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Eine aufällig blasse Leiche treibt in einem ägyptischen Hotelpool. Was steckt dahinter? Ein Sexualmord? Islamistischer Terror? Kommissar Motz wird aus Wiesbaden an den Tatort geschickt. Und dabei mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Ein Krimi voller Abgründe. Bestechend durch unverwechselbaren Wortwitz.
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Seitenzahl: 106
Veröffentlichungsjahr: 2015
Schoßgeschosse
Kriminalroman
© Peter Theisen
Umschlagsgestaltung, Foto: Yvonne Richter
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
978-3-7323-6839-6 (Paperback)
978-3-7323-6840-2 (Hardcover)
978-3-7323-6841-9 (e-Book)
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I
Das Krähen einer Kröte. Können Frösche in Leichen laichen? Kopfkratzen. Der deutsche Kommissar Klaus Motz am Rande des Beckens und des Wahnsinns. Der Körper der Blonden leblos im nassen Element. Der Friede sei mit Dir! Und mit Deinem Geiste? Nein! Auch mit Dir der Friede, ägyptischer Kriminalkollege. Was ist passiert? Die Frage aller Fragen. Alhamdu lillahi. Nur ein weißer Slip, angerissen, abgerissen. Aufgerissen? Gast im Sharming Plaza seit zehn Tagen. Unauffällig. Alleinreizende aus München. Auffallend bleich nach anderthalb Wochen Bestrahlung durch die Sinaisonne.
Name: Eka Schneider
Alter: 33
Beruf: Versicherungskauffrau
Lebensstand. Nein: Lebenslage: geschieden
Geburtsort: Narva, Estland
Wasserfarbe: Türkis. Schwimmkörper schwammig. Holt sie raus! Alhamdu lillahi.
Tee trinken. Schai schlürfen.
Motz müde: Zu wem hatte sie Beziehungen?
Kommissar Mahmoud (Klang: Mach Mut): Das Hotel hat 666 Zimmer, zur Zeit 444 Gäste. Deutsche, Russen, Engländer. 222 Angestellte. Jeder kommt in Frage.
Motz mutlos: Wo anfangen?
Im Frauenzimmer. Weiße Wände. Wohlige Wärme. Wenig Wimperntusche. Weiße Wäsche.
Mahmoud: Das ist interessant. Nur weiße BHs und Slips. Weiß Gott. Jede Ägypterin hätte auch rote, schwarze und bunte Höschen. Ist das normal in Deutschland?
Motz ohne Worte. Aber Fetzen in seinem Kopf:
Sharm El Sheikh 1999: Urlaub mit Ursula. Unterfränkin ungarischer Herkunft. Große Liebe? Jedenfalls triefende Triebe. Rote Rosen und lila Lilien. Abtauchen im Roten Meer.
Motz: Hat sie getaucht?
Mahmoud: Nein, nur geschnorchelt. Fast jeden Tag am Hotelstrand.
Yala!
Weiter Weg von Block neun zum Meer. Motz schwitzt. Am Himmel die gleichen Fetzen wie in seinem Kopf. Waberndes Weiß vor blassem Blau. Die Gebäude im Mudejar -Stil. Jedenfalls arabisch. Die Bögen über den Eingängen treppenförmig. Plätze zum Plaudern mit Springbrunnen ohne Wasser. Viel Schatten, wenig Licht. 99 Stufen von der Hotellobby bis zur Event-Plaza ganz unten. Das Rote Meer vor violetten Bergen. Motz schnauft durch. 99 war noch Platz. Jetzt ist jeder Kubikmeter verbaut. Törichter Tourismus. Verfickter Fremdenverkehr. Überflüssige Urlauber, denkt Motz mit Seitenblick auf die betrunkenen Briten, dösigen Deutschen und roten Russen.
Mahmoud: hier ist alles inklusive. Auch der Alkohol.
Motz: Was kostet so ein Urlaub?
Mahmoud: Zwei Wochen 450 Euro. Mit Flug.
Schwerter auf Flugscharen, denkt Motz. Solche Preise ziehen üble Urlauber an. Nur Sonne und Suff. Keine Neugier aufs Land. Wie anders war Ursula. Ackerte Arabisch jeden Morgen. Bettete sich mit ihm im Beduinenzelt. Zerbrach sich den Cerberus über sanften Tourismus. Besänftigte ihn im Dunkel der wüsten Nacht.
Weit weg.
Der Hotelmanager tritt hinzu. Glatze. Gier im Gesicht.
Yusuf: Wir unterstützen Sie selbstverständlich bei Ihren Investigationen. Ich darf Sie meinerseits bitten, unauffällig zu agieren. Sie wissen: die erste und zweite Revolution haben viele Gäste abgeschreckt. Gerade stabilisieren sich die Buchungen. Unruhe ist Gift fürs Geschäft.
Klar, der gierige Geier denkt nur ans Geld.
Motz motzig: ich verstehe Ihr Anliegen. Aber hier geht es um ein Menschenleben. Das hat Vorrang.
Yusuf: Es ist sehr bedauerlich. Aber Unfälle kommen vor. Ich habe den Rücktransport bereits organisiert.
Wie bitte? Nur über meine Leiche. Erst einmal wird obduziert.
Ist das wirklich nötig? Die Dame ist sicher etwas angetrunken nachts in den Pool gesprungen. Da hat sie einen Schlag bekommen.
Und wie erklären Sie sich, dass sie nur einen Slip trug. Und am Pool keine Kleider von ihr lagen?
Sie hat sich in ihrem Zimmer ausgezogen, ist dann zum Pool, um halbnackt zu baden. Die europäischen Gäste machen manchmal so verrückte Dinge. Besonders, wenn Alkohol im Spiel ist. Sie verstehen?
Wieder wabern weiße Wölkchen durch Motz’ Sinne. Mit Ursula nachts am Strand. Der Himmel ein Zelt voller Funkeln. Das Einssein ihrer und der Himmelskörper. Eine Sinfonie harmonischer Hormone. Schwerelose Schwingungen schwitzender schwärmerischer schwelender Schwell….
Schwierig, aber Motz reißt sich zusammen.
Schwallen Sie nicht rum. Zum Kollegen Mahmoud: Haben Sie gute Spezialisten? Sonst verständige ich sofort das BKA. Alhamdu lillahi
Beruhigen Sie sich, Kollege Motz. Unsere Experten sind aus Kairo unterwegs. Ausgezeichnet ausgebildet - von Deutschen übrigens.
Der Hotelmanager schaut auf einmal lustig listig drein: Herr Kommissar. Am besten Sie beziehen ein Zimmer in unserem Haus und benehmen sich wie ein ganz normaler Tourist. Dann sind Ihre Recherchen sicher ergiebiger bei den Gästen.
Motz muss dem Nager mit den zwei vorstehenden Schneidezähnen innerlich Recht geben.
Ein Angestellter bringt ihn zu Block neun, Zimmer 9156. Von seinem Balkon aus hat er einen Blick auf den ruhig daliegenden Pool, in dem ein Angestellter am frühen Morgen die Leiche entdeckt hat. Motz zündet sich eine Zigarette an. Die Kröten fangen wieder an zu krähen.
II
Motz schläft unruhig. Seine wirren Träume wahrheitsgemäß wiederzugeben ist unmöglich. Doch in etwa ist es so:
Krötenwanderung auf Kieseln. Hunderte, nein Tausende Tiere. Krähend wie Raben. Sie springen klebrig Meter um Meter heran. Manche reiten auf dem Rücken der Artgenossen. Genossen! Artig voran! Ruft die vorderste, besonders dicke, besonders klebrige, besonders hässliche Kröte. Voran Genossen, krähen die anderen im Verbund. Jetzt nähern sie sich schon dem imposanten Hoteltor. Stillgestanden ruft die Chefkröte. Die Masse verstummt. Kein Laut ist zu hören. Totenstille. Links rum, kräht Kröte eins. Quietschend wechselt der Amphibienberg seine Richtung. Macht die roten Rosen und die lila Lilien nieder, wälzt sich unaufhaltsam Richtung Block neun. Wasser! Wasser! Quillt es aus tausend Kehlen. Sie stimmen das Laichlied an: Die Kröte kommt, die Kröte kommt. Und sie hat Tausend Eier im Bauch. Und sie hahat Tausend Eier im Bauch. Die Kröte kommt, sie kommt mit Brut - das tut sehr gut. Nur Mut, nur Mut. Da hüpfen sie auch schon in den nachts bläulich schimmernden Pool. Einige entdecken die Frau im weißen Baumwollhöschen. Neugierig beschnuppern sie den Körper. Lecken in den Ohren den Schmalz aus der Frau. Ein immer größerer Berg macht sich über sie her. Sie nagen an den Füßen, schmatzen an den Fingern, schlüpfen unter den Slip. Saugen an den Lippen. Heute laichen wir in einer Leiche, ruft die Anführerin. Sie führen Millionen Eier in den schwebenden Körper ein. Das Banging dauert, jede Kröte kommt dran. Schnüffelnd, schmatzend, schmollend. Motz sieht jedes Detail. Immer wieder wölbt sich das weiße Baumwollhöschen, die Höhle darunter ist der bevorzugte Laichplatz der klebrigen faustgroßen Viecher. Sie haben einen guten Riecher. Als sie sich endlich von dem Befruchtungsort abwenden, bläht der sich furchtbar auf. Wie ein Ballon. Das Gesicht Ekas wandelt sich in eine furchtbare Fratze. Die Augäpfel treten aus den Höhlen. Die Nasenflügel weiten sich zu pferdlichen Nüstern, die Backen zu riesigen Kiemen. Die zuvor kleinen stämmigen Brüste blähen sich zu gigantischen Kugeln, die jeden Schönheitschirurgen blass vor Neid werden ließen. Der weiße Bauch ähnelt immer mehr dem einer Schwangeren kurz vor der Drillingsgeburt. Unten drunter spannt sich der Slip und reißt an manchen Stellen unzüglich auf. Am Beckenrand sitzen die Tausenden Kröten quakend und krähend. Ihre Zungen hängen gleichzeitig gierig und erschöpft im Wasser. Ihre Augen funkeln wie orgiastische Opale. Da öffnen sich alle äußeren Organe der schönen Eka. Was ist das? Motz traut seinen Augen kaum. Die Brustwarzen weiten sich und heraus fließt etwas Buntes. Füllt sich, nimmt Form an. Das Gleiche passiert an Mund, Nase, Ohren und Augen. Das Bunt quillt hervor. Rot und Gelb und Blau und Grün. Dann steigen die Ballons auf. Der Himmel ist erfüllt von ihnen. Tausende. Als sich der letzte Luftballon langsam aus dem zerschlissenen Slip quetscht und aufsteigt, brechen die Kröten in jubelndes Krähen aus. Die Leiche nimmt wieder ihre ursprüngliche Form an. Sieht schöner denn je aus. Ein Lächeln voller Befriedigung liegt auf Ekas nun rosigem Antlitz. Wie nach einem Orgasmus. Oder wie nach einer Geburt. Glücklich erschöpft. Wie im siebten Himmel, in dem 9999 bunte Luftballons davonschweben. Nena taucht auf dem Podest am Eingang der Wasserrutsche auf. Singend gleitet sie hinab zur belaichten Leiche. Die Kröten applaudieren froschhaft freudig frenetisch.
Motz wacht schwer schwitzend auf, rennt an die Balkontür. Der Pool schimmert unschuldig blau.
III
Sigmund Freud über die Vergänglichkeit:
„Wir wissen, daß von solcher Versenkung in die Hinfälligkeit alles Schönen und Vollkommenen zwei verschiedene seelische Regungen ausgehen können. Die eine führt zu dem schmerzlichen Weltüberdruß des jungen Dichters, die andere zur Auflehnung gegen die behauptete Tatsächlichkeit. Nein, es ist unmöglich, daß all diese Herrlichkeiten der Natur und der Kunst, unserer Empfindungswelt und der Welt draußen, wirklich in Nichts zergehen sollten. Es wäre zu unsinnig, und zu frevelhaft daran zu glauben. Sie müssen in irgend einer Weise fortbestehen können, allen zerstörenden Einflüssen entrückt.“
Warum habe ich an dieser Stelle dieses Zitat eingefügt. Ich habe das Gefühl, dass es an der Zeit ist, sich unserem Protagonisten, Kommissar Motz anzunähern. Die Vergänglichkeit beschäftigt ihn gerade sehr, denn Klaus Motz igelt sich während seines ägyptischen Abenteuers mitten in der Mittlebenskrise.
Er ist zu diesem Zeitpunkt 47, wirkt aber erheblich jünger. Darauf legt er auch Wert. Er ertüchtigt seinen Körper aus einer einfachen eifrigen Eitelkeit heraus. Zudem führt er seit einiger Zeit nur noch pflanzliche Stoffe in sich ein. Vollwertiges Korn, knackige Nüsse und buntes Gemüse. Sein morgendliches Müsli löffelt er mit Sojajoghurt aus der Schale. Zur Arbeit radelt er, außer wenn es aus grauem Himmel schneeflockt oder regenkübelt. Sein Auto hat er abgestoßen, um erst gar nicht in Versuchung zu kommen, sich der Hilfe eines externen Verbrennungsmotors zu bedienen. Lieber wirft er seinen eigenen an. Er läuft und läuft seit dreißig Jahren schon.
Dennoch dürfen wir uns den beweglichen Bullen nicht als albernen Asketen vorstellen. In seinem Blut fließt nicht selten guter Rotwein. Allerdings hat er sich auferlegt, sich die trefflichen Tröpfchen nur in guter Gesellschaft einzuflößen. Da er nur selten Besuch empfängt, lagert so manche Flasche monatelang in seiner Küche. Wer nun glaubt, dass Motz eine Menschenrebe aus streng kontrolliertem Anbau sei, irrt aber wiederum. Süße Süchte lauern im Kommissar. Das Nikotin zirkuliert gerne durch seinen einigermaßen sportlichen Körper. Einem gelegentlichen Joint ist er ebenso wenig abgeneigt. Kannenweise Kaffee beschleunigt seinen Puls. Nur dem Tabak sagt er immer wieder den Kampf an, und es beschämt ihn, immer wieder als Verlierer auf der Teerstraße zu stehen. Andere dunklere Seiten des Kriminalkommissars will ich hier noch nicht benennen. Ich denke, es wäre unanständig den Mann so früh Ihren diffusen Vorurteilen auszusetzen. Diese Gefahr besteht doch immer, nicht wahr? Und ich denke, wir werden Motz bei seinem Ägypten-Aufenthalt nach und nach behutsam kennenlernen. Dann kann sich jeder sein eigenes Bild von ihm machen und entscheiden, ob er ihn mag, wenigstens ein bisschen wegen seiner Arbeit als Kommissar schätzt, oder eben nicht. Einverstanden?
IV
Als aufmerksame Leserin, als mitdenkender Leser, der Sie hoffentlich sind, haben Sie sich sicher schon gefragt, wie es sein kann, dass Motz so schnell, also nur wenige Stunden nach dem Auffinden der schönen blassen Eka-Leiche in Sharm El Sheikh sein konnte. Ich muss Sie um Verständnis bitten, dass ich dazu nur sehr eingeschränkt Auskunft geben kann. Ich darf verraten, dass Klaus Motz kein „normaler“ Polizist ist, sondern seine Vollkornbrötchen beim Bundeskriminalamt im kurigen Wiesbaden verdient. Sollten Sie mal in der Nähe sein, spazieren Sie gerne mal das Dambachtal hinauf, grob Richtung Neroberg, neben dem die Kuppel der russischen Kapelle oft golden im Sonnenlicht strahlt - nur so als kleiner Anhaltspunkt. Gehen Sie ruhig mal um das Anwesen des BKA herum, möglichst nicht zu auffällig, denn Sie werden ständig von beweglichen Kameras fixiert. Verhalten Sie sich einfach wie ein normaler Spaziergänger. Es geht ja nur darum, sich einen Eindruck von der Größe des Geländes zu machen. Rein kommen Sie sowieso nicht. Nun fragen Sie sich mal, was die ganzen Hundertschaften da drin den ganzen Tag so treiben. Ich kann Ihnen versichern, dass es da Abteilungen gibt, von denen nicht mal die Bundeskanzlerin etwas ahnt. Das Gleiche gilt übrigens für den Bundesnachrichtendienst. Und das ist auch gut so, denn diese Institutionen schützen uns schließlich vor bösen Terroristen, insbesondere auch vor den noch böseren Islamisten. Stichwort 9/11. Sie ahnen gar nicht, wieviel Geld seitdem nach Wiesbaden geflossen ist, um unser Vaterland vor Anschlägen zu bewahren. Haben Sie daher wirklich etwas Verständnis, dass ich Ihnen zu Motz’ Abteilung keine näheren Auskünfte erteilen darf.
Er hatte übrigens 2002 den Weg zu den Kriminalisten gefunden. Wie genau die Anwerbung vonstatten ging - auch dazu darf ich leider keine Angaben machen. Bis dahin hatte sich Motz als Gastdozent an den Unis Heilbronn, Osnabrück und Münster verdingt. Sein Fach: Politologie. Schwerpunkt: der Nahost-Konflikt. Dass er nach seinem Urlaub mit Ursula an der Volkshochschule