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Die Kinder auf Schloss Bröckelfels wissen, dass die Suche nach dem Gold schwierig werden wird. Es ist dort seit Jahrzehnten versteckt, aber sogar die Polizei fand es nie, trotz gründlichster Durchsuchung aller Möbel, Wände, Decken und Böden mit Mikroskopen, Bohrern und Röntgenstrahlen. Die Kinder kommen dem Versteck auf die Spur, doch in den Nächten geschehen immer mehr unerklärliche Dinge. Sie merken, dass ein unsichtbares Wesen durch das alte Gemäuer geistert. Ein Gespenst. Sie hören seine Schritte und sein Atmen. Eine plötzliche Kälte lässt alle Lichter erlöschen und das Kaminfeuer zu Asche zerfallen. Kaum sichtbar starren böse grünlich funkelnde Augen aus der Dunkelheit. Ein Kind will wegrennen, doch eine unsichtbare Hand packt zu und hält es fest.
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Seitenzahl: 271
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Schatzsuche im
Gespensterschloss
Impressum
Laudeg GmbH
Niederwall 23
32312 Lübbecke
Inhaltsverzeichnis
Goldbarren, die nie gefunden wurden
Mia wird frech
Eine ernste Warnung
Sturz in den Abgrund
Jemand weiß was über verstecktes Gold
Mias Trick
Blutige Kreissäge
Um Mitternacht auf dem Friedhof
Rache an Mia
Der Mordplan
Wie eine Windmühle funktioniert
Warum fand man die Geheimtür nie?
Eine unsichtbare Spur
Geräusche aus einem geheimen Zimmer
Die verbotene Insel
Wasser bis zur Zimmerdecke
Mordversuch
Wie man ein Baumhaus baut
Wie tausend Wunderkerzen
Gefährliche Fallen
Die Riesenspinne
Es spukt
Der Schatzplan
Hilfeschreie in der Nacht
Unerklärliche Kälte
Der Geheimgang
Todesangst vor der unsichtbaren Hand
Probleme
Sturz in die Kitzelschlucht
Superkleber auf der Klobrille
Fiese Tricks
Die Flugscheibe
Kanonendonner in der Küche
Funkenregen im trockenen Wald
Am Seil hinab durch den Schornstein
Zerbrechlicher Balkon
Das Geheimversteck auf dem Dachboden
Überfall
Brennende Unterhose
Die Erklärung des Spuks
Der Tresor
Das geheime Schatzversteck
Unerwartetes
Mit angehaltenem Atem starrte Lukas auf das, was er in seinen schmutzigen Händen hielt. Er war so gefesselt davon, dass er nicht mal die Fledermaus bemerkte, die an seinem Ohr vorbeiflog und die Kerze zum Flackern brachte.
Sein Herz schlug schneller.
»Volltreffer!«, rief er. »Leon, sieh dir an, was ich gefunden habe! Das glaubst du nicht!«
Von unten hallte die Stimme seines älteren Bruders herauf: »Du sagtest, ich soll aufpassen, dass keiner kommt.«
»Nur einen Moment!«
Die Leiter knarrte. Leon kam auf den Dachboden, kletterte auf einen holzwurmzerfressenen Barocktisch, stolperte über einen Käfig mit einer toten Vogelspinne und stürzte kopfüber in ein riesiges Wespennest, das knisternd zerbröselte.
Lukas lachte. »Gut, dass darin keine Wespen mehr sind.«
»Zeig her!«
»Versprich mir, dass du es niemandem verrätst!«
»Her damit!«
»Versprich es, sonst zeige ich es dir nicht!«
Flecki bellte unten.
Lukas flüsterte: »Es kommt jemand!« Er stieg die Leiter hinab, gefolgt von Leon, streichelte Flecki und spähte aus dem mit Schnitzereien verzierten Fenster des uralten Schlosses. »Ein Schatten! Nichts wie weg!«
Leon schob die Leiter hinauf und schloss die Klappe.
Jemand steckte einen Schlüssel in die Eingangstür.
Die Jungs sprangen aus einem Fenster in den Garten, und der Hund hinterher.
Lukas lief zur Vordertür. »Komm! Niemand darf merken, dass wir ins Schloss eingedrungen waren.«
Leon folgte ihm. »Siehst du ein, dass es eine blöde Idee war, das Türschloss mit einem Draht zu öffnen, statt zu warten, bis uns jemand hereinlässt?«
»Nö!«, sagte Lukas. »Was ist, wenn der Graf es nicht erlaubt, auf den Dachboden zu steigen?«
»Na und? Du musst nicht immer altes Gerümpel durchwühlen.«
»Doch! Sonst hätte ich es nie herausgefunden.«
»Was?«
»In diesem Schloss gibt es ein altes Geheimversteck, das nie gefunden wurde. Mit zwei Tonnen Goldbarren! Lass uns danach suchen! Halt den Riesenhund fest, nicht dass schon wieder jemand bei seinem Anblick in Ohnmacht fällt.« Lukas zog neben der Tür an einen Griff, und eine Glocke erklang.
Leon hielt Flecki fest.
Ein blondes Mädchen öffnete die Tür. Lukas schätzte es auf zehn Jahre. Er war elf, und sie sah etwas jünger aus.
»Hallo, ich bin Mia. Seid ihr die neuen Pflegekinder? Wie war die Bahnfahrt?«
Flecki riss sich von Leon los, stürmte bellend heran, machte einen Riesensprung auf Mia zu, warf sie zu Boden und zog seine lange, nasse Schlabberzunge durch ihr Gesicht.
»Er scheint dich zu mögen«, sagte Lukas.
Mia lachte. »Das kitzelt! Ist der niedlich.« Mia griff in Fleckis Fell und kuschelte sich mit ihrem Stupsnäschen und ihren Wangen ein. »So was Flauschiges! Schenkst du ihn mir?«
Lukas nahm Flecki. »Willst du eins auf die Nase haben?«
»Wo ist der Graf?«, fragte Leon.
»Der verjagt unsere Köchin.«
Leon lachte. »Kochte sie so schlecht?«
»Sie kochte spitzenmäßig, aber ... Lukas, wo willst du hin?«
»Das Schloss besichtigen.« Lukas lief hinein, nahm die Holzstange mit dem Haken, öffnete die Klappe und zog die Leiter herunter.
»Spinnst du? Der Graf hat verboten, den Dachboden zu öffnen!«
»Das macht mein Bruder immer«, sagte Leon. »Von Geburt an neugierig wie eine Wühlmaus.«
Lukas schloss die Klappe.
Mia nahm die Stange, legte deren Ende auf einen Stuhl und sprang drauf, sodass sie zerbrach. »Mach nicht so ein Gesicht! Den Dachboden zu betreten, ist lebensgefährlich.«
»Warum?«
»Dort sind ... äh ... Ratten.«
Lukas lachte. »Davor hast du Angst?«
»Natürlich nicht!«, schrie Mia. »Die, äh, die Decke, die ... könnte einstürzen.« Mia ging.
Lukas sagte nichts. Er würde schon herausfinden, welche Gefahr der Dachboden wirklich verbarg. Lukas ging von Zimmer zu Zimmer und durchstöberte Schränke und Schubladen. In der Flurkommode fand er Holzleim und kramte ihn heraus.
Leise.
Ganz leise.
So leise wie möglich.
Offenbar nicht leise genug.
»Leim wird nicht halten.« Grinsend stand Mia neben ihm. »Im Gartenhaus ist Klebeband. Komm, ich helfe dir!« Sie nahm die Stücke der Stange, lief mit Lukas ins Gartenhaus und zeigte auf ein Regal: »Da oben liegt es.«
Lukas kletterte auf einen Stuhl, fand aber kein Klebeband. Er drehte sich um.
Mia war fort.
Draußen kreischte eine Maschine.
Lukas sprang vom Stuhl und lief hinaus.
Mia stand vor einer Häckselmaschine, in dessen Trichter die Stücke der Dachbodenstange verschwanden. Unten rieselten Holzspäne heraus.
»Ich meine es nur gut«, sagte sie.
Lukas stöhnte. Mia hatte ihn ausgetrickst. Ihm kam eine Idee. »Möchtest du mit dem Hund spielen? Auf der Wiese?«
Mia nickte und verschwand mit Flecki hinter dem Schloss.
Lukas lief zu Leon. »Schnell, hol einen Ast! Einen langen!«
»Wozu? Was hast du auf dem Dachboden gefunden?«
»Beeil dich!« Lukas betrat das Schloss.
Leon kam herein und zog einen Ast hinterher. »Lang genug?«
»Perfekt! Ich brauche einen Kleiderbügel.«
Leon fand einen Bügel in einem mit Schnitzereien verzierten Kleiderschrank.
Lukas befestigte den Haken des Kleiderbügels am Ende des Astes und versuchte, die Dachbodenklappe zu erreichen.
Leon half ihm. »Du hast gesagt, es gäbe im Schloss ein Geheimversteck voller Gold.«
»Genau.« Lukas schaffte es, den Haken einzuhängen. »Es wurde nie gefunden. Wir finden es, aber dafür muss ich auf den Dachboden. Schnell, bevor der Graf kommt!«
Leon blickte aus der Tür nach draußen. »Woher weißt du das?«
Lukas öffnete die Klappe. »Komm, ich zeig es dir!«
Er zog die Leiter herunter und stieg hinauf.
»Mia kommt!«, rief Leon.
Lukas stürzte die Leiter hinab und wollte sie zurückschieben. Doch sie klemmte.
Leon fasste mit an. Sie schoben die Leiter hinauf, aber Mia kam herein, bevor Lukas die Klappe geschlossen hatte.
»Was machst du da, du Rotzbengel?«
»Ich will wissen, was auf dem Dachboden so gefährlich ist.«
Mia schleppte eine Leiter herbei. »Na gut, ich sage es euch.« Sie stieg mit einem Akkuschrauber auf die Leiter.
»Da oben ist ein Wespennest.«
Lukas lachte.
»Hör auf zu lachen! Ich bin allergisch gegen Wespenstiche. Einmal ist mein Bein angeschwollen. Willst du, dass mir eine Wespe in den Hals fliegt und ich ersticke?« Mit dem Akkuschrauber drehte Mia Schrauben in die Dachbodenklappe, damit man sie nicht mehr öffnen konnte.
»Ihr seid hier, damit der Graf euch adoptiert. Ihr möchtet endlich eine richtige Familie, oder?«, fragte Mia.
Lukas nickte.
Mia öffnete eine mit Schnitzereien verzierte Tür zu einem geräumigen Zimmer. Dort stand ein riesiges Himmelbett aus reich verziertem Edelholz mit Vorhängen, einem hohen spitzen Zeltdach aus Seide und mit flauschigen Decken und Kissen. »Hier wohnt ihr. Mein Zimmer ist auch bald fertig, es muss noch gestrichen und eingerichtet werden.«
Die Jungs machten erstaunte Gesichter.
»Ich sehe, es gefällt euch. Wenn ich den Hund nicht bekomme, sage ich dem Grafen, ihr wolltet die Wespen freilassen und hättet mich dadurch fast umgebracht. Dann kommt ihr zurück ins Kinderheim.«
Lukas lachte. »Woher sollten wir wissen, dass auf dem Dachboden ein Wespennest ist?«
»Mia, du kannst Flecki nicht haben!«, sagte Leon. »Lukas schleppte eines Tages im Regen einen Karton nach Hause. Darin zappelte in einer Blutlache eine verwilderte Hündin. Sie war bei dem Versuch, ihr neugeborenes Hundebaby aus einem überschwemmten Wald zu retten, überfahren worden. Wir konnten ihr nicht mehr helfen. Sie starb, und wir haben sie begraben. Bis zuletzt saugte das kleine flauschige Hundebaby an ihr, aber es kam keine Milch mehr. Lukas hat Flecki mit der Nuckelflasche aufgezogen und liebt ihn über alles.«
Mia sagte: »Ist mir egal! Ich will den Hund haben! Wenn ich ihn nicht bekomme, mache ich mit einem Streichholz ein Brandloch in meine Kleidung, zeige es dem Grafen und sage, Lukas hätte versucht, mich anzuzünden.« Mia rannte ins Gartenhaus.
Lukas folgte ihr.
Mia lief mit brennender Kleidung heraus. »Au! Ist das heiß!«
Lukas trug einen Feuerlöscher aus dem Gartenhaus und drückte ab. Ein gewaltiger Strahl schoss aus der Düse. Mia wurde in eine Pulverwolke gehüllt und flog rückwärts auf den Rasen.
Sie rappelte sich auf und schrie: »So! Das reicht! Das sage ich dem Grafen! Der kommt gleich und steckt euch ins Heim!«
In der Ferne erklang Motorengeräusch.
Leon schüttelte den Kopf. »Womit hab ich das verdient?«
Auf einem Geländemotorrad kam ein großer Mann mit Anzug und Glatze angebraust, hielt vor dem Schloss an und stieg ab. Er trug eine Seidenkrawatte, eine goldene Uhr, duftete nach Rasierwasser und bohrte in der Nase. »Willkommen auf Schloss Bröckelfels! Ich bin der Graf.«
Flecki pinkelte ihm ans Bein.
Der Mann blickte lachend hinunter. »Na, na! Dass mir euer Kalb das nicht noch einmal macht!«
Verwundert sagte Lukas: »Das hat der Hund noch nie getan!«
Mia sagte: »Lukas hat mich angezündet.«
»Sie hat sich selbst angezündet!«, sagte Lukas.
Leon nickte: »Ich habe es gesehen.«
Der Graf klatschte in die Hände. »Silentium!«
Mia sagte: »Das ist Latein. Es heißt: ›Haltet alle die Fresse!‹«
»Das gilt auch für dich!«, sagte der Graf. »Kommt, Jungs, ich zeige euch euer Zimmer.«
»Nicht nötig«, sagte Lukas. »Mia hat uns alles gezeigt.«
»Gut«, sagte der Graf. »Dann hole ich das Auto und bringe die neue Köchin her. Wir hatten eine, die hieß Viola. Kochte gut. Leider musste ich sie entlassen.«
»Warum?«, fragte Lukas.
»Viola arbeitete hier nur, um Mia zu entführen. Kann keine Kinder bekommen und will mir meine wegnehmen. Auf euch hat sie es auch abgesehen. Bei allen Gesprächen mit dem Jugendamt wegen der Adoption wollte sie dabei sein und stellte unentwegt Fragen, wer ihr seid, wann ihr kommt, wollte alles über euch wissen und über Mia. Ich habe sie rausgeschmissen und ihr verboten, sich beim Schloss aufzuhalten. Sie kam trotzdem her, lockte Mia mit einem Fischbrötchen an und nahm sie mit.« Der Graf nahm Lukas und Leon an der Hand. »Nehmt auf keinen Fall was zu essen oder zu trinken von Viola an! Und geht auf keinen Fall mit ihr mit! Viola ist gefährlich. Habt ihr das verstanden?«
Die Jungs nickten.
»Hört zu!«, sagte der Graf. »Da verstehe ich keinen Spaß. Geht niemals zu Viola!« Er stieg auf das Motorrad. »Ich hole das Auto und bringe die neue Köchin her.
»Darf ich mitfahren?« Leon wartete die Antwort nicht ab und setzte sich hinter den Grafen.
»Das geht nicht. Du hast keinen Helm.«
»Wer soll das hier kontrollieren?«
»Ich zum Beispiel.«
»Nur ein kleines Stück.«
»Nein.«
»Bitte!«
»Steig ab!«
»Ich bin noch nie Motorrad gefahren.«
»Es ist zu gefährlich.«
»Nur bis zur Hauptstraße.«
»Ich habe Nein gesagt.«
»Nehmen Sie mich trotzdem mit?«
»Du bist eine Nervensäge!«
»Danke!«
»Leon, wenn man Nein sagt, heißt das Nein.«
Leon lächelte ihn an. »Machen Sie mal eine Ausnahme!«
»Runter jetzt!«
»Nein.«
»Steig ab oder ich werde ungemütlich.« Er blickte Leon in die Augen. »Willst du das?«
Leon stieg ab. »Halten Sie sich immer an alle Verkehrsregeln?«
»Immer. Na ja, fast immer.«
»Fast immer?«
»Ein einziges Mal hat mich die Polizei angehalten, weil ich zu schnell fuhr. Aber dafür konnte ich nichts.«
»Wieso?«, fragte Leon.
Der Graf sagte in ernstem Ton: »Es war so nebelig, dass ich den Tacho nicht gesehen habe.«
Leon lachte, und Lukas ebenso. »Witzbold!«
Der Graf lachte auch und kraulte Flecki. »Du bist ein guter Hund. Ein wirklicher Hund. Ein Hund kann der beste Freund eines Menschen sein. Du erinnerst mich an meinen.« Der Graf gab Gas und brauste in einer Staubwolke davon.
Kurz darauf kam er zurück. »Na gut, komm!«
Leon stieg wieder auf, und sie fuhren davon.
»Hast du Hunger?«, fragte Mia.
Lukas nickte.
»Wenn du mir Flecki schenkst, zeige ich dir, wo es Essen gibt. Komm!«
»Flecki gehört mir.«
»Dort hinten müssen wir hin.« Mia führte ihn durch den Wald an den Rand eines Abgrundes.
Rehe sprangen davon.
Tief unter ihnen brandeten Meereswellen gegen den weißen Sandstrand.
Mia zeigte zu einer Windmühle. »Dort lebt Viola. Bei ihr wohne ich, bis mein Zimmer im Schloss eingerichtet ist. Sie kocht vorzüglich.«
Lukas beachtete die Mühle nicht, sondern bewunderte einen riesigen Baum. »Ich habe noch nie einen so gigantischen Baum gesehen!«, staunte er. »Der Stamm ist fast so dick wie die Mühle.«
Mia nickte. »Und innen hohl. Schenk mir Flecki, und ich zeige dir den Weg.«
»Den finde ich allein.« Lukas ging auf die Klippen zu.
»Vorsicht!«, schrie Mia. »Wenn du da runterfällst, bist du so was von tot!«
»Wenn ich hier hinunterrutsche, lande ich in einem Gebüsch.«
»Wenn nicht, landest du auf dem Friedhof!«
»Wetten, ich lande im Gebüsch?«
»Hier geblieben!« Mia griff nach seinem Arm, doch Lukas riss sich los und rutschte in den Abgrund.
Mia schrie ihm nach: »Lebst du noch?«
Lukas hing im Gebüsch. Sein Gesicht hatte Kratzer, und sein Ellbogen blutete. »Tolle Rutsche! Mit Sprungschanze!« Er ließ los, fiel ein paar Meter, landete auf einer steilen Schräge aus abgerutschter Erde, rutschte die Schräge hinunter und purzelte auf den Strand.
»Du bist verrückt!«, rief Mia.
»Und du feige.«
Sekunden später stand Mia mit zerrissener Hose und blutiger Unterlippe vor Lukas, packte ihn an seinen Wuschelhaaren und zischte: »Sag noch mal, ich sei feige, dann ertränke ich dich in der Regentonne, du Kirschkern!«
Flecki kam angerannt.
Mia staunte. »Wo kommt der her?«
Lukas streichelte ihn. »Flecki ist so schnell, der überholt jeden. Manchmal überholt er sogar sich selbst!«
Sie stiegen über Sanddünen, auf denen dicke Strandhaferbüschel wuchsen. Hinter einem Felsvorsprung erblickten sie den Fluss. Türkisblaues Wildwasser schoss weiß aufschäumend zwischen grauen Felsen hinab ins Meer.
»Wenn du mir Flecki schenkst, sage ich dir, wie du rüberkommst.«
Lukas blickte sich um. Und entdeckte ein Boot. Er lief hin, schob es ins Wasser und sprang hinein.
»Das ist mein Boot!«, schrie Mia, lief hinterher und kletterte nach.
Dort, wo der Fluss ins Meer mündete, war das Wasser ruhiger, sodass Lukas auf die andere Seite hinüberrudern konnte.
»Jetzt musst du mir Flecki schenken«, sagte Mia. »Weil du mit meinem Boot gerudert bist.«
»Ich habe Nein gesagt.«
»Du wirst nicht adoptiert!«
»Es ist mir egal, wenn du mir drohst!«
Mia spuckte Lukas ins Gesicht, sprang ins Wasser und schwamm ans Ufer.
Lukas zog das Boot an Land. Ein Stück weiter lag ein Kanu.
Eine junge Frau kam ans Ufer, nahm Lukas in ihre Arme und drückte ihn lange. »Ich bin Viola.«
Von der Mühle her kam Leon auf sie zu.
»Wie kommst du hierher?«, fragte Lukas.
Der Graf ließ mich an der Hauptstraße warten, bis er mit dem Auto kommt. Da kam Viola angepaddelt, hat mich umarmt, mich zu ihrer Grillparty eingeladen und mich im Kanu über den Fluss gebracht.«
Mia ließ Viola an ihrer Kleidung fühlen.
»Du bist nass.«
»Weil Lukas mich ins Wasser geschubst hat.«
»Mia, man gewinnt keine Freunde, indem man andere verpetzt. Zieh dir was Trockenes an! Lukas, komm, ich muss mit dir reden!«
»Nimm Lukas zur Strafe den Hund weg!«
»Er hat es bestimmt nicht mit Absicht getan.«
Mia ging, um sich umzuziehen.
»Sie ist selbst gesprungen«, sagte Lukas.
Viola sagte: »Mit Mia zu sprechen, ist manchmal schwierig. Könntest du dich bitte bei ihr entschuldigen? Vielleicht komme ich dann besser an sie ran.«
»Du meinst ...«, überlegte er, »... ich soll die Schuld auf mich nehmen?«
Viola nickte.
Mia kam zurück.
»Es tut mir leid.« Lukas sah Mia in die Augen. »Bitte verzeih mir!«
»Na gut!«, sagte Mia.
Viola führte die Kinder zu einem Gartentisch aus einem Mühlstein, der auf einem Baumstumpf ruhte. Außen herum lagen Holzstämme als Bänke.
»Können wir uns den riesigen Baum ansehen?«, fragte Lukas.
»Gern«, sagte Viola. »Nach dem Essen. Mein Mann Olli kommt gleich, der zeigt ihn euch. Und was drin ist.«
»Was ist drin?«
»Das seht ihr dann. Ich hoffe, ihr freut euch drüber.«
Die Kinder setzten sich.
Viola stellte Teller auf den Tisch und legte jedem von ihnen zwei dicke, saftige Steaks vom Grill drauf. Sie gab Eiswürfel in Gläser und stellte ein Glas vor jeden hin. Viola goss Johannisbeersirup ein und Wasser. Die Eiswürfel knisterten.
Lukas nahm einen Schluck. »Das ist das Leckerste, was ich je getrunken habe!«
Nach dem Essen sagte Leon: »Es war köstlich. Leider müssen wir gehen.«
»Wann kriege ich den Hund?«, fragte Mia.
Viola bat: »Bitte bleibt noch hier!«
»Der Graf hat uns verboten, hier zu sein.«
Viola lachte. »Mein Mann Olli kommt gleich. Wir möchten eure Ankunft feiern.«
»Wir würden gern bleiben, aber wir dürfen den Grafen nicht verärgern.«
»Ich habe eine Torte für euch zubereitet.«
»Viola, das finde ich nett!«, sagte Lukas.
Leon sagte: »Ich auch. Aber wir müssen gehen.« Leon ging los und zerrte Lukas hinter sich her. »Sag endlich, was du auf dem Dachboden gefunden hast!«
»Vergilbte Papiere«, sagte Lukas. »Dem Datum nach über zwanzig Jahre alt.«
»Du hast gesagt, es gäbe im Schloss ein Geheimversteck voller Gold.«
»Steht drin.«
»Was sind das für Papiere?«
Viola rief ihnen nach: »Ich habe eine Überraschung für euch!«
Sie drehten sich um.
»Eine große. Ihr werdet euch freuen.«
Lukas lief zu Viola zurück. »Komm, Leon! Ein paar Minuten!«
Leon kam zurück. »Was für eine Überraschung?«
»Leider hat mir der Graf verboten, mich dem Schloss zu nähern.« Viola blickte zu Boden. »Ich hab es trotzdem getan.« Sie lächelte. »Ich wollte euch zur Begrüßung die Torte übergeben. Habe sie in einem Korb zum Schloss getragen, aber der Graf hat mich weggejagt.«
Leon sagte: »Ich hoffe, er jagt uns nicht auch weg. Wir dürfen ihn nicht verärgern, sonst müssen wir zurück ins Kinderheim. Was ist die Überraschung?«
»Helft ihr mir, Johannisbeeren zu pflücken?«
»Gern!« Lukas nahm einen Korb, der dort stand, und pflückte Johannisbeeren von den Büschen, die überall wuchsen.
Mia kam dazu und streichelte Flecki.
»Wir müssen los!« Leon wandte sich an Lukas. »Du möchtest auch nicht ins Kinderheim. Dort sind keine Hunde erlaubt.«
Mia jubelte: »Um so besser!« Sie rannte zu Viola und sagte: »Lukas darf keinen Hund mehr halten. Kann ich ihn haben?«
»Natürlich«, sagte Viola.
Sie pflückte mit den Jungs, bis ein Auto zu hören war, und rief: »Der Graf kommt! Schnell in die Mühle!«
Die Jungs liefen in die Mühle und versteckten sich hinter der Tür.
Sie hörten Mia draußen rufen: »Ein Knochen. Mit Fleisch dran. Möchtest du den haben? Komm mit!«
Lukas pfiff.
Flecki kam in die Mühle zu Lukas gelaufen.
Mia rief draußen: »Flecki! Komm, Flecki! Ein Knochen!«
Lukas hielt seinen Hund fest.
»Lukas, das gibt Ärger!«, sagte Leon. »Ich wusste es.«
Lukas sagte: »Mia ist auch hier. Sie wohnt sogar hier.«
»Darf sie nicht mehr«, sagte Viola. »Nur noch eine Nacht.«
Der Graf rief: »Lukas! Leon! Wo seid ihr?«
Viola streichelte den Jungs über das Haar. »Hier drin findet er euch nicht.«
»Die Jungs verstecken sich in der Mühle!«, rief Mia.
»Das reicht!«, zischte der Graf. »So ein Ungehorsam! Ich telefoniere mit dem Jugendamt und lasse sie abholen. Du kannst deren Zimmer haben.«
Der Graf klopfte an die Tür der Mühle.
Viola öffnete.
Lukas und Leon standen mit angehaltenem Atem hinter der Tür.
Der Graf fragte: »Sind meine Jungs hier?«
Viola lachte. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ja oder Nein?«
Viola öffnete die Tür weiter. »Treten Sie ein und überzeugen sich selbst!«
»Mia!«, schimpfte der Graf. »Was soll das? Die Jungs sind nicht hier.«
»Sie sind hier!«, rief Mia.
Die Jungs hörten, wie zwei Autotüren zugeknallt wurden und das Auto mit quietschenden Reifen davonraste.
Viola ging nach draußen. »Die sind wir los.«
»Was ist mit der Überraschung?«, frage Lukas.
Viola sagte: »Kommt, ich zeige sie euch!«
Die Jungs folgten ihr. Viola führte sie an einer hohen Umzäunung vorbei. Dahinter scharrten Hühner im Sand.
Leon fragte: »Was waren das für Papiere auf dem Dachboden?«
»Ich glaube, Unterlagen einer polizeilichen Durchsuchung«, sagte Lukas.
»Vielleicht weiß die Polizei was.«
Lukas nickte. »Ich rufe an.«
Viola führte sie zu einer Hütte aus Felssteinen und öffnete die Tür. »Vorsicht! Der Fußboden ist brüchig. Wenn ihr nicht im tiefen Wasser und Schlamm versinken wollt, tretet nur auf die Stellen, wo unter den Brettern Balken sind!«
»Wo sind Balken?«, fragte Leon.
Lukas ging hinein. »Wo die Nägel eingeschlagen sind, du Milchbrötchen!«
Leon hob ein gackerndes Huhn behutsam zur Seite und folgte seinem Bruder. Der Boden wippte und knackte. Die Zimmerdecke war schwarz, die Wände teilweise auch.
Lukas fragte Viola: »Schloss Bröckelfels gehörte einst einem Mann namens Albert Raffstein. Kennst du den zufällig?«
Sie fegte die Asche eines Holzfeuers von einer Steinplatte herunter, die auf einem Sockel aus Felsbrocken ruhte. »Nie von ihm gehört. Warum interessiert dich das?«
»Ich möchte mehr über die Vergangenheit von Schloss Bröckelfels herausfinden«, sagte Lukas. »Ich glaube, dort hat irgendwer, irgendwann, irgendwo, irgendwas versteckt. Kann ich bitte mal telefonieren?«
Viola zündete auf der Steinplatte Heu an. »Gern.« Sie legte Zweige darüber, die knisternd Feuer fingen.
Lukas ging in die Mühle und suchte im Telefonbuch nach Albert Raffsteins Telefonnummer. Er konnte sie nicht finden. Lebte er nicht mehr? Lukas rief das Einwohnermeldeamt an.
Eine Beamtin schlürfte ihren Kaffee und rülpste ins Telefon. »Die Überbringung von Meldeanfragen hat nach Zahlung der dafür gültigen Gebühr per Schriftsatzeinreichung stattzufinden.«
»Sagen Sie mir einfach, ob er noch lebt!«
Die Beamtin machte einen langen, gut hörbaren Seufzer. »Aufgrund der Nichtgestattung der Erteilung von Auskünften über Fernsprecher muss meinerseits gegenüber deinem Begehren leider Versagung zum Ausdruck gebracht werden.«
»Sagen Sie nur ›Ja‹ oder ›Nein‹!«
»Meine Tippgebung wäre, bei der für die Verwaltung des ortsansässigen Friedhofs zuständigen Person in Erfahrung zu bringen, ob die Durchführung einer Beisetzung Albert Raffsteins in einer der Grabstätten erfolgt ist. In dem Fall besteht Grund zur Annahme, dass dessen Hinscheiden bereits stattgefunden hat.«
Lukas legte auf. »Doofe Ziege!«
Er telefonierte erneut und kam in die verqualmte Küche in der Steinhütte zurück. »Ich habe den Verwalter des Friedhofs angerufen, ob Albert Raffstein dort begraben liegt ...« Der Rauch des Feuers zog an der schwarzen Decke entlang bis zu einem Loch am anderen Ende der Küche. »Warum brennt das Feuer hier und der Rauchabzug ist dort drüben?«
Viola füllte die gepflückten Johannisbeeren in einen schwarzen Eisentopf mit großem Bügel. »Es ist eine Räucherküche. Jahrhunderte alt.«
»Eine Räuberküche?«, fragte Leon. »Haben die alten Räuber ihre Küchen verkehrt herum gebaut?«
Viola kicherte. »Räucherküche. Damit die Schinken und Würste, die an der Decke hängen, dort oben geräuchert werden, muss der Rauch durch die ganze Küche ziehen.«
Leon nickte. »Was sagt der Friedhofsverwalter?«
»Verrate ich nicht«, sagte Lukas.
Viola gab etwas Wasser zu den Johannisbeeren und viel Zucker und hängte den Topf mit Deckel an einem Haken über das Feuer. »Warum nicht?«
»Das glaubt ihr nicht.«
Leon legte drei Stücke Holz auf das Feuer. »Erzähl!«
»Sein Grabstein steht auf dem Friedhof. Ob er tot ist, weiß niemand.«
Mit einer Stange holte Viola einen Schinken von der Decke. »Ist der Friedhofsverwalter bekloppt?«
»Das finden wir um Mitternacht heraus.«
»Um Mitternacht?«, fragte Leon.
»Vorher muss ich auf den Dachboden.«
Leon sagte: »Gut, dann lass uns endlich zum Schloss gehen! Viola, zeigst du uns die Überraschung?«
»Seid nicht so ungeduldig!« Viola schnitt einige Scheiben Schinken ab. »Der hing fast ein Jahr an der Decke.«
Die Jungs probierten ihn.
Leon staunte. »So einen leckeren Schinken habe ich noch nie gegessen!«
»Ich auch nicht!«, sagte Lukas, lief hinaus, betrat die Mühle, ging zum Telefon und rief die Polizei an. Nach einer Weile kam er zurück. »Ein alter Polizist erinnert sich an Albert Raffstein. Er war ein Dieb, der Banken und Schmuckgeschäfte und zuletzt ein Museum ausgeraubt hat.«
Leon sagte: »Ruf das Museum an, und frag, ob die Dinge wieder aufgetaucht sind! Wenn nicht, liegen sie in einem Geheimversteck!«
Auf dem Johannisbeertopf klapperte der Deckel. Dampfwölkchen zischten heraus. Viola rührte um.
Lukas lächelte. »Ich hab angerufen. Der Museumsdirektor sagt, Raffsteins Diebesgut sei bis heute verschwunden. Ich muss auf den Dachboden, um mehr über das Geheimversteck zu lesen.«
»Ich komm mit!«, rief Leon. »Wir finden es! Viola, wir müssen zum Schloss. Was ist mit der Überraschung?«
Viola rührte noch einmal um und nahm den Topf vom Feuer. »In ein paar Tagen könnt ihr helfen, Wurst und Schinken zu machen. Wir hängen alles an die Decke, damit es dort oben trocknet und nebenbei geräuchert wird. Und die Mäuse nicht drankommen.«
Lukas lehnte sich an Viola. »Hoffentlich adoptiert uns der Graf. Dann dürfen wir für immer bleiben.«
Leon sagte: »Er wird uns nur adoptieren, wenn wir endlich zum Schloss gehen. Hast du eine Überraschung für uns oder nicht, Viola?«
Viola nickte. Sie stellte eine große Glasschale auf den Tisch und gab den Jungs ein Tuch. »Haltet es darüber!«
Lukas nahm zwei Zipfel in die Hand.
Leon die anderen beiden. »Wir mussten zwei Aufenthalte bei Pflegeeltern abbrechen und waren oft im Heim. Uns nimmt sonst keiner.« Leon sagte zu Lukas: »Weißt du noch, wie unser erster Pflegevater mit uns zum Jugendamt ging und fragte, wo er seine Kinder umtauschen kann?«
Lukas nickte. »Unser zweiter Pflegevater hätte uns fast umgebracht! Ihm fiel beim Einschlafen die Zigarette aus den Fingern und setzte das Haus in Brand.«
Leon sagte: »Deshalb müssen wir jetzt gehen. Wir können uns keinen Ärger leisten.«
»Na gut, ich sage euch, was die Überraschung ist.« Viola schüttete die dampfende Johannisbeerbrühe in das Tuch. Der Saft floss hindurch, in die Schüssel. Es duftete. Sie drehte das Tuch zusammen. »Ich möchte ein paar arme Waisenkinder adoptieren, die in Kinderheimen leben, weil sie keine Eltern mehr haben.«
Leon sagte: »Das ist nett!«
»Toll!«, rief Lukas. »Die können unsere Freunde werden!«
»Das Jugendamt gab mir vor langer Zeit Fotos von Kindern, von denen wir uns eins aussuchen sollten.« Viola drehte kräftig weiter und drückte die rote Tuchkugel aus. »Ich habe beschlossen, sie alle zu adoptieren. Ich will sie unbedingt haben. Die und keine anderen.« Sie setzte einen Trichter auf eine Flasche, goss den heißen Johannisbeersirup ein und schraubte sie zu. »Bis jetzt dürfen wir leider nur ein einziges Kind aufnehmen. Ein Mädchen namens Phuong. Dreizehn Jahre. Trifft morgen hier ein. Ihr werdet sie mögen. Bitte tut alles, dass Phuong sich wohlfühlt und hierbleibt!«
Lukas jubelte: »Wir rudern mit ihr über das Meer und machen am Strand ein Picknick.«
Viola zog einige Fotos aus ihrer Tasche. »Seht euch die Fotos an!« Sie blätterte sie durch. »Hier, das ist Phuong.«
Auf dem obersten Foto war ein Mädchen mit langem dunklem Haar und dunklen Augen zu sehen.
Leon nahm die Fotos. »Hübsches Mädel!«
Viola trug einen Eimer Asche und drei leere Körbe und wollte nach draußen gehen.
Lukas lief ihr nach, öffnete ihr die Tür und kam zurück zu Leon.
»Lukas! Ich freue mich!«, sagte Leon. »Hier, sieh dir unsere neuen Spielkameraden an!« Leon reichte ihm die Fotos.
Lukas nahm sie.
Ein Mann kam mit Viola zur Tür herein. »Lukas! Leon! Wir haben uns so auf euch gefreut!«, rief er. »Ich bin Olli.«
Die Jungs begrüßten ihn.
Viola sagte: »Olli zeigt euch sicher gern seine Kanonenwerkstatt.«
Lukas staunte. »Du baust Kanonen?«
»Ich habe eine schrottreife Gulaschkanone aus Tschechien«, brummte Olli.
»Schießt die mit Gulasch?«
Olli lachte. »Kanone heißt sie wegen des Ofenrohrs. Im Krieg wurde in Gulaschkanonen gekocht. Es ist ein Anhänger mit Kochkesseln und einer Feuerstelle. Ich repariere und verkaufe sie. Von dem Geld, das ich dafür bekomme, kaufe ich wieder eine und so weiter.«
»Dann habt ihr bald Geld!«
Viola schüttelte den Kopf. »Wir müssen alles Geld dem Gerichtsvollzieher geben, weil wir Schulden haben.«
Lukas nickte nachdenklich.
»Kommt!«, brummte Olli und nahm die Jungs mit nach draußen. Er ging zu der hohlen Eiche und öffnete eine knarrende Tür. »Da drin steht die Gulaschkanone. Nachher führe ich sie euch vor.« Olli ging zur Mühle zurück.
Die Jungs blickten ins Innere des mächtigen Stammes.
Darin standen ein Fahrgestell mit großen Rädern und ein Kasten mit einem Rohr darauf.
Und ein Bollerwagen. Viola zog ihn heraus. »Könnt ihr so was gebrauchen?«
Leon blickte hinein. Im Bollerwagen lagen Luftmatratzen, ein Zelt und ein Seil. »Na klar! Wir klettern mit Phuong auf die Bäume, schwimmen und zelten auf der kleinen Insel.«
»Auf keinen Fall dürft ihr die verbotene Insel betreten!«, sagte Viola. »Wer dort hingeht, stirbt. In den letzten zwanzig Jahren haben es zwei Menschen versucht, und beide sind nun tot.«
Mia kam dazu.
»Wo kommst du her?«, fragte Lukas. »Bist du nicht vorhin mit dem Grafen weggefahren?«
Viola ging in die Mühle.
Mia nickte. »Wir sind zurück.«
»Ich habe das Auto nicht kommen sehen.«
»Der Graf hat dort geparkt, wo ihr es nicht sehen könnt, damit ihr euch nicht wieder versteckt. Er sucht euch überall, in der Mühle, Küche, Werkstatt. Diesmal findet er euch.« Mia blickte hinauf. »Auf den Baum klettern könnt ihr nicht ohne Leiter.«
Leon lachte. »Nichts leichter als das!« Er stieg auf die Türklinke, dann auf den Türrahmen und von dort auf den Baum.
Lukas folgte ihm.
Beide kletterten weit hinauf und versteckten sich in der Baumkrone. Von dort aus beobachteten sie, wie der Graf kam.
Mia sagte: »Hier ist der Hund, den Lukas mir geschenkt hat. Die Jungs sind nicht hier, das wissen Sie ja.«
Der Graf ging mit Mia davon und zerrte Flecki mit.
Diesmal konnte Lukas nicht nach seinem Hund pfeifen, sonst hätte der Graf die Jungs gefunden. Lukas flüsterte: »Mia hat mit Absicht gesagt, wir könnten nicht auf den Baum klettern. Sie wusste, dass wir das mühelos schaffen, und genau das wollte sie.«
Viola kam mit einem Korb zurück.
»Warum?«
»Weil Hunde nicht klettern können.« So schnell er konnte, kletterte Lukas hinunter. »Na warte! Flecki hole ich mir wieder!«
Leon rief: »Bist du verrückt?«
Lukas wollte Mia hinterherlaufen, doch Viola hielt ihn fest.
Leon sagte: »Wenn der Graf merkt, dass wir hier sind, kommen wir ins Kinderheim. Dann können wir das Gold nicht suchen!«
Lukas rief: »Flecki habe ich mit der Nuckelflasche aufgezogen. Ohne ihn wären wir damals bei dem Brand umgekommen. Hätte Flecki nicht gebellt und uns geweckt, wären im Schlaf an einer Rauchvergiftung erstickt. Meinen besten Freund gebe ich nicht ab!«
Leon meinte: »Lass ihn eine Nacht bei Mia schlafen. Morgen sehen wir weiter!«
»Niemals!«
Viola hockte sich hin und packte Lukas an den Schultern. »Bitte, Lukas, tu es mir zuliebe!« Sie hatte Tränen in den Augen. »Ich möchte nicht, dass ihr weggeschickt werdet!« Sie packte fester zu. »Bitte!«
Lukas bebte vor Wut. »Morgen gibt es Rache!«, zischte er.
Viola packte aus dem Korb die Quarktorte, Wurst, Schinken, Gurken, Brötchen, Butter, Schokolade und den frisch gekochten Johannisbeersirup in den Bollerwagen und schenkte ihn den beiden. »Vielleicht ist es besser, wenn ihr euch langsam auf den Heimweg macht. Über den Fluss ist es viel kürzer als mit dem Auto.«
»Kann ich Phuongs Foto haben?«, fragte Leon. »Ich möchte es gern eingerahmt in unserem Zimmer an die Wand hängen.«
Viola schüttelte den Kopf.
»Bitte! Ich muss es haben!«
»Vielleicht später«, sagte Viola.
Leon fragte: »Wann kommt Phuong morgen?«
Viola teilte ihm die Uhrzeit mit.
»Dürfen wir sie vom Bahnhof abholen?«
»Natürlich nicht. Wir holen sie ab«, sagte Viola. »Phuong sagt, sie sei groß und finde den Weg, aber ich möchte sie begrüßen, und Olli trägt ihre Koffer.«
»Ich trage ihre Koffer!«, rief Leon. »Bitte lass mich! Ich tue es gern! Und ich möchte Phuong das Schloss zeigen. Du kannst sie von dort abholen.« Leon lächelte. »Darf ich? Ach bitte!«
Viola schüttelte den Kopf: »Auf keinen Fall. Obwohl es nett wäre, und ich dann mehr Zeit zum Kochen hätte, aber das geht wirklich nicht.«
»Gut, wir holen sie ab!«, rief Leon. »Wir sind pünktlich am Bahnhof. Du kannst dich auf uns verlassen.«
Die Jungs zogen den Bollerwagen zum Boot, hoben ihn hinein und ruderten über die Flussmündung.
Lukas sagte: »Hier gefällt es mir!«
»Mir auch!«, sagte Leon. »Bitte, bitte, vermassle es uns nicht wieder!«
Sie zogen den Bollerwagen zum Schloss, ließen ihn vor der Tür stehen, gingen hinein und suchten den Grafen.
»Er ist nicht da«, sagte Lukas. »Komm, wir verstecken das Essen in unserem Zimmer.«