Schnappatmung - Andreas Degkwitz - E-Book

Schnappatmung E-Book

Andreas Degkwitz

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Beschreibung

Technik schafft uns große Vorteile, hat aber auch Abhängigkeiten zur Folge. Katastrophenstimmung löst der Verlust von Technik deshalb bisweilen aus. Diese Erfahrung macht Herrmann, der sich für Fahrten mit seinem Auto stets auf sein Navigationsgerät verlässt. Da passiert es, dass ihn sein Navi in die Irre führt, wie er glaubt. Einer Welt fühlt er sich ausgesetzt, in der er sich nicht zurechtfindet, sich aber auch nicht mehr wiedererkennt.

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

SCHNAPPATMUNG

EPILOG

PROLOG

Gern lassen wir uns von Technik begleiten, die uns für unterschiedliche Ziele und Zwecke zur Verfügung steht und der wir vertrauen. Ohne Vertrauen können wir nicht mit Technik leben. Würden wir das Vertrauen auf Technik verlieren, lebten wir in einer anderen Welt oder würden in eine Welt geraten, die uns weitgehend fremd ist. Allerdings ist uns auch Technik oft fremd. Häufig wissen wir nichts über ihr Funktionieren und erst recht können wir Technik, ohne sie zu verstehen, weder beeinflussen noch verändern, sondern laufen Gefahr, sie zu beschädigen oder sogar zu zerstören. Mit Technik leben wir in einer Partnerschaft, ließe sich sagen, die uns große Vorteile, aber auch Abhängigkeiten schafft, die im Fall des Verlustes von Technik sehr schmerzhaft sein können. Diese Erfahrung macht Herrmann, der sein Auto braucht und für sein Auto ein Navigationsgerät, das ihn verlässlich von einem zum andern Ort führt. Doch wenn ihn sein Navi in die Irre führt, verliert er die Orientierung, die er wegen der Nutzung des Navis selbst gar nicht mehr hat und ist einer Welt ausgesetzt, in der er sich nicht mehr zurechtfindet, sich aber auch nicht mehr wiedererkennt.

SCHNAPPATMUNG

Herbert und Herrmann waren mit ihren Anfang Sechzig ältere Herren, die noch beruflich tätig waren, doch ihren Ruhestand bald erwarteten; sie lebten in einer Großstadt – weit auseinander: Herbert wohnte ganz im Osten, Herrmann ganz im Westen. Herrmann hatte eine Hausarztpraxis, die er nach Abschluss seiner Assistenzzeit zunächst gemeinsam mit seinem Vorgänger betrieben und nach dessen Pensionierung allein übernommen hatte. Die Praxis befand sich in dem Vorort, in dem er mit seiner Frau Helga ein schönes Einfamilienhaus bewohnte, ohne dass sie Eltern von Kindern waren. Herrmann war groß, hatte ein sympathisches rundes Gesicht und eine Stimme, die beruhigen konnte und Vertrauen weckte. Schon deshalb schätzten ihn seine Patienten, die sich stets gut von ihm behandelt fühlten und meist schnell gesundeten. Denn gesundheitliche Nöte erkannte Herrmann rasch und, wenn er sich zu einer Therapie in der Lage sah, stand ihm stets das richtige Rezept für eine Gesundung zur Verfügung. Kein Wunder, dass Herrmann in seinem Vorort sehr beliebt war und rundherum geradezu heilsam wirkte. Helga, seine Frau, war etwa so alt wie er und von Beruf Notarin, die ihre Praxis in der Innenstadt hatte. Da sie diese Profession schon lange ausübte, hatte sie gute Beziehungen in die Stadt und war als Expertin für notarielle Fragen sehr anerkannt. So gab es kaum Grundstücke oder Immobilien in der Stadt, deren Kauf oder Übernahme Helga im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit noch nicht beglaubigt hatte. Doch nicht nur als Notarin, sondern auch als Person machte sie großen Eindruck. Hübsch war sie nicht, aber attraktiv, was vielen sogar lieber war, und hielt mit ihrer Meinung, wozu auch immer sie eine hatte, nur selten zurück - beliebt machte sie sich damit allerdings nicht. Herrmann, der viel vorsichtiger war als sie, wusste, was er an Helga hatte, und war ihr nach später Heirat stets treu geblieben. Kinder hatten Helga und Hermann keine. Das war ein Schmerz, hätten sie doch gern Kinder um sich herumgehabt. Doch es kam anders. Sie waren immer sehr ausgeprägt mit ihren Berufen befasst – nichts Anderes gab es für sie. Jetzt gingen die beiden aufgrund ihres Alters auf ruhigere Zeiten zu.

Herbert hatte einen Handwerksbetrieb für Heizungs- und Klimatechnik, mit dem er äußerst erfolgreich war. Nicht nur als Experte auf seinem Gebiet war er in der Stadt bekannt, sondern auch als gewiefter Geschäftsmann mit drei Filialen in der Stadt – das konnte sich sehen lassen. Kleinwüchsig war Herbert und kräftig, hatte als Schüler auf einem Bolzplatz hart, aber meistens fair – als Verteidiger, der auch Tore schoss – leidenschaftlich Fußball gespielt. Immer wach und schlau, erkannte er seine Chancen nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch später als Meister seines Fachs in seinem Betrieb. Vier echte Kerle gebar ihm seine Frau Jadwiga und zum Abschluss Zwillingsschwestern, die mit fünfzehn Jahren unvergleichlich schön und zugleich zum Verwechseln ähnlich waren. Dabei zählten Jadwiga und Herbert nicht zu den Eltern, bei denen niemand etwas Anderes annahm, als dass ihre Töchter schön waren. Mit den Jungen war es anders; das waren stramme Kerle, aber von ihrem Äußeren her keine Beaus. Jadwiga – fünf Jahre jünger als Herbert, nicht groß, gedrungen und etwas vierschrötig – war nicht berufstätig, aber mit sechs Kindern voll beschäftigt; sie hatte einen Mann, der seine Familie über alles liebte, aber im Haushalt nichts in die Hand nahm. Ohne Jadwiga ging dort nichts, die auch eine hervorragende Köchin war. Herbert wusste das sehr zu schätzen, sagte ihr das aber nicht, noch dankte er ihr dafür. Seine Auftragslage verbesserte sich Jahr für Jahr – er wurde wohlhabend. Mit seinem Einkommen übertraf er Herrmann, Helga allerdings nicht. Herrmann mochte Jadwiga, die ein Herz für vieles hatte; Helga kannte das nicht. Jadwiga flirtete manchmal mit ihm, aber auch umgekehrt hielt Herrmann sich nicht zurück. Die beiden hatten dabei ihren Spaß; um etwas Ernstes ging es nicht. Herrmann und Herbert hatten sich über Jadwiga kennengelernt.

„Lass mich am Leben“, hatte sie ihn angeschrien, als Herrmann sie vor dreißig Jahren auf einem Zebrastreifen über den Boulevard in der Innenstadt angerempelt hatte, „ich bin hier mit zwei kleinen Jungs an der Hand unterwegs und zwei im Kinderwagen, die nochmals jünger sind. Da rennst du blinder Sesselfurzer mich um. Geht’s noch, Alter? Jetzt bist du mir etwas schuldig.“

Herrmann war mitten auf der Straße stehen geblieben und hatte Jadwiga erschrocken angesehen.

„Träumst du, Alter?“, hatte sie ihm zugerufen, „was stehst du hier rum?“

„Jadwiga!“, sprach eine Männerstimme unüberhörbar, während auf beiden Seiten des Zebrastreifens ein Hubkonzert tönte, „was machst du da?“

Dann kam ein jüngerer Mann auf sie zu gerannt, hatte sie mit der einen Hand am Arm gepackt und mit der anderen Hand den Kinderwagen vom Zebrastreifen gezogen: Das war Herbert. Herrmann eilte mit den kleinen Jungen links und rechts an der Hand auf den Bürgersteig.

„Vielen Dank!“, hatte Herbert gesagt, als er Herrmann die Jungen abnahm, „ist alles O.K. mit Ihnen?“

Verlegen hatte Herrmann gesagt, „Entschuldigen Sie – das war mein Fehler. Darf ich Ihnen und Ihrer Frau ein Eis spendieren?“

„Ja“, sagte Herbert, „gern, und du, Jadwiga?“

Sie nickte und lächelte Herrmann an. Eine Eisdiele befand sich in unmittelbarer Nähe des Zebrastreifens. Dorthin waren sie gegangen. Herrmann besorgte für Jadwiga, Herbert, die beiden Jungen wie auch für sich leckere Eisportionen in Waffeln. Auf eine Bank hatten sie sich gesetzt, in der Sonne das Eis geschleckt und mit ein paar witzigen Bemerkungen über die Situation, die auf dem Zebrastreifen entstanden war, sehr angenehm und freundlich zusammengefunden.