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Köstlich spannend: zwei absolute Krimi-Sahnestücke in einem Band!
Isabella und die Tote im Café: Isabella hat genug von der Großstadt! Da erfährt sie, dass das alte Café ihrer verstorbenen Großmutter im Schwarzwald zum Verkauf steht. Ein Wink des Schicksals! Doch bei der großen Wiedereröffnung des Cafés gibt es einen Todesfall - tragischer Unfall oder Mord? Wie gut, dass Isabellas Kindheitsfreund, der charmante Bäcker Florian, ihr zur Seite steht!
Isabella und das tödliche Geheimnis: Zuckerbäckerin Isabella nimmt an einem TV-Backwettbewerb teil - nur widerwillig, denn eigentlich ist sie einem dunklen Geheimnis ihrer Großmutter auf der Spur. Doch dann wird ein Küchenmädchen des Fernsehteams ermordet aufgefunden. Hat die Moderatorin Simone Sommerwind etwas damit zu tun? Oder deren Mann, der Produzent Hajo?
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
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Seitenzahl: 690
Veröffentlichungsjahr: 2025
Digitale Erstausgabe - Sammelband
beTHRILLED in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2025 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 - 20, 51063 Köln, Deutschland
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Training künstlicher Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.
Covergestaltung: xxxx
ISBN 978-3-7517-7336-2
Jana Fallert hat mehrere Jahre im Schwarzwald gelebt. Für das Konditorenhandwerk begeisterte sie ihr Vater, der Bäcker war. Neben dem Schreiben von Romanen hat sie noch einen Brotberuf - als Marketing-Expertin für Bäckereien.
Köstlich spannend: zwei absolute Krimi-Sahnestücke in einem Band!
Isabella hat genug von der Großstadt! Da erfährt sie, dass das alte Café ihrer verstorbenen Großmutter im Schwarzwald zum Verkauf steht. Ein Wink des Schicksals! Doch bei der großen Wiedereröffnung des Cafés gibt es einen Todesfall - tragischer Unfall oder Mord? Wie gut, dass Isabellas Kindheitsfreund, der charmante Bäcker Florian, ihr zur Seite steht!
Zuckerbäckerin Isabella nimmt an einem TV-Backwettbewerb teil - nur widerwillig, denn eigentlich ist sie einem dunklen Geheimnis ihrer Großmutter auf der Spur. Doch dann wird ein Küchenmädchen des Fernsehteams ermordet aufgefunden. Hat die Moderatorin Simone Sommerwind etwas damit zu tun? Oder deren Mann, der Produzent Hajo?
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Cover
Titel
Impressum
Biografie
Über das Buch
Inhalt
Schwarzwälder Kirschmorde
Cover
Titel
Impressum
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
Kapitel 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
Leseprobe EISENHUT UND APFELSTRUDEL
Prolog
1.
2.
3.
Schwarzwälder Kirschmorde - Isabella und das tödliche Geheimnis
Cover
Titel
Impressum
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
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Contents
Jana Fallert
Schwarzwälder KIRSCHMORDE
Schwarzwaldkrimi
beTHRILLED
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anne Pias
Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven von © shutterstock: Jan-Kalle Jonath | Sina Ettmer Photography | imaginasty | Gyuszko-Photo | metwo | Irtsya | Guz Anna
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 978-3-7325-6890-1
Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Eisenhut und Apfelstrudel« von Jessica Müller.
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Damals
»Um Himmels willen, Änni! Was hast du getan?« Er starrte sie an. Sie konnte sehen, wie das Blut aus seinem Gesicht wich.
Zu gern hätte sie etwas auf die wirklich berechtigte Frage erwidert, doch ihr fehlte nicht nur die Antwort darauf, sondern auch ein großer Teil ihres klaren Denkvermögens. Wie auch immer es hatte geschehen können, sie war mit Anlauf in eine Katastrophe geschlittert. Ein Fiasko, das sie Kopf und Kragen kosten konnte.
»Himmel, Änni! Ist sie tot?«
»Mausetot.«
Sie konnte sehen, welche Mühe er hatte, ihre Nachricht zu verarbeiten. Dabei war es offensichtlich: Toter als diese Person konnte man gar nicht sein.
Sie nahm einen tiefen Atemzug, bei der sich ihr gesamter Brustkorb hob. Hinter ihrer Stirn braute sich der Schmerz zusammen. Das war schlecht, denn jetzt benötigte sie mehr denn je einen klaren Kopf.
»Aber … wie … ich meine … und jetzt?«
Sie sah ihn scharf an, stemmte die Hände in die Hüften. »Was meinst du mit: Und jetzt?«
»Na, wir müssen doch die Polizei anrufen … einen Krankenwagen.«
»Sie ist tot, Herrgott! Was soll denn da ein Krankenwagen ausrichten! Was glaubst du, was los ist, wenn man sie hier findet? Tot.«
»Änni! Aber … aber … warum ist sie tot?«
Wieder eine durchaus berechtigte Frage, wie sie fand.
Sie konnte es nicht ertragen, wie er da vor ihr stand. So unbeholfen, ja geradezu hilflos, als hätte sie es mit einem Kleinkind zu tun.
Sie griff nach seinen wild umherfuchtelnden Händen und war drauf und dran, ihm eine zu pfeffern. Sie hasste hysterische Männer. »Hilfst du mir, oder hilfst du mir nicht?«
Seine Arme begannen wieder zu zappeln. »Wobei denn helfen? Ich verstehe nicht.«
»Nun, wir können sie doch schlecht hier liegen lassen. Findest du nicht auch?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht.« Dann fuhr er sich hektisch über das Gesicht, blieb an seinen Bartstoppeln hängen und kratzte sich gedankenverloren das Kinn, den Blick noch immer auf die Tote gerichtet, die ihre vorerst letzte Ruhe zwischen Mehl und heruntergefallenen Eierschalen gefunden hatte.
»Wieso liegt sie überhaupt in der Backstube?«
»Na, hätte ich sie besser im Café liegen lassen sollen – wo der erstbeste Gast über sie gestolpert wäre?«
Nun war er es, der sie mit einem scharfen Blick bedachte, und tatsächlich verfehlte dieser seine Wirkung nicht. Sie war überwältigt von Schuldgefühlen.
»Änni, das gefällt mir nicht. Das gefällt mir ganz und gar nicht. Und ich weiß nicht, ob ich da hineingezogen werden möchte.«
Sie funkelte ihn wütend an. »Du steckst da schon zu tief mit drin. Wenn sie mich drankriegen, kriegen sie dich erst recht dran.«
Ihre Blicke trafen sich, doch Änni knickte nicht ein. Sie reckte ihr Kinn nach vorn und sah den Mann, den sie schon so lange kannte, mit festem Blick an.
Hilf mir , flehte sie stumm.
Als er endlich nickte, löste sich ein brockenschwerer Stein von ihrem Herzen.
»Wir müssen sie wegschaffen. Sofort! Bist du, wie ich es gesagt habe, mit deinem Lieferwagen hier?«
»Natürlich.« Sein Lächeln erreichte kaum die Mundwinkel, doch das reichte Änni, um lautstark in die Hände zu klatschen.
»Dann los, pack mit an!«
Mit kleinen unsicheren Schritten nahmen sie die vier breiten Treppenstufen, darum bemüht, nicht zu stürzen. Schließlich war es das erste Mal, dass sie einen leblosen Körper durch die Gegend trugen. Er hatte sämtliche Spannung verloren und fühlte sich in ihren Armen wie ein halbgefüllter Sack Getreide an.
Diese Aktion würde Rückenschmerzen nach sich ziehen, so viel war sicher.
Sie stolperte die Stufen mehr hinunter, als dass sie ging, und es war nur dem beherzten Griff ihres Compagnons zu verdanken, dass ihnen der Körper nicht entglitt. Während sie nachgriff, hielt sie kurz inne, was zu einem erneuten Stolpern führte.
Da war etwas. Sie glaubte aus dem Augenwinkel einen huschenden Schatten hinter einem der zugezogenen Fenster des Nachbarhauses wahrgenommen zu haben. Eine Einbildung? Ehe sie sich dieser Beobachtung näher zuwenden konnte, rutschte ihr der Knöchel aus der Hand. Gerade noch bekam sie das Bein zu fassen. Nicht auszudenken, die Tote wäre hier auf den Boden geplumpst, hätte sich den Kopf aufgeschlagen und womöglich eine Blutspur hinterlassen. War das überhaupt möglich? Konnten Leichen bluten?
Sie wusste es nicht.
Schweigend räumten sie den leblosen Körper in das offenstehende Heck des Transporters. Als sie die Tür endlich zugezogen hatten, lehnten sie sich beide schnaufend gegen den betagten Kastenwagen. Sie konnte bereits spüren, wie es sich unheilvoll zwischen ihren Bandscheiben zusammenbraute: die Vorboten einer schmerzvollen und damit schlaflosen Nacht.
»Änni, du weißt, ich habe immer zu dir gehalten und stets geschwiegen. Und ich stelle dir auch nur diese eine Frage, das verspreche ich. Aber diese Frage musst du mir beantworten.«
Änni schluckte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann er sie das letzte Mal mit solch einer ernsten Miene bedacht hatte.
»Hast du es getan? Bist du schuld an ihrem Tod?«
Sie hielt seinem Blick stand, doch sie konnte ihm nicht antworten, weil sie im Grunde auch das nicht wusste.
Gott hilf uns.
Sie wusste nichts. Überhaupt schien die Zeit gekommen, in der sie einfach überhaupt nichts mehr verstand. Irgendetwas ging hier vor sich, und es war nichts Gutes. Ganz im Gegenteil. Etwas Unheilvolles hatte in ihrer kleinen Stadt Einzug erhalten. Und es hatte sich allem Anschein nach direkt in ihrem Haus eingenistet …
Ein fester Ruck an ihren Schultern riss sie aus ihren Gedanken.
«Was hast du getan, Änni?« Seine großen Augen betrachteten sie eindringlich. Sie glaubte einen Hauch Vorwurf darin zu erkennen. Und … Misstrauen?
Sie schuldete ihm die Antwort. Vielleicht noch mehr. Ziemlich sicher noch mehr.
«Ich weiß es nicht.« Sie senkte den Blick, schaffte es nicht länger, ihm in die Augen zu schauen. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Diese Frau würde ihr noch Ärger bescheren, so viel stand fest. Doch davon versuchte sie sich nicht entmutigen zu lassen.
Schließlich war es ein wunderschöner Frühlingstag, beinahe perfekt – wenn bloß ihre Mutter ihn mit ihrer Anwesenheit nicht vermasselt hätte.
Isabella saß auf einem unbequemen Stuhl an einem viel zu kleinen runden Tisch und betrachtete gedankenverloren die schwarze Flüssigkeit in ihrer geradezu winzigen Tasse, die sie sich aus dem nicht viel größeren Kännchen eingegossen hatte. Draußen gab es eben nur Kännchen.
Die Stühle waren eine Zumutung, der Kaffee lausig und die Bedienung ruppig. Aber es war Mutters Lieblings-Café.
»Die machen hier wirklich den besten Frankfurter Kranz«, begeisterte sie sich mit vollem Mund, kurz nachdem sie sich eine übervolle Gabel in den selbigen geschoben hatte.
Isabella zuckte schicksalsergeben mit den Schultern. Sie machte sich nichts aus Buttercreme. Die Biskuitrolle, die sie sich bestellt hatte, war zwar nicht gekauft, entsprach aber auch nicht dem, was sich frisch zubereitet schimpfen durfte. Vermutlich war sie vom vorherigen Tag und hatte ihre besten Zeiten damit längst hinter sich.
Wie passend, dachte sie und konnte es kaum erwarten, endlich all dies hinter sich zu lassen. Denn alles hatte seine Zeit, nicht nur die Biskuitrolle.
Tatsächlich fühlte sich jedoch alles weniger nach Aufbruchs- als nach Endzeitstimmung an. Sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte: Ihr Leben lag in Trümmern, sie blickte auf einen Scherbenhaufen. Fünfzehn Jahre ihres jungen Lebens hatte sie dieser Bank geschenkt. Und der Dank war die sofortige Aufhebung des Arbeitsvertrages. Bloß weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.
Zumindest hatte sie sich ihre Kündigung ordentlich bezahlen lassen. Eigentlich hätte sie sich freuen sollen. Wenn sie es richtig angestellt und das Geld entsprechend angelegt hätte – wie sie es schließlich gelernt hatte, hätte sie die nächsten Jahre keinen Finger mehr rühren müssen. Aber genau das hatte sie nicht getan.
Wozu auch? Sie war zweiunddreißig. Im besten Karrierealter. Vielleicht nicht für Frauen, die einmal Kinder in die Welt setzen wollten – was sie eigentlich wollte. Aber sie hatte sowieso nicht die leiseste Vorstellung davon, mit wem.
Da sie ein zweijähriges Wettbewerbsverbot unterzeichnet hatte, blieben andere Banken und Geldinstitute für sie tabu. Dabei hatte sie ihren Job immer gemocht. Nicht weil er ihre Erfüllung gewesen war. Aber sie war gut darin. Und wenn man in etwas gut ist, kommt der Spaß daran ganz von allein. Das hatte ihre Mutter ihr stets mit auf den Weg gegeben. Neben unzähligen anderen Lebensweisheiten, die nur aus Abreißkalendern stammen konnten.
Ihre Mutter. Renate, wie sie sie ausschließlich nannte.
Isabella blickte von ihrem Puppengeschirr auf und sah in das zwanzig Jahre ältere Abbild ihrer eigenen Augen. Tiefblau und umrahmt von schwarzen Wimpern. Unglaublich, wie ähnlich sie sich sahen. Mit Schrecken erkannte Isabella, dass sie mit den Jahren immer mehr zu ihrer Mutter wurde. Nur optisch. Zum Glück! Dennoch war es immer wieder aufs Neue ein Schock, auf sein Jahrzehnte älteres Ebenbild zu blicken. Der lange Hals mit den hervorstehenden Schlüsselbeinen. Die dunklen Augenränder – die eines Waschbären. Die dünnen Falten um die Mundwinkel. Unweigerlich würde sie in einigen Jahren ebenso aussehen wie ihre Mutter, wie Renate. Zumindest hatte diese eine ansehnliche Figur beibehalten und war nicht aus dem Leim gegangen, was ziemlich sicher an ihrem Beruf als Tanzlehrerin lag und nicht einer ausgeprägten Ernährungsdisziplin. Denn Renate liebte Schokolade und hatte überhaupt kein Problem damit, abends vor dem Schlafengehen eine ganze Tafel zu verputzen. Aber Isabella hoffte, es waren vielleicht auch die guten Gene, die ihrer Mutter zu dieser Figur verholfen hatten.
»An was denkst du?«
»An nichts«, erwiderte Isabella hastig und erntete damit einen ermahnenden Blick.
»Wie soll es denn jetzt weitergehen?«, hakte ihre Mutter nach. »Du kannst ja nicht alleine von Luft und Liebe leben. Und da du nicht verheiratet bist und sowieso keinen Mann an deiner Seite hast, der dich durchbringen kann ...«
»Ich brauche keinen Mann, der mich durchbringt«, fiel ihr Isabella mit rasiermesserscharfer Stimme ins Wort. »Das schaffe ich schon noch allein.«
Mutter nippte an ihrem Erdbeer-Moringa-Tee und schleuderte ihr einen missbilligenden Blick über den dünnen Rand des Glases zu. »Das sieht man ja.«
»Außerdem hast du auch keinen Mann«, erwiderte Isabella trotzig.
»Ich möchte mich eben ungern festketten lassen.« Mit einem verschwörerischen Zwinkern stellte Renate vorsichtig die Tasse ab. »Und es liegt weiß Gott nicht an den fehlenden Möglichkeiten.«
Tatsächlich war ihre Mutter eine Meisterin darin, Männer kennenzulernen, was sie ebenfalls ihrem Job zu verdanken hatte. Ihre glorreiche Idee war es nämlich gewesen, in ihrer eigenen Tanzschule Kurse für alleinstehende Männer anzubieten, um deren Chancen auf dem Single-Markt zu steigern. Dass sie sich dabei die Sahneschnittchen höchstpersönlich abgriff, erklärte sich von selbst.
»Aber du …« Sie schüttelte den Kopf. »Da passiert ja überhaupt nichts mehr. Als ich noch in deinem Alter war! Ach, lassen wir das.« Dem Kopfschütteln folgte ein bedauerndes Seufzen. »Ich werde wohl nie Enkelkinder bekommen.«
Isabella schluckte ihre Wut hinunter. Diese Vorhaltungen waren unfair. Sie konnte doch selbst am wenigstens dafür, dass ihre Situation so war, wie sie nun mal war. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie diese Konversation gar nicht erst geführt, und sie hätte just in dieser Sekunde hinter ihrem Schreibtisch in ihrem hübschen Büro mit Aussicht auf die Main-Brücke geklemmt und sich um Excel-Tabellen und Rendite-Aufstellungen gekümmert, anstatt ihrer Mutter dabei zusehen zu müssen, wie sie mit geschürzten Lippen den Tee hinunterkippte.
»Und was willst du jetzt machen?«
»Wo du es ansprichst, Renate. Das ist der Grund, warum ich mich mit dir treffen wollte.« Sie zwang sich dazu, ihrer Mutter ins Gesicht zu sehen. Auch wenn sie Angst vor ihrer Reaktion hatte. »Ich werde einen Neuanfang wagen«, sagte sie lapidar. Nun war es raus, und tatsächlich weidete sie sich sogar ein wenig am bestürzten Gesichtsausdruck ihrer Mutter.
»Du wirst was?« Es war keine Frage. Vielmehr war es ein schriller Aufschrei, der die Aufmerksamkeit der um sie herum sitzenden Gäste auf sie lenkte. Unter anderen Umständen wäre Isabella vor Scham errötet. Doch das geschah schon lange nicht mehr, wenn sie mit ihrer Mutter unterwegs war. Denn sie schaffte es immer wieder, die ungewollte Aufmerksamkeit anderer Leute auf sich zu ziehen.
Isabella klappte die Hülle ihres auf dem Tisch bereitliegenden Tablets auf und hielt es ihr unter die Nase.
»Was ist das?«, fragte ihre Mutter.
»Ein Tablet!«
»Sehr witzig.«
Isabella tippte mit dem Finger auf das Display. »Lies eben.«
Ihre Mutter gehorchte nicht sofort. Das tat sie nie. Stattdessen durfte sich Isabella über einen skeptischen Augenaufschlag freuen, bis ihre Mutter endlich das spitze Kinn senkte und zu lesen begann. Sie beobachtete ihre Gesichtszüge, die mit jeder verstrichenen Sekunde immer mehr entgleisten.
»Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?«
Mit dieser Reaktion hatte Isabella bereits gerechnet.
»Das kannst du doch nicht machen.«
»Irrtum. Ich habe es bereits getan. Es gehört mir. Seit vorgestern bin ich rechtmäßige Eigentümerin.« Mit einer entschlossenen Geste nahm sie ihr das Tablet aus der Hand und betrachtete selbst noch einmal das PDF ihres Kaufvertrages. Beim Anblick flammte ein flau-freudiges Gefühl in ihr auf. Es kam ihr noch immer so unwirklich vor.
»Du weißt nicht, was du dir damit antust!«
Isabella zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Das weiß man nie.«
Einer inneren Eingebung folgend hatte sie vor gar nicht langer Zeit die Onlineseite eines Immobilienportals aufgerufen und sich durch das Angebot gescrollt. Und da war es ihr ins Auge gesprungen. Sie hatte es sofort wiedererkannt und seitdem nicht mehr aus dem Kopf bekommen.
Sie hatte lange mit dem Gedanken gespielt, mit ihrer Mutter über diesen großen Schritt zu reden. Letztlich hatte sie sich dagegen entschieden, weil sie ihre Reaktion darauf ohnehin bereits kannte.
»Jetzt bist du vollkommen übergeschnappt. Und überhaupt … was willst du denn damit … ich meine, von Frankfurt aus.«
Isabella schüttelte den Kopf. So stark, dass die dunklen Strähnen ihres zu langen Ponys vor ihren Augen umherflogen. »Eben nicht von Frankfurt aus«, sagte sie resolut, schaffte es aber nicht, ihrer Mutter länger in die Augen zu schauen, als sie nicht mehr ganz so energisch hinzufügte: »Ich werde dorthin ziehen.«
Die Stille, die sich nun an ihren kleinen runden Tisch gesellte, scherte sich einen Dreck um den mangelnden Platz und breitete sich im vollen Umfang aus.
Zeit, um die letzten Jahre ihres Lebens Revue passieren zu lassen. Auf was blickte sie zurück? Auf ein Leben in einer Stadt, mit der sie nie richtig warm geworden war, und wo sie nie wirklich Anschluss gefunden hatte. Eine Weile hatte sie eine beste Freundin gehabt, doch die war irgendwann der Karriere wegen in die Staaten gezogen. Isabella hatte sich fest vorgenommen, sie irgendwann einmal zu besuchen, doch auch dieses Irgendwann war wohl bloß ein anderes Wort für Nie. Zumal sie weit davon entfernt waren, so etwas wie seelenverwandt zu sein. Sie hatten sich gemocht und eine tolle, wenn auch kurze Zeit, in der für sie zuerst aufregenden Großstadt verbracht. Am Anfang hatten sie oft miteinander telefoniert und sich E-Mails über den großen Teich hin und hergeschickt. Viel zu schnell wurden aus den Tagen Wochen und schließlich Monate, bis schon bald weder ein Anruf noch eine Nachricht ausgetauscht wurde. Sie lebten nicht nur völlig unterschiedliche Leben auf anderen Kontinenten, sondern auch noch zu unterschiedlichen Zeiten, was die Kommunikation zunehmend erschwerte. Sie war weder böse noch enttäuscht darüber, zumal sie es selbst so wollte. Alles hatte eben seine Zeit und wenige Freundschaften hatten über mehrere Dekaden Bestand. Insofern war es wohl als Lebensabschnittsfreundschaft einzuordnen.
Isabella blieben unzählige Affären und Liebeleien –zweimal hatte sie gedacht, den Mann fürs Leben gefunden zu haben, und dann war er es doch anders gewesen. Außerdem eine beeindruckende Karriere bei einer großen Bank, die so abrupt vorbei war.
Nein, es war Zeit für einen Aufbruch.
»Du weißt doch gar nicht, was du da tust!« Ihre Mutter bedachte sie mit einem scharfen Blick. »Für mich klingt das vielmehr so, als würdest du davonlaufen wollen.« Sie schüttelte den Kopf. »Da läuft es einmal nicht gut in deiner Bank und du nimmst gleich Reißaus.«
»Hallo? Sie haben mich freigestellt. Gekündigt!« Sie knallte ihre Handflächen auf den Tisch. »Viel schlechter kann es da eigentlich gar nicht mehr laufen.«
Erstaunlicherweise kratzte dies nicht an ihrem Selbstwertgefühl. Sie wusste, dass sie lediglich ein Bauernopfer war und es nicht an ihren Fähigkeiten gelegen hatte. Im Gegenteil: Sie war verdammt gut in ihrem Job. Vermutlich sogar zu gut, was ihr eben zum Verhängnis geworden war, weil sie durch Zufall etwas erfahren hatte, das auf immer und ewig unentdeckt hätte bleiben sollen. Unlautere Bankgeschäfte, die wenige reich machten und viele um ihr Geld betrogen. Und nun war sie zum Sündenbock geworden, damit die wenigen geschützt blieben. Es war im Bankenwesen nicht anders als in der Politik: Bevor die Großen ihre Koffer packen mussten, taten es die Kleinen. Eben sie.
»Aber es gibt andere Banken in dieser Stadt.«
»Nicht für mich! Hörst du mir eigentlich zu, wenn ich mit dir rede?«
»Dass du dich immer so künstlich aufregen musst.«
Isabella sah sie verärgert an, schluckte aber all die bösen und verletzenden Worte, die ihr auf der Zunge lagen, hinunter. Sie wollte keinen weiteren Streit heraufbeschwören. Davon hatte es bereits genug gegeben.
Sie dachte an die Zeit, die vor ihr lag. Und sie dachte an die räumliche Entfernung, die schon ganz bald zwischen ihr und ihrer Mutter liegen würde, was ihre Mundwinkel wie von selbst auseinanderzog.
»Du hast doch überhaupt keine Ahnung, was du dir damit antust.«
»Irrtum, ich weiß genau, was ich tue. Ich werde nach Zapfbach ziehen und das Zuckerherzschlössle wiedereröffnen, um es in der Tradition von Oma fortzuführen.«
Sie konnte sehen, wie die Augen ihrer Mutter immer größer wurden. Sie hob die Tasse an, setzte sie wieder ab, schüttelte sich und begann das Spiel von vorn.
»Zapfbach!« Sie stieß dieses Wort beinahe angewidert aus. »Das ist die mit Abstand dümmste Schnapsidee, die ich je aus deinem Mund gehört habe.«
»Du bist doch bloß so sauer, weil ich nicht mit dir darüber gesprochen habe!«
Auch wenn sie es sich ungern eingestand, war ihr die Meinung ihrer Mutter wichtig. Und sie hätte sich mehr als alles andere gewünscht, dass ihre Mutter sie verstanden hätte. Aber das war wohl zu viel erwartet. Wie schon so oft.
»Ich verstehe dich einfach nicht, Kind.« Ihre Stimme bebte. Dann sah sie sich hektisch um. »Du kannst doch das alles hier nicht aufgeben. Und überhaupt, du hast doch überhaupt keine Ahnung von der Gastronomie. Bloß weil du mal einen Wettbewerb im Kuchenbacken gewonnen hast.«
Isabella lachte herzhaft auf. »Das war nicht irgendein Wettbewerb, Renate.«
Das war wieder so eine Sache, die sie wahnsinnig machte. Egal, was sie tat und anstellte, ihre Mutter war nie zufrieden und tat jeden ihrer Erfolge als Banalität ab. Doch das Resultat, das sie als Teilnehmerin bei einer populären TV-Backshow erzielt hatte, ließ sich Isabella nicht kleinreden. Von über zwei Dutzend Kandidaten hatte Isabella es geschafft, in einem mehrtägigen Backmarathon Runde um Runde weiterzukommen und die Fachjury mit ihren Zuckerwerken zu überzeugen, bis sie letztendlich unter den ersten dreien gewesen war und mit ihrer Naked-Chocolate-Cake-Kreation den Sieg hatte erringen können.
Es stimmte, sie war keine Gastronomin. Doch das herausragende Backtalent hatte sie eindeutig von ihrer Großmutter geerbt. Und einige Zeit später noch etwas Anderes, das sie in diesem mutigen Schritt bestärkt hatte: Omas Rezepte-Sammlung.
Isabella hob die Schultern. »Irgendwann muss doch jeder mal anfangen. Wie du mit deiner Tanzschule.«
»Das lässt sich überhaupt nicht vergleichen, immerhin hatte ich eine klassische Tanzausbildung vorzuweisen.«
Isabella stieß einen schrillen Pfiff durch die Zähne aus. Sie wusste, was nun kommen würde. Ihre Mutter würde ihr von ihrer Zeit am Baden-Badener Theater erzählen. Wie hart es war, ihre Tanzkarriere und ein Kind unter einen Hut zu bringen. Dann würde sie das Gespräch auf ihre Tourneen lenken, die sie durch ganz Europa geführt und dafür gesorgt hatten, dass Isabella beinahe sämtliche Ferien und verlängerte Wochenenden bei ihrer Oma verbringen durfte.
Auf eine dieser Tourneen hatte Renate auch ihren ersten Mann kennengelernt. Es war eine leidenschaftliche und wenngleich kurze Ehe gefolgt, aus der Isabella hervorgegangen war.
Alles Geschichten, die sie nicht mehr hören konnte. Doch war ihre Mutter einmal in Fahrt, gab es kein Halten. Sie leierte ihre Litaneien herunter, und es spielte für sie überhaupt keine Rolle, ob ihre Zuhörer sie bereits kannten.
Aber nicht an diesem Tag. An diesem Tag würde Isabella den weiteren Verlauf des Gespräches bestimmen. Vor allem das Ende eben dieses.
Sie schloss die Augen und lächelte. Als sie sie immer noch lächelnd wieder öffnete, sagte sie mit ruhiger, klarer Stimme: »Ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich werde es durchziehen. Sie hätte es so gewollt. Zahlst du?«
Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und ging. Raus aus dem Café, fort von ihrer sprachlosen Mutter, weg von dieser Stadt. Ihr neues Leben hatte begonnen – und zwar genau in diesem Augenblick!
Isabella genoss den freien Blick auf den strahlend blauen Himmel, der mit einzelnen Wolkengebilden betupft war. Sie hatte das Stoffverdeck ihres in die Jahre gekommenen babyblauen VW Beetle heruntergelassen und ließ sich den Fahrtwind durch die Haare wehen, während sie immer wieder den Kopf nach oben richtete, um sich die fluffigen Wolken anzuschauen. Der Kofferraum und die Rücksitzbank waren vollgestopft mit Reinigungs- (sie hatte einen wahren Putzfimmel) und Backutensilien, damit sie gleich loslegen konnte und sich nicht erst mit zeitraubendem Einkaufen abmühen musste.
Seit zwei Jahrzehnten war sie nicht mehr im Nordschwarzwald gewesen. So vieles hatte sich verändert – neue Straßen und Häuser –, doch die bewaldeten Bergspitzen waren die gleichen geblieben. Die sich schlängelnde, stetig ansteigende Straße führte sie durch ein dicht bewaldetes Tal immer höher hinauf. Sie fuhr vorbei an winzigen Ortschaften, bis sie schließlich die Schwarzwaldhochstraße erreichte und sich mit einem Mal in ihre Kindheit zurückversetzt fühlte. Die vor ihr liegende Straße hatte stets eine wundervolle Verheißung bedeutet und sie an tolle Städte und Orte geführt – wie Freudenstadt und Baden-Baden, zum Mummelsee und im Winter auf Skipisten und urige Hütten mit den besten süßen Flammkuchen jenseits des Elsass oder zu smaragdgrünen Badeseen, die verborgen hinter den hohen Tannen des Schwarzwaldes lagen. Auf einen dieser Skipisten hatte sie das Skifahren gelernt, in einem der kleinen grünen Seen das Schwimmen.
Es waren golden glänzende Kindheitserinnerungen, die sie bei ihrer Fahrt begleiteten.
Ihr Herz vollführte einen Hüpfer, als sie zum ersten Mal das Ziel ihrer Reise auf einem gelben Schild las. Eine beinahe greifbare Anspannung ergriff von ihr Besitz. Zapfbach. Der Name, der so viel versprach und noch mehr Erinnerungen in ihr weckte. Wunderschöne Rückblicke, die ihr das Gefühl gaben, ihr Herz würde in ihrem Brustkorb losflattern wollen.
Wie von selbst verstärkte ihr Fuß den Druck auf das Gaspedal. Zu dumm, dass das französische Wohnwagengespann vor ihr einen anderen Takt diktierte.
Die Sonnenstrahlen schnitten sich durch die Wipfel der hohen Tannen und tanzten auf dem vor ihr liegenden Asphalt umher. Die Straße wurde kurviger und führte schließlich steiler hinab. Ihr Ziel lag im Tal, doch um dort hinzukommen, musste sie erst einmal den Bergkamm passieren. Natürlich hätte sie auch der Schnellstraße folgen können. Doch die Fahrt über die Schwarzwaldhochstraße wollte sie sich nicht nehmen lassen. Dafür nahm sie gern den Umweg in Kauf.
Einzelne Gebäude sprangen ihr ins Auge, an die sie sich erinnerte. Das verlassene riesige Hotel am Straßenrand, das nunmehr einer Ruine glich. Eines der vielen Gebäudeskelette in dieser Gegend, die von einer Zeit zeugten, als der Schwarzwald noch des Deutschen liebstes Urlaubsziel war und die Menschen es ebenso liebten, in Bettenburgen zusammengepfercht zu werden. Mittlerweile setzte man glücklicherweise auf Klasse statt auf Masse.
Der Schwarzwald. So viele wunderschöne Gedanken verband sie mit diesem einen Wort.
Endlich führte sie die Straße raus aus dem Wald auf eine Anhöhe. Und dann konnte sie sie sehen: die Silhouette von Zapfbach. Mit einem Panorama, als wäre sie aus einer Postkarte geschlüpft, lag die kleine Stadt in purer Schwarzwaldidylle vor ihr.
Ihre neue Heimat und Lieblingsort ihrer Kindheit.
Langsam fuhr sie die Hauptstraße entlang und fühlte sich wie auf einer Zeitreise. Kaum etwas hatte sich verändert. Und doch irgendwie alles. Über allem thronte noch immer der imposante Turm der Wallfahrtskirche.
Sie schaltete das Navi aus, denn hier kannte sie sich aus. Tatsächlich wurde jede Ecke, jede Kreuzung, die sie befuhr, begleitet von starken Kindheitserinnerungen, die mit einem Mal zum Leben erweckt wurden. Der Kaugummi-Automat vor der Metzgerei, der noch immer an der Häuserwand hing. Der kleine Springbrunnen auf dem Marktplatz, aus dem sie immer wieder Münzen gefischt hatten, wenn niemand in der Nähe war. Ebenfalls zurück kamen die Schuldgefühle bei dieser Erinnerung. Denn schon als Kind hatte Isabella verstanden, dass jede dieser Münzen für einen Wunsch stand, den sie unerlaubterweise an sich nahm. Aber die Aussicht auf eine Packung Schokoladenzigaretten, grellbunte Candy-Lippenstifte oder eine Tüte Leckmuscheln von Ernas Spar-Laden wog schwerer als das schlechte Gewissen.
Mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen fuhr sie durch das beschauliche Städtchen und betrachtete alles ganz genau. Zapfbach hatte sich geradezu herausgeputzt für die Touristenschwärme, die sich in der schönsten Jahreszeit hier tummelten. Unzählige Wanderwege führten von Zapfbach aus in die umliegenden Weinberge, hinab in Schluchten mit Wasserfällen oder hinauf in die dichten Wälder, durch die man stundenlang wandern konnte, ohne auch nur auf einen Menschen zu treffen. Dafür gab es reichlich Tiere.
Niemals wieder hatte sie so viele Eichhörnchen, Rehe und Wildschweine in freier Natur gesehen wie in ihren Oma-Urlauben in Zapfbach.
Das touristische Städtchen wirkte verschlafen, beinahe so, als tickten die Uhren anders – unendlich viel langsamer. Auf den Bürgersteigen bewegten sich die Menschen gemächlich. Selbst der Verkehr floss langsam dahin. Ringsherum zogen sich pittoreske Fachwerkhäuser mit ausladenden Fensterläden die Straße entlang, aus denen die buntesten Blumen quollen. Auf Isabella wirkte der Ort wie die reinste Heimatfilmkulisse, in die sie auf wundersame Weise hineingezogen wurde. Traumhaft kitschig und schrecklich unwirklich.
Ein Haus allerdings hob sich etwas unschön von den Fachwerkfassaden ab, weil es allem Anschein nach seit Jahren keinen Anstrich verpasst bekommen hatte. Das kräftige Mintgrün in ihrer Erinnerung war zu einem verschmutzten Blassgrün verkommen.
Sie war so in ihre Gedanken und den Anblick des Zuckerbäckerschlössles vertieft gewesen, dass sie den herumspringenden Farbklecks, der ihr beinahe vor das Auto gelaufen wäre, erst im letzten Augenblick wahrgenommen hatte. Isabella war der Atem gestockt, und sie atmete noch immer nicht, als sie ihren geliebten Beetle direkt vor der Veranda neben einen riesigen SUV parkte.
»Sie müssen Frau Lentner sein!«, schrie ihr der Farbklecks mit einem breiten Lächeln entgegen.
Isabella winkte aus dem offenen Dach heraus. »Und Sie Frau Weinand. Entschuldigen Sie bitte die Verspätung!«
Die Frau trug einen quietschblauen Hosenanzug und darüber einen pinkfarbenen Blazer mit goldenen Knöpfen. Selbst in den Achtzigerjahren wäre sie damit wohl unangenehm aufgefallen.
Isabella hatte Melanie Weinand, die Maklerin, bislang noch nicht persönlich getroffen und den Kauf rein via E-Mails, Telefonaten und einem in Frankfurt ansässigen Notar abgewickelt. Sie war gespannt darauf, diese Frau nun endlich kennenzulernen.
»Schön, dass wir uns endlich kennenlernen.« Die Maklerin nahm ihr die Worte aus dem Mund. »Wie war die Fahrt? Ist das nicht ein wunderbares Wetter? Sind Sie schon gespannt, aufgeregt und voller Vorfreude?«
Ein zaghaftes »Ja« war alles, was Isabella zustande brachte. Zu überwältigt war sie von der Empfindung, die sie beim Anblick dieses Gebäudes verspürte.
Die Maklerin breitete ihre farblich passend zum Blazer geschminkten Lippen zu einem strahlenden Lächeln aus. »Sie werden es lieben!«, versicherte sie ihr.
Isabella lächelte ebenfalls und betrachtete eingehend die blassgrüne Fassade des Fachwerkgebäudes. »Das tue ich bereits.« Ihre Stimme war ein unhörbares Flüstern.
Gemeinsam betraten sie die Stufen zur sandsteinfarben gefliesten Veranda. Beinahe andächtig bewegte sie sich auf die Haustür zu, von deren Rahmen der Lack abblätterte.
Isabella betrachtete die Fassade eingehend. Die Schaufenster des Cafés waren von innen mit vergilbtem Zeitungspapier beklebt. An der Wand war früher ein Schild eingelassen gewesen, auf dem der Name dieses Schmuckstückes gestanden hatte: Zuckerherzschlössle. Irgendjemand musste es entfernt haben.
Beim Anblick stürmten unglaublich viele Erinnerungen auf sie ein. Sie betrachtete die ausladende Veranda. Im Sommer hatten über den Tischen große Sonnenschirme gethront, damit die Gäste das schöne Wetter ohne Sonnenbrand genießen konnten.
Über dem Café befand sich der Wohnbereich mit zwei Zimmern, Küche, Bad – ihr neues Heim. Und wenn sie sich recht erinnerte, gelangte man über eine kleine Treppe ins Dachgeschoss, in dem sich weitere Zimmer und ein Bad befanden. Damals, als ihre Oma hier noch lebte, waren diese Räume jedoch unbenutzt geblieben. Auch erinnerte sie sich an den uralten Keller mit seinen gewölbten Decken, in dem es so modrig und gruselig roch.
Sie konnte es noch immer nicht fassen, endlich angekommen zu sein. Dabei war es noch gar nicht lange her gewesen, als sie das Inserat des Immobilienverkaufs im Internet entdeckt hatte.
»Bitteschön.« Mit einer theatralischen Geste händigte die Maklerin ihr den Haustürschlüssel in zweifacher Ausführung aus. »Tada, der große Moment«, sagte sie, als Isabella einen der Schlüssel ins Schloss steckte und er sich weder nach rechts noch nach links drehen ließ.
»Gut, es klemmt ein wenig«, erklärte die Maklerin und drängte Isabella zur Seite. »Aber mit ein bisschen Öl … und roher Gewalt, ist das gar kein Problem.« Sie rüttelte am Türknauf und tatsächlich sprang die Tür im nächsten Moment auf. Sie trat zur Seite. »Bitteschön, willkommen zuhause.«
Zuhause.
Isabella hielt kurz andächtig inne und holte tief Luft. Als sie das Haus betrat, brauchten ihre Augen eine ganze Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Vorsichtig tat sie einen kleinen Schritt nach dem anderen und blickte sich um.
»Gut, hier müsste noch einiges gemacht werden. Frische Farbe an die Wände. Der Dielenboden müsste abgeschliffen und manche Stromleitung erneuert werden … aber ansonsten ist das Objekt in Anbetracht seines Alters noch top in Schuss. Und sogar möbliert.«
Isabella war in der Tat überrascht über den guten Zustand des Hauses, wenn man in Betracht zog, dass es seit Jahren unbewohnt war. Ja, es war staubig, aber alles wirkte aufgeräumt, und man war sogar so umsichtig gewesen, die Möbel mit weißen Laken abzudecken, damit sie nicht zu sehr dem Staub zum Opfer fielen.
»Wenn Sie mich fragen, haben sie da ein echtes Schmuckstück an Land gezogen.«
Isabella nickte versonnen. »Schon komisch, dass es so lange leer gestanden hat.«
Das Grinsen der Maklerin wirkte mit einem Mal verkrampft. »Ach, das wissen Sie?«, fuhr es aus ihr heraus. Doch in der nächsten Sekunde hatte sie ihre Allzeit-Gute-Laune-Züge wieder im Griff. »Ich meine, der Immobilienmarkt ist eben unberechenbar, und viele Diamanten erkennt man eben nicht auf den ersten Blick.«
»Das mag sein. Dennoch ist es merkwürdig, dass sich bei einer derart exponierten Lage so lange kein Käufer gefunden hat.«
Die Maklerin fuhr sich nervös durch die aufgeplusterten rotbraunen Haare. »Ich kann Ihnen leider nicht wirklich viel über die Geschichte dieses Hauses erzählen«, erklärte sie. »Die ehemalige Hausbesitzerin muss das Haus einige Jahre vor ihrem Tod an die Gemeinde verkauft haben, die daraus eine Art Seniorentagesstätte machen wollte. Aber nichts war passiert, und irgendwann ist man wohl von den Plänen abgekommen und hat wieder versucht, das Haus zu verkaufen. Aber …«
»Aber es hat sich niemand finden lassen, der es kaufen wollte.«
Die Maklerin sah sie betreten an.
Isabella klatschte freudig in die Hände. »Tja, mein Glück!«
Sie drehte sich einmal langsam im Kreis, um alles in sich aufzunehmen. Sie schloss die Augen und ließ sich von ihren Erinnerungen mitreißen.
»Soll ich ihnen nun die Cafeteria zeigen?«
»Unbedingt!«
»Wissen Sie denn bereits, was Sie damit anstellen werden? Ich kann mir gut vorstellen, dass der Bereich problemlos zu einer hübschen Einliegerwohnung umgestaltet werden könnte. Haben Sie schon Pläne?«
»O ja.«
»So?«
»Ich werde wieder ein Café daraus machen.«
Isabella konnte sehen, wie das Lächeln im Gesicht der Maklerin Stück für Stück zusammenfiel. Nervös wühlte sie in ihrer Handtasche und zog einen Schlüsselbund heraus.
»Ich, ähm, halten Sie das wirklich für eine gute Idee? Ich meine, wir haben hier in diesem Dorf bereits ein wirklich gutes Café. Das Café Tannhöfer.«
»Denk ich mir.« Sie musste grinsen, denn der Name war ihr noch ein Begriff. Ein kleiner blonder Lausbub tauchte vor ihrem geistigen Auge auf.
»Außerdem war dieses Haus, als es noch ein Café beherbergte, nicht gerade … nun ja ...«
»Ich werde das Zuckerherzschlössle zu neuem Leben erwecken«, fiel ihr Isabella ins Wort, bevor Frau Weinand etwas sagen konnte, was Isabella kränken würde.
Bei dem Namen wurden die Augen der Maklerin groß und größer. »Woher wissen Sie … ich meine …« Sie brach mitten im Satz ab und starrte Isabella an. Nervös nestelte sie an ihrem Autoschlüssel herum. Schließlich richtete sich der Blick der Maklerin misstrauisch auf Isabella. »Wer sind Sie genau?«
Isabella richtete sich auf und sagte. »Isabella Lentner.«
Der Gesichtsausdruck der Maklerin blieb regungslos. Natürlich kannte sie ihren Namen.
Und so fügte Isabella mit dem Anflug eines Lächelns hinzu: »Die Enkelin der Vorvorbesitzerin. Anneliese Schiller. Änni.«
Isabella sah der Maklerin verdutzt dabei zu, wie sie hastig in ihr riesiges SUV-Schlachtschiff kletterte, den Motor startete und sofort losfuhr. Sie war noch immer verwundert, über dieses überaus merkwürdige Verhalten dieser Person. Nun ja. Kleinstädter eben.
»Sie sind ja schon da!«, hörte sie eine Stimme hinter sich. Überrascht warf Isabella einen Blick über die Schulter und sah im ersten Moment nichts weiter als Hände, die einen monströsen bunten Blumenstrauß in sämtlichen Pastellfarben, die die Farbpalette hergab, an sie herantrugen. Darunter lugten recht dünne Beine aus einem halblangen zitronengelben Bundfaltenrock hervor.
»Ähm, ja?«, fragte Isabella überrascht.
Der Blumenstrauß kam unmittelbar vor ihr zum Stehen. Er war wirklich riesig und gab einen penetrant-süßen Duft von sich.
Vielleicht stammte der aber auch vom Parfüm der Blumenstrauß-Trägerin, die sich nun in voller Pracht offenbarte, als Isabella ihr endlich den Gefallen tat und den Strauß entgegennahm.
»Herzlich willkommen in Zapfbach.«
»Danke.« Obwohl Isabella mit dem üppigen Strauß bereits alle Hände voll zu tun hatte, schaffte sie es irgendwie, die ausgestreckte Hand zu schütteln.
Ebenso streckte sich ihr das dünne Lächeln einer älteren Frau entgegen, an der für sie auf den ersten Blick nichts Sympathisches war. Sie hatte ein schmales Gesicht, kleine scharfe Augen und einen beinahe lippenlosen Mund.
Isabella fragte sich, ob sie diese Dame, die sie so übereifrig begrüßte, von irgendwoher kennen müsste. Sie schätzte sie auf Mitte siebzig allerdings tat sie sich schwer damit, das Alter von Menschen einzuschätzen.
»Ich bin Marianne von Baldegg, die Gattin des Bürgermeisters.«
Isabella bekam große Augen.
»Oh, das ist aber wirklich aufmerksam –« Doch weiter kam sie nicht.
»Normalerweise übernimmt mein Mann die Begrüßung der neuen Immobilienbesitzer unseres Städtchens, aber er ist gerade bei einer Verbandsgemeindeverwaltungssitzung.«
Isabella musste grinsen. Wie leicht dieser Frau doch dieses sperrige Wort von den Lippen ging.
»Das ist aber wirklich überaus nett.« Sie schenkte dem riesigen Blumenstrauß das angemessene Maß an Beachtung.
»Das sind Hortensien«, erklärte Frau von Baldegg. »Und Bartnelken. Mit Trachelium als Bindegrün.«
Die Frau verzog die schmalen Lippen zu einem freudlosen Grinsen, was ihr überhaupt nicht gut zu Gesicht stand, da ihre Nasenflügel dabei vibrierten. »Ich bin ja der Meinung, dass Pfingstrosen zu Bartnelken besser passen, aber die Resi vom Blattwerk hat da gerne mal ihre eigenen Vorstellungen.«
Blattwerk.
Bei dem Namen klingelte etwas bei ihr. »Der Blumenladen«, warf sie der Bürgermeisterfrau euphorisch entgegen. Sie erinnerte sich wieder daran, wie sie mit ihrer Oma oft dort gewesen war, um Gestecke zu kaufen, wenn Oma eine größere Gesellschaft zu Gast hatte.
»Genau, oder was glauben Sie, wo ich den Strauß herhabe?« Frau von Baldegg lachte gekünstelt.
»Resi …«, Isabella überlegte. »Wird das Blattwerk denn nicht mehr von Ursi geführt?«
Augenblicklich wurde sie mit einem neugierigen Blick bedacht. »Sie kennen Ursi noch?«
Isabella nickte eifrig. »Als Kind bin ich mit meiner Oma oft bei ihr gewesen.«
»Aha!« Der Blick der Frau ruhte forschend auf ihr. »So? Stammt Ihre Oma denn von hier?«
»Das will ich meinen«, erwiderte Isabella gut gelaunt. »Ihr hat schließlich das Haus gehört.«
Sie war sich sicher, noch nie zuvor so weit aufgerissene Augen bei einem Menschen gesehen zu haben.
»Sie sind die Enkelin von …«
»Änni Schiller«, vollendete Isabella den Satz.
Irgendetwas an der Haltung der Bürgermeistergattin veränderte sich für den Hauch einer Sekunde. Dann schüttelte sie unwirsch den Kopf. »Nein, ähm, Ursi, also Ursula, ist schon vor Jahren verstorben. Mittlerweile wird das Blattwerk von einer Zugezogenen geführt.« Sie blickte Isabella ganz kurz verwirrt an. »Nichts für ungut, Zugezogene heißen wir selbstverständlich auch herzlich willkommen.« Ihre Stimme verkam zu einem Flüstern. »Wäre bloß schön, wenn sie als Blumenladenbesitzerin auch das Handwerk einer Floristin verstehen würde.«
»Mir gefällt er«, beeilte sich Isabella rasch zu sagen. Obwohl es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Dieser Strauß war wirklich nicht hübsch.
»Also lebt die Neue auch erst seit Kurzem in Zapfbach?«
Die Frau des Bürgermeisters winkte ab. »Nein, schon eine ganze Weile länger. Von ihr hatte ich mir damals schon eine Kräuterschnecke für mein Gartenhäuschen herrichten lassen.« Sie sah Isabella tief in die Augen. »Ich habe ein Faible für Gartenarbeit, müssen Sie wissen. Wenn Sie Zeit haben, müssen Sie unbedingt einmal vorbeischauen und ihn bewundern.«
»Aber gern.« Isabella lächelte angestrengt.
»Aber, um Ihre Frage zu beantworten: Fünfzehn Jahre dürfte das nun schon her sein.«
Isabella musste sich anstrengen, damit ihr nicht die Kinnlade herunterklappte. Wenn jemand, der seit nunmehr fünfzehn Jahren im Ort wohnte, noch immer als Zugezogener galt, hatte sie ja prächtigen Aussichten.
Frau von Baldegg schien den Blick nicht von ihr abwenden zu können. »Sie sind wirklich die Enkelin von Änni?« Sie betrachtete sie so intensiv, als wäre sie auf der Suche nach einem Pickel oder Muttermal.
Isabella nickte eifrig.
»Hm, eine gewisse Ähnlichkeit ist tatsächlich da.«
»Sie kannten meine Oma?« Isabella strahlte.
»Kennen wäre zu viel gesagt«, erwiderte die Frau knapp und für Isabellas Geschmack auch etwas unterkühlt. Damit schien das Thema für Marianne von Baldegg beendet, denn sie wandte sich ab und blickte sich langsam um. »Ein wahres Schätzchen haben Sie hier ergattert.«
»Ja, ich liebe dieses Haus.« Isabella seufzte schwer, weil es sie plötzlich überkam. Es fühlte sich alles so unwirklich an. Sie war nun tatsächlich rechtmäßige Besitzerin dieses Gebäudes, in dem sie in ihrer Kindheit eine so wunderbare Zeit verbracht hatte.
»Es ist ein echter Traum«, erwiderte sie. »Merkwürdig nur, dass es so lange leer gestanden hat.«
»Ja, das können wir uns selbst nicht erklären. Vielleicht war es der Fehler meines Mannes, der darauf bestanden hatte, am ursprünglichen Verkaufspreis des Hauses so lange festzuhalten. Er wollte eben nicht, dass eine Immobilie auf der Hauptstraße einfach verscherbelt wird.« Ihre Schultern zuckten auf. »Ich war ja immer der Meinung, dass ein leer stehendes Haus im Herzen von Zapfbach eher ein Schandfleck ist und man es besser abreißen würde.«
Ein eisiger Schauer erfasste Isabella.
»Hat aber natürlich nicht auf mich gehört, mein Mann. Und so gingen dann irgendwie die Jahre ins Land. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sich niemand an dieses Objekt getraut hat, weil die einstige Besitzerin des Hauses noch gelebt hat. Sie genoss ein hohes Ansehen in unserer Gemeinde. Schade nur, dass es so ein Ende mit ihr nehmen musste.«
Isabella sah sie irritiert an. »Wie meinen Sie das?«
»Na, verarmt und mittellos in einem Altersheim abzuleben ist ja nun wirklich kein Ende, das man sich selbst wünscht.« Sie verzog die Mundwinkel, was ihrem Gesichtsausdruck etwas Unschönes, Bitteres verlieh.
Isabellas Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, dass ihre geliebte Großmutter tatsächlich völlig allein gestorben war. Sie hatte bereits Stunden um Stunden hinter sich gelassen, in denen sie vor Selbstvorwürfen bitterlich geweint hatte. Aber so war wohl der Lauf der Dinge. Waren Menschen erst einmal aus den Augen, verschwanden sie ganz schnell auch aus dem Gedächtnis, wie sie immer wieder am eigenen Leib erfahren musste. Zuletzt bei ihrer langjährigen Freundin. Und nie war sie gänzlich unschuldig daran. Sie war eine echte Niete darin, Kontakte aufrechtzuhalten.
In den letzten Jahren hatte sie sich so oft vorgenommen, ihre Oma zu besuchen, die Aussprache mit ihr zu suchen, um zu verstehen, was damals zu dem so abrupten Kontaktabbruch geführt hatte. Ihre Mutter stellte keine zuverlässige Quelle dar. Im Gegenteil, sie hatte sie alle die Jahre auf Distanz gehalten und sich damit herausgeredet, dass es eine Sache zwischen Erwachsenen sei und sie es ohnehin nicht verstehen würde. Und als Isabella schließlich alt genug war, um verstehen zu können, war das meiste schlichtweg in Vergessenheit geraten und spielte keine Rolle mehr.
Hinzu kam, dass Isabellas Erinnerungen an ihre fröhlichsten Kindheitstage über all die Jahre verschlossen gewesen waren wie die Goldbarren in Fort Knox. Erst die Zusendung von Omas Rezeptordner hatte die vergitterten Tore aufgerissen – sperrangelweit sogar.
Als wäre es eine Fügung des Schicksals , dachte sie melancholisch. Und im Grunde war es genau das. Seit nunmehr drei Jahren war sie im Besitz dieses Ordners. Omas über die Jahrzehnte angesammelte Rezeptsammlung, von der sie bis zum Zeitpunkt der Überlieferung überhaupt noch nicht einmal wusste, dass es sie gab.
Irgendwann war da der Postbote mit einem Päckchen gewesen, das eben diesen Ordner zum Inhalt hatte. Ein Brief hatte beigelegen. Nein, ein Brief war es eigentlich nicht. Vielmehr ein Schmierzettel, auf dem stand:
Für meine Bella. Vielleicht brauchst du ihn irgendwann einmal. Deine dich immer liebende Änni.
Zunächst hatte Isabella nicht verstanden. Doch auf einmal war alles wieder da gewesen, jede noch so unbedeutende Kleinigkeit war mit Karacho aus dem verschlossenen Verlies geströmt, um sie umzuwerfen. Sie hatte sich wie berauscht gefühlt, als sie sich durch die vergilbten und mit Teigspritzern befleckten Seiten geblättert hatte.
Puddingplunder, Nussecken, Käsekuchen, Weihnachtsplätzchen – die köstlichsten auf der Welt. Mit Liebe gebackene Kekse, die sie so lecker nie wieder zu kosten bekam. Auf einmal war alles wieder da gewesen. So präsent, dass sie sich gefragt hatte, ob sie wirklich alles über all die Jahre hinweg verdrängt oder vergessen hatte. In diesem Moment hatte sie sich überhaupt nicht mehr vorstellen können, dass all die goldenen Erinnerungen so lange Zeit wie weggeblasen gewesen waren. Sie hatte wie ein Schlosshund geweint, so sehr, dass ihre salzigen Tränen auf die aufgeschlagenen Seiten getropft waren und Omas Schrift hatten verlaufen lassen.
Sie hatte lange überlegt, wie sie auf dieses Geschenk reagieren sollte, hatte begonnen Briefe zu schreiben, immer und immer wieder. Die richtigen Worte hatten ihr einfach nicht aufs Papier gleiten wollen. Dabei hätte es doch so viel zu erzählen gegeben. Doch wie und womit anfangen? Wie hätte sie ihrer geliebten Oma erklären können, dass sie so vieles aus ihrem Gedächtnis getilgt hatte. Sie war jung gewesen, noch ein Kind, aber das war keine Entschuldigung. Nicht für Isabella. Mit zunehmendem Alter hatte es sich angefühlt, als hätte sie diese Person verraten.
Also hatte sie auf die richtigen Worte gewartet, die alles erklären konnten, auf eine innere Eingebung. Sie hatte so lange gewartet, bis es schließlich zu spät gewesen war und es keine Gelegenheit mehr dazu gab, sich zu erklären. Nie mehr.
Alles Unausgesprochene hatte ihre Oma mit ins Grab genommen, bloß weil Isabella zu bequem gewesen war, über ihren eigenen Schatten zu springen und sich den Dämonen ihrer Familie zu stellen. Es gab nichts, was sie in ihrem jungen Leben mehr bereut hatte.
Auch jetzt musste sie wieder mit den Tränen kämpfen. Sie blinzelte sie weg, als hätte sie zu lange in die Sonne geblickt.
»Und wissen Sie schon, was Sie mit diesem Haus machen? Möchten Sie es verpachten? Wird es Ihr Sommerwohnsitz?«
Isabella schüttelte den Kopf und rieb sich über die Augen, um ihrem Gegenüber im nächsten Moment ein von Herzen kommendes Lächeln zu schenken. »Nichts von alldem«, erwiderte sie. »Ich werde Ännis Zuckerherzschlössle wiedereröffnen.«
Die Frau des Bürgermeisters sah sie eine ganze Weile reglos an. Nur die stark geschminkten Augen riss sie etwas weiter auf. »Und das halten Sie für eine gute Idee?«
Isabella nickte. Denn sie hielt es für die beste Idee von allen.
»Nun ja«, sagte Frau von Baldegg gedehnt. »Wenn Sie meinen.«
Isabella wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als ein älteres Pärchen unmittelbar vor dem Treppenabsatz stehen blieb. Sie trugen Wanderschuhe und matschbraune Allwetterjacken auf deren rechten Brusttaschen eine gelbe Pfote aufgenäht war. Sie standen dicht beieinander und glotzten in ein Buch.
»Das ist es!«, sagte der Mann begeistert. Gleichzeitig reckte sich sein Arm in Isabellas Richtung, die ihn verständnislos anstarrte.
Sie konnte sehen, wie sich die Frau im Allwetter-Outfit schüttelte, als sie das Haus erblickte. »Brrrr«, machte sie theatralisch. »Allein beim Anblick geht es einem ja wirklich durch und durch.«
Isabella verstand überhaupt nichts mehr. Gut, die Außenfassade war witterungsbedingt nicht im besten Zustand und generell etwas in die Jahre gekommen. Aber das war noch lange kein Grund, sich zu schütteln.
»Das sieht tatsächlich aus wie ein echtes Spukhaus.«
Sie konnte sehen, wie die Frau immer wieder den Blick aus dem Büchlein nahm, um sich das Gebäude anzuschauen.
Isabella verstand weniger als nichts und sah dabei zu, wie der Mann eine Batterie von Fotos vom ihrem Haus schoss.
»So, Schatz, können wir das auch abhaken. Jetzt haben wir mal ein echtes Spukschlösschen zu Gesicht bekommen.«
Ohne ein Wort der Erklärung marschierte das Pärchen ab und ließ Isabella ratlos zurück.
»Spukschlösschen?«, fragte sie die Bürgermeisterfrau.
Frau von Baldegg winkte ab. »Ach, das Geschwätz von Touristen. Sie wissen doch …« Sie räusperte sich angestrengt, nickte kurz und trat an Isabella vorbei. »Also dann, Frau Lentner. Herzlich willkommen in Zapfbach.«
Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen, vor dem Umzugswagen einzutreffen. Aber in ihrer leer geräumten Frankfurter Wohnung hatte sie keine Nacht mehr bleiben wollen. Dabei hatte es Zeiten gegeben, in denen sie ihre kleine Maisonette-Wohnung im Stadtteil Sachsenhausen geliebt hatte.
Nicht unweit von den Bankentowern entfernt, mit Blick auf den Main hatte sie die ersten Jahre ein Leben gelebt, wie sie es sich in ihrer Jugend immer vorgestellt hatte: Ausufernde Partys, lockere Bekanntschaften und kulturelle Möglichkeiten, die nur eine Großstadt bieten konnte. Isabella hatte sich in ihrem Leben noch nie so frei gefühlt. Mit der Beendigung ihrer Lehre als Bankkaufrau, die sie als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte – deutschlandweit –, war die Festanstellung bei einer renommierten Bank bloß noch Formsache gewesen. Bereits das Einstiegsgehalt hatte weit über dem Branchendurchschnitt gelegen. Ihre Vorgesetzten hatten hohe Erwartungen in sie gesetzt, doch Isabella war bereit und gewillt gewesen, diesen gerecht zu werden. Hauptsache raus aus dem kleinen Dorf im Hunsrück. Fort von den stundenlangen Odysseen des öffentlichen Nahverkehrs, die sie in den Schlund der Innenstadt geführt hatten. Weg von ihrer Mutter, die ihr mit Leichtigkeit den letzten Nerv geraubt hatte, indem sie sich in ihr Leben eingemischt hatte.
Dann war da diese Wohnung gewesen, die sie sich über einen Makler hatte vermitteln lassen. Es war die wohl kleinste Wohnung, die je den Namen Maisonette verliehen bekommen hatte, aber für Isabella war es Liebe auf den ersten Blick.
Nach den harten Jahren der Ausbildung hatte sie sie erreicht, die sprichwörtliche sonnige Seite des Lebens, da nun sogar die Sonne ihr Wohnzimmer durchflutete.
Riesige vom Parkettboden bis zur Decke reichende Fenster, eine niedliche Wendeltreppe, die in ein kleines, dafür umso gemütlicheres Schlafzimmer führte – und eine Miete, die ihr die Haare vom Kopf fraß. Zumindest in den ersten beiden Jahren ihres Großstadtlebens. Als dann die Karriere begonnen hatte, hatten zwar die Partys aufgehört, doch dafür kam das Geld rein.
So hätte es gern weitergehen können. Sie wollte eine Stufe der Karriereleiter nach der anderen erklimmen, irgendwann den Mann ihres Lebens kennenlernen, konkreterweise auf einer Vorstandssitzung, die er leitete, und sich dann irgendwann eine kleine Auszeit nehmen, um ein, zwei Kinder in die Welt zu setzen, die sie von Au-Pair-Mädchen aus aller Herren Länder hätte großziehen lassen. So der Plan. Doch dann kam Mutter in ihre Stadt, gründete eine Tanzschule und bezog eine Wohnung ganz in ihrer Nähe. Und damit ging irgendwie alles den Bach runter.
Das Treffen des Traumtyps aus dem Vorstand war ausgeblieben, dafür aber kamen die Leute von der Steuerfahndung, die die komplette Führungsetage auf links krempelten.
Der Gedanke daran ließ sie melancholisch werden. Aber vielleicht war es ihr so erspart geblieben, dass ihr zukünftiger Ehemann mit einem der ebenso zukünftigen Au-Pair-Mädchen durchbrannte und sie mit den beiden nicht geborenen und vermutlich schlecht erzogenen Kindern völlig allein auf weiter Flur stand und sich von ihrer Mutter unentwegt Erziehungsratschläge geben lassen musste.
Diese Gedankenspiele brachten sie zum Lachen. Ein Lachen, das dumpf und merkwürdig tonlos klang, beinahe so, als würde der Staub um sie herum sämtlichen Hall absorbieren. Nein, ihre Zukunft sah mit diesem Umzug nun anders aus. Keine Au-pairs, kein Banker als Mann. Vor allem: keine Mutter! Nun sah ihre Zukunft staubiger – weiß Gott – aber auch authentischer aus, und vor allem: lebendiger.
In den letzten beiden Stunden hatte sie das kleine Wohnzimmer im ersten Stock sprichwörtlich auf den Kopf gestellt und ordentlich durchgewischt: Den Kirschholzboden, die Sprossenfenster, die schweren Tapeten, von denen eine ziemlich unappetitliche braungelbe Brühe heruntergelaufen war. Sie hatte es sogar zustande gebracht, mit dem Wischmopp die Deckenpaneele zu schrubben und damit von den gröbsten Spinnennetzen und Nikotinschichten zu befreien (ihre Oma war eine leidenschaftliche Raucherin gewesen). Einmal mehr war sie froh darüber, keine Angst vor Spinnen zu haben. Es hatte eben doch seine Vorteile, allein zu leben und keinen Mann an der Seite zu haben, der einen von diesen Achtbeinern befreite. Selbst ist die Frau. Wobei sie tunlichst darauf bedacht war, diese Untiere mit Glas und einer Postkarte lebendig zu fangen und in die freie Natur auszusetzen. Nicht auf den Fenstersims, sondern durch die Haustüre auf die nächste Straßenseite. So leicht wollte sie es den Arachnoiden bei der Suche nach dem Rückweg schließlich auch nicht machen.
Nach all der Arbeit war sie erschöpft, aber glücklich. Nun saß sie, eingewickelt in ihre Lieblingsdecke, eine bunte Patchworkdecke, die sie von ihrer besten Freundin zum zwanzigsten Geburtstag bekommen hatte, auf der breiten Fensterbank. Ein dickes Kissen im Rücken und den alten Ordner – ihr Heiligtum – auf dem Schoß, um sich vor dem Schlafengehen noch ein wenig auf ihre neue Aufgabe vorzubereiten.
Sie nippte an ihrem zweiten Glas Rotwein.
Eigentlich hatte sie sich eigens zu diesem Anlass einen Barolo gönnen wollen. Doch der Blick auf das Preisetikett hatte sie schnell vernünftig werden und sie ein paar Regaletagen nach unten greifen lassen. Zumindest blieb sie den Italienern treu.
Zufrieden mit sich selbst, nippte sie am Fünf-Euro-Neunundneunzig-Primitivo und genoss das staubtrockene Gefühl auf ihrer Zunge, auf das eine fruchtig-schokoladige Geschmacksexplosion folgte.
Hier und heute konnte ihr kein Wein besser schmecken.
Ungeachtet der chaotischen Zustände, fühlte sich Isabella nach so langer Zeit endlich angekommen. Dieses Gefühl, etwas richtig zu machen, die korrekte Entscheidung getroffen haben.
Sie blickte durch das frisch geputzte Sprossenfenster in den Himmel. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie es wirklich getan hatte. Sie hatte die erste Etappe ihres großen Ziels erreicht. Sie betrachtete die Straße, die im orangenen Schein der Laternen vor ihr lag. Der leichte Nieselregen brachte den Asphalt zum Glänzen. Es war zehn Uhr abends, vereinzelte Touristenpärchen schlenderten trotz des Regens, verborgen unter großen Schirmen, den Bürgersteig entlang. Isabella konnte den Zapfbach rauschen hören, der neben der Hauptstraße entlang floss und dieser Stadt seinen Namen verlieh.
Obwohl es draußen empfindlich kalt geworden war und sie die Heizung noch nicht verstanden hatte, breitete sich mit jedem weiteren Schluck des trockenen Rotweins eine innere Wärme in ihr aus, die jedoch nicht vom Wein kam, sondern von einem Gefühl der Zufriedenheit.
Den ganzen Nachmittag, als sie Dinge von einem Ort zum anderen geräumt hatte, hatte sie immer wieder innehalten müssen, weil die Erinnerungen nur so auf sie eingeprasselt waren. Jede Ecke, jeder Winkel hatte eine andere lebendige Geschichte zutage gebracht. In diesem alten Fachwerkhaus hatte sie die glücklichste Zeit ihrer Kindheit verbracht. Vielleicht sogar ihres ganzen Lebens.
Auch wenn eine Nacht auf einer Isomatte im Bundeswehrschlafsack, den sie aus Frankfurt mitgebracht hatte, auf sie wartete, wünschte sie sich um nichts auf der Welt an einen anderen Ort. Sie war voller Tatendrang und konnte es kaum erwarten, dieser schlafenden Schönheit endlich wieder Leben einzuhauchen und damit den Geist der geliebten Oma wieder aufleben zu lassen.
Sie schloss die Augen und sah ihre Oma auf eben diesem Fenstersims sitzen, den Blick nach draußen gerichtet, und sich selbst, die kleine Isabella, ihr gegenübersitzen und sie beobachten.
Sie konnte sich noch daran erinnern, dass sie sich fragte, wie ein Mensch allein nur so viele Falten haben konnte. Der Gedanke ließ sie lächeln. Es tat gut, ihrer Oma gefühlt wieder so nahe zu sein. Es war schön, zu wissen, dass sie das Richtige tat. Auch wenn das vermutlich nicht alle in Zapfbach so sehen würden. Schließlich führte sie nicht das einzige Café in diesem Städtchen und die Konkurrenz würde sie sicherlich nicht mit offenen Armen empfangen. Und was um Himmels willen hatte es mit diesem Begriff »Spukschlösschen« auf sich, mit dem das Touristenpärchen ihr Haus bedacht hatte? Die beiden wollten ihr einfach nicht aus dem Kopf. Sie beschloss, der Sache gleich am nächsten Tag auf den Grund zu gehen. Das viel zu schnelle Abtun der Bürgermeisterfrau bestärkte sie nur darin, dass mehr dahintersteckte.
Isabella war sich ziemlich sicher, dass die Nachricht ihrer Ankunft sich bereits in diesem Städtchen verbreitet hatte. Spätestens seitdem es auch die grantige Frau des Bürgermeisters wusste.
Ihre Oma war kein einfacher Mensch gewesen. Im Gegenteil: Sie hatte ein kompliziertes Wesen und einen unglaublichen Dickkopf gehabt. Ihre Mutter hatte immer gesagt, dass Oma selbst mit einer Vogelscheuche einen Streit hätte anfangen können.
Man musste mit ihr umzugehen wissen. Auf Isabella hatte sie stets einen unverwüstlichen Eindruck gemacht. Und es hatte nichts gegeben, was Oma nicht wieder hatte hinbiegen können. Sie hatte nie wieder einen Menschen kennengelernt, der es wie sie ausschließlich gut mit ihr meinte.
Lebensverändernde Entscheidungen waren vermutlich nie leicht. Und doch wollte sie eben nichts mehr als diesen Umschwung in ihrem Leben. Sie schwamm auf einer Welle der Euphorie und konnte es kaum erwarten, endlich loszulegen und ihren Traum zu verwirklichen. Die ersten wichtigen Schritte waren getan. Sie war wirklich hier.
Sie leerte ihr Weinglas in einem Zug und beglückwünschte sich zur besten Entscheidung ihres Lebens.
Sie verfluchte sich selbst für die schlechteste Entscheidung ihres Lebens! Nach einer kalten Nacht auf einer dünnen Isomatte, die ihren Rücken aufs ärgste malträtiert hatte, war Isabella früh erwacht.
Zunächst hatte sie lange gebraucht, um in den Schlaf zu finden. Als Großstädterin war sie den Metropolenlärm gewohnt. Lachende und schreiende Menschen, quietschende Autoreifen, Gehupe, das Aufjaulen von Martinshörnern. Doch als sie sich gegen elf Uhr in ihren Schlafsack gemummelt und nach einer halbwegs bequemen Schlafposition gesucht hatte, war da nichts. Es war so still gewesen, dass sie das Blut in ihren Ohren hatte rauschen hören. Also war sie noch mal aufgestanden und, eingepackt in ihren Schlafsack, zu den Fenstern gehüpft und hatte zwei davon gekippt. Trotz bitterer Kälte.
Wieder zurück auf der Isomatte, war es zwar immer noch recht still gewesen, doch zumindest hatte sie nun das Plätschern des Baches hören können, was nicht das unangenehmste Hintergrundgeräusch war. Irgendwann, Isabella hatte nicht auf die Uhr geschaut, war sie in einen traumlosen Schlaf gefallen, aus dem sie immer wieder erwacht war, weil ihr Rücken schmerzte.
Gegen Morgen, es war noch fast dunkel, wurde sie förmlich aus dem Schlaf gerissen, als in direkter Nähe ein Hahn herzergreifend krähte. Isabella war schlagartig wach und ihr Herz trommelte hart in ihrer Brust. Eine beängstigende Orientierungslosigkeit machte sich in ihr breit, bis sie mit den ersten klaren Gedanken wieder zur Ruhe kam und sich zurücksinken ließ. Sie hörte noch eine ganze Weile dem Hahn zu, dann, als er schließlich fertig war, dem Bach und zwang sich irgendwann dazu, endlich aufzustehen. Ein langer, arbeitsreicher Tag stand ihr bevor.
Doch hätte sie gewusst, welche Mammutaufgabe ihr wirklich bevorstand, wäre sie liegengeblieben.
Beim Betreten des ehemaligen Cafés war sie noch guter Dinge. Klar, alles war verstaubt, aber die gesamten Möbel waren durch Leinendecken geschützt worden. Also begann sie, sämtliche Decken abzuziehen, wobei sie eine Menge Staub einatmete und aus dem Husten nicht mehr herauskam. Das Licht funktionierte nicht. Zu ihrem Bedauern hatte Isabella nicht genug Ahnung von Elektrizität, um sagen zu können, ob es an kaputten Glühbirnen lag oder schlichtweg die Sicherungen herausgedreht waren. Geschweige denn, dass sie eine Ahnung davon hatte, wo sich der Sicherungskasten befand. Sie hätte die Maklerin fragen sollen. Aber diese war so schnell wieder aufgebrochen, dass Isabella es völlig vergessen hatte.
Also wählte sie den Weg des geringsten Widerstandes und riss die vergilbten Zeitungsseiten von den Fenstern, woraufhin der Raum, der seit Jahren vor sich hingeschlummert hatte, mit Licht geflutet wurde. Fasziniert betrachtete sie die Staubpartikel, die in den Sonnenstrahlen umherwirbelten, als würden sie tanzen. Nur für sie.
Sie riss alle Türen auf und band sich ein Tuch vor das Gesicht, um nicht den Stauberstickungstod zu sterben. Schließlich entfernte sie auch die letzten Laken und Tücher von den Regalen und der Theke und brachte die Einrichtung nach und nach wieder zum Vorschein.