah ich weder Mr. Nicholas noch seine Nichte wieder, und als mich Jeeves am nächsten Morgen weckte, schaute er mich mit einem eigentümlichen Blick an.

„Gestern war ein verrückter Tag“, meinte er. „Haben Sie gesehen, wie der Herr nach Hause kam? Nein? Seien Sie froh. Im Vertrauen, er war so weit, daß er nicht mehr sprechen konnte. Ich mußte ihm zu Bett helfen. Das ist früher noch nie vorgekommen. Ich spreche aber nur zu Ihnen darüber. Es ist gut, daß keiner von den anderen Dienstboten etwas gesehen hat.“

Seine Worte überraschten mich nicht. Aber wo mochte er gewesen sein, und wohin war Miß Starr gegangen?

Am Frühstückstisch traf ich niemand, und nachher machte ich mich nach Havering St. Michael auf, um einen Auftrag für Mr. Nicholas auszuführen. Als ich gegen Mittag zurückkam, traf ich Mr. Hoiler, den Butler. Er erzählte mir, daß Mr. Nicholas mit seiner Nichte für ein paar Tage nach London gereist sei.

Aus den wenigen Tagen wurden aber zwei Wochen, und während dieser Zeit hörte ich nichts von ihnen. Ich residierte allein in Wrides Park, und das Leben ging wieder seinen gewohnten Gang. Niemand von dem Personal schien darüber erstaunt zu sein, daß Mr. Nicholas verreist war. Ich fragte Hoiler, aber er entgegnete nur leichthin, daß Mr. Nicholas und seine Nichte jeden Augenblick zurückkommen könnten. Ich ließ die Sache daher auf sich beruhen und widmete mich ganz meiner Arbeit.

Eines Morgens kam Jeeves zu mir und meldete, daß mich Grayson, der erste Parkwächter, sprechen wollte.

Ich kannte diesen Mann als zuverlässig und vertrauenswürdig und war etwas bestürzt, als er mich beiseite nahm.

„Mr. Camberwell“, sagte er leise, „bis jetzt habe ich noch zu niemand etwas gesagt. Aber da Mr. Nicholas nicht anwesend ist, halte ich es doch für gut, Sie in die Sache einzuweihen. Ich habe im mittleren Gehölz die Leiche eines Mannes gefunden!“

3

Mich packte ein Grauen, und ich starrte Grayson fassungslos an.

Er zeigte zum Fenster hinaus auf seinen Hund.

„Sehen Sie, der hat ihn gefunden. Er hat in einem Graben herumgestöbert und die Leiche unter Laub und Zweigen entdeckt. Der Tote ist absichtlich beiseite geschafft worden!“ Schließlich fand ich die Sprache wieder.

„Wie sieht der Mann denn aus? Ist es jemand, den Sie kennen?“

Er schüttelte langsam den Kopf.

„Ich kann gerade nicht sagen, daß ich ihn gekannt habe, aber -“, er machte eine Pause, „ich habe ihn gesehen, als er noch lebte.“

„Wo und wann haben Sie ihn denn getroffen?“

„Ungefähr vor vierzehn Tagen, als er mit Mr. Nicholas durch den Park ging. Er war ein großer, kräftiger Mensch.“

„Sind Sie sicher, daß es derselbe ist?“

„Darauf können Sie sich verlassen. Ich war ganz in der Nähe, als die beiden damals im Park an mir vorübergingen. Es war mittags im hellsten Sonnenschein in der Nähe des Parktors.“

„Liegt der Tote noch im mittleren Gehölz? Dann will ich sofort mit Ihnen hingehen. Vorläufig sagen wir besser noch niemand etwas davon.“

Ich holte meinen Hut und ging mit dem Parkwächter zu der betreffenden Stelle. Wir kamen zu mehreren großen, alten Bäumen, die auf der einen Seite des Tales standen, nicht weit entfernt von dem kleinen Fluß, den wir auf einer Holzbrücke überquerten. Das Gehölz war dort ziemlich dicht, zwischen den Bäumen standen viele Sträucher. Graysons Hund wollte sofort wieder in das Dickicht eindringen und mußte scharf zurückgerufen werden.

Der Parkwächter führte mich vom Wege ab durch das dichte Unterholz, bis wir an einen tiefen Graben gelangten, der an der Grenze des Gehölzes entlanglief. Bei einer Biegung lag ein Haufen alter Blätter und Zweige, darüber waren alte Säcke gebreitet.

„Sehen Sie, dort liegt er. Ich habe ihn zugedeckt. Er ist schon in Verwesung übergegangen.“

Er hob den Zipfel des einen Sacks auf, und einen Augenblick lang sah ich das Gesicht des Toten. Ich erkannte Dengo sofort.

Schweigend richtete ich mich auf und überlegte, was nun zu tun war. Aber Grayson ließ mir nicht lange Zeit.

„Das ist eine Sache, die wir sofort der Polizei melden müssen, Mr. Camberwell“, sagte er. „Am besten telefonieren wir gleich nach Havering St. Michael, daß die Mordkommission herauskommen soll. Und bevor die Leute eintreffen, darf hier niemand etwas anrühren. Gehen Sie bitte zum Haus zurück und rufen Sie den Polizeidirektor an. Ich bleibe hier und halte Wache. Die Beamten werden ja bald kommen. Aber noch eine Frage, Mr. Camberwell. Haben Sie den Mann nicht auch schon früher gesehen?“

Es hatte keinen Zweck, in dieser Beziehung etwas zu verheimlichen.

„Ja, das ist der Fremde, der Mr. Nicholas vor etwa zwei Wochen besuchte“, erwiderte ich.

„Dann habe ich also recht. Es ist bestimmt derselbe, den ich mit Mr. Nicholas zusammen gesehen habe. Nun möchte ich bloß wissen, wie es möglich ist, daß der hier ermordet wurde. Na, die Polizei wird es ja herausbringen.“

Ich ließ Grayson an der Stelle zurück und ging zum Herrenhaus. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, Zweifel und Befürchtungen stiegen in mir auf, während ich durch den Park wanderte. Wie kam der Tote zu dem mittleren Gehölz? Was war die Ursache seines Todes? Sollte es Mord sein? Und wenn dies der Fall war, wer hatte das Verbrechen begangen? Mir graute davor, weiter darüber nachzudenken.

In der Halle traf ich Hoiler und Mrs. Hands. Ich sah wahrscheinlich sehr verstört aus, denn der Butler sprach mich sofort an.

„Was ist denn geschehen?“ fragte er erschrocken. „Sie sind ja totenbleich!“

Ich schüttelte den Köpf.

„Mir fehlt nichts, Hoiler, aber ich habe etwas Entsetzliches gesehen. Mrs. Hands, Sie besinnen sich doch auch noch auf den Mann, der sich Dengo nannte? Er ist tot - wahrscheinlich ermordet. Ich muß sofort die Polizei anrufen.“

Ich ging rasch zur Telefonzelle, ohne mich weiter darum zu kümmern, welchen Eindruck meine Nachricht auf sie machte. Als ich wieder heraustrat, wartete Hoiler auf mich.

„Haben Sie die Todesursache feststellen können?“ fragte er. „Wie Sie wissen, war ich an dem Tag nicht zu Hause und habe den Fremden daher nicht gesehen. Aber Mrs. Hands beschrieb ihn mir als einen großen, stattlichen Menschen. Sind tatsächlich Anzeichen dafür vorhanden, daß er ermordet wurde?“

„Das kann ich alles noch nicht sagen. Vorläufig habe ich nur sein Gesicht gesehen und ihn identifiziert. Ich gehe jetzt zurück, um die Polizei an der Stelle zu erwarten. Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen.“

Während ich noch mit ihm sprach, fuhr das Auto der Mordkommission bereits mit höchster Geschwindigkeit den Fahrweg entlang. Der Polizeidirektor war selbst gekommen und brachte einige Detektive und einen Arzt mit. Nachdem ich ihnen kurz erklärt hatte, um was es sich handelte, gingen wir sofort zu dem Fundort, wo Grayson noch Wache hielt.

Hoiler und ich traten zur Seite, während der Doktor eine vorläufige Untersuchung vornahm, aber wir brauchten nicht lange zu warten.

„Der Mann ist zweifellos ermordet worden“, erklärte der Arzt, als er sich wieder auf richtete. „Man hat ihn erstochen, und zwar ging der Stoß direkt durchs Herz. Er ist von hinten geführt worden - also ein Meuchelmord!“

Alle schwiegen. Wir standen im Kreis und starrten auf den Toten nieder. Einige Augenblicke herrschte tiefe Stille, dann wandte sich der Polizeidirektor an mich und fragte mich aus. Er wollte wissen, wer den Mann gefunden habe und ob jemand ihn kenne. Als er dann erfuhr, daß der Fremde Mr. Nicholas vor vierzehn Tagen auf gesucht hatte, erkundigte er sich danach, ob dieser mit ihm bekannt sei. Ich erzählte ihm, was ich wußte. Er machte ein etwas erstauntes Gesicht, als ich ihm sagte, daß wir die augenblickliche Adresse von Mr. Nicholas nicht wüßten. Seiner Meinung nach müßte jetzt als erstes Mr. Nicholas aufgefunden werden.

Einer der Polizeibeamten, die den Toten genauer untersucht hatten, trat zu uns, während der Polizeidirektor noch mit mir und Hoiler sprach.

„Ich habe den Mann schon früher gesehen“, sagte er. „Vor etwa zwei Wochen traf ich ihn an einem Tag zweimal. Zuerst kurz nach zehn, als er mir in der High Street begegnete und mich nach dem Weg nach Wrides Park fragte. Zum zweitenmal gegen zwei oder etwas später, und zwar in Begleitung von Mr. Nicholas. Mr. Nicholas ging in die Bank, während er draußen wartete. Nach kurzer Zeit kam Mr. Nicholas wieder zurück, und dann gingen die beiden die, High Street entlang. Nachher verlor ich sie aus dem Gesicht.“