Sechszylinder Band Zwei - Rose von Stackelberg - E-Book

Sechszylinder Band Zwei E-Book

Rose von Stackelberg

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Beschreibung

Die Geschichte um den Sechszylinder-Traktor und seiner Fahrerin Lisa beginnt als "Mit sechs Zylindern durchs Leben oder Die Geschichte über einen Traktor von Papa und von mir", einem Gemeinschaftsprojekt zwischen meiner Tochter und mir. Wir bauten jene Erzählung auf, weil wir gemeinsam den Spaß am Fabulieren hatten. Die Erzählung wurde dann anlässlich eines Traktortreffens in ein Buch gegossen. Wobei sowohl meine Tochter als auch ich selber so viel Spaß an unserem Gemeinschaftsprojekt hatten, dass wir beschlossen, einen zweiten Band folgen zu lassen, der jetzt mit einiger Verzögerung vorliegt. Anders als beim ersten Band, der eine zwar in sich geschlossene Geschichte ist, die aber aus einzelnen Episoden besteht, erzählt der zweite Band, wie der Sechszylinder sich von Süddeutschland aus auf den Weg macht, um seine ehemalige Fahrerin Lisa, die in Schweden eine Heimat gefunden hat, bei ihrem Kampf gegen schwierige Mitmenschen zu unterstützen. Wie schon im ersten Band erlebt der Sechszylinder auch hier wieder phantastische Abenteuer, ehe er ans Ziel gelangt, gerade zur rechten Zeit, wie sich zeigen wird.

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Seitenzahl: 206

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Kommunikation

Der erste Reisetag

Der zweite Reisetag

Der dritte Reisetag

Der vierte Reisetag

Der fünfte Reisetag

Der sechste Reisetag

Der siebte Reisetag

Der achte Reisetag

Am Ziel

Epilog

Vorwort

Die Geschichte um den Sechszylinder-Traktor und seiner Fahrerin Lisa beginnt als „Mit sechs Zylindern durchs Leben oder Die Geschichte über einen Traktor von Papa und von mir“, einem Gemeinschaftsprojekt zwischen meiner Tochter und mir. Wir bauten jene Erzählung auf, weil wir gemeinsam den Spaß am Fabulieren hatten. Die Erzählung wurde dann anlässlich eines Traktortreffens in ein Buch gegossen. Wobei sowohl meine Tochter als auch ich selber so viel Spaß an unserem Gemeinschaftsprojekt hatten, dass wir beschlossen, einen zweiten Band folgen zu lassen, der jetzt mit einiger Verzögerung vorliegt. Anders als beim ersten Band, der eine zwar in sich geschlossene Geschichte ist, die aber aus einzelnen Episoden besteht, erzählt der zweite Band, wie der Sechszylinder sich von Süddeutschland aus auf den Weg macht, um seine ehemalige Fahrerin Lisa, die in Schweden eine Heimat gefunden hat, bei ihrem Kampf gegen schwierige Mitmenschen zu unterstützen. Wie schon im ersten Band erlebt der Sechszylinder auch hier wieder phantastische Abenteuer, ehe er ans Ziel gelangt, gerade zur rechten Zeit, wie sich zeigen wird.

Baunach, im November 2021

Prolog

Ich bin ein großer Traktor mit einem luftgekühlten Sechszylindermotor, einer großen und geräumigen Kabine und sonst noch einigen technischen Eigenschaften, die meine Brüder und mich bei unseren Eigentümern und Fahrern zu gerne genutzten Maschinen machen. Außerdem habe ich im Laufe meiner Lebensjahre einige Fähigkeiten ausgeprägt, die ich hin und wieder anwende, um Unheil von meinem Eigentümer, dem Bauern Peter Klaussen, und seiner Familie abzuwenden. Unter anderem rettete ich seine Tochter Lisa vor vielen Jahren aus den Händen von Entführern. Seit diesem Erlebnis ‒ Lisa war damals noch sehr jung ‒ waren wir beide fast unzertrennlich, bis wir als Ferienreise nach ihrem erfolgreich bestandenen Abitur ans Nordkapp fuhren und sie dort in Schweden ein Bauernpaar traf, das sie an Kindes statt annahm, um eine rechtmäßige Erbin für ihren Bauernhof zu haben.

Ich habe Lisa nach ihrer Entscheidung, nach Schweden zu gehen und den Bauernhof ihrer Adoptiveltern zu bewirtschaften, nicht mehr wiedergesehen. Anfänglich schien es so, als sei sie dort zufrieden und glücklich. Daher gab ich meiner Trauer über den Verlust Lisas wenig Raum und legte mich bei der Bauernarbeit auf Klaussens Hof mächtig ins Zeug. Nicht zuletzt heißt es doch, dass Arbeit die beste Medizin sei, und ich arbeite gerne. Ob es die Ackergeräte sind, die ich am Rande meiner Leistungsgrenze durch die zu bearbeitende Erde ziehe, oder die Anhänger, beladen mit allen möglichen Gütern, die von hier nach da gebracht werden müssen: Wenn mein Motor schön warm ist, wenn die Überströmflöten in der Einspritzpumpe durch den mechanischen Fliehkraftregler ganz zugeschoben werden, so dass die maximale Menge an Kraftstoff mit einhundertfünfundvierzig Bar in den Wirbelkammern meiner sechs Kolben zerstäubt wird und dort in der heißen Luft binnen kürzester Zeit vollständig verbrennt und die Kolben in regelmäßiger Viervierteltaktfolge mit wahnsinniger Kraft nach unten drückt, dann singe ich mein Sechszylinderlied und freue mich meines Lebens. Zugegeben, Karl, der Sohn von Herrn Klaussen und der ältere Bruder Lisas, geht nicht ganz so sanft und liebevoll mit mir um, wie seine Schwester es tat, als sie noch mit mir arbeitete, aber ich bin robust gebaut, man hatte nicht an Stahl gespart bei der Konstruktion, und ich kann schon den einen oder anderen Knuff vertragen. Herr Klaussen sorgt auch nach all den Jahren, die ich mittlerweile auf seinem Hof bin, noch dafür, dass ich regelmäßig frisches Öl in den Motor und die diversen Getriebe und sonstigen Aggregate bekomme und dass immer frisches Fett in den beweglichen Gliedern die Reibung gering hält, und so geht es mir, objektiv gesehen, ganz gut.

Lisa ist nun seit etwa fünf Jahren in Schweden. Wie gesagt, ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen und ich dachte immer, ihr Leben sei dort in Ordnung. Kürzlich hörte ich ein Gespräch zwischen Karl und Herrn Klaussen, über das ich seitdem viel nachdenken muss, weil es die Situation Lisas in Schweden plötzlich in ganz anderem Licht erscheinen lässt.

Vielleicht soll ich ja das Gespräch mal aufschreiben, denn sonst kommt ja keiner mehr mit. Karl und Herr Klaussen waren gerade beim Ölablassen an meiner Vorderachse, als Karl plötzlich auf das Thema Lisa zu sprechen kam: „Ach ja, gestern hat mich Lisa mal so ganz spontan angerufen.“ Ein kleines Lächeln huschte über Herr Klaussens Gesicht. „Und? Was Besonderes da oben?“, fragte er mit neugierigem Gesicht. Karl wiegte den Kopf hin und her. „Ja, sie sagt, dass es ihr da eigentlich ganz gut geht. Die Maglowskis, die werden jetzt immer älter und sie übernimmt immer mehr die ganze Arbeit, macht ihr aber wahrscheinlich nichts aus“, erzählte er zögerlich. Was war denn da los? Auch Herr Klaussen schien das Zögern aufzufallen. Er lag gerade unter mir, weil er mich etwas schmieren wollte, und dadurch kribbelte die Luft, die ihm beim Reden aus dem Mund strömte, angenehm an meinem Motor entlang: „Aber?“ Karl zögerte immer noch. Doch dann gab er sich einen Ruck: „Da sind ein paar Leute, mit denen kann sie sich nicht so wirklich anfreunden. Die sind ungefähr genauso alt wie sie und die sind auch nett zu anderen und so, aber mit ihr scheinen sie sich nicht zu verstehen. Und das nach fünf Jahren noch nicht. Eigentlich haben sie sogar die gleichen Interessen. Der eine hat Eltern mit einem Bauernhof, der andere hilft bei einem und dann noch ein Sohn von Wirten, der irgendeine Landwirtschaftszeitung austrägt … Eben alles mit Bauernhof und so.“ Von Herrn Klaussen kam zuerst einmal nur ein Quietschen der Fettpresse, während Karl sich bückte, um den vollgelaufenen Altöleimer wegzuschieben und die Ablassschraube zuzuziehen. Herr Klaussen zog sich wieder auf die Beine und legte die Fettpresse weg. „Das sind die Probleme von Lisa?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er gleich weiter: „wenn es nichts Schlimmeres ist, dann warten wir erst einmal. Vielleicht bessert sich die Situation ja. Wenn nicht, dann müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Gib mir mal den Schlüssel, ich zieh ganz zu, dann kannst du schon mal das Öl holen.“ Mit einem knappen Nicken verschwand Karl, doch ich konnte sehen, dass er lieber eine „richtige“ Lösung gefunden hätte, als einfach nur abzuwarten. Ich wollte meine Meinung auch kenntlich machen, doch funktioniert so etwas zwischen Maschine und Mensch nicht sonderlich gut.

Kommunikation

Nachdem Karl und sein Vater mit Ölwechsel und Schmierarbeiten fertig waren, kletterte Karl in meine Kabine, startete meinen Motor und fuhr mit mir zu Herrn Otto. Herr Otto war auch ein Landwirt und mit Herrn Klaussen befreundet. Daher lieh sich Herr Klaussen bisweilen mal einen Anhänger oder eine Maschine von Herrn Otto oder wir führten Arbeiten für Herrn Otto aus, wenn er selber während der Ernte nicht mehr hinterherkam.

Wir fuhren auf den Hof, Karl kuppelte die Gänge aus, zog die Handbremse fest und stieg aus. Er verschwand durch die Haustür, kam nach einer Weile wieder, stieg wieder ein und sagte zu mir, während er die Handbremse löste und den Gang einkuppelte: „Ich bin ja mal gespannt, ob Du die große Ballenpresse ziehen kannst.“ Ballenpresse kannte ich bereits, das ist eine Maschine, die der Traktor zieht und gleichzeitig mit der Zapfwelle antreibt. Über eine Aufnahmevorrichtung wird das geschnittene Gras oder Stroh vom Boden aufgenommen und dann zu Ballen gepresst, die schließlich automatisch mit Schnüren umwickelt werden und dann auf dem Boden wieder abgelegt oder, wenn eine Ballenschleuder montiert ist, auf einen Anhänger geworfen werden, der hinter der Ballenpresse angekuppelt ist. Das Besondere an der Ballenpresse ist, dass jedes Mal, wenn ein Bündel des aufgenommenen Gutes an den begonnenen Ballen angedrückt wird, die Presse plötzlich mehr Leistung vom Traktor abfordert. Darum regelt die Einspritzpumpe permanent auf und zu, um die Drehzahl des Motors konstant zu halten, und das Motorengeräusch wird stetig hell und dunkel, während man mit der Ballenpresse über die Wiese oder den Acker fährt. Mit meinen Leistungsreserven waren die Ballenpressen, die ich bisher gezogen hatte, für mich kein Problem gewesen, daher war ich nun gespannt, was Karl meinte, wenn er davon sprach, dass ich sie eventuell nicht ziehen könnte. Er fuhr rückwärts an ein Hallentor heran, stieg dann ab und schob das Tor auf. Dahinter stand eine ziemlich neue Maschine, die so ähnlich aussah wie die anderen Ballenpressen, die ich bereits kannte, nur größer. Aha. Er fuhr an die Anhängevorrichtung heran, bis die Öse genau in meinem Zugmaul stak, stieg dann ab, um den Zugnagel einzustecken, die Zapfwelle auf meinen Stummel zu schieben, die elektrische Leitung einzukuppeln, diverse Hydraulikschläuche in die bei mir dafür vorgesehenen Kupplungen zu stecken, und schließlich durch das geöffnete Heckfenster einen Kasten hob, der über ein dickes Kabel mit der Presse verbunden war. Er stieg in die Kabine, nahm den Kasten und legte ihn auf meinen rechten Kotflügel. Dabei murmelte er: „Das gefällt mir noch nicht, das fällt runter. Da muss ich zuhause erst noch eine Halterung schweißen."

In der Zwischenzeit war auch Herr Otto angekommen, blickte mich an, wie ich so vor der Ballenpresse stand und vor mich hin murmelte, und sagte dann zu Karl: „Bist Du Dir sicher, dass er die Presse zieht? Ich bin der Meinung, da müssen ein paar mehr Pferde vorgespannt werden.“ Karl entgegnete: „Ja, als ich die Presse eben gesehen habe, da hatte ich auch so meine Zweifel, aber der Vater meint, er packt das schon. Glücklicherweise ist der Acker ja weitgehend eben, da muss er zumindest keine großen Steigungen nehmen. Schau mer halt mal.“ Herr Otto sagte: „Dann schalt mal die Zapfwelle ein, dass ich Dir zeigen kann, wie alles funktioniert.“ Gemeinsam gingen die beiden die ganzen Funktionen und Einstellungen an der Maschine durch. Schließlich kletterten sie in meine Kabine und Herr Otto meinte: „Du kannst natürlich auch alle Einstellungen über diesen Bildschirm hier vornehmen. Dazu schaltest Du ihn hier ein.“ Er drückte auf einen Knopf und wartete eine Weile: „Es dauert ein bisschen, bis das Programm läuft. So, nun geht es.“ Und er fuhr fort mit Erklärungen. Schließlich sagte er: „Und wenn Du Fragen hast, dann ruf mich einfach an. Meine Handynummer hast Du ja. Viel Spaß.“ Er kletterte aus der Kabine, klopfte mir auf den Tank und sagte: „Viel Erfolg.“ Karl schaltete die Zapfwelle ab, betätigte eine Hydrauliksteuerung, um die Aufnahmevorrichtung vom Boden zu heben, löste dann die Handbremse, kuppelte den Gang ein und vorsichtig zog ich die große Ballenpresse aus der Halle.

Karl rangierte mich und die Ballenpresse auf die Straße und ließ mich sie dann den Kreuzberg hochziehen. Auch wenn der Kreuzberg nicht so steil war, dass der Motor sich beim ganz normalen Hochfahren schon anstrengen musste, war es für mich jetzt trotzdem eine nicht entspannende Arbeit, mich mit dem Gewicht der Ballenpresse bis zum Acker hochzukämpfen. Als wir dann doch oben ankamen, bog Karl in den Feldweg und stoppte dann an unserem Feld. Er kuppelte die Zapfwelle ein und lenkte mich zur ersten Heuzeile. Er drehte das Gas vorsichtig auf und ließ dann die Bremse und die Kupplung gleichzeitig vorsichtig los. Mein Motor war noch nicht wirklich darauf vorbereitet, als die Räder schon anfingen, sich zu drehen. Karl kuppelte nun auch den Allrad ein, sodass der Klang meines Motors augenblicklich dunkler wurde. Ich spürte die trockene Erde unter dem Gummi meiner Räder und grub die Stollen tief ein, um nicht wegzurutschen. Die Ballenpresse sammelte das Heu ein und schob es zusammen. Dabei benötigte sie so viel Kraft von mir, sodass die Zylinder die volle Ladung Diesel benötigten, um nicht abzusterben. Da meine Einspritzpumpe aber sehr flexibel ist, wurde der Kraftstoff erfolgreich weitergepumpt. So machte ich weiter und irgendwann war mir die Abfolge der Arbeitsschritte so vertraut, dass ich mir nicht mehr großartige Gedanken machen musste, sodass ich mich auch auf andere Dinge konzentrieren konnte, zum Beispiel die nicht wirklich großartige Aussicht vom Kreuzberg aus. Man sah vertrocknete Rapsfelder und einen Mähdrescher, der das Getreide vom Feld runterschnitt und drosch. Die Maispflanzen standen noch Seite an Seite nebeneinander und warteten auf den Spätherbst, um geerntet zu werden. Nach diesem genauen Betrachten der näheren Umgebung musste ich mich wieder mit dem Motor auseinandersetzen, denn im Moment fuhren wir den Berg hoch. Es war ja schon eine Arbeit, die Ballenpresse auf geteerter Straße hochzuziehen, doch währenddessen brauchte die Zapfwelle noch zusätzliche Kraft und der Ackerboden war auch nicht immer der beste.

Nebenbei gingen mir immer noch die Sätze durch den Kopf, die ich vorhin gehört hatte und die Lisa betrafen. Das Problem war halt, dass ich mich Menschen nicht wirklich in ihren Worten verständlich machen konnte. Konnte ich nicht? Normalerweise nicht. Aber jetzt hatte ich doch dieses Bildschirmgerät in meiner Kabine, mit dem Karl die Ballenpresse steuerte. Ich dachte, vielleicht klappt es ja doch: „Hallo Karl!“ Karl war jedoch damit beschäftigt, auf seinem Handy eine Nachricht zu tippen, während er mich die Heuzeilen entlanglenkte und nicht aufpasste, dass selbige genau in meiner Mitte blieben. Ich korrigierte meinen Lenkeinschlag minimal und versuchte es erneut: „Hallo Karl!", allerdings nahm ich dieses Mal die Warnhupe des Bildschirmgeräts zu Hilfe und ließ den Piepton einmal kräftig ertönen. Karl schreckte von seinem Handy hoch und blickte hektisch zu dem piepsenden Bildschirmgerät. Dort stand: „Hallo Karl!"

Er schaute erschreckt über seine Schulter zu der Ballenpresse, aber diese nahm unschuldig die Heuzeile auf und presste das Gut zusammen. Er blickte nach vorne, aber auch da war keine Antwort zu finden. Ich fuhr weiterhin die Heuzeile entlang und bemühte mich, die Einspritzpumpe im Takt des Pressenstempels auf- und zuzuregeln und meinen Sechszylinderklang dabei entsprechend zu modulieren. Endlich stotterte er: „W-w-wer ist d-d-das? W-w-was i-i-ist los?“ - „Karl, ich bin es nur, der Sechszylinder.“ Eigentlich war es völlig einfach, mit den Menschen zu kommunizieren, wenn man so ein Bildschirmgerät dabei hatte. Karl trat die Kupplung durch und betätigte die Bremse. Gleichzeitig nahm er das Gas weg und kuppelte die Zapfwelle aus. Dann blickte er erst zu mir auf den Tank, der gleichzeitig Motorhaube ist, und wieder auf den Bildschirm: „Wer bist Du? Irgendetwas vera...scht mich doch.“ - „Nein, ich bin es wirklich. Ich bin der Sechszylinder, und ich mache mir Sorgen um Lisa. Darum wollte ich mit Dir mal – reden, oder besser kommunizieren, weil wir Lisa vielleicht helfen sollten, da oben in Schweden. Nebenbei: Schalte die Zapfwelle wieder ein, kuppel den dritten Gang wieder zu und gib wieder Gas, sonst wundern sich die Leute. Ich verstehe Dich auch, wenn Du sprichst, während mein Motor mit hoher Drehzahl läuft. Oder soll ich mich selber wieder einkuppeln?“ – „N-n-nein, nein.“ Karl tat, wie ich ihn geheißen hatte. Wir fuhren weiter die Heuzeilen entlang, und nach einem kurzen Moment begann er, mit mir zu diskutieren, wie wir Lisa helfen könnten. Dass er dabei etwas unkonzentriert war, was das Heupressen anbelangte, machte nichts, ich sorgte schon dafür, dass die Qualität seiner Arbeit nicht litt (es war ja nicht das erste Mal, dass ich mit Karl beim Arbeiten war), während wir gemeinsam einen Plan ausheckten.

Ich sagte – bzw. schrieb – gerade: „Ich würde gerne zu Lisa hochgehen, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist und wenn nicht, ihr dann helfen. Ich weiß ja noch den Weg und alles.“ Karl antworte nicht sofort, doch dann hörte ich ihn sagen: „Du hast schon Recht. Ja – aber Lisa ist zwar ein kluges Mädchen, aber oft noch das alte kleine Weichei. Ich glaube schon, dass sie irgendwas sagen würde, falls es ihr nicht gut ginge.“ Mich erschrak das schon etwas, dass Karl sich so wenig Sorgen um seine Schwester machte, aber gleichzeitig bemerkte ich auch, dass ich mich nie um meine Brüder gesorgt hatte – ich hatte die meisten seit meiner Geburt nicht mehr gesehen. Aber trotzdem, Karl sollte sich doch auch Gedanken über Lisa machen. Ich schrieb also: „Wenn Du nicht mitgehen willst, dann kannst Du ja zu Hause bleiben. Ich geh jedenfalls nach da hoch.“ Weil ich merkte, dass das, was ich da gerade auf dem Bildschirm fabriziert hatte, nicht wirklich richtig war, verbesserte ich noch schnell: „Ich geh zu Lisa, meinte ich“ Ich spürte, dass Karl lächelte, doch dann brach es aus ihm heraus: „Wie willst Du das schaffen? Du wirst Diesel brauchen, Du musst Dich schmieren, Du brauchst zwei Fähren. Was machst Du, wenn Du kaputt bist? Wenn zu viele Menschen auf Dich aufmerksam werden?“ Ich wollte ihn gerade unterbrechen, doch er redete einfach weiter: „Und wenn Lisa Deine Hilfe nicht braucht? Dann war alles umsonst. Wenn Du Dich verirrst? Papa wird nicht glauben, dass Du das machen willst, Mama glaubt sowieso immer noch nicht wirklich, dass Du überhaupt ein Eigenleben hast und ich habe keine Zeit, ich muss hier arbeiten, studieren, das kann Papa nicht für mich machen. Außerdem müssen zwei Leute da sein, dass jemand den roten und jemand Dich fährt. Mama wird mich nicht so einfach gehen lassen. Das geht nicht ganz so einfach, wie Du das so sagst,“ beendete er seinen Wortschwall. Ich dachte über seine Einwände nach. Ich meinte, dass Lisa schon froh war, wenn irgendjemand für sie da war. Das mit dem alleine fahren war so eine Sache. Ich hatte gemerkt, dass er viele Gründe geliefert hatte, dass ich wenn dann alleine hochfahren musste. Bei dem Verirren machte ich mir weniger Sorgen, da hatte ich im Gedächtnis immer noch die Namen der größeren Städte und Gebirge und Flüsse, und lesen dauerte zwar meist etwas, doch in den vielen Jahren hatte ich schon vieles gelernt. Das Problem waren eben die Menschen. Die würden sich wundern, wenn ich alleine wäre, die würden mich nicht tanken lassen, die würden mich nicht auf eine Fähre fahren lassen. Das Kaputtgehen würde angesichts meines sehr zuverlässigen Motors und meines nicht sehr schlechten Getriebe eher unwahrscheinlich sein. Da waren Ölwechsel und das Schmieren größere Probleme. Also sagte ich zu Karl: „Fassen wir jetzt mal zusammen: Große Probleme sind 1. Das Tanken, 2. Das Fahren auf der Fähre, 3. Das Alleinesein, 4. Ölwechsel und Schmierung. Alles andere sehe ich eher als unwahrscheinliche Probleme. Die anderen vier müsste ich lösen, dann kann es losgehen. Vielleicht für Punkt Nummer 3 eine Strohpuppe? Fällt Dir sonst noch was ein?“

Ich überlegte eine Weile, dann schrieb ich: „Lass uns doch die Punkte systematisch abarbeiten. Wegen des Tankens: Wir wissen doch, wie weit die Strecke ist, und wir wissen, wie viele Liter ich für einen bestimmten Streckenabschnitt benötige, zum Beispiel für einhundert Kilometer. Dann hänge ich einen Anhänger an, in dem ich das gesamte Diesel mitführen kann, und muss nicht mehr tanken. Du musst nur eine Verbindung von dem Tankanhänger nach vorne in den Tank machen, dass das Diesel nach vorne kommt. Die Fähren: Es muss doch eine Strecke geben, bei der ich nicht auf Fähren angewiesen bin. Gibt es nicht solche elektronischen Geräte, die Landkarten gespeichert haben und in denen man Fahrtstrecken kennzeichnen kann? Vielleicht kannst Du mir so etwas einbauen. Ich kann ja sogar über das Bildschirmgerät der Ballenpresse mit Dir kommunizieren. Zum Ölwechsel und zum Schmieren: Ich glaube, dass meine Lager und mein Motor so gut gepflegt sind, dass es mich nicht umbringt, wenn einmal das Schmieren und der Ölwechsel etwas später stattfinden. Und normalerweise füllt Ihr zwischen zwei Ölwechseln nie Öl nach. Wenn Du also das Öl bis zur oberen Marke einfüllst beim Ölwechsel, ehe ich losfahre, dann sollte es reichen, bis ich bei Lisa bin. Und wegen der Strohpuppe: Das ist mein voller Ernst."

Karl war eine ganze Weile still und steuerte mich über das Feld, den Heuzeilen folgend, während ich die Ballenpresse antrieb, dabei im Takt der Presse Rauchwolken ausstieß, weil sie wirklich schwer zu treiben war. Endlich sagte er: „Ich möchte das mit meinem Vater besprechen, aber so, wie Du das alles darstellst, ist es vielleicht wirklich machbar. Und heute Abend nehme ich mir mal eine Landkarte und schau nach, wie man zu Lisa kommt, ohne eine Fähre benutzen zu müssen.“ Grollend und schnaubend fuhren wir über das Feld; für heute war alles gesagt beziehungsweise geschrieben.

Ungefähr eine Woche später kam Herr Klaussen zu mir in die Halle. Ich merkte schnell, dass er etwas auf dem Herzen hatte, weil er ein paar Zaunpfosten nach links räumte, dann mit dem Besen einen kleinen Staubhaufen zusammenfegte, aber nicht beseitigte, dann bei der Egge die Verstellspindel brummend ein- und ausdrehte. Endlich dreht er sich zu mir um und sagte: „Du sorgst Dich also um Lisa und willst zu ihr fahren, um ihr zu helfen. Ehrlich gesagt, mache ich mir auch Sorgen. Solche Sorgen wie seit damals nicht mehr, seit sie in Hamburg entführt worden war. Und ich kann mir schon vorstellen, dass Du ihr helfen kannst, aber der Plan, alleine nach Schweden zu fahren, ist doch Wahnsinn.“ Er stutzte einen Moment und sagte dann: „Warum nicht? Als Du damals die Entführer verfolgtest, dachte ich, ICH sei wahnsinnig. Es ist schon in Ordnung.“ Und nach einer Weile: „Ich werde mit Karl mal einen detaillierten Plan ausarbeiten, die Fahrstrecke raussuchen und für Dich alles vorbereiten. Ich weiß nur noch nicht, wie ich die Zeit ohne Dich hier überstehen soll. Der kleine Rote ist halt doch bei vielen Arbeiten ein bisschen schmalbrüstig. Aber das kriegen wir auch noch hin."

Und so kam es, dass sich Herr Klaussen und Karl daran machten, mich für die Reise nach Schweden vorzubereiten.

Ich wurde in den folgenden Tagen eher weniger zum Arbeiten gebracht, aber ich nutzte die Zeit und schlief, denn viel Erholung würde ich ja nicht bekommen, und ich grübelte über Lisa nach. Mein Motor war leider sehr abgekühlt und das fand ich etwas schade, denn es gibt doch nichts schöneres, als mit einem erhitzten Motor auf dem Acker die Erde zu bearbeiten. Als Herr Klaussen und Karl dann eines Tages in den frühen Morgenstunden zu den Werkzeugen gingen, mit denen man bei mir den Ölwechsel machen kann, wurde mir dennoch ganz warm ums Herz. Karl nahm die große Wanne und legte sich unter mein Getriebe, um dort die Ölablassschraube zu öffnen. Als er dann dem Strahl von Öl nur knapp ausweichen konnte, hörte ich ein ärgerliches Schnaufen. Als dann das Öl immer langsamer tropfte, nahm er einen anderen Schlüssel und öffnete die Schrauben meines Getriebeölfilters. Er ließ sich damit aber sehr viel Zeit, denn das war eine Oberfläche von einem Kreis mit einem ziemlich großen Durchmesser. Als er dann doch losließ, schwappte das restliche kalte Öl (warum hatten sie mich nicht warmgefahren? Dann würde das Öl doch viel leichter rausgehen…) in die Wanne. Während er mit dem tropfenden Ölfilter in der Hand unter dem Traktor hervorkroch, ging Herr Klaussen zum kleinen roten, um dort die Schraube zu öffnen. Auch dort kam das Öl rausgeschossen, aber da war das Öl richtig dunkel, wahrscheinlich wurde es schon lange nicht mehr rausgelassen. Herr Klaussen reinigte alle Schrauben, die er und sein Sohn bis jetzt rausgeschraubt hatten und dann wechselte er die Dichtungen. Karl wechselte meinen Getriebeölfilter aus und schraubte ihn wieder auf, nachdem er geprüft hatte, ob alles Öl rausgelaufen war, zumindest so viel, wie in der kurzen Zeit auslaufen konnte. Meine Zahnräder fühlten sich seltsam leer an, doch das kannte ich ja schon von den anderen Ölwechseln. Karl putzte die Dichtfläche bei der großen Ablassschraube und setzte sie dann auf.

So ging es noch eine Weile weiter: Karl wechselte bei mir alle Öle nach und nach, sein Vater tat dies bei dem kleinen roten. Als Karl dann gerade das Öl für die Lenkung wieder einfüllte, ging Herr Klaussen zum Hallentor und öffnete die Halle. Sofort kam ein kalter Luftschwall herein und mich fröstelte es ein wenig. Als ich nach außen schielte, merkte ich, dass es noch sehr dunkel war, die Sonne war noch nicht mal ansatzweise sichtbar. Wahrscheinlich schliefen noch alle und deshalb wollten Klaussens nicht raus in den Wald fahren oder so, um mich warmzufahren. Als die beiden dann endlich fertig waren, die Altöle in den leeren Kanistern eingefüllt waren und alles wieder im Öl badete, gingen sie zu zweit um jeden Traktor herum und schmierten jeden Schmiernippel, den sie fanden. Dann setzte sich Herr Klaussen auf meinen Fahrersitz und Karl auf den Beifahrersitz. Ich wurde gestartet, vom Grundstück herunter und auf die Straße zur nächsten größeren Stadt gefahren. Ich war gespannt, was jetzt kommen würde. Vielleicht würden sie mich zum Dieselanhänger fahren? Oder irgendetwas machen, was überhaupt nichts mit der Reise nach Schweden zu tun hatte?

Ich war mit Lisa ein paarmal in der Stadt gewesen, früher, als alles noch ganz anders war. Sie hatte noch keinen Führerschein für das Auto besessen und wenn sie einkaufen wollte, dann fuhr sie eben mit mir. Ob auf den