Schleimspur des Grauens - Anja Harnischmacher - E-Book

Schleimspur des Grauens E-Book

Anja Harnischmacher

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Beschreibung

In Schleimspur des Grauens kämpfen die letzten Überlebenden einer genetischen Katastrophe ums Überleben: Riesige, mutierte Schnecken haben die Menschheit an den Rand der Auslöschung gebracht. Patrick, Lisa und der Biologe Harald fliehen entlang des Rheins, ständig verfolgt von den fleischfressenden Kreaturen. Als sie das Geheimnis hinter der Schneckenplage ergründen, stoßen sie auf die grausame "Schnecken-Königin" – das Monster, das alles kontrolliert. In einem packenden Showdown setzen sie alles daran, die Königin zu zerstören und die Welt von diesem Alptraum zu befreien.

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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Titel: Schleimspur des Grauens

Autor: Anja Harnischmacher

Biografie:

Anja Harnischmacher, geboren 1982 in Köln, ist eine deutsche Schriftstellerin, die sich mit ihren atmosphärischen und

fesselnden Horror- und Endzeitgeschichten in der deutschsprachigen Literaturlandschaft einen Namen gemacht hat. Schon als Kind liebte sie düstere Erzählungen und gruselige Legenden und entwickelte früh eine Faible für das Unheimliche, das sie in ihren Büchern eindrucksvoll umsetzt. Nach dem Studium der Biologie und Psychologie in Bonn

begann Anja zunächst als Wissenschaftsredakteurin zu arbeiten, bevor sie sich ganz und ganz dem Schreiben widmete. Ihre beruflichen Einblicke in die Naturwissenschaften und die

menschliche Psyche prägen ihre Werke und verleihen ihren Geschichten eine unheimliche Nähe zur Realität. Diese Mischung aus wissenschaftlicher Präzision und dichter

Erzählweise verleiht ihren Romanen eine tiefere Dimension, die Leser*innen gleichzeitig fasziniert und erschauern lässt. Ihr aktueller Roman, Schleimspur des Grauens , entstand inspiriert von den Umweltphänomenen und den ethischen

Fragen der Biotechnologie, die sie durch ihre berufliche Arbeit kennt. Das Buch entführt die Leser*innen in eine postapokalyptische Welt, die durch genetische Experimente

und unkontrollierbare Kreaturen in den Abgrund gerissen wurde. Es ist eine spannende und schaurige Geschichte, die gleichzeitig eine subtile Warnung vor den Risiken wissenschaftlicher Hybris enthält.

Anja Harnischmacher lebt heute mit ihrem Mann, zwei Kindern und einer Katze in einem kleinen Dorf in der Eifel. Wenn sie nicht schreibt oder ihre Leser*innen von Lesungen

begeistert sind, geht sie gerne wandern oder taucht in ihrer Bibliothek in die Werke anderer Autoren ein. Sie liebt den Kontakt zu ihren Fans und ist bekannt für ihre authentischen

und unterhaltsamen Gespräche, in denen sie oft über ihre Inspirationsquellen und den kreativen Prozess spricht. Kapitel 1: Der Anfang vom Ende

Es war ein düsterer Novemberabend, und der Regen prasselte unaufhörlich auf die grauen Betonplatten von Dortmund. Der

Himmel war wolkenverhangen, das Licht der Straßenlaternen verschwamm in dichten Schleiern aus Regentropfen. Ein besonders karges Gebäude lag abseits des Stadtzentrums – ein

unscheinbarer, fensterloser Bau, dessen kalte Fassade wenig Hinweise darauf gab, was sich im Inneren abspielte. Hier erkennt man das geheime Labor der Regierung,

abgeschottet, tief in den Kellergewölben versteckt. Nur wenige wussten überhaupt von seiner Existenz. Dr. Georg Mertens, 55 Jahre alt und der Leiter dieses Labors, war einer dieser Eingeweihten. Er saß in seinem engen, überfüllten Büro, in

dem nur ein schummriges Licht fiel, das die Ränder seines Aktenstapels beleuchtete. Die Augen schmerzten ihn, müde vom langen Starren auf den Computerbildschirmen, die Zahlen

und Protokolle. Seine Hand umschloss ein Weinglas, in dem sich der trockene dunkelrote Rotwein spiegelte. Ein kräftiger Schluck, mehr von Müdigkeit als von Genuss, bevor er das Glas schließlich abstellte.

Georg lehnte sich zurück und seufzte. Heute Nacht würde er die Schnecken vernichten. Sie waren seine Kreation – und doch hatte er mehr und mehr den Verdacht, dass diese Kreaturen ein

ernstes Risiko darstellten. Die Schnecken waren nicht wie die, die im Garten vor sich hinschlichen. Sie waren schneller, widerstandsfähiger und – was ihn am meisten beunruhigte – intelligent. Verdammt intelligent.

Die genetischen Modifikationen hatten sie nicht nur widerstandsfähiger, sondern auch, so stellte sich heraus, dass

sie unberechenbar waren. Seit kurzem gab es Hinweise darauf, dass diese Wesen in der Lage waren, auf digitale Signale zu reagieren. Tests zeigen, dass sie wie ein Virus mit Computern interagieren konnte – ein seltsames Phänomen, das selbst Georg, einen Mann mit jahrzehntelanger Erfahrung in Biotechnologie, überraschte. Auch hatte er das Gefühl, dass außer ihm heimlich noch jemand anderes an dem genetischen Code der bemerkenswerten Tiere herum gepfuscht hatte. „Sie müssen weg“, murmelte er vor sich hin und nahm einen weiteren Schluck Rotwein, bevor er sich zum

Sicherheitsschrank begab und die Gasflaschen hervorholte. „Es bleibt keine andere Wahl.“

Im prasselnden Regen stand Lisa Schneider auf der anderen Seite der Straße, das Teleobjektiv ihrer Kamera auf das Labor gerichtet. Sie war jung, schlank und hatte sich fest vorgenommen, die Wahrheit über dieses düstere

Regierungsprojekt aufzudecken. Ihr blondes Haar war unter der Kapuze ihres Regenmantels versteckt, doch ein paar Strähnen kräuselten sich vor Nässe an ihren Wangen. Der Atem der

jungen Journalistin vermischt sich dampfend mit der feuchten Luft, während sie geduldig darauf wartete, eine Schwachstelle im Sicherheitszaun zu finden.

Lisa wusste, dass in dieser Arbeit etwas vor sich ging, das die Öffentlichkeit nie erfahren sollte. Seit Monaten verfolgt sie die geheimen Entwicklungen hier. Heute Abend wollte sie dafür Beweise sammeln, dass die Regierung mit Biotechnologie

experimentierte – Experimente, die Gerüchten zufolge genetisch veränderte Tiere betrafen. Der Hinweis eines Informanten und ihre eigene Intuition hatten sie hierhergeführt. Dies war ihr Moment.

Zur gleichen Zeit trat ein Schatten aus der Dunkelheit des

Parkplatzes vor dem Labor. Patrick Fischer, ein ehemaliger Soldat mit harter Vergangenheit und scharfem Blick, hielt die Luft an. In seiner rechten Hand hielt er ein Messer, das in dem schwachen Licht bedrohlich funkelte. Der Regen tropfte von seiner Kapuze und die kühle Novemberluft schien sein Blickfeld zu schärfen. Patrick war nicht hier, um Fragen zu

stellen. Sein Auftrag war klar: Beobachten und, falls nötig, eingreifen. Der Geruch von Flammkuchen, den er zuvor auf dem Rücksitz seines Autos genossen hatte, hing noch in der

Luft, ein seltsam beruhigendes Überbleibsel eines kurzen Moments der Ruhe. Patrick wusste nichts von den Schnecken. Aber er wusste, dass

hier im Labor etwas Gefährliches vorging – und er hatte eine düstere Ahnung, dass er bald auf Dinge stoßen würde, die er nicht mehr vergessen könnte.

Drinnen hatte Dr. Mertens das Laborluftsystem aktiviert. Das

Gas sollte in wenigen Minuten durch die Lüftungsschlitze in die Quarantäneräume strömen und die Schnecken betäuben – oder, so hoffte er, vernichten. Seine Hände zitterten leicht,

während er den letzten Schalter betätigte. Gerade als der Prozess begann, flackerte der Bildschirm seines Computers auf. Es erschien eine Meldung: „AUSBRUCH INITIIERT. SYSTEMFEHLER.“

Mertens' Herz schlug schneller, als der Schrei eines Sirenenalarms das Labor erfüllte. Durch das Glasfenster des Quarantäneraums sah er die Kreaturen in Bewegung. Die

ersten Schnecken schoben sich durch das Gitter der Belüftungsschlitze, ihre silbrigen Körper glitzerten und unaufhaltsam.

„Nein… das kann nicht sein“, murmelte er, während sich seine Nackenhaare aufstellten. Ein kälterer Schauer lief ihm über den Rücken. Die Schnecken hatten das Lüftungssystem

überwunden und fanden ihren Weg durch die Notausgänge des Labors hinaus in die Nacht. Sie glitzern über den Laborboden, unwiderruflich frei und von einem fremden Willen gelenkt.

Draußen sah Lisa die Lichtblitze des Alarms durch die Fenster aufblitzen. Jetzt war die Zeit zum Handeln gekommen. Sie setzen ihr Kameraobjektiv ab und richten sich in Richtung des

Tores, das wie zufällig geöffnet wurde. Ohne zu widerwillig schlüpfte sie durch den Zaun und ging leise in Richtung des Laborgebäudes.

Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich blitzschnell um. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Patrick Fischer stand vor ihr, sein Gesicht in den Schatten gehüllt, ein

Mann, dessen Anwesenheit gleichzeitig beruhigend und bedrohlich wirkte. „Hier haben Sie nichts zu suchen“, flüsterte er und seine Stimme klang rau, wie ein sanfter Donnerschlag. „Das ist kein Spielplatz für neugierige Journalistinnen.“ Lisa wich einen Schritt zurück, aber sie ließ sich nicht so leicht einschüchtern. „Wenn es hier nichts zu verbergen gäbe, hätte

ich keinen Grund, hier zu sein.“ Ihr Blick war entschlossen, und Patrick spürte, dass sie nicht einfach so wieder verschwinden würde.

Bevor einer der beiden etwas weiter sagen konnte, kam eine Welle von Schnecken über den Asphalt gekrochen, unaufhaltsam und beängstigend. Ihre schimmernden Körper wandeln sich wie eine seltsame Flut durch die Dunkelheit. Lisa

schrie leise auf, als sie erkannte, dass dies keine gewöhnlichen Schnecken waren. Sie waren größer, ihre Haut hatte eine unnatürliche, glänzende Farbe, und etwas in ihren Augen schien ein eiskaltes Bewusstsein zu bergen. Patrick zog eines seiner Messer und machte sich kampfbereit. Lisa greift instinktiv nach ihrem Notizblock, als wäre dies alles

nur eine Geschichte, die sie aufschreiben konnte. Doch ihr Körper wusste, dass dies bitterer Ernst war. Georg Mertens hatte den Fehler seines Lebens gemacht. Die Schnecken, die er für seine Kreation hielt, waren jetzt ihre eigenen Herrscher – und sie waren frei.

Lukas saß in seinem winzigen Einzimmerapartment und starrte auf das Display seines Handys. Die Zahlen auf dem Bildschirm

bestätigten seine schlimmsten Befürchtungen: null Euro. Sein ganzes Geld – die kleine Summe, die er noch vor zwei Tagen vom Amt erhalten hatte – war verschwunden. Mehr als zehn

Jahre lang hatte er mit wenig auskommen müssen, mit Sozialhilfe gelebt, von Monat zu Monat gekämpft. Doch jetzt war selbst das winzige finanzielle Polster, auf das er sich verlassen hatte, weg.

Er konnte es nicht fassen und starrte auf den Bildschirm, als würde das Konto durch den bloßen Druck seines Blickes wieder auffüllen. Doch da war nichts. Nicht mal eine Fehlermeldung. Einfach nur: null.

Seit Stunden versuchte Lukas, durch das Dickicht der Online-Hotlines seiner Bank zu kommen, doch alle waren entweder tot

oder spielten unheilvolle Bandansagen ab, die von „technischen Störungen“ sprachen. Die Banken hatten es schon immer auf die Kleinen abgesehen, aber so etwas hatte es noch nie gegeben.

Sein Handy summte, und er öffnete die Nachricht, die gerade von seinem Freund Marco kam.

„Geld auf meinem Konto auch weg. Alles tot.

Kreditkarte geht nicht. Chaos in der Stadt. Komm nicht raus.“

Lukas’ Magen zog sich zusammen. Er öffnete die Nachrichten-App und sah sich die Schlagzeilen an: „Bankenzusammenbruch. Flächendeckender Systemfehler in Deutschland. Bürger haben keinen Zugriff auf Konten.“ Ein eisiger Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Es klang wie

aus einem dystopischen Roman, aber es geschah jetzt, in seiner Welt, in seiner Stadt. Er zog sich hastig eine Jacke über und schob die Wohnungstür

auf. Auf der Straße herrschte ein Chaos, das er so noch nie gesehen hatte. Menschen strömten aus den Häusern, verunsichert und voller Panik. Einige brüllten in ihre Handys,

während andere hektisch von Person zu Person liefen, als könnten sie sich gegenseitig helfen. Autos standen kreuz und quer in der Straßenmitte, einige hatten offensichtlich beim abrupten Halt Unfälle verursacht. Blaue Lichter von Einsatzfahrzeugen blitzten in der Ferne. Lukas ging durch die Stadt, vorbei an den Geschäften, die bereits geschlossen waren. In den Schaufenstern waren

zahlreiche Zettel geklebt: „Kartenzahlung außer Betrieb.“ „Bitte nur Barzahlung.“ Aber Barzahlung – wer hatte noch Bargeld? Ein seltsamer Hauch von Unruhe breitete sich aus, ein Flüstern von Gewalt in der Luft.

Plötzlich hörte er hinter sich das erste Splittern von Glas. Er drehte sich um und sah, wie eine kleine Gruppe von Menschen mit Eisenstangen die Schaufensterscheibe eines

Elektronikmarktes einschlug. „Ich habe auch kein Geld mehr“, brüllte einer der Männer, während er wahllos Smartphones in eine Plastiktüte warf. Niemand versuchte, ihn aufzuhalten.

Ein ohrenbetäubender Knall hallte durch die Straßen, als weiter vorne ein Auto in Flammen aufging. Rauch und beißender Geruch stiegen auf. Lukas blieb wie angewurzelt stehen und

beobachtete das Schauspiel von Wut und Verzweiflung, das sich vor ihm entfaltete. Menschen drängten sich aneinander, schrien, manche kämpften schon.

„Das ist Wahnsinn,“ dachte Lukas. „Die Stadt bricht auseinander.“

Plötzlich hörte er eine vertraute Stimme und drehte sich um.

Marco stand hinter ihm, die Augen weit aufgerissen, schweißbedeckt und mit einer Platzwunde an der Stirn. „Lukas! Die Leute drehen durch! Sie haben den Supermarkt in

der Adlerstraße geplündert. Ich wollte nur Brot holen, aber es gibt kein Durchkommen mehr!“ „Kein Geld, kein Essen… Das ist ein Albtraum.“ Lukas schüttelte den Kopf, unfähig, die Situation zu begreifen. „Hast du einen Plan?“ fragte Marco, seine Stimme bebte. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe eine kleine Schwester zuhause. Sie wartet darauf, dass ich was mitbringe.“

„Einen Plan?“ Lukas lachte bitter. „Selbst wenn ich einen hätte – ohne Geld nützt er uns gar nichts.“ Doch in Wahrheit begann ein Gedanke in ihm zu keimen.

Vielleicht ist jetzt der Moment, in dem die Dinge für Leute wie ihn endlich anders werden. All diese Banker, die jahrelang auf ihn herabgeblickt hatten, ihre Systeme, die sie als unfehlbar

und unverzichtbar priesen – nun waren sie genauso hilflos wie er. „Was meinst du?“ fragte Marco, als er das seltsame Funkeln in Lukas’ Augen bemerkte.

„Die Regeln sind gebrochen, Marco. Wir leben nicht mehr in der gleichen Welt. Jetzt können wir vielleicht… ein bisschen was zurückholen.“ Er spürte, wie sein Herz vor Adrenalin

pochte, während er den Menschenmengen zusah, die sich immer wilder gebärdeten. In der Ferne ertönten Polizeisirenen, und Lukas sah, wie die ersten Einheiten versuchten, die Demonstranten auseinanderzutreiben. Doch die Menge war unaufhaltsam. Jeder hatte seine eigenen Gründe für die Wut: Familien, die kein Essen für ihre Kinder bekamen, Rentner, die kein Bargeld mehr hatten, Jugendliche, die ihren Traum von Zukunft und Sicherheit von einem Tag auf den anderen verloren hatten. „Komm mit,“ sagte Lukas und zog Marco in eine kleine Seitenstraße. „Wir holen uns, was wir brauchen – und dann machen wir weiter. Das ist der einzige Weg.“ Lukas wusste nicht, was die kommenden Tage bringen würden. Aber er war bereit, jede Regel zu brechen, um durch dieses

Chaos zu kommen – und wenn er dabei endlich die Stimme all derer würde, die bisher immer nur geschwiegen hatten.

Kapitel 2: Der Fall der Netze

Es war fast Mitternacht, als der erste Stromausfall kam. Zuerst war es nur ein kurzes Flackern, dann ein gleichmäßiges,

unheimliches Summen, das die Wohnung von Julia in völlige Dunkelheit hüllte. Die Notärztin zuckte zusammen und fuhr erschrocken mit der Hand zum Lichtschalter. Doch als sie es betätigte, blieb der Raum schwarz.

Sie stand mitten in ihrem Wohnzimmer, das schwach vom Schein eines einzigen Kerzenstabs erleuchtet wurde, und versuchte sich zu orientieren. Der Notfallkoffer, der

normalerweise in der Nähe der Tür stand, war schwer zu finden. Julia schüttelte den Kopf und setzte sich dann auf den Sofa. Es ist nur der Strom, Julia. Ruhig bleiben. Doch das beruhigende Gefühl war nicht von langer Dauer. Sie griff nach ihrem Telefon und versuchte, jemanden zu erreichen. Doch der Bildschirm blieb stumm. Kein Netz, kein Empfang. Eine unsichtbare Barriere hatte sich zwischen ihr und der Welt aufgetan. Ihre Finger glitten über die Tasten, doch nichts funktionierte mehr. Kein Empfang, keine Verbindung. Ein kühler Schauer lief ihr über den Rücken. Als Notärztin war sie es gewohnt, in stressigen Situationen schnell zu handeln,

aber in dieser völlig neuen, unvorhersehbaren Welt schien nichts mehr sicher. Warum? dachte sie. Warum jetzt? Sie stand auf und ging zum Fenster. Draussen herrschte bereits

Chaos, der Straßenverkehr war zum Erliegen gekommen, Autos standen mitten auf den Straßen, als hätten die Fahrer plötzlich den Verstand verloren. Sie konnte in der Ferne das

grelle Licht eines brennenden Fahrzeugs sehen, das sich in den Abendhimmel schob und die Nacht mit einer geisterhaften, orangen Glut erleuchtete. Menschen strömten durch die Straßen, manche liefen hektisch, andere schoben

Einkaufswagen, die überquollen mit den Waren, die sie gerade aus den Supermärkten gerissen hatten. Überall war der Lärm von Motoren, von Hilfeschreien und vom Rasseln von Waren auf Asphalt.

„Was zur Hölle geht hier vor sich?“ murmelte Julia, während sie die schwarze Stille des Telefons in der Hand betrachtete.

Sie konnte spüren, wie die Welle der Panik, die sich immer weiter ausbreitete, auch sie ergriff. Ihr Verstand arbeitete hektisch. Notfalldienste. Hilfe. Krankenhäuser. Doch die Vorstellung, wie sie mit der gesamten Stadt kämpfen musste,

um Menschen zu retten, war lähmend. Sie griff wieder nach dem Telefon und versuchte, das Funknetz zu erreichen, doch es blieb tot.

Dann hörte sie es – ein schwerer, gedämpfter Lärm, der näher und näher kam. Sie drehte sich zur Tür und sah den Schatten eines Mannes durch das Milchglasfenster huschen. Ein Schrei,

wild und panisch, zerriss die Stille, gefolgt von schnellen, ruckartigen Schritten. Die Tür wurde mit einem Krachen aufgeschlagen.

„Doc!“, keuchte der Mann, als er in die Wohnung stürmte. Es war ihr Kollege, der Sanitäter Marc. „Wir haben einen… einen Unfall! Ein Kind – es ist schwer verletzt – aber niemand erreicht mehr die Notrufnummern. Wir müssen helfen!“ Julia sah Marc mit weiten Augen an. „Aber der Strom, Marc! Und das Telefon… es geht nichts mehr! Wir…“

Er schnappte nach Luft. „Die Tankstellen funktionieren nicht. Die Busse stehen still. Die Leute plündern die Supermärkte! Es gibt einfach keinen Ort mehr, an dem man noch etwas bekommen kann!“

Julia hörte das dringende Summen von Sirenen in der Ferne. Doch sie wusste, dass der Stromausfall längst auch den Funksender lahmgelegt hatte. Die Situation wurde immer schlimmer.

„Was sollen wir tun?“ fragte Marc. „Die Menschen brauchen uns, aber die Straßen sind blockiert, und wir können nicht

einmal mit einem Krankenwagen fahren, weil der Sprit ausgeht.“ Julia schüttelte den Kopf. Ihre Gedanken rasten. „Wir müssen

zum Krankenhaus. Wenn wir die Notfallausrüstung haben, können wir zumindest die am meisten gefährdeten Patienten erreichen.“ Sie griff nach ihrem Stethoskop und schnallte sich die Tasche über die Schulter. „Aber wir brauchen einen Plan, Marc. Wir können uns nicht einfach dem Chaos hingeben.“ „Was, wenn wir ein Auto finden? Wir könnten es mit einem Gurt an der Tankstelle volltanken. Die Leute wissen auch nicht,

wie man den Sprit zu den Reserven holt, also… vielleicht können wir es noch schaffen.“ Julia nickte, die Kiefer zusammengebissen. „Dann nichts wie los. Jeder Moment zählt.“

Sie verließen die Wohnung und gingen in die belebte Straße, die von einer Welle aus rennenden, schreienden Menschen überflutet war. Sie eilten durch die Menge, vorbei an Läden, deren Türen aufgebrochen waren, und die Regale leer geräumt.

Auf dem Gehweg lagen Kartons mit Konservendosen und Packungen, die achtlos von plündernden Händen zurückgelassen worden waren.

„Es ist wie ein Krieg“, flüsterte Marc, als sie an einem Supermarkt vorbeigingen, in dem das Chaos noch immer tobte. „Aber für was kämpfen sie eigentlich?“

„Für ihr Überleben“, sagte Julia mit einer stechenden Klarheit. „Für ihre Grundbedürfnisse. Wenn das Geld weg ist, was bleibt uns dann noch?“

Sie erreichten schließlich eine Tankstelle, die von mehreren

Menschen belagert war. Mit ausgetrockneten Gesichtern und verzweifelten Blicken versuchten sie, in die gesperrten Bereiche vorzudringen. „Hilfe!“, rief ein Mann verzweifelt, als er die Pumpe nicht bedienen konnte. „Wir brauchen Benzin!“ Julia und Marc drängten sich durch die Menge und erreichten die Tanke. Es war ein reines Wunder, dass der Betreiber noch

nicht mit den anderen geflüchtet war. Ein älterer Mann, dessen Haare wie Stahlgrau glänzten, stand hinter der Theke, als wäre er in einem Albtraum gefangen.

„Sind Sie der Besitzer?“ fragte Julia. „Wir brauchen Sprit!“

„Der Strom…“ Der Mann stammelte und sah auf das leere Zählwerk. „Es geht nichts mehr. Alles ist tot!“ „Sie müssen doch einen Notstromgenerator haben!“, rief Marc. „Die Menschen sterben, draußen!“

„Das… das geht nicht mehr. Sie werden es nicht mehr schaffen…“

Julia wusste, dass es keinen Sinn hatte, weiter zu drängen. Sie trat einen Schritt zurück und sah Marc an. Die Verzweiflung in seinen Augen war beinahe genauso greifbar wie ihre eigene. „Dann müssen wir es anders machen“, sagte sie, ihre Stimme fest. „Der nächste Plan ist es, zu den Krankenhäusern zu

kommen und den Patienten zu helfen, mit dem, was wir haben. Auch wenn wir uns durch eine Stadt voller brennender Ruinen und Chaos kämpfen müssen.“

Der Regen hatte aufgehört, doch die Stadt war ein brodelnder

Kessel, der in unregelmäßigen Abständen explodierte. Felix, der Polizeioberkommissar, stand an einem der vielen Straßensperren, die wie Wunden die Straßen von Dortmund zerschnitten. Das Licht der Scheinwerfer, die von den

Einsatzfahrzeugen übrig blieben, flimmerte gespenstisch in der Dunkelheit. Aber der Strom war nicht das einzige, was nicht mehr funktionierte. Auch die Ordnung, die Polizei und das