Schweinehunde beißen nicht - Anka Chilla - E-Book

Schweinehunde beißen nicht E-Book

Anka Chilla

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Beschreibung

In sechzig Minuten geschrieben, in drei Minuten gelesen. Geschichten über den inneren Schweinehund, gegen Alltagstrott und Resignation. Wie fühlt es sich an, den Regen unter der Plane einer Hollywoodschaukel zu erleben oder zum Geburtstag mal wieder Kind sein zu dürfen? Durch das spontane Schreiben fand Anka Chilla zu einer positiven Lebenseinstellung, die sie mit der vorliegenden Auswahl an Texten gern an andere weitergeben möchte.

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Seitenzahl: 119

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Anka Chilla, geb. 1964, studierte an einer Fachschule u. a. Pädagogik und Kinderliteratur, belegte ein Fernstudium zur »Technik der Erzählkunst« und schreibt am liebsten Kurzgeschichten, von denen einige in Anthologien veröffentlicht wurden. Sie arbeitete als Kindergärtnerin und für die Hörspielabteilung des Rundfunks der DDR, organisierte Schulfahrten für umweltgeschädigte Kinder und trat in ihrer Jugend als Puppenspielerin auf. Zurzeit ist sie im Management von Einkaufszentren tätig und wohnt mit ihrem Mann in Grünheide, in der Nähe von Berlin. In ihrer Freizeit ist sie gern mit Pferd, Kajak oder Fahrrad in der Natur unterwegs und sammelt Inspirationen für ihre Geschichten.

Für Jutta

Inhalt

Vorwort

Das Lachen der Kinder

Ausgeliefert

Rosarote Brille

Mutprobe

Verräterische Spuren

Die Brücke

Angst

Kosmetik

Schreiben gegen die Zeit

Kettenreaktion

Mord nach Anleitung

Der Mond

Der Pilot

Besuchszeit

Helden im Garten

Eiersalat

Aprilwetter

Warten

Schneeweißchen und Rosenrot

Midlife-Crisis

JOLA

Stille

Nikolaustag

Scheinwerfer im Kopf

Wände

Im Schatten

Die Nachbarin

Wegweiser

Novembermorgen

Tierfreunde

Im Gleichschritt

Verloren

Meine Oase in der Wüste

Huhu

Abschied und Neubeginn

Verwirrung

Aufschreiben

Besucher der Nacht

Das Schiff

In der Turnhalle

Der Wettlauf

Das Mobile

Zwiegespräch

Bollywood

Die Höhle

Morgenröte

Blickwechsel

Else

Das Puzzle

Wir bleiben zu Hause

Mein Freund in der Schublade

Schwerelos

Miriams Traum I

Miriams Traum II

Au revoir

Inneres Feuer

Ein besonderer Geburtstag

Das rote Pferd

Harmonie

Jetzt. Endlich!

Nachwort

Vorwort

In einigen Schreibforen im Internet stellen sich die Mitglieder wöchentlich einer besonderen Herausforderung. Unter dem Namen »Schreiben gegen die Zeit« haben die Teilnehmer sechzig Minuten Zeit, zu einem spontan gewählten Thema eine Geschichte zu schreiben, die anschließend bewertet und kommentiert wird. Diese Art des Schreibens ist zu meiner Leidenschaft geworden.

Die Kürze der Zeit hat mich gelehrt, auf den Punkt zu kommen. Autobiografisch oder frei erfunden – entstanden ist ein bunter Bilderbogen von Minutengeschichten, die mein Leben in den letzten zehn Jahren spiegeln. Für diesen Band habe ich Texte ausgewählt, die davon erzählen, wie einfach es sein kann, dem alltäglichen Trott zu entkommen, sich selbst zu motivieren und Freude zu spüren.

Viel Spaß beim Entdecken der Magie des Augenblicks.

Anka Chilla

Das Lachen der Kinder

Vor meiner Nase schnappen die Türen zu und die S-Bahn fährt ohne mich. Verdammt! Ich bin zu spät und im Büro beginnt um neun Uhr das Meeting. Schon jetzt sehe ich den vorwurfsvollen Blick meines Chefs, wenn ich während seines Vortrags in den Konferenzraum stolpere. Ich nehme die nächste Bahn, zähle ungeduldig die Stationen und stürze endlich aus dem Zug. Es fängt an zu regnen. Auch das noch! Ich habe keinen Schirm dabei. Wozu habe ich mir heute Morgen die Haare geföhnt? Mit der Tasche über dem Kopf renne ich los. Zwecklos, denn es ist kurz vor neun und ich habe keine Chance, es zu schaffen. Auf dem Bürgersteig bilden sich erste Pfützen, denen ich ausweiche. Tropfen spritzen mir ins Gesicht. Ich versuche, mit meinen hohen Absätzen so schnell wie möglich an einer lärmenden Kindergruppe vorbeizukommen. Nur noch zwei Mädels muss ich überholen, dann habe ich den ganzen Weg für mich und kann ordentlich Gas geben.

Da höre ich eine von ihnen sagen:

»Cindy, wetten, ich bin genauso schnell wie die Frau?«

»Ich auch!«, ruft die andere und quietscht dabei vor Vergnügen.

Die beiden legen an Tempo zu. Wir bleiben auf gleicher Höhe und es gelingt mir nicht, die Mädchen abzuhängen. Sie kichern und grinsen mich an.

Dumme Gören, denke ich. Starre stur geradeaus und tue so, als hätte ich sie überhaupt nicht bemerkt. Doch die zwei sind eifrig. Mit ausholenden Bewegungen halten sie Schritt und wir marschieren nun schon einige Minuten zu dritt nebeneinander. Meine Laune ist am Tiefpunkt. Erst die verpasste S-Bahn, dann der Regen und nun das hier. Solche Kindergarten-Mätzchen kann ich jetzt überhaupt nicht vertragen. Elender Montagmorgen!

Die beiden Mädchen dagegen scheinen jede Menge Spaß zu haben. Sie rennen neben mir her, lachen und kreischen vor Freude. Als ich kurz zu ihnen hinüberschaue, stutze ich.

Sie tun so, als hielten sie eine Aktentasche über ihre Köpfe, und laufen, als hätten sie Absatzschuhe an. Ich muss lachen. Ob ich wirklich so aussehe? Die beiden lachen zurück und fangen vor Freude an zu hüpfen. Jetzt lachen wir alle drei. Ihre Lebensfreude steckt mich an und plötzlich macht mir der Regen nichts mehr aus. Ich nehme die Tasche herunter und drehe mich einmal im Kreis. Die beiden Mädchen drehen sich mit mir und als ich wieder zu ihnen sehe, winken sie mir zu. Meine trüben Gedanken sind weg. Ich winke zurück und hüpfe ein paar Schritte. Sie kreischen vor Vergnügen und wir veranstalten einen lustigen Wettlauf bis zur nächsten Laterne. Bevor sich unsere Wege trennen, rufen sie mir fröhlich zu:

»Tschühüs!«

»Macht’s gut ihr beiden und … danke!«

»Danke?« Cindy schaut mich fragend an.

Ich bücke mich zu den beiden hinunter und flüstere: »Für euer Lachen. Ich habe jetzt gute Laune – ihr habt mich angesteckt.«

Sie grinsen über das ganze Gesicht und ich gebe jeder einen kleinen Stups auf die Nase. Als ich mich aufrichte, sehe ich das Bürohaus auf der anderen Straßenseite. Nun bin ich gestärkt, um diesen Tag durchzustehen.

Mai 2011, Thema: Dankbarkeit

Ausgeliefert

Ich habe Angst. Fühle mich klein und hilflos in den Fängen dieses Ungetüms. Natürlich weiß ich, es ist friedlich und würde niemandem mit Absicht etwas zuleide tun. Trotzdem bin ich hier gefangen. Ich kann nicht weg. Die Türen sind zugesperrt und ich muss darauf warten, was geschieht. In den letzten zwei Stunden, die ich bewegungslos sitzend auf demselben Fleck zugebracht habe, ist das Ungeheuer ruhig gewesen. Es brummt und scheint sich wohlzufühlen. Von mir und meiner Angst nimmt es keinerlei Notiz. Warum auch, verglichen mit ihm bin ich bloß ein Staubkorn. Ein Nichts. Insgeheim bewundere ich seine Schönheit. Wie leicht und schwerelos es trotz seiner gigantischen Größe dahingleiten kann. Die Sonne spiegelt sich in seinen unzähligen Augen und wenn man von außen genau hinsieht, kann man dahinter weitere Augen erkennen. Nur viel kleiner und von ganz unterschiedlicher Art. Da gibt es große und staunende Augen, schläfrige, fast geschlossene, gleichgültige und auch ängstliche Augen. Wie meine, die in erwartungsvoller Furcht erstarrt sind. Genau wie mein an den Sitz geschnallter Körper, den ich immer noch nicht bewegen kann.

Wie aus heiterem Himmel schüttelt sich das Ungetüm und macht einen Satz. Ich schreie und kralle mich an der Armlehne fest, denn es reißt mich mit sich. Das ist das Ende! Als ob ich es gewusst habe, gespürt vom allerersten Moment an. Geahnt in den letzten Stunden der Ruhe. Zwecklos zu kämpfen. Ich kann nichts dagegen tun. Oder doch? Ich sammle mich. Versuche, mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Und auf einmal ist mir klar, ich habe nur eine Chance. Das Monster kann ich nicht besiegen, nur meine Angst vor ihm.

Mit geschlossenen Augen höre ich in mich hinein. In meinem Kopf rauscht es, der Puls rast. Ruhig atmen. Das tut mir gut.

Wie ein abgeschossener Vogel beginnt das Riesentier zu trudeln. Zumindest scheint es mir so. Schwachsinn. Reiß dich zusammen, denke ich.

Doch, jetzt neigt es sich. Ist ganz schief. Alles rast an mir vorbei. Atmen! Mein Körper streckt sich. Der Boden kommt näher. Viel zu schnell. Ich will nicht mehr! Meine Beherrschung ist dahin, ich fange an zu weinen. Die Tränen öffnen eine Schleuse in mir. Ein Damm bricht. In mir hat sich so viel angestaut. Alles will raus. Auch ich will raus. Endlich raus hier!

Jetzt gibt es einen Ruck. Das Ungeheuer bäumt sich noch einmal auf, dann knickt es ein und faucht. In meinen Ohren saust es. Ich fühle die Hand meiner Tochter auf dem Arm. Sie strahlt mich an: »Du hast es geschafft, Mami. Wir sind gelandet. Da draußen wartet New York auf uns!«

Juni 2011, Thema: Unterwegs

Rosarote Brille

Bei uns um die Ecke hat ein neuer Laden aufgemacht. Es ist ein Scherzartikelladen. Heute gab es eine Eröffnungsparty, zu der alle Anwohner eingeladen waren. Brigitte, die Ladeninhaberin, schenkte mir ein Glas Sekt ein und bot mir das Du an. Danach hatte ich Gelegenheit, in aller Ruhe die Auslagen in den Regalen zu bewundern. Furzkissen, krähende Wecker, sprechende Türschilder, Hundehaufen-Attrappen und Zauberkästen sind nur einige der Dinge, die Brigitte anbietet. Mein Blick blieb an einer rosaroten Brille hängen.

»Wenn du die aufsetzt, erscheint die Welt in völlig neuem Licht«, pries Brigitte ihre Ware an.

»Hilft die auch gegen den täglichen Wahnsinn?«, fragte ich.

Brigitte bejahte, und ich kaufte gleich zwei Brillen, da sie mir ein Rückgaberecht einräumte, sollten sie nicht funktionieren.

Am nächsten Morgen traf ich Robert, meinen unrasierten Ehemann, im Badezimmer. Die Pyjamajacke hing ihm halb aus der Hose, und er schimpfte, weil die Zahnpasta alle war. Ich setzte die rosarote Brille auf und lächelte ihn an.

Er stutzte einen Augenblick, dann lachte er ebenfalls.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte er. »Willst du zum Karneval?«

»Nein«, antwortete ich und zog die zweite Brille hervor. »Ich habe etwas erworben, was uns das Leben leichter macht. Schau mal durch!«

Zweifelnd sah er mich an, dann nahm er die Brille und setzte sie auf.

Aus dem Spiegel blickten uns zwei völlig durchgeknallte Gestalten entgegen.

»Und?«, fragte ich. »Was ist mit der Zahnpasta?«

Robert wog die leere Tube in der Hand, dann warf er sie in den Mülleimer.

»Ich werde nachher eine neue mitbringen.«

Als ich das Wohnzimmer betrat, saß Jannis, unser Jüngster, bereits vor dem Fernseher. Er weiß genau, er soll vor der Schule nicht fernsehen. Ich spürte die Wut in mir aufsteigen und wollte ihm gerade eine Standpauke halten, als mir Robert die Hand auf die Schulter legte.

»Lass mich das machen«, sagte er, trat ans Sofa und schaltete das Gerät aus.

»Eh, Mensch, spinnst du?«, fauchte Jannis und sprang auf.

Da erblickte er die rosarote Brille auf der Nase seines Vaters und erstarrte. Als er sich von seiner Überraschung erholt hatte, fragte er: »Was soll’n der Quatsch?«

»Das ist eine Zauberbrille«, flüsterte Robert.

»Wenn man die aufsetzt, verfliegt jeder Ärger.«

Jannis tippte sich an die Stirn und wollte in sein Zimmer verschwinden.

»Hilfst du mir beim Frühstückmachen, Jannis?«, rief ich aus der Küche.

Er blieb abrupt stehen, ballte die Fäuste und drehte sich langsam zu seinem Vater um.

Mit dem Kopf nickte er zu der Brille.

»Papa, würdest du mir die kurz mal borgen?«

März 2012, Thema: Der tägliche Wahnsinn

Mutprobe

Heute ist Toms großer Tag. Alles ist bis ins kleinste Detail geplant. Es kann eigentlich nichts schiefgehen. Wenn nur die Nerven nicht versagen. Tom atmet tief durch und zählt leise vor sich hin, um sich zu beruhigen. Die anderen sind dabei, die Ausrüstung zu überprüfen. Von einer guten Ausrüstung hängt ihr Leben ab, darauf müssen sie sich absolut verlassen können.

Die Jungs sind fest entschlossen, den Überfall heute zu machen. Zweimal haben sie es schon versucht und jedes Mal hat einer von ihnen Schiss bekommen. Sobald das passiert, nützt auch der Mut der anderen nichts und alle müssen umkehren. Sie sind aufeinander angewiesen. Wie die Glieder einer Kette hängen sie zusammen. Tom fühlt, wie sein Herz rast. Er ist der Jüngste der Gruppe, und er möchte nicht, dass das Unternehmen seinetwegen scheitert. Angebettelt hat er seinen großen Bruder Mark, damit er ihn heute mitnimmt. Jetzt sind sie hier, und er weiß nicht, ob er seinen Entschluss bereuen soll. Was sie da vorhaben, ist gefährlich. Ein Überfall dieser Art ist nichts für Anfänger, hat Mark gesagt. Trotzdem glauben alle, dass Tom es schafft. Er muss sich nur überwinden. Nicht einen Augenblick darf er daran denken, was passieren könnte, wenn es schief geht. Das haben sie ihm eingetrichtert, und er versucht, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen.

Zuerst müssen sie klettern. Das ist nicht schwer. Tom blinzelt nach oben und beobachtet Bernd, der mit dem Seil vorangeht. Mark folgt und schließlich ist er an der Reihe. Jeder Handgriff sitzt, als sei er hundertmal geübt worden. Mühelos findet Tom Griffe und Tritte und zieht seinen Körper nach oben. Etwa in zwanzig Metern Höhe versperrt ihm eine massive Steinplatte die Sicht. Mark und Bernd warten dahinter auf ihn. Er weiß es, er spürt ihre Anwesenheit und ihre Aufregung. Jetzt kommt es darauf an. Er tastet sich noch einige Meter weiter, dann sieht er die Kluft. Nur nicht hinunterschauen, denkt er.

»Tom? Bis du angekommen?«, ruft Bernd hinter dem Felsen.

»Ja.« Seine Stimme klingt dünn hier oben. »Ich bin direkt davor.«

»Du weißt, was zu tun ist. Zögere nicht lange. Du schaffst das!«

Tom atmet tief ein, fixiert den Stein hinter der Kluft.

Es sind nur ein Meter fünfzig, hämmert es in seinem Kopf. Über eine Pfütze mit dieser Breite könnte er mühelos springen. Aber hier ist es anders. Hier gibt es einen zwanzig Meter tiefen Abgrund, der zu überwinden ist.

»Tom?«

Jetzt!

Er prüft ein letztes Mal das Seil, damit es sich nicht verhakt. Richtet sich auf, nimmt beide Arme nach vorn und lässt sich fallen. Erreicht den Fels gegenüber mit den Händen. Der Stein schürft seine Handflächen auf. Für wenige Sekunden schwebt sein Körper waagerecht über dem Felsspalt, dann stößt er sich mit den Beinen ab und ist drüben. Erst jetzt riskiert er einen Blick nach unten. Ihm wird schwindlig von der Höhe und schwindlig vor Freude. Wie eine Gazelle überwindet er die Steinplatte, die ihn noch von seinen Freunden trennt. Jubelnd fallen sie sich in die Arme.

»Du hast es geschafft, Tom! Wir haben es alle geschafft!«

Stolz tragen sie ihre Namen ins Gipfelbuch ein. Darüber schreibt Bernd in Bergsteigerjargon: »Alter Weg mit Überfall«.

Mai 2012, Thema: Überfall

Verräterische Spuren

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