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Gefühlsausbrüche in Dauerschleife, schlechte Noten in der Schule, Krisenstimmung zuhause - und obendrauf auch noch der Neue aus den USA, den alle vergöttern! Kaum ein Monat vergeht und alles dreht sich nur noch um Jasper und seine Baseball AG. Die 14-jährige Elly ist megagenervt. So genervt, dass sie nicht nur ständig mit dem Ami Stress hat, sondern sich auch mit ihren Freunden zerstreitet. Erst als bei einem Fest Not am Mann ist, kann sie endlich Punkte auf ihrem Karma-Konto sammeln und stellt fest: Jasper ist gar nicht so übel. Aber je mehr sich die beiden annähern, desto eifersüchtiger werden ihre Freunde. Wie es scheint, kann Elly es niemandem recht machen.
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Seitenzahl: 341
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Weitere Abenteuer von Elly:
Band 1: Affen von der Rolle - Elly und die Kioskbande
Band 2: Geier fliegen tief - Elly und der Zickenterror
Josefine S. Kidding
lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern sowie ihren
zwei Schildkröten in Hamburg.
FÜR MEINE M.S
KAPITEL 1: Grüße aus Amerika
KAPITEL 2: Viele Wege führen nach Rom
KAPITEL 3: Mount Nothing
KAPITEL 4: Ready, steady, go
KAPITEL 5: Strafe muss sein
KAPITEL 6: Allein auf weiter Flur
KAPITEL 7: Keine Besserung in Sicht
KAPITEL 8: Auf der Suche
KAPITEL 9: Leben und leben lassen
KAPITEL 10: Alles auf Anfang
KAPITEL 11: Retter in der Not
KAPITEL 12: Manege frei
KAPITEL 13: Des einen Freud, des anderen Leid
KAPITEL 14: Bombenstimmung
KAPITEL 15: Geheimnisse
KAPITEL 16: Der große Tag
KAPITEL 17: What the hell …?
KAPITEL 18: Erkenntnisse
KAPITEL 19: Einfach weg
KAPITEL 20: Ende gut, alles gut
»Nichts!«, brummelte Elly und betrachtete kritisch ihr Gegenüber im Spiegel. Mit finsterer Miene drehte sie sich zur Seite, drückte ihren Oberkörper nach vorne und zog ihren knallroten Pulli glatt. Enttäuscht und frustriert zugleich streckte sie ihrem Spiegelbild die Zunge raus. Dann stellte sie sich mit dem Rücken zur Wand und zeichnete über ihrem Kopf einen Strich, der sich unerhörterweise auf gleicher Höhe befand wie der von der Woche zuvor.
»Dieser Körper funktioniert einfach nicht!« Verbittert knallte Elly den Stift auf den Schreibtisch und polterte die Treppe zum Esszimmer runter.
»Guten Morgen, Monkey«, schmetterte ihre Mutter ihr fröhlich entgegen. Sofort verschlechterte sich ihre Laune um einhundert Prozent. Wie konnte ihre Mutter morgens immer so gut gelaunt sein? Das war widerlich!
»Toast? Müsli? Einen Tomatensaft? Zollfreie Zigaretten? Was hätten Sie gerne?«
Ihre Mutter hatte auf den ersten Blick erkannt, dass sie schlechter Laune war. So weit keine Überraschung. Schlechte Laune war morgens einer ihrer treuen Begleiter.
Die Stewardessennummer zog sie nur ab, um sie zu ärgern. Das war ihre Antwort auf Ellys schwankenden Hormonsturm.
»Nein danke. Hab keinen Hunger. Schönen Tag noch!«, knurrte Elly und wandte ihren Eltern den Rücken zu. Im nächsten Moment bereute sie ihre Antwort, denn eigentlich hätte sie ein Schwein auf Toast essen können. Aber zurückrudern kam jetzt nicht mehr in Frage.
»Was hat sie denn nur in letzter Zeit?«, murmelte ihr Vater.
»Man nennt das Pubertät.« Ihre Mutter gab sich nicht einmal Mühe, leise zu sprechen, sondern drehte sich zu Elly um und winkte ihr betont freundlich zu.
»War das bei Mo auch so? Ich kann mich gar nicht erinnern.«
»Hast du vermutlich verdrängt, Schatz.«
Eine unheilvolle Wärme stieg in Elly auf und brachte ihren Kragen zum Platzen. Wütend stapfte sie zurück und drapierte sich theatralisch vor ihre Eltern.
»Das habt ihr ganz sicher verdrängt! Vermutlich könnt ihr euch nicht daran erinnern, weil ihr euch da gerade getrennt hattet und damit beinahe unser Leben ruiniert habt«, schnauzte sie. Kaum war der Satz über ihre Lippen, schlug ein Glöckchen auf höchster Stufe Alarm. Sie hatte sich voll im Ton vergriffen. Und nicht nur das. Auch im Thema.
Ihr Vater ließ die Zeitung sinken und hob erstaunt die Augenbrauen. Die Reaktion ihrer Mutter war weitaus gefährlicher: Ihre Gesichtsfarbe wechselte schneller von Blassrosa zu Zinnoberrot als bei einem Chamäleon. Elly hatte soeben ein Minenfeld betreten. Aber egal. Sie war eh schon auf Zinne. Sie war bereit für ein Gefecht. Ihre Mutter machte drohend einen Schritt auf sie zu, doch ihr Vater griff nach ihrer Hand und tätschelte sie milde.
»Beruhig dich, Schatz. Sie meint es sicherlich nicht so«, sagte er ruhig und drehte langsam den Kopf zu ihr. »Ein Hoch auf das Gedächtnis, das in der Lage ist, schlimme Dinge zu vergessen, und herzlichen Glückwunsch, dass ihr das Geschehene so wunderbar überstanden habt.«
Elly starrte erst ihren Vater an. Dann glitt ihr Blick zum Gesicht ihrer Mutter, das mit steinerner Miene zurückstarrte. Wäre ihr Vater nicht so heroisch zwischen die Fronten gesprungen, hätte es ein 1a Gemetzel geben können. Mutter gegen Tochter, Mittvierzigerin gegen Teenager, Östrogenmangel gegen Hormonüberschuss. Aber das hatte ihr Vater ihr gründlich versaut. Elly verstaute den angesammelten Frust neben den Schulbüchern in ihrem Rucksack und machte sich grußlos auf den Weg.
Zehn Minuten später stoppte sie mit knurrendem Magen bei der Schule. Die rasante Fahrt hatte ihre Gefühle wieder auf Reihe gebracht, und noch während sie ihr Rad anschloss, formulierte sie in Gedanken eine Entschuldigung an ihre Mutter. Zufrieden mit ihrer Wortwahl angelte sie nach dem Handy. Als ihre Finger es weder neben Frust noch zwischen dem Mäppchen oder den Heften ertasten konnten, war sie – Zack – schon wieder auf hundertachtzig.
»Dieser Tag ist im Arsch!«, fluchte sie laut vor sich hin. Nun half nur noch eines: Nahrung. Ihre Augen wanderten zum Bäcker gegenüber. Ungeduldig zerrte sie am Reißverschluss ihres Geldbeutels, dem die grobe Behandlung missfiel und sich mit einem lauten Ratsch rächte. Eine Münze nach der anderen sprangen aus ihrem Gefängnis und rollten befreit und fröhlich durch die Gegend.
»Echt jetzt?«, schrie Elly fassungslos und versuchte, die wegrollenden Geldstücke einzufangen. Einen Sack voller Flöhe zu hüten schien einfacher, aber weitere fünf Finger kamen ihr zu Hilfe und reichten ihr zwei Euromünzen. Elly blickte dem Arm entlang ihrem Helfer ins Gesicht, registrierte einen unbekannten Jungen, brummte ein knappes Dankeschön und sammelte hektisch die restlichen Geldstücke ein.
»Kannst du mir sagen, wo es geht zum Sekretär?«
Elly runzelte die Stirn: »Sekretariat?«, versuchte sie.
»Registry?«
»Häh?« Elly sah den Jungen verständnislos an. »Was auch immer. Da lang.« Sie deutete ihm den Weg zum Schulsekretariat und sprintete los.
Zehn Minuten später hielt Elly ein Frühstück in der Hand und war mit dem Schicksal etwas ausgesöhnt. Die Stufen zweifach nehmend bog sie mit Lichtgeschwindigkeit um die Ecke und in die Aula hinein. Unerwartet stellte sich ihr etwas Hartes in den Weg. Die Brezel befreite sich aus ihrer Hand und begab sich auf einen Segelausflug. Elly hingegen landete unerwartet weich. Schockiert sah sie der Brezel hinterher, die über den dreckigen Boden der Aula schlidderte.
»Nein!«, rief sie verzweifelt und schloss kurz die Augen. Der Tag war verhext! Unter ihr regte sich etwas und ein Ächzen drang zu ihr hinauf.
»Get off me!«
Elly starrte ihrem Puffer ins Gesicht und erkannte den Jungen, der sie gerade nach dem Weg gefragt hatte.
»Du schon wieder.« Sie rappelte sich auf und bot ihm die Hand an. Aber statt sich bei ihm zu entschuldigen, richtete sich all ihr Zorn auf den Jungen, der sie gerade um ihr Frühstück gebracht hatte. »Und was soll ich jetzt essen?«, motzte sie los.
»Häh?« Der Junge strich sich den Dreck von der Hose und rieb sich den Ellbogen.
»Happa, happa«, sagte Elly und machte eine löffelnde Bewegung vor ihrem Mund.
Der Junge schüttelte verständnislos den Kopf.
Eine wohlbekannte Stimme, die zu ihrem Deutschlehrer gehörte, unterbrach ihr Schauspiel. »Hey Elly. Das ist Jasper. Er kommt aus Amerika und wird unser Gymnasium besuchen. Er ist eine Klasse über dir. Jasper, das ist Elly«, stellte Herr Schmidt, liebevoll Schmidtl genannt, die beiden einander vor. »Du bist sicher auf dem Weg nach oben. Bring Jasper doch bitte ein Stockwerk über euch in die 9b.«
Elly warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf ihre dreckige Brezel und stapfte dann wortlos die Treppe nach oben.
»Hast du den Neuen schon gesehen?«
Überall hörte Elly den gleichen Spruch. Genervt rollte sie die Augen und versuchte, ein Stück von Möpschens Schnitte zu erhaschen.
»Lass das, Elly!«
»Ich hab aber Hunger.«
»Ich auch.«
Ellys Augen wanderten über Möpschens Körper, der, trotz Verlust einiger Kilos, immer noch genügend Reserven für eine Hungersnot von einem Vormittag überstehen würde. Ihrer allerdings …
»Ich«, fing Elly an, vollendete den Satz aber nicht, da er eine Beleidigung beinhaltete. Sie drehte sich zu Eddie um, streckte aber angewidert die Zunge heraus, als sie sah, dass der das Gesicht von Kristen mit seinem Mund bearbeitete. Schnell drehte sie sich wieder zurück und rief über ihre Schulter: »Eddie, hast du etwas zu essen? Sicherlich brauchst du es gerade nicht.« Sie zählte bis zehn und zuckte dann entmutigt mit den Schultern. »Dann werde ich eben verhungern.«
»He! Elly!«
Ein rettender Apfel flog auf sie zu. Elly fing ihn geschickt auf und biss herzhaft hinein. Vicky schlurfte mit müden Gliedern hinterher und setzte sich grinsend auf ihren Tisch.
»Bitte schön.«
Elly nickte dankbar.
»Und? Hast du den Jungen schon gesehen?«
»Welchen Jungen?«, nuschelte Elly zwischen zwei Bissen.
»Den Neuen. Aus der Neunten. Kommt aus Amerika, munkelt man.«
»Ach den. Tschessper!«
»Du kennst ihn?« Vicky riss die Augen auf und blickte sie plötzlich hellwach an. »Wie kannst du ihn schon kennen? Er ist heute Morgen erst eingeschult worden.«
Elly winkte gelangweilt ab. »Hab ihn zu seiner Klasse geleiten müssen.«
»Und?«
»Was und?« Elly biss erneut ein großes Stück aus dem Apfel. Vicky rollte ungeduldig mit den Augen.
»Wie ist er so?«
»Wer?«, mischte sich nun auch Möpschen in die Angelegenheit.
»Na, dieser Junge aus den Staaten. Sieht supersüß aus. Groß, längere Haare und hat einen total durchtrainierten Körper«, schwärmte Vicky verträumt. »Du musst ihn mir unbedingt vorstellen, Monkey.«
»Eher nicht. War nicht gerade freundlich zu ihm«, erinnerte sich Elly und gab den Zusammenstoß vor der ersten Stunde zum Besten.
»Du bist in ihn hineingelaufen und er hat dich aufgefangen? Wie romantisch!«, kreischte Vicky und bekam rote Wangen.
Möpschen verschluckte sich vor Lachen an seinem Brot und Elly legte widerwillig den Apfel beiseite, um die Situation klarzustellen.
»Nein, so war das nicht. Ich habe ihn volle Kanne umgerannt. Da war nichts mit Auffangen oder so. Das war eher: Renn, renn, renn. Krach, bumm. Aua, Ellbogen. Scheiße, Frühstück weg. Und genau da musste Schmidtl dazukommen und mich bitten, den Ami in den Stock über uns zu bringen. Nichts mit Romantik, Vicky. Das war megapeinlich. Dem komme ich bestimmt nicht nochmal freiwillig unter die Augen.«
Ihre Freundin stellte ihren Kopf schief und sagte dann hinterlistig: »Gut. Dann gib mir den Apfel zurück.«
»Oha!«, sagte Möpschen.
Der Apfel, der gerade auf dem Weg zu seiner weiteren Vernichtung war, blieb in der Luft stehen. Elly blickte Vicky mit offenem Mund und entsetztem Gesichtsausdruck an.
»Das würdest du wirklich tun?«, fragte sie schließlich empört.
Vicky nickte.
»Du würdest mich wirklich verhungern lassen?«
Möpschens Gesicht verfärbte sich tiefrot und seine Schultern bewegten sich rhythmisch von oben nach unten. Hätte Elly nicht gewusst, dass er sich mit großer Mühe das Lachen verkniff, wäre sie über seine Zuckungen alarmiert gewesen und hätte einen epileptischen Anfall vermutet. Sie strafte ihn mit einem bösen Blick.
»Sehr witzig«, sagte sie und vergrub anschließend ihre Zähne in den Apfel. »Na gut. Wann und wo bestimme aber ich.« Vicky strahlte und Elly schubste sie brummelnd von ihrem Tisch.
»Na, immer noch schlecht drauf? Oder schon wieder?« Issy drückte Elly ein Butterbrot in die Hand. Wie immer funktionierten die Buschtrommeln in der Schule wie am Schnürchen und Issy hatte bereits von ihrer Hungersnot mitbekommen.
»Du bist die Beste!«, sagte Elly und stürzte sich halb verhungert darauf. Wie ein Wolf hieb sie ihre Zähne in die Schnitte und schüttelte dabei ihren Kopf. Hastig stopfte sie sich mit der Hand die Teile in den Mund, die es aus Platzmangel nicht hineingeschafft hatten.
Issy riss ungläubig die Augen auf. »Man könnte meinen, du hättest seit einer Woche nichts zu essen bekommen.«
Es dauerte eine Weile, ehe Elly antwortete. »Daran ist nur dieser GI-Joe schuld.« Sie überlegte einen kurzen Moment. »Nee, Mama. Hätte die nicht ihre dumme Stewardessennummer abgezogen …« Sie ließ den Satz unvollendet und seufzte tief. »Eigentlich ist mein nicht funktionierender Körper schuld.«
Issy blieb stehen und blickte ihre Freundin an. »Du sprichst in Rätseln, Elly. Muss man sich Sorgen machen? Soldaten, Stewardessen, dein Körper. Was meinst du damit?«
Elly machte eine wegwerfende Handbewegung und widmete sich dem letzten Stück des Brotes. Mit sichtlich besserer Laune hakte sie sich bei Issy unter und nahm die Runde über den Pausenhof wieder auf.
»Also?«, fragte Issy nach.
»Was?«
»Was hat es nun mit Flugbegleitern und Soldaten so auf sich?«
Elly seufzte. »Mama hat mich heute Morgen mal wieder total mit ihrer guten Laune genervt. Das ist so übertrieben, wie sie mich in letzter Zeit begrüßt. Nervt mega. Und wenn sie dann keine superfreundliche Antwort bekommt, zieht sie neuerdings so eine Stewardessennummer ab. ›Guten Tag, was hätten Sie gerne? Cola, Tomatensaft? Steuerfreie Zigaretten?‹«, imitierte sie ihre Mutter in einer schlechten Version.
Issy fing zu lachen an. »Das stelle ich mir höchst komisch vor.«
»Ha, ha. Ist überhaupt nicht witzig.«
»Du hast gut reden«, schob Elly in Gedanken hinterher und musterte Issy verstohlen aus den Augenwinkeln. Ihre beste Freundin sah immer wie aus dem Ei gepellt aus. Elly wusste nicht, wie Issy das anstellte. Ihre langen, blonden Haare waren stets ordentlich zu einer Frisur gebunden. Ihre eigenen hingegen schienen noch nie etwas von dem Wort gehört zu haben. Egal wie oft sie ihr schulterlanges Haar striegelte oder versuchte, es in einem Zopf zu bändigen; es blieb stets bei dem Versuch, der zudem noch von kurzer Dauer war. Am meisten aber beneidete sie Issy um ihren Körper. Mit ihrer Größe hatte Elly schon lange Frieden geschlossen, sie war nun mal klein. Dass ihr Körper allerdings immer noch wie der einer Zwölfjährigen aussah, nahm sie ihm von Tag zu Tag mehr übel.
»Und was hat GI-Joe mit deiner schlechten Laune zu tun?«
»Seinetwegen ist meine schöne, warme, frische Brezel im Dreck gelandet«, seufzte Elly. »Ich renn so um die Ecke, und wumms, knall voll in den hinein. Mann, hab ich mich geärgert. Dann musste ich den auch noch in den oberen Stock bringen, wie ein Babysitter. Und dieser Smalltalk-Scheiß, da kann ich ja gar nicht drauf. Wer will schon übers Wetter reden? Habe eh nur die Hälfte verstanden. Die reden ja wie mit ’ner heißen Kartoffel im Mund.«
»Sprichst du etwa von dem Amerikaner? Dem Neuen?« Issy machte abrupt Halt. »Der soll total …«
»… süß sein. Ja, ich weiß«, vollendete Elly genervt den Satz und zog Issy weiter. »Ist mir nur nicht aufgefallen, ich hatte echt ganz andere Probleme.«
»Hunger.«
»Ja, genau. Und Stress mit Mama.«
»Daran solltest du dich mittlerweile gewöhnt haben«, bemerkte Issy sarkastisch. Nun blieb Elly stehen und blickte ihre Freundin empört an. »Was soll das denn heißen?«
Issy wog langsam den Kopf hin und her. »Dass du in letzter Zeit ganz schön auf Zinne bist. Und eine sehr kurze Zündschnur hast«, sagte sie vorsichtig. »Eigentlich weiß man vorher nie, ob man gerade ein Minenfeld betritt.«
»WAS? Nun mach aber mal einen Punkt. Wer behauptet das denn? Hat Mama etwa mit dir über mich gesprochen?« Elly stemmte die Hände in die Hüfte und sah Issy herausfordernd an.
»Äh, nein. Uns ist das ganz von alleine aufgefallen.«
»UNS? Wen meinst du denn mit uns? Und wann? Nenn mir mal bitte ein Beispiel.«
»Mit uns meine ich deine Freunde. Eddie, Möpschen, Kristen, Vicky.«
»Wie bitte?« Ellys Mund stand sperrangelweit offen.
»Und ein Beispiel wäre die jetzige Situation. Du siehst gerade wieder aus, als würdest du dir hundert Möglichkeiten überlegen, wie du mich umbringen könntest, und das nur, weil ich dich darauf anspreche. Die anderen trauen sich schon gar nicht mehr …«
»What?«, unterbrach Elly sie kreischend. »Das darf doch nicht wahr sein. Und du machst da mit? Das hätte ich ja nicht gedacht!« Ellys Gesicht nahm ein tiefes Burgunderrot an.
»Monkey, komm schon. Nun nimm das doch bitte nicht gleich persönlich.« Issy versuchte, einen Arm um Ellys Schultern zu legen, aber die machte wortlos einen Schritt nach hinten.
»Danke für dein Brot. Und deine Geduld, und dass du so mutig bist, mit mir zu reden.« Elly drehte sich weg und spürte die Enttäuschung über ihre Wut hinwegwaschen.
»Elly!« Der Ruf ihrer Freundin drang wie durch eine ferne Nebelwand an ihre Ohren, aber Elly reagierte nicht. Sie hatte Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken. Sie fühlte sich verraten und verloren.
Das mit Mama, na ja, das hätte sie gerade noch so verknusen können, aber dass sich nun auch ihre beste Freundin, ach Quatsch, all ihre besten Freunde gegen sie wendeten, nahm ihr beinahe die Luft zum Atmen. Blindlings stürzte sie die Treppe zum Eingang der Aula hinauf und segelte direkt in die Arme von GI-Joe.
»Hello Mrs Stormy«, sagte dieser sarkastisch und schob sie mit grimmiger Miene von sich.
Elly wurde noch röter, als sie es ohnehin schon war. »Du schon wieder?« Sie rieb sich die Stirn und schob ihre Brille nach oben, die bei dem Aufprall verrutscht war. »Was für ein Scheißtag!«
»Wo haste denn den Rest der Bande jelassen? Allet in Butta?«, fragte Herr Fritz, als Elly ihr Rad neben dem kleinen Kiosk abstellte. Neugierig beugte er sich aus dem Häuschen heraus.
»Die können mir mal an die Füße fassen«, maulte Elly und schnappte nach dem Lolli, den Herr Fritz ihr über den Tresen schob.
»Wat is denn nu wieda?« Neugierig hob Herr Fritz eine Augenbraue und stützte seinen Kopf gespannt auf den Händen ab.
Elly ließ sich Zeit. In Seelenruhe und mit vorgeschobener Unterlippe wickelte sie die Folie von ihrem Lolli und schob sich diesen anschließend genussvoll in den Mund. Sie ließ Frust und Bitterkeit von der Süße wegspülen und hob nach ein paar Minuten zu einer Erklärung an. Herr Fritz drängte sie nicht, sondern lauschte geduldig. Als sie fertig war, fühlte sie sich gleich viel besser – und überhaupt kam ihr alles schon gar nicht mehr so schlimm vor. Bis auf die Sache mit Issy. Die nagte noch an ihr.
»Nu mach nich so’n Jewese! Dit sin de Hormone, Sonnenschein. Da musste mit Karacho durch.«
Elly stieß einen Seufzer aus, der von ganz tief unten kam. Wie eine hundertjahre alte Frau sagte sie: »Die Pubertät ist ein verdammter Karma-Killer.«
Herr Fritz ließ ein brummelndes Lachen hören, das Elly sofort tröstete. »Und nu?«
»Wenn ick dit wüsste«, berlinerte sie gekonnt.
»Musste dir versöhnen. Bringt ja nüscht.« Herr Fritz schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und schüttete dann eine ganze Menge verschiedener Süßigkeiten in eine große Tüte. »Hier«, sagte er und schob sie über den kleinen Tresen, »dit macht Lunte!«
Überrascht nahm Elly die prall gefüllte Tüte entgegen. »Danke, Herr Fritz. Aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Das hätte ich auch so wieder geradegebogen.«
»Dit weeß ick doch. Und nu quassel nich, sondern mach ma dalli.« Er zwinkerte ihr freundlich zu. Lachend schwang sich Elly auf ihr Rad und trat den Heimweg an.
Es brauchte nicht viel Überwindung, um den Rat von Herrn Fritz zu beherzigen. Die Erfahrung, dass ein nicht geklärtes Missverständnis zum Ende einer Freundschaft führen konnte, hatte Elly bereits einmal mit Issy gemacht. Sie war nicht sonderlich scharf darauf, diesen Fehler zu wiederholen. Zuhause angekommen griff sie gleich nach dem Telefon, bat ihre Freunde um Entschuldigung und trommelte sie zu einer außerordentlichen Versammlung zusammen, in der sie sich feierlich Ehrlichkeit schworen und sich dann über die Tüte von Herrn Fritz hermachten.
Zusammen mit Issy, Kristen, Eddie und Möpschen saß Elly im Dachgeschoß des kleinen Hauses, in dem sie mit ihren Eltern lebte. Es war noch gar nicht so lange her, dass ihr Vater das Zimmer unter dem Dach bewohnt hatte. Damals waren ihre Eltern noch getrennt gewesen und hatten sich in dem Häuschen arrangiert, indem sie alles in Zeiten und Zonen aufgeteilt hatten. Jetzt waren ihre Eltern aber wieder ein Paar und Elly genoss die Freiheit, die sie hier oben hatte.
»Wo ist Vicky?«, fragte Issy und versuchte, nach einer Brausestange zu greifen, die Elly bereits ins Visier genommen hatte. Elly stibitzte sich die Brausestange, bevor Issys Finger auch nur in die Nähe kamen. Grinsend streckte sie ihrer Freundin die Zunge heraus und ließ die Stange in ihrem Mund verschwinden.
»Kann nicht. Irgendein Termin«, nuschelte sie und freute sich über die schaumige Süße, die sich in ihrem Mund ausbreitete. Als sie sah, dass Möpschens Hand über einer Tafel Schokolade schwebte, gab sie ihm einen Klaps.
»Möpschen, vergiss die Schokolade!«
Mit einem übertrieben entrüsteten Gesichtsausdruck zog Möpschen seine Hand zurück. »Warum das denn? Ich dachte, die ist zur Aussöhnung mit uns.«
»Ja, schon«, gab Elly zu, »aber meine Mutter mag die so gerne, und … na ja …«, druckste sie herum.
»Mann Elly, du hast heute Morgen aber viele Brücken hinter dir niedergerissen. Mach dir das mal nicht zur Angewohnheit«, kommentierte Eddie ihre zerknautschte Miene.
»Nun mach kein Drama draus, Ellys Zündschnur ist in letzter Zeit halt etwas kurz«, sagte Issy und legte einen Arm um ihre Freundin.
»Wohl eher eine, die direkt im Pulverfass liegt«, bemerkte Eddie trocken und verzog sich schützend hinter Kristen.
Elly zuckte hilflos mit den Achseln. »Ach Leute, ich wünschte, ich könnte das kontrollieren. Das sind die verdammten Hormone. Die machen, was sie wollen.«
»Das mag sein. Versuch trotzdem, den Schaden möglichst gering zu halten. Jähzorn steht dir nicht«, brummte Eddie.
»Sagt der Richtige«, warf Möpschen den Ball zurück. »Du kannst auch abgehen, wie ,ne Rakete.«
Issy hob beschwichtigend ihre Hände. »Okay, okay. Hören wir mit den Schuldzuweisungen auf. Wir haben alle mal einen schlechten Tag. Aber nun zu etwas viel Wichtigerem: Was ist mit diesem Ami? Du bist die Einzige hier, die schon Kontakt mit ihm hatte. Erzähl.«
Gespannt richteten sich alle Augen auf Elly, die sich unwohl krümmte. Ihr Verhalten dem Neuen gegenüber war keine ihrer Glanzleistungen gewesen. Darüber auch noch zu berichten war doppelte Bestrafung. Aber ihre Freunde ließen sie nicht vom Haken. Stockend erzählte sie von ihrem ersten Zusammenstoß und noch viel kleinlauter von dem zweiten.
»Oh, wie peinlich«, streute Kristen Salz in ihre Wunde.
»Und Vicky will jetzt unbedingt, dass ich ihn ihr vorstelle. Nur, weil ich einen Apfel von ihr bekommen habe. Dem kann ich aber nicht mehr unter die Augen kommen. Der muss denken, ich bin total bekloppt.«
Issy tätschelte tröstend ihren Arm. »Nur ein bisschen«, beruhigte sie ihre Freundin.
»Und wie sieht er aus?«, wollte Kristen weiter wissen und handelte sich dafür einen Knuff von Eddie ein.
Elly ließ laut die Luft aus ihren Lungen. »Ich weiß nicht …«, fing sie zögerlich an.
»Oh komm schon, Monkey!«, protestierten ihre Freundinnen synchron.
Elly ließ die peinlichen Szenen noch einmal gedanklich rückwärts laufen und versuchte die einzelnen Eindrücke in Worte zu fassen.
»Er ist groß«, begann sie, wurde aber gleich von schnaubendem Gelächter der Jungs unterbrochen.
»Neben dir ist jeder groß«, grinste Eddie.
Elly schmiss ihm ein Bonbon an den Kopf. »Ja, aber er ist wirklich groß. Größer als du. Und durchtrainierter«, setzte sie hämisch nach, als sie sich daran erinnerte, wie sie auf dem Ami gelandet war. Eine leichte Röte schoss ihr ins Gesicht. Eddie sah sie brummelnd an. Er selbst war, genau wie Elly, völlig sportverrückt und besaß eine absolute Traumfigur, auf die er zu Recht stolz war.
»Okay, was noch?«, fragte er sie herausfordernd.
»Er riecht gut«, dachte sich Elly, behielt den Gedanken aber für sich. »Braunes, lockiges Haar. Länger, nicht so kurz. Keine Ahnung. Ich hab den nicht so unter die Lupe genommen.«
»Und sein Gesicht? Sieht das jetzt scheiße aus oder was?«, fragte Kristen noch einmal.
»Weiß nicht. Normal halt.«
»Keine Gesichtsfünf?«
Elly konzentrierte sich auf den traurigen Rest übriggebliebener Süßigkeiten in ihrer Mitte. Das nettgemeinte Verhör ließ eine Gänsehaut über ihren Körper krabbeln. Nervös schob sie sich die Brille nach oben. »Normal halt«, wiederholte sie knapp.
»Groß, durchtrainiert, braunes, lockiges, längeres Haar und anscheinend ganz ansehbar«, fasste Issy pragmatisch wie eh und je zusammen. Verheißungsvoll rieb sie sich die Hände. »Juhu. Endlich gutes Material in the house! Mädels, die Jagdsaison ist eröffnet!«
*
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mir das antust«, beschwerte sich Elly und stieg am nächsten Morgen schleppenden Schrittes die Treppe zum dritten Stock hinauf. »Wegen eines Apfels, also echt!«, fügte sie verächtlich hinzu. Im Nachhinein wäre sie gestern doch lieber verhungert. Besser, als sich jetzt vor dem großen Jungen zu präsentieren, den sie gestern so schnöde behandelt hatte. Elly bereute mit jeder weiteren Stufe ihre Entscheidung, sich dem Feind gleich jetzt zu stellen. Aber Vickys nervtötende Nachfragerei, die der endlosen Litanei eines Kleinkindes auf Reisen glich, hatte zu einer Kurzschlussreaktion geführt.
»Kommst du endlich? Du läufst wie meine Oma, gleich ist die Pause vorbei!«, drängelte Vicky und schaute sie vorwurfsvoll vom Treppenabsatz an.
»Ja, ja«, murrte Elly und nahm die Stufen noch zögerlicher. Je näher sie dem Klassenzimmer der Neunten kamen, desto mehr zogen sich ihre Eingeweide zu einem unschönen Knoten zusammen. Eindringlich versuchte sie, sich Mut zu machen. Vielleicht war der Ami heute gar nicht in der Schule? Oder seine Klasse hatte jetzt in einem anderen Trakt Unterricht? Oder er war wieder nach Amerika zurückgegangen? Deutschland war ihm sicherlich viel zu spießig und zu klein.
Elly verschanzte sich immer mehr hinter der Hoffnung, doch noch einen Rückzieher machen zu können. Natürlich ganz ohne ihr Zutun – schließlich wäre es nicht ihre Schuld, wenn der Ami gerade nicht da war. Und dann würde sie ihr Versprechen auf ewig hinauszögern. In der Zwischenzeit standen die Chancen ganz gut, dass sich die Wege von Vicky und Jasper ganz von alleine kreuzten. Und ihr Problem wäre damit gelöst. Ein armseliger Wunsch, ja klar. Aber im Hinblick auf ihr Selbstbewusstsein, das derzeit die Größe einer Erbse besaß, absolut verständlich. Ihre Hoffnung wurde zerstört, als Vicky um die Ecke verschwand und zwei Sekunden später mit hochrotem Kopf wieder auftauchte. Sie winkte ihr aufgeregt zu.
»Komm schnell, er steht hier im Flur. Zusammen mit Lenny und Karl. Die finde ich auch so süß.«
Lenny und Karl? In diesem Moment war sich Elly sicher, dass sie den Knoten in ihrer Mitte nie wieder aufbekommen würde. Sie fühlte sich, als müsste sie sich gleich übergeben. Wie sollte sie vor den Ami treten, kleinlaut um Entschuldigung bitten und dabei annähernd eine gute Figur abgeben, wenn bei ihm die zwei heißesten Jungs aus der Neunten standen?
Elly stöhnte laut auf, blickte hinter sich und sah sich vor ihrem geistigen Auge schreiend die Treppe runterrennen. Vicky schien ihre Gedanken zu erraten. Um eine Flucht zu verhindern, kam sie die letzten Stufen hinuntergestürzt und packte Elly am Arm.
»Du hast es mir versprochen!«, sagte sie und schaute sie eindringlich an.
»Ja, schon. Aber …«
»Nichts da, los jetzt.«
Elly gab ein quietschendes Geräusch von sich und schlich an der Seite von Vicky Schritt für Schritt ihrem sozialen Untergang näher. Als Vicky kurz Halt machte, um sich ihre lange, blonde Mähne zu arrangieren, sich für einen rosigen Teint in die Wangen kniff und ein perfektes Lächeln auf die Lippen zauberte, schob Elly missmutig ihre Brille nach oben und straffte die Schultern. Boops and bootie hatte sie nicht zu bieten, aber wenn sie schon unterging, dann mit Würde. Sie holte einmal tief Luft und lief mit zittrigen Knien auf die drei Jungs zu.
»Hey Jasper«, krächzte sie und unterbrach das Gespräch, das sich, der ausholenden Gesten nach zu beurteilen, um Sport handelte.
Jasper drehte überrascht den Kopf und sah erstaunt zu Elly. Das Gespräch der drei kam zum Erliegen und zwei weitere Augenpaare richteten sich interessiert auf sie. Elly merkte, wie sich ihr Kopf in eine Tomate verwandelte. »Lenny, Karl.« Sie vermied Augenkontakt, nickte kurz zu den Jungs und konzentrierte sich wieder auf ihre Mission.
»Tja, ähm«, räusperte sie sich. »Ich wollte mich wegen gestern entschuldigen. Ich hatte einen wirklich, wirklich schlechten Tag. Sorry.« Sie schickte ihre Hand zum Friedensangebot nach vorn, aber der Ami dachte nicht daran, sie zu schütteln. Stattdessen switchte sein Blick zwischen Elly und Vicky hin und her.
»Das übrigens ist Vicky«, beeilte sich Elly zu sagen und zog ihre Freundin näher. »Vicky – Jasper. Jasper – Vicky.« Sie sah Jasper flüchtig ins Gesicht und erkannte anhand seines spöttisch hochgezogenen Mundwinkels, dass er ihre Aktion voll durchschaut hatte. Am liebsten hätte sie sich mit einem Tusch in Luft aufgelöst. Ihr wurde immer wärmer.
»Hey Vicky, nice to meet you«, grüßte Jasper ihre Freundin herzlich und besaß die Frechheit, sie über ihren Kopf hinweg in die Runde zu ziehen. Der Kreis schloss sich und Elly starrte auf eine Wand aus Rücken. Vicky drehte sich noch einmal kurz um und winkte ihr strahlend zu.
Als Elly die Treppe hinabstieg, kochte sie vor Wut und ihr Gesicht glühte von der Abfuhr, die sie von dem Ami erhalten hatte. Obwohl sie überhaupt nicht auf ein Gespräch mit ihm aus gewesen war, hätte sie nie im Leben mit so einer abweisenden Reaktion gerechnet. Er hatte sie wie einen Volltrottel dastehen lassen. Gut, er hatte mitbekommen, dass die Entschuldigung nur ein Vorwand gewesen war. Aber hätte er sich nicht einfach geschmeichelt fühlen können, dass Vicky ihn süß fand? Stattdessen hatte er sie total auflaufen lassen. Und das auch noch vor Lenny, den sie heimlich megasüß fand. Vor dem brauchte sie sich nun nie wieder blicken zu lassen. Danke, Jasper!
Als es zur großen Pause gongte, stellte sich Elly absichtlich abseits von ihren Freunden. Issy, die in ihrer Parallelklasse war, stieß kurze Zeit später zu ihr und schaute sie fragend an.
»Warum stehst du nicht bei ihnen?«
»Wenn ich Vicky noch einmal den Namen des Amis sagen höre, schlag ich ihr ins Gesicht«, zischte Elly und biss in ihr Pausenbrot.
»Oh! Du hast es schon hinter dich gebracht? Erzähl, wie war es?«
»Da gibt es nichts zu erzählen«, knurrte Elly.
»Glaub ich dir nicht!« Issy schaute sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an und schob Elly zu ihren Freunden.
»Hey Leute. Vicky, wie war es?« Entschuldigend grinste Issy Elly an. Ihre Neugierde war einfach zu groß.
»Jasper ist unglaublich süß«, fing diese gleich zu schwärmen an. »Und superhöflich. Er hat mich sofort in die Runde aufgenommen.«
Elly schnaubte. »Und mich hat er stehen lassen wie einen Trottel.«
»Sorry, Elly«, nahm Vicky ihn in Schutz, »man hat gleich gemerkt, dass deine Entschuldigung nur ein Vorwand war. Das war total lahm!«
»Wie bitte?« Elly glaubte, sich verhört zu haben. »Du bist ja lustig. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Außerdem habe ich die Entschuldigung ein kleines bisschen ernst gemeint. Da hätte er ja auch mal über seinen Schatten springen und sie annehmen können.« Elly quoll der Dampf aus den Ohren. »Zumindest du hättest mich nicht am langen Arm verhungern lassen müssen!« Das war ja mal wieder typisch! Sie tat ihrer Freundin einen Gefallen und erntete dafür auch noch ein Bashing.
»Code Red, Code Red. Mission sofort abbrechen«, sagte Möpschen, als er Ellys Miene sah.
Vicky reagierte augenblicklich, machte einen Schritt auf Elly zu und nahm sie in den Arm. »Entschuldigung, so war das nicht gemeint. Das war eine doofe Situation vorhin.«
Elly nickte knapp und widmete sich wieder ihrem Frühstück. Sie spürte, dass alle Augen auf sie gerichtet waren und quasi auf einen weiteren Ausbruch warteten. Angestrengt biss sie in ihr Brot und stellte sich vor, dass jedes Körnlein ein gewisser Junge war.
»Aber echt jetzt«, fuhr Vicky fort, »Jasper ist richtig, richtig nett. Mega. Sie haben die ganze Zeit über Baseball gesprochen. Er hat von Lenny und Karl erfahren, dass die Schule das Angebot der Sport AGs erweitern möchte, und nun überlegt er, ob man Baseball vorschlagen könnte. Der Sport ist megabeliebt in den Staaten. Das wäre doch auch etwas für euch zwei Sportfanatiker.« Sie musterte Elly und Eddie, der sofort aufgeregt zu nicken anfing.
»Das hört sich super an. Da wäre ich sofort dabei. Du doch auch, Monkey?« Er klopfte Elly hart auf die Schulter, die sich daraufhin prompt verschluckte und hilflos zu husten anfing. Tränen schossen ihr in die Augen, als ein besonders hartes Stück Kruste ohne Mithilfe von Spucke den Weg in ihre Speiseröhre antrat. Quälend langsam kam es voran und schien überall Kratzer zu hinterlassen. Mit dem Bild einer blutenden Speiseröhre vor sich versuchte Elly, den Hustendrang zu unterdrücken, schaffte es aber nicht.
Hustend, nach Luft schnappend und würgend setzte sie sich auf den Boden und beugte sich vornüber. Tränen liefen ihr über das Gesicht und Issy klopfte alarmiert auf ihren Rücken.
»Erstickst du etwa?«
Elly schüttelte den Kopf und versuchte, zwischen den Hustern nach Luft zu schnappen. Gerade als sie den Hustenreiz einigermaßen unter Kontrolle hatte, hörte sie einen bekannten Dialekt.
»Hey, everything okay here?«
Elly stöhnte innerlich. Es passte wie Arsch auf Eimer, dass genau in diesem Moment der Ami vorbeikommen musste. Sie nickte ihm abwehrend zu und wischte sich hektisch die Tränen vom Gesicht.
»Sie hat sich verschluckt«, erklärte Vicky ihm die Situation. »Weiß jemand, was verschluckt auf Englisch heißt?« Fragend schaute sie ihre Freunde an.
»She choking on something?«, half Jasper aus.
Vicky schaute ihn mit großen Augen an. »She … what?«
Elly nickte stattdessen. Jasper reichte ihr seine Colaflasche. Unsicher, ob sie gleich wie ein Springbrunnen Wasser um sich spucken würde, nahm sie die Flasche dankend an. Mit Hilfe der Flüssigkeit rutschte das Brot den restlichen Weg geschmeidig in ihren Magen. Elly atmete erleichtert auf.
»Danke!«, krächzte sie und streckte Jasper die Cola entgegen. Wohlwissend um ihr tränenverschmiertes, knallrotes Gesicht blieb sie vornübergebeugt und hielt den Blick starr auf den Boden gerichtet.
»You can keep it«, sagte er und die zwei Sneaker verschwanden wieder aus ihrem Blickfeld.
»Gehts wieder?«, fragte Issy besorgt. Elly nickte. Sie starrte erst die Cola an und dann Jasper hinterher. Klarer Fall: Er hatte ihr zwar das Leben gerettet, leiden konnte er sie aber nicht.
In den darauffolgenden Tagen versuchte Elly angestrengt, jeden Kontakt zur Neunten zu vermeiden. Sie hatte sich sogar die Mühe gemacht, den Stundenplan von Jaspers Klasse auswendig zu lernen, um eventuelle Überschneidungen auf der Treppe oder in den Fluren aus dem Weg zu gehen. Die damit verbundenen, zeitraubenden Umwege nahm sie gerne in Kauf. Keine zehn Pferde würden sie noch einmal in die Nähe des Amis bringen. Das vertrug ihr Ego nicht.
Als sie wieder einmal gerade so eben in den Unterricht huschte, bevor der Lehrer die Tür schloss, schüttelte Möpschen missbilligend den Kopf.
»Monkey, du kannst damit aufhören. Dein Gerenne ist völlig unnötig. Ich habe Jasper genau einmal in den letzten Tagen gesehen und das von hinten. Außerdem ist er ein Junge. Er hat eure Zusammenstöße schon längst vergessen.«
»Mag sein«, keuchte Elly und schmiss ihre Bücher auf den Tisch, »ich aber nicht. Außerdem entdecke ich gerade unsere Schule neu«, sagte sie wie Dora the Explorer. »Ich hab schon voll die krassen Abkürzungen gefunden.«
»Psst«, machte Möpschen und deutete mit dem Kopf nach vorne, wo sich der neue Englischlehrer, den sie seit Beginn des Schuljahres hatten, auf die Stunde einstimmte.
Elly stöhnte leise. Wenn sie all ihre Lehrer in diesem Fach seit der Grundschule Revue passieren ließ, hatte sie unterm Strich nur Nieten gezogen. Kein Wunder, dass sie sich mit der Sprache so schwertat. In Herrn Bücher sah sie auch keine wesentliche Verbesserung. Angeödet tat Elly das, was sie annähernd jede Englischstunde tat: Sie nahm eine unauffällige Haltung ein und setzte einen interessierten Gesichtsausdruck auf, holte ein Blatt Papier hervor und duckte sich unter der Flut englischer Wörter. Ab und zu hob sie den Kopf, um eine Anteilnahme am Unterricht zu simulieren. Dann widmete sie sich wieder dem Stück Papier vor ihrer Nase.
Möpschen, der vor Langeweile sogar bereit gewesen wäre, den Unterricht mit einer Sportstunde zu tauschen, stupste sie in die Seite und schaute sie fragend an.
»Was machst du da?«, raunte er ihr leise zu.
»Ich versuche, den Grundriss der Schule zu erstellen.«
»Lass mal sehen.«
Mit einem vorsichtigen Blick nach vorne schob sie das Papier in ihre Tischmitte. Möpschen tauchte sofort mit in die Welt aus parallelen Linien ab. Elly erklärte ihm im Flüsterton einzelne Gänge und Räume, die er noch nie gesehen hatte. Es war erstaunlich, wie wenig man die Schule kannte, die man seit Jahren besuchte. Die Stimme des Lehrers brachte sie wieder in die Gegenwart.
»Elly, can you answer the question?«
Ellys Kopf schnellte in die Höhe. Sie blickte auf das Whiteboard, auf das ihr Lehrer einzelne Satzobjekte in verschiedenen Farben markiert hatte. Es sah aus, als hätte ein Regenbogen darübergekotzt.
Möpschens Gehirn schaltete schneller als ihres. »Simple Past Progressive«, flüsterte er hinter vorgehaltener Hand.
Elly wiederholte brav das Gesagte und atmete erleichtert auf, als der Lehrer sie vom Haken ließ. »Puh. Danke.«
»Und was ist das?« Möpschens Stift tippte auf eine längliche Verbindung zwischen zwei Gebäuden. »Wo steht das denn? Das habe ich noch nie gesehen.«
Elly wollte gerade antworten, als der Blick des Lehrers sie abermals traf. Sie lächelte ihm freundlich zu und tat so, als würde sie den Text vom Whiteboard abschreiben. Stattdessen kritzelte sie an den unteren Rand ihres Heftes: »Unterirdische Verbindung. Fluchttunnel. Von Sporthalle zum Hauptgebäude in unter zwei Minuten!«
»Und du willst Expertin in Sachen Schulgelände sein?« Eddie tippte kopfschüttelnd auf seine Uhr, als Elly mal wieder verspätet und dampfend wie der Hogwarts Express an ihrem üblichen Treffpunkt auf dem Schulhof einlief. Verschwitzt wand sie sich aus ihrer Jacke und warf sie über den Rucksack. »Ich glaube eher, dass du bald einen Orden für die meisten Einträge bekommen wirst, weil du immer zu spät bist.« Eddie schloss die Augen und ließ verschwörerisch seine Hände durch die Luft tanzen. »Ich sage dir voraus, dass bald zwei Riesenprobleme auf dich zukommen werden: Das eine heißt Glassmer, das andere reagiert auf Mama. Echt jetzt, Monkey! Du vergeudest deine Zeit.«
Elly beugte sich vornüber und rang immer noch nach Luft. »Nach der vierten Stunde hat die Neunte den gleichen Weg wie wir. Also liegen die Chancen verdammt hoch, dass ich dem Ami über den Weg laufe.«
»Du spinnst!«
»Nun lass sie doch in Ruhe«, mischte sich Kristen ein. »Wenn sie ihm nicht begegnen will, ist das ihre Sache. Da musst du dich nicht drüber aufregen.«
Eddie passte es nicht, dass seine Freundin Partei für Elly ergriff. Er strich sich seine hellbraune Tolle zurück – eine unnötige Maßnahme, da diese perfekt gegelt über seiner Stirn thronte – und biss anschließend in sein Brot. »Doch, schon«, verteidigte er sich und verteilte ein paar Krümel, denen seine Freunde entsetzt auswichen. »Wenn wir erst einmal das Baseballteam gegründet haben, ist ihr ganzes Theater eh hinfällig.«
»Welches Baseballteam?« Elly, die eigentlich unter dem Radar hatte bleiben wollen, hob nun interessiert den Kopf.
»Siehst du!«, sagte Eddie und zeigte anklagend auf seine Sportverbündete. »Sie bekommt nichts mehr mit, weil sie wie eine Irre durch die Gegend rennt.« Er drückte seiner Freundin das Brot in die Hand, stellte sich breitbeinig vor Elly auf und verschränkte seine Arme. Kristen seufzte. Sie kannte ihren Freund gut genug, um zu wissen, dass dieser Körperhaltung ein Vortrag über Sport folgen würde. »Jasper. Baseballmannschaft. Sport AG. Klingelt da etwas bei dir?«
Angesichts des überheblichen Tons, den ihr Kumpel gerade anschlug, klingelten bei Elly nur die Ohren. Wenn Eddie sich nicht gleich fangen würde, musste sie ihr Brot anderswo essen. Ihre Augen suchten bereits nach einem friedlichen Plätzchen. Issy, die ihre beste Freundin in- und auswendig kannte, warf Eddie einen warnenden Blick zu.
»Jasper hat mit Erlaubnis der Schulleitung eine Umfrage für eine Baseball AG gestartet. Wenn es genügend Interessenten gibt, wird Baseball darin aufgenommen«, fasste Issy in einem ruhigen Ton zusammen.
»Sein Vorschlag findet großen Anklang. Kein Wunder. Jasper hängt sich voll rein. Er läuft von Klasse zu Klasse und stellt den Sport kurz vor«, übernahm jetzt Vicky.
»Wann macht er das denn?«, wollte Elly wissen. Nicht nur aus Neugierde, sondern auch um gewarnt zu sein, wann Jasper bei ihnen auftauchen würde.
»Keine Ahnung. Aber ich freue mich schon darauf.«
»Laut Jasper sollte jede Stufe mindestens zwei Mannschaften aufstellen«, meldete Eddie sich wieder fachmännisch zu Wort. »Das macht auch Sinn. Besser wären natürlich mehrere Teams, damit man in einer Saison auf ein Endspiel hinarbeiten kann.«
Kristen winkte ab. Ihre zurückhaltende Art unterstützte keinen Sport, der steil nach vorne losging. »Das klappt nie. Ich trage mich auf der Liste ganz sicher nicht ein. Mir reicht der Sportunterricht. Was ist mit euch?« Neugierig schaute sie Möpschen und Issy an.
Möpschen schüttelte sofort seinen Kopf. Issy wiederum zögerte. »Irgendwie hätte ich schon Lust, mal etwas Neues auszuprobieren.«
Triumphierend zeigte Eddie auf Elly. »Und sie wird so oder so dabei sein. Sie wird in meinem Team die Geheimwaffe. Klein, wendig, blitzschnell.« Elly wusste nicht, ob sie sich geehrt oder beleidigt fühlen sollte. Eddie handhabte gerade über sie, wie ein Marionettenspieler über seine Puppen. Aber er war nicht zu bremsen. Er redete weiter über sie, als sei sie gar nicht anwesend. »Monkey hat ein super Ballgefühl. Ich kann mich noch erinnern, als sie mir im Tenniscamp die Bälle um die Ohren gehauen hat«. Mit leuchtenden Augen rieb er sich die Hände. »Das wird so super. Mein Team wird gewinnen. Ich hab da so einen Bock drauf!«
Elly war von den Neuigkeiten völlig überrumpelt. Sie stoppte ihren Kumpel, bevor er den restlichen Sauerstoff verbrauchte. »Seit wann ist das denn aktuell?«, fragte sie verwirrt.
»Seit bestimmt zwei Wochen. Vicky hat Jasper erzählt, dass wir einige Sportbegeisterte in der Klasse haben und dass damals der American Sportsday in der Schule super angekommen ist. Daraufhin hat er mit Hilfe von Karl und Lenny die Umfrage gestartet und mit einigen Lehrern gesprochen. Ich wollte dir davon erzählen, aber du blockst ja bei jedem Satz ab, der den Namen Jasper enthält«, erzählte Issy.
»Vermutlich hast du den Satz mit ›Jasper hat‹ angefangen. Da bekomme ich sofort die Krise«, gab Elly zu und er