Schemen - Hayo Peter Innemann - E-Book

Schemen E-Book

Hayo Peter Innemann

4,9

Beschreibung

Mac Lane und Flaubert erwachen mitten im tiefsten Dschungel. Blakes Teleportationszauber hatte sie zwar nach Mexiko gebracht, dort aber nicht direkt ans Ziel. Während ihrer Suche nach dem Versteck des Schädels der Schlange, bekommen Mac Lane und Flaubert jedoch unerwartete Hilfe: Alex, eine junge Archäologin, scheint den Weg zum Tempel der Schlange zu kennen, doch für ihre Hilfe verlangt sie die Rettung ihres Bruders aus der Militärhaft. Als sich schließlich auch die "roten Wesen" in das Geschehen einmischen und sich der Erzengel Michael Alex offenbart, wird die Suche nach dem Schädel der Schlange zum Ränkespiel. Wem kann man jetzt noch trauen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 314

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (17 Bewertungen)
15
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dieses Buch ist zwei guten Freunden und besonders selbstlosen Menschen gewidmet:

Julia und Philipp

Inhalt

Kapitel 1: Affen im Nebel

Kapitel 2: Alex

Kapitel 3: Unerwartete Hilfe

Kapitel 4: Wiedersehen

Kapitel 5: Schemen

Kapitel 6: Vermächtnis

Kapitel 7: Der Schädel der Schlange

Kapitel 1

Affen im Nebel

1

Der Gesang exotischer Vögel war das Erste, was durch dichte Nebelschwaden hindurch an Mac Lane herandrang.

Mac Lane blinzelte benommen und rieb sich stöhnend seinen schmerzenden Kopf. Nebel? Er lag auf dem Rücken und der Boden um ihn herum war moosig und feucht.

Hätte er es nicht besser gewusst und wären Vampire nicht gegen die Wirkung von Alkohol immun gewesen, Mac Lane hätte geschworen seine Kopfschmerzen rührten von einem gewaltigen Kater her.

In der Hoffnung, den Schleier vor seinen Augen damit zerreißen zu können, blinzelte Mac Lane einige Male schnell und setzte sich auf. Zu seiner Überraschung musste er jedoch feststellen, dass der Nebel keineswegs eingebildet, sondern echter, feuchtkalter Nebel war. Mac Lane sah sich verwundert um.

Hohe Bäume, die Stämme von Moosen und Kletterpflanzen überzogenen, ragten überall um ihn herum empor. Die Enden dicker, fleischiger Lianen hingen aus ihren Baldachinen herab und jagten Mac Lane einen unwillkürlichen Schauer über den Rücken. Wie Tentakel, dachte er und stellte fest, dass selbst denken schmerzhaft war.

Durch den dichten Nebel konnte er die Kronen der Bäume zwar nicht sehen, doch der Gesang der Vögel schien eindeutig von dort zu kommen. So schön der Gesang im Grunde auch war, so hatte Mac Lane doch langsam den Eindruck, dass er immer lauter und nervtötender wurde.

Mac Lane stöhnte und rieb sich erneut den schmerzenden Kopf. Er stutzte, als seine Hand eine feuchte Stelle ertastete. Verwundert zog er die Hand zurück und sah sie an. Blut. „Eine viel schnellere, komfortablere Art des Reisens...“, murmelte Mac Lane erbost. Er seufzte. Klar, dass mir der Schädel brummt, dachte er und konzentrierte sich auf die Wunde. Sekunden später war die Wunde geschlossen, seine Kopfschmerzen jedoch nur schwächer geworden. Mac Lane stand langsam auf. Er wankte noch etwas, während er sich langsam genauer umsah. Das Zwielicht und der Nebel ließen ihn zu dem Ergebnis kommen, dass es wohl noch recht früh am Morgen war.

Mac Lane kniff die Augen zusammen und sah sich konzentriert um. Irgendwo mussten Flaubert und seine Ausrüstung geblieben sein. Seine Annahme, dass sich beides nicht sehr weit von seiner Position entfernt befinden konnte, bestätigte sich schnell., als er seinen Rucksack zwischen den mächtigen Wurzeln eines nahen Baumes eingekeilt fand.

Mac Lane wankte zu dem Baum hinüber und ging in die Knie. Er schob und quetschte den Rucksack ein wenig hin und her, bis dieser sich schließlich ganz leicht zwischen den Wurzeln herausziehen ließ.

Der Rucksack schien unversehrt geblieben zu sein, doch etwas im Inneren klapperte.

Mac Lane ließ sich an Ort und Stelle auf den Boden sinken und öffnete den Reißverschluss. Prüfend durchstöberte er seine Ausrüstungsgegenstände. Abgesehen von seinem Satellitentelefon und dem Kompass waren alle anderen Gegenstände in bester Verfassung.

Mac Lane seufzte, zog die Trümmer des Satellitentelefons und die Überreste des Kompasses aus dem Rucksack und warf sie schnaubend auf den Waldboden. „Ein Glück, dass das Zeug nicht wichtig war“, knurrte er und suchte weiter im Rucksack herum. Er musste einige Dinge herauskramen, bis er gefunden hatte, was er suchte. Seine Machete.

Flink, aber sorgsam, verstaute Mac Lane die herausgezogene Ausrüstung wieder im Rucksack, verschloss ihn und schwang ihn sich auf den Rücken. Die Scheide der Machete befestigte er an seinem Gürtel. Er warf einen letzten, missmutigen Blick auf die Trümmer von Kompass und Satellitentelefon, dann seufzte er einmal tief. „Was soll 's“, sagte er schließlich. „Uns wird schon was einfallen.“

Es machte wenig Sinn, den Versuch zu unternehmen, die Gegenstände ohne Ersatzteile und Werkzeuge reparieren zu wollen, außerdem hatte Flaubert ein zweites Satellitentelefon bei sich.

Flaubert!, schoss es Mac Lane wieder durch den Kopf. Für einen Augenblick hatte er Flaubert total vergessen. Er sah sich wieder nach allen Seiten um und lauschte angestrengt in die Tiefen des Nebels hinein, wobei er versuchte auf ungewöhnliche oder auffällige Geräusche zu achten.

Irgendwo, weiter links von ihm, drangen grelle, quiekende Schreie durch den Nebel. Vom Gesang der Vögel übertönt, waren die Laute leider nur schwach wahrnehmbar. „Immerhin“, murmelte Mac Lane zuversichtlich und setzte sich in Richtung der Geräusche in Bewegung.

2

Nach einem fünfminütigen Fußmarsch in Richtung des immer lauter werdenden Geschreis, gelangte Mac Lane schließlich an eine kleine Lichtung.

Am Rand der Lichtung, zwischen den Wurzeln eines großen Baums, alle Viere von sich gestreckt, lag der besinnungslose Flaubert. Sein Kopf war in den Nacken gefallen und sein Mund stand weit offen. Unter seinem Kopf ragten die Tragegurte seines Rucksacks hervor. Um ihn herum lagen diversen Gegenstände verteilt, die wohl einstmals in seinem metallenen Koffer gewesen sein mussten. Davon abgesehen, dass sie überall verstreut waren, schienen sie die Reise ansonsten unbeschadet überstanden zu haben.

Der Grund für den Lärm, den Mac Lane gehört hatte, war auch gefunden: eine Affenbande machte sich an den verstreut liegenden Dingen zu schaffen und tobte auf Flaubert herum.

Mac Lane trat schmunzeln näher, woraufhin einige Affen sofort, laut kreischend, zurück in die Baumwipfel flüchteten. Andere blieben unentschlossen sitzen, während einige besonders neugierige Exemplare sogar ein Stück auf Mac Lane zukamen. Wieder andere versuchten unermüdlich Zugang zu Flauberts Rucksack zu bekommen.

Was gäbe ich jetzt für ein Photohandy, dachte Mac Lane, tat einen weiteren Schritt auf die Lichtung und sammelte einige größere Steine vom Boden auf. Ein paar gezielte Würfe später ließen sie alles stehen und liegen und verschwanden ausnahmslos kreischend im Nebel.

„He, Schneewittchen“, rief Mac Lane kopfschüttelnd und trat näher an Flaubert heran. „Pennt der hier seinen Rausch aus.“ Er gab Flaubert einen kräftigen Tritt gegen das Bein.

Keine Reaktion.

„Hmm...“, brummte Mac Lane nachdenklich, seufzte und versuchte es erneut. „Flaubert! Aufwachen!“

Flaubert reckte und streckte sich, dann blinzelte er verschlafen und hob den Kopf. „Mac Lane?“, fragte Flaubert und gähnte ausgiebig. „Wo sind wir?“

„Im mexikanischen Regenwald, denke ich“, sagte Mac Lane.

Flaubert verzog das Gesicht, gähnte wieder und stand schließlich auf. Er klopfte seinen Mantel ab, bis er mit der Hand über eine feuchte Stelle strich. Flaubert stutze und hob die Hand, um an ihr zu riechen. „Bäh! Was ist das denn?“

„Affenpisse?“, vermutete Mac Lane und musste schmunzeln.

„Affenpisse?! Wie kommt denn Affenpisse auf meinen Mantel?“, wollte Flaubert entsetzt wissen und suchte die Umgebung vergeblich nach Anzeichen von Affen ab. „Lüg mich nicht an. Hier gibt es weit und breit keine Affen.“

„Weil ich sie verscheucht habe“, erklärte Mac Lane.

„Nachdem sie mich vollgepisst hatten?“, prustete Flaubert wütend.

„Woher hätte ich denn wissen sollen, dass sie dich anpissen würden?“

„Weil es Affen sind!“

„Was soll das den heißen? Als ob Affen nichts anderes im Kopf hätten, als wildfremde Leute anzupinkeln“, empörte sich Mac Lane.

Flaubert schnaubte verärgert, dann seufzte er tief. „Na toll. Rattenpisse war ja noch nicht genug. Weißt du was, ich habe eine tolle Idee: Lass uns doch noch andere einheimische Tiere suchen, die können dann auch auf meinen Mantel pissen. Ja, ich sammele ab jetzt Tierpisse auf der ganzen Welt in meinem Mantel“, sagte er sarkastisch und blickte Mac Lane finster an.

„Warum nicht, klingt nach einem tollen Hobby.“

„Ich frage mich ernsthaft, ob du diese Affen nicht vielleicht angestiftet hast.“

Mac Lane rollte mit den Augen. „Such deinen Kram zusammen und lass uns endlich gehen.“ Mit Flaubert zu diskutieren hatte ohnehin keinen Sinn und da er nicht wusste, wo sie gelandet waren, hielt Mac Lane es für das Beste, schnellstmöglich aufzubrechen.

„Ja, ja. Schon gut.“ Flaubert stapfte missmutig über die Lichtung und sammelte einen Gegenstand nach dem anderen – vornehmlich Waffen verschiedenster Kaliber – auf und verstaute sie wieder in seinem Koffer. „Ich wüsste wirklich gerne, warum so was immer wieder nur mir passiert.“ Nachdem er den Großteil seiner Ausrüstung wieder zusammengesammelt und im Koffer verstaut hatte, verschloss er ihn wieder.

Mac Lane behielt in der Zwischenzeit die Umgebung genau im Auge. Ein Dschungel barg schon genügend Gefahren, auch ohne den Nebel, der sie im Moment umhüllte. Auf eine unschöne Überraschung konnte Mac Lane gut verzichten. „Können wir dann endlich los?“, fragte er schließlich ungeduldig, nachdem Flaubert auch den letzten Gegenstand im Koffer verstaut hatte.

„Moment, der Rucksack“, sagte Flaubert und ging zu dem Baum hinüber, zwischen dessen Wurzeln der Rucksack eingeklemmt lag und zog ihn behände zwischen den Wurzeln hervor. Der Reißverschluss des Rucksacks war offen und die Hälfte des Inhalts fehlte oder lag zwischen den Wurzeln verstreut. „Oh!“, stutzte Flaubert und sah Mac Lane hilflos an. „Die haben mein Fernglas mitgenommen.“

„Sei lieber froh, dass nichts Wichtiges fehlt“, sagte Mac Lane. „Ein Fernglas habe ich auch. Ist dein Kompass noch da?“

„Ja“, bestätigte Flaubert zufrieden und nickte. „Das Telefon fehlt scheinbar auch, aber du hast ja noch eins“, sagte Flaubert beiläufig und verstaute weiter Dinge im Rucksack.

„Was?!“, rief Mac Lane entsetzt und stürmte auf Flaubert zu. „Nein, nein, nein!“ Er riss Flaubert den Rucksack aus den Händen und schüttelte den Inhalt wieder heraus.

„He, verdammt, was soll das?“, schnaubte Flaubert verärgert und versuchte so viele Dinge wie möglich aufzufangen. „Was machst du denn da?“

„Mein Telefon hat die Reise nicht überstanden und da deines geklaut worden ist, haben wir jetzt keine Möglichkeit mehr, mit Blake in Kontakt zu treten“, erklärte Mac Lane und warf den leeren Rucksack verärgert auf den Boden.

„Was?!“ Flauberts Stimme war ein wütendes Zischen geworden und seine vor Wut bebenden Pupillen verengten sich zu kleinen Punkten. „Okay, es reicht! Jetzt ist Schluss! Diese verfluchten Affen kaufe ich mir!“ Flaubert eilte zu seinem Koffer und öffnete das Schloss. Er räumte einige automatische Gewehre samt Munition heraus. „Halt mal“, sagte er dann und drückte Mac Lane einen Granatwerfer in die Hand.

„Was treibst du da?“, erkundigte sich Mac Lane besorgt und nahm die Waffe entgegen.

„Na also!“ Zufrieden, mit einem Anflug von Wahnsinn in der Stimme, präsentierte Flaubert eine längliche, grüne Kiste. Er schlug den Deckel der Kiste auf und zum Vorschein kam ein Einmal-Raketenwerfer.

„Was hast du vor?“, fragte Mac Lane deutlich besorgter und trat vorsorglich einen Schritt zurück.

„Schritt eins: Ich finde diese Affen. Schritt zwei: Ich knall sie ab. Schritt drei: die scheiß Affen verrecken. Schritt vier...“

„Schritt vier ist: Ich weise dich in die Anstalt ein, die wir suchen!“, protestierte Mac Lane. „Hör dir mal zu, Mensch! Du klingst verrückter als ich!“

„Nein, nein“, korrigierte Flaubert. „Schritt vier ist: Ich bekomme mein Telefon zurück.“ Flauberts Augen funkelten vor Begeisterung.

„Die Art wie dein Verstand arbeitet, macht mir Angst“, erklärte Mac Lane und Flaubert kicherte freudig vor sich hin. „Dir ist schon klar, dass dein Verhalten hochgradig gestört ist?“

„Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Taten!“, sagte Flaubert, tätschelte seinen Raketenwerfer und entfernte die Abdeckung. „Und außerdem sind das nur Affen. Die sind einfacher zu killen, als ein Baby mit 'nem Lutscher!“

„Du meinst hoffentlich, es ist leichter die zu killen, als einem Baby den Lutscher zu klauen.“

„Wie auch immer. Nebensächlichkeiten!“ Flaubert winkte ab und tätschelte wieder die Waffe.

„In Wahrheit willst du nur auf die Affen ballern, weil sie dir deinen Mantel vollgepisst haben!“, erklärte Mac Lane überzeugt. „Reg dich jetzt bloß nicht auf.“

„Aufregen? Moi? Nein, nicht doch. Ich bin die Ruhe in Person. Ich werde jetzt ganz ruhig diese Affen suchen und sie dann in aller Ruhe über den Dschungel verteilen“, erklärte Flaubert und sein Auge zuckte wieder.

„Du wirst das Ding hier nicht abfeuern!“, befahl Mac Lane herrisch. „Wir wissen nicht, wer sich hier vielleicht herumtreibt. Gib mir jetzt dieses verdammte Ding her.“

„Schhhh!“, zischte Flaubert und legte den Zeigefinger an die Lippen, um Mac Lane damit zu sagen, dass er seine Klappe halten sollte. „Hör doch!“

Mac Lane hielt überrascht inne und lauschte auf die wenigen, vagen Geräusche, die durch den Nebel drangen. Tatsächlich war ein leiser Piepton zu hören, der aus den nahen Baumwipfeln zu dringen schien. „Was meinst du, was das ist?“, fragte Mac Lane nachdenklich und umfasste den Griff seiner Waffe. „Es klingt irgendwie wie … “

„Wie ein räudiger, stinkender, verlauster Affe, der auf einem gestohlenen Satellitentelefon herumtippt“, ergänzte Flaubert, orientierte sich kurz nach dem vermuteten Aufenthaltsort des Affen und hob den Raketenwerfer auf die Schulter.

„Nimm das Ding run … “

Ohne zu zögern und leise kichernd, hatte Flaubert einfach abgedrückt. Die abgefeuerte Rakete war losgerast, in der Krone des anvisierten Baums eingeschlagen und in einer gewaltigen Explosion detoniert. Aufgeschreckte Vögel flatterten aus den Kronen der restlichen Bäume und verschwanden laut schimpfend in der Ferne.

„Du Vollidiot! Hast du sie noch alle?!“, schrie Mac Lane Flaubert an.

Flaubert hatte den Raketenwerfer inzwischen auf den Boden fallenlassen und war in den Nebel gerannt, direkt auf die brennenden Reste des Baums zu, den er getroffen hatte.

„Und der nennt mich irre“, murmelte Mac Lane, schob die Hand in die Manteltasche und streichelte seinen Hamster. „Lass uns lieber mal nachsehen, was er da treibt, sonst erweitert er hier noch die Liste der bedrohten Tierarten, wenn er so weiter macht.“

„Nein! Verdammte Scheiße! Dämlicher, dreckiger, stinkender, dummer, dreckiger Affe! Das darf doch nicht wahr sein!“, fluchte Flaubert vor sich hin.

Erst stieß Mac Lane auf kleine und große Bruchstücke des Baums, den Flaubert zerschossen hatte, dann auf die ersten toten Tiere. Hier und dort lagen die Kadaver von Affen und Vögeln herum, die weniger schlimm von der Explosion getroffen worden waren. Je weiter Mac Lane kam, desto häufiger waren die Kadaver kaum mehr als die Tiere zu erkennen, die sie einmal gewesen waren. Als Mac Lane Flaubert fand, kniete der zwischen den Wurzeln des zerstörten Baums und beugte sich über etwas, das vor ihm am Boden lag.

„Hast du gesehen, wie viele Affen du gekillt hast?“, fragte Mac Lane vorwurfsvoll und stieg über Kadaver und Baumtrümmer hinweg zu Flaubert, um zu sehen, was der gerade machte.

Direkt vor Flaubert, halb unter dem teilweise verkohlten Kadaver eines Affen verborgen, ragten die Reste von Flauberts Satellitentelefon heraus.

„Na toll!“ Mac Lane bückte sich und schob den toten Affen zur Seite. Vorsichtig hob er die Reste des Satellitentelefons hoch, um sie genauer zu betrachten.

Hoffnungslos.

Die Explosion hatte das Satellitentelefon zu stark beschädigt, als dass man es hätte reparieren können.

„Total im Arsch!“ Flaubert hob die Reste seines Fernglases in die Höhe und betrachtete sie mit feuchten Augen. „Total im Arsch.“

„Und daran hättest du nicht vielleicht vorher denken können? Was hast du denn erwartet, was mit deinem Fernglas oder unserem Satellitentelefon passieren würde, wenn du mit einem Raketenwerfer darauf schießt?“

„Ich hab' doch nicht auf die Sachen geschossen, sondern auf den verlausten Affen!“, protestierte Flaubert.

„Oh, na das ist ja was ganz anderes. Affen wirken selbstverständlich wie ein natürlicher Puffer, der die Druckwelle einer Explosion abfangen kann“, spottete Mac Lane zynisch. „Du hast sicher recht, wenn du den Affen direkt getroffen hättest, wären deine Sachen von flinken, kleinen Kolibris, die eilig herbeigehuscht gekommen wären, in einem güldenen Lichtschein, mit winzigen Fernglas-Feen, die im Takt einer bezaubernden Musik um sie herum tanzten, unbeschadet zu Boden getragen worden“, sagte Mac Lane sarkastisch.

„Halt bloß die Klappe“, brummte Flaubert mürrisch. „Du übersiehst das Wesentliche!“

„Rache?“, fragte Mac Lane schnippisch.

„Ganz genau!“, erwiderte Flaubert und stand auf. „Aber lassen wir das jetzt, ehe es noch unschön wird.“

„Ehe es … Was?“, fragte Mac Lane entsetzt und steckte die Reste des Telefons in seinen Rucksack.

„Lass uns hier verschwinden“, sagte Flaubert, als wäre nichts geschehen und gab Mac Lane einen freundschaftlichen Klaps. „Ich hole meine Sachen und du navigierst!“

„Und was meinst du, wie ich das anstellen soll? Wir haben doch keine Ahnung wo wir hier sind.“

„Ja, aber Blake hat gesagt, dass diese Anstalt südöstlich von … “ Flaubert dachte angestrengt nach und versuchte sich an den Namen der Stadt zu erinnern, den Blake ihnen genannt hatte.

„Culo del Mundo“, sagte Mac Lane und seufzte.

„Ja, genau. Also, wir gehen einfach Richtung Südosten, dann kommen wir auch irgendwann an.“

„So funktioniert Geographie nicht!“, bemerkte Mac Lane. „Was ist, wenn wir uns bereits südlich von unserem Ziel befinden?“

„Hmm“, brummte Flaubert und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Tja, dann ist es doch egal wo wir hingehen. Such dir eine Richtung aus und los.“

„Viel mehr wird uns auch nicht übrig bleiben.“ Mac Lane betrachtete den Kompass in seiner Hand und starrte ihn einen Moment lang stumm an, bevor er schließlich entschlossen sagte: „Gut. Wir gehen nach Süden.“

3

Gute zwei Stunden hatten sich Mac Lane und Flaubert nun schon ihren Weg durch den Dschungel gebahnt. Weder die dicken Lianen, noch das zähe Buschwerk hatten ihren Macheten das Geringste entgegenzusetzen gehabt. Der morgendliche Nebel hatte sich im Laufe der Zeit auch immer weiter aufgelöst, so dass die Sichtverhältnisse wieder deutlich besser geworden waren.

Flaubert seufzte. Sie waren nun schon seit Stunden unterwegs und noch immer gab es nicht das kleinste Zeichen von Zivilisation. Flaubert wurde allmählich immer langsamer, denn das feuchtwarme Klima und sein Gepäck machten ihm immer mehr zu schaffen. Fluchend zerrte er den Koffer, über Wurzeln und durch Büsche, hinter sich her. Gelegentlich verfing sich der Koffer im Buschwerk, so dass Flaubert, bei dem Versuch den Koffer freizubekommen – in seinem Eifer und vor Wut –, kurzer Hand den gesamten Busch aus dem Boden riss.

„Bist du da bald mal fertig?“, fragte Mac Lane genervt und warf einen Blick über die Schulter. „Meine Fresse! Bulldozer, die den Regenwald abholzen, machen weit weniger Lärm, als du mit deinem Gepäck. Lass es liegen.“

„Das kannst du vergessen. Wenn wir uns hier Ärger einhandeln, will ich drauf vorbereitet sein, verstanden?“ Mürrisch zerrte Flaubert an seinem Koffer, der sich zwischen hohen Wurzeln verfangen hatte. „Und du könntest wenigstens so nett sein und mit anfassen.“

„Vergiss es. Alles was ich brauche, habe ich hier.“ Mac Lane tätschelte seinen Rucksack.

Flaubert stieß einige derbe Flüche aus, riss ein Stück des Wurzelwerks aus und schwang sich den befreiten Koffer kurzum auf die Schulter.

„Weißt du, manchmal fragte ich mich, warum Blake dich überhaupt erträgt“, sagte Mac Lane und schüttelte den Kopf.

„Das frage ich mich bei dir auch manchmal“, konterte Flaubert.

„Du hast mir nie erzählt, wie ihr euch begegnet seid“, sagte Mac Lane schließlich mit ruhiger Stimme und starrte Flaubert eindringlich an.

„Naja“, sagte er und zuckte mit den Schultern. „Was willst du denn wissen?“

„Erzähl schon.“

„Es war damals, 1789, in Frankreich. Der aufgebrachte Mob war hinter mir her und Blake hat sie auseinandergenommen.“

„Du hast so eine herrlich mitreißende Art Geschichten zu erzählen“, sagte Mac Lane vorwurfsvoll. „Wie wäre es mit ein wenig mehr Details?“

Flaubert senkte den Blick und schwieg.

„Na gut“, sagte Mac Lane, als er merkte, dass es Flaubert unangenehm war über seine Vergangenheit zu sprechen. „Dann lass uns weitergehen, wir haben noch einiges vor.“ Einen kurzen Moment behielt er Flaubert noch stumm im Auge, bevor er sich umdrehte und den Weg durch das Unterholz fortsetzte.

4

„Es war eine harte Zeit“, begann Flaubert überraschend zu erzählen. Seine Stimme war plötzlich sehr ruhig und man konnte ganz deutlich die Betroffenheit in ihr hören.

Mac Lane hielt inne und ließ die Liane wieder los, die er gerade mit einem kräftigen Schwung seiner Machete hatte zerteilen wollte. Gespannt drehte er sich um und nickte Flaubert zu, der ihn mit beklommenem Blick ansah. „Erzähl es unterwegs“, sagte Mac Lane ruhig.

Flaubert nickte stumm und seufzte tief, dann folgte er Mac Lane, der unterdessen wieder damit begonnen hatte, eine Schneise durch das Buschwerk zu schlagen.

„Ein harter Winter war über das Land gekommen und hatte eine Spur von Tod und Verfall hinter sich her gezogen. Besonders hart hatte es die untersten Schichten getroffen. Die Bauern, von den schweren Missernten jenes Jahres hart getroffen, kämpften noch härter um ihre Existenz, als ohnehin. Wer nicht erfroren war, kämpfte mit dem Hunger“, begann Flaubert zu erzählen. „Während die Ärmsten hungerten, lebten Adel und Klerus auch weiterhin in Wärme und Wohlstand, obwohl sich die Preise für Brot verdreifacht hatten. Die Unruhe in der Bevölkerung breitete sich schnell aus und das Lied der Revolution fand seinen Weg aus den Herzen der Menschen auf ihre Lippen und wurde bald vom Wind davongetragen, weit über das ganze Land.“ Flaubert seufzte tief. Die Erinnerung an diesen Teil seiner Vergangenheit schmerze ihn sehr. „Ja, so war es damals.“

Mac Lane hörte aufmerksam zu und bahnte ihnen unablässig eine Schneise durch den Wald, bemühte sich dabei aber, nicht allzu schnell zu machen, um es Flaubert mit seiner Ladung etwas leichter zu machen ihm folgen zu können.

„Zu jener Zeit gehörte ich zum wohlhabenden Teil der Bevölkerung und, dem Zeitgeist entsprechend, kümmerten mich die Probleme der kleinen Leute nicht mehr, als es mir Kopfzerbrechen bereitet hätte, meine Perücke zu pudern. Aber es gab eine Ausnahme: Marie.“

Mac Lane blieb stehen und drehte sich um.

Flaubert hatte angehalten und starrte durch ein Loch im Blätterdach in den tristen, grauen Himmel.

Als Mac Lane genauer hinsah konnte er erkennen, wie eine einzelne, kleine Träne Flauberts Wange hinunterlief. „Weißt du“, sagte Mac Lane schließlich und ließ den Blick über die Umgebung gleiten, wobei er versuchte Flaubert nicht direkt anzuschauen. „Es ist eigentlich auch nicht so wichtig, wie ihr euch kennengelernt habt.“ Dass diese Erinnerungen für Flaubert so schmerzhaft waren, hatte er nicht geahnt.

„Nein, schon gut“, sagte Flaubert. „Lass uns weiter gehen und hör einfach zu.“

Mac Lane nickte stumm, sah Flaubert einen Augenblick betroffen an und machte sich schließlich wieder daran, ihnen einen Weg zu bereiten.

„Marie“, seufzte Flaubert. „Sie war ein Dienstmädchen auf meinem Landgut. Aus der anfänglichen Affäre wurde mit der Zeit eine echte Beziehung, die wir natürlich versuchten vor allen anderen geheim zu halten.

Eines Abends, nach einem Theaterbesuch, passierte, was mein Leben für immer verändern sollte. Wie schon an vielen anderen Abenden zuvor, hatte ich mich auch an diesem mit einen guten Bekannten, Monsieur Dupont, getroffen. Wie üblich nahm ich ihn ein Stück des Weges in meiner Kutsche mit. Als die Kutsche schließlich mein Anwesen erreicht hatte, war ich bereits kein Mensch mehr.

Dupont brachte mich auf mein Zimmer und versperrte alle Fenster und Türen, so gut es ging, während er mir erklärte, was mit mir geschehen war.

Ich gab dem Personal noch die Anweisung, mich den nächsten Tag über nicht zu stören und verbrachte den Tag schlafend in meinem verdunkelten Zimmer. Als die Nacht hereinbrach, wachte ich auf. Ich war verwirrt und es brauchte eine Weile, bis ich mich erinnern konnte, was geschehen war. Schließlich bat ich Marie und meinen treuesten Diener, Mathis, zu mir zu kommen.

Anfangs war es schwierig. Sie konnten zuerst nicht glauben, was ich ihnen offenbart hatte – wahrscheinlich wollten sie das auch gar nicht. Doch das Band zwischen Marie und mir war letztlich stärker.

Mathis zu überzeugen, dass ich nicht das Monster war, für das man Vampire allgemein hielt, hatte etwas länger gedauert. Am Ende hatte er sich aber damit arrangiert und sorgte fortan dafür, dass man mich bei Tag nicht störte. Und Marie“, Flaubert hielt kurz inne und atmete, aus alter Gewohnheit, tief durch. „Marie bot mir ihr Blut an, wenn ich etwas brauchte. Sie schreckte nie zurück, wenn sich meine Zähne in ihren zarten Hals bohrten. Sie strich mir sogar immer behutsam über den Kopf, während mir ihr warmes Blut die Kehle hinabschoß und sie mich mit einem Teil von sich selbst am Leben hielt. So ging alles seinen Gang und wir lebten unser neues Leben im Verborgenen.

Was aus Monsieur Dupont geworden ist, kann ich nicht sicher sagen, ich hörte zwar, dass sein Anwesen der Revolution zum Opfer gefallen war, doch nach jener schicksalhaften Nacht habe ich ihn nie wiedergesehen.

Mit der zunehmenden Unruhe in der Bevölkerung und meinem ungewöhnlichen Lebenswandel, verließen mich immer mehr meiner übrigen Angestellten. Zum Schluss waren neben Mathis und Marie nur noch drei andere Bedienstete übrig geblieben.

Eines verhängnisvollen Abends, betrat eines der verbliebenen beiden Dienstmädchen mein Zimmer in dem Moment, als ich von Marie trank. Sie war so entsetzt, dass sie keinen Laut herausbrachte und Hals über Kopf floh. Mathis hatte noch versucht sie aufzuhalten, aber ohne Erfolg.

Am folgenden Abend wurde ich vom Tumult aus der Eingangshalle geweckt. Laute Schreie, wütende Stimmen und das Bersten von Holz und Glas. Der Geruch von Rauch breitete sich schnell aus und zog durch das ganze Haus. Ich wusste sofort, was los war. Sie waren gekommen, um mich und Marie zu holen und zu töten.

Wenn wir es nur geschafft hätten, uns lange genug zu verstecken oder uns zu verbarrikadieren, hätten wir vielleicht eine Chance gehabt am Leben zu bleiben.

Ich wollte mich zusammen mit Marie und Mathis in meinem Zimmer verschanzen, doch Mathis war bereits aus dem Zimmer gestürmt, hinaus auf den Flur und hatte begonnen die Tür von außen zu verbarrikadieren.

Ich konnte hören, wie der Mob die Treppe hinaufgerannt kam. Ich hörte ihre Schreie: Monster! Ungeheuer! Teufels-Dirne!

Als sie schließlich vor meinem Zimmer angelangt waren, hörten wir, wie sie Mathis aufforderten, den Weg freizugeben, dann war es für eine Sekunde still.

Wieder hallten Schreie durch das Haus, doch dieses Mal waren es Schmerzensschreie und Schreie des Entsetzens. Das Geräusch von Metall, das auf Metall prallte, drang an uns heran und wir wussten sofort, was dort draußen vor sich ging.

Mathis hatte sich ausgesperrt, um uns Zeit zu verschaffen. Bei einem seiner früheren Herren hatte Mathis einen recht passablen Umgang mit dem Säbel gelernt und ich wusste, dass er in diesem Moment seine Kunst an dem Mob vor der Tür zum Besten gab.

Eine ganze Zeit lang hörte man den Kampfeslärm, dann nahmen die Stimmen des Mobs überhand und in die aufgebrachten Schreie mischten sich nun Jubelrufe. Mathis hatte sein Bestes getan, um unser Leben zu schützen, war der Übermacht des Mobs aber schließlich unterlegen.

Marie und ich waren zu einem der Fenster geeilt und hatten es soweit geöffnet, dass wir sehen konnten, was dort draußen vor sich ging.

Der Mob hatte Mathis einen Sack über den Kopf gezogen und ihm seine Hände auf dem Rücken gefesselt. Schubsend und tretend trieben sie ihn zu der großen, alten Eiche, die sich majestätisch vor dem Haus erhob. Sie warfen ein starkes Seil über einen stabilen Ast und knüpften eine Schlinge aus dem Ende des Seils, unter das sie ein Fass stellten. Unter dem Baum angekommen, hoben sie Mathis auf das Fass und legten ihm die Schlinge um den Hals, bevor sie ihm den Sack vom Kopf zogen.

Ich werde den Blick, den Mathis uns zuwarf, nie vergessen. Wie er dort stand, auf diesem Fass, die Schlinge um seinen Hals und wusste, dass sein Ende nahte und doch lächelte er uns zu. Guter, tapferer Mathis.

„Ich bereue nichts!“, rief er uns zu. Stolz und aufrecht stand er dort, bis sie schließlich das Fass unter seinen Füßen umstießen und Mathis fiel. Erst das Seil bremste seinen Fall ruckartig ab und brach ihm sein Genick.

Es dauerte nicht lange, da konnten wir den Mob wieder vor der Tür hören. Sie brüllten und schlugen wild auf die Tür ein. Der Geruch ihrer Teerfackeln kroch durch jede Ritze.

Marie und ich klammerten uns aneinander.

Es dauerte eine ganze Weile, doch am Ende hatten sie es geschafft die Tür aufzubrechen. Mistgabeln, Sensen und Fleischermesser glänzten bedrohlich im roten Schein ihrer Fackeln.

Ich tat, was ich konnte und stürzte mich auf den ersten Eindringling, den ich zu packen bekam, dann auf den zweiten und auf einen dritten, aber letztlich waren es einfach zu viele.

Ich hatte damals noch keine Ahnung von den Kräften, die tief in uns ruhen und war dem Mob hoffnungslos unterlegen. Ich versuchte Marie festzuhalten, aber der Mob zerrte sie von mir weg.

Marie hatte noch meine Halskette zu fassen bekommen, ein Anhänger aus Glas, geschliffen, wie ein Edelstein, den sie mir einstmals geschenkt hatte.

Der Mob trat und schlug von allen Seiten auf mich ein, bis ich am Boden zusammensank und durch ihre Beine hindurch mit ansehen musste, wie sie Marie einfach mit ihren Mistgabeln erstachen, als wäre sie ein tollwütiges Tier, das man in die Enge getrieben hatte.

Sie zerrten mich hinüber zu einem Haufen, den sie aus Trümmern aufgeschüttet und angezündet hatten, doch dann hielten sie ganz plötzlich inne. Sie starrten zur Tür hinüber und ich, neugierig zu erfahren, was sie abgelenkt hatte, tat es ihnen gleich.

Ein Schatten war durch die Flammen hindurch zu sehen. Der Umriss einer menschlichen Gestalt zeichnete sich erst schwach, dann immer deutlicher ab. Die Gestalt schien direkt durch das Feuer auf uns zuzukommen und schließlich wurden die Umrisse deutlicher. Man konnte die schwarze Kleidung der Gestalt erkennen, ihre langen, dunklen Haare wehten in der heißen Luft. Die diabolischen, roten Augen der schattenhaften Gestalt leuchteten wie glühende Kohlen.

Der Mob ließ schnell von mir ab und wich einige Schritte zurück.

Mit ruhigen Schritten, als hätte sie alle Zeit der Welt, schritt die Gestalt durch die Flammen und ich konnte sehen, wie das Feuer vor ihr zurückwich. Wo immer die Gestalt ihren Fuß auf den Boden setzte, erlosch das Feuer auf der Stelle.

Es war ein Mann, der schließlich zwischen den Flammen hervortrat, die sich für ihn geteilt hatten. Er blickte lächelnd in die Runde, bis sich sein Lächeln unvermittelt zu einem breiten, finsteren Grinsen verzog. Als ich den Mann in diesem Moment sah, mit dem lodernden Feuer hinter sich, hätte ich – und wohl auch jeder der übrigen Anwesenden – geschworen, dass es niemand geringerer, als der Teufel selbst war, der dort vor uns stand.

Als die Menge ganz deutlich die langen, spitzen Eckzähne des Mannes im roten Schein des Feuers erkannte, stürmte sie, mit dem Mut der Verzweiflung, die Mistgabeln und Sensen hoch erhoben, auf den Mann los.

Ich werde niemals vergessen, was dann geschah: Der Mob war ohne jeden erkennbaren Grund einfach stehengeblieben. Die Menschen wandten sich einander zu und fingen an, sich gegenseitig abzuschlachten. Männer und Frauen gleicher Maßen, bis der Boden mit Blut getränkt war und niemand mehr stand.

Der fremde Mann schritt wortlos durch das Meer aus Blut und toten Leibern, passierte mich genauso wortlos und ging hinüber zu Marie. Er beugte sich über sie und ich konnte erkennen, wie er mit ihr sprach. Er hielt ihre Hand, mit der sie meinen Anhänger umklammert hielt, und strich ihr schließlich mit der flachen Hand über das Gesicht, um ihre Augen zu schließen. Ein seltsames, lila Glühen umgab sie, dann war sie tot.

Ich wollte aufstehen, aber meine Beine sackten immer wieder unter mir weg, bis mich plötzlich jemand am Arm packte und mir half aufzustehen. Der Fremde stand mit ernstem Gesichtsausdruck vor mir und hielt mir seine flache Hand hin. Ich sah hinab und erkannte meinen Anhänger, der funkelte.

Als ich den Anhänger an mich genommen hatte, packte mich der Fremde, nahm Maries Leiche und sprang mit uns aus dem Fenster. Wir landeten überraschend sanft auf dem Boden vor dem Haus.

Der übrige Mob stand noch immer unter dem Baum, an dessen Geäst Mathis' Leiche baumelte.

Der Fremde setzte mich ab und legte Marie neben mich, dann ging er auf den Mob zu.

Ich beugte mich über Marie und zog ihren Leichnam fest an mich. Ich hielt sie eine ganze Weile einfach so im Arm und wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Haus und meine Ländereien waren mir egal – mit Marie, hatte ich das Einzige verloren, was mir in meinem Leben wirklich wichtig gewesen war.

Als ich mich etwas beruhigt hatte und aufblickte, kam der Fremde von der alten Eiche her zu mir herübergelaufen. Er trug den toten Körper von Mathis quer vor sich auf den Armen liegend.

Ich schaute mich nach dem Mob um und sah, dass der ganze Boden mit Leichenteilen und Blut übersät war. Als wäre eine scharfe Klinge immer wieder durch ihre Leiber gefahren, lagen die großen und kleinen Teile ihrer Körper, ja sogar ihrer Waffen, weit verteilt. Als ich den Fremden ansah, stellte ich aber fest, dass nicht ein Tropfen Blut an seiner Kleidung zu finden war. Ich weiß bis heute nicht, wie er das angestellt hat.

Nachdem ich Marie und Mathis am Fuß der Eiche zu ihrer letzten Ruhe gelegt hatte, wusste ich nicht was ich tun sollte. Ich kam mir verloren und völlig allein vor. Als hätte er es geahnt, stellte sich mir der Mann schließlich vor – ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wer er war – und bot mir an, sich um mich zu kümmern.

Einige Zeit später, brachte er mich zu Angus, der mich unterrichten sollte. Den Rest der Geschichte kennst du.“

„Ja“, hauchte Mac Lane.

Flaubert hielt an und stellte seinen Koffer ab. Mit einer Hand griff er unter sein Hemd und zog einen Anhänger hervor, der selbst im tristen, grauen Licht in den wundervollsten Farben schimmerte.

„Er ist wunderschön“, sagte Mac Lane sanft.

„Ja“, sagte Flaubert und sah den Anhänger lange an. „Wenn ich ihn ansehe, kann ich ihr Lächeln sehen. Ich höre ihr Lachen und ich spüre sogar ihre Wärme.“

„Verstehst du jetzt, warum ich Misato retten muss?“, fragte Mac Lane mit gedämpfter Stimme und gab Flaubert einen leichten Klaps auf die Schulter. „Ich werde nie wieder jemanden im Stich lassen. Ich habe ihr ein Versprechen gegeben.“

„Ja.“ Flaubert ließ den Anhänger unter sein Hemd zurückgleiten. „Und wenn wir das hier erledigt haben, werde ich dir dabei helfen.“

Kapitel 2

Alex

1

„Was glaubst du, wo die hinwollen?“, fragte Flaubert leise und robbte ein Stückchen näher an Mac Lane heran, der einige Meter links von ihm lag.

Mac Lane lugte durch eine Lücke im dichten Buschwerk auf einen kleinen, staubigen Pfad, der gerade breit genug war, dass ein Fahrzeug ihn benutzen konnte.

Eine kleine Kolonne aus Armeefahrzeugen bahnte sich ihren Weg durch den Dschungel.

„Ich weiß nicht“, sagte Mac Lane und beobachtete das Treiben auf dem Pfad genau. „Es sieht so aus, als würden sie in die gleiche Richtung fahren, in die wir auch wollen. Wenn sie weg sind, folgen wir einfach dem Pfad.“

„Warum gehen wir nicht runter und vermöbeln ein paar von denen? Dann können wir uns einen Jeep schnappen“, wollte Flaubert wissen und sah Mac Lane begeistert an.

„Vergiss es“, zischte Mac Lane entschlossen. „Du hast nur keine Lust deinen Krempel weiter durch den Busch zu schleppen.“

Ertappt senkte Flaubert den Blick und brummte beleidigt vor sich hin.

„Außerdem, wenn wir sie angreifen, wird irgendwer von ihnen entweder die Zeit finden einen Notruf abzusetzen oder, wenn wir alle erledigen, wird jemand kommen und nach ihnen suchen. Wir wissen ja auch gar nicht, wo sie überhaupt hinwollen.“

„Ist ja schon gut“, flüsterte Flaubert. „Dann folgen wir ihnen eben.“

Als schließlich das letzte Fahrzeug ihr Versteck passiert hatte und rumpelnd und lärmend im Dschungel verschwunden war, stand Mac Lane langsam auf und spähte noch einmal sorgfältig nach links und rechts. Als er eine Weile gewartet hatte und alles ruhig geblieben war, nickte er Flaubert zu und trat durch die Büsche hindurch auf den Pfad zu. „Komm, wir gehen.“

Flaubert hob seinen Koffer auf und eilte Mac Lane hinterher.

„Also dann“, sagte Mac Lane euphorisch und lächelte. „Auf geht 's.“

2

Die Vögel, vom Lärm der Fahrzeuge aufgeschreckt, hatten nach und nach wieder damit begonnen ihren wunderbaren Gesang anzustimmen und in der Ferne waren die Schreie spielender Affen zu hören. Jedes Mal, wenn ein solcher Affenschrei zu hören war, fing Flaubert verärgert an, eine Tirade wüster Beschimpfungen und Flüche vor sich hin zu murmeln. Gelegentlich, wenn Mac Lane ihn nicht rechtzeitig bremsen konnte, brüllte Flaubert auch in Richtung der Schrei in den Dschungel zurück.

3

Im Gegensatz zu ihrem beschwerlichen Fußmarsch durch das dichte Unterholz des mexikanischen Dschungels, kamen sie auf dem staubigen, ausgetretenen Pfad deutlich schneller voran. Mac Lane war sich auch sicher, dass sie der Weg zu einem Dorf oder einer Siedlung führen würde, da der Weg den Eindruck erweckte, recht häufig genutzt zu werden. Hier und dort fanden sich Spuren von Pferden oder Maultieren, die vermutlich zum Transport von Lebensmitteln oder landwirtschaftlichen Erzeugnissen verwendet wurden.

Sie waren dem Weg etwa eine Stunde lang gefolgt, ohne auf ein Anzeichen von Besiedlung gestoßen zu sein. Der Himmel war noch immer trist und grau und wenn Mac Lane ihn sich genau ansah, war er der Meinung, dass der Himmel auch deutlich dunkler geworden war. „Hast du an Regenkleidung gedacht? Einen Poncho oder so was?“, fragte er Flaubert, der die Pause dazu nutzte seinen Mantel auszuziehen.

„Na klar“, sagte er und hob seinen Rucksack.

„Ich denke, es wird bald Regen geben, also halt ihn lieber griffbereit.“ Mac Lane ließ seinen Rucksack von der Schulter gleiten. Er musste nicht lange suchen und zog den zusammengerollten Regenponcho aus dem Rucksack, hakte ihn mit einer kleinen Schlaufe an seinem Gürtel ein und schwang den Rucksack zurück auf den Rücken.

Flaubert stellte seinen Koffer ab und nahm seinen Rucksack zur Hand. In der Aufregung am Morgen hatte er sich nicht die Mühe gemacht, alle Sachen ordentlich zu verstauen, sondern hatte einfach alles in den Rucksack gestopft. Als er schließlich einen Zipfel des Ponchos zu fassen bekam und an ihm zog, purzelten verschiedene Ausrüstungsgegenstände mit heraus und rollten in alle Richtungen auf dem Pfad davon.

Mac Lane wollte etwas sagen, verkniff sich seinen Kommentar aber lieber und sammelte einige der Gegenstände wieder auf. Mit einem Lächeln hielt er sie Flaubert hin, der sie dankbar entgegennahm. „Hier hast du deinen Kram. Du solltest … “ Mac Lane drehte sich abrupt um und blickte den Pfad entlang, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er lauschte angestrengt auf die Geräusche der Umgebung. Hatte er nicht gerade das entfernte Brummen eines Motors gehört?

„Was sollte ich?“, fragte Flaubert.

„Ruhig!“, sagte Mac Lane harsch und ging einige Schritte in die Richtung von der er glaubte, das Geräusch gehört zu haben. „Ich höre ein Fahrzeug kommen.“

„Noch mehr Militär?“, wollte Flaubert wissen und beeilte sich damit seine Sachen zu verstauen. „Was wollen die nur alle hier?“