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In diesem Buch ist alles auf Geschwindigkeit ausgerichtet: ein schneller Diebstahl, ein Autorennen der edelsten Marken und die Suche nach den Betrügern. Luxus pur – der Protagonist und seine Partnerin führen die Lesenden durch eine Welt voller Glitzer und Glamour. Dabei treffen sie auf Diebe und Betrüger, auf vornehme Menschen, die ihnen bei der Lösung des Kriminalfalls helfen, und insbesondere auf schnelle Oldtimer. Die Ermittlungen lot-sen die beiden Investigativjournalisten von München in die USA und nach Italien, in die Heimat der Rennautos. Verworrene Familienverhältnisse, ein unermesslich hohes Erbe und eine Rallye der schicken alten Rennwagen quer durch die Toskana halten die Spannung während des Lesens un-terhaltend hoch. Nicht nur Oldtimerliebhaber kommen auf ihre Kosten, auch die Krimilesenden und die Fans von Liebesgeschichten haben ihren Spaß mit diesem spannenden Roman. Dieses Buch liest sich nicht nur mitreißend schnell, sondern überzeugt auch durch seine vielen interessanten Irrungen und Wirrungen.
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Seitenzahl: 285
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Alfa Romeo und Autodelta haben nur eine sehr kleine Serie des Giulia Tubolare Zagato 2 gebaut. Der Rennwagen dieses Buches gehört nicht dazu und ist demnach eine Erfindung der Phantasie. Ebenso sind Personen, Orte und die Geschichte in diesem Roman fiktiv. Für den einen oder anderen Moment gab es ein reales Vorbild.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Katja Meyerhoff hatte das Angebot der Polizeihauptmeisterin angenommen, im Vorraum des Polizeigebäudes zu warten. Jetzt saß sie auf einer Holzbank gegenüber der Glaswand mit den Sprechlücken. Hier drinnen war es heiß und schwül. Die Sonne brannte seit Tagen auf Land und Leute. Auch wenn draußen ein leichter Wind etwas Kühlung gebracht hatte, hatte sie nicht im Schatten warten wollen. Dort wäre sie den Blicken der Gäste eines Cafés ausgesetzt gewesen, die entweder auf ihren Smartphones daddelten oder den Eingang beobachteten, um ja nichts zu verpassen, auch wenn die Münchner Tageszeitung, für die Katja arbeitete, die Marktgemeinde regelmäßig zu den sichersten Wohnorten im Münchner Umland zählte.
Katja blickte von ihrem Smartphone auf, als sich die Tür öffnete. Es war aber nur eine Polizistin, die ihr eine Flasche Wasser anbot.
„Es wird noch eine Weile dauern. Ich bin Polizeihauptmeisterin Brenner.“ Um ein wenig Small Talk zu machen, sagte Katja zu der schlanken blonden jungen Frau: „Die Uniform steht Ihnen gut, weiße Bluse zur blauen Hose.“
„Ja“, antwortete die Polizistin, „allemal besser als der grün-beige Kram aus den 1970er-Jahren.“
„Die hat doch Oestergaard entworfen, oder? Gab es nicht auch einen Aufstand vor ein paar Jahren, als das abgeschafft werden sollte?“, fragte Katja.
„Das war eine Empfehlung der EU, so um 1998, dass die Polizei blaue Uniformen haben sollten. Kollegen hier wollten sich mit dem Förstergrün weiter von den Blauhosen der Eisenbahnschaffner, der Bundespolizei oder der Feuerwehr unterscheiden. Nettes Kompliment, danke. Ich muss wieder an meinen Schreibtisch.“
Katja bedankte sich für das Wasser und war bald wieder allein. Frau Brenner war in der Tiefe der Wache verschwunden und der Empfang war verwaist.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam die Polizistin wieder zurück und hinter ihr Robert Hauser in Hemdsärmeln. Er war blass und setzte sich neben Katja auf die Bank.
„Hast du noch einen Schluck in der Flasche?“
„Ja, hier bitte. Ist aber Polizeiwasser.“
„Immerhin hübsch serviert.“ Robert blickte zur Polizistin. „Drinnen gab es nur Kraneberger.“
„Sie dürfen jetzt gehen, Herr Hauser, wir haben alles geklärt“, forderte die Polizistin die beiden auf, zu gehen.
„Warum jetzt die Eile? Seit ich seit gestern hier bin, ging eher alles seinen polizeilichen Gang in einer gewissen Gemütlichkeit“, erwiderte Robert Hauser mit leichter Schärfe in der Stimme.
„Das besprechen Sie bitte mit dem Kommissar. Aber bedenken Sie bitte, dass wir Sie in Gewahrsam nehmen mussten, weil Sie sich nicht ausweisen konnten! Das war legitim und notwendig, weil Sie sich unerlaubt an einem Tatort aufgehalten haben. In diesen, der versiegelt war, sogar eingedrungen sind.“
„Rechtfertigt das gleich Handschellen?“, fragte Robert erbost.
Katja legte eine Hand auf seinen Arm: „Lass gut sein, du hast es ja überstanden.“ Sie stand auf und zog ihn mit sich.
Gerade als sie die Tür öffnen wollte, kam ein Beamter in Zivil eiligen Schrittes in den Vorraum.
„Herr Hauser. Moment!“
Robert und Katja drehten sich um und Katja blickte auf einen Mann mit der Statur eines durchtrainierten Sportlers.
„Herr Hauser, hier ist Ihre Jacke, die Sie vermisst haben. Darin ist auch Ihre Brieftasche. Die Kollegen waren heute Morgen noch einmal am Tatort und haben sie am Treppengeländer hängen sehen. Sie müssen sie dort hingehängt haben, als Sie das Siegel verletzt haben.“
Robert nahm die Jacke, hängte sie sich über die Schulter und verließ grußlos das Gebäude.
„Arroganter Journalistensack“, meinte der Kommissar zu seiner Kollegin Brenner. „Komm, ich spendiere dir einen Kaffee.“
Die gleiche Frage stellte Katja Robert Hauser, als sie auf dem Bürgersteig standen und auf das Café gegenüber blickten „To go. Ich nehme mal an, du hast keine Lust, da drüben zu sitzen.“
„Weder to go noch to sit. Wo steht dein Auto?“
„Ich bin mit der S-Bahn gefahren. Du musst doch mit dem Auto gekommen sein.“ Katja war erstaunt, fügte aber hinzu: „Vorsorglich habe ich ein Partnerticket gekauft. Der Bahnhof ist nicht weit entfernt, ein paar Hundert Meter.“
Sie überquerten die Straße, ließen das Café links liegen und liefen zügig durch ein Wohngebiet, querten einen kleinen Park und erreichten bald den Bahnsteig, an dem die S-Bahn schon stand. Gesprochen hatten sie nicht miteinander, bis Katja am Marienplatz sagte: „Wir müssen hier umsteigen.“ Sie verließen die U-Bahn in Thalkirchen und gingen an der Isar entlang in die Meichelbeckstraße, wo Katja wohnte. Wenig später saßen sie unter einem Baldachin auf der großzügigen Dachterrasse ihrer Wohnung, wo sie ihren Lieblingsaperitif, einen Château de Pampelonne Rosé, im Eiskühler auf den Tisch stellte und zwei Gläser füllte.
„Hast du bei der Polizei ein Schweigegelübde ablegen müssen?“ Sie gab Robert ein Glas und stieß mit ihm an. „Aber gut, dich nach so langer Zeit mal wiederzusehen. Ich freue mich immer, dir zu Diensten zu sein oder dich aus misslichen Lagen zu befreien.“
Katja Meyerhoff und Robert Hauser kannten sich schon lange und arbeiteten beide als Journalisten. Robert ohne feste Anstellung, aber dem International Consortium of Investigative Journalists, dem ICIJ, angeschlossen, ohne dass er sich einem speziellen Themenkreis gewidmet hatte. Katja schrieb für eine der großen Münchner Zeitungen. So hatten sich immer wieder lose Kontakte ergeben, die zuletzt ein paar Jahre zuvor in ein gemeinsames Projekt gemündet hatten, das sich mit nicht wissenschaftlich abgesicherten Behandlungsmethoden beschäftigt hatte.
„Du wohnst hier immer noch allein?“, fragte Robert und leerte sein Glas.
„Netter Versuch. Direkte Frage, auch wenn sie nichts mit dem Thema zu tun hat. Ich komm ja auch nicht auf die Idee, zu fragen, wer die junge Blondine ist, mit der man dich ab und an auf Fotos sieht.“
„Eine Visitenkartenfreundschaft. Du kennst sie, weil wir sie gemeinsam auf der Pressekonferenz in Baden-Baden kennengelernt haben. Sybille Kappner von der Neuen Rhein Zeitung.“
„Die ist doch mindestens zwanzig Jahre jünger als du!“
„Fünfzehn und genauso viele Monate hat es gehalten. Ich bin also wieder frei. Also noch mal, was gibts bei dir Neues?“ Mit dem nachgefüllten Glas prostete Robert Katja zu.
„Meine Eltern sind mittlerweile gestorben. Mein salonsozialistischer Vater, wie du ihn bezeichnet hast, hat mir nicht nur diese Wohnung, die er für mich gekauft hatte, sondern auch sonst eine angemessene Aussteuer für den Fall, dass ich … Na ja, es bedeutet, dass ich nicht mehr jeden Morgen in die Redaktion fahren muss. Aber jetzt ernsthaft, warum musste ich dich von der Polizeiwache abholen?“
„Tja, das war auch für mich eine Überraschung. Ich habe einen Anruf erhalten, um mich mit einem Georg Braun zu treffen. In seiner Wohnung. Der Anruf kam nicht von ihm, sondern von einem seiner früheren Arbeitskollegen, der in regelmäßigem Kontakt mit Braun stand und ihn plötzlich nicht mehr erreichen konnte.“
„Du fährst aber nicht einfach los, wenn du nicht weißt, worum es geht? Es gab keinen Anlass?“
„Keine Ahnung. Es ging um viel Geld, um ein seltenes Auto, alles vage. Aber es klang interessant genug, um zu fahren. Jedenfalls stand ich vor der Tür, die auf den ersten Blick mit einem Polizeisiegel verschlossen war. Dann hörte ich, dass die Eingangstür des Hauses aufging und der Luftzug öffnete die Wohnungstür.“
„Nicht verschlossen? Trotz des Siegels?“
„Das war zerschnitten, hatte ich aber nicht gemerkt. Fix stand ich mit den Händen an der Wand, wurde abgetastet und fand mich wenig später in Handschellen auf der Wache.“
„Warum musstest du so lange bleiben?“
„Ich hatte keinen Redaktionskontrakt in dieser Sache. Es gab also keine Bestätigung für einen offiziellen Rechercheauftrag, den es tatsächlich auch nicht gibt. Und dann war Georg Braun tot.“
„Was hat dich rausgehauen?“
„Mein Auto. Ich bin auf dem Weg am Irschenberg geblitzt worden. Vermuteter Todeszeitpunkt, immerhin gab es einen Totenschein. Der und das Ticket waren zeitlich identisch.“
„Und warum solange, eine ganze Nacht in einer Zelle?“
„Verschiedene Behörden. Außerdem ist der Kommissar Halbprofi in einem Sportverein und musste spielen, das weiß ich mittlerweile, und richtig Interesse schien auch keiner zu haben.“
„Der Blitzer am Irschenberg ist in Nordrichtung kurz hinter der Auffahrt.“
„Ja, blöd, aber ich habe nicht auf die Schilderbrücke geachtet, als ich hinter einem Lkw auf die mittlere Spur beschleunigt habe. Aber dann doch gut.“
„Robert, so richtig verstanden habe ich das alles noch nicht. Wir sollten was essen. Wollen wir irgendwo essen gehen?“
Robert schaute an sich herunter, rieb über sein unrasiertes Kinn und meinte: „So nicht, Katja. In diesem Zustand gehe ich nicht vor die Tür.“
„Gut, mein Lieber.“ Sie musste lachen. „Dann schau ich mal, was der Kühlschrank hergibt und was dir von meinen Klamotten so stehen könnte.“ Sie machte sich auf den Weg in die Küche, drehte nach ein paar Schritten um, strich sich die Haare aus dem Gesicht und fragte nachdenklich: „Wenn du so nicht wieder vor die Tür willst, heißt das, dass du hier übernachten willst?“
„Übernachten möchtest, Katja, wenn es dir nichts ausmacht. Und ich bräuchte einen Müllsack.“
Katja schüttelte den Kopf, wobei sie selbst nicht wusste, ob aus Überraschung, Ablehnung oder Zustimmung, aber angesichts seines Vorhabens, das Haus nicht zu verlassen, sagte sie nur: „Letzte Tür rechts, Zimmer en suite, leider mit Blick auf die Häuser gegenüber. Mach die Vorhänge zu.“
Eine Viertelstunde später kam Robert wieder auf die Terrasse.
„Den habe ich im Schrank gefunden.“ Er blickte auf einen knappen weißen Frotteebademantel herunter, breitete die Arme aus und zuckte die Schultern. „Rasieren konnte ich mich nicht. Mit diesen blauen Venus-Dingern habe ich es gar nicht erst versucht.“
„Du bist ein bisschen herausgewachsen“, schmunzelte Katja. Sie ging in die Küche und rief durch die Terrassentür: „Wollen wir beim Rosé bleiben? Der ist doch deine Sache nicht, wenn ich es richtig im Kopf habe.“
„Danke, es duftet nach Pizza, da passt der schon.“ Katja kam wieder auf die Terrasse. Sie deckte den Tisch mit zwei Tellern mit Pizzavierteln, einem Holzbrett mit Salami und Schinken und einem Schälchen Oliven. Sie schenkte aus einer frischen Flasche nach und sagte: „Lass es dir schmecken, du wirst hungrig sein.“
Sie aßen eine Weile schweigend.
„Hmm, Robert, jetzt sitzt du hier, was ich schön finde. Da mampfst du mehr oder weniger schweigend vor dich hin, was ich weniger schön finde. Kannst du mir nicht erzählen, was es mit deinem Besuch und deiner Nacht bei der Polizei auf sich hat?“
Robert blickte sie an: „Ich habe dir ja heute Mittag gesagt, dass ich einen Georg Braun treffen sollte. Ich kenne ihn nicht. Das, was ich weiß, ist wenig genug. Er hat irgendetwas mit der Entwicklung von Autos‚ von Motoren, zu tun und scheint nicht ganz arm zu sein. Verwundert hat mich, dass er nicht da war, als ich gestern zu seiner Wohnung fuhr. Den Rest kennst du ja. Die Polizisten waren nicht sehr mitteilsam und haben mir nicht erklärt, warum er nicht da, sondern im Gegenteil seine Wohnungstür mit einem Polizeisiegel verschlossen war. Ausführlicher waren sie, als sie mir § 136 aus dem Strafgesetzbuch vorgelesen haben und mir sagten, dass auf Verstrickungsbruch, genauer gesagt Siegelbruch, eine bis zu einjährige Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe steht.“
„Dürfen sie das denn, dir eine Strafe androhen?“, fragte Katja.
„Keine Ahnung“, erwiderte Robert. „Ich muss vor allem rauskriegen, warum die Wohnung überhaupt versiegelt war. Das spricht dafür, dass mit Braun irgendwas passiert sein muss, denn üblicherweise, das weißt du, geschieht das nur, wenn der Ort ein Tatort mit ungeklärten Umständen ist.“
„Meinst du mit ‚ungeklärten Umständen‘, dass Braun etwas zugestoßen sein könnte?“
Robert blickte sie nachdenklich an. „Das könnte man vermuten, aber ich weiß es nicht.“
„Gut, Robert, wir können das jetzt nicht klären. Möchtest du noch etwas trinken, bevor wir schlafen gehen?“
„Ein Nightcap wäre nicht schlecht.“
„Dann bedien dich. Du weißt noch, wo alles steht?“
Robert stand auf und ging zu einem Tischchen im Wohnzimmer, wo er Gläser und eine Auswahl hochprozentiger Getränke fand. Er wählte einen Lagavulin und schenkte sich zwei Finger hoch ein. „Was möchtest du?“, rief er Katja zu, die gerade den Terrassentisch abgeräumt hatte.
„Ich nehme einen Calvados, danke.
Katja und Robert stellten sich an die Brüstung der Terrasse und nippten an ihren Gläsern.
„Danke, dass du mich abgeholt hast und mir hilfst. Morgen früh muss ich als Erstes mit meinem Auftraggeber Kontakt aufnehmen, weil er mir jetzt sagen muss, um was es geht. Dann brauche ich einen Laptop und noch ein paar andere Dinge, falls ich hier weiterarbeiten muss.“
„Auch was zum Anziehen? Oder machst du alles im Bademantel? Du erwartest doch sicher nicht, dass ich mich jetzt am späten Abend noch mit deiner Wäsche beschäftige.“ Und nach einer kurzen Pause ohne Antwort strich sie Robert sanft über die Wange. „Schlaf gut.“
Am nächsten Morgen wurde Robert durch ein Läuten an der Wohnungstür und durch zwei Frauenstimmen wach, von denen er eine als die von Katja erkannte. Er fand seine Armbanduhr nicht, stieg aus dem Bett, um auf sein Smartphone zu schauen. Kurz vor zehn. Er erinnerte sich kaum, in den vergangenen Monaten mal zehn Stunden am Stück geschlafen zu haben. Im Bad putzte er sich die Zähne, die Zahnbürste hatte er aus einem kleinen Kulturpäckchen mit der Aufschrift einer Fluglinie des mittleren Ostens‘ genommen. Notgedrungen zog er den Bademantel an und lief Richtung Wohnzimmer, wo Katja und eine junge Frau beim Kaffee saßen.
„Wieder auferstanden von den Toten?“, fragte Katja und schob ihm einen Becher zu, nachdem er sich zu ihnen gesetzt hatte. „Gemma D’Andrea, eine alte Freundin. Sie hat mir bei deiner Wäsche geholfen.“
Robert gab ihr die Hand und nuschelte ein „Bongiorno“, nachdem er einen italienischen Akzent bei der Besucherin bemerkt hatte.
„Oh, mach dir nicht die Mühe. Gemma ist Italienerin und Geschäftsführerin einer Dependance eines italienischen Männermodenhauses in den Fünf Höfen an der Theatinerstraße. Sie spricht deutsch und kann sich mit der Kundschaft aus dem Oberland notfalls akzentfrei, das heißt bayerisch, auseinandersetzen.“
Gemma lächelte Robert an. „Katja hat mir gestern spätabends Ihre Größe durchgegeben und ein Foto geschickt, damit ich Ihnen ein paar passende Kleidungsstücke zusammenstelle.“
„Als ob du meine Größe kennen würdest, jedenfalls kann ich mich nicht erinnern.“
„Schau, Robert, ich kann lesen, und da du freundlicherweise den Müllsack mit deinen Klamotten vor die Zimmertür gestellt hast, war das mit der Größenfindung nicht schwer. Jetzt zieh ab, mach dich frisch und komm zur Anprobe. Gemma bleibt noch hier, falls irgendwas nicht passen sollte. Und hier“, sie drückte ihm Rasierschaum und einen Gillette in die Hand, „falls du immer noch Schwierigkeiten mit dem Modell Venus hast.“
Robert nahm die beiden Tüten und verschwand.
„Un uomo attraente“, zwinkerte Gemma Katja zu, „ woher kennst du ihn?“
„Rein beruflich. Zuletzt haben wir an dieser Exosomen-Geschichte gearbeitet. Du weißt, in Singapur, vor ein paar Jahren. Seither haben wir uns nicht mehr gesehen, bis er mich gestern anrief.“
„Veramente un peccato“, kommentierte Gemma lächelnd, „si adatta bene a te.“ Katja schaute sie fragend an. „Ich meine, Ihr würdet ganz gut zusammenpassen.“
„Ich gehe schnell zum Bäcker“, beendete Katja, deren Wangen sich gerötet hatten, die Unterhaltung. Als sie mit Cornettos wieder zurückkam, saßen Robert und Gemma mit frischem Kaffee auf der Terrasse.
„Anche lui starebbe bene con te.“ Katja hatte den Satz gegoogelt und hoffte, ihn einigermaßen vernünftig auszusprechen.
„Intrattenimento per ragazze. Terminate la valutazione? Molte grazie per aver scelta i vestiti. Mädchenschnack, vielen Dank für die Beratung und die Auswahl der Kleidung“, sagte Robert und blickte zu Gemma: „Was bin ich Ihnen schuldig?“
„Das habe ich mit Gemma besprochen, ist Teil meiner Aussteuer. Und ich freue mich, wenn du dir gefällst“, warf Katja ein.
„Ciao, Roberto, habt noch eine schöne Zeit.“ Robert war auch aufgestanden und sie verabschiedeten sich mit Wangenküsschen voneinander. Katja brachte ihre Freundin zur Tür.
„Wir sehen uns!“
Als Katja zurückkam, fragte Robert: „Was hast du mit Aussteuer gemeint?“
„Gemma schickt mir eine Rechnung. Hast du gedacht, sie bringt einen Kartenleser mit?“ Sie schenkte beiden noch Kaffee nach. „Hast du einen Plan, wie es jetzt weitergeht oder belässt du es bei deiner Nacht auf der Wache?“
„Ich sollte zumindest mit meinem Auftraggeber telefonieren.“ In diesem Moment hörten sie, dass sein Telefon im Gästezimmer klingelte. Robert sprang auf.
„Hauser hier.“ Er kam langsam auf die Terrasse zurück und sagte lautlos „der Auftraggeber!“
Katja blickte ihn an, nahm ihr eigenes Telefon und zeigte fragend auf den Lautsprecherbutton, den Robert dann drückte. Er legte das Telefon auf den Tisch.
„Können Sie mich hören?“, kam die Stimme aus dem Telefon, „die Verbindung scheint schlechter geworden zu sein.“ Robert legte den Finger auf seinen Mund. Katja nickte, rutschte aber näher an ihn ran, um besser hören zu können.
„Ich sitze in einem Café in München. Es ist hier so warm, dass ich lieber draußen sitze, Herr Jordan“, antwortete Robert.
„Berichten Sie bitte, was Sie herausgefunden haben!“ Der Ton war forsch und fordernd.
„Ich habe auf einer Polizeiwache übernachten müssen und ich glaube, dass Sie mir eine Erklärung schuldig sind.“
„Haben Sie Braun getroffen?“, kam die Stimme aus dem Telefon.
„Ich bin kurzfristig verhaftet worden und konnte nicht mal an der Tür läuten, geschweige denn in die Wohnung kommen.“
„Das tut mir leid.“
Robert verdrehte die Augen und tippte sich vogelmäßig an die Stirn. „Herr Jordan, jetzt mal Butter bei die Fische. Warum sollte ich mich mit Braun treffen?“ Robert begann, ungehalten zu werden.
„Ich möchte Sie bitten, mir zu helfen, Herr Hauser. Und das Wichtigste zuerst: Georg Braun ist tot und er scheint in einer Gerichtsmedizin zu sein.“
„Das würde erklären, warum die Wohnung versiegelt war. Aber das würde auch bedeuten, dass die Todesursache ungeklärt ist. War er krank?“, fragte Robert. Er bedeutete Katja, ihm etwas zu schreiben zu bringen. „Gab es Erkrankungen, von denen Sie wissen?
„Er hat stark geraucht, jedenfalls bis vor ein paar Jahren. Bluthochdruck und seit einiger Zeit auch Diabetiker. Aber das waren eher Altersbeschwerden, und mit seinen 70 Jahren auch zu vereinbaren, nicht war?“ Es entstand eine Pause, ehe Jordan weitersprach: „Also, die Wohnung war versiegelt?“
„Ja, aber als ich kam, war das Siegel zerstört. Kaum, dass ich das gesehen habe, war ich schon in der Obhut der Polizei, die dachte, dass ich dort einbrechen wollte.“
„Noch mal, das tut mir leid. Jetzt ist es umso wichtiger, dass Sie in die Wohnung kommen.“
„Herr Jordan, wo sind Sie? Wo wohnen Sie? Können wir uns nicht treffen? Mir erscheint es einfacher, persönlich miteinander zu sprechen.“ Katja nickte ihm zu und gab Robert ein Thumbs-up.
„Nein, das geht nicht, jedenfalls nicht sofort. Ich bin in den USA, in Miami.“
Robert blickte auf die Uhr. „Dann sind Sie sechs Stunden zurück, hier ist es zwei.“
„Stimmt, 8 a.m.“
Wieder entstand eine Pause.
„Robert, ich darf doch Robert sagen? Sie müssen unbedingt in die Wohnung.“
„Das wird nicht gehen, und noch eine Nacht in Gewahrsam …“
„Können Sie nach Miami kommen? Es gibt hier einige Unterlagen, die ich Ihnen nur persönlich übergeben möchte, darunter Günthers Testament. Ich übernehme alle Kosten.“
Robert zwinkerte Katja zu und machte ein „Warts mal ab“ zu ihr.
„Es würden dann aber ein paar Tage vergehen, bis ich in die Wohnung gehen kann.“
Wieder eine Pause, die Robert unterbrach, als er sagte: „Herr Jordan, ich muss mein Telefon ans Ladekabel anschließen. Einen Moment.“
Katja blickte ihn an, zeigte auf das Batteriesymbol auf dem Display und hob drei Finger. Robert stand auf und zog sie mit sich.
„Hast du Lust, mit nach Miami zu fliegen?“ Robert wartete die Antwort nicht ab. Sie gingen wieder zum Telefon.
„Geben Sie mir Zeit bis übermorgen, aber es sollte klargehen. Ich habe zurzeit einige Projekte und ich würde gerne meine PA mitnehmen.“
Robert meinte, ein Schmunzeln aus dem Telefon zu hören, was sich wie „Geht klar“ anhörte. „Heute ist Mittwoch. Ich buche Ihnen Flüge und zwei Zimmer, ist Ihnen das recht? Für übermorgen, Freitag.“
„Jetzt aber noch mal zu heute und morgen. Können Sie mir zumindest das Testament per E-Mail schicken? Ohne irgendetwas in der Hand werde ich die Polizei nicht überzeugen können. Samstag erscheint mir sinnvoller, dann haben wir noch zwei volle Tage.“
„Einverstanden. Schicken Sie mir bitte per SMS Ihre E-Mail-Adresse und Ihre Daten für die Tickets. Das Testament schicke ich ihnen nicht. Es liegt eine beglaubigte Kopie bei unserem Rechtsanwalt in München. Ich rufe ihn gleich an. Sie möchte ich bitten, die Kopie dort abzuholen.“ Das Telefon klickte und das Gespräch war beendet.
Robert notierte sich Jordans Nummer und simste ihm seine E-Mail-Adresse und einen Hinweis, dass alle anderen Daten per E-Mail folgen würden. Er zweifelte nicht an Jordans Vorhaben, wollte aber sichergehen, dass es ihm auch wirklich ernst war.
„Kann ich deinen Laptop nutzen?“
„Geh in mein Arbeitszimmer, hinten im Flur“, wies ihm Katja den Weg.
„Isarblick oder Hinterhof? Vorhänge auf oder zu?“ Robert ging ins Arbeitszimmer und setzte sich vor den Laptop. Er loggte seinen E-Mail-Account ein und ein paar Minuten später kam ein Signal, dass eine neue E-Mail eingetroffen war. Robert öffnete sie und las die E-Mail-Adresse von Jordan und die Adresse einer Kanzlei in der Maximilianstraße. Er googelte die Kanzlei und sagte einen Moment später, als Katja eintrat: „Kleine Kanzlei, zwei Anwälte, aber feine Adresse. Schon mal von Kurtz und Partner gehört?“
„Nein, kenne ich nicht. Welche Fachgebiete?“
„Steht da nicht, aber wahrscheinlich auch Erbrecht. Ruf mal bitte dort an und besorg uns einen Termin. Wenns geht, noch heute. Ach, und gib mir mal deinen Pass. Hast du ein Visum für die USA?“
„PA? Robert, das fängt ja gut an. Zieh an der Schublade, da ist mein Pass drin.“
Robert blätterte durch Katjas Pass. „Gut, du hast ein Visum, sogar ein I-Visum, und ausreichend gültig.“
Katja lächelte ihn ein wenig mitleidig an: „Schon vergessen? Wir haben denselben Beruf. Als ich das I-Visum, das für Journalisten, beantragt habe, wusste ich nicht, dass ich mal als deine Sekretärin mit dir reisen würde.“
„Schon gut, schon gut, Katja. Ich musste Jordan plausibel machen, warum du mitfahren sollst. Kollegin, was du bist, oder meine Partnerin, was du ja nicht bist, hätte ihn vielleicht nicht überzeugt. Er wird sich nicht für dein Visum interessieren.“
Robert tippte seine Daten, Namen, das Geburtsdatum und seine Passnummer ein, anschließend die von Katja. Zuletzt schrieb er, dass er um zügige Übermittlung der Reisedaten bitten würde, und schickte noch freundliche Grüße hinterher.
„Wie kommen wir in die Innenstadt?“, fragte Robert und klappte den Laptop zu.
„Darf ich Ihnen Ihren Attaché-Koffer zur U-Bahn tragen, Chef?“ Katja drückte ihm einen Aktenkoffer in die Hand, schloss die Terrassentür, und bald standen sie am Bahnhof und warteten auf den Zug.
Am Marienplatz stiegen sie aus, nahmen den Ausstieg Dienerstraße, wandten sich nach links und liefen Richtung Oper. Die Kanzlei war ein paar Häuser weiter gegenüber im zweiten Stock. Nachdem Katja auf den Summer gedrückt und ihren Namen gesagt hatte, kletterten sie die Treppe empor. Sie standen vor einer Milchglastür, an deren linken Seite ein Messingschild mit den Namen der beiden Anwälte und ihre Fachrichtung hing. Rechts daneben zeigte ein gerahmtes Bild mit einer Urkunde der Wirtschaftswoche den Hinweis, es handele sich um eine Topkanzlei.
Die Tür wurde geöffnet und eine Rechtsanwaltsgehilfin begrüßte sie: „Mein Name ist Maja Schneider. Guten Tag. Doktor Kurtz erwartet Sie bereits. Bitte geben Sie mir Ihre Personalausweise zur Identifikation“.“
Katja und Robert schauten sich verwundert an, dann ebenso verwundert zu der jungen Frau.
„Wir haben nichts zu verbergen. Ist das nötig?“, fragte Katja.
Robert fügte hinzu: „Sie wissen, warum wir kommen, oder? Es wird wohl kaum noch jemanden geben, der sich nach dem Testament erkundigt.“
„Doktor Kurtz besteht darauf. Gestern, kurz vor Kanzleischluss, rief noch jemand an, der das Testament haben wollte.“
„War der auch von Herrn Jordan angekündigt?“, hakte Hauser verwundert nach und wandte sich an Katja: „Siehst du, warum ich vorhin so zurückhaltend war?“
„Kommen Sie bitte herein. Seien Sie so freundlich, mir Ihre Ausweise zu geben. Ich bringe Sie dann zu Doktor Kurtz.“
Nachdem Robert und Katja ihrer Aufforderung gefolgt waren und Maja Schneider die Ausweise auf einen Kopierer gelegt hatte, sagte sie: „Sie bekommen sie gleich zurück. Bitte folgen Sie mir.“
Die Kanzlei war trotz nur zweier Anwälte groß, und entlang eines Flurs saßen in mehreren Zimmern Sekretärinnen mit Kopfhörern vor Computern und tippten eifrig. Am Ende des Flurs war linker Hand ein Besprechungszimmer und gegenüber eine verschlossene Tür, auf der ein Schild angebracht war: ‚Bernd Hegebusch‘ war darauf zu lesen, und darunter: ‚Fachreferent und Bürovorsteher‘. Schneider klopfte an die Tür und nach einem markigen „Herein“ öffnete sie die Tür und ließ die beiden eintreten. „Möchten Sie Kaffee, Tee oder Wasser?“ Als Robert und Katja die Frage verneinten, schloss sie die Tür.
Rechtsanwalt Kurtz stand auf und ging auf sie zu. „Ich muss mich in meinem Büro nicht vorstellen, denke ich. Sie müssen Frau Meyerhoff sein.“
„Und demzufolge bin ich Robert Hauser.“ Sie schüttelten dem Anwalt, dessen rundlich füllige Figur und hohe Stirn nicht zu der gerade markig geäußerten Aufforderung passen wollte, die Hand. Zudem machte seine Körpergröße seinem Namen alle Ehre.
„Bitte nehmen Sie Platz“, forderte er sie auf, und bald saßen sie auf Holm II Freischwingern mit Armlehnen vor einem penibel aufgeräumten gläsernen Schreibtisch, hinter dem der Anwalt Platz nahm. Auf dem Tisch lagen nur ein Smartphone und ein Laptop. Das ganze Ensemble befand sich vor einer Wand, an der ein grellbuntes figürliches Bild hing, das Robert als „Schamlos“ (E) von Koroush Namazi kannte, und das als Farbklecks die sonst eher nüchterne Einrichtung kontrastierte.
„Sie blicken erstaunt auf das Bild, nicht wahr?“, fragte der Anwalt Robert Hauser. „Ich habe den Künstler, er wird sich aber nicht mehr daran erinnern, kurz bevor der Schah verjagt wurde, in Teheran kennengelernt und seine Malerei verfolgt. Ihn aber nicht mehr gesehen seither.
„Er ist Ende der 1980er-Jahre nach Deutschland emigriert und wohnt jetzt meines Wissens in Mainz“, erläuterte Robert.
„Kommen wir zum Zweck Ihres Besuches. Fritz Jordan rief mich gestern an und hat ihr Treffen angekündigt. Sie möchten gerne das Testament einsehen.“
„Nein“, antwortete Robert. „Einsehen nicht, falls es nicht notwendig ist, um Herrn Jordans Bitte nachzukommen. Wir brauchen es jedoch als Eintrittskarte in die Wohnung, und wahrscheinlich ist eine Vollmacht, die unsere Berechtigung ausweist, vorteilhaft.“
„Georg ist also tot?“, fragte Kurtz und fügte hinzu: „Das tut mir sehr leid. Ich kannte ihn schon lange. Warum hat Fritz Sie zu ihm geschickt?“
„Das weiß ich nicht. Als Herr Jordan und ich darüber sprachen, meinte er nur: ‚Fahren Sie zu ihm, er wird es Ihnen erläutern.‘“
„Das war also Grund genug für Sie, der Bitte Folge zu leisten?“, erkundigte sich der Anwalt. Er wirkte dabei nicht einmal erstaunt.
„Nun, Robert durfte sich zum Dank auch eine Nacht in einer Zelle aufhalten.“ Katja schaltete sich ein. „Wir wollen das Testament nicht einsehen. Wer erbt, ist für uns nicht interessant. Jordan sagte, wir brauchen das Dokument, um in die Wohnung zu kommen. Nebenbei, wissen Sie, wer erbt?“
„Das ist ein wenig kompliziert“, erwiderte der Anwalt. „Möglicherweise geht es aber gar nicht um das Erbe. Das heißt, in gewisser Weise doch.“
„Bitte machen Sie es nicht zu spannend“, warf Katja ungeduldig ein.
„Was ist eigentlich Ihre Aufgabe? Fritz hat mir nur Herrn Hauser angekündigt. Der Kreis der Mitwisser sollte nicht zu groß sein“, fragte Kurtz und blickte Katja an.
Robert legte beruhigend seine Hand auf Katjas Arm. „Wir sind bei einem Teil unserer Arbeit ein Team und dieser Auftrag gehört dazu. Das muss Ihnen reichen.“
„Nun gut“, war die Antwort des Anwaltes. „Dann sollte ich Ihnen zuerst die Verwandtschaftsverhältnisse erklären. Von Braun heißt es, dass er nie verheiratet war und sein ganzes Leben allein gelebt hat. Von der einen oder anderen Affäre mal abgesehen, aber da ist nie etwas Festes entstanden, was erbrelevant wäre.“
„Wie entsteht denn dann die Aufregung über das Testament?“, wollte Robert Hauser wissen.
„Von Aufregung sollten wir nicht sprechen“, entgegnete Kurtz, „denn das ist ganz klar. Georg hat eine Tochter. Die beiden kennen sich nicht, was komisch klingt. Meines Wissens“, so fuhr er fort, „hatten sie nie Kontakt, zumindest nicht in den letzten zehn, fünfzehn Jahren. Nein, eigentlich nie, da bin ich mir sicher!“
„Das ist nicht ungewöhnlich, dass jemand eine Tochter hat, auch nicht, dass Vater und Tochter sich aus den Augen verlieren“, warf Katja ein.
„Wie alt ist die Tochter heute?, fragte Robert.
„45. Was ihre Bemerkung betrifft, Frau, äähh, Frau Meyerhoff, da mögen Sie recht haben.“
„Zumeist braucht ein Vater aber eine Frau, um eine Tochter in die Welt zu setzen. Jedenfalls vor 45 Jahren, es sei denn, er hätte sie adoptiert.“ Robert klopfte ungeduldig mit den Fingern auf die Stuhllehne.
Der Anwalt blickte Robert und Katja an und lächelte. „Das, was Sie jetzt erfahren, wird in Ihren Ohren nach Seifenoper klingen. Wollen wir Kaffee oder Tee zusammen trinken?“
„Lieber Herr Doktor Kurtz. Wir sollen am Wochenende nach Miami fliegen und vorher noch einen Versuch wagen, den Tatort, wenn er denn einer war, zu besichtigen.“ Katja drängte.
„Erlauben Sie mir aber eine Tasse. Ich werde meinen Büroleiter bitten, uns die Kopie des Testaments zu bringen. Ich gehe schnell zu ihm.“
„Machen Sie das nicht telefonisch? Gehen Sie ernsthaft jedes Mal, wenn Sie ein Schriftstück brauchen, zu Ihrem Bürovorsteher?“, forschte Katja ungläubig nach.
„Ja. Sehen Sie da ein Problem? Ich bewege mich und meine Mitstreiter freuen sich über die geringe Distanz zwischen Chefbüro und ihnen.“
„Und Sie können kontrollieren, ob sie sich die Nägel feilen oder in der Nase pulen.“ Kurtz war aber schon durch die Tür und hatte Roberts Bemerkung nicht gehört.
Als der Anwalt wieder zu seinem Schreibtisch ging, balancierte er seinen Kaffee und drei Dokumente in seinen Händen.
„Bitte lesen Sie die Vollmacht, Herr Hauser.“ Er reichte Robert ein Blatt über den Tisch.
Robert überflog den Text, gab das Blatt zurück und bat: „Bitte ändern Sie die Zeilen, in der mir die Vollmacht erteilt wird, in Robert Hauser und Katja Meyerhoff handeln in meinem Auftrag, gemeinsam und jeder für sich allein, falls erforderlich.“
„Wer unterschreibt denn?“, fragte Katja. „Wir sehen Jordan erst am Wochenende, das ist für morgen zu spät.“
„Richtig, Frau Meyerhoff. Ich werde die Vollmacht unterzeichnen, weil ich wiederum von Fritz bevollmächtigt worden bin.“ Kurtz überreichte Katja das zweite Dokument, das diese las und an Robert weitergab.
„Einen Moment bitte“, bat der Anwalt und nahm tatsächlich sein Smartphone. „Herr Hegebusch, bitte ändern Sie die Vollmacht und bringen Sie sie in vierfacher Ausfertigung.“ Er diktierte ihm die Änderung und drückte auf den Button, um das Gespräch zu beenden. „Noch eines sollten Sie wissen.“ Kurtz deutete auf das dritte Dokument, ein verschlossener und mit einem klassischen roten Petschaftsiegel und einer Siegelmarke versehenen großen Umschlag. „Ich kenne den Inhalt auch nicht, vermute aber, dass sich das Testament, das heißt, eine Kopie desselben, darin befindet.“
Robert und Katja blickten ihn erstaunt, beinahe ungläubig an. Doktor Kurtz strich über die Glasfläche seines Schreibtisches, ohne Spuren zu hinterlassen. „Fritz ist sehr eigen in diesen Dingen.“ Er fuhr fort: „Die Tochter heißt Heidelinde Jordan und sie hat zwei Väter. Georg Braun als genetischen und Jordan als verwaltungstechnischen Vater.“
„Soll vorkommen“, warf Katja ein, „in den besten Familien, wie man so sagt. Dennoch, auch zwei Väter und eine Tochter brauchen eine Frau und Mutter.“
„Sie haben mit beidem recht, Frau Meyerhoff. Georg Braun ist der biologische Vater und Alexandra Jordan die Mutter.“
„Au, Alexandra Jordan ist die Mutter?“
„Alexandra und Georg hatten ein Verhältnis, nicht lang, aber eben ausreichend lang.“
„Wird schon mehr als ein paar Minuten angehalten haben, mehr ist im Prinzip nicht nötig, um ein Kind zu zeugen.“ Roberts Sarkasmus war nicht zu überhören.
„Wie lange spielt für uns keine Rolle“, entgegnete Kurtz. „Alexandra behielt das Kind, weil beide, also Fritz und sie, nach einigen Fehlgeburten noch ein Kind haben wollten. Sie behielt den Erzeuger jedoch für sich, auch Fritz gegenüber …“
„Dann muss Frau Jordan das Kind auf der letzten prämenopausalen Rille empfangen haben, oder war sie viel jünger?“, unterbrach Robert ihn.
„Herr Hauser, ich habe gelesen, dass Sie ein anerkannter Reporter mit Reputation sind. Beruht das auf solchen Bemerkungen? Aber ich muss Ihnen recht geben, es war so.“
Robert sagte: „In einer Seifenoper würden die Beteiligten jetzt einen Whisky kredenzt bekommen, um für den Rest entspannt zu sein.“
„Zu viel Fernsehen, Herr Hauser. Hätte ich nicht gedacht, aber auch Sie haben recht.“ Kurtz stand auf, öffnete eine Tür in der weiß lackierten Schrankwand. „Frau Meyerhoff, Sie auch?“
„Gern!“
Der Anwalt füllte drei Tumbler, legte vier Papieruntersetzer auf den Glastisch. Auf den vierten stellte er eine Karaffe. „Nehmen Sie ein paar Tropfen Highland Spring Water, die verfeinern das Aroma.“
„Ja, stimmt“, kommentierte Robert, nachdem sie die Gläser gehoben und einen Schluck genommen hatten. „Macallan Rare Cask Black Single Malt, so alt wie Heidelinde Jordan?“
„Sie haben einen guten Geschmack, Herr Hauser, halb so alt wie Heidi, die übrigens die Alleinerbin ist. Jedenfalls nehme ich es an. Wie gesagt, ich kenne das Testament nicht, ich bin nur der Lordsiegelbewahrer.“
Der Anwalt nahm noch einen Schluck. „Im Fernsehen würden Sie mich jetzt fragen, warum Georg eine Frau, zu der er keine Beziehung hatte, zu seiner Erbin einsetzt.“
„Nein, warum? Das bleibt jedem selbst überlassen“, erwiderte Robert.
„Da mögen Sie recht haben. Alexandra war sehr krank und wenige Wochen vor ihrem Tod kam sie mit Fritz und Georg in meine Kanzlei. Wir saßen hier und Alexandra erlöste sich quasi und eröffnete ihrem Mann, dass Heidi Günthers Tochter sei.“
„Beide fielen aus allen Wolken, nehme ich an.“ Katja war verblüfft.
„Sie verhielten sich wie Gentlemen und gaben sich die Hand. „Ich hätte dich beinahe adoptiert, Georg, weil ich immer einen Sohn haben wollte“, war Fritz einziger Kommentar.“
„Und Alexandra Jordan?“ fragte Katja.