Schule: Was ist ein guter Lehrer? (GEO eBook Single) -  - E-Book

Schule: Was ist ein guter Lehrer? (GEO eBook Single) E-Book

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Beschreibung

Die Bildungschancen unserer Kinder hängen nicht von der nächsten Schulreform ab. Nicht von der Klassenstärke, nicht von der Ausstattung des Chemielabors, nicht vom gestrichenen 13. Schuljahr. Was wirklich zählt, sind die Menschen, die vor der Tafel stehen. Warum reden wir viel zu wenig darüber, wie entscheidend jeder Lehrer ist? Und dass dieser Beruf die Besten der Besten anlocken sollte? Die großen Themen der Zeit sind manchmal kompliziert. Aber oft genügt schon eine ausführliche und gut recherchierte GEO-Reportage, um sich wieder auf die Höhe der Diskussion zu bringen. Für die Reihe der GEO eBook-Singles hat die Redaktion solche Einzeltexte als pure Lesestücke ausgewählt. Sie waren vormals Titelgeschichten oder große Reportagen in GEO.

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Herausgeber:GEODie Welt mit anderen Augen sehenGruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus,Am Baumwall 11, 20459 Hamburgwww.geo.de

Inhalt

Gute Lehrer

von Christoph Kucklick

Was verbessert das Bildungssystem?

Drei Fragen zum Thema Lehrer

Lehrerporträts

von Constanze Kindel

GEO-eBooks

Bildungssystem

Gute Lehrer

Die Bildungschancen unserer Kinder hängen nicht von der nächsten Schulreform ab. Nicht von der Klassenstärke, nicht von der Ausstattung des Chemielabors, nicht vom gestrichenen 13. Schuljahr. Was wirklich zählt, sind die Menschen, die vor der Tafel stehen. Warum reden wir viel zu wenig darüber, wie entscheidend jeder Lehrer ist? Und dass dieser Beruf die Besten der Besten anlocken sollte?

von Christoph Kucklick

Klassentest: Ein wirklicher guter Lehrer trifft auf eine hoffnungslose Klasse. Ergebnis: Höchstleistungen und Zukunftschancen

Als Stavros Louca die Treppe der Johannes-Schule im schwedischen Malmö zum ersten Mal emporsteigt, knetet seine rechte Hand ein Taschentuch, als wolle sie es auspressen. Ein Verkehrsstau hat ihn aufgehalten, das hätte nicht passieren dürfen am ersten Tag der schwierigsten Aufgabe seines Lebens.

Louca zwingt sich zu einem Lächeln, während er den Klassenraum der 9a betritt: „Typisch griechisch, denkt ihr vermutlich, immer zu spät“, sagt er den 20 Schülern, die nicht ahnen können, was mit ihnen in den nächsten Monaten geschehen wird. „Aber glaubt mir: Ich verlange Besseres von mir, als unpünktlich zu sein. Und ich verlange Besseres von euch. Denn ich bin sehr, sehr, sehr, sehr nett – aber auch sehr fordernd.“

Dies ist der Erstkontakt in einem Experiment. Lehrergewerkschaften haben es bekämpft, Fachleute es als vermessen bespöttelt. Vielleicht, weil es so einfach ist: Die 9a der Johannes-Schule ist, nach landesweiten Vergleichstests, eine der schlechtesten Klassen Schwedens. Nun werden alle Lehrer ausgetauscht gegen acht „Superlehrer“ — Pädagogen, deren Schüler regelmäßig weit überdurchschnittliche Leistung bringen.

Der Auftrag an die Lehrerstars lautet, die 9a zu einer der drei besten Klassen des Landes zu machen. Innerhalb von fünf Monaten. Und mit nichts als pädagogischem Geschick. Die Lehrer erhalten keinen Cent zusätzlich, keine besseren Arbeitsbedingungen. Im Gegenteil: Ein Fernsehteam dokumentiert ihren Erfolg. Oder ihr Scheitern.

„Das kann nicht klappen“, sagt einer der Schüler. Man hat ihn und die anderen 15- und 16-Jährigen eigentlich längst aufgegeben. Zu schlecht, zu faul, zu dumm. Eine der neuen Lehrerinnen eröffnet ihre erste Stunde mit der Bitte: „Erzählt mal, worin ihr gut seid.“ Schweigen. Eine Schülerin fragt: „Darf ich auch sagen, was ich nicht kann?“ Eine quälende Endlosigkeit verstreicht, bis alle Schüler zumindest eine Fähigkeit in sich entdecken.

Stavros Louca aber, der aus Zypern stammende Mathematiklehrer, sagt: „Gewinn ihre Herzen, und du kannst mit ihnen tanzen.“

Doch zunächst tanzen die Lehrer. Der Chemielehrer auf einem Pult, mit zwei Strickleitern die Helixform der DNS erläuternd. Louca auf dem Schulhof, wo er immer wieder mit den Schülern spricht, feixt, sie kennenlernt wie kein Lehrer zuvor. Der Musiklehrer zu einem Rockmusical, das die Klasse komponiert.

Aber bald gelingt kein Schritt mehr. Eltern begehren auf, die Anforderungen seien zu hart; Schüler schluchzen — und die Lehrer blicken in Abgründe des Nichtwissens, der Mutlosigkeit. Wochenlang kämpfen die Superlehrer gegen die Überzeugung, dass die Schüler der 9a niemals etwas anderes sein können als Verlierer.

Und dann, allmählich und als käme eine tiefere Wahrheit ans Licht: erstaunte Blicke der Schüler, weil sie die Binomischen Formeln doch begreifen; ein Freudentanz über ein fehlerloses Englischreferat; die erste Probe der Rockoper, wenn auch noch weitgehend harmoniefrei. Bei der Rückgabe einer Klausur ballt eine Schülerin die Faust wie nach einem gewonnenen Spiel. Ihre Lippen formen das Wort „cool“. Vor Weihnachten schließlich die großen landesweiten Tests, die Entscheidung über das Experiment. Es herrscht Fassungslosigkeit: Die 9a hat sich tatsächlich zur drittbesten Klasse des Landes emporgekämpft. Stavros Louca hat sie gar mit Abstand zur besten Mathematik-Truppe ganz Schwedens gemacht.

Die Schüler liegen sich in den Armen, sie heulen, sie tanzen. Fast alle dürfen nun die Oberstufe besuchen. „Es ist wie eine Geburt“, sagt eine der Lehrerinnen. Ein neues Leben für 20 Jugendliche.

Noch nie hat ein Experiment so anschaulich belegt, was Wissenschaftler inzwischen auch in Zahlen ausdrücken können: An welche Lehrer ein Kind gerät, beeinflusst dessen gesamtes Leben. Gute Lehrer erhöhen das Lernpensum innerhalb eines Schuljahres so sehr, dass nach vier Jahren zwischen der Klasse eines Lehrer-Asses und der einer Niete manchmal zwei Jahre Lernstoff liegen. Das kann alle sozialen Unterschiede wegschleifen, haben die Bildungsökonomen Hendrik Jürges und Kerstin Schneider ermittelt: „Hat ein Kind aus einkommensschwachen Verhältnissen für fünf Jahre einen sehr guten Lehrer, so gleichen sich seine Bildungschancen im Vergleich zu einem Kind aus einer wohlhabenden Familie mit nur mittelmäßigem Lehrer aus.“