Secrets of Amarak (1). Spione der Unterwelt - T. Spexx - E-Book

Secrets of Amarak (1). Spione der Unterwelt E-Book

T. Spexx

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Beschreibung

Nach über einem Jahr erhält Alexander Mercurius endlich eine Nachricht von seinen verschollenen Eltern. Doch als er den merkwürdigen Briefumschlag erwartungsvoll öffnet, enthält der nur ein leeres Blatt Papier! Alex' Freunde Rebecca und Joe sind sich sicher, dass trotzdem mehr dahintersteckt. Vielleicht ist der Brief eine Warnung? Die Suche nach Anhaltspunkten führt die drei in ein dunkles Gängesystem unter der Stadt. Zu spät merken sie, dass ihnen jemand gefolgt ist.

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Seitenzahl: 227

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T. SPEXX

Secrets of Amarak

SPIONE DER UNTERWELT

Mit Illustrationen von Moritz von Wolzogen

T. Spexxist schon um die halbe Welt gereist und liebt das Abenteuer! Auf einer seiner Reisen wurde ihm eine kleine Flasche angeboten, die er kurzerhand kaufte. Hätte er geahnt, was er sich damit für einen Ärger einhandeln würde, hätte er die Finger davon gelassen. T. Spexx hat seine Wohnung und Identität mittlerweile aufgegeben und lebt an einem geheimen Ort.

Moritz von Wolzogen, geboren 1984, fing mit zwei Jahren an zu zeichnen und hörte nie wieder auf. Er studierte in Wiesbaden Kommunikationsdesign und gewann 2008 den Film-Nachwuchspreis edWard für seinen Kurzclip Earthcar. Seit 2012 arbeitet er als freischaffender Grafiker, Zeichner und Animationsfilmer in Frankfurt am Main.

1. Auflage 2017 © 2017 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Cover- und Innenillustrationen: Moritz von Wolzogen Einbandgestaltung: Johannes Wiebel ISBN 978-3-401-80670-9

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

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12

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19

20

21

Eine Woche später

Prolog

José Madrigal LaPorta wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Doch die Aussicht, bald auf dem Totenbett seinen letzten Atemzug zu tun, schreckte ihn nicht. Er betrachtete den Tod eher als eine technische Angelegenheit; vorausgesetzt, man war entsprechend gerüstet. Und LaPorta war gerüstet. Er hatte alles bis ins Kleinste vorbereitet und es gab eigentlich nichts, worüber er sich Sorgen machen musste.

Doch gerade diese Perfektion scheuchte ihn schließlich auf, um nach dem Rechten zu sehen. Denn trotz sorgfältigster Planung kam es hin und wieder zu unvorhergesehenen Zwischenfällen. Und auch, wenn es sich dabei meist nur um kleinere Störungen im Ablauf handelte, wollte La-Porta nichts dem Zufall überlassen.

Er ging den langen Flur entlang, passierte die Küche und gelangte durch eine schmale Tür in die Schatzkammer, wie er den ehemaligen Gebetsraum liebevoll nannte. Für den Mann mit den kantigen Gesichtszügen und den durchdringenden Augen passte diese Bezeichnung perfekt, denn in der Schatzkammer bewahrte er etwas auf, das man mit nichts auf der Welt hätte bezahlen können. La-Portas Schatz war wertvoller als der größte Diamant und kostbarer als jedes noch so teure Gemälde. Er hütete ihn wie seinen Augapfel.

Der eher schlichte Raum war natürlich nur Tarnung. Niemals würde er seinen Schatz in einem einfachen Zimmer, das sich zudem nicht abschließen ließ, aufbewahren. La-Porta vollführte auf dem aus großen Mosaiksteinen gefertigten Fußboden einen komplizierten Tanz, bei dem er die Fliesen in einer bestimmten Reihenfolge berührte. Kurz darauf öffnete sich eine geheime Luke im Boden. Eine Leiter führte in einen mit Stahlwänden und drei zusätzlichen Schleusen gesicherten Safe. Nachdem er sich mit Fingerabdruck, Irisscan und Stimmerkennung Zugang verschafft hatte, erreichte er die eigentliche Schatzkammer, einen atomsicheren Bunker unterhalb seiner Villa. Hier lagerte der Schrein, der seinen Schatz bewahrte: eine reich verzierte Schatulle, die er einst in Peru an sich genommen hatte. Der Originalschrein war zwar leider verloren gegangen, doch auch die Nachbildung erfüllte ihren Zweck. Vorsichtig berührte LaPorta die Ecken der mit Edelsteinen besetzten Schatulle und hob den Deckel an. Im selben Augenblick fuhr ihm ein Stich ins Herz. Der Deckel entglitt seinen Fingern. LaPorta taumelte zurück und stützte sich an den kalten Stahlbeton. Das konnte nicht wahr sein! Vielleicht hatte seine Sehkraft bereits derart nachgelassen und seine Augen hatten ihm einen Streich gespielt? Ein grimmig grinsender Sensenmann tauchte plötzlich vor ihm auf. LaPorta schloss kurz die Augen und ballte die Fäuste. Dann stürzte er entschlossen nach vorne und riss den Deckel ein zweites Mal von der Schatulle. Doch die Wahrheit ließ sich nicht leugnen: Sein Schatz war verschwunden!

1

Das ist Howard’s End?« Joes Gesicht nahm denselben Ausdruck an wie am Tag zuvor, als er beim Abendessen nach dem Inhalt der Suppe gefragt und Rebecca spontan »Schleimpilze in Madenspeck« geantwortet hatte. Joes Schwester hatte einen ziemlich schrägen Sinn für Humor.

»Gefällt es dir nicht?«, fragte Joes Dad vom Fahrersitz, während er den Kombi durch die schmale, von hohen Bäumen gesäumte Straße lenkte. »Ist doch schön ruhig hier und kaum Verkehr. Ideal zum Draußenspielen.«

»Ideal zum Sterben«, knurrte Joe und sah sich um. Die Straße war wirklich ruhig, um nicht zu sagen ausgestorben! Aber was sollte man auch von einer Sackgasse, die Howard’s End hieß und neben einem Friedhof entlangführte, anderes erwarten? Die Straße war ja nicht mal geteert, sondern bestand aus unebenen Pflastersteinen, über die der Wagen der Bookmans holperte wie eine alte Pferdedroschke. Und sicher war sie seit den Tagen, als Pferdedroschken an der Tagesordnung und Automobile noch die Ausnahme gewesen waren, auch nicht mehr ausgebessert worden. Der schmale Bürgersteig war an vielen Stellen von den Wurzeln der großen Eichen aufgebrochen, die wie stumme Wächter die Straße säumten. Ihre gewaltigen Kronen reichten quer über die Fahrbahn und die knorrigen Äste griffen ineinander, als wollten sie einander festhalten. Auf der rechten Seite standen nur sehr wenige Häuser, die alle alt und verlassen wirkten. Auf der linken Seite grenzte eine mannshohe und an vielen Stellen beschädigte Backsteinmauer die Straße vom Friedhof ab. Manche Leute hätten Howard’s End vielleicht als idyllisch oder sogar romantisch bezeichnet, aber auf Joe wirkte seine neue Heimat bloß finster und bedrohlich.

»Also ich finde es schön hier«, verkündete seine Mom vom Beifahrersitz und schenkte ihrem Mann ein Lächeln.

»Klar ist es schön hier«, murmelte Joe. »Schön tot.«

»Jetzt ist aber Schluss, Jonathan«, sagte sein Vater streng. »Ihr habt das Haus noch nicht mal gesehen und seid schon am Meckern!«

»Ich nicht«, widersprach Rebecca.

»Du findest es also auch romantisch?«, fragte Mom.

»Aber ja«, erwiderte Rebecca. »Genauso romantisch wie die Toten, die da drüben in ihren Gräbern liegen und vermodern.«

Da konnte sich auch Joe das Grinsen nicht verkneifen.

Das Haus mit der Nummer achtzehn passte sich in das Straßenbild perfekt ein. Efeuranken wanden sich an der dunklen Fassade bis in den ersten Stock empor und aus dem schrägen Dach reckte sich ein Backstein-Schornstein in den Himmel. Ein halbrundes Fassadenteil führte vom Grund bis unters Dach und beherbergte vermutlich einen Kaminschacht. Die mit Fensterkreuzen versehenen Scheiben waren hoch und schmal und erinnerten Joe an einen Film über das vergangene Jahrhundert, den er mal im Fernsehen gesehen hatte. Dort hatte es ein Haus mit ganz ähnlichen Fenstern gegeben, aus denen sich reihenweise Leute in den Tod gestürzt hatten.

Eine verwitterte Holztreppe führte über eine schmale Veranda zu einer massiven Tür, an der ein schwerer bronzefarbener Türklopfer in Form einer Drachenklaue befestigt war. Der von der Straße durch eine Hecke abgetrennte Garten war etwas verwildert. Vor dem Haus stand eine knorrige Eiche, die das Dach des einstöckigen Gebäudes um einiges überragte.

Jack Bookman lenkte den Wagen in die Parkbucht neben dem Eingangsbereich und die Familie stieg aus. Die Fahrt von Bristol nach London hatte zwar nur knapp drei Stunden gedauert, aber bei der sommerlichen Hitze war es im Kombi zunehmend ungemütlich geworden, zumal dummerweise auch noch die Klimaanlage vor ein paar Tagen ausgefallen war und die Werkstatt sie auf die Schnelle nicht mehr hatte reparieren können. Joe war verschwitzt und müde.

»Und?«, fragte Sara Bookman, als ihre Kinder das Haus in Augenschein nahmen. »Was sagt ihr dazu?«

»Sieht groß aus«, stellte Rebecca anerkennend fest. »Aber wenn es innen genauso alt ist wie außen …«

»Aber nein«, lachte Dad und ließ die Tür des Kombis ins Schloss fallen. »Innen drin ist alles frisch renoviert und tipptopp. Mom und ich haben die Außenfassade nur so gelassen, weil wir sie so schön finden. Hat doch ein bisschen was von einem verwunschenen Schloss, oder, Darling?« Er legte den Arm um die Taille seiner Frau und betrachtete zufrieden ihr neues Zuhause.

Joe wandte sich ab und sah die Straße hinauf. Ganz am Ende stand ein einzelnes Haus, das von einem schmiedeeisernen hohen Zaun umgeben war. Es wirkte um einiges größer als die anderen Villen der Straße und noch viel älter – als hätte es nicht bloß hundert, sondern mindestens schon dreihundert Jahre auf dem Buckel.

»Und wer wohnt dahinten?«, fragte er. »Graf Dracula?«

»Ein Junge, soweit ich weiß«, antwortete seine Mutter und wuschelte Joe über den Kopf.

»Ein Junge?«, fragte Rebecca neugierig. »Mit seinen Eltern?«

Sara Bookman zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur von einem Jungen. Sonst nichts.«

»Das könnt ihr alles in den kommenden Tagen herausfinden«, sagte Dad und klatschte in die Hände. »Jetzt gehen wir erst einmal rein und sehen uns unser neues Zuhause an. Auf geht’s!« Er sprintete über die Treppe auf die Veranda und öffnete die Tür. »Hereinspaziert!«, rief er wie ein Zirkusdirektor und verschwand im Inneren. Joe verdrehte die Augen, bevor er seiner Mutter und Rebecca folgte.

Das Haus war nicht so schlecht, wie Joe es nach den Erzählungen seiner Eltern befürchtet hatte. Im Erdgeschoss öffnete sich hinter einer schmalen Diele ein geräumiges Wohnzimmer, an das sich eine großzügige Küche anschloss. Hinter der Küche führte ein kleiner Flur zu einem weiteren Raum, den Dad als Arbeitszimmer in Beschlag genommen hatte. Als Schriftsteller arbeitete Jack Bookman zu Hause und brauchte einen Ort, an dem er ungestört schreiben konnte.

Im ersten Stock waren das Schlafzimmer der Eltern, ein Gästezimmer und die beiden aneinandergrenzenden Kinderzimmer untergebracht. Das stellte eine handfeste Verbesserung dar, musste Joe zugeben, denn in der alten Wohnung hatten er und Rebecca sich ein Zimmer teilen müssen, was ihm zunehmend auf die Nerven gegangen war. Schließlich waren sie keine Kleinkinder mehr. Joe war gerade dreizehn geworden, seine Schwester war fast genau ein Jahr jünger. Es war gut, dass jetzt jeder sein eigenes Zimmer bekam, fand Joe. Auch, wenn man aus seinem direkt auf den gegenüberliegenden Friedhof sah.

»Warum müssen wir überhaupt umziehen«, hatte er seine Eltern in den vergangenen Wochen immer wieder gefragt. »Mom kann doch pendeln! Machen andere Eltern auch.«

Seine Mutter hatte einen neuen Job als Anwältin in einer Kanzlei gefunden. Allerdings nicht in Bristol, wo sie gewohnt hatten, sondern in London, rund zweihundert Kilometer entfernt.

»Täglich vierhundert Kilometer fahren ist zu teuer und zu anstrengend«, hatte Dad erklärt. »Die andere Möglichkeit ist, dass Mom nur noch am Wochenende nach Hause kommt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass du und deine Schwester das gut finden würden.«

Das leuchtete Joe natürlich ein. Trotzdem war es ihm schwergefallen, Abschied von seiner alten Umgebung und von seinen Freunden zu nehmen.

Nachdem Joe einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte, sah er sich in seinem neuen Zimmer um. Im Moment herrschte noch ein ziemliches Durcheinander. Die Umzugshelfer hatten nur das Bett, ein Bücherregal und einen Kleiderschrank an ihre Plätze gestellt. Der Rest war noch in zahlreichen Kartons verpackt. Trotzdem war Joe überrascht, wie groß und hell der Raum wirkte. Die Decke war mindestens drei Meter hoch und rundherum mit Stuck verziert. Die großen Fenster saugten die Sonnenstrahlen förmlich in den Raum hinein und fluteten ihn mit strahlendem Licht. So ein Zimmer hatte er nicht erwartet. Joe lächelte.

»Und?«, fragte Dad, der den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Zufrieden?«

Joe nickte. »Das Zimmer ist riesig. Und alles ist neu!«

»Wir haben es weiß streichen lassen, damit es noch größer wirkt«, erklärte sein Vater. »Und den Baum vor dem Fenster haben wir an der Seite etwas stutzen lassen, damit mehr Licht hereinkommt.« Er bahnte sich einen Weg zwischen den Kartons hindurch zu einem der Fenster und sah hinaus. Joe folgte ihm. »Ist das nicht ein toller Ausblick?«

Erst jetzt nahm Joe bewusst wahr, dass Howard’s End an einem Abhang lag. Jenseits der Backsteinmauer fiel der Friedhof terrassenförmig ab. Weit dahinter sah man das Wasser der Themse silbern in der Abendsonne leuchten. Doch Joes Blick blieb an den dunklen Grabsteinreihen hängen.

»Und was ist mit dem Friedhof?«, fragte er.

»Was soll damit sein?«

»Er sieht etwas … bedrohlich aus.« Joe schluckte. »Und wenn ich mir überlege, dass dort überall Leichen rumliegen.«

»Irgendwo müssen die Toten ja begraben werden«, sagte Dad schulterzuckend.

»Ja, aber warum ausgerechnet hier, wo wir wohnen?«

»Der Friedhof war vor uns da«, erklärte Jack Bookman und schlenderte wieder zur Tür. »Und an Toten ist eigentlich nicht Unheimliches. Jeder von uns stirbt irgendwann. So ist das nun einmal.« Er warf Joe ein Lächeln zu. »Aber du brauchst keine Angst zu haben, Jonathan, es gibt keine Zombies oder Untoten, die sich dort drüben herumtreiben. Wer tot ist, wird begraben, und das war’s. Ende der Geschichte.« Damit verließ er das Zimmer.

Na hoffentlich, dachte Joe und drehte sich wieder zum Fenster. Unten auf der Straße holperte eine schwarze Limousine vorüber. Die Scheiben waren getönt, sodass man nicht sehen konnte, wer sich darin befand. Sind sicher irgendwelche halbadeligen Friedhofsbesucher, dachte Joe, die keine Lust haben, sich von den Leuten begaffen zu lassen.

Doch als der Wagen nur eine Minute später in entgegengesetzter Richtung erneut vorüberfuhr, wunderte er sich. Sieht aus, als würden sie etwas suchen. Aber was gibt’s hier schon außer alten Häusern und modernden Leichen? Joe beobachtete die Limousine, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, dann wandte er sich den Kartons zu. Er hatte keine Eile, das Chaos in seinem Zimmer zu beseitigen. Ganz im Gegenteil: Er wollte sich so viel Zeit mit dem Einräumen lassen, wie es eben brauchte. Außerdem fehlten sowieso noch einige Möbelstücke, die nicht mehr rechtzeitig hatten geliefert werden können: ein Schreibtisch, ein Nachtschrank und ein Schubladenschrank für Kleinteile.

Joe überlegte, welchen Karton er zuerst auspacken sollte. Vielleicht die Comics? Oder die Bücher? Oder sollte er mit seiner Star-Wars-Sammlung beginnen …

TOCK – TOCK – TOCK!

Er zuckte zusammen. Was war das?

TOCK – TOCK – TOCK!

Klang wie das Schlagen auf etwas Festes, vielleicht Stein. Machte sich da etwa jemand an der Friedhofsmauer zu schaffen? Oder hämmerte an einem der Grabsteine herum?

Joe ging zum Fenster, doch er konnte keine Menschenseele entdecken. Vielleicht hatte er sich das Klopfen nur eingebildet?

TOCK – TOCK – TOCK!

Nein, da war es wieder. Und es kam auch nicht von draußen, sondern von der Wand. Joe schlich zwischen zwei Kartonstapeln hindurch und legte sein Ohr gegen die frisch gestrichene Tapete. Da war etwas, ganz leise nur. Eine Art Schaben. Joe presste das Ohr fester an die Tapete. Ein paar Sekunden lang war alles still, dann ertönte das Rascheln und Schaben erneut. Es klang, als würde sich etwas durch die Wände schieben. Joe wich zurück und starrte ungläubig die Tapete an, die sich plötzlich nach außen wölbte, als würde sich ein gewaltiger Körper von innen gegen sie stemmen. Und dann …

RITSCH – RUMS!

… riss ein koffergroßes Stück Tapete aus der Wand und krachte auf den Boden. Staub wirbelte auf. Eine Hand wedelte in ihm herum, begleitet von Husten; einem Husten, der Joe bekannt vorkam. Er ging in die Knie. In der Wand prangte ein gezacktes Loch. Und in dem Loch hockte Rebecca.

»Was machst du da?«, fragte Joe entsetzt.

»Ich habe einen Geheimgang gefunden«, erwiderte seine Schwester und hustete erneut. »Führt von meinem Zimmer direkt zu deinem. Aber das ist noch nicht alles.«

»Rebecca? Joe?« Das war Dads Stimme. »Alles in Ordnung? Was hat denn da so gerumst?«

»Rebecca…«, rief Joe, doch seine Schwester legte den Finger auf ihre Lippen.

»Da ist noch ein anderer Gang«, flüsterte sie. »Wir finden raus, wohin er führt. Los, komm!«

Damit drehte sie sich um und verschwand in der Dunkelheit. Joe starrte ihr unschlüssig nach.

»Was ist mit Rebecca?«, rief Dad von unten.

»Nichts!«, rief Joe zurück. »Alles in Ordnung. Es ist bloß ein Karton umgefallen.« Er lauschte, und als sich sein Vater mit dieser Antwort offenbar zufriedengab und zurück in sein neues Arbeitszimmer ging, stieg Joe vorsichtig durch das Loch in die Dunkelheit und ließ sich in dem niedrigen Gang auf Hände und Knie fallen. Vorsichtig kroch er Rebecca hinterher.

2

Rebecca?« Es war stockdunkel in dem niedrigen Schacht. Joe konnte die Hand nicht vor den Augen sehen. Hätte er doch bloß eine Taschenlampe mitgenommen. »Rebecca, wo steckst du?«

»HIER!«

Joe schreckte auf und – BONG! – knallte mit dem Kopf gegen die Schachtdecke. Rebeccas Stimme war direkt vor ihm.

»Aua, verdammt!«, fluchte er. »Was soll denn das?«

»Ich antworte doch nur«, erwiderte seine Schwester unschuldig.

»Du hast mich erschreckt«, sagte Joe und rieb sich den Kopf. »Wir müssen zurück und eine Taschenlampe holen. Sonst sehen wir weder, wie es weitergeht, noch finden wir zurück.«

Ein grelles Licht flammte auf – direkt vor seinen Augen. Erschrocken fuhr Joe hoch und – BONG! – stieß sich erneut den Kopf.

»Mann, du kannst auch einfach sagen, dass du eine Taschenlampe hast …«

»Willst du meckern oder mitkommen?«, fragte Rebecca.

»Natürlich komme ich mit«, sagte Joe und zog seiner Schwester mit einer raschen Bewegung die Lampe aus der Hand. »Aber ich gehe voran.«

»Hey!«, rief Rebecca.

»Nix hey.« Er zwängte sich an ihr vorbei. Missmutig folgte Rebecca ihm.

Der Gang führte erst eine Weile geradeaus und knickte dann im rechten Winkel ab. Nach ein paar Metern endete er an einem Loch, in das eine Leiter hinabführte. Joe leuchtete mit der Taschenlampe hinunter.

»Sieht ganz schön tief aus«, murmelte er. »Was wohl da unten ist?«

»Finden wir es heraus«, sagte Rebecca unternehmungslustig und sich an ihrem Bruder vorbeizudrängeln. Aber Joe hielt sie zurück. »Was, wenn der Gang in der Kanalisation endet? Oder in irgendeiner verseuchten Grube? Vielleicht wurden hier früher Abfälle runtergeworfen und da unten wimmelt es jetzt von Ratten und Käfern und fetten Würmern.«

Rebecca schnupperte. »Also ich riech nichts. Und es würde ja wohl stinken, wenn da unten eine Müllhalde wäre. Also los: Klettern wir runter und sehen nach.«

»Und wenn ein gefährliches Tier da unten lauert? Ein tollwütiger Hund oder eine giftige Schlange?«

Rebeccas Gesicht verfinsterte sich. »Hast du etwa Schiss?«

Joe schnaubte. »Ich? Schiss? Pah!« Er nahm die Taschenlampe zwischen die Zähne, packte die Leiter und betrat die erste Stufe. »Chich checher chochan.«

»Aye, aye, Captain«, sagte Rebecca und deutete mit der Hand einen militärischen Gruß an.

Die Leiter führte senkrecht hinab und Joe fragte sich, hinter welcher Wand im Haus sie sich gerade befanden. Denn es war klar, dass der Schacht, den er und Rebecca hinabkletterten, innerhalb der Gebäudemauern liegen musste. Aber so dicke Mauern hatte ein Haus eigentlich gar nicht. Allerdings war ihre neue Heimat nur von innen aufgefrischt worden, von außen sah das Haus noch genauso aus wie vor hundert Jahren. Und wer weiß, wie die Leute damals gebaut hatten. Möglicherweise lag der Schacht hinter dem halbrunden Fassadenteil an der Vorderseite, den Joe für einen alten Kaminschacht gehalten hatte. Aber wieso führte überhaupt ein Gang durch das Haus? Wer hatte ihn angelegt und wozu? Dass er sich nicht von Anfang an im Mauerwerk befunden hatte, erkannte man daran, wie der Gang angelegt worden war: Er war uneben und führte durch verschiedene Materialschichten, von Mörtel über Backstein bis zu Holz. Hätten die Erbauer des Hauses vorgehabt, einen versteckten Schacht zu bauen, hätten sie das schon während der Planungsphase berücksichtigt. Dieser Gang war ganz offensichtlich im Nachhinein gegraben worden. Die Frage war nur: Wozu?

Nach ein paar Metern erreichten sie den Boden.

»Staubtrocken«, stellte Joe fest, als er den Grund mit der Taschenlampe ableuchtete.

Rebecca grinste. »Sag ich doch.«

»Und wo geht’s jetzt weiter?« Joe tastete mit der Lampe die Umgebung ab. Der Tunnel war hoch genug, dass sie bequem in ihm stehen konnten. Er erstreckte sich zu beiden Seiten.

»Da lang«, sagte Rebecca und zeigte nach links.

»Wieso?«, fragte Joe.

»Wieso nicht?« Seine Schwester zuckte mit den Achseln. Joe seufzte. »Also gut.«

Der Tunnel führte ein paar Meter geradeaus, knickte dann zur Seite ab und endete an einer Geröllwand.

»Endstation«, kommentierte Joe. »Sieht aus, als wäre der Gang hier eingestürzt.«

»Nehmen wir halt die andere Richtung«, schlug Rebecca vor. Sie gingen zurück, passierten die Leiter und folgten dem rechten Teil.

»Ich schätze, wir sind mindestens zehn Meter tief unter der Erde«, sagte Joe. »Aber wozu haben die so ein tiefes Loch gegraben? Und dann noch diesen Tunnel angelegt?«

»Die?«, fragte Rebecca. »Wen meinst du mit die?«

»Keine Ahnung«, sagte Joe. »Eben die, die diesen Tunnel gebuddelt haben. Einer alleine wird das ja wohl kaum gewesen sein.«

»Der Graf von Monte Christo hat seinen Tunnel auch alleine gegraben«, gab Rebecca zu bedenken. »Nur mit einem Löffel!«

»Der Graf von Monte Christo ist eine ausgedachte Geschichte, die nichts mit der Wirklichkeit …«

»Vorsicht!«

Fast wäre Joe gegen die Tür gerannt, die plötzlich vor ihnen aufgetaucht war und den Gang verschloss. Joe leuchtete sie mit der Taschenlampe ab. Die Tür bestand aus massivem Holz, das mit Eisenbeschlägen verstärkt worden war. Das Holz war so dunkel, als hätte es schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel. Die Tür war schmal und kaum höher, als Joe groß war, und sie hing in einem Rahmen, der sich perfekt in den Gang einpasste und fest in ihm verankert war.

Joe packte den geschwungenen Metallgriff und rüttelte daran. »Abgeschlossen.« Er lehnte sich mit der Schulter gegen die Tür und drückte mit aller Kraft dagegen. »Keine Chance«, ächzte er. »Da kommen wir nicht durch.«

»Nicht ohne Schlüssel«, stellte Rebecca klar und zeigte auf ein altes, leicht verrostetes Türschloss. »Wenn derjenige, der die Tür eingebaut hat, der Besitzer unseres Hauses war und nicht wollte, dass jeder hier durchkann, dann hat er den Schlüssel vielleicht irgendwo im Haus versteckt.«

»Und du denkst, dann ist der Schlüssel immer noch da? Du hast wohl vergessen, dass das Haus von innen renoviert wurde«, gab Joe zu bedenken. »Wenn dabei ein Schlüssel aufgetaucht wäre, hätten sie den doch bestimmt weggeschmissen.«

»Einen Schlüssel schmeißt man doch nicht einfach weg! Sicher haben die Handwerker ihn zu den anderen gelegt. In so einem Haus gibt es ja haufenweise Schlüssel. Vielleicht bewahren Mom und Dad sie irgendwo auf.«

»Das müssen wir checken«, sagte Joe. »Und falls wir den Schlüssel nicht finden, müssen wir die Tür irgendwie anders …«

»Pst!«

»Was …?«

Rebecca streckte den Arm aus und presste ihre Hand auf Joes Mund. Joe wollte protestieren, doch dann verstummte er. Denn plötzlich waren Geräusche zu hören – Geräusche, die von der anderen Seite der Tür kamen.

Rebecca nahm die Hand vom Mund ihres Bruders. »Da ist jemand«, flüsterte sie.

»Wer kann das sein?«, flüsterte Joe zurück. Rebecca zuckte mit den Achseln. Sie warteten. Nichts geschah. Auch die Geräusche waren verstummt.

»Ich seh mal nach«, sagte Rebecca leise und beugte sich hinab. Sie kniff das linke Auge zusammen und linste mit dem rechten durch das Schlüsselloch. Ein kaltes Auge starrte ihr entgegen. Erschrocken zuckte Rebecca zurück. Gleich darauf wurde der Griff heruntergedrückt und an der Tür gerüttelt. Dann war es eine Zeit lang still und schließlich hörten Joe und Rebecca, wie sich auf der anderen Seite leise Schritte entfernten.

Joe atmete erleichtert auf. »Wer kann das gewesen sein?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Rebecca. »Aber gute Absichten hatte der bestimmt nicht.«

»Wie kommst du darauf?«

»Weil er sonst irgendwas gerufen hätte, Hallo oder so. Gibt ja keinen Grund, hier so rumzuschleichen.«

»Na ja, wir tun das ja auch«, sagte Joe und legte die Stirn in Falten. »Was hast du gesehen, als du durchs Schlüsselloch geguckt hast?«

Rebecca schluckte. »Ein Auge. Aber kein normales.« Bei der Erinnerung lief es ihr kalt den Rücken herunter. »Es wirkte irgendwie kalt und starr. So wie das Auge von einem Reptil.«

Joe kam ins Grübeln. »Und wenn der jetzt in unser Haus kommt?«

»Der hat keine Ahnung, wohin unsere Seite des Tunnels führt«, widersprach Rebecca. »Sonst wäre er schon längst bei uns gewesen. Schließlich war das Haus einige Monate lang unbewohnt. Zeit genug, um sich in aller Ruhe umzusehen.«

»Vielleicht war er sogar schon da und hat bloß den Geheimgang nicht gefunden«, überlegte Joe.

»Der Geheimgang interessiert ihn nicht«, vermutete Rebecca. »Der führt ja bloß zu unserem Haus und im Gang selber ist nichts von Wert.« Sie schüttelte den Kopf. »Wer auch immer durch diese Tür will, weiß nicht, wohin der Gang führt und wo er endet.«

»Lass uns zurückgehen«, schlug Joe vor. »Hier lösen wir das Rätsel sowieso nicht. Und wenn Mom und Dad den Gang entdecken, war’s das mit unserem Geheimnis. Wir kriechen zurück und tarnen die Zugänge. Wie hast du deinen entdeckt?«

»Da ist ein Gitter an der Wand«, sagte Rebecca. »Unter der Dachschräge. Ich dachte zuerst, dass da so ein kleiner Raum dahinter ist, in dem man Zeug aufbewahren kann. Aber als ich das Gitter abgemacht habe, ging es weiter.«

»Also kannst du das Gitter einfach wieder anbringen und von außen ist nichts zu sehen?«, fragte Joe. Rebecca nickte. »Gut. In meinem Zimmer stellen wir das Regal davor, das verdeckt den Durchbruch. Und dann überlegen wir in Ruhe, was wir tun. Okay?«

»Okay«, sagte Rebecca. Damit machten sie sich auf den Rückweg.

Als Rebecca und Joe aus dem Obergeschoss ins geräumige Wohnzimmer herunterkamen, war Dad gerade damit beschäftigt, den großen Flachbildschirm anzuschließen. Auf dem Rücken liegend hantierte er unter dem Fernsehtisch an den Kabeln herum.

»Wem hat das Haus eigentlich vor uns gehört?«, fragte Rebecca.

»Der Immobilienfirma«, ächzte ihr Vater und versuchte, ein Kabel in die Rückwand des Flatscreens zu stecken.

»Ich glaube, Rebecca meint, wer hier gewohnt hat«, sagte Joe. »Vor uns.«

»Irgendein Verrückter«, gab Dad zurück. »War es nicht so ein komischer Zauberer, der seine Frau loswerden wollte und sie auf der Bühne zersägt hat? Darling?«

»Blödsinn!«, schimpfte Mom, die mit einem Tablett voll dampfender Pizzastücke ins Wohnzimmer kam. »Und du wunderst dich, woher Rebecca ihren schwarzen Humor hat!« Sie blieb vor ihren Kindern stehen und reichte ihnen den Teller. Joe und Rebecca griffen zu. »Soweit ich weiß, hat hier zuletzt der alte Mac gewohnt, bis er gestorben ist.«

»Wer ist der alte Mac?«, fragte Joe.

»Der Friedhofswärter«, sagte seine Mutter.

»Ganz allein in so einem großen Haus?«, wunderte sich Joe und biss von seiner Pizza ab.

Seine Mutter zuckte mit den Schultern. »Es stand ja leer und irgendwo musste er schließlich wohnen. Als dann vor ein paar Jahren die Pflege des Friedhofs an einen professionellen Service übergeben wurde, haben sie ihn hier weiterwohnen lassen. Im Frühjahr ist er dann gestorben.«

»Und wo ist er begraben?«, fragte Joe mit vollem Mund.

»Na wo schon«, meldete sich Dad wieder zu Wort und schob sich unter dem Fernsehtisch hervor. »Auf dem Friedhof natürlich.« Er angelte nach der Fernbedienung auf dem Sessel und schaltete den Fernseher ein. Auf dem Bildschirm schneite es. »Mist«, fluchte er und schob sich wieder unter die Holzkonstruktion.

»Wir wissen nicht, wo er begraben ist«, sagte Sara Bookman. »Vielleicht auf dem Friedhof, vielleicht auch nicht.«

»Und wer hat vor dem Friedhofswärter hier gewohnt?«, fragte Rebecca. Ihre Mutter dachte nach. »Ich glaube, das Haus stand viele Jahre lang leer.«

Rebecca wurde ungeduldig. »Ja, aber davor muss doch auch jemand hier gewohnt haben.«

Mom schüttelte den Kopf. »Ich weiß aber beim besten Willen nicht …«

»Die Angestellten«, rief ihr Mann.

»Ach ja«, erinnerte sich Sara Bookman wieder. »Richtig. Ganz früher haben hier die Angestellten gewohnt. Vom Haus am Ende der Straße.«

»Das, wo Dracula wohnt?«, fragte Rebecca.

Mom lachte. »Es sieht wirklich ein bisschen gespenstisch aus«, gab sie zu. »Aber nur, weil es dort so unordentlich ist. Sobald man einen Garten nicht mehr regelmäßig pflegt, verwildert er. Und schon sieht es aus wie in einem Gruselfilm.«

»Und wieso haben die Angestellten hier gewohnt und nicht drüben?«, fragte Rebecca.

Das Lächeln auf dem Gesicht ihrer Mutter verschwand. »Weiß ich nicht«, sagte sie knapp. »Wir finden alles heraus. Alles zu seiner Zeit. Jetzt müssen wir uns erst einmal einrichten. Montag geht für euch die Schule los und ich fange meine neue Stelle an. Bis dahin sollten wir das Nötigste geschafft haben. Jedenfalls gibt es hier nichts, vor dem ihr euch fürchten …«