Schöpfung -  - E-Book

Schöpfung E-Book

0,0

Beschreibung

Schöpfung – angesichts der Ökologiekrise beweist der Begriff ein erstaunlich säkularisierungsresistentes Potenzial, trotz seiner Spannung zu unserem naturwissenschaftlichen Weltbild. Was heißt heute von der Welt als Schöpfung sprechen? In Heft 1/2023 wird aus verschiedenen Perspektiven der Gehalt, die Herausforderung, das semantische Potenzial des Themas Schöpfung ausgelotet. Namhafte Autorinnen und Autoren geben Auskunft und Orientierung zu einem Schlüsselbegriff unserer Zeit.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 247

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



THEOLOGISCH-PRAKTISCHE QUARTALSCHRIFT

171. Jahrgang 2023

Herausgeber: Die Professorinnen und Professoren der Fakultät für Theologie der Katholischen Privat-Universität Linz

Redaktion:

Dr. theol. Ines Weber

Professorin der Kirchengeschichte und Patrologie

Mag. theol. Bernhard Kagerer

Redaktionsleiter

Dr. theol. Klara-Antonia Csiszar

Professorin für Pastoraltheologie

Dr. theol. Franz Gruber

Professor der Dogmatik und Ökumenischen Theologie

Dr. theol. Franz Hubmann

Emeritierter Professor der alttestamentlichen Bibelwissenschaft

Dr. theol. Christian Spieß

Professor der Christlichen Sozialwissenschaften

Inhalt

Schwerpunktthema Schöpfung

Editorial

Franz Gruber

Zurück in die Zukunft.

Schöpfung im Neuen Testament

Hans-Georg Gradl

Die Energie der Schöpfung und die Schöpfung der Energie.

Zum Wechselspiel von Glauben und Wissen, Gott und Mensch

Ernst Peter Fischer

Zu einer kopernikanischen Wende in der Schöpfungstheologie

Sibylle Trawöger

Mitgefühl und Fürsorge

Schöpfung aus der Perspektive der Spirituellen Theologie

Michael Rosenberger

Schöpfungstheologie in ethischer Perspektive

Markus Vogt

Berta Cáceres zu Ehren.

Ein interspirituelles Requiem

Elisabeth Steffens

Abhandlungen

Nächstenliebe nur für „unsere Leute“, „echte Familien“ und das „Abendland“?

Über Zusammenhänge zwischen religiösen und rechtspopulistischen Sozialpolitikvorstellungen

Roland Atzmüller

„Gott spricht“

Nikolaus Klein

Literatur

Das aktuelle theologische Buch

Franz Gruber

Besprechungen

Neuerscheinungen

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser!

Das Wort „Schöpfung“ ist unter den Grundworten des christlichen Glaubens nicht nur höchst aktuell, sondern auch überraschend resilient. Es trotzt dem Druck eines säkularen Zeitalters. Es scheint weniger auf eine „rettende Aneignung“ (J. Habermas) angewiesen zu sein als andere Grundworte. Offenbar wird es auch unter den Bedingungen der Moderne verstanden, obwohl es vielleicht sogar wie kein anderes Wort des Glaubens einer fundamentalen „Entzauberung“ ausgesetzt war. Freilich gewinnt dieses Wort seine Relevanz heute vor allem durch die ökologische Bedrohung unserer Heimat Erde. Es ist das Geschöpf „Mensch“, das dem Planeten zusetzt.

Das vorliegende Themenheft versucht, aus diesem großen Glaubenswort verschiedene Aspekte und Zugänge zu erschließen. Den Auftakt setzt der Trierer Professor für Exegese des Neuen Testaments Hans-Georg Gradl: Nicht nur für das Alte Testament, auch für das Neue Testament ist „Schöpfung“ grundlegend. Dieses Thema zieht sich durch die Evangelien über die Briefe des Paulus, die Apostelgeschichte bis hin zur Johannes-Offenbarung. In kompakten Schritten beleuchtet Gradl die schöpfungs-theologischen Fäden im NT und kommt zum Ergebnis: Der Begriff Schöpfung hat auch ökumenische und interreligiöse Weite: alle Menschen werden durch sie miteinander verbunden. In einem bewusst gesetzten Perspektivenwechsel lassen wir danach den Naturwissenschaftler und Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer zu Wort kommen: In seinem Beitrag zeigt er entlang einzelner Aspekte der Geschichte der Naturwissenschaften, dass deren Entdeckungen und Erkenntnisse gleichsam immer einen Bedeutungsüberschuss mit sich tragen. Am Beispiel des physikalischen Grundbegriffs der Energie oder des biologischen Grundbegriffs des Zufalls zeigt Fischer, dass unsere Wirklichkeit allein mit naturwissenschaftlichem Blick nicht hinreichend zu fassen ist. Auch die Religion gehört hinzu, denn die Wissenschaft hebt das Geheimnisvolle der Natur nicht auf, sondern vertieft sie. Fischer erwähnt Wolfgang Pauli und Albert Einstein, die darum wussten und eine Komplementarität von Religion und Naturwissenschaft suchten.

Die Theologin Sibylle Trawöger, Professorin für Dogmatik an der Universität Graz, stellt sich in ihren Reflexionen einer Metapher, mit der sich die Schöpfungstheologie und Theologische Anthropologie zu beschäftigen hat: Der Mensch als Krone der Schöpfung, als Nabel der Welt? Trawöger diagnostiziert eine kopernikanische Wende in der Verschiebung des Nabels der Welt, des Symbols für die Mitte der Welt, des Zentrums des Denkens. Der Mensch ist organisch kein solipsistisches Subjekt, er trägt in seinem eigenen Leib sein Leben ermöglichende Mikroorganismen, das menschliche Biom. Diese Tatsache unterläuft also die klassische Unterscheidung von Subjekt Mensch und Objekt Natur. Will sich der Mensch als Subjekt verstehen, ist seine Umwelt kein Objekt mehr, sondern eine Art Ko-Subjekt. Das bedeutet: Beziehung, Relation ist das Zentrum des Denkens, nicht Subjektivität.

Bezogenheit auf die Natur, auf die nichtmenschlichen Lebewesen ist auch das Thema des Linzer Moraltheologen Michael Rosenberger. Aus der Perspektive der spirituellen Theologie erschließt er spirituelle Schichten in der Umweltbewegung, die der christlichen Schöpfungstheologie neue Impulse verleihen können. Anhand der spanischen Originalbegriffe der Enzyklika Laudato si´ von Papst Franziskus entfaltet Rosenberger die Bedeutungstiefe des Begriffs „cuidado“ (Sorge, Sorgfalt, Mitgefühl, Fürsorge), der im Deutschen mit dem eher abstrakten Begriff „Schöpfungsverantwortung“ übersetzt wird. Der Autor plädiert dafür, das genuin christliche Moment neu zu entdecken: Die Geschöpfwerdung Gottes, seine Compassion in der Menschwerdung Jesu.

Von der Spiritualität zur Ethik: diesen Schritt unternimmt der nächste Beitrag, der aus der Feder des Münchner Sozialethikers an der Ludwig-Maximilians-Universität, Markus Vogt, stammt. Vogt greift die Erblast des christlichen Schöpfungsglaubens auf: den sogenannten Herrschaftsauftrag aus Genesis 1. In einer Relecture dieses Textes zeigt der Autor, dass die „Tatsache“ der Schöpfung auch heute noch aktuelle Prinzipien für eine Umweltethik freigibt: Gottebenbildlichkeit, Mitgeschöpflichkeit, Ehrfurcht und die Ökonomie der Gabe sind zentrale Leitbegriffe für eine naturethische Erschließung der christlichen Schöpfungstheologie.

Den Schlussakkord setzt die Lateinamerikanistin und ehemalige Mitarbeiterin im Päpstlichen Missionswerk der Frauen in Koblenz, Elisabeth Steffens. Ihr Beitrag ist ein Zeugnis: Die Erinnerung an Berta Cáceres, einer Umweltaktivistin aus dem Volk der Lenca, die in Honduras und El Salvador leben. Ihr Engagement kostete Berta Cáceres gewaltsam das Leben. Die Autorin zeigt die tiefe naturverbundene Spiritualität der Lencas auf, die sich in wesentlichen Grundzügen auch mit der christlichen Spiritualität der Schöpfung verbinden. Steffens zeigt dies an Motiven der Umweltenzyklika von Papst Franziskus.

Zwei weitere Beiträge beschließen das Heft 1/23: Roland Atzmüller untersucht den höchst aktuellen Zusammenhang von religiösen und rechtspopulistischen Konzepten der Sozialpolitik; der Jesuit Nikolaus Klein befasst sich in seinem Beitrag mit der Bedeutung der Stimme Gottes im Alten Testament.

Liebe Leserinnen und Leser der ThPQ: So unterschiedlich und thematisch vielschichtig die einzelnen Beiträge dieser Ausgabe auch sind, sie haben einen gemeinsamen roten Faden: „Schöpfung“ ist der Begriff dafür, dass wir von Voraussetzungen leben, die wir nicht selbst hergestellt haben: unser Leben, unsere Mitwelt und Umwelt – und das ist vor allem jene Wirklichkeit, die wir als den Grund der Schöpfung benennen: Gott.

Ich wünsche Ihnen anregende Stunden bei der Lektüre im ersten Heft des Jahres 2023, das nach 30 Jahren wieder in einem neuen Layout und mit einem neuen Cover erscheint. Wir hoffen, dass Ihnen unser kreativer Eingriff in das Erscheinungsbild der ThPQ gefällt. Möge dieses neue Jahr auch für Sie ein gutes und gesegnetes Jahr werden!

Ihr Franz Gruber

Im Namen der Redaktion

Einem Teil dieser Ausgabe liegen Prospekte des Verlags Friedrich Pustet bei. Wir bitten um Beachtung.

Hans-Georg Gradl

Zurück in die Zukunft

Schöpfung im Neuen Testament

Die Grundlagen für die neutestamentlichen Aussagen zur Schöpfung sind, wie der Verfasser, Professor für Neues Testament in Trier betont, im Alten Testament gelegt; auf ihnen baut sich eine interessante Entwicklung der Gedanken auf. Schon die jesuanische Verkündigung der Gottesherrschaft bezieht sich in den Gleichnissen auf die gute Schöpfung, aber übersieht auch nicht ihre Heilungsbedürftigkeit. Letztere steht bei Paulus im Vordergrund, wobei er die Hoffnung auf ihre Überwindung in der Auferweckung Jesu begründet sieht, die zum Maßstab einer neuen Schöpfung mit der Aufhebung aller Unterschiede wird. Der Paulus der Apostelgeschichte wiederum nützt die Schöpfungsthematik als einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die Verkündigung der christlichen Botschaft in der Heidenwelt. Die Offenbarung des Johannes schließlich führt die gesamte Heilsgeschichte, angefangen in der Genesis, in der Überwindung des Bösen und im Blick auf den neuen Himmel und die neue Erde zusammen zum glücklichen Ende. So unterschiedlich die Blickwinkel auch sein mögen, sie bieten, wie Verf. am Ende aufzeigt, wichtige Ansätze für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung. (Redaktion)

Wer nach der biblischen Vorstellung von der Schöpfung fragt, greift zum Alten Testament. Das ist verständlich: Die Schöpfungserzählungen am Beginn der hebräischen Bibel legen den Grundstein. Sie sind bekannt und – als Resultat einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit den Schöpfungsmythen der Umwelt Israels – breitflächig erforscht.

Das Neue Testament dagegen fristet als Gesprächspartner eher ein schöpfungstheologisches Schattendasein: unberechtigterweise! Ausgehend von der Verkündigung Jesu nämlich – die ihrerseits auf der Glaubensüberzeugung Israels basiert – entwickelt das Urchristentum eine facettenreiche und erstaunlich aktuelle Schöpfungstheologie. Es geht um die Frage nach der Herkunft und dem Ziel, dem Zustand und dem Sinn, aber auch um die Rolle und die Verantwortung des Menschen inmitten der Schöpfung.

1. Der historische Jesus: Schöpfung als Lehrbuch

Eine eigenständige, systematische Reflexion über die Schöpfung findet sich in der Überlieferung der Verkündigung Jesu nicht. Doch das Thema ist präsent: in den Gleichnissen, die Jesus zur Verkündigung der Gottesherrschaft gebraucht, und in seinem Wirken, das vom gegenwärtigen Zustand und von der Zukunft der Schöpfung erzählt. Als Jude atmet und teilt Jesus die Glaubensüberzeugung Israels: Die Welt wurde von einem guten Schöpfergott ins Dasein gerufen. Diesen Gott nennt Jesus „Abba“, geliebter Vater.1 In der Schöpfung spiegelt sich die Vatersorge Gottes um all seine Geschöpfe: Kein Spatz fällt zur Erde ohne das Wissen des Schöpfers (Mt 10,29). Gottes Größe und Schöpfungsmacht lassen sich an Vögeln und Pflanzen regelrecht ablesen. Sie werden ersichtlich an den Raben, die Gott nährt (Lk 12,24), und an der prachtvollen Schönheit der Lilien auf dem Feld, die Gott kleidet (Lk 12,27). Selbst das Gras des Ackers (Mt 6,30) dient Jesus als Anschauungsmaterial. Die Schöpfung wird zum Erkenntnismedium: Die Größe und Fürsorge des Schöpfers spiegeln sich darin. Die als Bild und Gleichnis verwendeten Schöpfungsmotive lassen eine enorme Wertschätzung der Schöpfung erkennen: Jesus vergleicht das Reich Gottes mit einem Senfkorn (Mk 4,31) und mit etwas Sauerteig (Mt 13,33). Er spricht vom Acker, vom Weinberg, von Weizen und Unkraut, von der Sonne, die tagtäglich aufgeht, und vom Regen, der die Felder tränkt. Der Rückgriff auf derart viele Schöpfungselemente ist ein Beleg für die Achtung gegenüber der Schöpfung. Staunend sollte der Mensch auf die Gaben der Schöpfung schauen, die ihm – ohne eigenes Zutun – geschenkt werden: „Der Same keimt und wächst“, der Mensch „weiß nicht wie. Die Erde bringt von selbst Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann den vollen Weizen in der Ähre“ (Mk 4,27–28). Da herrscht keine Gedankenlosigkeit gegenüber den Gaben der Schöpfung. Im Gegenteil: Respektvoll wird von einem Bissen Brot (Mt 6,11) und einem Schluck Wasser (Mk 9,41) gesprochen.

Gleichwohl ergeht sich Jesus keineswegs in einer naiven Naturromantik. Die Schöpfung ist nicht nur gut und schön. Sie ist gebrochen und bedarf der Heilung. Ein Gutteil der Jesusüberlieferung umfasst Heilungen: Jesus wendet sich Kranken und Leidenden zu (Mk 1,34). Er versteht sein Wirken als punktuelle Verwirklichung des Gottesreichs. Für einen Moment zumindest blitzt in der Überwindung von Krankheit, Leid und Tod eine tief ersehnte neue Schöpfung auf: „Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Lk 11,20). In der Beseitigung von Schmerzen und Mangel lässt sich physisch erfahren, was Gott mit seiner Schöpfung wollte und weiterhin will. Dabei bleibt der Grund für die Gebrochenheit dieser Schöpfung im Dunkeln. Jesus ergeht sich nicht in einfachen Schuldzuweisungen, wie wenn die leidvolle Seite der Schöpfung nur von Menschen gemacht und zu verantworten wäre. Da wird kein plumper Tun-Ergehen-Zusammenhang vertreten: Der Mensch leidet nicht nur, weil er selbst oder irgendjemand gesündigt hat (Joh 9,2–3). Fast trotzig mutet demgegenüber das Wirken Jesu an: Leiden und Schmerzen sind Störfaktoren und schöpfungstheologische Fremdkörper. Sie wecken Barmherzigkeit und rufen zur Solidarität auf. Vor allem aber schürt die Gebrochenheit dieser Welt die Hoffnung auf einen Gott, der mit seiner Schöpfung noch nicht fertig ist. Am Horizont der Verkündigung Jesu steht die Erwartung der Herrschaft Gottes, die den Tod und all seine Trabanten entmachten wird. Insofern hat auch der Glaube an die Auferweckung Jesu eine schöpfungstheologische Sinnspitze. Die frühen Christen begreifen die Errettung Jesu aus dem Tod als den Anbruch einer neuen Schöpfung. Als „Erstling der Entschlafenen“ (1 Kor 15,20) ist er der hoffnungsfroh stimmende Beginn: Grund genug, um sich einer Schöpfung entgegenzusehnen, die nicht mehr dem Tod unterworfen ist.

2. Paulus: eine Schöpfung in Geburtswehen

Das Thema Schöpfung stellt für Paulus eine Kommunikationsbasis und Verkündigungsbrücke dar. In den völkerweltlichen Gemeinden, die er auf seinen Reisen gründet und besucht und in seinen Briefen adressiert, lässt sich mit der Schöpfung argumentieren: Die Schöpfung verbindet Menschen unterschiedlichster Herkunft.

Ein zentraler gemeinsamer Erfahrungswert ist dabei das Leiden an und in der Schöpfung. Paulus ergeht sich nicht in schwärmerischen Schöpfungshymnen. Vielmehr gilt: Jeder Mensch erfährt und erleidet, dass „die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen ist“ (Röm 8,20). Die gesamte Schöpfung „seufzt“ (Röm 8,22). Doch Paulus deutet dieses Ächzen der gesamten Schöpfung und aller Kreatur als „Geburtswehen“ (Röm 8,22).2 Das Trostpotential ist offensichtlich: Die Gebrochenheit der Schöpfung ist nicht das Ende, das als solches nur in Verzweiflung stürzen könnte, sondern ein Hoffnung weckendes Durchgangsstadium (Röm 8,24).

Den entscheidenden Grund für diese Hoffnung erkennt Paulus in der Auferweckung Jesu. Hier hat Gott seine Macht über den Tod offenbart. An die Hoffnung auf diesen Gott des Lebens, der „durch seine Macht auch uns auferwecken wird“ (1 Kor 6,14), hängt Paulus seine gesamte Existenz: Der Riss, der die Schöpfung durchzieht, der Leiden und Tod in einer von Gott gut gemachten Schöpfung bedingt, ist – im Keim und dem Ansatz nach – geheilt: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1 Kor 15,22).3

Diese gläubig erhoffte Zukunft verändert die Wahrnehmung der Gegenwart. Die Schöpfung ist kein unvollkommenes oder gar misslungenes Handwerksstück eines unfähigen Schöpfers, an dem der Mensch leidet. Die Schöpfung wird zum Ort des erfahrbaren Heilswirken Gottes. Das Wissen um den guten Ausgang der Geschichte setzt das Leben in ein anderes Licht. „Bedrängnis, Angst Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr oder Schwert“ (Röm 8,35) – alles wird überwindbar. Die in Jesu Auferweckung ansichtig gewordene neue Schöpfung ist weit mehr als ein bloß abstrakter theologischer Wissensschatz. Dieser Glaube hat konkret lebenspraktische Folgen: „Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld“ (Röm 8,25). Mit Blick auf die neue Schöpfung werden bisherige Grenzen überwunden: „Denn weder Beschneidung noch Unbeschnittensein ist etwas, sondern eine neue Schöpfung“ (Gal 6,15). Darum ist die neue Schöpfung auch nicht erst eine Größe der Zukunft. Sie bestimmt die Gegenwart: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er neue Schöpfung; das Alte ging vorüber, siehe, Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17).

Man kann sich vorstellen, wie befreiend diese Botschaft gewirkt haben mag: Standesgrenzen verschwimmen, soziale Gegensätze werden aufgehoben, die bleierne Endgültigkeit des Todes ist überwunden. Die neue Schöpfung lässt aufatmen und eröffnet schon inmitten der „alten“ Schöpfung schier paradiesische Aussichten.

3. Die Apostelgeschichte: Schöpfung als egalitärer Erfahrungsraum

Der zweite Teil des lukanischen Doppelwerks erzählt von der – im Rückblick sicher idealisierten, aber die Adressaten motivierenden – Ausbreitung des jungen Christentums: Die Reise beginnt in Jerusalem und endet in Rom. Nach wie vor hat die These viel für sich, dass dort – in Rom – die anvisierten Adressaten der Apostelgeschichte zu finden sind. Der Autor führt die Geschichte – und damit die Verkündigung des Evangeliums – bis an die Türschwelle seiner Leserinnen und Leser heran. In einer römischen Mietwohnung verkündet Paulus das Evangelium „in aller Offenheit“ und „ungehindert“ (Apg 28,31). Er gibt den Stab weiter. Er tritt von der Bühne ab. Die Adressaten werden zu Protagonisten: An ihnen liegt es nun fortzuführen, was – unter großer Kraftanstrengung – erreicht wurde. Der „gewaltige(n) Siegeslauf des Evangeliums“4 soll nicht enden.

Das Thema Schöpfung tritt vor allem in den zahlreichen Missionsreden der Apostelgeschichte zutage. An unterschiedlichen Orten und vor verschiedensten Zuhörern fassen große Gestalten der Urzeit – Petrus, Jakobus oder Paulus – das Wirken Jesu zusammen und übersetzen das Evangelium in neue Kulturkreise hinein. Gerade in der Begegnung mit fremden Kulturen und der paganen reichsrömischen Religion dient die Schöpfung als Argumentationsbasis. Der „Weg“ – wie sich das frühe Christentum nennt (Apg 9,2) – muss sich auf unbekanntem Terrain bewähren und mit neuen Verständnisvoraussetzungen umgehen. Außerhalb des Judentums lässt sich nur bedingt auf die Überzeugungskraft der jüdischen Schriften setzen und mit den Ereignissen der jüdischen Heilsgeschichte argumentieren. Anders verhält es sich dagegen mit der Schöpfung, die einen gemeinsamen – allgemein menschlichen und überreligiösen – Bezugsrahmen und Erfahrungswert darstellt. Das Thema Schöpfung ist für die urchristliche Verkündigung ein Ankerplatz in der Erfahrungswelt der Gesprächspartner und eine entscheidende Kommunikationschance.

Die Schöpfung wird dabei in dreierlei Hinsicht als Argument ins Feld geführt. Während eines Besuchs in Lystra wird ein Gelähmter von Paulus – und dessen Begleiter Barnabas – geheilt (Apg 14,8–18).5 Die Menge ist überwältigt und hält Paulus und Barnabas für „Götter“, die „Menschengestalt angenommen haben und zu uns herabgestiegen sind“ (Apg 14,11). Eine gottgleiche Verehrung aber lehnt Paulus mit einem schöpfungstheologischen Argument ab: „Auch wir sind nur Menschen wie ihr und verkünden euch das Evangelium, damit ihr euch von diesen nichtigen Götzen zum lebendigen Gott bekehrt, der den Himmel und die Erde und das Meer und alles in ihnen schuf; in den zurückliegenden Geschlechtern ließ er alle Völker ihre Wege gehen; allerdings hat er sich ihnen dadurch bezeugt, dass er Gutes tat, euch vom Himmel Regen gibt und fruchtbringende Zeiten und mit Nahrung und Freude eure Herzen sättigt“ (Apg 14,15–17). Mit dem Verweis auf die Schöpfung legt Paulus den Grund für eine gemeinsame interreligiöse Gesprächsbasis. Die Schöpfung verbindet, denn jeder Mensch ist Teil der Schöpfung. Kein Mensch verdankt sein Leben sich selbst: Das Leben und die Schöpfung weisen auf einen Schöpfer hin. Sonne und Regen, die fruchtbringende Erde und der Wechsel der Jahreszeiten lassen auf einen Schöpfergott schließen. Die Schöpfung wird als Erkenntnismedium gesehen und als Argument für die Existenz Gottes, der die Schöpfung ins Leben rief, verstanden.

Zugleich besitzt die Rede von Gott, dem Schöpfer aller Menschen, ein egalitäres Potenzial. Unterschiede trennen nicht mehr, da die Herkunft jedes Menschen von Gott eine fundamentale Gleichheit und Würde aller Menschen bedingt. Mit dem Glauben an einen Schöpfer aller Menschen wird im vorliegenden Fall eine gottgleiche Verehrung von Menschen abgewehrt. Barnabas und Paulus „zerrissen ihre Gewänder, stürzten sich in die Menge und riefen: Männer, was tut ihr da? Auch wir sind nur Menschen wie ihr (…)“ (Apg 14,14–15). Aber auch in der Frage nach den Zulassungsbedingungen im Kontext des Apostelkonvents in Jerusalem spielt das schöpfungstheologische Argument eine Rolle. Der Name Gottes ist über allen Völkern ausgerufen (Apg 15,17). Nicht von ungefähr werden nicht dezidiert jüdische Zulassungsbedingungen – die Beschneidung und das Gesetz – aufgestellt. Die Jakobusklauseln stellen vielmehr eine Auswahl aus den noachidischen Geboten (Gen 9,1–13) dar, die nach rabbinischer Auffassung grundlegender Natur sind und für alle Menschen gelten. Bei der Entscheidung über die Zulassung von Menschen aus der Völkerwelt greift das frühe Christentum argumentativ auf den Bund Gottes mit Noach zurück. Dieser wird noch vor der Berufung Abrahams und vor dem Sinaibund geschlossen: Dieser Bund ruht auf dem Fundament der Schöpfung und ergibt sich aus dem Glauben an den einen Schöpfer aller Menschen. Das universale Potenzial des Schöpfungsglaubens spielt in der universalen Ausbreitung des frühen Christentums eine entscheidende Rolle.

Schließlich beinhaltet der Verweis auf die Schöpfung – auf Gott, den Schöpfer aller Menschen – in der Apostelgeschichte einen machtkritischen Aspekt. Das schöpfungstheologische Argument scheint ein derart egalitäres Potenzial zu haben, dass jedwede Überlegenheit oder Herrschaft von Menschen über Menschen kritisch zu hinterfragen ist. Die universale und schöpfungstheologisch begründete Autorität des Schöpfers stellt irdische Autoritäten auf den Prüfstand. „Man muss“, so formulieren Petrus und die Apostel im Kontext einer Verfolgung durch jüdische Autoritäten, „Gott mehr gehorchen als Menschen“ (Apg 5,29).

Vor allen Unterschieden sind die Menschen als Geschöpfe Gottes gleich. Das heißt aber auch: Schöpfung ist für alle da. Wo Lebensbedingungen geraubt oder geschmälert werden, wo sich Menschen über andere erheben oder gar Menschen ihrer geschöpflichen Würde beraubt werden, schreit christliche Schöpfungstheologie auf. Immer dann gilt: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen“ (Apg 5,29).

4. Die Johannesapokalypse: eine Schöpfung in Bedrängnis

Mehr als 500 Zitate und Anspielungen auf das Alte Testament – allen voran auf die großen prophetischen Bücher Jesaja, Jeremia, Daniel und Ezechiel – finden sich in der Offenbarung des Johannes. Die Visionen des Sehers finden zwischen Buchrollen statt: Im Lesen der prophetischen Schriften macht Johannes diese – was das Wort „Apokalypse“ wörtlich übersetzt heißt – „Ent-deckungen“. Er buchstabiert – im Glauben an den Messias Jesus – die Schriften Israels aus und aktualisiert sie in der Welt seiner kleinasiatischen Adressaten am Ende des 1. Jahrhunderts. Sein Buch ist ein Werk eigener Art. Johannes betreibt Theologie im Modus der visionären Schau: Er benutzt Farben, Formen und Motive, Gegensätze und Zahlensymbolik. Er setzt auf die Wirkung der Bilder. Nur mit Vernunft und Sachverstand lässt sich die Apokalypse nicht fassen. Sie will vielmehr Emotionen wecken: Freude entfachen und Ekel erregen. Johannes verfolgt ein durch und durch ganzheitliches Ansinnen und zieht seine Adressaten in ein symbolisches Universum hinein. Im Lauf des Lektüreprozesses will Johannes Einsicht wecken und die Schleier lüften: Was steht im Hintergrund der Welt? Warum ist die Welt so, wie sie ist? Gibt es Hoffnung am Horizont, über alle Erdenschwere hinaus?

Anfang, Mitte und Schluss des Apokalyptischen Hauptteils der Offenbarung (Offb 4,1–22,6) sind von der Schöpfungsthematik geprägt. Die erste Vision, die Johannes nach der Öffnung des Himmels (Offb 4,1) sieht, beinhaltet ein eindrückliches Portrait des Schöpfers (Offb 4,1–11). Gott thront im Himmel. Im Unterschied zu anderen Thronsaalvisionen der prophetischen Bücher wird Gott nicht direkt beschrieben: Johannes vermeidet jedwede allzu menschliche Darstellung Gottes. Die Tatsache, dass Gott thront, macht deutlich, dass regiert wird, dass Gott – als Schöpfer – im Regiment sitzt. Gott lässt sich nicht direkt schauen. Nur anhand der Umgebung, anhand von Ereignissen oder Phänomenen lässt sich ermessen, wer Gott ist. Schon der Bogen, der sich um den Thron wölbt (Offb 4,3), erinnert an Gen 9,13: an das Ende der Flut, an die Treue und Barmherzigkeit Gottes gegenüber seiner Schöpfung. Der Thronende ist von vier Lebewesen umgeben, die jeweils einem Löwen, einem Stier, einem Menschen und einem Adler gleichen (Offb 4,7). Der Schöpfer ist von allen Arten seiner Geschöpfe umgeben: der Löwe vertritt die Wildtiere, der Stier die Nutztiere und der Adler die Flugtiere. Auch der Mensch als vernunftbegabte Krone der Schöpfung fehlt nicht. Am Ende wird dem Schöpfer Lob gesungen: „Du bist es, der alles erschaffen hat“ (Offb 4,11). Johannes zieht daraus eine so politische wie machtkritische Konsequenz: Nur dem Schöpfer gebühren „Herrlichkeit, Ehre und Macht“ (Offb 4,11). Der Konflikt lässt nicht lange auf sich warten: Drache, Tiere und das mit dem Codewort Babylon bezeichnete Römerreich trachten nach der Macht, um die Erde auszubeuten und „zu verderben“ (Offb 11,18). Der weitere Verlauf der Apokalypse stellt die sukzessive Entmachtung dieser Todesschergen dar: Am Ende triumphiert Gott. Eine neue Schöpfung wird Wirklichkeit, die noch heller strahlt als das Paradies selbst: „Nacht wird nicht mehr sein, und sie brauchen nicht das Licht einer Lampe und nicht das Licht der Sonne, denn Gott, der Herr, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen in alle Ewigkeit“ (Offb 22,5).

Warum die Schöpfung so gebrochen ist, wie sie ist, erklärt Johannes in der Mitte des Apokalyptischen Hauptteils durch die Vision vom Drachensturz (Offb 12). Schon die kurze Schilderung des Kampfes (Offb 12,7–8) macht die Unterlegenheit des Drachens deutlich: Er wird aus dem Himmel geworfen und stürzt auf die Erde. Dort treibt er – aber eben nur für eine begrenzte Zeit – sein Unwesen (Offb 12,12). In symbolisch-mythologischen Bildern deutet Johannes die Bedrängnis auf Erden als Auswirkung eines im Himmel bereits errungenen Sieges. Das verwandelt die Welt zwar nicht gleich ins Paradies, vermag aber doch zu trösten. Der Drache ist tödlich verwundet. Das Leid, das von ihm auf Erden verursacht wird, ist begrenzt: Die Bedrängnis währt nur „eine kurze Zeit“ (Offb 12,12) und lässt sich durchstehen. Sie ist ins Licht einer sich unaufhaltsam durchsetzenden Rettung und Erlösung getaucht.

Am Ende des Apokalyptischen Hauptteils setzt Johannes diese Rettung mit eindrücklichen Farben und Motiven ins Bild: Das himmlische Jerusalem, die endzeitliche Gottesstadt kommt von oben her aus dem Himmel herab (Offb 21,2.10). Die Bewegung ist entscheidend: Die Rettung wächst nicht evolutiv, aufgrund menschlicher Leistung aus dem Erdboden empor. Sie ist vielmehr ein Geschenk, eine Gabe Gottes: Sie kommt von oben. Die Beschreibung der Gottesstadt greift auf alttestamentliche Motive zurück und überbietet doch die Urzeit: Sie stellt das einstige Paradies in den Schatten. Was dort verloren ging, wird dem Menschen in überbordender Fülle wieder geschenkt: Früchte zur Heilung, Lebenswasser, Gemeinschaft miteinander und mit Gott, ein Leben ohne Krankheit, Leid und Tod (Offb 21,1–22,5). Der schöpfungstheologische Spannungsbogen der Bibel endet: Am Schluss wird die Neuschöpfung gefeiert und – von den Adressaten der Johannesapokalypse – sehnsüchtig erwartet (Offb 22,17.20). Der Schöpfer lässt seine Schöpfung nicht fallen. Er ruht nicht, bis es heißt: „Siehe, ich mache alles neu“ (Offb 21,5). Das Ende greift auf den Anfang zurück: Die Gottesstadt gleicht jener einst von Gott gut gedachten, aber – warum auch immer – verlorengegangenen Schöpfung. Die Apokalypse blickt zurück und streckt sich nach vorne aus: Zurück in die Zukunft! Es wird nicht nur die urzeitliche Vergangenheit ersehnt, sondern die Vollendung der Geschichte erfleht: Es geht um nichts weniger als eine neue Schöpfung, die nicht länger der Vergänglichkeit unterworfen ist und die nichts Böses mehr kennt.

5. Schöpfungstheologische Einsichten

Die Schöpfung hat in den Schriften des Neuen Testaments verschiedene Facetten.6 Am Ende soll es um den Beitrag und die Bedeutung der neutestamentlichen Schöpfungstheologie in den gegenwärtigen Diskursen zur Bewahrung der Schöpfung und zur Verantwortung des Menschen gegenüber der Schöpfung gehen.

Ganz grundlegend weiß das Neue Testament von der Erlösungsbedürftigkeit der Schöpfung. So wie die Schöpfung ist, ist sie nicht perfekt. Dies hat – bei aller menschengemachten Missachtung und schuldhaften Zerstörung der Schöpfung – nicht nur der Mensch zu verantworten. Es geht um mehr: Mit der Tatsache, dass die Schöpfung vergänglich und der Mensch sterblich ist, kann sich der Glaube nicht abfinden. So passt die Schöpfung nicht zur Vorstellung von einem guten und weisen Schöpfergott. Leiden, Sterben und Untergang bleiben Störfaktoren: Sie lassen auf die Heilung und Verwandlung der Schöpfung harren. „Der letzte Feind“, sagt Paulus, den es zu vernichten gilt, damit die Schöpfung so ist, wie sie gedacht war, „ist der Tod“ (1 Kor 15,26). Die neutestamentliche Betrachtung der Schöpfung offenbart beides: Spuren tiefer Schönheit und großen Glücks, die auf einen guten Schöpfergott schließen lassen; aber eben auch Entsetzen und Grauen über die Vergänglichkeit, die auf einen guten Schöpfergott hoffen lassen.

Die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung versteht das Neue Testament in einem durch und durch ganzheitlichen Sinn.7 Es geht nicht nur um Taten, sondern um das Selbstverständnis: um die Rolle des Menschen inmitten der Schöpfung und um den Sinn und das Ziel der gesamten Schöpfung. So entscheidend die Reduktion von Müll, ein ressourcenschonendes Verhalten oder eine nachhaltige Energiegewinnung sind, es geht um weit mehr: um grundlegende Werte, wie Bescheidenheit und Demut, um ein Anerkennen des Schöpfers und um die Würde aller Mitgeschöpfe. Das ist der Same, aus dem Maßstäbe und Verhaltensweisen wachsen, um die Schöpfung zu achten und den Nächsten zu lieben. Umweltschutz kann in der Sicht der Bibel nur Ausdruck einer grundlegenden Lebenshaltung sein: die entschiedene und konsequente Folge eines – aus der Verantwortung gegenüber dem Schöpfer resultierenden – Lebensentwurfs. So ließe sich das Problem an der Wurzel packen, um – über alle Ermahnungen und Vorschriften im Einzelnen hinaus – Herz und Haltung zu ändern.8

Der Bezug auf die Schöpfung findet sich schließlich im Neuen Testament nicht nur in innerchristlichen Diskursen. Im Gegenteil: Das Thema Schöpfung hat ein universales Potenzial. Der Glaube an einen Schöpfer, der die Welt ins Dasein gerufen hat, verbindet Juden und Christen. In der Apostelgeschichte nimmt Paulus im Gespräch mit griechischen – stoischen und epikureischen (Apg 17,18) – Philosophen auf die Schöpfung Bezug (Apg 17,24). Die Einsicht, dass der Mensch sich nicht selbst erschaffen hat und die Welt geschaffen wurde, nutzt Paulus als Kommunikationsbrücke. Die Schöpfung stellt eine – über alle unterschiedlichen Glaubensauffassungen hinausreichende – verbindende Gesprächsbasis dar.

Das Thema Schöpfung hat aber auch insofern universales Potenzial, als sich daraus Verhaltensmaßstäbe ableiten lassen, die von Menschen unterschiedlichster Couleur geteilt werden können. Jesus begründet in der Bergpredigt die Liebe selbst zu den Feinden schöpfungstheologisch. Weil der Schöpfer „seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten“ (Mt 5,45), kann es heißen: „Liebt eure Feinde“ (Mt 5,44). Kurzum: Beim Thema Schöpfung kann ein überkonfessionelles, aber auch interreligiöses Gespräch ansetzen. Gläubigen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und -auffassungen müsste die Relevanz des Themas unmittelbar einleuchten. Aus der Überzeugung, dass im Hintergrund der Welt ein Schöpfer steht, der Erde und Mensch geschaffen hat, ließen sich Verhaltensmaßstäbe gewinnen, die Menschen – weit über Konfessions- oder Religionsgrenzen hinaus – einen. Darin bestehen die ökumenische und interreligiöse Relevanz und Chance des Themas. Die Schöpfung verbindet alle Menschen guten Willens. Gerade in einer Zeit, in der Religion eher zu trennen als zu verbinden scheint, ließen sich so Brücken über aufgerissene Gräben bauen: Im Einsatz für die Schöpfung stehen Gläubige zusammen!

Der Autor

Hans-Georg Gradl, geboren 1973, ist seit 2013 Professor für Exegese des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät Trier. Studium der Theologie in Regensburg, Rom und München. Promotion über das lukanische Doppelwerk an der Pontificia Università Gregoriana und Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2013–2018 zugleich Direktor des Emil-Frank-Instituts für den jüdisch-christlichen und interreligiösen Dialog an der Universität Trier, seit 2016 Mitglied des Vorstands der Zeitschrift „Cristianesimo nella storia“ (Bologna) und seit 2020 Studiendekan der Theologischen Fakultät Trier. Veröffentlichungen: Die Offenbarung des Johannes aus dem Urtext übersetzt und kommentiert von Hans-Georg Gradl, herausgegeben von Anneliese Hecht, Stuttgart 2022; Kommunikative Kontraste. Ein Beitrag zur Sprachfähigkeit des Urchristentums, in: Biblische Zeitschrift 66 (2022) 203–228; GND 13062876X; ORCID: https://orcid.org/0000-0002-1860-0309.

Weiterführende Literatur

Hans-Georg Gradl, Siehe, ich mache alles neu. Schöpfung im Neuen Testament, Freiburg 2022.

1Vgl. hierzu – wie überhaupt zur detaillierten Untersuchung neutestamentlicher Schöpfungsaussagen – Hans-Georg Gradl, Siehe, ich mache alles neu. Schöpfung im Neuen Testament, Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2022, 37–39.

2Vgl. dazu Sabine Bieberstein, Die Schöpfung in Geburtswehen. Röm 8,18–25, das Leben unter der Pax Romana und die Ideologien des goldenen Zeitalters, in: BiKi 60 (2005), 38–44.

3Vgl. dazu Samuel Vollenweider, Wahrnehmungen der Schöpfung im Neuen Testament, in: ZPT 55 (2003), 246–253, hier: 252.

4Alfred Wikenhauser, Die Apostelgeschichte (Regensburger Neues Testament 5), Regensburg 31956, 4.

5Zur schöpfungstheologischen Relevanz der Textstelle vgl. ferner Matthias Konradt, Schöpfung und Neuschöpfung im Neuen Testament, in: Konrad Schmid (Hg.), Schöpfung (Themen der Theologie 4), Tübingen 2012, 121–184, hier: 138–140.

6Einen so prägnanten wie inhaltsreichen Einblick in die weitere (dogmatische) Entfaltung der Schöpfungstheologie bietet Hermann Stinglhammer, Einführung in die Schöpfungstheologie, Darmstadt 2011, bes. 66–123.

7Vgl. dazu Hans-Georg Gradl