Schriften in deutscher Übersetzung - Plotin - E-Book

Schriften in deutscher Übersetzung E-Book

Plotin

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Beschreibung

Plotin ist der intensivste und kraftvollste Denker im Kontext spätantiker Philosophie, von großer unmittelbarer und geschichtlich weitreichender Ausstrahlung. Er kann als ein Paradigma metaphysischen Denkens gelten, welches nicht nur die in sich differenzierte Wirklichkeit im Ganzen aus einem Ursprung entfaltet, sondern Philosophie auch als die bestimmend-bewegende und »heilende« Lebensform vorstellt. Beginnend in der sinnlichen Erfahrung und im Begreifen der Phänomene soll sich das Denken seiner selbst bewusst werden. Die denkende Rückkehr der Seele in den Geist ist dabei die Voraussetzung für ihren Aufstieg zum »Einen«, ihrem absoluten Ursprung. Plotins Schriften waren zunächst nur informelle Aufzeichnungen von Gedankengängen, die für seinen Schülerkreis gedacht waren. Erst an seinem Lebensende übertrug er seinem Schüler Porphyrios die Aufgabe, diese zu ordnen und herauszugeben. Porphyrios gliederte die Schriften in Neunergruppen (›Enneaden‹); Richard Harder hingegen entschied sich für eine chronologische Anordnung der 54 Texte. Beigegeben ist der Ausgabe die biographische Skizze von Plotins Schüler Porphyrios »Über Plotins Leben und über die Ordnung seiner Schriften«, die dieser der Sammlung der Texte seines Lehrers vorangestellt hatte, sowie ein Zählungsschlüssel, der es ermöglicht, die Texte leicht in der jeweiligen Zählung wiederzufinden.

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Seitenzahl: 1584

Veröffentlichungsjahr: 2020

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PLOTIN

Schriften in

deutscher Übersetzung

Teilband 1·Schriften 1–38

Übersetzt von

RICHARDHARDER

Neubearbeitung von

RICHARDHARDER, RUDOLFBEUTLERUNDWILLYTHEILER

FELIX MEINER VERLAG

HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 743a

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über‹http://portal.dnb.de› abrufbar.

ISBNeBook 978-3-7873-3934-1

www.meiner.de

©Felix Meiner Verlag Hamburg 2020. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten.Für Links mit Verweisen auf Webseiten Dritter übernimmt der Verlag keine inhaltliche Haftung. Zudem behält er sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings (§ 44 b UrhG) vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Inhalt

Vorbemerkung des Verlages

1 Das Schöne

2 Die Unsterblichkeit der Seele

3 Das Schicksal

4 Das Wesen der Seele (I)

5 Geist, Ideen und Seiendes

6 Der Abstieg der Seele in die Leibeswelt

7 Das Erste und das nach ihm

8 Die Einheit aller Einzelseelen

9 Das Gute (das Eine)

10 Die drei ursprünglichen Wesenheiten

11 Entstehung und Ordnung der Dinge nach dem Ersten

12 Die beiden Materien

13 Vermischte Untersuchungen

14 Die Kreisbewegung des Himmels

15 Der Daimon der uns erloste

16 Berechtigter Freitod?

17 Wiebeschaffenheit

18 Ob es auch von den Einzeldingen Ideen gebe

19 Die Tugenden

20 Dialektik

21 Das Wesen der Seele (II)

22 Das Seiende, obgleich eines und dasselbe, ist zugleich als Ganzes überall (I)

23 Das Seiende, obgleich eines und dasselbe, ist zugleich als Ganzes überall (II)

24 Was jenseits des Seienden liegt, denkt nicht. Das primär und das sekundär Denkende

25 Aktuell und potentiell

26 Die Affektionsfreiheit des Unkörperlichen

27 Probleme der Seele (I)

28 Probleme der Seele (II)

29 Probleme der Seele (III): Das Sehen

30 Die Natur, die Betrachtung und das Eine

31 Die geistige Schönheit

32 Die geistigen Gegenstände sind nicht außerhalb des Geistes. Das Gute

33 Gegen die Gnostiker

34 Von den Zahlen

35 Über das Sehen. Weshalb das von fern Gesehene als klein erscheint

36 Ob die Glückseligkeit durch Dauer wächst

37 Die durchdringende Mischung

38 Wie kam die Vielheit der Ideen zustande? Das Gute

39 Der freie Wille und das Wollen des Einen

40 Das Weltall

41 Wahrnehmung und Gedächtnis

42 Die Klassen des Seienden (I)

43 Die Klassen des Seienden (II)

44 Die Klassen des Seienden (III)

45 Ewigkeit und Zeit

46 Die Glückseligkeit

47 Von der Vorsehung (I)

48 Von der Vorsehung (II)

49 Die erkennenden Wesenheiten und das Jenseitige

50 Eros

51 Woher kommt das Böse?

52 Ob die Sterne wirken

53 Was das Lebewesen sei und was der Mensch

54 Das erste Gute

Porphyrios: Über Plotins Leben und über die Ordnung seiner Schriften

Zählungsschlüssel zu den Enneaden

Vorbemerkung des Verlages

Wenn der Verlag die sechsbändige, griechisch-deutsche Ausgabe von Plotins Schriften, die unter den Nummern 211a/b–215a-c und 276 der Philosophischen Bibliothek weiterhin lieferbar bleibt, nun durch eine einsprachige Ausgabe in zwei Bänden ergänzt, so geschieht dies vor allem, um der Nachfrage nach einer günstigen Leseausgabe zu entsprechen.

Zwischen 1930 und 1937 veröffentlichte Richard Harder in der PhB erstmals seine Plotinübersetzung, die sein Lebenswerk darstellt – zunächst ohne den griechischen Originaltext. Beginnend mit dem ersten Band 1956 brachte Harder dann eine völlige Neubearbeitung seiner Übersetzung heraus, der er nun auch den griechischen Text und in einem separaten Band Anmerkungen des Herausgebers an die Seite stellte. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, nach Band 1, der die Schriften 1–21 enthält, auch die übrigen Bände neu zu bearbeiten; diese Aufgabe wurde von Rudolf Beutler und Willy Theiler übernommen. Daraus erklärt sich, dass die Übersetzung der Schriften 1–21 in stilistischer Hinsicht, aber auch in Orthographie und Interpunktion gewisse Eigenheiten aufweist.

Die vorliegende Ausgabe enthält den Text dieser Neubearbeitung und ist, was die Übersetzung betrifft, mit den Bänden 211a–215a der PhB, erschienen zwischen 1956 und 1967, textidentisch. Anmerkungen und Indices, die sich in der zweisprachigen Ausgabe auf den griechischen Text beziehen, konnten in diese Ausgabe jedoch nicht übernommen werden. Beigegeben ist aus Band 215c die biographische Skizze von Plotins Schüler Porphyrios »Über Plotins Leben und über die Ordnung seiner Schriften«, die dieser der Sammlung der Texte seines Lehrers vorangestellt hatte.

Auf Porphyrios geht auch die übliche Gliederung von Plotins Schriften in »Enneaden« (»Neunheiten«) zurück. Richard Harder folgte dieser Gliederung allerdings nicht, sondern ordnete die Texte in chronologischer Reihenfolge an. Deshalb sind die Schriften in unserer Ausgabe von 1 bis 54 durchnummeriert. Auch wenn Harder bereits in der Erstausgabe seiner Übersetzung (Bd. V, 1937, S. IV f.) und dann im Vorwort zu Band 1 der Neubearbeitung gute Gründe für diese Entscheidung anführt, hat sich seine Nummerierung gegenüber der Enneaden-Zählung nicht durchgesetzt. Deshalb ist in dieser Ausgabe neben der Nummer der chronologischen Anordnung (jeweils zu Beginn des Textes im grauen Balken) auch die Enneaden-Zählung (im Kolumnentitel) mit angegeben. Mit Hilfe des Zählungsschlüssels im Anhang lassen sich die Texte leicht in der jeweiligen Zählung wiederfinden.

Auf die Angabe der von Harder selbst eingeführten Paragraphenzählung, die er später als »Fehlschlag« bezeichnete (siehe PhB 215a, S. XI), wird hier verzichtet; mitgeführt wird aber am inneren Rand die gängige Abschnittszählung.

PLOTIN

Schriften 1 – 54

PORPHYRIOS

Über Plotins Leben und über die Ordnung seiner Schriften

1

Das Schöne

Das Schöne findet sich die Fülle im Bereich des Gesichts; es findet sich auch im Bereich des Gehörs, bei der Fügung der Wörter und in der gesamten Musik (denn Melodie und Rhythmus ist auch etwas Schönes); es finden sich aber auch, wenn wir von dem Wahrnehmungsbereich nach oben fortschreiten, schöne Beschäftigungen, Handlungen, Zustände, Wissenschaften und endlich die Schönheit der Tugenden; und ob sich über all diesem noch etwas Schönes findet, wird sich herausstellen. Was ist denn nun dasjenige, welches bewirkt daß die Leiber dem Blick schön erscheinen und daß das Gehör die Töne als schöne bejaht, und wie kommt weiterhin die Schönheit alles dessen zustande, was mit der Seele zusammenhängt? Sind alle diese Dinge vermöge Ein- und desselben schön, oder ist die Schönheit etwas anderes wo sie am Leibe, etwas anderes wo sie an einem andern ist? Und was ist die Eine oder die verschiedenen? Gewisse Dinge sind nämlich nicht bereits von ihrer Substanz her schön, sondern erst durch Teilhabe, wie die Leiber; andere sind an sich Schönheit, wie es das Wesen der Tugend ist. Denn dieselben Leiber erscheinen bald als schön bald als nicht schön; Leib sein muß also unterschieden sein von schön sein. Was ist nun das was hier den Leibern beiwohnt? Das soll der erste Gegenstand unserer Untersuchung sein.

Was ist es, das den Blick des Beschauers erregt, auf sich wendet und mitzieht und im Schauen sich ergötzen läßt? Wenn wir das finden, kann es uns vielleicht auch als Stufe dienen zur Betrachtung der sonstigen Schönheit. Ziemlich allgemein wird behauptet, daß ein Wohlverhältnis der Teile zueinander und zum Ganzen, und zusätzlich das Moment der schönen Färbung, die sichtbare Schönheit ausmacht; schön sein bedeute, für die sichtbaren Dinge und überhaupt für alles andere, symmetrisch sein, Maß in sich haben. Für die Verfechter dieser Lehre kann es also kein einfaches sondern notwendig nur ein zusammengesetztes Schönes geben; das Ganze ferner kann schön sein, seine einzelnen Teile aber können von sich aus nicht schön sein, sondern nur sofern sie zur Schönheit des Ganzen beitragen. Aber wenn denn das Ganze schön ist, müssen es auch die Teile sein; denn ein Schönes kann doch nicht aus häßlichen Bestandteilen bestehen, sondern die Schönheit muß alle Teile durchsetzen. Die schönen Farben ferner, wie auch das Licht der Sonne, da sie einfach sind und ihre Schönheit also nicht auf Symmetrie beruhen kann, bleiben für sie vom schön sein ausgeschlossen. Und das Gold, wie kann es dann noch schön sein, und das Funkeln der Nacht … (?). Und bei den Tönen müßte ebenso das Einfache fortfallen; dabei ist doch vielfach der einzelne Ton unter denen die in dem schönen Ganzen sind auch seinerseits schön. Da nun ferner das nämliche Antlitz, ohne daß sich die Symmetrie seiner Teile ändert, bald schön erscheint bald nicht, so muß man zweifellos das Schöne als etwas anderes ansehen das erst über das Symmetrische kommt, und das Symmetrische muß seine Schönheit erst durch ein anderes erhalten.

Wenn sie dann aber etwa weiterschreiten zu den schönen Beschäftigungen und den schönen Gedanken und auch hier die Symmetrie als Grund der Schönheit angeben wollten – was kann man unter Symmetrie bei schönen Beschäftigungen Gesetzen Kenntnissen Wissenschaften denn überhaupt noch verstehen? Wie können Lehrsätze symmetrisch zueinander sein? Sofern sie zueinander stimmen? Nun, auch die schlechten Sätze stimmen und passen zueinander; die beiden Sätze ‘Selbstbeherrschung ist Torheit’ und ‘Gerechtigkeit ist Einfältigkeit’ passen und stimmen völlig zueinander. Jede Tugend ist Schönheit der Seele, und zwar eine wahrere Schönheit als die vorher genannten Dinge. Aber in welchem Sinne sollen die Tugenden symmetrisch sein? Auch wenn die Seele mehrere Teile hat, können sie nicht wie Größen und wie Zahlen symmetrisch sein; denn nach welcher Proportion sollte eine Zusammensetzung oder Vermischung der Seelenteile statthaben? Und der Geist, worin sollte dann seine Schönheit bestehen, wenn er für sich allein ist?

[2]So heben wir nochmals an und wollen zuerst bestimmen, was denn nun das Schöne an den Leibern ist. Es gibt nämlich etwas Schönes das schon beim ersten Hinblicken wahrgenommen wird; dessen wird die Seele gewissermaßen inne und spricht es an; indem sie es wiedererkennt, billigt sie es und paßt sich ihm sozusagen an; wenn ihr Blick dagegen auf das Häßliche trifft, so zieht sie sich zurück, weigert sich ihm und lehnt es ab, denn es stimmt nicht zu ihr und ist ihr fremd. Wir behaupten nun, wenn die Seele das ist was ihr wahres Wesen ist, und das heißt: auf der Seite der Wesenheit steht die in der Welt die obere ist, so ist es das Verwandte oder auch nur die Spur des Verwandten, dessen Anblick sie erfreut und erschüttert; sie bezieht das auf sich selbst und erinnert sich ihres eigensten Wesens, dessen was sie in sich trägt. Aber wie kann denn eine Ähnlichkeit der hiesigen schönen Dinge mit den jenseitigen bestehen? Und mögen sie auch, da es eine Ähnlichkeit gibt, irgendwie ähnlich sein – wieso kann aber das Irdische ebensowohl schön sein wie das Jenseitige? Das geschieht, so lehren wir, durch Teilhaben an der Gestalt (Idee). Denn alles Formlose ist bestimmt Form und Gestalt anzunehmen; solange es daher keinen Teil hat an rationaler Form und Gestalt, ist es häßlich und ausgeschlossen von der göttlichen Formkraft; das ist das schlechthin Häßliche; häßlich ist aber auch das was von der Form und dem Begriff nicht voll bewältigt wird, weil die Materie eine gänzlich der Idee entsprechende Formung nicht zuließ. Die Idee tritt also hinzu; das was durch Zusammensetzung aus vielen Teilen zu einer Einheit werden soll, das ordnet sie zusammen, bringt es in ein einheitliches Gefüge und macht es mit sich eins und übereinstimmend, da ja sie selbst einheitlich ist und das Gestaltete, soweit es ihm, das aus Vielem besteht, möglich ist, auch einheitlich sein soll; ist es dann zur Einheit gebracht, so thront die Schönheit über ihm und teilt sich den Teilen so gut mit wie dem Ganzen; trifft aber die Idee auf ein Einheitliches, aus gleichartigen Teilen Bestehendes, so teilt sie die Schönheit dem Ganzen mit; so als wenn die Schönheit bald, durch die Kunst, einem ganzen Hause mit seinen Teilen gegeben wird, bald, durch eine Naturkraft, einem einzelnen Stein.

[3]Der schöne Körper also entsteht durch Gemeinschaft mit der von den Göttern kommenden Formkraft. Die Erkenntnis dieses Schönen nun vollzieht dasjenige Vermögen der Seele, welches ihm vorgeordnet ist; es ist vor allen berufen zu urteilen über die Dinge seines Bereiches, da ja überdies auch die übrige Seele nachprüfend mitwirkt; vielleicht aber spricht auch dies Vermögen allein schon das Schöne an, indem es an der ihm zugänglichen Idee abmißt und diese Idee bei ihrem Urteil benutzt wie man an der Richtschnur das Gerade mißt. Aber wie kann denn die Idee, die am Leibe ist, mit jener die vor und über dem Leibe ist, übereinstimmen? Und wie kann der Baumeister das Haus draußen nach der Idee des Hauses in seinem Innern abstimmen und es dann als schön ansprechen? Nun, weil das äußere Haus, wenn man die Steine ausscheidet, eine Teilung der inneren Idee vermöge der äußeren Masse der Materie bedeutet, eine Sichtbarwerdung des Unteilbaren in der Vielheit. Erblickt nun die Wahrnehmung die Idee an den Körpern, welche die ihr entgegengesetzte, gestaltlose Wesenheit zusammenbindet und überwältigt, diese Form, welche hervorleuchtend über den anderen Formen thront, so faßt eben dies das Vielfältige geschlossen zusammen, hebt es hinauf, bringt es ein in das Innere als ein nunmehr Unteilbares, und überliefert es ihm als ein Übereinstimmendes, zu ihm Passendes, Verwandtes; so wie einen edlen Mann schon die aufleuchtende Spur der Tugend an einem Jüngling freundlich berührt, welche übereinstimmt mit dem wahren Urbild in seinem eigenen Innern.

Die Schönheit ferner der Farbe ist ein Einfaches vermöge der Form, indem das Dunkel in der Materie bewältigt wird durch die Anwesenheit des Lichts, welches unkörperlich ist, rationale Form und Gestalt. Daher denn auch das Feuer als solches vor den andern Körpern schön ist; denn es hat den Rang der Idee im Verhältnis zu den andern Elementen, es ist das oberste seiner räumlichen Stellung nach und der feinste von allen Körpern wie es seiner Nähe zum Unkörperlichen entspricht; es nimmt allein die anderen Körper nicht in sich auf, während die andern es aufnehmen (die andern Körper können erwärmt, das Feuer aber nicht abgekühlt werden): so ist dem Feuer denn auch primär die Farbe eigen, und die andern Körper entnehmen erst von ihm die Idee der Farbe; daher leuchtet und glänzt es, wie es einer Idee zukommt. Was aber nicht mehr obsiegt, dessen Leuchten verblaßt und es gehört nicht mehr zum Schönen, da es nicht voll an der Idee der Farbe Teil hat. Was ferner die an den Tönen vorfindlichen Harmonien angeht, so lassen sie, indem die verborgenen Harmonien die sinnlichen erzeugen, auch auf diesem Gebiet die Seele des Schönen innewerden, indem sie ihr an einem andern das ihr Gleiche zeigen. Den sinnlichen Harmonien ist es eigentümlich dem Maß unterworfen zu sein nicht in jedem beliebigen Zahlenverhältnis, sondern nur in demjenigen welches dienlich ist zur Erzeugung der Idee, zur Bewältigung.

Damit genug von den sinnlich schönen Dingen; Abbilder, gleichsam entsprungene Schatten die in die Materie hinabgehen, verursachen es daß sie wohlgeformt sind und ihr Anblick erschüttert.

[4]Das weiter hinauf liegende Schöne, das zu erblicken der Wahrnehmung nicht mehr vergönnt ist, sondern ohne die Handhabe der Sinne sieht es die Seele und spricht es an: zu seiner Betrachtung muß man hinaufsteigen und die Wahrnehmung unten bleiben lassen. Wie über das sinnlich Schöne nicht sprechen kann, wer es nicht gesehen oder nicht als schön begriffen hat, also etwa ein Blindgeborener, so kann auch über die Schönheit geistiger Tätigkeiten nicht sprechen, wer nicht diese Schönheit geistiger Tätigkeiten und Wissenschaften und ähnlicher Dinge in sich aufgenommen hat, nicht über das Leuchten der Tugend, wer sich nie vor Augen gehalten, wie schön das Antlitz der Gerechtigkeit und Mäßigkeit ist – ‘nicht Morgen- und nicht Abendstern ist so schön’; vielmehr muß man sehend sein mit dem Vermögen mit dem die Seele derartige Dinge schaut, und wenn man sie erblickt, weit mehr als bei dem sinnlich Schönen sich freuen, entzückt und gepackt sein, denn nun rührt man an das eigentliche Schöne. Betroffenheit, süße Erschütterung, Verlangen, Liebe, lustvolles Beben, das sind Empfindungen die gegen jegliches Schöne eintreten müssen. Auch gegen das nicht sichtbare kann man sie erleben, es erleben sie auch eigentlich alle Seelen, aber stärker die liebebewegteren unter ihnen, so wie die leibliche Schönheit alle sehen, aber nicht alle in gleicher Stärke von ihr gestachelt werden, sondern einige in besonders starkem Maß, von denen man spricht sie lieben.

[5]Die nun also liebebewegt sind auch gegen das Nichtsinnliche, die muß man fragen: ‘was empfindet ihr gegenüber dem was man schöne Tätigkeiten nennt, gegenüber den schönen Sitten, dem zuchtvollen Charakter, überhaupt bei tugendhafter Leistung und Gesinnung und bei der Schönheit der Seelen? Und wenn ihr euch selbst erblickt in eurer eigenen inneren Schönheit, was empfindet ihr, warum seid ihr dabei in Schwärmerei und Erregung und sehnt euch nach dem Zusammensein mit eurem Selbst, dem Selbst, das ihr aus den Leibern versammelt?’ Das nämlich sind die Empfindungen dieser echten Liebebewegten. Und was ist es, woran sie solches empfinden? Nicht Gestalt nicht Farbe nicht irgendeine Größe, sondern die Seele, selbst unfarbig, in sich tragend die unfarbige Selbstzucht und den Glanz der andern Tugenden: in euch selbst wahrzunehmen oder beim andern zu schauen Großherzigkeit, gerechten Sinn, lautere Selbstzucht, die Tapferkeit mit ihrem grimmigernsten Antlitz, die Würde und darüber erschimmernd die Ehrfurcht, alle das in einem ruhigen, von keiner Wallung und keiner Leidenschaft erregten Seelenzustand, und über ihm leuchtend den Geist, den gottgleichen – das ist es was wir bewundern und lieben; aber wieso nennen wir das schön? Nun, es ist seinsmäßig seiend und stellt sich so dar, und wer es gesehen hat, kann es nicht anders nennen als das seinsmäßig Seiende. Was aber ist es seinsmäßig? Eben schön. Aber damit ist noch nicht aufgewiesen, durch welchen Zug seines Wesens es die Seele liebreizend macht. Was ist es das aus alle den Tugenden gleich wie ihr Licht hervorleuchtet? Laß uns denn einmal das Gegenteil ins Auge fassen, das Häßliche in der Seele, und es dem Schönen gegenüberstellen; denn es könnte wohl zu unserer Untersuchung beitragen, wenn klar wird, was das Wesen des Häßlichen ist und weshalb. Nehmen wir also eine häßliche Seele, zuchtlos und ungerecht, voll von vielen Begierden, von vieler Wirrnis, in Ängsten aus Feigheit, in Neid aus Kleinlichkeit, all ihre Gedanken, soweit sie überhaupt denkt, sind irdisch und niedrig, verzerrt in allen Stücken, unreinen Lüsten verfallen und so lebend, daß sie das Häßliche an allem, das ihr vom Körper widerfährt, als etwas Lustvolles empfindet. Eben dies Häßliche nun, müssen wir von ihm nicht sagen, daß es ihr hinzutritt als ein eingeschlepptes Übel? Denn es entstellt sie, macht sie unrein und durchsetzt sie mit viel Schlimmem, daß ihr Leben und ihr Wahrnehmen nicht mehr rein ist, sondern durch die Beimischung des Übeln verdunkelt und reichlich mit Tod durchsetzt, daß sie nicht mehr sehen kann was eine Seele sehen soll, und nicht mehr die Ruhe hat in sich selbst zu verweilen, da sie immer nach außen, zum Niedern, Dunkeln hingezerrt wird. Da sie also, meine ich, verunreinigt ist, hin- und hergerissen wird durch die Anziehung der Wahrnehmungsgegenstände, reichlich mit der leiblichen Beimischung versetzt ist, reichlich mit dem Stofflichen umgeht und es in sich einläßt, so hat sie durch die Vermischung mit dem Niederen eine fremde Gestalt angenommen. So tritt, wenn einer in Lehm oder Schlamm eintaucht, seine vorige Schönheit nicht mehr in Erscheinung, sondern man sieht nur das was von Schlamm oder Lehm an ihm haftet; für den ist doch das Häßliche ein fremder Zusatz, und es ist nun seine Aufgabe, wenn er wieder schön sein will, sich abzuwaschen und zu reinigen, dann ist er wieder was er war. So dürfen wir wohl mit Recht die Häßlichkeit der Seele als eine fremde Beimischung, eine Hinwendung zum Leib und Stoff bezeichnen, und es bedeutet also häßlich sein für die Seele nicht rein und ungetrübt sein wie Gold, sondern mit Schlacke verunreinigt; entfernt man nur die Schlacke, so bleibt das Gold zurück und ist schön, sobald es vom Fremden losgelöst nur mit sich selbst zusammen ist; so ergeht es auch der Seele: löst sie sich von den Begierden die sie durch zu innige Gemeinschaft mit dem Leib erfüllen, befreit sie sich von den andern Leidenschaften und reinigt sich von Schlacken der Verkörperung und verweilt allein mit sich, dann hat sie das Häßliche, das ihr aus einem fremden Sein kommt, sämtlich abgelegt.

[6]So ist denn also, wie es die Lehre der Alten sagt, die Züchtigkeit und Tapferkeit und jegliche Tugend und auch die Weisheit selber eine Reinigung. Darauf deutet denn auch richtig die verhüllte Lehre der Mysterien, die vom nicht Gereinigten sagen, daß er ‘im Hades im Schlamm liegen werde’: das Unreine nämlich ist wegen seiner Niedrigkeit begierig nach dem Schlamm, so wie die Säue, da sie unrein am Leibe sind, am Unreinen ihre Lust haben. Was ist denn auch wahre Selbstzucht anderes als keine Gemeinschaft pflegen mit den Lüsten des Leibes, sie fliehen da sie unrein und des Reinen unwürdig sind? Tapferkeit ferner heißt den Tod nicht fürchten, der Tod aber ist die Getrenntheit der Seele vom Leibe: davor fürchtet sich der nicht, der es liebt allein (mit seiner Seele) zu sein; und Seelengröße bedeutet ja doch Verachtung der Erdendinge; und Weisheit ist Denken in Abneigung gegen das Untere, und führt die Seele zum Oberen hinauf.

Durch solche Reinigung wird die Seele Gestalt und Form, völlig frei vom Leibe, geisthaft und ganz dem Göttlichen angehörig, aus welchem der Quell des Schönen kommt, und von wo alles ihm Verwandte schön wird. Wird so die Seele hinaufgeführt zum Geist, so ist sie in noch höherem Grade schön. Der Geist aber und was von ihm kommt, das ist für sie die Schönheit, und zwar keine fremde sondern die wesenseigene, weil sie dann allein wahrhaft Seele ist. Deshalb heißt es denn auch mit Recht, daß für die Seele gut und schön werden Gott ähnlich werden bedeutet, denn von ihm stammt das Schöne und überhaupt die eine Hälfte des Seienden; oder vielmehr ist das wahrhaft Seiende das Schöne, das nicht wahrhaft Seiende aber das Häßliche, und das ist zugleich das ursprünglich Böse; so ist auch anderseits Gutes und Schönes, Gutheit und Schönheit identisch. Schön und gut, häßlich und böse ist also auf dem gleichen Wege zu untersuchen. Als das Erste ist anzusetzen die Schönheit, welche zugleich das Gute ist; von daher wird der Geist unmittelbar zum Schönen, und durch den Geist ist die Seele schön; und das weitere Schöne dann, in den Handlungen und Tätigkeiten, kommt von der gestaltenden Seele her; und die Leiber schließlich, welche man schön nennt, macht die Seele dazu; denn da sie ein Göttliches ist und gleichsam ein Stück des Schönen, so macht sie das was sie anrührt und bewältigt, schön, soweit es an der Schönheit Teil haben kann.

[7]Steigen wir also wieder hinauf zum Guten, nach welchem jede Seele strebt. Wenn einer dies gesehen hat, so weiß er was ich meine, in welchem Sinne es zugleich schön ist. Erstrebt wird es sofern es gut ist, und unser Streben richtet sich auf es als ein Gutes; wir erlangen es nun indem wir hinaufschreiten nach oben, uns hinaufwenden und das Kleid ausziehen das wir beim Abstieg angetan haben (so wie beim Hinaufschreiten zum Allerheiligsten des Tempels die Reinigungen, die Ablegung der bisherigen Kleider, die Nacktheit); bis man dann, beim Aufstieg an allem was Gott fremd ist vorübergehend, mit seinem reinen Selbst jenes Obere rein erblickt, ungetrübt, einfach, lauter, es von dem alles abhängt, zu dem aufblickend alles ist lebt und denkt, denn es ist Ursache von Leben Denken und Sein; wenn man dieses also erblickt – von welcher Liebe, welcher Sehnsucht wird man da ergriffen in dem Wunsch sich mit ihm zu vereinigen, und wie lustvoll ist die Erschütterung! Wer es nämlich noch nicht gesehen hat, strebt zu ihm als zum Guten; wer es aber erblickte, der darf ob seiner Schönheit staunen, er ist voll freudigen Verwunderns, einer Erschütterung die ohne Schaden ist, er liebt wahre Liebe, er lacht des peinigenden Begehrens, überhaupt aller andern Liebe und verachtet was er früher für schön hielt. So geht es denen welchen die Erscheinung eines Gottes oder Daimons begegnet ist, sie können die Schönheit anderer Leiber nicht mehr wie sonst bejahen; ‘was aber erlebt erst der welcher das Schöne selbst schaut, an und für sich und in seiner Reinheit, nicht mit Fleisch’ und Körper ‘befleckt’, nicht auf Erden nicht im Himmel, sonst wäre es nicht rein, denn das alles ist fremde Zutat und Mischung und nicht ursprünglich, sondern stammt erst eben von jenem Oberen. Sieht er nun also Jenes, welches allen Dingen die Schönheit spendet, sie ihnen mitteilt so daß es dabei in sich verharrt und seinerseits nichts empfängt, und verweilt er in der Schau dieses Hohen und genießt seiner und wird ihm ähnlich, was für eines Schönen bedarf er da noch? Denn dies selber, da es in höchstem Maße Schönheit ist und ursprüngliche Schönheit, macht die welche es lieben schön und macht sie liebenswert. Darum denn auch ‘der größte, höchste Wettkampf der Seelen geht’ um dessentwillen ja die ganze Anstrengung geschah, nicht verlustig zu gehen dieser herrlichsten Schau, welche den der sie erlangt selig macht, da er seligen Anblicks genießt. Wem es aber nicht glückt der ist wahrhaft unglücklich; denn nicht wer schöne Farben und schöne Leiber, nicht wer Macht, Ämter, den Königsthron nicht erlangt, ist unglücklich, sondern allein wer dies eine nicht erlangt, dessen habhaft zu werden einer Königsthron und Herrschaft über die ganze Erde, über das Meer und den Himmel fahren lassen soll, ob er vielleicht, wenn er das alles hinten läßt und gering achtet und sich jenem Einen zuwendet, es erblicken könnte.

[8]Aber welches ist nun der Weg, welches das Mittel? Wie kann man eine überwältigende Schönheit erschauen, die gleichsam drinnen bleibt im heiligen Tempel und nicht nach außen hinaustritt daß sie auch ein Ungeweihter sehen könnte? So mache sich denn auf und folge ihr ins Innere wers vermag, und lasse das mit Augen Gesehene draußen und drehe sich nicht um nach der Pracht der Leiber wie einst. Denn wenn man Schönheit an Leibern erblickt, so darf man ja nicht sich ihr nähern, man muß erkennen daß sie nur Abbild Abdruck Schatten ist, und fliehen zu jenem von dem sie das Abbild ist. Denn wenn einer zu ihr eilen wollte und sie ergreifen als sei sie ein Wirkliches, so geht es ihm wie Jenem – irgendeine Sage, dünkt mich, deutet es geheimnisvoll an: der wollte ein schönes Abbild, das auf dem Wasser schwebte, greifen, stürzte aber in die Tiefe der Flut und ward nicht mehr gesehen: ganz ebenso wird auch, wer sich an die schönen Leiber klammert und nicht von ihnen läßt, hinabsinken nicht leiblich aber mit der Seele in dunkle Tiefen die dem Geiste zuwider sind; so bleibt er als Blinder im Hades (im Dunkel) und lebt schon hier wie einst dort nur mit Schatten zusammen. ‘So laßt uns fliehen in die geliebte Heimat’ – so könnte man mit mehr Recht mahnen. Und worin besteht diese Flucht und wie geht sie vor sich? Wir werden in See stechen wie Odysseus von der Zauberin Kirke oder von Kalypso, wie der Dichter sagt, und verbindet damit, meine ich, einen geheimen Sinn: er wars nicht zufrieden zu bleiben obgleich er die Lust hatte die man mit Augen sieht und der Fülle wahrnehmbarer Schönheit genoß. Dort nämlich ist unser Vaterland von wo wir gekommen sind, und dort ist unser Vater. Was ist es denn für eine Reise, diese Flucht? Nicht mit Füßen sollst du sie vollbringen, denn die Füße tragen überall nur von einem Land in ein anderes, du brauchst auch kein Fahrzeug zuzurüsten das Pferde ziehen oder das auf dem Meer fährt, nein, du mußt dies alles dahinten lassen und nicht blicken, sondern nur gleichsam die Augen schließen und ein anderes Gesicht statt des alten in dir erwecken, welches jeder hat, aber wenige brauchens. Und was[9] sieht dies innere Gesicht? Wenn es eben erweckt ist, kann es den Glanz noch nicht voll erblicken; so muß die Seele das Gesicht gewöhnen, daß es zuerst die schönen Tätigkeiten sieht, dann die schönen Werke, nicht welche die Künste schaffen, sondern die Männer die man gut nennt. Und dann blick auf die Seele derer die diese schönen Werke tun. Wie du der herrlichen Schönheit ansichtig werden magst, welche eine gute Seele hat? Kehre ein zu dir selbst und sieh dich an; und wenn du siehst daß du noch nicht schön bist, so tu wie der Bildhauer, der von einer Büste, welche schön werden soll, hier etwas fortmeißelt, hier etwas ebnet, dies glättet das klärt, bis er das schöne Antlitz an der Büste vollbracht hat: so meißle auch du fort was unnütz und richte was krumm ist, das Dunkle säubere und mach es hell und laß nicht ab ‘an deinem Bild zu handwerken’ bis dir hervorstrahlt der göttliche Glanz der Tugend, bis du die Zucht erblickst ‘thronend auf ihrem heiligreinen Postament’. Bist du das geworden und hast es erschaut, bist du rein und allein mit dir selbst zusammen, und nichts hemmt dich auf diesem Wege eins zu werden, und keine fremde Beimischung hast du mehr in deinem Innern, sondern bist ganz und gar reines, wahres Licht, nicht durch Größe gemessen, nicht durch Gestalt umzirkt in engen Grenzen, auch nicht durch Unbegrenztheit zu Größe erweitert, sondern gänzlich unmeßbar, größer als jedes Maß und erhaben über jedes Wieviel: wenn du so geworden dich selbst erblickst, dann bist du selber Sehkraft, gewinnst Zutrauen zu dir, bist so hoch gestiegen und brauchst nun keine Weisung mehr, sondern blicke unverwandt, denn allein ein solches Auge schaut die große Schönheit. Wer aber die Schau unternimmt mit einem durch Schlechtigkeit getrübten Auge, nicht gereinigt, oder kraftlos, der ist nicht Manns genug das ganz Helle zu sehen, und sieht auch dann nichts wenn einer ihm das was man sehen kann als anwesend zeigt. Man muß nämlich das Sehende dem Gesehenen verwandt und ähnlich machen, wenn man sich auf die Schau richtet; kein Auge könnte je die Sonne sehen, wäre es nicht sonnenhaft; so sieht auch keine Seele das Schöne, welche nicht schön geworden ist. Es werde also einer zuerst ganz gottähnlich und ganz schön, wer Gott und das Schöne schauen will. Dann wird er im Emporsteigen zuerst zum Geist gelangen und wird dort alle schönen Formen sehen und sagen, das sei die Schönheit: die Ideen; denn durch sie ist alles schön, sie die Erzeugnisse des Geistes und der Seinsheit; die Wesenheit aber jenseits des Geistes nennen wir das Gute, und sie hat das Schöne wie eine Decke um sich; sie ist also, ohne nähere Scheidung gesprochen, das Erste Schöne; trennt man das Geistige ab, so muß man den Ort der Ideen als das Geistige Schöne ansehen, als das Gute aber das Jenseitige, welches Quell und Urgrund des Schönen ist; oder man muß das Gute und das Erste Schöne gleichsetzen: nur muß in jedem Falle das Schöne in den jenseitigen Bereich gehören.

2

Die Unsterblichkeit der Seele

Ob aber jeder einzelne unter uns Menschen unsterblich ist oder ob wir gänzlich der Vernichtung verfallen, oder aber ob ein Teil des Menschen dahingeht, sich zerstreut und vernichtet wird während ein anderer Teil, der sein eigentliches Selbst ist, auf immer bleibt, diese Frage kann man klären wenn man sie in folgender Weise ihrem Wesen gemäß betrachtet.

Der Mensch ist ja nicht ein Einfaches, sondern es ist in ihm Seele, anderseits hat er den Leib; mag der nun unser Werkzeug oder in anderer Weise mit uns verknüpft sein – jedenfalls wollen wir die genannte Einteilung ansetzen und die Wesensart jedes der beiden betrachten. Der Leib also, der seinerseits wieder zusammengesetzt ist, kann damit schon aus Gründen der Logik keinen Bestand haben; aber auch die Wahrnehmung sieht ihn sich auflösen, verwesen und sonst mancherlei Verderbnis ausgesetzt; jeder der Bestandteile kehrt zu seinem Ort zurück, ein Teil vernichtet den andern, wandelt sich in den andern und zerstört ihn, und das besonders wenn die Seele nicht mehr bei den Teilen der Materie ist, die sie einträchtig macht. Aber auch wo diese Teile sich absondern und Einzelding werden, ist keine Einheit; es läßt sich immer noch auflösen in Form und Stoff, aus denen notwendiger Weise auch die Elemente zusammengesetzt sein müssen; da sie ferner, als Körper, Masse haben, und daher zerteilt und in kleinste Bestandteile zerstückt werden können, so können sie auch auf diesem Wege der Zerstörung unterliegen. Ist also der Leib ein Teil von uns, so sind wir nicht als Ganzes unsterblich; ist er unser Werkzeug, so mußte er, da er uns nur auf eine gewisse Zeit gegeben wurde, seinem Wesen nach zeitlich sein. Nun steht aber das Eigentliche, das Selbst des Menschen, wenn anders es dies wirklich ist, im Verhältnis von Form zu Stoff zum Leibe oder im Verhältnis von Benutzer zu Werkzeug: auf beide Weisen aber ist dies Selbst die Seele.

[2]Welches Wesen aber hat dies Selbst? Ist es Körper, so müssen wir es unbedingt zerlegen, denn aller Körper ist ja zusammengesetzt. Ist es freilich nicht als Körper anzusehen, sondern andern Wesens, so ist eben dies andere Wesen in derselben Weise oder auf eine andere zu untersuchen. Zuvörderst aber ist zu prüfen, in welche Bestandteile dieser Körper, als den sie die Seele ansehen, aufzulösen ist. Da der Seele notwendig Leben beiwohnt, muß notwendig dieser Körper, die Seele, Leben von Anbeginn in sich tragen; und zwar, besteht er aus zwei Körpern, beide, besteht er aus mehreren, alle, oder einzelne der Bestandteile haben Leben, andere nicht, oder keiner von beiden beziehungsweise von allen. Wenn einem der Bestandteile Leben anhaftet, so ist eben dieser die Seele. Was gibt es nun für einen Körper, der von sich aus Leben hat? Feuer Luft Wasser und Erde sind von sich aus unbeseelt; welcher von ihnen Seele und Leben hat, hat es als nachträglich Hinzugekommenes. Andere Körper (Elemente) aber außer diesen gibt es nicht; auch soweit man noch andere Elemente angenommen hat, hat man sie ja als Körper, nicht als Seelen bezeichnet, und als unbelebt. Hat aber keines der Elemente Leben, so wäre die Erzeugung von Leben durch ihre bloße Vereinigung ein Unding, oder vielmehr es wäre eine Unmöglichkeit, daß das Zusammentreffen von Körpern Leben bewirkt, und damit das Ungeistige Geist erzeugt. Sie werden ja selbst nicht behaupten daß die Körper durch beliebige Mischung zu belebten Wesen werden; es muß also ein ordnendes Prinzip vorhanden sein, eine Ursache der Mischung; dann hat eben dies Prinzip den Rang der Seele. Denn nicht nur kein zusammengesetzter, nein auch kein einfacher Körper kann in der Welt sein ohne daß die Seele im All ist, wenn anders rationale Form, an den Stoff herantretend, den Körper hervorbringt; Form aber kann von nirgend herantreten als von der Seele.

[3]Wer aber behauptet, daß nicht in dieser Weise, sondern durch Vereinigung von Atomen oder teillosen Bestandteilen Seele entsteht, der wird widerlegt durch die Einheitlichkeit und Empfindungseinheit (der Seele); … und auch dadurch daß durch bloße Nebeneinanderstellung kein durchwaltetes Ganzes entstehen kann … denn ein Einheitliches und einheitlich Empfindendes kann nicht aus empfindungslosen und der Vereinheitlichung nicht fähigen Körpern entstehen, die Seele aber hat einheitliches Empfinden mit sich selbst. Aus teillosen Körpern ferner kann gar kein Körper und überhaupt keine Größe entstehen.

Aber auch wenn der Seelenkörper ein einfacher ist und man zugibt, daß er, soweit er rein stofflich ist, von sich aus kein Leben hat (da der Stoff qualitätlos ist), dann aber behauptet daß dasjenige, was die Stelle der Form einnimmt, das Leben hervorbringt, so müssen sie entweder diese Form als Substanz ansetzen: dann kann die Seele nicht beides zusammen, sondern nur das eine von beiden sein und das kann nicht mehr Körper sein, denn es ist nicht seinerseits aus Stoff, sonst können wir es wieder auf die gezeigte Weise auflösen; oder sie setzen diese Form als eine Affektion des Stoffes und nicht als Substanz an: dann müssen sie aufweisen, woher denn diese Affektion, das Leben, in den Stoff gekommen ist; denn der Stoff formt sich doch nicht selbst und pflanzt sich nicht selbst die Seele ein. Es muß also etwas da sein das Leben zu liefern (mag es nun an den Stoff oder an irgendeinen der Körper geliefert werden), und das muß außerhalb und jenseits jedes körperlichen Seins liegen. Ja es könnte überhaupt gar kein Körper existieren, wenn das Seelenvermögen nicht wäre. Denn der Körper fließt, sein Wesen ist in Bewegung; und er würde gar bald zu Grunde gehen, wenn alles Sein nur aus Körpern bestünde, mag man auch einem dieser Körper den Namen ‘Seele’ geben; diese wäre ja doch den gleichen Erscheinungen unterworfen wie die andern Körper, da er aus demselben Stoff wäre, vielmehr es würde ein Körper überhaupt gar nicht zur Existenz gelangen, sondern alles würde in der bloßen Materie stecken bleiben, wenn es keine Kraft gibt die sie formt; vielleicht gäbe es dann sogar überhaupt keine Materie. Auch unser Weltall ferner müßte sich auflösen, wenn man seine Existenz der bindenden Kraft eines Körpers anvertrauen wollte, dem man die Rolle der Seele, selbst ihre Bezeichnung gibt, der Kraft der Luft, des Hauches, der sich doch weithin zerstreut und nicht aus sich die Möglichkeit hat eine Einheit zu sein. Wie kann man, wo alle Körper der Zerteilung unterliegen, auf einem Körper welcher es sei die Existenz dieser Welt beruhen lassen, ohne sie zu einem vernunftlosen, ordnungslos Bewegten zu machen? Wie kann der Hauch, der selbst von der Seele her der Ordnung bedarf, Ordnung in sich haben oder Vernunft oder Geist? Nein, gibt es Seele, so sind ihr all diese Körper zu Diensten zum Bestehen der Welt und jedes Lebewesens, indem jeder eine andre Eigenschaft beisteuert zum Ganzen; ist die Seele aber nicht im All zugegen, so gäbe es diese Welt gar nicht, geschweige in Ordnung.

[4]Aber sie selbst werden ja, geführt von der Wahrheit, zu Zeugen, daß es vor den Körpern eine ihnen überlegene Form, die Seele, geben muß; sie setzen ja den Hauch als vernunftbegabt und sprechen von dem vernunfthaften Feuer; als könne der obere Seinsteil nicht ohne Feuer und Hauch in der Welt sein und müßte sich einen Platz suchen worauf er sich gründen könnte; während sie vielmehr einen Ort suchen müßten wo sie die Körper gründen können; denn die Körper müssen gegründet werden in den Kräften der Seele. Wenn sie aber den Hauch und nichts anderes für gleichbedeutend mit Leben und Seele halten, was soll dann ihr vielberedetes ‘Bestimmtbefindlich’, auf das sie sich zurückziehen weil sie gezwungen sind neben den Körpern noch ein wirkendes Prinzip anzusetzen? Da nicht jeder Hauch Seele sein kann – denn es gibt zahllose unbeseelte Hauche –, müssen sie den bestimmtbefindlichen Hauch als Seele ansetzen; dann müssen sie dies ‘bestimmtbefindlich’, diesen ‘Zustand’, entweder unter das Seiende rechnen oder nicht. Wenn nicht, dann handelt es sich um den bloßen Hauch, und das ‘bestimmtbefindlich’ ist leeres Wort; dann müßten sie dahin kommen, auch sonst nichts anderes für seiend zu halten als den Stoff, Seele aber, Gott und alles andere für leere Worte und nur den Hauch für seiend. Soll aber der ‘Zustand’ ein Seiendes sein und neben dem Substrat, der Materie, existieren, am Stoff, aber selbst unstofflich – es darf ja nicht seinerseits wieder aus Stoff zusammengesetzt sein – dann ist dieser Zustand irgendwie eine rationale Form und kein Körper, und somit andern Wesens (als der Körper).

Ferner stellt sich auch auf folgendem Wege die Unmöglichkeit heraus, daß die Seele ein Körper, welcher auch immer, sei. Denn dann muß sie entweder warm sein oder kalt, rauh oder weich, flüssig oder fest, schwarz oder weiß und was sonst die verschiedenen Qualitäten in den verschiedenen Körpern sind. Ist sie nun warm, kann sie lediglich Wärme erzeugen, wenn sie kalt ist, Kälte; ein Leichtes kann durch sein Hinzutreten und seine Gegenwart nur leicht machen, ein Schweres schwer, ein Schwarzes schwarz, ein Weißes weiß. Denn Feuer kann nicht kälten, und Kaltes nicht wärmen. Nun wirkt aber die Seele in den verschiedenen Lebewesen je Verschiedenes, aber auch in demselben Gegensätzliches: sie macht bald fest bald flüssig, bald dicht bald dünn, schwarz weiß, leicht schwer. Dabei müßte sie eine einzige Wirkung hervorbringen entsprechend ihrer körperlichen Qualität, zumal ihrer Farbe: tatsächlich aber wirkt sie Vielfaches.

[5]Wie wollen sie ferner erklären daß die Bewegungen verschiedene sind und nicht eine, wo doch die Bewegung jedes Körpers nur eine ist? Wenn sie bald Vorsätze bald Begriffe als Grund ansetzen, so ist das ganz richtig. Aber weder Vorsatz noch Begriffe gehören dem Körper; sie sind verschiedenartig, der Körper ist aber einer und einfach, und hat keinen Teil an derartigem Begriff, soweit er ihm nicht gegeben ist von dem das ihn zu einem Warmen oder Kalten machte.

Das Wachsenlassen ferner je zu seiner Zeit und bis zu einem bestimmten Maß, wie kann das aus dem Körper selbst zustande kommen, dem eigen ist zu wachsen, selbst aber des Wachsenlassens unfähig zu sein, soweit er nicht aus der Masse des Stoffes aufgegriffen wird demjenigen zu dienen das durch ihn Wachstum bewirkt? Setzen wir aber auch daß die Seele Körper ist und den Körper wachsen läßt: dann muß sie ja auch selbst wachsen, und zwar selbstverständlich durch Hinzutreten von gleichviel Körper, wenn sie mit dem von ihr zum Wachsen gebrachten Körper Schritt halten soll. Das Hinzutretende muß dann entweder Seele oder unbeseelter Körper sein. Wenn es Seele ist, woher und wie kommt sie hinein und wieso tritt sie hinzu? Ist aber das Hinzutretende unbeseelt, wie kann es dann zu Seele werden und mit dem schon Vorhandenen zu gleichen Urteilen kommen und eine Einheit mit ihm werden, und wie kann es an den gleichen Vorstellungen wie das schon Vorhandene teilhaben, wo es doch wie eine fremde Seele nichts von dem wissen müßte was die andre in sich hat? Wenn weiter, wie von unsrer übrigen Leiblichkeit, so auch von der Seele, wenn sie Körper ist, immer teils etwas ausgeschieden werden teils etwas hinzukommen muß, so daß schließlich nichts Identisches mehr nachbleibt, wie können da unsere Erinnerungen statthaben, wie können sich Bekannte erkennen, wenn sie je eine andre Seele haben?

Wenn ferner die Seele Körper ist, zum Wesen des Körpers es aber gehört daß wenn er in mehrere Teile geteilt wird, jeder Teil nicht dasselbe ist wie das Ganze – wenn die Seele eine bestimmte quantitative Größe ist, und wenn sie sich dann verringert, ist sie nicht mehr Seele, wie denn jedes Quantitative durch Subtraktion sein bisheriges Sein ablegt –; wenn anderseits ein Ding, das Größe hat, trotz Verringerung des Quantums an Qualität dasselbe bleiben kann, so ist sein Körper-Sein von seinem Quantität-Sein verschieden, und es kann Qualität die ja etwas andres ist als Quantität nur vermöge der Identität bewahren –: wofür werden sich also entscheiden die die Seele als Körper ansehen? Erstlich zu den einzelnen Teilen der Seele die in demselben Leibe ist: soll der einzelne Teil auch Seele sein in gleicher Weise wie die ganze? Und so fort der Teil des Teiles? Dann macht also die Größe für ihr Wesen nichts aus – was sie doch müßte wenn die Seele eine Quantität wäre. (Auch ist sie als Ganzes an vielen Stellen, und das ist für einen Körper unmöglich, daß dasselbe als Ganzes in mehreren Dingen ist und daß der Teil dasselbe ist wie das Ganze.) Wollen sie aber ihre einzelnen Teile nicht Seele nennen, so ergibt sich ihnen eine Seele die aus unseelischen Teilen besteht. Überdies, wenn die Größe jedes einzelnen Seelenteiles begrenzt sein soll nach beiden Richtungen, so kann wenigstens die in Bezug auf Verkleinerung begrenzte nicht Seele sein. Wenn nun aus einer Begattung und einem Samen Zwillinge entstehen, oder auch wie bei den Tieren Mehrlinge, indem der Same sich an viele Stellen (der Gebärmutter) verteilt, und jeder Teil des Samens also ein Ganzes ist: so muß das doch die die lernen wollen belehren, daß dasjenige dessen Teil dasselbe ist wie das Ganze, in seiner Seinsart über dem Quantitativ-sein steht, und notwendig ohne Quantität sein muß; denn so kann es identisch bleiben obgleich es die Quantität los wird, denn es braucht sich nicht zu kümmern um Quantität und Masse, da sein Wesen andrer Art ist. Folglich sind die Seele und die Formkräfte nicht quantitativ.

[6]Daß aber, wenn man die Seele als Körper ansetzt, es unsre Wahrnehmung, unser Denken, unser Wissen nicht geben kann und keine Tugenden und Werte, das wird aus Folgendem klar. Was etwas wahrnehmen soll, das muß seinerseits eine Einheit sein und jeden Gegenstand mit einem und demselben Vermögen erfassen, auch dann wenn durch verschiedene Sinne mehrere Wahrnehmungen nach innen gelangen oder viele Qualitäten die einem einzigen Gegenstand zugehören, wie auch dann wenn durch einen einzigen Sinn eine vielgegliederte Wahrnehmung wie z. B. ein Antlitz eindringt; denn nicht nimmt ein Vermögen die Nase wahr, ein andres die Augen, sondern ein und dasselbe alles zumal. Wenn die eine Wahrnehmung von den Augen, die andre von den Ohren kommt, so muß es Eines geben an das beide gelangen; denn wie könnte der Mensch sonst diese Sinneseindrücke als verschieden ansprechen, wenn sie nicht bei ein und derselben Instanz zusammenträfen? Diese Instanz muß also gewissermaßen das Zentrum sein, und die von allen Seiten kommenden Wahrnehmungen müssen, wie Radien die von einer Kreisperipherie aus zusammentreffen, zu ihm hindringen, und entsprechend muß das Wahrnehmungsorgan wahrhaft eines sein. Wenn es dagegen ausgedehnt wäre und die Wahrnehmungen wie auf die beiden Enden einer Linie träfen, so muß der Eindruck entweder doch wieder an demselben Punkt, etwa der Mitte der Linie, zusammentreffen, oder die beiden Stellen werden verschiedene Wahrnehmung, und jede von einem andren Ding, haben, so als wenn ich und du verschiedenes wahrnehmen. Wenn ferner der Sinneseindruck einheitlich ist, wie z. B. ein Antlitz, so muß er entweder in einen Punkt zusammengefaßt werden – und das ist offensichtlich wirklich so; er wird ja schon in den Pupillen zusammengefaßt, sonst könnte man nicht die größten Gegenstände durch die Pupille sehen; um so mehr werden sie, wenn sie weiter gehen zum Leitenden (Zentralorgan), gleichsam zu teillosen Gedanken – und dann muß dieser Punkt teillos sein; oder, ist das Wahrnehmungsbild quantitativ ausgedehnt, so müßte das Aufnehmende sich mit ihm teilen, so daß jeder Teil einen andern Teil wahrnähme und kein Mensch das Wahrgenommene als ein Ganzes erfassen könnte. Es ist aber das ganze Aufnehmende ein Einheitliches. In welcher Weise sollte es auch zerteilt werden? Es kann dabei doch nicht gleich zu gleich passen, weil das Leitende nicht jedem Wahrnehmbaren gleichgroß ist; in was für Größenabschnitte soll es also zerlegt werden? Etwa in soviel Teile wieviele das eintretende Wahrgenommene an mannigfachen Teilen zählt? Soll dann jeder dieser Seelenteile mit seinen Unterteilen Wahrnehmung haben, oder die Teile der Teile kein Wahrnehmungsvermögen besitzen? Das wäre unmöglich. Soll aber jeder Teil das Ganze wahrnehmen, dann muß, da Größe in unzählige Teile zerlegt werden kann, sich ergeben, daß jeder von jedem Gegenstande unzählige Wahrnehmungen hat, also etwa von demselben Gegenstand unzählige Abbilder in unserem leitenden Organ.

Ferner, ist das Wahrnehmende Körper, so kann das Wahrnehmen nicht anders zustande kommen als ein Siegel, das von einem Petschaft in Wachs abgedrückt wird, ob die Sinneseindrücke nun ins Blut oder in die Luft sich abdrücken. Geschieht das aber wie es in feuchte Körper zu geschehen pflegt, und das wäre das Wahrscheinlichste, dann wird der Abdruck zerrinnen wie in Wasser, und es kann keine Erinnerung geben; bleiben aber die Abdrucke haften, so ist es entweder unmöglich daß andere Eindrücke sich abprägen weil die ersten den Platz besetzen: dann kann es keine andern Wahrnehmungen geben; oder wenn andere Eindrücke entstehen, müssen jene ersten verschwinden: dann kann es wieder keine Erinnerung geben. Da es nun aber Erinnerung gibt und die Möglichkeit eins nach dem andern wahrzunehmen ohne daß die vorigen Wahrnehmungen im Wege stehen, so ist es unmöglich, daß die Seele Körper ist.

[7]Man kann aber auch aus der Wahrnehmung des Schmerzes das Gleiche ersehen. Wenn man sagt daß einem Menschen der Zeh schmerzt, so ist das Wehtun natürlich am Zeh, die Wahrnehmung des Schmerzes aber, das werden sie zweifellos zugeben, hat statt im Leitenden Organ. Wenn also der schmerzende Teil ein andrer ist, nimmt das leitende Organ den Affekt wahr, und die ganze Seele nimmt Teil an diesem Affekt. Wie kommt das zustande? Durch ‘Weitergabe’, behaupten sie, indem zuerst der seelische Hauch am Zeh affiziert werde, dieser dem Nachbar daran Teil gebe, dieser dem nächsten, bis es zum Leitenden gelangt. Wenn also das erste eine Wahrnehmung des Schmerzes hatte, muß notwendig die des zweiten eine andere sein, wenn anders die Wahrnehmung durch ‘Weitergabe’ fortgeleitet wird, und die des dritten wieder eine andre, es müssen also viele, ja unzählige Wahrnehmungen aus der einen Schmerzwahrnehmung entstehen, und das Leitende Organ muß nachher all diese Wahrnehmungen wahrnehmen und obendrein noch seine eigne. In Wahrheit aber wäre jede dieser einzelnen Wahrnehmungen nicht Wahrnehmung des Schmerzes im Zeh, sondern die dem Zeh benachbarte hätte zum Inhalt, daß der Mittelfuß schmerzt, die dritte, daß der nächstobere Teil, und so entständen viele Schmerzempfindungen, und das leitende Organ nähme nicht einen Schmerz am Zeh wahr, sondern einen Schmerz an sich selbst, nur dieser letztere käme ihm zur Kenntnis, die andern aber ließe es auf sich beruhen und wüßte gar nicht daß der Zeh schmerzt. Ist es also unmöglich, daß die Wahrnehmung eines solchen Affekts durch ‘Weitergabe’ entsteht, und kann kein Körper – denn Körper ist bloße Masse – Kenntnis vom Affekt eines anderen haben (denn von jeder Größe ist jeder Teil ein andrer als jeder andere): so muß man das Wahrnehmende solcher Art ansetzen daß es überall in allen Teilen mit sich identisch ist. Das aber kommt einer andern Wesenheit und nicht dem Leibe zu.

[8]Daß aber auch kein Denken möglich wäre, wenn die Seele ein Körper welcher Art immer wäre, läßt sich folgendermaßen zeigen. Wenn nämlich Wahrnehmen ein Begreifen durch die Seele mit Hilfe des Leibes ist, dann kann nicht auch das Denken ein Erfassen vermittels des Körpers sein; sonst wäre es ja dasselbe wie das Wahrnehmen. Ist also das Denken ein Erfassen ohne Körper, so muß erst recht das was denken soll selbst unkörperlich sein. Ferner wenn Gegenstand der Wahrnehmung das Sinnliche, Gegenstand des Denkens das Geistige ist – lehnen sie das ab, nun so gibt es doch wenigstens von gewissen unsinnlichen Dingen ein Denken und von größelosen ein Erfassen: wie kann dann etwas das Größe ist das denken was nicht Größe ist, wie durch das Teilbare das Unteilbare denken? Vielleicht durch einen unteilbaren Teil seiner selbst? Dann braucht das, was denken soll, nicht mehr Körper zu sein; es ist ja zum Erfassen des Gegenstandes gar nicht mehr das Ganze vonnöten, die Berührung mit einem einzelnen Stück reicht ja aus. Wenn sie also wenigstens zugeben, daß die obersten Gedanken, wie es wahr ist, die Dinge zum Gegenstand haben die völlig und gänzlich von Körperlichem rein sind, dann kann auch seinerseits das was den einzelnen Gegenstand denkt, ihn nur erkennen, wenn es vom Körperlichen rein ist oder wird. Behaupten sie aber daß die in der Materie befindlichen Formen Gegenstand des Denkens sind, so können sie es doch erst werden wenn von den Körpern abstrahiert wird, wobei der Gedanke es ist der abstrahiert; denn die abgetrennte Vorstellung Kreis Dreieck Linie oder Punkt schließt die Verbundenheit mit Fleisch und überhaupt Stoff aus. Die Seele muß also ihrerseits bei solchem Verfahren sich vom Körper trennen. Folglich kann die Seele nicht ihrerseits Körper sein.

Ausdehnungslos ist, sollte ich meinen, auch das Schöne und das Gerechte. Folglich auch das Denken von ihnen. Sie muß ihnen also, wenn sie sie heimsuchen, mit ihrem ungeteilten Sein Empfang und Willkomm bereiten, und dann wohnen sie in ihr als teilloser.

Und wie sollen denn, wenn die Seele Körper ist, ihre Tugenden zustande kommen, Zucht Gerechtigkeit Tapferkeit und die anderen? Eine bestimmte Art Hauch oder Blut soll Zucht, Gerechtigkeit oder Tapferkeit sein? oder wohl Tapferkeit die Unempfindlichkeit des Hauches, und Zucht seine gute Mischung? Schönheit aber eine Art Wohlgestalt in Prägungen, dergemäß wir jemand schön und blühend am Leibe nennen? Kraft und schöne Ausprägungen kommen dem Hauch ja wohl zu; aber was hat der Hauch mit der Zucht zu schaffen, hat er nicht im Gegenteil nötig in Umarmung und Berührung sich wohl sein zu lassen wo er warm werden kann oder wohltemperiert ‘nach Kühlung verlangen’, oder sich an weiche zarte glatte Dinge schmiegen? Nach Gebühr aber zu verteilen (Gerechtigkeit), was schiert das den Hauch?

Erfaßt nun aber die Seele die Inbegriffe der Tugend, wie die der andern geistigen Dinge, als ewige, oder wird einem Tugend zuteil und fördert, und schwindet dann wieder? Aber wer wirkt sie dann, und woraus? Dann muß nämlich dies Wirkende seinerseits beharren. Die Tugenden müssen also als ewige und bleibende begriffen werden, so wie die geometrischen Objekte. Sind sie aber ewig und bleibend, so sind sie nicht körperlich. Dann muß aber auch das worin sie sein sollen ebenso sein; also nicht Körper. Denn nicht beharrt, sondern es fließt das körperliche Wesen alles.

[81]Wenn sie aber in Ansehung des Umstandes daß das körperliche Tun Wärme und Kälte, Stoßen und Schwere hervorruft, in diesem Bereich die Seele ansetzen, sie also lokalisieren gewissermaßen im Bereich des Handelns, so verkennen sie dabei erstlich, daß die Körper erst vermöge der ihnen innewohnenden unkörperlichen Kräfte diese Wirkungen hervorbringen; zweitens ist zu bedenken, daß nach unserer Auffassung nicht diese Kräfte der Seele zugehörig sind, sondern Denken, Wahrnehmen, Überlegen, Begehren, verständige und edle Vorsorge: alles Dinge die eine andre Substanz voraussetzen. Wenn sie aber die Kräfte des Unkörperlichen auf die Körper übertragen, so lassen sie für das Unkörperliche keine Kraft mehr nach. Daß vielmehr umgekehrt die Körper vermittels unkörperlicher Kräfte vermögen was sie vermögen, wird folgendermaßen deutlich. Sie werden zugeben daß Qualität und Quantität etwas verschiedenes ist, ferner daß jeder Körper quantitativ ist (weiter aber, daß nicht jeder Körper qualitativ ist, so die Materie); mit diesen Zugeständnissen geben sie zugleich zu, daß die Qualität, da sie verschieden ist von der Quantität, auch verschieden ist vom Körperlichen; denn da sie nicht quantitativ ist, kann sie nicht Körper sein, wenn anders jeder Körper quantitativ ist. Wenn ferner, wie oben schon gesagt wurde, jeder Körper und jede Masse durch Teilung seinen früheren Zustand verliert, dagegen aber, wenn der Körper zerschlagen wird, die Qualität bei jedem Teile die gleiche, ganze bleibt, z. B. die Süßigkeit des Honigs um nichts minder Süßigkeit bleibt an jedem einzelnen Teil des Honigs, so kann die Süßigkeit nichts Körperliches sein … ebenso die übrigen Qualitäten. Ferner, wären die qualitativen Kräfte Körper, so müßten notwendig die starken Qualitäten große Masse, die mit geringerer Wirkungskraft kleine Masse haben. Da es aber große Massen von kleiner Qualitätskraft, dagegen kleine und kleinste Massen von sehr großer qualitativer Kraft gibt, so ist die Wirkung einem andern als der Größe zuzuschreiben: also dem Größelosen. Der Tatbestand ferner, daß die Materie ein und dieselbe ist – und zwar nach ihrer Behauptung ein Körper –, dabei aber die verschiedensten Wirkungen hervorbringt wenn die Qualitäten zu ihr hinzutreten, muß doch deutlich machen, daß das Hinzutretende unstoffliche, größelose Begriffe sind.

Sie sollen auch nicht einwenden, daß das Lebewesen ja stirbt, wenn der Hauch oder das Blut es verläßt. Denn wie ohne diese beiden, so kann man auch ohne vieles andere nicht leben, und doch ist keines von dem darum Seele.

Ferner: weder Hauch noch Blut durchdringt den ganzen [82]Körper, sondern nur die Seele. Wäre nun die Seele die alles durchdringt, ein Körper, so wäre sie dem Durchdrungenen beigemischt so wie bei den andern Körpern die Mischung stattfindet. Da nun aber die Mischung der Körper keinem von den vermischten Dingen die Aktualität beläßt, so könnte die Seele nicht mehr aktual in den Körpern sein, sondern nur potential, und verlöre ihr Seele-sein; so wie bei einer Mischung von Süß und Bitter das Süß nicht mehr süß ist. Dann hätten wir also keine Seele.

Ist sie aber Körper und dem Körper ‘durch und durch’ beigemischt, wobei der eine Mischungsbestandteil an derselben Stelle wie der andre sein soll, indem beide Bestandteile der Mischung die gleiche Masse, den gleichen Raum einnehmen und keine Vermehrung durch Hinzufügung des andern eintreten soll, so läßt diese Mischung nichts Unzerstücktes nach. Denn die Mischung geschieht nicht in großen Stücken nebeneinander – das nennen sie ‘Anhäufung’ – sondern durch den ganzen Körper dringt das Hinzutretende, auch wenn es kleiner ist; was unmöglich ist, daß das Kleinere dem Größeren an Ausdehnung gleich wird – gut aber, es durchdringt ihn ganz, und damit zerstückt es ihn überall; soll es ihn also Punkt für Punkt zerstücken und soll kein Stück Körper dazwischen unzerstückt bleiben, dann muß notwendig die Aufteilung des Körpers bis zu Punkten gehen; und das ist unmöglich. Geht aber die Zerstückung bis ins Unendliche (denn wie klein man sich einen Körper vorstellt, immer ist er noch teilbar), dann müßte das Unendliche nicht nur potential sondern auch aktual existieren. Es ist also nicht möglich, daß ein Körper einen andern durch und durch durchdringt; die Seele tut es: folglich ist sie unkörperlich.

83Die Behauptung ferner, daß derselbe Hauch zunächst nur vegetative Kraft war, und erst als er (bei der Geburt) ins Kalte kam und wie Stahl ‘abgeschreckt’ wurde, Seele wurde, indem sie nämlich im Kalten sich verdünnte – eine Behauptung die ja schon an sich unsinnig ist, denn viele Lebewesen werden im Warmen geboren und haben also eine Seele die nicht durch Abkühlung entstanden ist – gut aber, sie behaupten daß das Vegetative früher als die Seele ist die erst durch die außen (außerhalb des Mutterleibes) eintretenden Umstände entstehe. So geraten sie dahin das Geringere zuerst entstehen zu lassen, und davor noch ein Geringeres, das sie ‘Zuständlichkeit’ nennen, der Geist aber ist erst das letzte, da er nämlich erst von der Seele her entsteht. Wenn aber der Geist vor allem ist, dann mußte man erst nach ihm die Seele entstehen lassen, dann die vegetative Kraft, und immer als nächstes das Geringere, wie es seiner Natur entspricht. Wenn so auch der Gott, entsprechend dem Geist, für sie später ist und geworden, und den Geist erst als nachträgliche Zutat besitzt, dann wäre es möglich daß weder Seele noch Geist noch Gott überhaupt existierte, da das Potentiale, wenn das Aktuale nicht vorher existiert, nicht vorhanden sein und nicht zur Aktualität gelangen kann. Denn was sollte es dazu bringen, wenn nicht vorher ein andres als es existiert? Soll es sich selbst zur Aktualität bringen, was ein Unding ist, aber gut: so muß es auf ein Vorbild sich dabei richten, und das kann nicht potential, sondern nur aktual sein. Freilich, wenn das Potentiale die Eigenschaft haben soll immer das Nämliche zu bleiben, dann kann es sich nach seinem eigenen Vorbild in die Aktualität überführen; dabei muß dies Nämliche dann aber stärker sein als das Potentiale, da es gleichsam Gegenstand seines Strebens ist. Früher also ist das Höhere, das ein vom Körper verschiedenes Wesen hat und immer in Aktualität ist; früher ist also auch Geist und Seele als die vegetative Kraft. Die Seele steht also anders als der Hauch und als der Körper.

Daß die Seele nicht als Körper angesehen werden darf, darüber ist von andern noch andres ausgeführt, aber das Gesagte mag [84]genügen. Da sie also von anderm Wesen ist, muß untersucht werden, von welchem. Ist sie etwa ein Anderes als der Körper, aber doch ein Etwas des Körpers, etwa seine Fügung (Harmonie)? Während die Pythagoreer diese in einem andern Sinn verstanden, hat man geglaubt es sei das etwas wie die Harmonie der Saiten. Denn wie dort bei der Spannung der Saiten etwas hinzutritt, eine Art Affektion der Saiten, eben die Harmonie: in derselben Weise bringe, da unser Körper aus einer Mischung ungleicher Bestandteile bestehe, deren so und so bestimmte Mischung Leben und Seele hervor, welche die an der Mischung anfallende Affektion sei.

Gegen diese Lehre ist schon vieles zum Erweis ihrer Unmöglichkeit geltend gemacht worden. So, daß die Seele das Frühere ist, die Harmonie aber das Spätere; daß die Seele herrscht und dem Körper gebietet und vielfach mit ihm uneins ist, was sie nicht könnte, wenn sie seine Harmonie wäre; daß die Seele Substanz, die Harmonie nicht Substanz ist; daß die Mischung der Körper, aus denen wir bestehen, wenn sie in guter Proportion ist, Gesundheit ist (also nicht Seele); daß an den einzelnen Teilen des Körpers, die doch verschieden gemischt sind, verschiedene Seelen sein müßten, so daß es viele Seelen (in einem Körper) geben müßte; und das Wichtigste: daß dann notwendig vor dieser Seele eine andre vorhanden sein müßte die diese Harmonie erzeugt, so wie bei den Instrumenten der Musiker, der den Saiten die Harmonie eingibt und die Proportion, nach der er sie abstimmt, von sich aus mitbringt. Denn sowenig dort die Saiten von sich aus, so können hier die Leiber sich selbst in Harmonie versetzen. Überhaupt aber: auch diese Lehre läßt aus Unbeseeltem Beseeltes entstehen und aus Ungeordnetem zufällig Geordnetes, und statt die Ordnung aus der Seele läßt sie vielmehr die Seele aus zufälliger Ordnung zur Existenz kommen. Das ist aber weder bei den Einzeldingen noch im All möglich. Folglich ist die Seele nicht Harmonie.

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