4,99 €
Kurz vor Karneval: Im Kottenforst bei Bonn wird eine verbrannte Leiche gefunden, daneben ein zurückgelassener Koffer. Kommissarin Melly Papen und Streifenpolizist Heinz Heckenbusch ermitteln: Es handelt sich um Lea Wilkens, die junge, hübsche Tochter eines örtlichen Landwirts. Also wieder ein Fall für Landwirtschaftskontrolleur Mombert Graf Gryn von Frenz!
Bald stellt sich heraus, dass Lea im Internet alle Hüllen fallenließ - live vor der Kamera. Hat einer ihrer Zuschauer sie umgebracht? War jemand eifersüchtig? Mombert, Melly und Heinz ermitteln ...
Spannend, liebenswert-skurril, lustig - der vierte Fall für den ermittelnden Graf Mombert aus dem Rheinland.
Alle Fälle in der richtigen Reihenfolge:
1. Reibekuchenmord
2. Sauerbratentod
3. Hasenpfefferschwindel
4. Schnibbelbohnenaffäre
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 389
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Prolog
1. Ochsenauge
2. Tausendschön
3. Mädesüß
4. Drachenwurz
5. Wermutstropfen
6. Mauerblümchen
7. Kreuzblume
8. Zimtbaum
9. Schafgarbe
10. Stiefmütterchen
11. Pantoffelblume
12. Hundsveilchen
13. Leopardenblume
14. Vogelbeere
15. Schwarzäugige Susanne
16. Goldblume
17. Männertreu
18. Judasbaum
19. Schneeglöckchen
20. Entenschnabel
21. Krähenbeere
22. Feuerlilie
23. Ferkelkraut
24. Falsche Lilie
25. Knabenkraut
26. Natternkopf
27. Frauenschuh
28. Schlangenwurz
29. Witwenblume
30. Lebensbaum
31. Jakobs-Kreuzkraut
32. Blutauge
33. Venusfliegenfalle
34. Hasenglöckchen
35. Eisblumen
36. Belladonna
37. Vergissmeinnicht
38. Tollkirsche
39. Sonnentau
40. Immortelle
41. Geldbaum
42. Wolfsfußkraut
43. Fieberklee
44. Bärenklau
45. Madonnenlilie
46. Schierling
47. Engelstrompete
48. Katzenminze
49. Feuerlilie
50. Judasohr
51. Winterlinde
52. Mariendistel
53. Kreuzblume
54. Schneeball
55. Passionsblume
56. Zerberusbaum
57. Sonnenblume
Epilog
Glossar
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser,
vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.
Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.
Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.
Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!
Dein beTHRILLED-Team
Melde dich hier für unseren Newsletter an:
Kurz vor Karneval: Im Kottenforst bei Bonn wird eine verbrannte Leiche gefunden, daneben ein zurückgelassener Koffer. Kommissarin Melly Papen und Streifenpolizist Heinz Heckenbusch ermitteln: Es handelt sich um Lea Wilkens, die junge, hübsche Tochter eines örtlichen Landwirts. Also wieder ein Fall für Landwirtschaftskontrolleur Mombert Graf Gryn von Frenz!
Bald stellt sich heraus, dass Lea im Internet alle Hüllen fallenließ – live vor der Kamera. Hat einer ihrer Zuschauer sie umgebracht? War jemand eifersüchtig? Mombert, Melly und Heinz ermitteln …
Mila Kuhn
Schnibbel-Bohnen-Affäre
Provinzkrimi
Sie fror. Das Aufglimmen der Zigarettenspitze in der Dämmerung vermittelte kurz die Illusion von Wärme, doch der Rauch fühlte sich in ihrem Mund nur lau an. Sie zog den Reißverschluss der kurzen Plüschjacke so hoch es ging. Es half kaum. Ihre Beine in den Leggings unter dem viel zu kurzen Rock waren so kalt, als stünde sie im Eiswasser.
Beklommen sah sie sich um. Es war unheimlich hier auf dem kleinen Platz, über dem sich der Himmel rasch mit der Tusche der Nacht vollsog. Die Bäume vor dem dunklen Ultramarin warfen düstere Schatten auf den lehmigen Boden.
Was für eine bescheuerte Idee, ausgerechnet hierher zu kommen. Es war sonnig gewesen, als sie das geplant hatte, und ihre Träume waren bunt gewesen und hell. Sie hatte nicht bedacht, dass es jetzt im Winter schon am Spätnachmittag dunkel wurde.
Unbehaglich warf sie einen Blick auf das hoch aufragende, steinerne Kreuz am Rande des Platzes, das zwischen zwei Bänken aufragte. Besonders christlich sah es nicht aus mit den seltsam hervorstehenden Wolfstatzen auf dem Längsbalken. Eher wie das Gegenteil, wie irgendwas Okkultes. Der kleine Platz wirkte auf einmal noch unheimlicher.
Als ein plötzlicher Windstoß durch die Bäume fuhr, erschrak sie. Dann riss sie sich zusammen. Das war alles Unsinn, es gab hier nichts Gefährliches. Sie versuchte energisch, die düsteren Gedanken zu verscheuchen, zog einmal tief an der Zigarette und blies fast wütend den Rauch aus. Am besten schaute sie einfach auf den Weg.
Ein leises Geräusch in der Ferne, fast noch unhörbar. Waren das Schritte? Angestrengt sah sie in die Richtung, versuchte, das dichte Anthrazit der hereinbrechenden Nacht zu durchdringen.
Tatsächlich, noch ein gutes Stück entfernt bewegte sich eine Gestalt auf dem Waldweg. Das musste er sein. Endlich! Eigentlich hatte sie ihn von der anderen Seite des Wegs erwartet, aber egal.
Erleichtert nahm sie einen letzten tiefen Zug von der Zigarette, ließ die Kippe fallen und trat sie mit den hochhackigen Stiefeletten aus. Doch auf einmal hielt sie inne. Da war noch etwas anderes. Ein leises, schnelles Atmen, ganz in der Nähe. Das leise Traben eines Tieres, das viel zu rasch auf sie zukam. Ihr Magen wurde plötzlich wie von einem Schraubstock zusammengepresst. Als sie erschrocken Luft holte, machten ihre Stimmbänder unwillkürlich ein klägliches Geräusch.
Als der Wolf, dessen Fell in der Dunkelheit fast silbrig schimmerte, wenige Schritte vor ihr auftauchte, schrie sie auf. Ein uralter Fluchtinstinkt im Stammhirn ließ sie sich blitzschnell umdrehen und weglaufen. Doch schon nach wenigen Schritten stolperte sie wegen der hohen Absätze und stürzte. Mit panischem Schluchzen rappelte sie sich wieder auf, während das Atmen des Tieres nun fast direkt bei ihr war, und rannte erneut verzweifelt los.
Sie rief seinen Namen. Doch ihre Stimme hörte sich jämmerlich piepsig an. Es war wie in diesen Alpträumen, in denen man um Hilfe ruft, aber nur ein dünnes Krächzen aus dem Mund kommt. Wieso half er ihr denn nicht?
Ein grässlicher Gedanke ließ ihren Herzschlag aussetzen. Was, wenn es gar nicht er war, der sich da auf dem Weg näherte?
Landwirt Geub sitzt auf einer Holzbank vor seinem Fachwerkhaus und hat das Gesicht schluchzend in den Händen vergraben. Man sieht nur seine dunkelblaue Strickmütze. Auf meinen Gruß hat der stämmige Mann nicht reagiert. Ein bisschen ratlos betrachte ich ihn. Es ist sicher etwas Schlimmes passiert, wenn ein handfester Bauer so haltlos weint.
»Sie müssen meinen Mann entschuldigen.«
Jolina Geub, eine kräftig gebaute Mittdreißigerin, kommt hinter einem Vieh-Anhänger hervor. Sie stellt sich neben mich und betrachtet ihren Gatten achselzuckend.
»So ist er immer, wenn wir Rinder zum Schlachter karren müssen.«
Sie zeigt auf den Anhänger, der an einem Land Rover hängt und aus dem ein leises Scharren und Schnauben zu hören ist.
»Er ist sehr sentimental, wenn’s um unsere Tiere geht.«
Ich frage mich, wieso er dann Mastbullen hält, deren einzige Bestimmung letztlich die Reise zum Schlachthof ist. Ich spreche es aber nicht aus, sondern nicke höflich.
»Aha, verstehe. Ich muss allerdings heute bei Ihnen eine Betriebskontrolle vornehmen«, sage ich. »Ich hatte um neun Uhr angerufen, um mich anzukündigen, aber es hat niemand abgenommen.«
Ich spreche etwas lauter, damit mich auch der Bauer hört, dessen Schultern in dem karierten Flanellhemd heftig zucken.
Frau Geub nickt. »Kein Problem, ich kann das mit Ihnen machen.«
Sie wendet sich an ihren Mann. »Mario, ich fange mit dem Herrn …«
Fragend sieht sie mich an.
»Mombert Gryn von Frenz ist mein Name.«
Ich war zwar schon mal hier, aber die meisten Leute können sich meinen Namen nicht merken. Ich kann’s ihnen nicht verdenken. Viel lieber würde ich Möller heißen oder Schmitz. Dann wäre vieles einfacher, nicht nur die Sache mit dem Nachnamen. Denn meine gräfliche Familie hat sich in den Jahrhunderten nicht nur einen komischen Namen, sondern auch ein paar Dünkel zugelegt, auf die ich gut verzichten könnte.
»Ach, stimmt«, sagt die Landwirtin. »Also, Mario, dann fange ich mit dem Herrn, äh, Gruß-vom-Franz schon mal an, ne?«
Ich fahre leicht zusammen.
»Wenn es dir besser geht«, fährt Frau Geub an ihren Gatten gerichtet fort, »löst du mich einfach ab. Ich fahre die Tiere dann zum … du weißt schon.«
Der Bauer antwortet nicht, sondern schüttelt nur schniefend den Kopf. Seine Frau scheint das schon zu kennen und winkt mich kurzerhand hinter sich her in den offenen Viehstall.
Zehn Minuten später hat sich der Landwirt so weit beruhigt, dass er zu uns stoßen kann. Seine Frau lächelt ihn an und streichelt kurz seinen Arm. Dann nickt sie mir zu und verlässt den Stall. Ich messe gerade die Größe der Stände für die Bullen aus. Der Bauer beobachtet mich geistesabwesend, die Hände in den Taschen vergraben.
»Die Stände sind sehr großzügig bemessen«, lobe ich, um ihn aufzumuntern. »Das hat man selten. Die meisten quetschen so viele Tiere auf die Stallfläche, wie gerade noch erlaubt ist.«
Geub geht nicht darauf ein. »Er hatte einen so wunderbaren Charakter. Der Friedrich«, sagt er leise.
In seinen Augen schimmert es schon wieder verdächtig.
Ich sehe ihn fragend an.
»Und der Gustav, den habe ich eigenhändig mit der Flasche aufgezogen. Hab ihn Tag und Nacht gefüttert. Wie ein Baby.«
Seine Stimme bekommt einen zärtlichen Tonfall.
Mir wird klar, er spricht von den Bullen.
»Ja. Es sind wirklich, äh, großartige Tiere«, sage ich.
»Das sind sie.« Ermutigt von so viel Verständnis fährt der Bauer fort: »Aber am schlimmsten ist es wegen Heinz-Amadeus. Der wusste immer genau, was ich denke. Ich konnte ihm alles erzählen. Sogar, wenn ich mal Krach mit Jolina hatte. Wissen Sie, wenn der muht, so beruhigend, dann vergisst man alle Sorgen.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich denke an Kalli, meinen Ziegenbock, den ich vor dem Abdecker gerettet habe. Er wohnte eine Weile bei mir und Cora auf dem Hof. Inzwischen lebt er glücklich bei einer Ziegenzüchterin und ist Boss einer kleinen Herde. Mit ihm konnte ich auch absolut alles besprechen. So unter Männern.
»Ich weiß, was Sie denken«, sagt Geub. Er sieht jetzt fast wütend aus. »Sie denken, wenn der so an den Viechern hängt, wieso lässt er sie dann schlachten.«
Ich sage: »Eigentlich habe ich …«
Er unterbricht mich. »Ich hab den Betrieb von meinen Eltern übernommen.« Seine Stimme ist lauter geworden, so als ob er sich vor sich selbst rechtfertigen wollte. »Sie wohnen gleich nebenan, auf dem Altenteil.«
Er zeigt durchs Fenster auf ein zweites, kleineres Fachwerkhaus, das von einem hübschen Bauerngarten umgeben ist.
Ich sehe kälteunempfindliche Gemüse wie Mangold, Winterlauch und Grünkohl akkurat in Reih und Glied stehen.
»Die haben den Betrieb jahrzehntelang aufgebaut«, fährt der Bauer fort. »Nie Urlaub, kaum Freizeit, immer nur geschuftet. Ich kann ihnen das nicht antun, dass ich die Tiere abschaffe.«
Ich will ihm sagen, dass man sich von den Wünschen der Eltern irgendwann lösen muss, wenn es nicht die eigenen sind. Auch wenn das unangenehm ist. Doch dann fallen mir meine eigenen Eltern ein. Bis heute fühlt es sich mies an, dass sie über meine Berufswahl die Nase rümpfen. Ihre Enttäuschung lassen sie mich bei jeder Gelegenheit spüren, vor allem meine Mutter.
Ich verkneife mir daher meinen Kommentar. Mitten in unsere Gesprächspause hinein klingelt mein Handy. Auf dem Display erscheint die Nummer meines Kumpels Heinz, dem gemütlichen Dorfpolizisten.
»Mo, alter Junge, störe ich?«
Wie alle, die es gut mit mir meinen, kürzt er meinen Vornamen ab.
»Ein bisschen«, entgegne ich. »Ich bin gerade auf einer Hofkontrolle. Bei einem Bullenmastbetrieb.«
»Ah«, sagt Heinz und kichert. »Da fällt mir eine schöne Bauernregel ein: Klebt der Bauer an der Mauer, war der Stier wohl richtig sauer.«
Ich verdrehe die Augen. »Das ist ungemein witzig, Heinz, wirklich. Aber deshalb rufst du nicht an, oder?«
»Nee, ich muss dir was erzählen. Gestern am späten Abend meldete sich in meiner Dienststelle ein Hundebesitzer.«
»Aha. Kannst du mir das vielleicht auch noch später berichten?«, unterbreche ich ihn. »Ich muss hier wirklich weitermachen.«
»Moment, nur ganz kurz. Also, der Hundehalter war völlig aufgelöst. Er hat frühmorgens im Kottenforst einen vollen Koffer gefunden. Oder eher, sein Hund hat den gefunden, als er ins Gebüsch lief zum Pinkeln. In der Nähe vom Wolfskreuz.«
Ich wundere mich. »Und wieso war der Mann deshalb völlig aufgelöst? Ein herrenloser Koffer ist doch jetzt nicht so schlimm.«
»Nee«, stimmt Heinz zu. »Bloß, der Koffer war nicht herrenlos. Ein Stück entfernt, und nun halt dich fest, lag eine verbrannte Leiche.« Der Polizeiobermeister klingt fast begeistert. »Ich hab natürlich direkt Melly bei der Kriminaldirektion in Bonn angerufen, und sie …«
Das geht mir gerade alles ein bisschen schnell. »Moment mal!«, stoppe ich ihn. »Eine Leiche? Wieso? Und was hat die mit einem Kreuz zu tun?«, frage ich und sehe geistesabwesend auf Geub, der gerade einem jungen Stier die Hörner krault und beim Wort »Leiche« überrascht aufsieht.
»Ach, am Telefon ist das blöd«, sagt Heinz. »Ich erzähl dir am besten alles persönlich. Hast du nachher irgendwann Zeit? Ich hab heute in der Hauptstelle in Meckenheim Dienst. Ich kann hier nicht weg, kannst du vielleicht vorbeikommen?«
»Ich weiß nicht …«
Ich bin plötzlich nicht mehr sicher, ob ich erfahren will, was es mit der Leiche und dem Wolfsdings auf sich hat.
»Na ja, ich könnte vielleicht kurz bei dir reinschauen, falls ich hier früher fertig bin. Das kann aber noch Stunden dauern.«
»Kein Problem, ich bin den ganzen Tag hier.« Der Polizeiobermeister hat schon aufgelegt.
Den Rest der Begehung absolviere ich im Autopilot. Ich lasse Bauer Geubs Schwärmereien über seine überirdisch schönen Bullen an mir vorbeirauschen und versuche mühsam, mich auf seine Dokumentation zu konzentrieren.
Ich weiß nicht, wie es passiert ist, aber seit einiger Zeit bin ich irgendwie in so einen Zweitjob als Ermittler reingerutscht, obwohl das nie mein Plan war. Heinz dagegen, der sein Dasein als Dorfpolizist etwas eintönig findet, stürzt sich inzwischen mit Wonne auf neue Kriminalfälle. Beide haben wir die smarte Bonner Kriminaloberkommissarin Melly Papen schon öfters bei Mordermittlungen unterstützt. Aber diesmal werde ich bestimmt nicht helfen können. Vor allem will ich es nicht. Unwillkürlich nicke ich, wie um meine eigene Entschlossenheit zu bekräftigen.
Als ich mit der Kontrolle fertig bin, ist es fast Mittag. Ich steige in meinen kalten Passat Kombi und starre durch die angelaufene Windschutzscheibe. Obwohl ich friere, kriege ich irgendwie nicht den Impuls, den Zündschlüssel umzudrehen. Ich will nicht zu Heinz fahren und mich in was reinziehen lassen, was sich vielleicht wieder als gefährliches Spiel mit dem Feuer entpuppt. Ich bin schon einige Male selbst ins Fadenkreuz der Täter geraten. So was muss ich mir nicht mehr geben, ehrlich. Erst als Geub mit einer Schubkarre den Hof überquert und erstaunt guckt, weil mein Wagen immer noch dasteht, starte ich missmutig den Motor.
»Ist schon alles geklärt«, verkündet Heinz hochzufrieden, als ich mich schließlich doch in seinem Büro einfinde und mich auf einem klapprigen Stuhl niederlasse. Die ganze Einrichtung sieht aus, als stamme sie aus den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.
Immerhin ist es angenehm warm, der alte Heizkörper, der leise vor sich hin gurgelt, scheint förmlich zu glühen.
»Was meinst du mit ›alles geklärt‹?«, frage ich verständnislos.
»Melly hat schon zugestimmt«, antwortet Heinz, als sei damit alles gesagt.
»Äh, zugestimmt bei was?« Immer noch kapiere ich nur Bahnhof.
»Dass du und ich bei dem neuen Fall hinzugezogen werden, um sie zu unterstützen.« Heinz faltet zufrieden seine Pranken auf dem Tisch.
»Moment mal, nein, das geht nicht! Ich kann nicht, diesmal wirklich nicht!« Ich verhasple mich fast, weil ich gar nicht schnell genug widersprechen kann.
»Mo.« Heinz sieht mich so geduldig an wie ein Vater seinen pubertierenden Sohn. »Also, pass auf. Die Tochter eines Landwirts ist verschwunden. Und nun vermutet die Kripo, dass das Mädel die verkohlte Leiche am Wolfskreuz ist, Gott hab sie selig. Schließlich lag ihr Koffer fast gleich daneben. Wie eine Visitenkarte.«
Erwartungsvoll sieht er mir in die Augen.
»Und wieso guckst du mich jetzt so an?«, frage ich bockig.
»Toch-ter ei-nes Land-wirts?«, wiederholt Heinz und betont die Wörter, als ob ich geistig nicht ganz auf der Höhe wäre. »Das heißt, das fällt auch in deinen Bereich, Mo«, erklärt er. »Und in meinen sowieso, weil das arme Mädchen nämlich aus Röttgen war und ich die Gegend und die Leute hier nun mal gut kenne.« Er lächelt stolz. »Melly hat diesmal erstaunlich wenig Einwände gehabt, uns wieder als ›externe Experten‹«, er malt Anführungszeichen in die Luft, »hinzuzuziehen. Unser Trio hat sich halt bewährt.«
»Heinz, bei aller Freundschaft. Ich bin jetzt Vater. Ich meine, das war ich vorher auch schon, aber inzwischen habe ich wieder Kontakt zu Banu. Ich habe eine Verantwortung. Ich kann mich nicht mehr ständig mit irgendwelchen Psychopathen anlegen, die mich abmurksen wollen. Ich bin raus. Okay?«
Erleichtert atme ich aus. Ich habe eine klare Grenze gezogen. Ich wische mir die feuchten Hände an der Jeans ab und stehe auf.
»Ich muss dann auch wieder los«, verkünde ich. »Ich hab noch nicht Mittag gemacht, und anschließend warten noch zwei Nachkontrollen auf Höfen, wo es beim letzten Mal Mängel gab.«
»Nun stress mal nicht so rum«, sagt Heinz tiefenentspannt. »Du kannst genauso gut hier was essen. Ich war nämlich«, mit verheißungsvollem Blick bückt er sich zu einer großen Papiertasche, »gerade ein bisschen beim Bäcker einkaufen.«
Er wickelt ein Papptablett aus, auf dem eine große, knusprige Rolle aus Blätterteig liegt, die verführerisch duftet.
»Die ist mit Hackfleisch, Käse und Zwiebelchen gefüllt. Ist sogar noch warm«, verkündet er zufrieden.
»Na ja, also, wenn das so ist«, rutscht es mir raus, bevor ich etwas dagegen tun kann. »Ich könnte natürlich schnell einen Happen mitessen. Aber dann muss ich wirklich weiter.«
»Na klar.«
Zufrieden fischt Heinz ein Küchenmesser aus seiner Schreibtischschublade und fängt an, die Teigrolle in dicke Scheiben zu schneiden. Dann zückt er eine Packung Servietten, gibt mir eine und macht eine auffordernde Bewegung. Ich lege mir eines der goldbraunen Stücke auf die Serviette und beiße herzhaft hinein. Es schmeckt köstlich. Das Hack ist würzig und saftig, der Teigmantel darum herum kross.
Heinz stellt eine Tasse vor mich hin mit einem fröhlichen Polizisten drauf und der Aufschrift: Ich komme aus dem Blaulichtmilieu. Er gießt mir dampfenden Kaffee ein und grinst. »Und? Lecker, ne?« Auch er selbst nimmt sich eine Scheibe von der Hackrolle und fängt genüsslich an zu kauen. Dabei sieht er verstohlen auf seine Armbanduhr.
Ich bin fast mit der zweiten Scheibe fertig, als es klopft und zu meiner ziemlich grenzenlosen Überraschung Melly in unser trautes Mahl platzt.
»Endlich!«, murmelt Heinz, um sich schnell zu korrigieren: »Melly, du hier? Was verschafft uns die Ehre?«
»Ich wollte nur kurz … Huch, Mo, du bist auch hier?«, fragt sie mit künstlichem Erstaunen und lächelt mich an.
Wieso kriege ich das Gefühl, dass die beiden gerade eine ziemlich schlechte Schmierenkomödie aufführen?
»Ja, ich bin auch hier«, sage ich trocken. »Was kein Zufall ist. Heinz hat mich schließlich hergebeten.«
Zwar freue ich mich, Melly wiederzusehen, aber die Freude wird von Misstrauen überdeckt. Beim letzten Fall hat die smarte Kommissarin es irgendwie geschafft, mich wieder in die Ermittlungen reinzuluchsen, ohne dass ich wirklich kapiert hätte, wie sie das hingekriegt hat. Frauen sind irgendwie so verdammt gerissen. Fast tückisch. Da kommt man als geradlinig denkender Mann kaum gegen an.
»Das passt gut, dass du zufällig hier bist«, sagt die Oberkommissarin unschuldig. »Dann kann ich gleich euch beiden erzählen, was wir bisher wissen.«
»Iss doch erst mal was, Melly«, sagt Heinz und zieht für die Vegetarierin ein Tomaten-Mozzarella-Baguette aus der Bäckertüte hervor. »Willst du einen Kaffee dazu?«
»Wow, das ist ja perfekt«, sagt Melly erfreut, zieht einen alten Stuhl, der in der Ecke steht, zu sich heran und lässt sich daraufplumpsen. »Ich hab heute noch gar nichts gegessen. Bei Mordfällen geht es bei uns in Bonn immer drunter und drüber, nix mit Pause. Normalerweise macht mein Mann mir morgens wenigstens ein frisches Obstmüsli, aber heute war er noch im Bett, weil ich zu nachtschlafender Zeit losmusste.«
Sie beißt kräftig in ihr Baguette und fängt mit der Hand ein kleines Stück Tomate auf, das herausgerutscht ist.
»Also«, nuschelt sie, während sie das Tomatenstück noch in den Mund schiebt, »der Koffer, den die Zeugin gefunden hat, der gehörte Lea Wilkens aus Röttgen.« Sie schluckt den Bissen herunter und ergänzt: »Die Familie hat eine Landwirtschaft.« Sie wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu. »Zuckerrüben. Sie beliefern eine Raffinerie in Euskirchen.«
Beim Namen Wilkens bin ich kurz zusammengezuckt. Ich kenne den Betrieb. Ein mürrischer Landwirt mit einer farblosen Gattin. Dunkel erinnere ich mich, dass sie eine Tochter haben. Und war da nicht mal was mit einer geschlabberten Fortbildung, die der Bauer nicht gemacht hatte? Irgendwas zum Thema Pflanzenschutzmittel.
Melly hat meine Reaktion beobachtet. »Du kennst die Wilkens.« Es ist eher eine Feststellung als eine Frage.
»Kann sein. Ich weiß nicht genau«, behaupte ich einsilbig.
Die Kommissarin zieht ein Foto hervor und zeigt es uns. Darauf ist eine bildhübsche junge Frau zu sehen mit glattem, langem blondem Haar, den Mund zu einem kleinen Lächeln geöffnet, das weiße, gerade Zähne sehen lässt. Die hellgrauen Augen schauen selbstbewusst, und ihr Blick scheint ihr Gegenüber prüfend zu taxieren.
»Die verbrannte Leiche ist garantiert das arme Mädel«, nickt Heinz. Dann sieht er mich an. »Die Eltern haben ihre Tochter gestern am späten Abend als vermisst gemeldet. Ihre Handtasche war weg, und es fehlten Klamotten aus ihrem Kleiderschrank. Da sie volljährig ist, haben die Kollegen natürlich erst mal nichts unternommen. Sie dachten, die junge Frau hätte vielleicht Streit mit den Eltern gehabt und wäre ein paar Tage zu einer Freundin oder so gegangen.«
Melly nickt. »Ich fürchte auch, dass sie die Tote ist. Die Untersuchung wird das bestätigen, die Leiche ist schon im Institut für Rechtsmedizin in Bonn. Kann allerdings dauern, es ist nicht viel von ihr übrig, was man untersuchen könnte.«
Sie macht eine kurze Pause, und vor meinem inneren Auge poppt das hässliche Bild von einem schwarzen Etwas auf, das kaum noch als Mensch erkennbar ist. Mich schaudert, nur mühsam kriege ich den letzten Bissen meiner Pastete noch runtergeschluckt. Auch Heinz ist etwas blass um die Nase geworden.
»Und wann wurde die Leiche verbrannt?«, frage ich.
»Nach dem Abkühlungsgrad am nächsten Morgen schätzt der Kriminaltechniker, dass sie zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Uhr gebrannt haben muss«, fährt Melly entspannt kauend fort und fegt ein paar Krümel von ihrer Hose. »Brandbeschleuniger war offenbar Benzin.«
»Wieso gerade an der Stelle?«, fragt Heinz. »Ich meine, genau bei diesem Wolfskreuz mitten im Wald.«
Melly sagt nachdenklich: »Das wissen wir auch noch nicht. Es wirkt fast symbolisch. Passt eigentlich nicht zu einem Mädchenmörder.«
Sie hat recht. Doch vielleicht war es kein Triebtäter, sondern jemand, der sich für irgendwas rächen wollte? Schnell verdränge ich die Frage, schließlich werde ich bei den Ermittlungen nicht dabei sein.
»Aha«, sage ich deshalb betont desinteressiert, dann erhebe ich mich. »So, ihr Lieben, es war schön, euch zu sehen. Danke für die leckere Pastete, Heinz. Lasst uns demnächst alle mal wieder beim Jupp ein Bierchen zischen. Jetzt muss ich wieder, die Arbeit wartet.«
Entschlossen greife ich nach meiner Jacke, die über der Stuhllehne hängt, und wende mich zur Tür.
»Kleinen Moment noch, Mo«, sagt Melly schnell. »Weißt du, ich dachte, vielleicht könntest du …«
Ich bleibe stehen, ohne mich umzudrehen, die Hand fluchtbereit auf der Türklinke.
»Also, ich dachte, dass du bei den Wilkens und in ihrem Umfeld ein bisschen herumfragen könntest«, fährt die junge Kommissarin fort. »Die kennen dich ja offenbar. Das ist ein unschätzbarer Vorteil, weil es ihnen dann leichter fällt, sich zu öffnen, als wenn wir als Kripo da ankommen.«
»Melly, ich habe es Heinz schon gesagt: Diesmal bin ich leider nicht dabei.«
Entschieden mache ich die Tür auf, hebe noch mal kurz die Hand zum Abschied und verlasse das Büro.
Auf dem Weg zum Auto bin ich stolz auf mich. Ich habe mich von Melly und Heinz nicht einwickeln lassen, obwohl sie mich offenbar genau zu diesem Zweck in Heinz’ Dienststelle gelockt haben. Fast freue ich mich auf die langweiligen Nachkontrollen, die heute Nachmittag anstehen. Es kommt mir gerade vor, als ob die Landwirtschaft fast etwas Heimeliges hätte. Denn abgesehen von ein paar cholerischen Landwirten, die die Notwendigkeit von Prüfungen nicht ganz einsehen, gibt es dort keine Gefahren für einen Kontrolleur. Mein Beruf fühlt sich fast flauschig an. Mit einem Lächeln starte ich den Motor.
Auf der Fahrt nach Villiprott zum Alef-Hof geht mir die Sache mit dem Wolfskreuz trotzdem nicht aus dem Kopf. Was schon irgendwie nervt. Als ich vor der Hofeinfahrt halte, um die Nachkontrolle vorzunehmen, steige ich nicht sofort aus. Ich bemühe kurz mein Handy, um zu schauen, was es mit dem komischen Kreuz auf sich hat.
Die Suchmaschine verrät mir, dass es eigentlich Jakobskreuz heißt. Die Wolfspfoten auf dem Längsbalken weisen auf den Namen des Stifters hin. Das war nämlich der kurfürstliche Kämmerer und Geheime Rat Franz Joseph Graf Wolff-Metternich zu Gracht. Du meine Güte, was für ein Name. Dagegen bin ich mit meinem fast noch gut bedient. Sein Wappen prangt unten fett am Sockel des Kreuzes. Der Graf hatte es im 18. Jahrhundert errichten lassen als Ersatz für ein morsch gewordenes Holzkreuz, das dem Apostel Jakobus gewidmet war.
Nachdenklich kratze ich mich im Nacken. Wieso deponiert jemand eine Leiche genau dort und zündet sie an? Üblicherweise versuchen Mörder eher, eine Leiche verschwinden zu lassen. Und selbst wenn ein Täter sie stattdessen lieber verbrennt, um alle Spuren zu vernichten, macht er das nicht an so exponierter Stelle.
Ich schüttle unwillkürlich den Kopf. Das geht mich alles nichts an. Zum Glück. Entschlossen stecke ich das Handy wieder ein und steige aus, um Landwirt Jost Stoffels endlich mit der Nachkontrolle zu erfreuen.
Doch die Gedanken an den Mordfall wollen sich nicht abschütteln lassen. Wie ein Schwarm Stare, den man immer nur kurz verscheuchen kann, lassen sie sich hartnäckig immer wieder in meinem Kopf nieder. Unwillkürlich überlege ich sogar, wie ich rauskriegen könnte, was Melly und Heinz in den nächsten Tagen alles zu dem Fall herausfinden.
Wütend pfeife ich mich zurück. Wieso, verdammt, kann ich die Sache nicht einfach abhaken und denen überlassen, die so was berufsmäßig machen?
»Isch versteh dat nit. Die sin irgendwie verschüttgegangen«, behauptet Landwirt Stoffels vom Alef-Hof eine halbe Stunde später, nachdem ich ihn nach Belegen für seine Düngebedarfsermittlung gefragt habe. »Mir hatten die im Computer eingegeben. Und nu sindse weg. Dat is immer dat Problem mit die moderne Elektronik-Kacke. Taugt alles nix.«
»Sie sind aber sicher, dass Sie die Nitratwerte für die Flächen wirklich ermittelt haben?«, frage ich angegrätzt.
Stoffels hat ein eher bequemes Naturell, und ich kann mich an keine Kontrolle erinnern, bei der nicht irgendwas gefehlt hätte. Deshalb gehört sein Hof auch zu den Betrieben, auf denen ich gern mal öfters aufschlage.
»Evver klar doch!«, behauptet er empört. »Mein Sohn hat das gemacht. Vielleicht hat der die Daten verkrost.«
»Wo ist denn Ihr Sohn?«, frage ich.
»Der Bert kann hier nicht dabeikumme, der ist mal wieder unterwegs. Seit gestern isser ganz verschwunden. Übernachtet wohl bei irgend ner Schnalle.«
Ich erinnere mich dunkel an den schüchternen, leicht krumm gewachsenen jungen Mann, den ich bei den Kontrollen ab und zu gesehen habe. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er gleich mehrere Mädchen an der Hand haben soll.
»Hat er kein Handy?«, frage ich sauer, weil ich das Ganze für eine Ausrede halte.
»Doch. Aber der geht nicht ran, ich hab es schon versucht.« Der Bauer schüttelt den Kopf. »Der sagt mir nie, wo er is. Der sagt mir überhaupt nie was. Isch weiß nicht mal, wat der eigentlich denkt.«
Den letzten Satz hat er eher zu sich selbst gesagt. Er wirkt ratlos, und ich merke, die Sorge um seinen Junior ist echt. »Seit minge Frau vor zwei Jahren gestorben is, komm ich nicht mehr an den ran.«
Er tut mir leid, und ich höre mich sagen: »Okay. Dann reichen Sie mir die Werte eben nach.«
Obwohl das eigentlich nicht vorgesehen ist. Normalerweise wäre eine Buße fällig in Form einer Kürzung der Prämienzahlungen.
Der Landwirt sieht mir erleichtert nach, als ich wenig später meinen alten Passat Kombi wende und vom Hof fahre.
Ich weiß nicht, wie das kommt, aber mein Wagen scheint gerade einen Eigenwillen zu entfalten. Er steuert wie von selbst den Kottenforst an, genauer gesagt, das Örtchen Villiprott. Ich halte auf dem Parkplatz gegenüber dem Schönwaldhaus, einem malerischen großen Forsthaus aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ich kenne das Gutshaus mit dem Schieferdach und den grünen Fensterläden, denn ich war schon mal hier. Cora und ich haben hier einen unserer seltenen Spaziergänge gemacht. Für so was hat sie normalerweise keine Zeit, ihr Betrieb mit über tausend Schweinen erlaubt ihr weder Feierabende noch Wochenenden.
Ich lasse die Försterei links liegen und steuere zu Fuß den Kottenforst an. Vor meinem Gesicht bilden sich kleine Atemwolken. Es ist kalt und diesig, ein zementfarbener Himmel steht über den kahlen Bäumen. Meine Karten-App hat mir verraten, dass ich praktisch nur geradeaus gehen muss.
Nach knapp fünfundzwanzig Minuten erreiche ich einen kleinen, von Bäumen eingefassten Platz.
Ein hohes, helles Steinkreuz überragt das Rund, rechts und links davon stehen zwei Bänke für Wanderer. Ich schaue an dem Kreuz hoch. Reliefartig hervorstehende Wolfstatzen zieren seinen Hauptbalken. So was habe ich noch nie gesehen. Dann bleibt mein Blick hängen an einem kleinen Lamm, das den Schnittpunkt der Kreuzbalken markiert. Auch wenn es symbolisch für Jesus steht, wirkt die Kombi aus dem kleinen Tier und den kräftigen Wolfstatzen absonderlich. Fast unheimlich. So als hätte das Lamm keine Chance gegen den Jäger. Als wäre das Helle und Gute machtlos gegen das raubtierhaft Böse.
Unwillkürlich wandern meine Blicke in das niedrige Gebüsch hinter dem Kreuz. Ich gehe zögerlich ein paar Schritte in den Wald hinein. Farne und Unkraut streifen meine Knie. Etwa sechs Meter von dem kleinen Platz entfernt sehe ich sie: eine kahle Stelle im Gras, oval und ziemlich groß. Die nackte Erde dunkelbraun und rußig, die Grashalme am Rande verkohlt. Rot-weißes Flatterband umspannt den Tatort. Von der Leiche selbst ist nichts mehr zu sehen. Natürlich nicht. Sogar das letzte bisschen Asche wurde von den Kriminaltechnikern offenbar möglichst gründlich abgetragen.
Trotzdem zieht ein eisiges Gefühl durch meinen Magen, der diesige Wintertag ist noch ein Stück kälter geworden.
Gegen fünfzehn Uhr dreißig bin ich zurück im Landwirtschaftsamt. Gerade steuere ich meine Bürotür an, als ich eine Bewegung im Augenwinkel bemerke. Es ist mein Kollege Toni. Ich beschleunige meine Schritte. Überraschenderweise sagt er nichts. Er hebt nur schwach die Hand und öffnet seine eigene Bürotür, um bleich wie ein Geist darin zu verschwinden.
Ich stutze. Das ist irgendwie seltsam. Normalerweise nutzt Toni, der eigentlich Anton Küpper heißt, jede Gelegenheit, um mich in ein Gespräch über seine körperlichen Gebrechen und seine unfähigen Ärzte zu verwickeln.
Ich zucke die Achseln und öffne meine eigene Tür. Gerade habe ich den ersten Bericht zu den Kontrollen von heute Nachmittag angefangen, als es klopft. Moni, der Vorzimmerdrache vom Chef, steckt den Kopf herein. Als sie sieht, dass ich da bin, folgt ihre ganze Gestalt.
Sie ist sauertöpfisch und bissig, deshalb nenne ich sie statt Moni gern Dämoni. Trotzdem muss ich zugeben, dass sie verdammt gut aussieht mit ihrem leicht gebräunten Teint, den kurzen braunen Locken und der etwas fülligen Figur, bei der alles genau am richtigen Platz sitzt. Doch die ganze Optik ist Verschwendung, weil sie immer so mies drauf ist. Und weil sie einen unterirdischen Kleidungsstil pflegt. Heute trägt sie ein grünes Glitzershirt aus Polyester, das aussieht, als ob es bei jeder Bewegung Funken schlägt und ständig droht, sich selbst zu entzünden. Sie betritt mein Büro fast nie, daher bin ich überrascht.
»Ich muss was mit Ihnen besprechen«, fängt sie an und setzt sich ungefragt auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. »Sie sind doch mit dem Kollegen Toni befreundet.«
Ich will widersprechen, doch sie übergeht es und fährt fort: »Also, mit dem stimmt was nicht. Aber ganz gehörig.«
»Wieso?«, frage ich lustlos.
Dabei habe ich längst selbst bemerkt, dass der Toni in letzter Zeit zunehmend zum Schatten seiner selbst wird. Er ist abgemagert und hat dunkle Ränder unter den Augen, was seine Erdmännchen-Optik noch verstärkt.
»Der wird doch diesmal nicht wirklich krank sein?«, fragt Moni in Anspielung auf Tonis ausgewachsene Hypochondrie.
»Glaub ich nicht«, sage ich, obwohl ich mir auf einmal auch nicht mehr so sicher bin.
»Sie müssen den fragen!«, sagt Dämoni entschieden. »Ihnen vertraut er am meisten.«
»Was? Also, da bin ich wirklich der Falsche.«
Ich hebe abwehrend die Hände und suche fieberhaft nach einer Ausrede.
»Die Julia Koslowski und der Chef haben das auch schon gesagt«, schiebt Moni energisch nach.
Wieso sich Julia Koslowski für Tonis Wohlergehen interessiert, ist mir schleierhaft. Schließlich hat er sich nach seiner kurzen Liebschaft mit ihr doch für seine Ehefrau entschieden, was Julia sehr erzürnt hat.
»Wir finden alle, Sie sind der Richtige dafür, Herr Graf«, resümiert Moni.
Das mit dem Grafen sagt sie nur, um mich milde zu stimmen, denn meinen Titel mag sie normalerweise ebenso wenig wie mich selbst. Ich mag ihn übrigens auch nicht.
Missmutig lenke ich ein: »Meinetwegen. Ich kann den Toni mal ansprechen. Aber ich glaub nicht, dass das was bringt.«
»Gut.«
Zufrieden nickend erhebt sie sich und verschwindet wieder zur Tür hinaus.
Na super. Lustlos mache ich weiter mit den Berichten und lasse mir dabei extra viel Zeit. Es ist weit nach achtzehn Uhr, als ich fertig bin. Ich frohlocke. Bestimmt ist Toni längst heimgegangen, er legt Wert darauf, immer pünktlich Schluss zu machen. Aber als ich mein Büro verlasse, sehe ich, dass unter seiner Tür noch Lichtschein hervorkommt. Verdammt.
Seufzend klopfe ich an.
Zuerst kommt keine Reaktion, und ich denke erleichtert, dass er wohl doch schon nach Hause gegangen ist und nur das Licht vergessen hat. Doch dann tönt es von drinnen kaum hörbar: »Ja?«
Ich stecke den Oberkörper in sein Büro. »Toni, altes Haus! Ich dachte, du hättest vergessen, die Lampen auszumachen. Wieso bist du denn noch hier?«
Er sieht nicht auf. Auf seinem PC kreist das Muster des Bildschirmschoners, und er starrt wie hypnotisiert darauf. »Was soll ich denn zu Hause?«, fragt er tonlos.
»Keine Ahnung«, entgegne ich. »Essen? Fernsehen? Es dir mit deiner Katja auf dem Sofa gemütlich machen?«
Er stößt ein bitteres Schnaufen aus. »Können vor Lachen.«
»Wieso, was ist denn los?«
Ich zwinge mich, ein interessiertes Gesicht zu machen. Schließlich muss ich Dämoni früher oder später Bericht erstatten.
»Das willst du nicht wissen!«, sagt er tonlos.
Er weiß gar nicht, wie recht er hat. Trotzdem hake ich nach.
»Nun sag schon, Toni. Bist du krank?«
»Das auch. Ist ja auch kein Wunder nach dem, was passiert ist.«
Es geht mir ungeheuer auf den Sack, dass ich Toni auch noch alle Fäden einzeln aus der Nase ziehen soll. Am liebsten würde ich seine Tür einfach wieder zumachen.
Er scheint meinen Impuls zu spüren und sieht nun doch auf. Sein Blick ist leer. Er hebt hilflos die Arme und versucht, einen Satz zu formulieren. Aber sein Mund geht nur auf und zu. Und auf einmal lässt er die Arme schlaff herabhängen und legt den Kopf auf den Schreibtisch. Dann fängt er an, haltlos zu schluchzen.
Das überfordert mich nun doch ziemlich. Ich verfluche mich, weil ich mich auf die Sache eingelassen habe. Böser Fehler. Das musste ja schiefgehen. Doch nun ist es zu spät.
»Ist es was Schlimmes?«, frage ich. »Und hat das wirklich der Arzt gesagt, oder hast du das wieder selbst gegoogelt?«, schiebe ich etwas lauter nach, um sein Heulen zu übertönen.
»Nein. Es ist was anderes«, schluchzt er. »Du weißt doch noch, vor ein paar Monaten, als du vor unserem Haus diese schönen Metal-Balladen gesungen hast. Damit sich meine Katja freut und wir uns wieder näherkommen.«
»Ich bin noch nicht dement, klar weiß ich das noch. Aber deine Katja war nicht zu Hause.«
Wohlwollend erinnere ich mich an mein dennoch sehr erfolgreiches Straßenkonzert, bei dem ich viel Beifall aus den umliegenden Fenstern und von Passanten bekommen hatte.
Jetzt schnaubt Toni: »Genau. Katja war nicht da. Weil sie nämlich einen verdammten Lover hat!«
Toni schreit es, als ob das meine Schuld wäre.
»Ach Toni, das glaube ich nicht, du machst dir bestimmt ganz unnötige Sorgen«, beruhige ich ihn.
»Ich weiß es.« Tonis Gesichtsausdruck spiegelt reinste Fassungslosigkeit wider, als er ergänzt: »Ich habe … Also eigentlich wollte ich das nicht, aber … Okay, ich hab einen Privatdetektiv beauftragt.«
»Das hast du nicht getan!« Sprachlos starre ich ihn an.
»Doch!«, entgegnet er trotzig. »Mir blieb nichts anderes übrig. Katja war ständig weg. Behauptete, sie hätte Termine bei der Kosmetikerin oder wäre beim Yoga. Aber ich wusste, da stimmt was nicht. Sie brezelte sich viel zu sehr auf. Und kam immer erst spätabends wieder.«
Unerwartet habe ich ein bisschen Mitleid. »Och Mensch, Toni. Das ist natürlich wirklich Mist!«
»Ich weiß, ich bin selbst schuld«, heult er. »Ich hätte nicht mit Julia Koslowski … du weißt ja. Aber das war doch nur ganz kurz. Katja hat ihre Affäre dagegen schon seit Monaten.« Er hält vier Finger hoch. »Seit. Vier. Verdammten. Monaten!«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin nicht gut in Gefühlsdingen. Ich frage mich, was Cora an meiner Stelle tun würde. Sie kann so was. Und auf einmal fällt mir die Lösung ein.
»Jetzt kommst du erst mal mit zu mir. Cora kann uns bestimmt was Gutes zu essen machen.«
»Ich hab keinen Hunger«, sagt Toni bockig.
Immerhin hat er aufgehört zu heulen.
»Egal, ein bisschen Gesellschaft wird dir guttun. Und nun komm!«
Cora wundert sich nur kurz, als ich mit Toni im Schlepptau vor ihrer Tür stehe. Nach einem fragenden Blick auf mich und nach meiner knappen Erklärung: »Ihm geht’s gerade nicht so gut. Zu Hause ist’s momentan schwierig«, lächelt sie Toni warmherzig an, zieht ihn ins Haus und sagt: »Sie sehen ja völlig verhungert aus. Das müssen wir ändern. Ich hab einen kalten Krustenbraten da, von meinen eigenen Schweinen. Ich sag Ihnen, der ist ein Gedicht. Den schneide ich gleich auf. Und ein leckeres Bierchen steht auch kalt.«
Ich bin stolz auf sie. Sie weiß einfach immer, was zu tun ist, im Gegensatz zu mir ungeschicktem Klotz. Sogar Tonis Gesellschaft kommt mir gar nicht mehr so schlimm vor, wenn Cora dabei ist und ihn mit freundlichem Blick ein wenig bemuttert. Toni himmelt sie denn auch innerhalb von Minuten an wie ein Dackel. Mehrere Kölsch und viele Scheiben Braten mit Senf, Zwiebeln und knusprigem Bauernbrot später sieht Tonis Gesicht längst nicht mehr so elend aus. Während ich in der Küche die Spülmaschine einräume, höre ich, wie Cora im Esszimmer tröstend auf ihn einredet. Ich fange nur einzelne Sätze auf.
»Manchmal ist es der Anfang von etwas Gutem«, sagt sie. Und: »Vielleicht braucht Ihre Katja das jetzt, um Ihnen verzeihen zu können.«
Es scheint zu helfen. Als ich den leicht angeschickerten Toni gegen Mitternacht ins Auto verfrachte und heimfahre, sitzt er zwar wortkarg, aber mit durchaus hoffnungsvollem Gesicht neben mir.
Als ich am nächsten Morgen unseren frisch gebohnerten Amtsflur betrete, schallt mir die liebliche Stimme unseres Amtsleiters Lucius Frings entgegen.
»Ah, Gryn von Frenz, gut, dat isch Sie sehe. Kommen Se mal bei misch rein!«
Er steht vor seiner offenen Bürotür am Ende des Korridors und winkt eifrig.
Ich zucke zusammen. Bitte nicht schon am frühen Morgen! Bestimmt will er mich ausquetschen, was der Toni denn nun hat. Schicksalsergeben steuere ich das herrschaftliche Chefgemach an.
Drinnen zeigt Frings auf einen lächerlich niedrigen Stuhl, der vor seinem überdimensionierten Schreibtisch steht.
»Setzen Se sich doch!«
Dann klettert er auf sein schwarzes Monstrum von Chefsessel und blickt trotz seines Zwergmaßes von eins achtundsechzig auf mich herunter.
Gerade will ich sagen, dass es dem Toni schon besser geht, da sagt Frings zu meiner Überraschung:
»Von Gryn, mir ist zu Ohren gekommen, dat Sie ein Amtshilfe-Ersuchen abgelehnt haben.«
»Äh, was bitte?«
Verständnislos sehe ich ihn an.
»Jawoll. Und zwar von der Bonner Kripo. Denen sind Se ja schon öfters zur Seite jestanden. Wieso wollen Se denen denn diesmal nit helfen?«
»Was meinen Sie?«
»Nun stellen Se sisch doch nicht so dumm. Minge Frünnd, der Heinz Heckenbusch, hat mir verzellt, dass die Frau Dingenskirchen … Frau Papen Sie gebeten hat, der Kripo als Berater zur Seite zu stehen. Un dass Sie das verweigert haben.«
Fassungslos starre ich ihn an. »Das hat der Heinz gesagt?«
»Nit direkt, aber sinnjemäß. Er meinte, ich soll Ihnen ins Jewissen reden. Damit Sie die Kripo bei dem Mordfall von dem armen Mädscha am Wolfskreuz unterstützen.« Er schüttelt tadelnd den Kopf. »Mensch, von Gryn! Wat spricht denn dagegen? Sie hatten doch da sonst auch kein Problem mit.«
»Es ist … Es kostet mich zu viel Zeit, die mir hier für meine Aufgaben fehlt.«
Ich unterstreiche meine Worte mit einem Blick, der reinste Besorgnis um meine Arbeitsleistung ausdrückt.
Frings macht eine Handbewegung, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen.
»Von Gryn, dat is alles eine Frage der Planung. Machen Se Ihre Arbeit effizienter, dann klappt auch dat bisschen Unterstützung für die Kripo. Dat machen Se doch aus der Lamäng!«
Na super. Ich bin stinksauer. Vor allem auf Heinz, der mir ausgerechnet bei Frings in den Rücken gefallen ist. Vermutlich war das von Anfang an sein Plan. Ich denke wieder daran, wie gelassen er reagiert hat, als ich gesagt habe, dass ich diesmal nicht mit von der Partie sein werde. Und Melly steckt vermutlich auch mit drin.
»Also, dann wär dat geklärt«, sagt Frings zufrieden. »Ich verlasse mich auf Ihnen. Machen Se unserem Amt Ehre!«
Aha, darum geht es ihm. Es fällt nämlich auch auf ihn zurück, wenn ein Mitarbeiter des Landwirtschaftsamts positive Schlagzeilen macht. Und es bringt ihn seinem größten Traum, einer Versetzung in die Landwirtschaftskammer Köln, ein Stück näher.
Frings macht eine scheuchende Handbewegung, die signalisiert, dass das Gespräch beendet und somit alles geklärt ist.
Doch diesmal hat er sich verrechnet, beschließe ich stur, während ich seine Tür etwas lauter, als es klug ist, hinter mir zufallen lasse.
Ich stapfe den Flur entlang zu meinem Büro. Ich werde Heinz anrufen und ihm die Leviten lesen. Aber so was von. Fast habe ich meine Tür erreicht, da kommt Dämoni seitlich aus ihrem Büro geschossen und verstellt mir den Weg.
»Und?«, fragt sie.
»Was und?«
»Haben Sie schon mit dem Toni Küpper gesprochen?«
Ich bin gerade nicht in der Stimmung, mich über Tonis Seelenlage zu unterhalten. »Hab ich. Dem geht’s besser«, antworte ich knapp.
»Und was hatte er?«, hakt sie energisch nach.
»Ach, der hatte in letzter Zeit Dings, Appetitlosigkeit. Meine Freundin Cora hat das in Ordnung gebracht. Sie kocht sehr gut, wissen Sie.«
»Ach so?« Leicht enttäuscht sieht Dämoni mich an. »Das war alles?«
»Ja. Seine Katja hat wohl in letzter Zeit wenig Zeit zu kochen. Sie ist momentan abends … viel unterwegs. Und von so Fertigzeugs wird dem Toni halt immer schlecht. Sein empfindlicher Magen, Sie wissen schon«, erkläre ich noch, bevor ich weitergehe.
»Ach, deshalb ist der so blass und so dünn geworden«, murmelt Dämoni mitfühlend. »So ein Armer. Ein gestandener Mann muss doch tüchtig essen.«
Kopfschüttelnd zieht sie sich wieder in ihre Drachenhöhle zurück.
»Heinz, ich bin’s, Mo. Wir müssen reden!«, sage ich kurz darauf sauer in den Hörer.
Ich habe vor, meinen intriganten Freund gehörig zusammenzufalten. Aber bevor ich dazu komme, unterbricht er mich.
»Ah, Mo! Das passt prima!«, ruft er fröhlich. »Kennst du diese Bauernregel schon: Fliegt der Bauer um den Turm, dann ist meistens starker Sturm.«
»Sehr schön, dann wissen wir das jetzt auch«, knurre ich. »Weswegen ich dich anrufe«, will ich ärgerlich fortfahren, doch der Polizist unterbricht mich erneut.
»Du, der Fall ist wirklich dermaßen spannend. Weißt du, was die Kripo zu hören gekriegt hat, als sie Lea Wilkens’ Freundinnen befragt hat? Ich sag dir, das Mädel war schon ein ziemliches Früchtchen!«
»Wieso?«, rutscht es mir raus. »Ich meine, das ist mir völlig egal«, schiebe ich schnell nach. »Heinz, wie kommst du eigentlich dazu, dem Frings …«
Da bricht es aus Heinz heraus: »Sie hatte einen Sex-Kanal. Im Internet.«
Ich bin überrascht. »Sex-Kanal? Was meinst du damit?«
»Wie, was meine ich damit? Ich meine damit, dass Lea Wilkens sich vor der Kamera ausgezogen hat«, sagt Heinz.
Dann schränkt er ein: »Also nicht ganz, sie hatte so knappes Zeug an, du weißt schon. Und sie hat wohl komische Sachen gemacht. An sich rumgefummelt, was weiß ich.«
Der Polizist klingt verlegen.
»Woher wisst ihr das?«
Ich vergesse kurz, dass mich das eigentlich nicht interessieren sollte.
»Sie benutzte auf ihrem Channel zwar so eine Art Künstlernamen«, erklärt Heinz. »Irgendwas mit ›Ladybird‹ oder so. Aber es gab ein paar junge Frauen in ihrem Dorf, die uns gar nicht schnell genug davon erzählen konnten.«
»War das denn ihr, äh, Hauptberuf?«, frage ich.
»Nee. Sie hat eine Ausbildung zur kaufmännischen, wie hieß das noch, Assistentin, gemacht«, entgegnet der Polizeiobermeister. »Beim Berufskolleg in Rheinbach.«
»Und nun glaubt die Kripo, dass ihre Nebentätigkeit im Internet etwas mit ihrer Ermordung zu tun hat?«, frage ich und könnte mir schon wieder auf die Zunge beißen.
»Ja, vielleicht.«
Jetzt platzt es doch aus mir heraus. »Heinz, wie konntet ihr nur, du und Melly! Mir ausgerechnet den Frings auf den Hals zu hetzen. Spinnt ihr eigentlich völlig?«
»Mo, ich hab den nicht auf dich gehetzt. Ich hab dir bloß helfen wollen. Damit du weißt, du musst das Ermitteln nicht mehr heimlich machen. Weil Frings nämlich diesmal im Vorhinein Bescheid weiß und es erlaubt. Du willst doch in Wirklichkeit mitmachen.«
»Da weißt du mehr als ich«, schnappe ich.
»Komm schon, du saugst doch förmlich alles auf, was Melly und ich dir über den Fall erzählen.«
»Gar nicht wahr«, grummle ich ertappt.
Unwillkürlich muss ich an meinen neugierigen Besuch beim Wolfskreuz denken. Von dem erzähle ich Heinz lieber nichts.
»Es würde so helfen, wenn du dabei wärst«, versucht der Polizeiobermeister es nun auf die schmeichelnde Tour. »Niemand kann auf den Höfen so unauffällig ermitteln wie du, das weißt du doch.«
Ich habe den Verdacht, dass sich Heinz in Wirklichkeit einfach wünscht, dass unser investigatives Trio wieder vollständig ist.
»Nix. Ich bleib dabei«, sage ich stur. »Diesmal schafft ihr das ohne mich.«
Dann klicke ich das Gespräch weg.
Fast habe ich ein schlechtes Gewissen. Stimmt es? Lasse ich Melly und Heinz hängen, wenn ich nicht mitmache? Immerhin sind wir Freunde, und unter Freunden hilft man sich. Ich verscheuche den lästigen Gedanken, greife nach meinem Autoschlüssel und stehe auf. Am besten mache ich einfach meinen normalen Job auf den Höfen und sonst nichts.
Kurz darauf stehe ich mit Landwirtin Eva Petry, bei der heute eine Betriebsprüfung ansteht, vor einer Weide mit schwarzen Dexter-Rindern.
»Ich weiß nicht, ob ich das richtig berechnet habe«, sagt sie gerade mit piepsiger Stimme.
Ich muss heute kontrollieren, ob die junge Bäuerin, die etwa Anfang zwanzig ist, wirklich extensive Viehhaltung praktizieren kann. Denn dafür hat sie Prämienzahlungen beantragt. Und um die zu bekommen, darf sie im kommenden Sommerhalbjahr nur maximal »eins Komma vier Raufutter fressende Großvieheinheiten je Hektar Grünland« halten, wie es im herrlichsten Amtsdeutsch heißt. Wie auch immer man eine Kuh in einen solchen Dezimalbruch unterteilt.
»Ich komm mit diesen Berechnungen nicht klar«, seufzt die blasse junge Frau.
Mit allem anderen auch nicht, denke ich und betrachte zweifelnd die Mini-Herde aus sechs Rindern, die wiederkäuend im Gras liegen und uns aus glasigen Augen beobachten. Wie will sie denn davon leben?
»Ich hab auch noch die Wachteln«, rechtfertigt die Petry sich, die meinen Blick offenbar bemerkt hat.
Genau, denke ich. Die zwanzig Piepmätze reißen’s bestimmt raus. Ich werde nie ganz schlau aus diesen Landwirten im Quereinstieg, die glauben, mit Klein-Klein gegen die Konkurrenz anstinken zu können.
»Ich weiß, das ist alles noch nicht rentabel«, seufzt sie wieder, ohne dass ich etwas gesagt habe. Auf einmal wirkt das Gesicht der Jungbäuerin, die aussieht, als ob sie nicht mal genug zu essen hätte, bitter. »Aber hatten Sie schon mal einen Burnout?«
Sie mustert mich eindringlich. Unwillkürlich ziehe ich den Bauch etwas ein, als ihr Blick dort hängen bleibt.
