Schattenjäger - Giselher W. Hoffmann - E-Book

Schattenjäger E-Book

Giselher W. Hoffmann

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Beschreibung

Am Ufer des Kunene, dem Grenzfluss zwischen Namibia und Angola, verliebt sich der Häuptlingssohn Kondjoura in das Himbamädchen Tjizire. Um sie zu seiner Frau zu machen, braucht er die Zustimmung ihres Vaters. Dieser hat den alten Traditionen längst abgeschworen und will keine Rinder als Preis für seine Tochter, sondern Geld. So verlässt Kondjoura die vertraute Welt der Himba, gerät in die Fänge von Betrügern und begegnet dem jungen Weißen Patrick Hillmann, der ebenso wie er für die Liebe kämpfen muss. Giselher W. Hoffmann erzählt zwei Liebesgeschichten, die mitten hineinführen in die Konflikte zwischen Weiß und Schwarz, Lebensgeschichten zwischen Tradition und Moderne.

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Über dieses Buch

Am Ufer des Kunene verliebt sich der Häuptlingssohn Kondjoura in das Himbamädchen Tjizire. Um sie zu seiner Frau zu machen, braucht er die Zustimmung ihres Vaters. Dieser hat den alten Traditionen längst abgeschworen und will keine Rinder, sondern Geld. So verlässt Kondjoura die vertraute Welt der Himba, um für seine Liebe zu kämpfen.

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Giselher W. Hoffmann (1958–2016) lebte als freier Schriftsteller an der Atlantikküste Namibias. Mehrere Jahre arbeitete er als Jäger in der Kalahari. Sein Gefährte war lange Zeit ein Gwi, ein »Erstgeborener«, durch den er mit diesem Volk und seiner hohen Kunst der Anpassung an die Natur vertraut wurde.

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Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Giselher W. Hoffmann

Schattenjäger

Roman

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Erstausgabe erschien 1998 im Verlag Hoffmann Twins, Swakopmund.

© by Giselher W. Hoffmann 1994

Vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: 2630ben

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30823-7

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

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Version vom 02.06.2022, 11:32h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

SCHATTENJÄGER

PersonenregisterDie HimbaDie OvamboDie WeißenErster TeilErstes Kapitel – 1Zweites Kapitel – 2Drittes Kapitel – 5Viertes Kapitel – 13Fünftes Kapitel – 21Sechstes Kapitel – 32Siebtes Kapitel – 45Achtes Kapitel – 60Neuntes Kapitel – 69Zweiter TeilZehntes Kapitel – 84Elftes Kapitel – 98Zwölftes Kapitel – 124

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Über Giselher W. Hoffmann

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Für alle, die an meinem Feuer saßen.

Personenregister

Die Himba

KondjouraHauptperson und stolzer Rinderhirte.NgaturipureKondjouras Vater. Oberhaupt des Clans.OndjandjeKondjouras Mutter.RijamekeeKondjouras Schwester.UasutaKondjouras geschäftstüchtiger Schwiegervater.TjizireKondjouras Gefährtin.VejarukaZiegenhirte und stiller Bewunderer von Kondjouras Schwester Rijamekee.

Die Ovambo

Paulus NatangweGärtner im Dienst der Engelbrechts. Stammesmitglied der Mbalantu.EsmePaulusʼ Frau. Hausmädchen der Engelbrechts. Stammesmitglied der Kwanyama.SinnaPaulusʼ Schwiegermutter. Hausmädchen der Hillmanns.JosefPaulusʼ Schwiegervater. Bauaufseher.PhilemonPaulusʼ Bruder. Widerstandskämpfer in Angola.IsmaelPaulusʼ Bruder. Widerstandskämpfer in Angola.JohannesPaulusʼ Bruder. Widerstandskämpfer in Angola.UsumaneDer »Blinde«. Ladenbesitzer in Ombalantu.TimonUsumanes Bruder. Taxifahrer.

Die Weißen

Patrick HillmannHauptperson. Soldat und Naturschutzbeamter im Kaokoland.ArthurPatricks Vater. Bauunternehmer.MarthaPatricks Mutter.ErichPatricks Bruder. Elitesoldat.Louis EngelbrechtOffizier der südafrikanischen Armee und Arthur Hillmanns Verbündeter.ElsieLouisʼ Frau.SarahLouisʼ Tochter und Patrick Hillmanns Geliebte.JessicaSarah Engelbrechts und Patrick Hillmanns Tochter.Frederick SouterArthur Hillmanns größter Widersacher.DeniseFredericks Frau.MelissaFredericks Tochter.Hartmut DemmlerPatrick Hillmanns Leidensgenosse in der Armee.Sergeantmajor WebsterPatricks Vorgesetzter im Kaokoland.Leutnant WebsterSergeantmajor Websters Frau.LombardWeltfremder Sergeant. Stationiert in Swartbooisdrift.Leon EllisonNaturschutzbeamter im Kaoko- und Damaraland.JasminKrankenschwester im Kaokoland.Frikkie SteynTankstellenbesitzer in Kamanjab.Dannie und Ella SteynLadenbesitzer in Kamanjab.

Erster Teil

Erstes Kapitel

1

Als es Abend wurde, bog Kondjoura vom Elefantenpfad in den angrenzenden Mopanewald ab. Er schlängelte sich an den knorrigen, im Schatten ruhenden Stämmen vorüber und stieß hinter dem schmalen Laubgürtel auf den Kunene. Frische Rinderfährten und die Spuren von Hirten führten zum Ufer hinunter, und in der Mitte des Grenzflusses zwischen Namibia und Angola strömte das Wasser gurgelnd über eine Felsenbank. Der Kunene war an dieser Stelle nicht mehr als siebzig Schritte breit.

Kondjoura legte den Hirtenstab fort, löste den Knoten in seinem Leibriemen, ließ ihn samt den beiden schwarzen, kalbsledernen Lendenschurzen und dem Tragebeutel auf den Boden fallen und schleuderte die Sandalen aus Giraffenleder von seinen Füßen. Dann näherte er sich dem Fluss.

Das Ufer war mit rundgeschliffenen Steinen übersät, so dass er sich an dem mannshohen Schilf festhalten musste. Kaum hatte er einen Schritt in das milchiggrüne Wasser getan, begann der Strom an seinen Beinen zu zerren. Er hockte sich zwischen zwei Felsen und schloss die Augen.

Der Fluss belebte ihn, so wie er auch seine Urahnen belebt hatte, als die Herero zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus der angolanischen Provinz Mocamedes gen Süden gezogen, den Kunene überquert und ihn auf ihrer Wanderung in das nordwestliche Grenzgebiet des heutigen Namibias zu ihrer Rechten – okunene – gelassen hatten. Ein großer Teil der Herero war weiter ins Landesinnere vorgedrungen, während eine kleine Volksgruppe im Kaokoland, dem Platz der Stille, zurückgeblieben war. Das Volk nannte sich Himba – Die Singenden.

Kondjoura öffnete die Augen und neigte sich vor, um aus der hohlen Hand zu trinken. In dem Moment gewahrte er eine Bewegung. Er sprang auf, im Glauben, ein Krokodil sei am gegenüberliegenden Ufer ins Wasser geglitten, doch als er mit rudernden Armen das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, sah er ein Himbamädchen im Schilf knien.

Kondjoura atmete auf. »Ist es für dich Abend geworden?«, rief er über den Fluss.

»Ja«, erwiderte das Mädchen, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Ist es für dich Abend geworden?«

»Ja, es ist für mich ein guter Abend geworden«, beendete er die Begrüßung. Das Mädchen starrte ihn noch immer unverwandt an. Er war ein hochgewachsener, junger Mann mit breiten Schultern, schmalen Hüften und langen, sehnigen Beinen. Als er die Hände vor seinem nackten Schoß faltete, senkte sie den Kopf, und das schulterlange, zu fingerdicken Schnüren geflochtene Haar fiel wie ein Perlenvorhang über ihr Gesicht.

Grinsend nahm Kondjoura wieder zwischen den Felsen Platz und betrachtete die junge Frau: Sie trug eine wulstige Halskette aus Straußeneierplättchen, an den Handgelenken Kupferringe; und eine mit einer Muschel verzierte Eisenperlenkette baumelte zwischen ihren Brüsten herab. Sie hatte große Brüste; sie berührten die Ellbogen, jetzt, da sie sich nach vorn neigte und einen ausgehöhlten Flaschenkürbis in das Wasser tauchte.

Obwohl sie so tat, als sähe sie ihn nicht, ahnte er, dass sie ihn verstohlen beobachtete. Er drehte den Kopf zur Seite, damit sie seine beiden Zöpfe sah und wusste, dass er beschnitten und durchaus berechtigt war, eine Frau an sein Feuer zu holen.

»Ich bin Kondjoura, der in der Sturmnacht Geborene!«, rief er. »Ich habe sechs Monde im Kral meines Onkels zugebracht, um mir die Rinder anzusehen, die ich eines Tages erben werde. Die Rinder sind fett und so zahlreich wie die Sterne.«

Er hatte bewusst angegeben, doch die Aufmerksamkeit des Mädchens galt allein den Luftblasen, die blubbernd aus dem Flaschenhals der Kalebasse aufstiegen.

»Wer bist du?«

»Tjizire!«

Kondjoura nickte. »Die Welt verändert sich ständig«, pflichtete er ihr bei. »Eben noch hat dein Anblick mich erschreckt, jetzt erfreut er meine Augen.« Er lächelte. »Welchem Matriclan gehörst du an?«

»Dem Clan der Schwiegertochter des Regens.« Tjizire hatte eine helle, klare Stimme, die mühelos den gurgelnden Fluss übertönte. Nun hob sie die Kalebasse aus dem Wasser und stand auf. Ein mit Münzen verzierter Riemen umspannte ihre Taille, und an ihrem vorderen Lendenschurz waren Kupferstangen befestigt. Die Schmuckstücke funkelten im Abendlicht, und ihre mit Ocker und Butter beschmierte Haut glänzte wie das seidige Fell eines roten Rindes.

»Dein Vater muss ein wohlhabender Mann sein!«

»Mein Vater ist ein Häuptling!«, rief Tjizire. »Er heißt Uasuta.«

»Und wie heißt dein Verehrer?«

Sie winkte mit einer wegwerfenden Handbewegung ab, einer Bewegung, die in Kondjoura jäh den Wunsch weckte, Tjizire zu besitzen. Sie war allein, also konnte Uasutas Kral nicht weit vom Fluss entfernt sein.

»Mein Vater ist auch ein Häuptling«, rief Kondjoura. »Ngaturipure herrscht über ein großes Weidegebiet in der Nähe der Epupa-Wasserfälle. Ich werde ihm ausrichten, dass ich jenseits des Kunene ein Mädchen gesehen habe, das mein Herz zum Singen gebracht hat.«

Tjizire hob den Flaschenkürbis auf ihren Kopf, wandte sich um und ging davon, während Kondjoura reglos im Wasser verharrte. Er hoffte, dass Tjizire sich noch einmal nach ihm umschauen würde, doch sie stieg mit schwingenden Hüften den sanft ansteigenden Hang empor und war nur einen Augenblick als Silhouette gegen den Abendhimmel zu sehen, ehe sie hinter dem Bergrücken verschwand.

Als sie fort war, wirkte der Berg trostlos und karg, und das Gemurmel des Wassers klang, als führte der Fluss Selbstgespräche. Kondjoura jedoch lächelte, denn er brauchte nur die Augen zu schließen, um sich Tjizire in die Erinnerung zurückzurufen.

Kaum hatte Tjizire die Kalebasse vor der Hütte ihrer Mutter abgestellt, da winkte ihr Vater sie auch schon mit einem gekrümmten Zeigefinger zu sich heran. Tjizires Mutter saß neben Uasuta auf einem umgestürzten Baumstamm, der ihm als Thron diente. »Meine Späher haben mir gemeldet, dass sich unten am Fluss ein fremder Mann vor deinen Augen entblößt hat«, sagte er.

Tjizire senkte den Kopf. »Er hat mich nicht kommen sehen.«

»Aah …«, sagte Uasuta, »ein Blinder!«

»Er hat eine lange Reise hinter sich«, entgegnete Tjizire mit trotzig klingender Stimme. »Er hat sechs Monde im Kral seines Onkels zugebracht, um sich die Rinder anzusehen, die er eines Tages erben wird. Die Rinder sind fett und so zahlreich wie die Sterne.«

»Aah …« Uasuta lächelte. »Ein Lügner!«

»Kondjoura ist der Sohn des allmächtigen Ngaturipure!«, stieß Tjizire hervor und sah, wie das Lächeln auf den Lippen ihres Vaters gefror.

»Was ist?«, fragte sie. »Kennst du ihn?«

Uasuta nickte. »Nomaden haben seinen Namen über den Fluss getragen und gesagt, dass Ngaturipure jenseits des Kunene über ein großes Weidegebiet herrscht.«

Er schüttelte seufzend den Kopf. »Du hättest Kondjoura zu mir bringen sollen.«

»Zwischen uns lag ein Fluss voller Krokodile!«

»Trotzdem«, beharrte Uasuta.

»Was hat Kondjoura zu dir gesagt?«, mischte sich Tjizires Mutter ein.

»Mein Anblick hat sein Herz zum Singen gebracht«, sagte Tjizire.

»Hohoho!«, rief Uasuta und schlug sich vergnügt auf die Schenkel.

»Hat er dir ins Herz geblickt?«

»Ja, Mutter.«

»Und was hat er gesehen?«, wollte Uasuta wissen.

»Dass er ein begehrenswerter Mann ist.«

»Hohoho!«

»Leg die Hände in den Schoß, wie es sich für ein geduldiges Himbamädchen gehört«, sagte ihre Mutter. »Wenn Kondjoura wirklich der Sohn des allmächtigen Ngaturipure ist und dein Anblick sein Herz zum Singen gebracht hat, wird er bald den Fluss überqueren und deinem Vater ein großzügiges Angebot machen.«

»Ja, Mutter.«

Das Dämmerlicht war zu schwach, als dass Kondjoura den Fußspuren der Hirten zu einem Kral hätte folgen können. Und so ging er in den Mopanewald zurück, kramte eine Zunderbüchse aus dem Tragebeutel und entfachte ein Feuer. Anschließend hob er im Flammenschein eine Mulde aus, streute Laub hinein und kuschelte sich in die welken Blätter. Aber er fand keinen Schlaf. Tjizire hatte sich in seinem Kopf eingenistet, und er wusste, dass sie dabei war, sich in sein Herz zu schleichen.

Kondjoura wandte den Kopf ab und blickte zu den Sternen empor. Es ist gefährlich, des Nachts in ein Feuer zu starren: Die Augen brauchen zu lange, ehe sie sich an die Dunkelheit gewöhnen und eine herannahende Gefahr erkennen. Es ist nicht minder gefährlich, sich des Nachts irgendwelchen Wunschträumen hinzugeben, doch Kondjoura konnte Tjizire nicht aus seinen Gedanken verbannen. Er lauschte den Stimmen des Waldes und des Flusses und fragte sich, ob es an ihrem Vater oder an Tjizire selbst lag, dass sie keinen Verehrer hatte. Um die Antwort herauszufinden, würde er den Kunene überqueren müssen …

Als der Morgen graute, stand Kondjoura auf und urinierte in die sterbende Glut. Dann ging er zum Fluss hinunter. Dunstschwaden stiegen träge aus dem Wasser – es war über Nacht braun geworden und schmeckte nach Lehm, ein Zeichen, dass im Osten der erste Regen des Sommers gefallen war.

Kondjoura wischte seinen Mund am Unterarm ab und spähte zum gegenüberliegenden Ufer hinüber. Das Schilf hatte sich wieder aufgerichtet, dort, wo Tjizire es mit ihren Knien niedergedrückt hatte. Lächelnd kehrte Kondjoura dem Ufer seinen Rücken zu und machte sich auf den Heimweg.

Der Elefantenpfad führte ihn in westlicher Richtung am Kunene entlang durch Mopanewälder und über auslaufende Berghänge hinweg. Er schritt leichtfüßig aus, mit schlenkernden Armen, den Hirtenstab wie einen Speer in der rechten Faust haltend, derweil sich hinter ihm die Sonne an den Bäumen emporhangelte und über den Wipfeln in den Himmel stieg. Er spürte ihre Strahlen warm auf seinem nackten Rücken, und mit der Hitze kamen die Fliegen. Kondjoura hatte es schon als Kind aufgegeben, sie zu verscheuchen. Nur wenn sie sich in seinen Augenwinkeln niederlassen wollten, kniff er ruckartig die Lider zusammen.

Unterwegs brach er einen Mopanezweig ab, schob ihn zwischen die Lippen und kaute darauf herum, um seinen Hunger zu stillen. Er musste sich eine ganze Weile mit dem bitteren Holz begnügen, denn erst als sein Schatten wie ein schwarzer Zwerg vor ihm hertanzte, traf er auf einen Hirtenjungen, der eine Ziegenherde zum Fluss hinunterführte. Kondjoura hob grüßend seine freie Hand. Daraufhin blieb der Hirte wie angewurzelt auf dem Elefantenpfad stehen.

»Hast du den Tag verbracht?«, rief Kondjoura.

»Ja«, sagte der Hirte. »Hast du auch den Tag verbracht?«

»Ja, ich verbrachte den Tag.« Kondjoura rammte den Hirtenstab in den Boden, stützte sich auf den Knauf und musterte den Jungen. Er war ebenso mager wie die Ziegen, die durch das Unterholz brachen, und anstelle eines kalbsledernen Lendenschurzes verbarg ein zerschlissenes, schwarzes Tuch sein Geschlecht. Kondjoura hatte den schmutzigen Kerl, der sich nervös am Hintern kratzte, noch nie gesehen. »Wer bist du?«

»Vejaruka.«

»Woher stammst du?«

»Okongwati.« Der Kral lag im Süden, drei Tagesreisen vom Kunene entfernt. »Wir sind nach Norden gezogen, weil die Himba in dem ausgetrockneten Omuhongafluss zu viele Brunnen gegraben und das Wasser zum Versiegen gebracht haben.«

»Und wer gab euch das Recht, euer Vieh in der Nähe der Epupa-Wasserfälle weiden zu lassen?«

»Ngaturipure«, antwortete der Junge mit ehrfürchtig klingender Stimme.

Kondjoura lächelte. »Ich bin der Sohn des Ngaturipure.«

Vejaruka pfiff durch die Zähne. Einen Herzschlag später war er im Gebüsch verschwunden, und als er wiederauftauchte, hatte er eine Ziege im Schlepp. Er zerrte sie an den Hörnern in den Schatten und forderte Kondjoura auf, sich unter das pralle Euter zu legen. Während der Hirte einen schäumenden Milchstrahl in Kondjouras Mund lenkte, pries er überschwänglich Ngaturipures Großzügigkeit – Vejaruka nannte ihn einen Vater der Himba und verherrlichte die Schönheit seiner Rinder.

»Deine Worte werden Ngaturipures Ohren schmeicheln«, versicherte Kondjoura dem Jungen und kroch unter der Ziege hervor – er hätte gern noch mehr von der süßen Milch getrunken, doch er wollte nicht, dass Vejaruka und das Lamm seinetwegen Hunger leiden mussten.

»Ich will dich zu meinem Vater führen«, schlug der Hirte vor. »Meine Mutter wird dir zu Ehren eine Ziege schlachten.«

»Die Milch deiner Ziege hat mich bereits gestärkt«, wehrte er sanft ab und sah sich nach seinem Hirtenstab um.

Unterdessen überlegte der Junge, wie er Kondjoura am Fortgehen hindern konnte. Plötzlich hellte sein Gesicht sich auf: »Ich habe vier Schwestern«, sagte er augenzwinkernd. »Zwei davon sehnen sich nach einem Mann.«

Kondjoura strich Vejaruka lachend über den schmalen Haarstreifen, der am Hinterkopf des Jungen in einen geflochtenen Zopf mündete. »Ich habe noch einen weiten Weg vor mir«, sagte er, »aber ich werde bald mit Ngaturipure zurückkehren, um eine Frau an mein Feuer zu holen. Dann werde ich deinem Vater sagen, dass er einen tapferen Sohn hat.«

Vejaruka hob eine Hand. »Leb wohl, Sohn des Ngaturipure.«

Kondjoura spürte die Augen des Jungen auf seinem Rücken, warm wie die Sonne, und sie folgten ihm, bis er hinter einer Biegung vom weißgesprenkelten Schatten des Waldes verschluckt wurde.

Je näher Kondjoura den Epupa-Wasserfällen kam, desto vertrauter wurde ihm die Umgebung. Bald erkannte er einzelne Bäume wieder. Er begrüßte sie, indem er ihnen im Vorübergehen die Hand auf die rissige, graue Rinde legte. Und als er neben dem Elefantenpfad rastete, um die heißeste Zeit des Tages verstreichen zu lassen, begann der Westwind im Laub zu rascheln, und Kondjoura konnte mit einem Mal die Wasserfälle hören. Er rappelte sich auf und stieg querfeldein über die glühenden Hügel, denn das ferne Rauschen klang in seinen Ohren wie eine Stimme, die nach ihm rief.

Trampelpfade führten aus den umliegenden Hügeln in das Tal hinunter. Solange Kondjoura zurückdenken konnte, waren die Rinder seines Vaters auf diesen Wegen zu den fernen Weidegründen gezogen. Im Tal selbst ragten die Zweige der entlaubten Sträucher wie schwarze, verkrüppelte Finger aus der Schuttebene, und die Ziegen hatten das Gras bis auf die Wurzeln heruntergefressen.

Inmitten dieser Einöde zählte Kondjoura acht Lehmhütten, die kreisförmig um ein Rindergehege herum verteilt waren und von einer zweiten, mannshohen Dornenhecke umschlossen wurden. Die Rundhütte seiner Mutter Ondjandje lag im Südosten des Krals. Die Hütte war größer als die anderen, und der Eingang blickte schräg über das Ahnenfeuer hinweg auf den Durchgang im Gehege, der nachts vorsorglich mit Dornenzweigen versperrt wurde, damit die Raubtiere nicht an die von den Ahnen heiliggesprochenen Rinder herankamen.

Die Hütten sahen baufällig aus. In den sechs Monaten, die Kondjoura bei seinem Onkel verbracht hatte, waren die Lehmwände aufgeplatzt, und die Dornenhecke war in sich zusammengesackt. Sein Vater Ngaturipure hatte lediglich die Schutzwand des Rindergeheges erneuert. Kondjoura grinste. Das Wohlergehen der heiligen Rinder war seinem Vater wichtiger als alles andere.

Kondjoura sah seinen Vater in der Nähe des Durchgangs unter einem Weißstammbaum stehen. Er stützte sich auf seinen Hirtenstab und blickte in die Ferne, so als hielte er Ausschau nach seinem Sohn. Vielleicht tat er das wirklich, denn bei Ngaturipure wusste man nie, was ihm die Ahnen am heiligen Feuer anvertraut hatten. Wie er so hoch aufgerichtet im Schatten stand, erinnerte er Kondjoura an einen Storch. Er rührte sich nicht, während Ondjandje zu seinen Füßen im Staub hockte und mit Hilfe von Kondjouras Schwester Rijamekee Eisenperlen auf eine Lederschnur reihte.

Kondjoura hatte die Hälfte des Hügels bewältigt, als die Hunde anschlugen: magere, schwefelgelbe Kläffer, die zu alt waren, um die Hirten zu begleiten, dafür aber jede Abwechslung mit einem freudigen Geheul begrüßten. Ngaturipure hob eine Hand und beschattete seine Augen. Dann sagte er etwas zu Ondjandje. Kondjouras Mutter und seine Schwester ließen die Eisenperlen fallen und sprangen auf.

Als Kondjoura vor einem halben Jahr fortgegangen war, hatte seine Schwester zwei Zöpfe getragen, die wie die Hörner eines Gnus zu beiden Seiten ihres Gesichts gehangen hatten. Nun versperrten ihr ungezählte Fransen die Sicht und hinderten Rijamekee daran, ihm entgegenzueilen.

Kondjoura näherte sich dem Kral mit gemächlichen Schritten, obgleich auch er am liebsten durch die Lücke in der Dornenhecke gestürmt wäre. Er ging an einer auf Stelzen ruhenden Vorratskammer vorüber und trat in den Schatten des Weißstammbaums. »Meine Augen freuen sich, euch zu sehen«, sagte er.

Rijamekee begann in die Hände zu klatschen und auf der Stelle zu tanzen, und Ondjandje wandte sich ab, um den für Kondjoura bestimmten Flaschenkürbis aus ihrer Hütte zu holen, während Ngaturipure seinen Sohn musterte. »Ich sah dich im Traum über die Hügel kommen«, murmelte er. »Jetzt bist du da.« Sein Haar verbarg sich unter einem kalbsledernen Turban, der wie ein gepolstertes Kissen auf seinem Kopf ruhte. Unter dem Rand, direkt über seinem rechten Ohr, steckte ein Miniaturspeer. Ngaturipure zog ihn hervor, schob die Spitze an der linken Schläfe unter den Turban und kratzte sich. In dem Moment wurde Rijamekee von ihrer Mutter zur Seite gedrängt. Sie reichte Kondjoura den Flaschenkürbis, aus dem er sein Leben lang getrunken hatte. Die Kalebasse war bis zum Hals mit Dickmilch gefüllt.

Ondjandje legte ihm eine Hand auf die Brust, als wollte sie sich durch seinen Herzschlag davon überzeugen, dass er kein Geist war. Ihre Hand hinterließ auf seiner dunklen Haut einen ockerroten Abdruck. »Schaut ihn euch an«, sagte sie und schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Aus dem Kind ist ein Mann geworden.«

Rijamekee grinste ihren Bruder an. Sie konnte durch die herabbaumelnden Zöpfe kaum etwas sehen. Kondjoura hätte seine Schwester gern im Kreis herumgewirbelt, doch auch sie war kein Kind mehr, sondern ein Mädchen, das bald zum ersten Mal Blut und damit die Kindheit verlieren würde.

Kondjoura setzte die Kalebasse an die Lippen, und die Dickmilch rann kühl durch seine Kehle.

Er war heimgekehrt.

Kondjoura hatte den ganzen Abend Fragen beantwortet. Nun beobachtete er, wie die gut zwei Dutzend Angehörigen seines Clans in ihren Rundhütten verschwanden. Nur sein Vater schien zu spüren, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte, denn der Alte blieb auf den Fersen hocken, die Arme locker über die Knie gelegt, und blickte in die Flammen, die meterhoch aus den aufgeschichteten Mopaneästen schlugen und die Augen der heiligen Rinder hinter der Dornenhecke erglühen ließen.

Kondjoura räusperte sich: »Als ich vor wenigen Tagen den Kral meines Onkels verließ, um zu euch zurückzukehren, entdeckte ich nördlich des Kunene ein Mädchen.«

»Wirklich?« Der Alte war zu Scherzen aufgelegt. Er hatte aus Kondjouras Antworten erfahren, dass sein Schwager wohlauf und das Vieh in guter Kondition war. Hinzu kam, dass es im Osten des Kaokolandes geregnet hatte.

»Das Mädchen heißt Tjizire.«

»Welchem Matriclan gehört sie an?«

»Dem Clan der Schwiegertochter des Regens.«

»Ngaturipure nickte beifällig, denn wäre Tjizire wie Kondjoura in den Matriclan der Schwiegertochter des Schlammes hineingeboren, hätte er sie nicht an sein Feuer holen dürfen.

»Sie sagte, sie sei die Tochter eines Häuptlings.«

»Das behaupten viele Mädchen, wenn ein Fluss voller Krokodile zwischen ihnen und einem Verehrer liegt«, frotzelte Ngaturipure. Doch als Kondjoura ihm den Namen des Patriarchen nannte, schlug Ngaturipure eine Hand vor den Mund und starrte seinen Sohn erschrocken an. »Uasuta?«

»Kennst du ihn, Vater?«

Ngaturipures Hand fiel herab. »Vor ein paar Monden haben Nomaden aus Angola diesen Namen über den Kunene getragen«, murmelte er. »Aber was sie mir erzählten, klang so unglaublich, dass ich Uasuta für ein Fabelwesen gehalten habe.«

»Was haben die Nomaden gesagt?«

»Sie sagten, dass Uasutas Bruder von einem Elefanten niedergetrampelt worden sei. Die Eltern kamen über seinen Tod nicht hinweg. Sie rissen sich im Schmerz die Haare aus und verstümmelten ihre Gesichter mit einem Messer. Als Ndjambi Karunga, der allmächtige Gott, das sah, schenkte er ihnen einen neuen Sohn.« Eine Weile war nur das Knistern des Feuers und das Knirschen eines Lederdeckels zu hören. Ngaturipure pickte mit spitzen Fingern eine Prise Schnupftabak aus dem abgesägten Horn eines Stieres, dann vernahm Kondjoura, wie sein Vater zweimal ruckartig durch die Nase hochzog. »Einen sehr seltsamen Sohn«, fügte Ngaturipure hinzu, »denn Uasuta lässt alle Rinder, die nicht zur heiligen Herde gehören, in seiner Hütte schlafen.«

»In seiner Hütte?«

»Ja, und diese Rinder sind nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Ombapira.«

»Aus Papier?«

»Ich wollte es damals auch nicht glauben, aber die Nomaden beteuerten, dass ein Händler aus der Grenzstation Swartbooisdrift tatsächlich Rinder in Papier verwandeln kann. Sie sollen nicht größer als meine Handfläche sein.«

»Dann lass uns über den Kunene gehen und Uasuta fragen, wie viele Papierrinder seine Tochter wert ist.«

Ngaturipure wandte ihm seinen schmalen, scharf geschnittenen Kopf zu. Schatten nisteten in den Falten und ließen ihn älter erscheinen, als er war. »Wenn wir Uasuta um Rat fragen, wird er einen hohen Brautpreis verlangen.«

»Ich wäre bereit, fünfzehn Kühe für Tjizire zu opfern.«

Ngaturipure schnalzte mit der Zunge: »Wer ein Mädchen begehrt, neigt dazu, ihren Wert zu überschätzen«, sagte er. »Wir werden zehn Ochsen nach Swartbooisdrift treiben und sie dort bei dem Händler gegen Papierrinder eintauschen. Dann tragen wir das Papier über den Kunene und legen es Uasuta in den Schoß.« Ngaturipure grinste. »Der Anblick wird Uasuta über den Verlust seiner Tochter hinweghelfen.«

Zweites Kapitel

2

Die Eingeborenen nennen es das Land, das Gott im Zorn erschuf, denn Namibia ist ein karges, wildes Land. Und als Kommandant Louis Engelbrecht in das von Südafrika verwaltete Mandatsgebiet versetzt wurde, blickte das ehemalige Deutschsüdwestafrika auf ein Jahrhundert ungezählter Kriege zurück.

Selbst dann, wenn Engelbrecht sich nicht an der Grenze zu Angola, sondern in der Hauptstadt Windhoek aufhielt, schob er des Nachts seine Dienstpistole unter das Kopfkissen. »Dumme Angewohnheit«, behauptete er und wollte damit sagen: Ein Offizier der südafrikanischen Armee ist immer auf der Hut, verstehst du? Immer!

Das entsprach jedoch nicht ganz der Wahrheit, denn als Elsie im Hauptquartier anrief und ihm mitteilte, dass Patrick Hillmann seine Tochter geschwängert hatte, fiel Engelbrecht aus allen Wolken.

Sarah war erst achtzehn Jahre alt. Mit achtzehn tragen gottesfürchtige Afrikandermädchen Zöpfe und kichern hinter vorgehaltener Hand. Aber seine Frau schluchzte: »Wir kommen gerade vom Arzt, Louis. Sie ist im zweiten Monat schwanger.«

Engelbrecht konnte es nicht fassen. Und so raste er quer durch die Stadt in das Suiderhofviertel und verpasste Sarah, kaum dass sie die Eingangstür geöffnet hatte, eine Ohrfeige. Dann setzte er sich – mit einer Brandyflasche und Coladose bewaffnet – auf die Veranda und überlegte, was er tun sollte. Ihm fiel jedoch keine Lösung ein, denn derartige Probleme ließen sich weder bombardieren noch in die Luft sprengen; derartige Probleme wollten mit Samthandschuhen angefasst werden …

Nach dem zweiten Brandy & Coke wandte er sich ratlos zu seiner Frau um. Elsie lehnte am Rahmen der Eingangstür, dürr wie ein in Seide gewickelter Besenstiel, und tastete ihren Hals nach einer geschwollenen Schilddrüse ab. Elsie hatte geweint. Die Schminke auf ihrem Gesicht war zu einem Brei zerlaufen. Der Anblick brachte Louis erneut in Rage.

Gerade neulich waren Patrick und Sarah aus dem Kino gekommen, und er hatte bemerkt, dass sie sich an den Händen gehalten hatten. Anstatt dem Jungen auf die Finger zu klopfen, hatte er seine Frau angestoßen und gesagt: »Hei, guck mal, die beiden Turteltauben«, und Elsie hatte geantwortet: »Sind die nicht süß?« Da war Sarah schon längst schwanger gewesen!

»Es ist eine verdammte Schande«, sagte Engelbrecht auf Englisch, damit ihn das volk, wie er die Schwarzen nannte, nicht verstehen konnte – Paulus Natangwe kniete auf dem Rasen vor einem Rosenbeet und jätete Unkraut, doch sein zur Seite geneigter Kopf verriet Louis, dass der Ovambo lauschte. Das Dienstmädchen lauschte auch. Eben hatte Esme noch mit Geschirr geklappert, jetzt war es so still, dass Louis die Bienen in der Goldregenhecke summen hörte. Das Geräusch erinnerte ihn an etwas. »Hast du je mit Sarah darüber gesprochen?«

Elsie riss den Kopf herum und starrte ihn aus ihren hervorquellenden, blauen Augen wie ein erschrockenes Kaninchen an.

»Es tut mir leid, Engel«, sagte er hastig und trank einen Schluck. »Es ist nicht deine Schuld. Arthur hätte seinen Sohn aufklären sollen. Aber das hat er offenbar nicht getan.«

»Dann soll er wenigstens dafür sorgen, dass Patrick unsere Tochter heiratet.«

Louis setzte das Glas hart auf der Tischplatte ab. An eine Heirat hatte er noch gar nicht gedacht. »Sind die beiden nicht ein bisschen jung dafür?«

»Sie sind alt genug, um …« Elsie brach in Tränen aus.

Das stimmte: Sie waren alt genug, um zu bumsen. »Aber die Leute werden reden, Engel«, gab er zu bedenken, denn im Vergleich zu Johannesburg oder Kapstadt ist Windhoek ein Dorf.

»Was meinst du, wie die Leute reden werden, wenn die beiden nicht heiraten?«, konterte Elsie schluchzend.

Da hatte sie auch wieder Recht. Engelbrecht zündete sich eine Zigarette an und blickte grübelnd auf den Vorgarten hinaus.

Es hatte seit sechs Monaten nicht geregnet. Die Sonne brannte auf das verdorrte Land herunter und ließ das Wasser in den Staudämmen verdunsten wie flüchtiges Benzin.

Paulus hatte einen Backstein im Spülbecken der Toilette versenkt, hatte an die Bäume gepinkelt und war zu Esme in die Badewanne gestiegen, alles, um Wasser zu sparen, doch als im September eine Horde Paviane aus den schwarzversengten Bergen gekommen und über eine Baumschule in Windhoek hergefallen war, hatte Paulus geahnt, dass es vor seinem Weihnachtsurlaub nicht regnen würde. Am selben Tag hatte Missus Engelbrecht den Gartenschlauch in die Garage geschafft. Das bedeutete, dass Paulus die Pflanzen fortan mit einem Eimer bewässern musste, nicht tagsüber, sondern abends, wenn der Ostwind die brodelnde Hitze aus der Stadt gefegt hatte. Dann setzte Missus Engelbrecht sich auf die Veranda, nippte an ihrem eisgekühlten Drink und gab Paulus Ratschläge:

»Nimm in jede Hand einen Eimer, sonst kriegst du einen schiefen Rücken, hoor jy?«

»Ja, Missus, ich höre.«

»Und gieß die Blumen nicht von oben, sondern von unten.«

»Eijee, Missus, der Regen kommt doch auch von oben.«

»Das ist etwas anderes, Paulus.«

»Ja, Missus.«

Immer nur JA.

Als seine Brüder das Ovamboland verlassen und nach Angola geflohen waren, um von dort aus gegen die Makakunya, die weißen, südafrikanischen Soldaten, zu kämpfen, wäre Paulus ihnen am liebsten Hals über Kopf gefolgt.

»Langsam, Paulus«, hatte sein Vater gesagt. »Ich habe dich nicht auf die Missionsschule geschickt, damit du dir deinen klugen Kopf von einem Ekakunya abschießen lässt.«

»In Namibia sind im Moment keine klugen, schwarzen Köpfe gefragt, Vater. Aber wenn ich fortgehe, habe ich vielleicht Glück und die SWAPO schickt mich ins Ausland.«

»Und wenn du Pech hast, schickt dich die Befreiungsbewegung in den Guerillakrieg! Warte also lieber ab, bis deine Brüder die Buren ins Meer getrieben haben.«

»Eijee, das kann noch Jahre dauern, Vater! Was soll ich bis dahin machen?«

»Du kannst gut mit Zahlen umgehen, Paulus. Werde ein Hirte.«

Paulus hatte daraufhin ein Jahr lang im Nordosten des Landes auf einer Farm Schafe gehütet. Es war ein schreckliches Jahr gewesen. Weil er keine Zäune gekannt und daher nicht gewusst hatte, wie man ein Gatter öffnete, war er ständig von dem weißen Farmer und den dort ansässigen Herero als dummer Ovambo bezeichnet worden.

Nachdem sein Kontrakt abgelaufen war, hatte er seinen Eltern eine mit Geld, Tabak, Mehl, Zucker und Kaffee vollgestopfte Schatzkiste überreicht und gesagt, dass er sich der PLAN, dem militärischen Flügel der SWAPO, anschließen und Namibia von den Buren und Herero befreien wolle.

»Langsam, Paulus. Deine Brüder sind vor einem Jahr fortgegangen. Wir haben seither nichts mehr von ihnen gehört. Wir wissen nicht einmal, ob sie noch leben. Wer soll für uns sorgen, wenn du jetzt auch noch spurlos verschwindest?«

Paulus hatte sich am Kopf gekratzt.

»Ruh dich aus, Paulus, und iss tüchtig, damit du zu Kräften kommst. Wir überlegen uns unterdessen, wie es weitergehen soll.«

Zu Weihnachten waren die Kontraktarbeiter aus den fernen Städten in das Ovamboland zurückgekehrt, und seine Mutter hatte voller Neid gesagt: »Schau sie dir an, wie sie auf ihren neuen Fahrrädern sitzen und Transistorradios an ihre Ohren halten, damit jeder ihre goldenen Armbanduhren sehen kann.«

»Wir Ovambo sind in der Überzahl, Paulus«, hatte sein Vater ihr zugestimmt. »Anstatt gegen die Makakunya zu kämpfen, sollten wir alle für die Weißen arbeiten. Dann würde ihnen bald das Geld ausgehen und sie müssten dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen sind.«

O Vater!

»Dann käme eine neue Regierung an die Macht. Denk nur, Paulus, du könntest Minister werden.«

O Mutter!

»Geh nach Windhoek, Paulus.«

»Ja, Vater.«

»Und zieh den Weißen das Geld aus der Tasche.«

»Ja, Mutter.«

Auf der Busreise nach Windhoek hatte er Esme kennengelernt und offenen Mundes ihrem Geplapper gelauscht: »Meine Mutter arbeitet für einen Mann, der Flugplätze, Straßen, Schulen und Krankenhäuser baut, und mein Vater ist sein Vorarbeiter, jaa-a. Ich habe ihn gerade auf einer Baustelle in Ondangwa besucht. Er hat mir dieses hübsche Kleid gekauft. Es war sehr teuer, aber mein Vater verdient viel Geld, jaa-a, und ich arbeite in Windhoek auch für einen sehr wichtigen Mann.«

»Könntest du mir eine Arbeitsstelle besorgen?«

»Jaa-a«, hatte Esme gesagt und ihn im überladenen, dahinschleichenden Bus aus feuchten Kulleraugen angesehen.

Am nächsten Tag war er mit Esme durch die Hauptstadt gebummelt. Sie hatte ihm die Kaiserstraße gezeigt, die sich aneinanderreihenden Läden, die Hochhäuser, die Christuskirche, jaa-a, das Reiterdenkmal, den Tintenpalast, die Bänke im Zoopark, die für Weiße reserviert waren, jaa-a, die Eingänge in den Amtsgebäuden, die nur Schwarze benutzen durften, die ungezählten Häuser an den Hügelhängen, und im Suiderhofviertel, wo die Makakunya lebten, die weißen Soldaten, jaa-a, da hatte sie ihm in ihrer Wohnung im Gartenhaus gezeigt, was unter ihrem teuren Kleid verborgen war.

Kurz darauf hatte Paulus in einer baufälligen Kirche ebenfalls jaa-a gesagt. Jetzt hatte er vier Frauen am Hals: seine Mutter, seine Schwiegermutter Sinna, seine Frau Esme und Missus Engelbrecht, die ihren Garten vergötterte, obwohl in den Beeten nicht eine Pflanze wuchs, die man hätte fressen können. Weder Mais noch Hirse, nur Ziersträucher und Blumen, die, sobald sie verwelkt waren, durch neue ersetzt wurden. Und einige der Pflanzen waren sogar giftig.

Als Paulus den Oleanderstrauch zum ersten Mal gestutzt hatte, war eine klebrige, milchigweiße Flüssigkeit auf seine Hände getropft. Er hatte sie nicht beachtet, bis der Saft beim Pinkeln mit seinem Schwanz in Berührung gekommen war.

Eijee, hatte er einen Tanz aufgeführt!

Jede Giftschlange wäre erschlagen worden, den Oleander durfte Paulus jedoch nicht fällen. Und so begnügte er sich damit, dem Strauch hin und wieder, mit hinter dem Rücken verschränkten Händen, einen Fußtritt zu versetzen.

Die Pflanzen hatten merkwürdige Namen. Wochen waren vergangen, ehe Paulus sie richtig aussprechen und von Unkraut hatte unterscheiden können. Die Rosen brachte er immer noch durcheinander, weil jede einzelne anders hieß: Schwarze Madonna, Las Vegas, Herero und … die anderen Namen hatte er bereits wieder vergessen.

Missus Engelbrecht redete manchmal mit den Pflanzen: »Was habt ihr denn, meine Kleinen«, fragte sie dann, »gibt Paulus euch nicht genug Dünger? Nun kommt schon, lasst den Kopf nicht hängen, Paulus bringt euch gleich einen Eimer Wasser, hört ihr?«

Anfangs hatte Paulus die Missus für verrückt gehalten, doch es stimmte: Auf eine ihm unerklärliche Art zeigten einige der Pflanzen tatsächlich Gefühle Wenn er zum Beispiel dem Oleander einen Tritt versetzte, dann glaubte er zu spüren, dass der Strauch ihn hasste. Oder wenn er sich grinsend der farbenprächtigen Herero näherte, war ihm, als zitterte die Rose vor Angst, und wenn er die Gartenschere ansetzte und sagte: »So, Herero, jetzt bist du dran«, dann meinte er – zwar nicht mit den Ohren, wohl aber mit dem Herzen – einen hohen, spitzen Schmerzensschrei zu vernehmen.

Köstlich!

Die einzige Pflanze, die Paulus duldete, war der Hibiskus im Garten. Wann immer er daran vorüberging, lud ihn der Strauch zu einem Nickerchen in seinen kühlen, modrigen Schatten ein. Paulus konnte der freundlichen Aufforderung nur selten Folge leisten, denn Missus Engelbrecht beobachtete ihn vom Küchenfenster aus, hinter der Schlafzimmergardine hervor, durch den Spalt des offenstehenden Badezimmerfensters, ständig in Sorge, dass er etwas falsch machte.

Sie beobachtete ihn auch jetzt, aber als er verstohlen zur Veranda hinüber schielte, bemerkte er an ihrem Blick, dass ihr Herz nicht um die Rosen, sondern um Kleinmissus Sarah bangte.

Paulus schwitzte. Der olivgrüne Overall klebte an seinem Rücken, aus den Schäften der Gummistiefel drang ein muffiger Geruch, und er spürte die Sonne wie eine glühende Faust im Nacken. Paulus rührte sich dennoch nicht von der Stelle. Sein Lehrer auf der Missionsschule war ein Gegner der Apartheid gewesen und hatte Afrikaans als die Sprache des Teufels bezeichnet. Und so beherrschte Paulus genügend Englisch, um zu ahnen, dass Baas Engelbrecht überlegte, ob er Kleinmissus Sarah mit Kleinbaas Patrick verkuppeln sollte. Während Paulus schwitzend in der Sonne kauerte, fragte er sich, was es da zu überlegen gab.

Baas Hillmann sparte nicht mit Wasser. Paulus brauchte nur einen Hahn aufzudrehen, und schon verschwand der Garten unter einem zischenden Sprühnebel. Baas Hillmann besaß auch ein Schwimmbad, das so groß war, dass eintausend Ochsen daraus hätten saufen können, und jeden Samstag musste Paulus den Mercedes mit einem Gartenschlauch abspritzen. Ja, Baas Hillmann war noch reicher als die Häuptlinge im Ovamboland, und sein Sohn, Kleinbaas Patrick, würde gewiss einen hohen Brautpreis zahlen, jetzt, da feststand, dass Kleinmissus Sarah eine fruchtbare Frau war.

Paulus harkte das gejätete Unkraut mit den Fingern zusammen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Baas Engelbrecht sich einen neuen Drink mixte. Der bullige Ekakunya wirkte nervös, und Paulus glaubte, den Grund dafür zu kennen.

Wenn Paulus samstags zu Hillmanns ging, setzte er stets eine Sonnenbrille auf, denn Baas Hillmann hatte Augen, die Paulus an Eis erinnerten.

Er hatte Baas Hillmann bisher nur einmal lächeln sehen. Das war, als er den Gartenschlauch in die Gummistiefel gesteckt hatte, um seine Schweißfüße abzukühlen, und ihm dann bei jedem blubbernden Schritt eine Wasserfontäne aus den Stiefelschäften hervorgeschossen war.

An dem Tag hatte Paulus allen Mut zusammengenommen und Baas Hillmann gefragt, ob er für ihn auf der Baustelle arbeiten dürfe, bitte, Baas, asseblief tog.

»Hat Baas Engelbrecht dich rausgeschmissen?«

»Nein, Baas.«

»Warum willst du dann nicht mehr für Baas Engelbrecht arbeiten?«

»Ich habe noch nie für Baas Engelbrecht gearbeitet. Ich arbeite seit sechs Jahren für Missus Engelbrecht, aber die Missus ist eine Frau, und ich bin ein Mann.«

Baas Hillmann hatte ihn mit seinen wasserhellen Augen eine Weile angestarrt, dann eine Hand ausgestreckt und sie Paulus auf die Schulter gelegt, ihm, dem schwarzen Ovambo. »Ich verstehe«, hatte Baas Hillmann gesagt. »Aber du bist verheiratet, Paulus. Wenn du fortgehst, wird Missus Engelbrecht einen neuen Boy einstellen; einen fremden Mann, der sich an deine Frau heranmachen könnte.«

»Ich werde Esme zu ihrer Mutter schicken, Baas.«

»Nichts zu machen!« Baas Hillmanns Hand war wie eine Schlange von seiner Schulter gerutscht. »Ein Hausdrachen reicht mir.«

»Dann soll Esme sich den anderen Boy nehmen. Sie taugt sowieso nichts, Baas. Ich bin seit sechs Jahre mit ihr verheiratet, aber sie ist immer noch nicht schwanger geworden.«

»Hör mal, Paulus: Du wohnst bei Baas Engelbrecht in einer schönen Wohnung im Gartenhaus. Meine Männer dagegen verbringen zehn Monate im Jahr auf einer Baustelle draußen im Busch, und wenn sie mal nach Windhoek kommen, müssen sie in Katutura wohnen.«

Paulus hatte sich auf die Unterlippe gebissen. Als er nach Windhoek gekommen war, hatte er eine Weile in dem schwarzen Wohnviertel außerhalb der Stadt gelebt. Er war sich nicht sicher, was schlimmer gewesen war: das Jahr auf der Farm oder die Zeit, die er in Katutura verbracht hatte. Freiwillig war er nicht wieder dorthin zurückgekehrt, doch gelegentlich führte ihn ein Alptraum durch die düsteren Straßen und an den heruntergekommenen Häusern vorbei in das überfüllte Junggesellenheim. Dann wachte er jedes Mal schweißgebadet auf, denn im Heim warteten Jugendliche mit Pangas, Macheten, auf ihn, weil er für einen Ekakunya arbeitete.

»Kannst du lesen und schreiben, Paulus?«

»Ja, Baas. Ich kann auch gut rechnen.«

»Dann halte die Augen und Ohren auf.«

»Baas?«

»Ich will, dass du dir alle Autonummern von den Leuten aufschreibst, die Baas Engelbrecht besuchen, und wenn du mir außerdem noch berichten kannst, über was sie mit ihm gesprochen haben, wirst du bald mehr Geld verdienen als dein Schwiegervater. Und Josef ist immerhin mein Vormann.«

»O danke, Baas!«

»Aber kein Wort zu Baas oder Missus Engelbrecht, verstanden?«

»Ja, Baas.«

Paulus fragte sich gerade, wie er auf dem schnellsten Wege zu Baas Hillmann gelangen könnte, als Baas Engelbrecht sich von dem Verandastuhl erhob und die Missus etwas fragte.

»Ruf ihn an«, sagte Elsie. »Aber lass dich von Arthur nicht einschüchtern, hörst du? Setz ihm die Pistole auf die Brust.«

»Ja, Engel.«

Louis zwängte sich an Elsie vorbei, stieg über eine gleichgültig dreinblickende Siamkatze hinweg und nahm im Wohnzimmer auf einem Bambusrohrsessel Platz. Louis Engelbrecht liebte Bambusrohrmöbel. Sie waren hübsch anzusehen und ließen sich problemlos verfrachten, falls er eines Tages vor dem volk fliehen musste. Die klobigen Stücke, die er von seinen Eltern geerbt hatte, verstaubten in einem Antiquitätenladen. Aus dem Erlös hatte sich Elsie fingerlange Ohrringe schmieden lassen. Die Schmuckstücke ließen sich noch leichter mitnehmen und eventuell sogar im Ausland verkaufen …

Im Hintergrund hörte Louis, wie Esme verträumt in einer Tasse rührte. »Bring mir einen Kaffee!«, rief er.

Das eintönige Klirren erstarb. »Jaa-a, Baas.«

Louis wartete, den Telefonhörer in der Hand, bis Esme ins Wohnzimmer trat. Sie bewegte sich katzengleich und trug ein gewagtes, zitronengelbes Kleid, das Elsie nur einmal angehabt hatte. Als sie sich vorneigte, um den dampfenden Becher auf dem Couchtisch abzustellen, konnte er ihre braunen Brüste sehen. Verdammte Maid! Er schlug die Beine übereinander und wählte Arthur Hillmanns Geheimnummer.

»Ja?«

»Wir müssen ein bisschen zusammenrücken, Art«, sagte Louis, was bedeutete, dass eine Rakete im Anflug war.

»Okay«, erwiderte Hillmann.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, legten beide Männer auf und trafen sich im nördlichen Industrieviertel auf dem Hinterhof einer Tankstelle.

Hillmann hatte den Hof gemietet, um dort seine reparaturbedürftigen Baumaschinen abstellen zu können. Hohe Mauern schirmten die Bulldozer von den Lagerhallen und flachen Fabrikgebäuden dahinter ab. Durch eine Gasse war die Straße zu sehen, die in einem Bogen über Bahngleise hinweg in das Zentrum der Stadt hinunter führte.

Die Männer schlenderten eine Weile ziellos auf dem Hof umher. Hillmann hielt den Kopf gesenkt, suchte den mit Glimmerschiefer gesprenkelten Boden nach einer Erklärung ab. Schließlich konnte er seine Neugierde nicht mehr länger zügeln: »Was gibts, Louis?«

Kommandant Engelbrecht blieb stehen. Er war braungebrannt. Auch seine Zähne, das schüttere Haar und die Augen waren braun, so als hätte sich seine Uniform im Laufe der Dienstjahre auf ihn abgefärbt. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, straffte die Schultern und sagte: »Patrick hat Sarah verführt.«

»Wie bitte?«

»Er hat sie vernascht, Art.«

Hillmann blickte ihn an, blinzelte, dann verzogen sich seine Lippen zu einem breiten Lächeln. »Himmel«, sagte er, »und ich dachte schon, ein Bauprojekt sei ins Wasser gefallen.«

»Du hast mich falsch verstanden.«

»Nein«, behauptete Hillmann. »Ich weiß, dass du es gern gesehen hättest, wenn Sarah damit bis zur Hochzeitsnacht gewartet hätte, aber die Zeiten haben sich geändert, Louis.« Er stieß Engelbrecht mit dem Ellbogen an. »Nimms nicht so ernst, alter Junge: Die beiden haben schon als Kinder im Sandkasten zusammengespielt.«

Kommandant Engelbrecht legte eine Hand auf das blaue Barett der Pioniere und kratzte sich durch den Filz hindurch am Kopf. »Es ist mehr als das passiert«, sagte Louis, und er konnte nicht verhindern, dass seine Augen sich mit Tränen füllten. »Sarah ist schwanger.«

Hillmann erstarrte. »Das darf nicht wahr sein.«

»Doch, Art. Sie ist im zweiten Monat.«

»Scheiße!« Hillmann packte Engelbrecht am Arm und führte ihn zu den in der Sonne parkenden Wagen zurück. »Wer weiß Bescheid?«

»Nur Elsie, du und ich. Und Sarah natürlich.«

»Bei welchem Arzt ist sie gewesen?«

»Doktor Potgieter.«

Hillmann stieg in seinen Mercedes. »Fahr nach Hause, Louis, und warte dort, bis ich mich bei dir melde.«

»Okay, Art.« Engelbrechts Stimme ging im aufheulenden Motorenlärm unter. Er lehnte sich an den roten Datsun – ein Geschenk Arthurs an Elsie – und beobachtete, wie der goldfarbene Mercedes durch die Gasse schoss und Richtung Innenstadt verschwand.

Louis wischte sich mit dem Daumen und Zeigefinger imaginäre Krümel aus den Mundwinkeln, und als er die Hand sinken ließ, um die Wagentür zu öffnen, merkte er, dass sie zitterte.

3

Patrick saß auf seinem Bett, den Rücken an die Wand gelehnt, und betrachtete gedankenverloren das Passbild eines Mädchens. Es lächelte ihn aus seiner gewölbten Hand hervor an, doch er wusste, dass Sarah nicht in Ordnung war: Er hatte sie in der Mathestunde mit geblähten Wangen aus der Klasse stürzen sehen; kalkweiß im Gesicht, so dass ihre Sommersprossen wie Rostflecken auf ihrem Nasenrücken geklebt hatten …

»Patrick.«

Er riss den Kopf hoch, gleichzeitig schloss sich seine Faust um das Foto, dann beobachtete er, wie seine Mutter in das Zimmer trat und vor einem am Boden aufgetürmten Bücherstapel stehenblieb. Martha Hillmann hatte ein breites Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen, großen, dunklen Augen und trug einen grauen Hosenanzug. Sie sah wie eine Karrierefrau aus: kühl, elegant und selbstsicher. Doch Patrick bemerkte an ihren vor der Brust ringenden Händen, dass sie nervös war.

»Was ist, Mum?«

»Dein Vater will dich sprechen.«

»Warum?«

Martha zuckte die Achseln, und ihre dunklen Augen tasteten sein Gesicht ab, keineswegs vorwurfsvoll, sondern forschend, als fahndete sie nach der Ursache, die ihn immer wieder in Schwierigkeiten brachte. Patrick wich ihrem Blick aus, indem er sich erhob und seine Mutter über den Bücherstapel hinweg umarmte – das erste Mal seit Jahren. »Bitte«, flüsterte sie dicht an seinem Ohr. »Mach bitte, bitte keinen Ärger, Patrick. Er ist auf hundertachtzig.«

»Ich habe nichts ausgefressen.«

»Trotzdem.«

»Okay, Mum.« Er löste sich von seiner Mutter und steckte das Foto in die Brusttasche, mit dem Gesicht des Mädchens voran, so dass Sarah sich ihm zu- und von allen anderen abwandte.

»Komm«, sagte Martha, und er folgte ihr aus dem Zimmer.

Seine Schritte hallten im Korridor wider, während Martha vor Patrick herzuschweben schien – wie eine blondgelockte Fee, die auf den Parkettfußböden und schweren Möbeln der zweistöckigen Villa keine Spuren hinterließ, sondern einen allgegenwärtigen Glanz.

Als sie durch den Korridor in das geräumige Wohnzimmer traten, sah Patrick seinen Bruder auf dem Ledersofa hocken. Erich hatte den Kopf in den Nacken geworfen und ließ, ohne den Blick vom Fernsehschirm zu wenden, eine Handvoll Erdnüsse aus seiner Faust in den Mund rinnen.

Ein Schuss krachte.

John Wayne musste es böse erwischt haben, denn Erich presste beide Hände auf den Bauch und kippte vornüber, wobei ihm ein sahnefarbener Brei auf die schmerzverzerrten Lippen trat.

»Erich!«

Der Junge setzte sich ruckartig auf. Es war ihm peinlich, dass sie ihn ertappt hatten, und so wandte er ihnen verlegen grinsend sein feistes Gesicht zu, spreizte den Zeigefinger ab und zielte damit auf Patrick: »Peng!«

Erdnusskrümel spritzten durch das Zimmer.

Patrick verpasste seinem Bruder eine Kopfnuss, und Erich, der John Wayne vergötterte, begann zu wimmern wie ein fünfzehnjähriger, pickeliger Junge, der er war. Doch ehe Patrick in den Flur abbog, der auf eine schwarze Tür mündete, traf ihn eine Erdnuss an der Schläfe. Patrick zuckte weder zusammen, noch warf er Erich einen finsteren Blick zu; seine Augen waren starr auf die Ebenholztür gerichtet: Dahinter lag Arthur Hillmanns Arbeitszimmer …

Arthur saß auf einem Drehstuhl, einen Telefonhörer zwischen Schulter und Wange geklemmt, und begutachtete seine manikürten Fingernägel. Damals, als er noch eigenhändig Backsteine aufeinandergetürmt hatte, waren seine Hände voller Schwielen gewesen. Jetzt brauchte er nur eine Nummer zu wählen, um eine ganze Kolonne Baumaschinen in die entlegensten Gebiete Südwestafrikas zu entsenden. »Mach dir keine Sorgen, Louis«, sagte er in die Sprechmuschel. Seine Stimme klang ruhig, fast gelangweilt.

Patrick blieb vor dem Schreibtisch stehen, blickte auf seinen Vater herunter und sah sich selbst dort sitzen: einen sehnigen, hochgewachsenen Mann in einem blauen Hemd, das zu seinen Augen passte, und Hosen, die so schwarz waren wie Arthurs säuberlich zur Seite gekämmtes Haar. Patrick hörte, wie hinter ihm die Tür ins Schloss fiel. Er war mit seinem Vater allein.

»Okay, Louis, bis später.« Hillmann legte den Hörer auf die Gabel. Dann hob er den Kopf und musterte Patrick, während er sich mit einem vergoldeten Kugelschreiber nachdenklich an die Zähne klopfte.

»Paps?«

Hillmann neigte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und verschränkte die Finger unter dem Kinn. »Wenn es nach Elsie ginge, bekäme ich von Louis keinen Auftrag mehr«, sagte er. »Und weißt du, warum?«

»Keine Ahnung.« Patrick senkte den Kopf. Was gingen ihn die Probleme des Alten an?

»Weil Sarah schwanger ist!«

Patrick spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. »Schwanger?«, würgte er hervor.

»Ja! Oder willst du etwa behaupten, dass du nicht mit ihr gebumst hast?«

Patrick hätte sich gern gesetzt, doch in Arthur Hillmanns Arbeitszimmer gab es keinen zweiten Sessel. Er klammerte sich an die Schreibtischkante.

»Warum bist du nicht zu mir gekommen, ehe du dich mit dem Flittchen eingelassen hast?«

Dort, wo Arthurs Kaffeebecher zu stehen pflegte, rechts neben der grünen Filzunterlage, hatte sich ein heller Fleck auf der Schreibtischplatte ausgebreitet. Patrick starrte ihn an. »Ich weiß es nicht, Paps.«

»Und warum musste es ausgerechnet Sarah Engelbrecht sein?«

»Ich liebe sie.«

Arthur verdrehte die Augen. »Wann?«

»Wann was?«

»Ich will wissen, wann du zum ersten Mal mit ihr geschlafen hast!«

»Ach so … äh? vor zwei Monaten. Auf unserem Klassenausflug zum Waterberg.«

»War ein Lehrer dabei?«

»Ja – Mister Wright.«

Arthur notierte sich den Namen, und Patrick wusste, dass sein Klassenlehrer so gut wie entlassen war. »Das heißt aber nicht, dass du ungeschoren davonkommst«, hörte er Arthur murmeln.

Patrick richtete sich auf. »Das habe ich auch nicht erwartet, Paps.«

»Nein?«

»Ich werde Sarah heiraten.«

Arthur ließ den Kugelschreiber sinken. »Heiraten?«, flüsterte er und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Du tickst wohl nicht richtig?«

»Wieso?«

»Heiland!« Arthur schüttelte den Kopf. »Er ist nicht mündig, ja, er weiß nicht mal, wie ein Kondom aussieht, aber er will eine Familie gründen, der Herr, und das mit einem Burenmädchen, das einen versoffenen Vater hat.«

»Aber Oom Louis ist doch dein Freund, Paps!«

»Engelbrecht ist mein Geschäftspartner. Und wenn er glaubt, dass er seine Tochter in ein gemachtes Nest setzen kann, hat er sich getäuscht.«

»Was ist das?«, ertönte eine polternde Stimme im Wohnzimmer: Sinna, das schwarze Dienstmädchen, war auf die Erdnuss getreten, die Patrick an der Schläfe getroffen hatte. »Wer hat die Nuss da hingeschmissen?«

Patrick vernahm undeutlich seinen Namen. »Und jetzt, Paps?«

»Du wirst dich für die nächsten drei Monate auf den Hosenboden setzen. Und wenn du deinen Schulabschluss mit Auszeichnung bestanden hast, sehen wir weiter.«

Drei Monate Hausarrest! Bei dem Gedanken brach ihm der Schweiß aus. »Ich kann Sarah doch nicht einfach sitzenlassen, Paps!«

»Und ich kann mir nicht länger mit ansehen, wie dein Füllfederhalter ausläuft.«

Patrick griff sich verdutzt ans Hemd. Es war schweißnass und Sarahs Handschrift auf der Rückseite des Fotos zu einem blauen Klecks zerlaufen. »Ich …«

»Lass nur.« Arthur winkte seufzend ab. »Ich habs aufgegeben, mich über dich zu wundern.«

»Hör mir bitte zu, Paps: Sarah …«

»Sarah ist ein Flittchen, ich weiß.«

Im nächsten Moment flog Arthur Hillmanns Kopf nach hinten. Patrick konnte sich nicht daran erinnern, zum Schlag ausgeholt zu haben. Aber die Knöchel seiner rechten Hand schmerzten, und aus dem vor Staunen geöffneten Mund seines Vaters sickerte Blut.

»O mein Gott!« Patrick hob die Hände. »Das habe ich nicht gewollt … Ehrlich nicht, Paps!«

Jegliche Farbe war aus Arthurs Augen gewichen; wie Eisblumen funkelten sie Patrick aus seinem braunen, glatten Gesicht an, derweil er in der Hosentasche nach einem Taschentuch kramte. »Das wirst du mir büßen«, sagte er. Seine Stimme klang ebenso gelassen wie vorhin, als er mit Louis Engelbrecht telefoniert hatte.

»Verzeih, Paps. Bitte! Ich wollte nicht …«

Ein kühler Luftzug strich Patrick über den Rücken, dann stürzte seine Mutter in das Arbeitszimmer, den Blick voller Entsetzen auf Arthur gerichtet.

»Geht mir aus den Augen«, murmelte Arthur in das Taschentuch, »alle beide.«

Es war immer dasselbe Theater und das Stück inzwischen so oft erprobt worden, dass es die ganze Familie Akt um Akt herunterbeten konnte: Arthur besteigt sein Schlachtross; daraufhin eilt Martha ins Wohnzimmer und mixt einen Drink, Chivas Regal on the Rocks. Den trägt sie ins Arbeitszimmer. Sie hofft, dass Arthur seinen Zorn an ihr auslässt. Doch das tut er nicht, niemals. Er sitzt am Schreibtisch und lutscht rachesinnend am Kugelschreiber. Martha streckt die Arme aus und setzt das Glas mit beiden Händen behutsam auf dem hellen Fleck des Opferaltars ab. Er beachtet sie nicht, sondern wartet, bis sie das Arbeitszimmer verlassen hat. Dann trinkt er den Whisky in einem Zug aus und füllt das Glas aus einer im Bücherschrank versteckten Flasche wieder auf, ehe er auf seinem Weg in den Garten alle Türen hinter sich zuknallt und mit quietschenden Reifen davonbraust. Kaum ist er weg, schlüpft Martha ins Arbeitszimmer. Nein, Arthur hat ihre Opfergabe nicht angenommen. Nun beginnt Martha rastlos umherzuwuseln, als wollte sie einen Staudamm errichten, der verhindern sollte, dass Arthurs Zorn wie eine Flutwelle über die Familie hereinbricht. Das Haus wird aufgeräumt, der Garten in Ordnung gebracht; Martha sorgt dafür, dass immer frische Waffeln auf dem Tisch stehen, die Kinder essen in der Küche, das Radio schweigt, John Wayne verzichtet des Friedens willen darauf, über den Bildschirm zu reiten, und selbst Sinna senkt ihre Stimme zu einem Flüsterton herab. Der Einzige, der mit dem Schwanz wedelt, ist Cracker, der Schäferhund. Ihm setzt Sinna die verschmähten Waffeln vor. Manchmal verstreichen Tage, manchmal auch Wochen, ehe Arthur Hillmann ans Telefon geht und, so als sei nichts gewesen, eine Party organisiert. Dann lachen die Kinder wieder, plärrt das Radio, knurrt John Wayne, schimpft Sinna und fragt Martha sich, ob Arthur einen neuen Auftrag oder eine neue Freundin an Land gezogen hat …

Patrick stieß die Tür zu seinem Zimmer auf. Erich saß mit gekreuzten Beinen vor dem Bücherstapel. Er hatte in einem Bildband geblättert, in einem, in dem nackte Nubamädchen abgebildet waren. Jetzt klappte er das Buch hastig zu, legte es auf den Stapel zurück und wischte die Hände an seinen Shorts ab. »Sei gegrüßt, großer Bruder.«

»Was hast du in meinem Zimmer verloren?«

»Der schwarze Hausdrachen ist hinter mir her.«

»Du hast Sinna doch gesagt, dass ich die Erdnuss auf den Boden geworfen hätte.«

»Hab ich nicht.«

»Ach? Wirklich nicht?«

»Was hat der Alte gesagt?«, wich Erich seiner Frage aus.

Patrick schloss die Tür. Er wollte es nicht sagen und tat es doch: »Ich habe ihm eine gewischt.«

»Was?« Erich erhob sich. Dabei verrutschte das T-Shirt und entblößte seinen weißen Bauch. »Du lügst!«

Patrick hielt seinem Bruder die angeschwollene Hand hin. Sie bebte; er stand noch immer unter Strom, und das Triumphgefühl, das ihn durchrieselte, beunruhigte ihn.

»Scheiße«, entfuhr es Erich, »jetzt darf ich mir für weiß Gott wie lange keine Videofilme mehr ansehen.«

»Du stehst nicht unter Hausarrest. Geh doch zu deinen Freunden.«

»Das sind alle arme Schlucker«, lamentierte Erich. »Von denen hat keiner einen Fernseher.« Er kratzte sich ratlos am Bauch. »Warum hast du dich überhaupt mit dem Alten angelegt?«

Patrick zwängte sich an seinem Bruder vorbei, streifte die Schuhe ab und legte sich auf das Bett. »Ich will jetzt nicht darüber reden.«

In dem Moment knallte eine Tür. Erich pfiff leise durch die Zähne. Der Knall hatte sich wie ein Schuss angehört. »Ich werde dem Alten heute Abend das Garagentor öffnen.«

»Ja, kriech ihm in den Hintern.«

»Was soll ich denn sonst machen? Mit dir und Mum um die Wette heulen?«

»Werde nicht frech, du.«

Erich ahmte John Wayne nach, indem er seinen Mund zu einem schiefen Grinsen verzog. »Pass bloß auf, dass mir nicht bald die Faust ausrutscht.«

Ehe Patrick etwas erwidern konnte, war sein Bruder auf dem Korridor verschwunden. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Draußen vor seinem Fenster heulte der Mercedes auf, Reifen quietschten, dann hörte Patrick, wie sein Vater den Wagen im ersten Gang die Heinitzburgstraße hinunterjagte, damit alle, die den Luxushügel bevölkerten, auch ja mitbekamen, dass Arthur Hillmann wieder einmal die Nase voll hatte.

Patrick zog das Passbild aus der Brusttasche. Es fühlte sich klamm an. Sarahs braunes Haar schien an ihren Wangen zu kleben. Es hatte auch in der Nacht auf dem Waterberg an ihren Wangen geklebt, und er erinnerte sich daran, wie weiß ihre Haut im Mondlicht geschimmert hatte. Er drehte das Foto um. Nur mit Mühe konnte er die zierliche, von Schweiß aufgeweichte Schrift entziffern: In Liebe, Sarah.

»Patrick!«

Er wandte den Kopf, das Foto flach auf die Brust gepresst. Seine Mutter stand in der Tür.

»Was zum Teufel ist in dich gefahren?«

Das wusste er nicht. Er erinnerte sich nur daran, dass sie ihm vor Jahren dieselbe Frage schon einmal gestellt hatte. Er war sechs oder sieben Jahre alt gewesen und hatte ein Haus aus Legosteinen gebaut. Alles war gutgegangen, bis er versucht hatte, die Grundmauern abzudecken. Richtig: Das Dach war eingestürzt, immer und immer wieder, und dann hatte plötzlich ein schwarzer Blitz eingeschlagen, und als Patrick wieder klar denken konnte, hatte er nur das Geräusch in den Ohren gehabt, mit dem die Legosteine an die Fensterscheibe geprasselt waren.

»Es tut mir leid, Mum.«

Sie hielt sich mit einer Hand an der Türklinke fest. So abgekämpft wie Martha Hillmann aussah, würde sie erst am nächsten Tag mit dem Hausputz beginnen. »Ich hätte dich nicht mit ihm allein lassen sollen.«

»Das hätte ihn auch nicht daran gehindert, Sarah durch den Dreck zu ziehen.«

»Du hast ihn enttäuscht, Patrick.«

Ich habe mein Leben lang nichts anderes getan. Und das nur, weil ich lieber Vögel beobachte, als mit Backsteinen und Golfbällen zu spielen. Was ist daran so schlimm?«

»Erich interessiert sich auch nicht für Backsteine und Golfbälle, aber er tut zumindest so, als ob. Und er hat sich dabei kein Bein gebrochen.« Im Gegenteil: Seine Heuchelei räumte ihm die Freiheit ein, mit ungekämmten Haaren, zerkratzten Schuhen und heraushängendem Hemd herumlaufen zu können.

»Was geschieht jetzt mit Sarah, Mum?«

»Vergiss das Mädchen.«

»Das kann ich nicht.«

»Doch«, beharrte sie, und der Anflug eines Lächelns, der ihm Mut machen sollte, umspielte ihre schmalen Lippen. Sie sprach aus Erfahrung, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass er Sarah nie wiedersehen, niemals mehr ihre Stimme hören, sie nie mehr berühren würde. »Ich liebe sie, Mum. Und sie erwartet ein Kind von mir.«

Martha richtete sich auf. »Du wirst dich trotzdem von ihr trennen, verstanden?« Ohne seine Widerrede abzuwarten, wandte sie sich um und huschte davon.

4

Scotch?«

»Ja, bitte.«

Arthur setzte sich neben Elsie auf das Sofa, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen, und beobachtete, wie Louis sich einer hüfthohen Buschtrommel näherte. Sie stand in einer mit Holzmasken, Speeren, Bogen und Pfeilen verzierten Ecke. Louis bückte sich, öffnete die an der Rückwand eingelassene Tür und holte eine Flasche Chivas Regal hervor. Bisher hatte das volk sein Geheimfach noch nicht entdeckt, und er hoffte, dass Esme und Paulus noch eine Weile vergebens nach dem Schatz suchen würden. Denn sobald sie das Geheimnis der Trommel gelüftet hatten, würde Louis sie entlassen müssen und sich nach einem neuen Paar umsehen, das die Schuhe und die Autos putzte, Elsie den Kaffee ans Bett brachte, die Katzenkiste säuberte, sich um den Haushalt und den Garten kümmerte.

Als Louis die Geheimtür sorgfältig verschlossen hatte und mit dem Glas in der Hand auf ihn zusteuerte, bemerkte Arthur, dass Engelbrecht bereits einen Vorsprung hatte: Er atmete heftig, sein Gesicht war gerötet und die Nase purpurrot angelaufen. »Eis?«

Arthur lehnte dankend ab, denn Louis benutzte nie die Zange, die Martha ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, und Gott allein wusste, wie oft er sich an diesem Nachmittag schon am Hintern gekratzt oder an seinen Mundwinkeln herumgefingert hatte.

»Gesundheit.«

»Cheers.«

Arthur nippte an seinem Drink, während Elsie reglos neben ihm hockte und Louis seinen lauwarmen Brandy & Coke mit dem Zeigefinger umrührte. Sie warteten, und mit ihnen die ungezählten Nippesfiguren, die das gegenüberliegende Wandregal bevölkerten und aus ihren großen, glänzenden Porzellanaugen auf Arthur herabblickten.

»Hört zu«, begann Arthur. »Die Sache ist mir ebenso unangenehm wie euch, aber ich weiß, wie wir die Angelegenheit diskret aus der Welt schaffen können.«

»Wie denn?«, fragte Louis und leckte den Zeigefinger ab.

»Indem Elsie und Sarah auf meine Kosten nach Holland fliegen.«

»Nach Holland?« Elsie rückte von ihm ab. »Was sollen wir in Holland?«

»In Holland kennt euch niemand, Engel«, erklärte Louis.

»Ach so …« Es dauerte so lange, wie Louis brauchte, um seine Zigarette anzuzünden, dann fiel bei Elsie der Groschen: »Aber wenn wir zurückkommen, werden die Leute das Kind doch sehen und sich fragen, wo wir es herhaben.«

»Stimmt«, sagte Louis. »Das macht irgendwie keinen Sinn.«

»O doch«, konterte Arthur. »In Holland ist eine Abtreibung möglich, in Südafrika dagegen verboten.«