Schneemanntod - Susanne Oswald - E-Book

Schneemanntod E-Book

Susanne Oswald

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Beschreibung

Eine Reihe mysteriöser Unfälle erschüttert das Weihnachtswunderland. Franziska Fellinger, die als Mütterchen Frost das Einkaufs- und Vergnügungscenter leitet, glaubt an harmlose Zufälle – bis der Täter wieder zuschlägt. Zum Glück sind Sicherheitschef Poldi und sein Kumpel Schorsch ein eingespieltes Team. Gemeinsam mit Hausdetektiv Jürgen und Eleonora, die als Frau Claus den Punschstand betreibt, machen sie sich auf die Suche nach dem Übeltäter. Können sie das Wunderland retten?

Ein witziger Wohlfühlkrimi mit kreativen Rezepten und Strickanleitungen am Ende inklusive.

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Seitenzahl: 282

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Aus dem Buch:

»Hatte der Täter es nur auf das Christkind abgesehen? War es ein dummer Streich gewesen, oder war das erst der Anfang einer Anschlagsserie? Hatte der Weihnachtsscherzkeks seine Grenzen verschoben? Konnte es sein, dass der Kerl – wieso auch immer, aber Poldi ging stark davon aus, dass es ein Kerl war – einen immer größeren Kick suchte? Bei dem Gedanken lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken.«

Ein wunderbar winterlicher Cosy Crime der SPIEGEL-Bestseller-Autorin Susanne Oswald – DIE perfekte Lektüre für kalte Tage.

Ein witziger Wohlfühlkrimi mit kreativen Rezepten und Strickanleitungen.

Zur Autorin:

Susanne Oswald ist Bestsellerautorin – ihr Traum wurde wahr. Die gebürtige Freiburgerin liebt das Meer. Gemeinsam mit ihrem Mann am Strand spazieren zu gehen und den Abend vor dem Kamin mit Strickzeug auf dem Schoß ausklingen zu lassen, ist für sie das Schönste. Mit dem Kopf ist sie fast immer bei ihren Heldinnen und Helden, und es macht sie glücklich, ihre Fantasie Wirklichkeit und Buchstaben zu Geschichten werden zu lassen.

Susanne Oswald

Schneemanntod

KRIMINALROMAN

HarperCollins

Originalausgabe

© 2025 HarperCollins in der

Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH

Valentinskamp 24 · 20354 Hamburg

[email protected]

Covergestaltung und -illustration von Hafen Werbeagentur

E-Book Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN9783749909322

www.harpercollins.de

Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte der Urheberin und des Verlags bleiben davon unberührt.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Lediglich die im Dank und Nachwort genannten Personen gibt es wirklich.

Susanne Oswald

Für Tobias

Kapitel 1 Es war einmal – ein Christkind

»Jingle Bells, Jingle Bells …«, schallte es aus den hinter Sternen und Engeln versteckten Lautsprechern, während sich die Besucher mit leuchtenden Augen durch die Gänge des Weihnachtswunderlandes schoben. Die bunte, glitzernde Weihnachtswunderlandwelt verzauberte die Gäste. Es duftete herrlich nach gebrannten Mandeln, Lebkuchen und Tannengrün, die Luft war erfüllt von Glöckchengeklingel und Hohohos. Lichterketten funkelten. Alle Sinne wurden weihnachtlich gestimmt.

Hier vergaß man Alltag und To-do-Listen. Kinder jauchzten, und selbst Erwachsene spürten wieder ihre kindliche Seele.

»Juhuuuu!«, schallte es vom Wichtelkarussell.

»Papa! Mama! Guckt doch, eine Weihnachtsmaus! Krieg ich eine? Biiitttteeee!«, tönte es von der Wurfbude, wo man Weihnachtskuscheltiere gewinnen konnte, wenn man es schaffte, alle Santa-Dosen mit einem Treffer abzuwerfen.

»Oh, schau mal, Tina, ist das nicht allerliebst?« Eine Mutter zeigte ihrer Tochter die mannshohe Schneekugel, in der Weihnachtszwerge im Sternenregen tanzten.

Gut gelaunt erkundeten die Wunderlandgäste die Stände und Angebote und genossen es, sich vom Weihnachtszauber einhüllen zu lassen. Die Menschen hatten die Hände tief in die Taschen gesteckt und sich Schutz suchend in ihre Mäntel und Schals gehüllt. Die Gesichter hatten von der Kälte gerötete Nasen.

Advent.

Das bedeutete erhöhte Aufmerksamkeit für Sicherheitschef Poldi, aber das störte ihn nicht. Er genoss, die Verantwortung für das gesamte Areal des Wunderlandes innezuhaben, das sich sowohl im Innenteil mit zahlreichen Angeboten als auch draußen mit seinem Weihnachtsmarkt voll kleiner Buden und weihnachtlicher Attraktionen darbot. Dieses Wuseln und die kribbelnde Vorfreude, die in der Luft lag, wirkten wie ein perfekt gekochter Punsch – anregend und beglückend. Zufrieden lächelnd kämpfte Poldi sich durch die Besucherströme Richtung Treppe. Er wollte draußen auf dem Hof nach dem Rechten sehen, während sein Assistent, Hausdetektiv Jürgen, im Gebäude umherstreifte und die Lage im Blick behielt.

Trotz der vielen Menschen gab es – abgesehen von dem Weihnachtsscherzkeks, der Poldi seit ein paar Wochen ärgerte – erfreulich wenig Zwischenfälle. Entweder lag es an den vermehrten Kontrollgängen oder daran, dass die Vorweihnachtszeit ihren Glitzer versprühte. Dieser positive Geist der Weihnacht war in der Adventszeit immer besonders zu spüren, fand Poldi. Alle waren gut gelaunt.

Fast alle.

Zwischen dem zweiten und ersten Stockwerk entdeckte er Timothy, kurz Tim, der mit hängenden Mundwinkeln die Stufen hinunterschlurfte. Der Teenagersohn der Chefin trug einen Elfenhut, war also wie Poldi in seinem Eisbärfell auf dem Weg in den Hof. Elfen wurden im Außenbereich eingesetzt, während im Gebäude auf allen drei Stockwerken Wichtel diensteifrig herumwuselten, um Besucherfragen zu beantworten und vor allem, um bei der Orientierung zu helfen. Die ging den Leuten in den Weiten des Wunderlandgeländes öfter verloren.

»Hey, Tim, lächeln!« Poldi klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken.

Als Sicherheitschef sah er es als seine Aufgabe, auch für die gute Laune im Weihnachtswunderland Sorge zu tragen, auf die seine Chefin, Franziska Fellinger, besonders großen Wert legte.

Und es wirkte.

Ertappt verzog Tim seine Lippen. Er wusste wie alle anderen Mitarbeiter, dass eine freundliche Miene Pflicht war. Allerdings sah Tims Lächeln eher aus, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen. Aber egal. Poldi wusste, dass die Chefin immer wieder ein Auge zudrückte, wenn ihr Sohn sich das eine oder andere Stückchen Freiheit herausnahm, Tim musste also nicht bei jedem kleinen Fehltritt Konsequenzen befürchten. Zumindest, solange er damit nicht dem Geschäft schadete.

Diese Grenzen lotete Tim hin und wieder aus, was dann und wann zu gänzlich unweihnachtlichen Familiengewittern führen konnte. Aber heute blieb alles im Rahmen. Ein bisschen teeniehafter Missmut und ein Lächeln, das eher eine Grimasse darstellte, fielen im allgemeinen Weihnachtsglanz nicht ins Gewicht.

Als Poldi durch die Glastür ins Freie trat, wehten ihm mit der kalten Luft Aromen von karamellisiertem Zucker und gebratenen Würsten ebenso entgegen wie das Klingeln der Glöckchen der Fahrgeschäfte und das fröhliche Lachen der Menschen. Hier gab es für jeden etwas, was das Herz hüpfen ließ.

Der ganzjährige Weihnachtsmarkt hatte sich längst zum Weihnachtswunderland-Erlebnispark gemausert.

Zwischen den Gebäuden und auf dem angrenzenden Gelände fanden sich Verkaufsbuden für gebrannte Mandeln, Zuckerstangen, Maronen, Würstchen, Lebkuchenherzen, Punsch, Spielbuden, weihnachtliche Fahrgeschäfte, eine Eisbahn, die im Sommer zu einer Rollschuhbahn umfunktioniert wurde, und ein riesiger Weihnachtsbaum, der einmal im Jahr neu geschmückt wurde – immer mit den aktuellen Farben der Saison.

Dieses Jahr funkelte und glitzerte er in Blau.

Ab November stand Lukas unter dem riesigen Baum. Er war der einzige Weihnachtswunderland-Mitarbeiter, der nicht nur schlechte Laune haben durfte, sondern bis zu einem gewissen Maß sogar sollte, denn er trat als Knecht Ruprecht verkleidet auf, da gehörte ein wenig Grummeln dazu.

Lukas verkaufte, strategisch geschickt auf dem Platz direkt neben dem Ausgang des Wunderlandes, in den Wochen bis Heiligabend die echten Weihnachtsbäume. Unechte Bäume gab es selbstverständlich ebenso wie alles andere, was zu Weihnachten gehörte, ganzjährig auf den Verkaufsflächen im Inneren des riesigen Gebäudekomplexes.

Nicht umsonst hieß der Erlebnispark »Weihnachtswunderland – Christmas all over«. Was man hier zum Thema nicht fand, gab es nicht.

Franziska hatte nicht nur eine eigene Entwicklungsabteilung, die alljährlich pünktlich sechs Wochen vor dem ersten Advent mit neuen Weihnachtstrends auftrumpfte, sie reiste höchstpersönlich mehrere Wochen im Jahr um die Welt, um neue Weihnachtsprodukte aufzuspüren. Und so waren die Verkaufsflächen des Weihnachtswunderlandes immer gut gefüllt.

Die Bereiche waren auf den drei Etagen thematisch geordnet. Innen, Außen, Baumschmuck, Fensterschmuck, Wandschmuck, Kochutensilien, Spielzeug, Mode, Bücher, Weihnachtskarten, Bastelmaterial, Wolle, Geschenkpapier, Engel, Wichtel, Elfen, festlich edel oder familienfröhlich kunterbunt, für Kinderzimmer, Küche, Wohnzimmer … Es gab Besucher, die in einem nahe gelegenen Hotel übernachteten, weil die Weihnachtsshopping-Erlebnistour an einem Tag kaum zu bewältigen war.

Die Luft sirrte und surrte von Jingle Bells und geschmetterten Hohohos. Poldi beschloss, eine Weile als Eisbär Kinder zu knuddeln, die Fellnase für Fotos hinzuhalten und dabei unauffällig die Lage zu checken. Doch schon nach einer halben Stunde trieb ihn die Punschlust zu Eleonoras Stand.

Die warmherzige Frau stand als Frau Claus verkleidet hinter ihrem Tresen und verkaufte mit so viel Liebe Lebkuchenherzen, Elfenfüße und köstlichen Punsch, dass die Leute wie magisch angezogen zu ihr strömten. Ihren Stand hatte sie mit allerlei gestrickter Weihnachtsdekoration geschmückt.

Man konnte fast auf die Idee kommen, dass nicht Eleonora als Frau Claus verkleidet im Topf rührte, sondern sich vielmehr Frau Claus als Eleonora getarnt zwischen die Menschen geschmuggelt hatte. Wenn sie zwischen Elfenkeksbacken und Glühweinkochen Zeit hatte, sah man Eleonora mit ihrem Strickzeug in der Hand, was die heimelige Atmosphäre am Stand noch verstärkte. Wie auch immer, hier bei ihr lag eindeutig Weihnachtszauber in der Luft. Für Poldi war dieser Ort mit dem Punschduft und Lebkuchenaroma das Herz des Wunderlandes.

Auf dem Weg machte er noch kurz Zwischenstation bei Ernst, dem Maronenverkäufer. Mit seiner Beute in der Hand wanderte er weiter.

»Hallo, Eleonora.« Er hielt ihr die Maronentüte hin, damit sie sich bediente. »Ganz schön kalt geworden, was? Hast du ein Christkindelglück für mich?«

Das war eine seiner Lieblingssorten unter den vielen Punschvariationen, mit Kirschsaft und Kokosmilch. Er klopfte seine Eisbärhände aneinander.

Frau Claus legte das Strickzeug zur Seite, grüßte Poldi ebenfalls und bedankte sich für die Kastanie. Gleich darauf hielt sie ihm einen Punschbecher hin. Auffordernd lächelte sie ihn an. »Probiere den mal. Der macht einen herrlich warmen Bauch. Ein ganz besonderes Rezept!«

Aha, sie hatte also wieder experimentiert.

Normalerweise liebte Poldi Eleonoras Kreationen, aber der gestrige Feuerspuckerpunsch hatte seine Begeisterung für neue Mischungen etwas gedämpft. Misstrauisch beäugte er erst Eleonora, die ihn wie die Unschuld in Person mit roten Wangen anstrahlte, und dann das Gebräu in ihrer Hand.

Hinter ihm erklang das Hohoho von Santa Claus, der immer zur vollen Stunde Weihnachtsfruchtgummis an die Kinder verteilte. Es gab Wichtel, Elfen, Rentiere, Nikoläuse, Stiefel, Sterne und Schneemänner.

Die Rolle des Santa hatte die Wunderlandchefin perfekt besetzt, denn Oliver, der in dem Kostüm steckte, war mit seinen knapp zwei Metern und seinem mächtigen Bauch, der von seiner Liebe zu Schweinebraten und Marzipan zeugte, eine beeindruckende Erscheinung.

Im Nu umringten die Kinder den Glocke schwingenden und Hohoho rufenden Mann. Manche drängten sich ganz nah an ihn heran, andere hielten respektvoll Abstand.

Wenn Santa Claus auftauchte, offenbarte sich der kindliche Charakter. Die Forschen zeigten keinerlei Scheu und versuchten, so viel abzustauben wie möglich, andere versteckten sich hinter den Eltern, und es brauchte Überredungskunst, bis sie es wagten, dem imposanten Santa Claus die Hand hinzuhalten, damit er eine Süßigkeit hineinlegen konnte. Am Ende aber strahlten alle und hatten das besondere Weihnachtsfunkeln in den Augen, das zum Weihnachtswunderland gehörte.

Poldi beobachtete das bunte Treiben, als ihm plötzlich etwas auffiel.

»Verflixt!«, entfuhr es ihm. Mit ein paar großen Schritten war er bei Oliver und zupfte einen Aufkleber von dessen Rücken. »Weihnachten – nein danke!« stand darauf. Der Weihnachtsscherzkeks hatte wieder zugeschlagen. Doch so sehr Poldi auch die Menge absuchte, er konnte keinen Verdächtigen ausmachen. Der Kerl hatte sich wieder einmal in Luft aufgelöst.

Poldi schüttelte frustriert den Kopf, ließ das bunte Treiben hinter sich und ging zu Eleonora an den Stand zurück.

»Schon wieder unser Freund?« Eleonora machte eine kurze Bewegung mit ihrem Kinn Richtung Poldis Hand mit dem Aufkleber. Doch er winkte nur ab, zerknüllte den Sticker, den er dem Weihnachtsmann vom Rücken gezupft hatte, und pfefferte ihn in den Mülleimer. Er wollte nicht drüber reden, sonst würden ihm vor lauter schlechter Laune die Maronen im Hals stecken bleiben.

Jetzt konzentrierte er sich wieder auf den Punsch, den Eleonora inzwischen vor ihm abgestellt hatte. Die Wölkchen, die sein Atem bildete, vermischten sich mit dem aufsteigenden Punschdampf.

»Hoffentlich ist er nicht wieder so höllisch scharf wie der gestern«, brummte Poldi und nahm den Becher in die Hand. Für einen guten Punsch war er zwar immer zu haben, aber nur, wenn der ihm nicht die Schleimhaut wegbrannte.

»Ach komm, stell dich nicht an, Poldi. Das passiert nicht wieder. Du weißt doch, dass ich nichts dafür konnte. Ich schwöre dir, das war auch unser Freund. Es muss dieser Depp gewesen sein, eine andere Erklärung habe ich nicht. Komm, trink! Ich habe extra vorgekostet.«

Während sie sich unterhielten, nahm Eleonora wieder ihre Stricknadeln in die Hand. Sie arbeitete an einem Tuch und das wieder in einem Tempo, dass Poldi schwindlig wurde beim Zusehen. Mit dem bloßen Auge konnte er kaum ausmachen, wie die Masche von einer Nadel auf die andere flog. Aber das interessierte ihn gerade gar nicht, vielmehr wollte er die Gewissheit, dass der Punsch ihm nicht die Eingeweide wegätzen würde.

Er traute der Sache noch nicht, deshalb fixierte er Eleonora mit zusammengezogenen Augenbrauen.

»Himmel, Poldi, schau mich nicht so vorwurfsvoll an. Es ist mir schon peinlich genug. Ich weiß wirklich nicht, wie er extra Chilipulver in den Punsch tun konnte, ohne dass ich es gemerkt habe. Aber noch mal schafft er das sicher nicht! Und ich schwöre dir, den erwisch ich, und dann zieh ich ihm die Ohren lang, dass er als Weihnachtshase gehen kann, darauf kannst du dich verlassen.«

Ja, sie hatte natürlich recht. Es musste dieser verflixte Weihnachtsscherzkeks gewesen sein. Langsam hatte Poldi echt die Nase voll. Er konnte schon nicht mehr zählen, wie viele »Weihnachten – nein danke!«-Aufkleber er mittlerweile entdeckt hatte.

Meist rief er jemanden vom Reinigungsdienst, manchmal kratzte er die Dinger direkt selbst ab – oder pflückte sie, wie gerade eben, den Leuten vom Rücken. Die Sticker waren wirklich schon lästig genug, aber dass er auch den Punsch verdorben hatte, nahm Poldi persönlich. Das ging zu weit. Und es tat ihm von Herzen leid, dass er anfangs Eleonora verdächtigt hatte.

Sie würde nie wissentlich jemandem Schaden zufügen. Eigentlich wusste er das. Aber ihr Feuerspuckerpunsch hätte ihm beinahe Zunge und Speiseröhre weggeätzt. Nicht einmal das sofort hinterhergeschobene Lebkuchenherz hatte den Schmerz lindern können. Über Stunden hatte Poldi nichts mehr geschmeckt, und – was weit schlimmer war – er hatte nicht mehr klar denken können. Die Schärfe hatte seine Hirnzellen angefressen, zumindest hatte es sich so angefühlt. Und das ihm – dem Sicherheitschef! Aber gut, Schwamm drüber. Er war ja schließlich kein Feigling, und Eleonoras Punschrezepte erwiesen sich normalerweise durchaus als Geschenk für den Gaumen. Also gab er sich einen Ruck.

»Na, dann trau ich mich. Welche Zutaten hast du denn heute kombiniert?«

Doch Frau Claus hob nur die Brauen und legte den Kopf schief. »Ich nenne ihn Seelenwärmerpunsch. Sag du mir, was drin ist.«

Dieses Spiel spielten sie, seit Poldi vor Jahren im Weihnachtswunderland angefangen und seine Leidenschaft für Punsch entdeckt hatte. Eleonora mischte die tollsten Kreationen, und Poldi versuchte herauszuschmecken, was alles drin war. Seine Trefferquote lag bei fünfundachtzig Prozent, sie machte es ihm aber auch verflixt schwer.

Neugierig schob er sich die Eisbärmütze in den Nacken und schnupperte vorsichtig an dem heißen Gebräu. Roter Traubensaft und Apfelsaft, vermutete er. Hm, zumindest schien der Dampf chilifrei zu sein. Ingwer? Ja, doch, das könnte sein. Poldi nippte erst einmal ganz wenig an der heutigen Überraschungsmischung.

Hm! Woah! Das war … schnell nahm Poldi noch einen Schluck … himmlisch! Ein wohliges Seufzen drang über seine Lippen. »Eleonora! Das ist …«

Sie beobachtete ihn zufrieden lächelnd, während ihre Hände ungebremst weiterarbeiteten. Eleonora konnte stricken, ohne hinzusehen.

Er suchte nach dem passenden Ausdruck, aber wie bitte sollte man das Punschhimmelreich in Worte fassen? Verzaubert beugte er sich über den Becher, fing den Dampf auf und versuchte, die glücksbringenden Ingredienzen zu identifizieren.

Seelenwärmer. Das war der absolut passende Name, denn genau so fühlte sich Poldi – als würde der Punsch seine Seele umarmen.

Eleonora sollte nicht als Frau Claus hinter dem Stand stehen, sondern als weiße Weihnachtshexe, eine, die Träume in Punsch verwandeln konnte.

Verflixt, was war das nur? Zimt? Piment? Nein, eher Vanille – aber nur fast. Es duftete vertraut, aber dann doch wieder nicht.

Während Poldi alle Sinne bemühte, um hinter Eleonoras Rezept zu kommen, mischte sich ein gänzlich unweihnachtliches Zischen und Knistern unter den allgemeinen Trubel. In seiner Konzentration merkte Poldi gar nicht, dass das nicht zur normalen Geräuschkulisse gehörte.

Im nächsten Moment donnerte ein Knall über den Platz, und Poldi taumelte vor Schreck gegen Eleonoras Verkaufsstand. Sein Punsch schwappte ihm über die Hände und landete mit Schwung auf seinen Fellärmeln. Jetzt sah er aus wie ein blutender Eisbär. Bei dem Anblick wurde ihm flau in der Magengegend.

Das ist kein Blut, du Depp!, rief er sich selbst zur Ordnung.

Das Magenflattern verschwand.

Menschen schrien. Eltern zerrten ihre Kinder in Sicherheit. Auf dem bis eben von Lachen, fröhlichem Hohoho und Weihnachtsmusik erfüllten Weihnachtswunderlandplatz herrschte Chaos.

»Verdammte Hacke!«, fluchte Poldi.

Er warf den Becher auf den Tresen, schüttelte kurz die vom heißen Punsch schmerzenden Hände und rannte auch schon los. Im Laufen zückte er sein Handy und rief Jürgen zu Hilfe.

Panik hatte funkenschnell die köstliche Vorweihnachtsstimmung zerstört. Wo eben noch Glücksrufe über den Platz geweht waren, gellten nun verzweifelte Schreie durch die eisige Luft. Alle versuchten, Schutz zu finden.

Eine Mutter warf sich über ihren Kinderwagen. Mehrere Leute retteten sich hinter Spielbuden, eine Frau kauerte hinter dem Weihnachtsmann und hielt ein blondes Mädchen zitternd umklammert. Selbst unter der Rentierschaukel suchten Menschen Deckung. Im Nu hatte sich der Bereich rund um das riesige Christkind geleert.

Die Angstschreie verstummten, und die Weihnachtswunderlandbesucher verharrten in ihrer Angst. Schweigen legte sich über die Szene. Nur Frank Sinatra trällerte unbeeindruckt weiter »Let it snow, let it snow, let it snow«.

Die Welt hielt den Atem an und wartete auf etwas – ohne zu wissen, worauf eigentlich.

Als Poldi den Ort des Geschehens erreicht hatte, streckten die ersten Mutigen ihre Nasen aus den Verstecken. Nach und nach krochen die Menschen aus ihren Schlupflöchern hervor und versuchten festzustellen, ob die Gefahr vorbei war und was überhaupt passiert war. Aufgeregtes Flüstern überall.

Poldi scannte mit geübtem Blick die Umgebung. Da lag es, zusammengeschrumpft und stinkend. Das Christkind war zu einem undefinierbaren Haufen Plastik mutiert.

Ohne lange zu überlegen, begann Poldi sofort mit der Befragung. Er wollte von den Menschen erfahren, wer etwas gesehen hatte. Doch die Antwort war immer nur ratloses Kopfschütteln und Schulterzucken.

Hatte der Weihnachtsscherzkeks den Bogen überspannt? Lag irgendwo ein Heckenschütze auf der Lauer? Gab es Verletzte?

Doch alles wirkte unauffällig.

Nur der Gestank von verschmortem Plastik, der sich aus der Wolke über dem Christkindklumpen löste und sich, verdünnt, aber immer noch beißend, langsam ausbreitete, machte Poldi Sorgen.

»Herrschaften, bitte gehen Sie weiter. Räumen Sie den Platz und genießen Sie Ihren Aufenthalt im hinteren Außenbereich oder in den Gebäuden. Haben Sie schon unsere Eisbahn gesehen?« Er zeigte in die Richtung, in die er die Menschen lenken wollte. »Ein Problem mit der Technik. Wir bitten um Entschuldigung und kümmern uns um schnelle Behebung. In wenigen Minuten werden wir aufgeräumt haben, dann geht der Betrieb hier wieder weiter.«

Technisches Problem … Poldi hoffte inständig, dass er recht hatte mit der Aussage. Im Augenwinkel sah er Jürgen, der im Laufschritt aus dem Haus und zu ihm herüberstürmte.

»Wir brauchen Absperrband«, erklärte Poldi. »Ich brauch hier Platz.«

Während Jürgen losrannte, um das Geforderte zu besorgen, schob Poldi mit ausgebreiteten Armen die Menschenmenge Meter für Meter rückwärts.

Zögernd löste sich die Ansammlung auf. Nur ein paar besonders sensationslüsterne Besucher versuchten sich an das Christkind heranzuschleichen, um ein Selfie mit dem Plastikhaufen zu schießen. Doch damit hatte Poldi gerechnet und stoppte das Treiben umgehend.

Endlich kam Jürgen wieder. Gemeinsam sperrten sie den Bereich weiträumig ab und begannen mit der Spurensuche. Poldi zumindest. Jürgen stand eine ganze Weile vor dem Plastikklumpen, der mal ein Christkind gewesen war, und schien mit den Gedanken weit weg zu sein.

»Was ist? Spricht das Ding mit dir, oder hilfst du mir vielleicht, der Sache auf den Grund zu gehen?«, holte Poldi ihn in die Gegenwart zurück.

Jürgen zuckte zusammen, einen Moment wirkte er verwirrt, aber er berappelte sich sofort wieder und begann mit einer gemurmelten Entschuldigung nun ebenfalls damit, sich nach Spuren umzuschauen.

Nur was genau suchten sie eigentlich? Auf diese Frage hatte Poldi keine Antwort.

»Alles, was dir auffällt. Wir sammeln erst und werten dann aus.«

Technischer Defekt oder vielleicht doch ein Attentat? Das galt es zu klären. Poldi alarmierte den Haustechniker, um die Leitungen und den Sicherungskasten zu checken.

Kapitel 2 Krass cool

Timothy stellte sich neben Lukas, den Weihnachtsbaumverkäufer, der sich die Show ebenfalls nicht entgehen lassen wollte. Die Hände tief in die Taschen seiner Elfenjacke geschoben, stand Tim da, um seine Mundwinkel herum zuckte es verstohlen.

»Krass cool, ein getoastetes Christkind«, raunte er Lukas zu.

»Endlich ist mal was los in dem rosa Plastikweihnachtsschuppen.«

Während er seine Schadenfreude mit Lukas teilte, passte er höllisch auf, dass niemand sonst ihn hörte. Wenn seine Mutter spitzkriegte, wie er sich über den Zwischenfall freute, würde die Weihnachtshölle über ihn hereinbrechen. Vermutlich müsste er zur Strafe wochenlang nach der Schule im Kinderparadies mit den Gören Weihnachtssterne basteln und dabei Rolf Zuckowskis Weihnachtsbäckerei hoch und runter hören.

Die Kids konnten davon nicht genug bekommen, für Tim war es schlicht und einfach Horror im Quadrat!

Das letzte Mal hatte seine Mutter ihn für ein komplettes Wochenende dorthin verbannt. Dabei hatte er nur einem kleinen Jungen erzählt, dass die Rentiere dieses Jahr freihätten. Der Weihnachtsmann brauchte sie nicht, so Tims Behauptung, er hätte zu viel Bohnen gegessen und deshalb auf Furzantrieb umgestellt.

Um die Geschichte noch ein bisschen auszuschmücken, spielte Tim dem Jungen vor, wie der Schlitten bei jedem dicken Pups wieder einen Satz vorwärts nehmen würde. Der Kleine hielt sich den Bauch vor Lachen.

Natürlich waren derartige Weihnachtsscherze im Weihnachtswunderland tabu. Aber hey, ein bisschen Spaß konnte ja wohl kein Schwerverbrechen sein!

Doch als dann der stündliche Auftritt von Santa Claus anstand, schrie der Junge, dem Tim die Furzstory erzählt hatte, die ganze Zeit lautstark: »Der Weihnachtsmann furzt! Santa Claus stinkt!«

Erst als die beschämten Eltern ihren Sohn weggeschafft hatten, kehrte wieder weihnachtlich friedlich-fröhliche Stimmung ein. Dass die Alten sich gleich bei seiner Mutter hatten beschweren müssen, nachdem sie rausgefunden hatten, was beziehungsweise wer in ihren Sohn gefahren war, wurmte Tim bis heute. Bei Weihnachten hörte der Humor auf, echt krass.

Tim trollte sich, er hatte Dienst beim Rentierschlitten.

»Hey, Tim, bevor Poldi kein grünes Licht gibt, kann ich den Schlitten nicht wieder in Betrieb nehmen, das ist eine prima Gelegenheit. Komm, wir nutzen die Zeit und machen die Sitze mal richtig sauber.«

Der Tannenbaum legte die Hände an seine Baumspitze und hob sie hoch. Darunter kam Dominique zum Vorschein, sie klemmte sich den Wipfel unter den Arm und schüttelte ihre roten Locken.

Putzen! Das war ja wieder typisch. Immer bekam er die Arschkarte. Aber so leicht gab er sich nicht geschlagen.

»Du, Dominique, dem Lukas geht’s nicht so gut. Der hat voll Rücken. Ischias und so, weißte. Wie wäre es, wenn ich dem ein bisschen helfen würde?«

»Kann es sein, dass du dich vor dem Putzen drücken willst?« Der gelockte Tannenbaum musterte ihn durchdringend und wedelte mit einem der Zapfen, die auf den Händen befestigt waren, vor Tims Nase. »Du bist so ein Macho, Tim, echt. Glaub mir, auch Männerhände vertragen Putzmittel. Ich schwör!«

Als Dominique ihn angrinste, schienen ihre Sommersprossen auf der Nase zu hüpfen. Sie war der süßeste rothaarige Tannenbaum, den Tim kannte. Aber beim Saubermachen hörte der Spaß auf. Außerdem war sie schon zwanzig und damit viel zu alt für ihn.

»Hey, sieh mich an. Sehe ich aus, als wäre ich mir zu schade?«

Tim bemühte sich, eine möglichst unschuldige Miene zu zeigen. »Aber du kennst ja unseren Slogan: Jeder für jeden. Wir sind der Geist der Weihnacht. Wir sind das Weihnachtswunderland.«

Normalerweise leierte Tim diesen Spruch mit gelangweilter Stimme runter, doch dieses Mal legte er sich ins Zeug und achtete darauf, dass die Worte den von seiner Mutter ach so geliebten Weihnachtsglitzer, der angeblich in diesen Sätzen steckte, transportierten. Zur Not musste man eben auch mal mit dem Christkind tanzen und dabei lächeln. Was er wirklich dachte, ging schließlich niemanden was an, Hauptsache, er musste nicht putzen.

»Was Lukas plagt, ist wohl eher ein Kater.« Dominique lachte und ließ dabei ihre Tannenzweige wippen.

Ein ausgewachsener, wenn Tim an die Fahne dachte, die Lukas vorhin umweht hatte. Dass der grummelige Ruprecht gern und oft in seinen Flachmann schaute, war ein offenes Geheimnis. Aber er hatte vorhin auch von Rückenschmerzen gesprochen und hey, es ging ihm nicht gut, und er konnte Hilfe brauchen. So what? Waren sie etwa von der Moralpolizei?

Tim öffnete die Lippen und wollte gerade zu einer Verteidigungsrede ansetzen, als Dominique einlenkte. »Weißt du was, geh. Hilf Lukas mit den Bäumen und amüsiere dich mit dem ollen Grummelruprecht. Ich weiß doch, dass ihr beide immer zusammen ablästert.«

Verdammt! Tim warf sich erschrocken herum. Hoffentlich hatte das niemand gehört.

»Wir? Wie kommst du denn da drauf? Das würden wir –«

»Ja, ich weiß, der Weihnachtsmann ist ein Kinderfresser und das Christkind ein brutaler Rocker gegen euch zwei Unschuldslämmer. Schon recht.« Sie kicherte. »Und jetzt mach dich vom Acker, bevor ich es mir doch noch anders überlege.«

Das Stichwort Christkind gab Tims Laune im Nu erheblichen Auftrieb. Sofort sah er wieder den zusammengeschmurgelten Batzen Plastik vor sich, der vor ein paar Stunden noch ein glitzerndes und leuchtendes Christkind gewesen war. Voll krass genial, die Aktion.

Auf dem Weg zum Weihnachtsbaumverkauf ließ Tim sich Zeit. Er schlug einen Bogen und schlüpfte unter der Absperrung durch, um herauszufinden, wie weit Poldi mit seinen Ermittlungen war.

Ernst nahm er das Getue allerdings null Komma null. Der Eisbär machte voll auf wichtig, dabei war das alles doch eh nur Show. Was wollte er schon ermitteln? Er hatte ja nicht mal ein Spusi-Team an seiner Seite. Nur den doofen Jürgen, der sich so gern aufspielte.

Den konnte Tim so gar nicht leiden. Also anfangs schon, da war Jürgen noch voll cool und lässig gewesen, doch dann hatte er sich Tim gegenüber verändert. Zuerst hatte Tim vermutet, er hätte nur einen schlechten Tag, aber Jürgen blieb ihm gegenüber abweisend. Er behandelte ihn voll wie ein kleines Kind, und außerdem hatte er so einen durchdringenden Blick, Tim fühlte sich immer von ihm beobachtet und in seiner Nähe inzwischen ziemlich unwohl. Meistens ging er ihm aus dem Weg – das Wunderland war zum Glück groß genug.

Wieso sich das so entwickelt hatte, wusste Tim nicht. Er hatte sich das Gehirn zermartert, aber es gab keinen erkennbaren Auslöser.

»Was machst du denn hier?«, tönte wie auf Kommando Jürgens Stimme zu Tim herüber.

Der Hausdetektiv war ein Kerl wie ein Kleiderschrank, automatisch fühlte Tim sich kleiner, als er tatsächlich war. Die vielen Stunden im Kraftraum hatten dazu geführt, dass Jürgen merkwürdig aufgepumpt und steif daherkam, was den Gesamteindruck nicht angenehmer machte. Mit ein paar großen Schritten war er bei Tim.

»Die Absperrung gilt für alle, los, verschwinde. Du störst uns nur bei der Arbeit und verwischst womöglich wichtige Spuren.«

So ein aufgeblasener Gockel. Wie er seine Brust rausstreckte – dieser Angeber mit seinen affigen Tattoos. Normalerweise mochte Tim Tattoos, aber bei Jürgen nicht. Da mochte er gar nichts – egal, wie cool es war. Bei Jürgen ärgerte er sich nur, dass dessen Rockerbrutalogetue ihn nicht kaltließ. Wie gern wäre Tim ihm gelassener entgegengetreten. Aber offen auf Konfrontation zu gehen, brachte nur Ärger, und so wie Jürgen drauf war, wollte er ihn nicht reizen.

Also hob er beschwichtigend die Hände.

»Bleib locker, Mann. Ich wollte nur sehen, ob es schon etwas Neues gibt.«

Aber ganz kampflos klein beigeben wollte Tim dann doch nicht. Wozu war er schließlich der Sohn der Chefin? Deshalb reckte er den Kopf etwas nach oben und ließ ein bisschen den Juniorchef raushängen. Er nahm die Schultern nach hinten und drückte den Rücken durch, in dem Versuch, ein Stück größer zu wirken. »Meine Mutter möchte sicher wissen, was hier los ist und wie weit ihr seid. Die Absperrung ist gar nicht gut fürs Geschäft.«

Das saß.

Jürgen zuckte ein bisschen zurück. Aber nur für einen Moment. Dann grinste er verächtlich und ging wieder auf Tim los.

»Als ob sie dich geschickt hätte, ich habe doch gesehen, dass du beim Rentier –«

»Leute, hört auf, hier herumzudiskutieren. Was soll denn das?«, mischte sich jetzt Poldi in die Auseinandersetzung ein. »Jürgen, du wolltest doch die Sachen rund um den Sicherungskasten aufsammeln. Denk dran, jedes Fitzelchen kann wichtig sein. Und jedes Stück in eine eigene Tüte – keine Schlamperei!« Damit wandte er sich Tim zu. »Es war auf jeden Fall ein Kurzschluss. Wir gehen davon aus, dass ein Defekt vorliegt. Aber das muss der Techniker sich ansehen, ich habe ihn schon gerufen, er wird gleich hier sein. Die Spurensicherung ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, bis die Sache geklärt ist.« Poldi hielt inne und musterte Tim prüfend. »Oder hast du vielleicht irgendetwas mitgekriegt? Hast du jemanden gesehen, der sich auffällig benommen hat? Der um den Sicherungskasten rumgeschlichen ist? Oder um das Christkind?«

Tim tat, als würde er intensiv überlegen. Billiger konnte er seine Arbeitszeit schließlich nicht totschlagen, obgleich er ganz genau wusste, dass er niemanden gesehen hatte.

»Ein paar Kinder haben drum herum getanzt. Aber die haben dem Christkind wohl kaum so cool eingeheizt.«

Mist! Schon während er noch sprach, merkte er sein Missgeschick bereits.

Prompt zog Poldi die Augenbrauen zu einem dicken Strich zusammen. »Du bist jung, Tim, ich versteh schon, dass du das irgendwie cool findest. Aber erstens war das gefährlich – da hätte viel mehr passieren können –, und zweitens weißt du genau, dass das Weihnachtswunderland alles für deine Mutter bedeutet, also reiß dich lieber ein bisschen zusammen, okay? Es war ein Riesenglück, dass sich bei der entstandenen Panik und beim Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, niemand verletzt hat.« Poldi zeigte mit dem Kinn Richtung Absperrband. »Es ist besser, wenn du dich jetzt trollst, bevor du deinen Hintern hier noch in die Nesseln setzt. Du hast doch bestimmt was zu tun.«

Verflixt. Eigentlich hatte Tim darauf gehofft, hier noch ein bisschen von der Show mitzukriegen. Das hatte er sich jetzt mit seinem losen Mundwerk selbst vermasselt.

Poldi hatte natürlich recht. Er wusste doch, dass das Wunderkotzland heilig war und eine heilige Kuh durfte man nun mal nicht anpinkeln. Egal, wie lustig man es fand.

Seine Mutter war eine humorvolle Frau, aber bei diesem Thema lag ihre Spaßgrenze unter null. Was sollte man auch von jemandem erwarten, der von seinem Baby sprach, wenn es ums Geschäft ging? Tim hatte so die Nase voll von dem ganzen Weihnachtsrotz. Das war nicht immer so gewesen, aber in letzter Zeit ging es ihm echt auf die Nerven.

Als kleiner Junge waren Tim und seine Mutter ein prima Team gewesen. Sie hatten von September an die Weihnachtsvorfreude gelebt, Plätzchen gebacken, Weihnachtslieder geträllert und sich Weihnachtskostüme geschneidert. Damals hielt Tim seine Mutter für eine Weihnachtsfee und war stolz darauf, dass ihr Haus immer am schönsten von allen leuchtete, glitzerte und funkelte.

Doch diese Begeisterung hatte er zusammen mit seiner Kindheit abgestreift. Jetzt war er ein Teenie, und die Weihnachtsbesessenheit seiner Alten fand er nur noch peinlich. Würde ihn jemand fragen, was ihn am meisten auf der Welt nervte, würde er ohne Zögern das Weihnachtswunderland nennen. Noch vor Klassenarbeiten und den Mädchen aus seiner Stufe! Das ganze Ding war so voll uncool. Und er war nicht der Einzige, der das so sah. Von seinen Klassenkameraden wurde er bei jeder Gelegenheit deshalb verspottet.

Wenn er den Schuppen irgendwann erben würde, wollte er ihn ordentlich aufmischen, das stand fest. Er hatte schon ein paar Ideen für neue Attraktionen.

Eine Geisterbahn mit Weihnachtsvampiren vielleicht oder einen Weihnachtsmann, der Kindern nur was gab, wenn sie ordentlich fluchen konnten. Einen Weihnachtsschimpfwort-Wettbewerb. Oder einen Weihnachtsliederrülps-Wettbewerb. Alles jedenfalls, was die rosa Weihnachtswolkenwelt ein bisschen auf Touren brachte. Dann könnten die Jungs, die ihn heute auslachten, sich die Augen reiben, denn das Weihnachtswunderland würde der Knaller werden. Schrill, laut und voll krass genial!

Währenddessen hatte Tim den Baumverkauf erreicht und grüßte Lukas, der sich ehrlich freute über die unverhoffte Hilfe. Die nächsten Stunden würden locker werden, wenigstens musste er bei Lukas nicht so tun, als würde ihm die Glitzerwelt Spaß machen. Er hatte sogar die leise Vermutung, dass Lukas einen ähnlichen Humor hatte wie er selbst. Nein, es war mehr als eine leise Vermutung. Tim würde seinen Hintern drauf verwetten, dass dieser Weihnachtsscherzkeks, der Poldi in letzter Zeit mit seinen Aufklebern so auf die Nerven ging, Lukas war. Aber natürlich würde der das nicht zugeben. Never ever! Musste er auch nicht. Jedenfalls konnte Tim mit dem ollen Brummbär seiner Weihnachtsunlust frönen, ohne gleich gemaßregelt zu werden.

Okay, alles erzählte er ihm nicht, aber das war auch nicht nötig. Manches Vergnügen konnte man durchaus auch still für sich genießen.

Tim grinste, als er an das dachte, was er nicht erzählte. Vermutlich könnte er mit der Sprache rausrücken, Lukas würde es ziemlich sicher ebenfalls witzig finden – aber nein, in diesem Punkt hielt er lieber die Klappe. Frei nach dem Motto: Der Weihnachtsfeind genießt und schweigt. Es gab schließlich genug andere Dinge zu bequatschen.

Lukas war der einzige Mensch hier im Wunderland, der von Tims Umkrempelungsplänen wusste. Die beiden schwammen genüsslich gemeinsam auf ihrer Antiweihnachtswelle.

»Und? Gibt’s was Neues? Du hast doch gerade mit Jürgen gesprochen, wenn ich das auf die Entfernung richtig gesehen hab. Meine Augen sind nicht mehr das, was sie mal waren. Hat der Wichtigtuer was gefunden, oder bläst er sich nur auf?«

»Ach, der Depp. Nur heiße Luft, wie immer. Aber Poldi meint, es sei ein Kurzschluss gewesen. Er wartet auf den Techniker. Sicher ist er aber nicht, deshalb lässt er Jürgen den Dreck aufsammeln und in Tütchen packen und nennt das Ganze Spurensicherung.«

Das war genau nach Lukas’ Geschmack. Er lachte dröhnend.

»Wenn du mich fragst, kann Poldi diesen Jürgen genauso wenig schmecken wie wir und nutzt einfach die Gunst der Stunde, um ihn ein bisschen zu verarschen.«

»Gut möglich. Auf jeden Fall war das eine krasse Aktion.

Vielleicht könnte man da ein Event draus machen?«

Einen Moment tauchte Tim in seinen inneren Film ein und sah Christkinder und Weihnachtsmänner, die unter dem Jubel der Menge mit Knall und sprühenden Funken zusammenschmurgelten.

»Wenn ich erst mal das Sagen hab, dann könnte das ein Höhepunkt werden. Immer Punkt zwölf lassen wir eine Weihnachtsfigur hochgehen. Die Kids wären bestimmt begeistert.«

»Hmm«, machte Lukas und kratzte sich seinen Bart. »Der Plastikgestank war aber nicht besonders witzig. Na, ist ja noch ’ne Weile hin, bis du das Zepter in die Hand kriegst. Bis dahin fallen dir bestimmt noch bessere Sachen ein. Wart mal ab. Bei dir wird es jedenfalls nicht so ’ne klebrige heile Welt, das sehe ich schon.«

»Darauf kannste einen lassen«, bestätigte Tim voller Inbrunst.

Drüben sah er den Tannenbaum auf den Sitzen des Rentierschlittens rumkraxeln und Polster schrubben. Er klopfte sich selbst auf die Schulter, dass er an Lukas’ Rückenprobleme gedacht und diese für sich eingesetzt hatte. Putzen war doch echt Weiberkram, und mit Dominique hätte er auch nicht ablästern können.