Schule positiv - Armin Fischwenger - E-Book

Schule positiv E-Book

Armin Fischwenger

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Beschreibung

Nach seinem Studienabschluss in Psychologie beschließt Hager, nochmals in der 7. Klasse einzuchecken und das Schulsystem zu analysieren. Merkwürde Erlebnisse, Alpträume, gepflegte Langeweile, aber auch Streiche der besonderen Art prägen diesen 2. Schullaufbahn. Seine Lehrer bekommen allerlei Absurditäten geboten und aus den Konflikten, Diskussionen und Versagen entsteht ein wertvoller Ratgeber auf dem Weg zur Reifeprüfung oder Matura. Bedeutende Tatsachen über den Schulalltag, Teil eins. Die drei verhängnisvollsten Dinge, die einem Schüler im Laufe seines erbärmlichen Schülerlebens passieren können, sind, wenn er 1. Schularbeit hat, nichts lernen konnte und gezwungen wird, an dem betreffenden Tag trotzdem in die Schule zu gehen, 2. total verwirrt aufwacht, beschließt, dass er etwas lernen will, vielleicht auch noch pünktlich das Klassenzimmer be-tritt und dann bemerkt, dass Sonntag ist, 3. vergisst, dass er in der ersten Stunde Latein hat und ver-sehentlich zum Unterricht erscheint.

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Roman. Für alle Schulstufen geeignet

Die Leere tötet die Fülle meiner Gedanken,

sie lässt auch mein feuriges Herz erkühlen,

mein Leben ist beherrscht vom Nichts,

ich kann nicht denken, sehen, fühlen.

So lerne ich von Tag zu Tag,

ohne mir etwas zu denken,

die Welt versinnlost immer mehr,

ich denk daran, mich selbst zu versenken.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder scheintoten Personen sind rein absichtlich und daher vollkommen bedeutungslos.

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL NULL

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL NULL

In den letzten Jahrzehnten hat sich unsere Gesellschaft in immer größere Scheinrealitäten hineingelebt, um sich von dem laufend komplizierter werdenden Dasein nicht verrückt machen zu lassen. Diese erfundenen Welten spielen eine wichtige Rolle in unseren Zeiten, da sie uns helfen, auftretende Probleme von gigantischer Bedeutung besser ignorieren zu können. Sie erläutern uns komplexe Vorgänge in und außerhalb der Natur, denen wir ansonsten hilflos gegenüberstünden, wenn wir versuchten, sie zu erkennen oder sie nicht zu erkennen. Ohne sie wäre auch ein Großteil der Menschheit von den täglichen Schwierigkeiten überwältigt, und würde aufgrund irgendwelcher Kleinigkeiten ständig verwirrt durchs Leben wandeln.

Viele mehr und weniger berühmte Genies vergangener ruhmreicher Zeiten haben dies zu verhindern versucht, jahrhundertelang Ionen in ihren Nervenzellen ausgetauscht und sind zwischenzeitlich zu der Lösung gekommen, dass eben solch künstliche Modelle dem Großteil der Erdbewohner helfen, weniger weltfremd die Erde zu bewohnen. Der winzige Nachteil, dass die Wahrheit nur einer privilegierten Oberschicht vorbehalten blieb, störte vorerst niemanden. Und so konnte diese Scheinwelt einige Zeit lang ganz munter vor sich hin existieren und half außerdem vielen Menschen, glücklicher zu werden.

Doch im Laufe der Entwicklung wurde die echte Wirklichkeit immer komplexer, die fiktive musste folgen, wurde deshalb von den meisten nicht mehr verstanden, und so benötigte man eine neue Lösung, um die Menschheit vor der völligen Verwirrung zu retten und es ihr weiterhin zu ermöglichen, ohne Konflikt mit ihrer künstlich geschaffenen Umgebung zu leben. Anstatt dies mit einer Art Scheinscheinrealität zu versuchen, wurde ein neues, allen anderen übergeordnetes Ideensystem erschaffen.

Dieses hat primär die Aufgabe, junge Leute in der Zeit zwischen Frühstück und Abendessen zu beschäftigen und das einige Jahre lang, um sie – so ganz nebenbei – möglichst unauffällig für eine Umwelt, die selbst nicht weiß, ob sie wirklich existiert oder nur zwischen den Zeilen einiger völlig absurder Bücher, zuzubereiten. Die Zusammenhänge in diesem System sind ungeheuer schwierig zu verstehen, sodass es nur einige Wenige gibt, die sich einbilden, dies zu können, doch wissen diese meist nicht einmal, warum sie glauben, es zu durchschauen.

Es gibt viele teils harmlose, teils nicht aussprechbare und teils von Grund auf komische Gründe, die dafür verantwortlich sind, wie zum Beispiel die gigantische Anzahl von Individuen, welche alle total unterschiedlich auf die Einflüsse dieser Scheinrealität reagieren. Viele bedienen sich der verschiedenartigsten Taktiken, mit deren Hilfe sie hoffen,

(a) ohne großes Risiko alles, was in dieser fiktiven Wirklichkeit vor sich geht, bekämpfen zu können und

(b) zu überleben.

Andere wiederum versuchen, alle vorgegebenen Informationen aufzunehmen, um so vielleicht eine kleine Chance zu haben, alles zu begreifen, doch sind sie dazu nicht imstande, weil sie dafür noch zu wenig ausgebildet sind und so das Ganze nicht analysieren können. Die Konsequenz ist, dass sie mehr als alle übrigen manipuliert werden.

Dies und die Tatsache, dass dieses erfundene System in verschiedenen Räumen und zu verschiedenen Zeiten komplett unterschiedliche Ausprägungen hat, tragen eine Menge zur Undurchschaubarkeit dieser Scheinwirklichkeit bei. Zusätzlich werden gänzlich sinnlose Querverbindungen zwischen Gebieten hergestellt, die so viel gemeinsam haben wie ein Loch.

Der Hauptgrund dafür, dass keiner eine Erklärung findet, ist allerdings, dass niemand eine sucht. Und so bleibt diese wahnsinnig schwer zu interpretierende Ideenwelt bestehen.

Dieses Buch hat sich nicht zum Ziel gesetzt, die komplexen Vorgänge in, um und außerhalb dieses Bereichs in anschaulicher Weise und möglichst einfach zu erläutern, da sie sowieso keiner verstehen würde. Es schildert von vielen Jahren intensiver Forschung und versucht lediglich diejenigen zu unterstützen, die gegen die künstliche Welt ankämpfen.

Um möglichst vielen diese Hilfe zu gewähren, ist dieser Bericht so gut es geht überschaubar geschrieben und beginnt auch dementsprechend unkompliziert. Er beginnt mit einem Fisch.

KAPITEL EINS

Dieser Fisch war kein normaler Fisch: Er war ein verdammt ungewöhnlicher Fisch an einem verdammt ungewöhnlichen Ort zu einer verdammt ungewöhnlichen Zeit. Der verdammt ungewöhnliche Ort war eine verdammt gewöhnliche Schultasche, was vermutlich der verblüffendste Platz ist, an dem man sich einen Fisch vorstellen kann. Die verdammt ungewöhnliche Zeit war acht Uhr und zu dieser frühen Stunde nimmt man von einem Fisch wohl kaum an, dass er sich in einer Schultasche befindet. Eine solche zeichnet sich unter anderem nämlich dadurch aus, dass sie dazu benützt wird, zweckentfremdete Materialien wie Papier, das zu Büchern und Heften zusammengebunden ist oder Holz, in dessen Mitte ein Graphitstab wächst, welcher abfärbt, wenn man ihn auf Oberflächen wie Papier oder Schulbänken reibt, zu transportieren. Von einem Fisch hingegen wird erwartet, dass er in einem Wasser schwimmt, sei es ein Ozean, ein See, ein Fluss oder ein Tümpel, zumindest aber ein A.-Quarium. Weiters soll er sich von Plankton, Krebsen oder anderen Fischen ernähren, dabei wachsen, sich fortpflanzen, sterben und an den Meeresboden sinken, wo er von irgendwelchen verrückten Destruenten, die dort vergraben sind und sich deshalb wahnsinnig gut vorkommen, zu anorganischer Substanz abgebaut wird.

Falls so ein Fisch von Menschen gegessen werden soll, so muss er gefangen, getötet und ausgenommen mit diversen Zutaten gekocht, gebraten oder gegrillt auf einem Teller liegen, ein gutes Glas Wein daneben stehen, und jemand (meist vom anderen Geschlecht, den man gerade erst kennengelernt hat) am selben Tisch sitzen, der einen davon abhält, ein fettes Steak zu bestellen.

Auf keinen Fall ist es sinnvoll, einen Fisch in einer Schultasche aufzubewahren denken sich die meisten, da

(a) sich dort kein Wasser befindet, welches es dem Fisch ermöglicht zu überleben,

(b) ein Fisch dort keine Aufgabe zu erfüllen hat und

(c) bis jetzt keiner auf den Gedanken gekommen ist, es zu versuchen.

Und so komisch es auch klingt: ein normaler Mitteleuropäer kann einen Fisch in einer Schultasche nicht akzeptieren, da dies sein Weltbild zerstören würde und so ist er voll und ganz darüber entsetzt, was sich sehr negativ sowohl für den Fisch als auch für dessen Besitzer auswirken kann, welcher aus diesem Grund darauf zu achten hat dass niemand diesen Bewohner eines anderen Elements entdeckt.

Der Eigentümer war beim Anblick eines Fisches in seiner Schultasche deshalb nicht außer sich, weil er wusste, weswegen sich dieser dort befand, was seine Aufgabe dort war, warum er kein Wasser benötigte und dass es sich eben um einen verdammt ungewöhnlichen Fisch handelte. Ohne dieses Wissen wäre er vermutlich selbst stark über dieses Tier verwundert gewesen.

Eine nicht zu erwartende Eigenschaft des Fisches war, dass er noch lebte und fröhlich pfeifend interessiert die Gegend beobachtete. Diese Umgebung war nicht sonderlich aufregend: Vor fünf Minuten hatte er noch die Straßen durchschwebt, war dann in ein Gebilde aus Beton geflogen, von dem störende Vibrationen ausgingen und welches die Ausbildungsstatte für seltsame Menschen war und deshalb gelegentlich auch mit dem aus dem Lateinischen kommenden Begriff „Schule“ betitelt wurde. Darauf trug man ihn in einen Raum, in dem sich schon dreiundzwanzig junge Leute – oft auch mit dem englischen Fachausdruck „Teenager“ bezeichnet – befanden, die ihn allerdings nicht sehen konnten, da er sich ja in einer Schultasche aufhielt. Was sie aber ein oder zwei Augenblicke später erblickten war der Besitzer des Fisches und der Schultasche und dies war wohl ihre ausgefallenste Wahrnehmung seit circa siebzehn Jahren. Doch keiner außer diesem selbst wusste, wer er wirklich und wie ausgefallen er war und so wurde er kaum beachtet, als er als erster von zwei „Neuen“ der Klasse vorgestellt wurde. Der zweite „Neue“ war nicht etwa der Fisch, sondern eine gewöhnliche Schülerin, welcher im Laufe der Geschichte noch eine enorm wichtige Rolle zukommen wird.

Der Fisch hörte sich währenddessen mit großem Eifer um. Er nahm wahr, wie sich alle ausführlich über ihre Ferienerlebnisse unterhielten, wo ei sich herausstellte, dass die meisten Sprachferien oder Lern-Camps hinter sich hatten.

Als ihr Klassenvorstand Dr. Stumpf den Raum betrat und zu sprechen begann, verstummten alle, wie es sich gehörte und fielen in Tiefschlaf. Ihr „Klassenpapi“ war ein typischer Beamter mit kurzen, grauen Haaren, Brille, einer tiefen Stimme und zehn Fingern. Seine Größe von einem Meter achtundneunzig und seine hundertfünfundvierzig Kilogramm ließen ihn mächtig erscheinen, dennoch fürchteten sich seine Schüler nicht vor ihm, denn er hatte sie stets freundlich behandelt. Seine Kleidung war besonders modern: graue Leinenhose, weißes Hemd, eine fesche, moderne Strickjacke in Braun und eine rote Wollmütze, die ihm den Spitznamen Papa Schlumpf eingebracht hatte. (Da er jeden Tag in dieser Kleidung zur Schule zu kommen pflegte, wurde er von den meisten sofort erkannt - außerdem fiel das nervenaufreibende Raten weg, wie ihr Deutsch- und Geschichteprofessor wohl heute angezogen sein würde, und dafür waren ihm alle äußerst dankbar).

So wäre er eigentlich ganz sympathisch gewesen, aber wenn er mit dieser „Ich-hoffe-ihr-hattet-angenehme-Ferien“-Floskel anfing, schaffte es keiner, seine Augen offenzuhalten.

„Liebe Schüler“, begann Dr. Stumpf, der wie jedes Jahr die gleiche langweilige Aufgabe übernehmen musste, seine Klasse in das neue Schuljahr einzuführen, in einer auffallend monotonen Stimmlage, „ich hoffe, ihr hattet angenehme Ferien und geht nun mit neuem Schwung an die Arbeit. Wie jedes Jahr werden wir auch heuer wieder…“

Zwei Schüler hoben verschlafen den Kopf, blickten lustlos im Klassenzimmer umher, sahen die zwei „Neuen“ und sackten wieder in sich zusammen, um es dem Rest der Klasse nachzumachen und noch ein wenig zu schlafen, denn wie alle hatten sie gerade den Gottesdienst überlebt und wussten aus vorangegangenen Jahren, dass es sinnlos gewesen wäre, gegen die daraus resultierende Müdigkeit anzukämpfen. Doch wenn ihr Klassenvorstand mit diesen Worten anfing, mussten sie sowieso nicht aufpassen und konnten sich in Ruhe erholen, denn sie kannten den Inhalt der folgenden Rede, die sie jedes Jahr nach den Sommer-, Weihnachts-, Semester-, Oster-, Pfingstferien und in verkürzter Fassung selbst nach verlängerten Wochenenden zu hören bekamen, schon in- und auswendig.

Der einzige, der sie nicht im Schlaf aufsagen konnte, war Chris, kurz Christian. Er hatte sie noch nie von Anfang an gehört, da er nach den Ferien regelmäßig zehn Minuten zu spät kam. Wie immer unterbrach er auch jetzt seinen Lehrer, als dieser gerade so richtig in Schuss gekommen war.

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich, „ich habe an einen elektrischen Zaun gepinkelt und mich eine viertel Stunde nicht losreißen können. Außerdem habe ich die Sonne nicht gehört, mein Wecker ist nicht angesprungen und der Bus hat verschlafen.“

„Du könntest dir auch einmal etwas Neues einfallen lassen“, antwortete Stumpf.

„Ich werd´s bis zu den Weihnachtsferien versuchen, Herr Professor.“

Einige Schüler waren wieder aufgewacht und warfen Chris Blicke zu, die selbst einen Stein hätten erstarren lassen, ehe sich vier Sekunden darauf jeder wieder in seiner eigenen Traumwelt befand und glücklich war.

Weitere dreiundvierzig Minuten später gelangte Stumpf zu jenem Punkt seines Vortrages, an dem er erklärte, wer die Neuen waren und woher sie kamen. Nun wurden fast alle munter und musterten die zwei – allerdings ohne allzu große Aufmerksamkeit. Hätten sie gewusst, dass der eine etwas ganz Besonderes war, wären sie wahrscheinlich noch uninteressierter gewesen, wenn sie aber geahnt hätten, was das Besondere war, wären sie hellhörig dagesessen und hätten jeder noch so unnützen Information erlaubt, bis zu ihrem Gehirn vorzudringen. Doch es war extrem bedeutsam, dass niemand dies je erfuhr.

Die Neue kannten sie bereits: sie war letztes Jahr eine Klasse höher gewesen und offensichtlich durchgefallen, schien aber nicht sonderlich darüber aufgebracht zu sein. Der andere war kein extrem auffälliger Typ, er war nur ein wenig komisch. Das Außergewöhnliche an ihm war, dass sein Äußeres zwar normal aussah, aber nicht zu ihm zu gehören schien: seine durchschnittlich orangen Haare, der weiße Jesus-Umhang, die hübsche Nase, die grünen Augen und seine modischen Arme und Beine sorgten nur dafür, dass er in jeder Hinsicht einen stark verwirrenden Eindruck hinterließ. Alle waren verwundert, warum er so merkwürdig war und sogar ein wenig gespannt warteten sie nun darauf zu erfahren, wer sich hinter dieser Verkleidung verbarg.

Was die Schüler über ihn hörten war folgendes: „... zwei neue Mitglieder in unserer Klassengemeinschaft“, erzählte Professor Stumpf, der vom langen Reden schon erschöpft war. „Hier neben mir steht der Bruckner Hager: er ist aus Sankt Radegund zu uns gekommen, und das hier ist die Jeba Ramona; vielleicht kennen sie einige von euch schon: sie muss die Klasse wiederholen und wollte zu uns. Auf jeden Fall wird ihr im Laufe der Geschichte noch eine enorm wichtige Rolle zukommen.“

Zu den beiden gewandt sagte er: „Ich hoffe, es gefällt euch bei uns, und ihr fühlt euch wohl. Am besten, ihr sucht euch jetzt einen Sitzp atz!“(Stumpf ließ ab und zu ein „l“ aus beim Sprechen, manchmal auch beim Denken).

Zumindest stellte nun Hagers Kleidung seine zukünftigen Klassenkameraden vor kein Rätsel mehr: was er trug, war nichts anderes als traditionelle steirische Tracht und obwohl sie wirklich toll aussah, hofften sie, dass er bald darauf verzichten würde, sie zu tragen.

Es sei an dieser Stelle gesagt, dass es reiner Zufall war, dass die männliche Person zuerst der Klasse präsentiert wurde. Dies geschah ohne das Ziel, das Mädchen in irgendeiner Form zu benachteiligen. Der Klassenvorstand agierte zwar unhöflich, doch war sein Handeln auf keinen Fall von sexistischen Absichten motiviert. Ebenso hat es keinen tieferen Hintergrund, dass der Zuspätkommende männlich ist. Auch die relativ primitive Sprache des Deutschlehrers ist zu entschuldigen, da dieser nach den Sommerferien immer einige Tage benötigt, um wieder in seinen gewohnten Stil hineinzukommen.

Froh, den unangenehmen Akt der Vorstellung überstanden zu haben, nickte Hager und ging zielstrebig auf die einzige noch leere Bank im Klassenraum zu. Es war wahnsinnig wichtig für ihn, alleine zu sitzen, da er nur so ungestört arbeiten konnte. Er war nämlich einer von denen, die hofften, durch Aufnahme von möglichst viel Information das System durchschauen zu können.

Nicht etwa, um gute Noten zu erhalten; danach strebte er wirklich nicht. Im Gegenteil: Er hatte schon vor langer Zeit beschlossen, die Schule auf jede nur denkbare Weise zu bekämpfen und er war nun hier, um diesen Plan auszuführen. Dazu musste er herausfinden, welchen Sinn es hatte, dass der Lehrplan gerade so und nicht anders zusammengestellt war, welche Auswirkungen das System auf Geist und Seele hatte und in welche Richtung die Schüler manipuliert wurden. Er war dazu imstande, weil er die Ausbildung dazu besaß und nun fähig war, alles zu analysieren und so auch das herausfinden konnte, was er nach dem Willen des Systems gar nicht herausfinden durfte.

Denn was keiner wusste war, dass er schon einmal eine Schule besucht und mit gutem Erfolg maturiert hatte. Nach dem sehr erfolgreichen Abschluss eines Psychologiestudiums ahnte er, wie die Schule ihn geformt und bewusst betrogen hatte und er schloss sich der geheimen Selbsthilfeorganisation SGS (Schüler gegen Schule) an, deren Ziel es war und ist, die wahren Absichten des Schulsystems zu durchleuchten. Als eines von zweihunderteinundfünfzig Mitgliedern hat er die Aufgabe, die mentalen Vorgänge bei Lehrern und Schülern speziell in der Oberstufe zu untersuchen. Zu diesem Zweck meldete er sich für die siebente Klasse in einem Gymnasium an. Um nicht durch sein Alter aufzufallen, musste er natürlich durch eine Operation verjüngt werden. Dies war ebenso wenig ein Problem wie die Beschaffung einer neuen Identität – alles eine Frage des Geldes, welches von der Organisation zur Verfügung gestellt wurde. Dabei hatte er noch Glück, denn er war relativ klein und musste nicht künstlich geschrumpft werden – im Gegensatz zu einigen Kollegen, wobei ihm jene besonders leid taten, die im Kindergarten eingesetzt wurden.

Wie auch immer: alle Mitglieder sind mit speziellen Fischen ausgerüstet, welche enorm wichtig sind, da ohne sie ein sinnvolles Arbeiten nicht möglich wäre, weil der Fisch seinen Besitzer auf mehrfache Weise, vor allem aber in psychologischer Hinsicht, im Kampf gegen das System unterstützt. Und um optimal mit dem Fisch arbeiten zu können, durfte Hager keinen Banknachbarn haben.

Nach einigem Zögern setzte sich Ramona neben ihn.

Zuerst Schweigen.

Dann lange nichts.

Dann wieder Schweigen.

Schließlich bemerkte Hager, dass er sie irgendwie loswerden musste; doch er war ja für derartige Fälle ausgebildet worden und zuversichtlich trat er jetzt ans Werk, dessen Zweck es war, sie für immer von dieser Bank zu verbannen.

Er freute sich auch schon darauf, das mühsam Gelernte nun endlich in der Praxis einsetzen zu können, wandte sich voll Selbstvertrauen an sie und nach einer Zeitdauer, welche nur unwesentlich länger war als jene, die zwischen dem Pausenzeichen und dem Verlassen des Klassenraumes des letzten Schülers vergeht, hatte er sein Ziel erreicht, und Ramona befand sich am anderen Ende des Zimmers.

Suzy, die eine Reihe vor ihm saß, hatte alles gehört und nützte die Situation sofort, um ein Gespräch zu beginnen, galt es ja herauszufinden, ob der Neue cool war.

„He, du da vorn mit dem unaussprechlichen Namen, warum lässt du sie nicht neben dir sitzen?“, rief sie in die letzte Reihe vor.

Langsam drehte Hager sich um und blickte ihr einige Momente lang tief in die Nase. Sie war ziemlich attraktiv und wenn sie zehn Jahre älter gewesen wäre, hätte er sie wahrscheinlich geheiratet. Dennoch blieb er vollkommen unbeeindruckt, als er folgende Antwort gab: „Erstens ist mein Name Hager und ich finde ihn ganz und gar nicht unaussprechbar – es ist ein typisch steirischer Name, und man muss halt ein bisschen üben und zweitens will ich aus Gründen, die niemanden etwas angehen, lieber alleine sitzen.“ Weil es für ihn aber wichtig war, sich in die Klassengemeinschaft einzugliedern, und seine bisherigen Aussagen nicht unbedingt freundlich geklungen hatten, fügte er noch hinzu: „Nein, glaube mir, wenn du die Gründe kennen würdest, würdest du es verstehen. Und wenn ich neben irgendwen sitzen wollte, hätte ich mich sicher neben dich gesetzt.“

Etwas verwirrt meinte Suzy: „– hm, ich glaube, neben mir sitzt schon wer.“

„Stimmt, den habe ich gar nicht gesehen“, behauptete Hager. Sein Glück war, dass Wicki, Suzys Banknachbar, nicht gerade das war, was im Allgemeinen als wach bezeichnet wird. Ansonsten hätte Hager ein echtes Problem gehabt, denn Wicki war groß, kräftig, streitsüchtig, nicht gerade intelligent und nicht der Typ, den man so einfach übersehen durfte. Trotzdem konnte er ein guter Freund sein, wenn man wusste, wie man mit ihm umzugehen hatte.

Suzy meinte: „Psst, sei leise, wenn Wicki das hört, sieht es schlecht für dich aus.“

Hager fasste dies als guten Tipp auf und bedankte sich: „Ich werd’s mir merken.“

Suzys erster Eindruck war, dass Hager sich sehr wundersam benahm (sie war stolz, auf dieses Wort gekommen zu sein, welches ihrer Meinung nach genau auf ihn zutraf), zurzeit noch etwas verunsichert war und erst auftauen musste. Deswegen reagierte er anfangs auch so aggressiv. Auf jeden Fall musste man ihn näher kennenlernen, um aus ihm schlau werden zu können.

Papa Schlumpf sprach währenddessen noch einige Zeit über das Leben an und für sich und die damit verbundenen Probleme, ermahnte hierauf noch einmal alle, am nächsten Tag die Schultaschen nicht zu vergessen, da die Bücher ausgeteilt werden würden und entließ die 7F Klasse dreiundachtzig Sekunden vor dem offiziellen Unterrichtsende. Völlig am Boden zerstört ging er ins Konferenzzimmer, wo er mit seinen Kollegen darüber diskutierte, wie unmöglich die Schüler seien und wie man mit ihnen umspringen müsse, um sich Respekt zu verschaffen.

Zu diesem Zeitpunkt war Hager bereits allein und auf dem Heimweg. Er ärgerte sich mächtig darüber, dass er dieses Gespräch nicht hören konnte und beschloss, noch heute Nacht in die Schule einzusteigen und ein Abhörgerät im Konferenzzimmer anzubringen, damit ihm auch diese wichtigen Informationen nicht entgingen.

Fünf Minuten später war er zu Hause und konnte es kaum erwarten, den Fisch aufzuklappen. In geöffnetem Zustand enthüllt dieser nämlich eine Tastatur und einen kleinen Bildschirm, sieht fast so aus wie eine Kreuzung zwischen einem zu groß geratenen Taschenrechner und einer Banane und stellt mit beinahe neun Trillionen gespeicherten Buchseiten die vollständigste Sammlung aller möglichen Daten und Fakten über wichtige und unwichtige, uninteressante und ınteressante Bereıche dar, von denen die meisten in einer nicht genau erkennbaren Weise mit der Schule verbunden sınd und dıe den Redakteuren ungeheuer bedeutend oder witzig vorkamen.

Diese EDV-Anlage muss ständig in die Klassenräume mitgenommen werden, um alle notwendigen Informationen zu erhalten, die eine Analyse des Systems ermöglichen. Da es auffällig wäre, wenn jemand täglich mit einem riesigen Computer unterm Arm hereinspaziert, ist es nötig, ihn zu tarnen. Und die beste Tarnung ist wohl der übel ein Fisch, denn wer erwartet sich, wenn er einen stromlinienförmigen Haufen Schuppen sieht, eine gigantisch rıesenhafte Datenbank.

Doch es gibt auch Nachteile: da ein Fisch in der Schule natürlich ein ziemlich sinnloser Gegenstand ist, und Schüler die unangenehme Eigenschaft haben, ständig die Schulsachen ihrer Mitschüler zu untersuchen (um wenigstens irgendetwas zu tun zu haben), musste Hager auf einen Banknachbarn verzichten, um den Fisch verstecken zu können und dummen Fragen, welchen Zweck der Fisch ausübe, aus dem Weg zu gehen, und so vergingen viele Stunden noch langsamer.

Hager klappte den Fisch also auf, tippte das Stichwort „Begrüßungsreden“ ein und erhielt folgende Informationen:

KAPITEL ZWEI

„Begrüßungsreden“, hieß es da, „sind sinnvolle Einrichtungen, welche zu Beginn eines jeden Schuljahres gerne dazu verwendet werden, den Start des Unterrichts noch ein wenig hinauszuzögern, da ein unmittelbarer Einstieg in den Schulalltag bei Schülern und Lehrern gleichermaßen unbeliebt ist.

Besonders nette Lehrer verwenden die ersten zwei, drei Stunden sogar noch dazu, einen Überblick über das folgende Schuljahr zu liefern; dies bedeutet, sie bereiten ihre Schüler auf das vor, was in diesem Jahr auf sie zukommt, erklären ihnen, wie der Lehrplan aussieht, deuten an, dass der gesamte für die jeweilige Schulstufe vorgesehene Stoff nie durchgenommen werden kann und bitten sie schließlich völlig verzweifelt zu verstehen, dass so viel Wichtiges ausgelassen werden muss und fordern sie auf, sich auf ein paar Themen zu einigen, die im Unterricht behandelt werden sollen.

Professoren, die sich dann an das Gewünschte halten, sind allerdings weit weniger oft anzutreffen als jene fiesen, die genau die gleiche Taktik benützen, um nach Bekanntgabe einiger unbefriedigender Gründe genau das Gegenteil zu behandeln. Besonders gefürchtet sind natürlich jene, die ohne Zögern dort weitermachen, wo ihnen vor den Ferien die Schultage ausgegangen sind.

Es gibt aber auch solche, die ihre Rede mehrere Wochen lang nicht beenden können und nach einigen verlegten, entfallenen, verschlafenen, getauschten, versandelten, mit Filmen verbrachten und noch mehr geschwänzten Stunden am Ende des Schuljahres bemerken, dass sie wieder einmal ein Jahr lang nicht unterrichtet haben und zehn Monate von den Schülern nur ausgenutzt worden sind.“

Was der Fisch noch weiß: Die Sicht der Schüler zu diesem Thema: (Stellvertretend wurde die Meinung eines absurden Schulsprechers in die Kartei des Fisches aufgenommen, der ob seiner