Sechs Geschichten - Gottfried Horbaschk - E-Book

Sechs Geschichten E-Book

Gottfried Horbaschk

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Beschreibung

Sechs Geschichten erzählen von außergewöhnlichen Menschen und davon, was sie auf ihrer Suche nach Freiheit und Glück umtreibt. Es führen ihre Wünsche, Träume und Sehnsüchte sowie ihre verborgenen Zwänge zu Handlungen, die von gültigen Konventionen abweichen können. Es gibt unterhaltsame, traurige und makabre Episoden, erschütternde Berichte und ernste Abschnitte. Vereint werden sie alle durch den Autor, der wie ein Bindeglied alle Geschichten zusammenführt. Jede individuelle Erzählung berichtet von einem persönlichen Schicksal und macht neugierig - auf glückliche oder tragische Ausgänge, freudige Erfüllungen oder auch ein fatales Ende. Und jede der Geschichten schließt auf ihre Weise mit einem zum Nachdenken anregenden Abgesang.

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Seitenzahl: 103

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Impressum 2

Vorwort 3

Das außergewöhnliche, wunderbare Wirtshaus der Hedi S. 4

Die Frau des Kantors 20

Die Spinnerin 32

Die Kunigundenkapelle 42

Frühe Reisen in die DDR 50

Mein fabelhafter Bruder 66

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe:978-3-99010-985-4

ISBN e-book: 978-3-99010-993-9

Umschlagfoto:Pavel Losevsky | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen:Gottfried Horbaschk

www.novumverlag.com

Vorwort

Perikles: „ZumGlückbrauchst duFreiheit,zurFreiheitbrauchst duMut.“

Sei es der großen Freiheit Glück oder sei es auch nur eine der vielen kleinen Freiheiten, von denen wir reden! Und lassen wir erst mal außer Acht, ob wir dadurch nur ein schnelles Glücksgefühl oder eine tiefe Zufriedenheit erfahren. Wer weiß solches schon im Voraus und wer kann ermessen, wie viel Freiheit man sich nehmen muss, um seine Wünsche, seine Sehnsüchte, seine Ziele, sein Handeln im täglichen Leben in eine Portion Glück zu verwandeln? Wir suchen unentwegt einen Weg, uns zu verändern, mehr oder weniger mutig aus dem tristen Alltag herauszutreten, der Eintönigkeit, dem Zwang, den Vorschriften, auch den moralischen und manchmal sogar den sittlichen Gepflogenheiten zu entkommen und nehmen uns hierfür die nötigen Freiheiten (und gegebenenfalls auch den erforderlichen Mut) heraus und glauben, solchermaßen Glück zu finden, was tatsächlich auch gelingen kann. Aber wie nah neben solchem Tun liegt das Misslingen, die Gefahr, das Fatale, der Verrat, das Unglück oder gar der Tod. Zwischen diesen beiden Polen wollen wir den bunten Reigen unserer Geschichten – so wie sie sich zugetragen haben – ansetzen, wobei sich die Ergebnisse mehr oder weniger weit auf einer der beiden Seiten wiederfinden können und das, was wir Schicksal nennen, in beide Richtungen hin als treibende Kraft wirken kann.

Das außergewöhnliche, wunderbare Wirtshaus der Hedi S.

Eine Milieustudie

Es kann der Vorübergehende oder auch der Eintretende auf dem etwas verblichenen Ausleger der zu beschreibenden Gastwirtschaft den stolzen Namen „Zum schwarzen Ritter“ erkennen und in dem nicht mehr gerade Hochglanz ausstrahlendem Piktogramm in der Mitte des Schildes gibt der schwarz gekleidete, mit metallisch glänzendem Helm sowie langen Sporen ausgestattete Held und Namensgeber der Lokalität in kämpferischer Pose seinem ebenfalls schwarzen Ross die Parade. Ansonsten fügte sich die Eckkneipe aber in die umliegende Vorstadt mit ihren traurigen Häuserzeilen ganz passabel ein. Keine allzu weite Entfernung musste man zurücklegen, um vom Marktplatz der mittelgroßen, fränkischen Universitätsstadt in diese Gegend zu gelangen. Verfolgte man die Richtung ein kurzes Stück weiter, erreichte man die Reste der Stadtmauer, kam zum Bahndamm und zum alten Kanal. Durch eine finstere Unterführung führte der Weg zum Stadtteil der „Werker“, wohl ein mundartlicher Ausdruck für ein Viertel mit heruntergekommenen Handwerksbetrieben, der einen oder anderen aufgelassenen Fabrik und mehr oder weniger subsozialen Bevölkerungsstrukturen. An den Bahndamm schmiegten sich hier auch einige schmutzige Holzhütten, einstmals wohl als Behelfsheime errichtet, mit zum Teil zweifelhafter Belegung, die unter anderem aber auch vom „Personal“ unserer naheliegenden Gastwirtschaft genutzt, bzw. bewohnt wurden.

Der Zugang zum Schwarzen Ritter erfolgte ebenerdig durch eine Tür, die in die abgeschrägte Ecke des Hauses eingelassen war, eine weitere, tückische Schwingtür, die bei so manchem späten Gast durchaus auch mal ein statisches Problem verursachen konnte, gab nach einem kurzen Flur dann den Zugang zu den im rechten Winkel angelegten zwei Teilen eines mittelgroßen Gastraums frei, wobei die Aufteilung dazu führte, dass der kleinere vordere Teil von der Theke, die im hinteren Teil lag, nicht einsehbar war. Die nüchterne Atmosphäre des einstmals einfachen, billigen Ecklokals wurde dadurch aufgepeppt, dass die Hedi S., als sie dieses übernahm, einen hohen Tresen einbauen ließ und davor einige klotzige Barhocker aufreihte. Dazu wurde es mit bei Bedarf Dämmerlicht abstrahlenden, schmucklosen, billigen bunten Lampen ausgestattet. Als Wichtigstes stellte man im vorderen Raum eine Musikbox auf und in der Mitte dieses Teils ließ man etwas Platz für eine eher enge Tanzfläche. Im Handumdrehen war die Atmosphäre einer kuschelig-lauschigen Amikneipe entstanden. Die Architektur begünstigte den vorderen Teil des Lokals als „free area“, und man kann sich ausmalen, dass diese sich vor allem in vorgerückter Stunde durchaus zum Chaos-Raum entwickeln konnte, dazu aber später noch einiges. Man hätte durch Einbau eines kleinen Fensterchens vom Schankraum her durchaus Einblick in diesen vorderen Teil herstellen können, aber vielleicht wollte die Wirtin auch gar nicht alles sehen.

Saß man nun am Freitag- oder Samstagabend an dem langen Tisch gegenüber der Theke, der auch als Stammtisch fungierte, konnte man beobachten, wie sich das Lokal langsam füllte. Kein ehrbarer Bürger der Stadt war unter den Eintretenden. Selbst Hilfsarbeiter, Kohlenträger, Straßenfeger oder Marktverkäufer kehrten nach Feierabend in der gegenüberliegenden Schankwirtschaft „Zur Stadt Paris“ mit seinen einfachen Holztischen zum Fassbier und einem Vesper, bestehend aus Presssack oder Stadtwurst ein. In den „Schwarzen Ritter“ sah man dagegen allerhand kuriose Gestalten hereingehen: Bunte Vögel, Nachtschwärmer, Renommisten, Alkoholiker, zwielichtige Halbweltgestalten, später auch ein paar Damen, eine Handvoll Studenten (darunter auch einige, die sich nur als solche bezeichneten) und als Wichtigstes natürlich vor allem Soldaten, Amerikaner. Auf deren Dollars ruhte das wirtschaftliche Fundament des ganzen Betriebes, denn für einen Dollar erhielt man damals vier Deutsche Mark.

Mit dem Fortschreiten der Stunden gestaltete sich der spätere Abend zunehmend abwechslungsreicher, wurde immer interessanter, konnte zu einem tollen Spektakel auflaufen, wenn es dafür auch kein Drehbuch gab, wenngleich sich die Szenen – ähnlich dem Spielplan einer Komödienbühne – in unregelmäßigen Abständen wiederholten. Natürlich nicht zu verschweigen, der ausgiebige Alkoholkonsum war Ursache und Motor für so manche außergewöhnliche Szene. Aber gerade deswegen gingen wir ja so gerne dahin.

Ehe wir uns an die typischen Abläufe oder auch an so manchen ungewöhnlichen Vorfall in diesem an Ereignissen so reichen Lokals erinnern, wollen wir uns der Haupt-Akteurin zuwenden. Die Hedi S. hatte ihren Platz hinter dem Tresen, wovon sie das Geschehen in großen Teilen des Lokals mehr oder weniger frei nach ihrem Gusto und darüber hinaus gemäß den dringendsten Notwendigkeiten reglementierte. Unter diesen war die wichtigste – wollen wir es nicht unter den Tisch kehren – Geld einzunehmen, und davon möglichst viel. Ihr Alter konnte keiner exakt benennen, mögen es gut 40 Jahre gewesen sein. Die mittlere Statur umhüllte ein hochgeschlossenes Kleid, meist in helleren Farben gehalten, das Gesicht war immer dick weiß geschminkt, ähnlich dem eines Clowns. Ihre schmalen Lippen bemalte sie in schrillen, kräftigen roten Farbtönen, manchmal auch etwas über die Ränder hinaus. Die roten Haare waren über der Stirn, wie es damals an sich schon nicht mehr der neuesten Mode entsprach, zu einer hohen Tolle aufgetürmt. Ihre ganze Erscheinung ergab zusammen mit ihrem leicht verschmitzten, aber auch frechen, zuweilen etwas ordinär wirkendem Lächeln eine Verbindung von wohlsituierter Bürgerlichkeit und einem Touch Verruchtheit, wobei letztere, sobald sie den Mund aufmachte, eindeutig überwog. Sie orientierte sich in ihrem Aussehen an den großen Film-Diven der 40-er und 50-er Jahre, zum Beispiel Kathrin Hepburn, ja, wenn man auch einige kleine Abstriche machen musste – vor allem am späten Abend – eine gewisse Ähnlichkeit konnte man ihr nicht absprechen.

Den Eingang des Lokals hatte sie immer gut im Blick. Wenn nun (vermeintlich) zahlungskräftige Gäste eintraten, insbesondere auch amerikanische Soldaten, hörte man zur Begrüßung in schöner Regelmäßigkeit: „Da kommt mein Freund! Komm mal her! Gibst’ mir einen aus?“. Das floss ihr auch im amerikanischen Slang leicht und lautstark über die knallroten Lippen. Cognac-Cola war der Gold-Standard. Davon wurden dann am Tresen sofort zwei eingeschenkt, und am besten danach gleich nochmal usw.

Kommen wir in diesem Zusammenhang zu einem wohl ausgefeilten Brauch diese liebe Gewohnheit betreffend. Denn nach dem so-und-so-vielten Drink und dem so-und-so-vielten Gast, musste einerseits darauf geachtet werden, dass sich nicht zu viele Gläser auf dem Tresen ansammelten, andererseits sollte ja auch die Übersicht gewahrt und der Kopf einigermaßen klar bleiben. Deswegen wurde nun einer von den armen Schluckern, meist ein Student, an das untere Ende des Tresen platziert und die Gläser machten bei einer kurzen Unaufmerksamkeit des Spenders dank einer geschickt ausgeklügelten Taktik eine wundersame Reise an das andere Ende der Theke und ggf. von dort weiter zu anderen armen Schluckern am Stammtisch, womit für die Verwertung bestens gesorgt war. Solches wurde an Zahltagen der Amerikaner schon in der Weise professionell vorbereitet, dass die Hedi dann Tage zuvor einem dafür in Frage kommenden Studenten zuflüsterte: „Kommst am Samstag rein und hilfst mir trinken?“

Leicht zu erraten, dass ein solches Ansinnen der Wirtin oft nicht ohne Gegenrede des für einen derartigen Nepp vorgesehenen Gastes ablief. Im Gegenteil, so mancher wehrte sich – so gut es eben ging. Die Debatte nahm an Fahrt auf, erregte zumindest in der Nähe, insbesondere an dem der Theke gegenüberliegenden Stammtisch interessierte Aufmerksamkeit. Es geht los! Kam die Hedi mit guten Worten nicht zum Ziel, wurden die Töne fordernder, barscher und vor allem lauter, andererseits auch die Gegenargumente des Betroffenen, die Situation schaukelte sich hoch, gewann an Dynamik und Interesse. Wenn sich trotz allem Debattierens kein Erfolg einstellte und es nicht zu dem spendierten Drink kam, machte die liebe Hedi dann andere Schubladen auf, nämlich die der Kraftausdrücke und Schimpfworte und davon hatte sie einen gewaltigen Vorrat auf Lager, nutzte ihn nach Kräften und man könnte hier kritisch anfügen, nicht in jedem Falle auf faire Art und Weise. Es wurden solche dann sowohl dem Gegner ins Gesicht geschleudert als auch allgemein – dann in der dritten Person – im Lokal verbreitet. Um die Situation und das Milieu lebendig zu beschreiben, wollen wir uns nicht scheuen, die gebräuchlichsten Schand-Begriffe der Hedi S. hier schon mal zu benennen. Die harmlosesten waren Lusch’, Blödgesoffen, Doldie, Deppele, Kanaille, Bankert, Bastard, Vollidiot, Missgeburt, Gesindel, Lumpenpack, Gossenpenner. Die nächste Stufe der Eskalation schloss dann schon sexuelle Merkmale ein: Schnallentreiber, Hurenbock, Inzucht-Depp, Affenschänder. Und im dritten Stadium müssen wir an dieser Stelle dann doch Abkürzungen verwenden, insbesondere um das Niveau unserer Geschichte nicht allzu weit absinken zu lassen: Flachw…, Mamaf…, Schlampenf…, Dummf…, F… knecht. (Jeder wird sie ergänzen können.) Die letztgenannten Metaphern wurden dann schon wieder etwas leiser und verschämt artikuliert, ein frivoles Lächeln begleitete sie. Mit solchem wurde der Triumph sichtlich genossen und konnte an dieser Stelle durchaus zu einem versöhnlichen Ende überleiten.

Nicht so aber dann, wenn das Wort „Baumholder“ von einem stark erregten oder massiv erzürnten Gast in das Wortgefecht oder allgemein in den Raum geworfen wurde. Solches zog die höchste erreichbare Steigerung des Streites unmittelbar nach sich. Dazu muss kurz erklärt werden, dass sich an jenem kleinen Ort der Pfalz ein großer Truppenübungsplatz der Amerikaner befand und das umliegende Städtchen eine mit solchen Institutionen üblicherweise einhergehende Infrastruktur beherbergte, insbesondere natürlich auch in Form von zweifelhaft beleumundeten Etablissements, in denen gewisse Damen zu verkehren pflegten, darunter auch unsere Protagonistin. Darüber hinaus diente ihr Ehemann daselbst als Polizist solange, bis das Pärchen aus nicht genauer bekannten Gründen den Ort verließ, weiß man’s, vielleicht auch verlassen musste, um sich weitab dieses verrufenen Fleckens eben hier in Franken eine neue Existenz aufzubauen. Also wieder zur Sache: Unsere liebe Hedi rastete allein bei der Erwähnung dieses Ortsnamens sofort total aus. Unter dem Abspulen aller ihr zur Verfügung stehenden Schimpftiraden rannte sie – wie von der Tarantel gestochen – durch das Lokal auf den Ärmsten zu, hätte ihm wohl gerne die Augen ausgekratzt, scheute sich auch nicht vor Handgreiflichkeiten. Ja, „da werden Weiber zu Hyänen“ (Schiller). Sie fluchte, tobte, fauchte gleich einer Otter: „Das hat Dir der Teufel gesagt“ (Rumpelstilz), riss sich allerdings dann doch kein Bein aus. Das Publikum hielt erst mal die Luft an… Irgendwann war’s aber dann vorbei wie der Sturm im Wasserglas. Der Zorn verrauchte so langsam. Gelegentlich gab es noch kleinere Nachbeben, auch das Publikum einschließend: „Schau nicht so blöd“, „Warte nur, bald bist du daran“, „Blödmann“, „Pass auf, dass du keine Watschn erwischst“ und der interessierte Zuschauer konnte beobachten, wie sich auf dem Gesicht ein triumphierendes Lächeln breit machte. Auch kam es dazu, dass der Gegner dann doch noch die aus dem Ruder gelaufene Situation mit einem Cognac-Cola beendete, somit die Hedi doch noch einen späten Sieg davontrug. Die andere Variante war die, dass durch die Schwingtüre – wie durch ein Wunder – ein neuer Gast eintrat, die Hedi schüttelte sich, setzte ihr verschmitztes Lächeln auf und das schöne Spielchen konnte von Neuem beginnen: „He du, gibst mir einen aus?“

Kommen wir als nächstes zum Stamm-Personal. Da wären zuvörderst zwei treue Bedienungen zu nennen, bezeichnen wir die erste als Susi, die zweite als Hilde. Daneben gab es noch den Vastl, der als Hausdiener fungierte und natürlich den Ehemann, Herrn S.