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Diese Augen! Atemlos starrt Sinyar in dieses warme Blau und kann es seitdem nicht mehr vergessen. Oder ihn. Ein Glück, dass das Schicksal sie auf dem Schatzsucherschiff Pygus wieder zusammenführt, oder? Sinyar tanzt um ihn, wie er um sie. Verliebt, glücklich und doch voller Zweifel ob der eigenen Gefühle. Trotzdem genießt sie die Zeit in vollen Zügen, bis die Blase platzt: Die Gruppe wird als Piraten gehandelt und von der Marine verfolgt. Warum - für alle ein Rätsel.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Seegestöber
von
Kadlin Mallet
An mich von vor 10 Jahren:
Siehst du das? Ich habe es endlich geschafft!
Danke denen,
die helfen,
zu träumen.
I Elyrian die Hafenstadt4
II Weiter Himmel, blaue See14
III Bronhaeven27
IV Südsee43
V Im Bauch des Schiffes59
VI Dunkle Stunden64
VII ein neuer Tag70
Über den Autor und die Geschichte72
Impressum73
Zwischen Stand und Wand, blaue Augen
Oh, Mist! Wie hatte das passieren können! Sie war doch immer vorsichtig gewesen.
Diese Frau... Sie hatte aber auch so verdammt ausladende Röcke angehabt, die bei jeder Bewegung rauschten – bei jedem Windzug! Sie hatte es nicht kommen sehen, dass sich der Überrock um ihre Beine schmiegte. Und die Frau brüllte, kaum dass sie wieder auf den Beinen war.
Es hätte so einfach sein können. Sollen!
»Bleib’ stehen, du Ratte!«
So verdammt nah! Sinyar presste das Buch enger an ihren Oberkörper und huschte entlang der Straße an den Ständen vorüber. Äpfel polterten zu Boden, eine Weintraube zerplatzte unter ihrem rechten Schuh, und Flüche erhoben sich hinter ihrem Rücken – drohend laut.
Sie wagte es nicht, zurückzusehen. Nicht ein einziges Mal und nicht einmal dann, als sie den nächsten Haken schlug und zwischen Tüll und Tuch eines Stoffverkäufers tauchte und der Standlinie nach links weiterfolgte.
»Stehen bleiben!« Nein! Das Herz schlug ihr bis zum Hals, der Atem floss unstet über ihre Lippen. Aber so lange sie einen Fuß sicher vor den anderen setzen und sich um die Menschen schlängeln konnte: Nein!
Nur noch bis zur Hausecke. Der dort vorne übersät mit Efeu und blitzender Wandfarbe und von dort durch den Blattwust in die Sicherheit der Gasse dahinter. Nur noch... Sie konnte den Efeu schon riechen, dezent nur unter dem Geruchsgemisch des Marktes, doch es war da. Ganz leicht süßlich und darüber eine unangenehm, faulige Note. Nicht, dass sie es schätzte, doch danach wäre sie sicher!
Sinyar lächelte. Gleich.
Etwas langte nach ihrem Überwurf und ihre Füße flogen schneller voran. So nah schon! Sie hatte den dicken Mann eindeutig unterschätzt. Oder die Gleichgültigkeit der anderen Menschen.
Sinyar keuchte auf und jagte über Brotkörbe, vorbei an einer schwatzenden Traube Menschen. Nicht mehr weit! Sie konnte ihre Gasse schon sehen. Dort, zwischen den Efeublättern.
Eine Hand umfasste ihren Arm. Der Griff fest, ja vollkommen entschlossen, und mit einem Ruck wurde sie zur Seite gezogen, bis die Helligkeit dunklen Schatten wich.
»Was?!« Sinyar wollte fluchen, laut, und konnte doch nur rasselnd atmen. Mist, mist, mist! Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein! Sie hatte es doch so gut geplant. Das alles hier! Ihre Beute ausgemacht, die Wachen beobachtet, der Weg über den Markt...
Gut, die Frau war ein unerwartetes Ärgernis gewesen. Aber trotzdem, sie hätte es schaffen können – sollen! Sie war schon dutzende Male so verschwunden.
Ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Der Griff um das Buch fester. Heute nicht.
»Keine Sorge. Wir sind hier sicher.«
»Was?«, wiederholte Sinyar und blinzelte. Keine Sorge? Sie wurde geschnappt!
Ein Tropfen landete auf ihrer Nase, ein weiterer auf ihrem Kopf und erneut blinzelte sie. Langsam sah sie sich um. Kein Markt mehr, keine Menschen. Nur zwei Hauswände, unsauber verlegte Pflastersteine auf denen Pfützen schwammen und über ihr frische Wäsche.
»Das sah wirklich knapp aus.« Ein Mann erschien vor ihr und Sinyar hielt die Luft an. Diese Augen! So blau, wie die See und dieses Lächeln, unter dem sie kurz aufblitzten. Sinyar konnte den Blick kaum davon abwenden. So schön!
Ein Nicken, mehr bekam sie gerade nicht zustande, und fasziniert beobachtete sie, wie das Lächeln um seine Lippen, zu einem schiefen Grinsen wurde. Sein feurig rotes Haar tanzte darum und wieder konnte sie nur fasziniert zusehen. So etwas... war ihr noch nie passiert! Nicht bei einer ersten Begegnung. Und sie hatte schon dutzende davon gehabt.
Sie räusperte sich und endlich – endlich! – war da auch wieder eine Stimme in ihrer Kehle. »Danke.« Er hatte sie gerettet!
»Faylan.« Seine Augen leuchteten, und war da eine Spur von Verwegenheit, die auf seinem Gesicht zuckte?
Was für ein schöner Name! Sie strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. »Sinyar.«
Auch sie lächelte. Konnte nicht anders, als zu lächeln.
Der Ort, ein Traum
Ein letzter Blick auf seine Kleidung, dieses wohlgeformte Äußere mit dem koketten Lächeln umrahmt von dunklen Locken.
Er war zufrieden, vollkommen und ja, Mijil gefiel sich. Dass was er sah, den feinen Duft, den er roch. Alles war perfekt, er selbst war es, der Tag war es und er war sich mehr als sicher: Nichts konnte heute schief gehen. Absolut nichts!
Mijils Gehstock wanderte über den glattgeschliffenen Pflasterstein und verschmolz zusammen mit seinen Schrittgeräuschen zu einer ganz eigenen, feinen Musik. Eine, an die er sich gewöhnen könnte. Nein, wollte! Unbedingt.
Heute komme ich dem näher. Mijil hätte summen wollen, wenn es ich geziemt hätte. In diesem Viertel der Stadt hingegen, zwischen teuren Bauten und weiten Gärten, da nickte man sich höchstens zu. Und selbst das war gewagt, kannte man einander nicht, und er, er wollte hier nicht auffallen. Unter keinen Umständen.
Stattdessen tastete er nach seiner Brusttasche und fühlte nach dem Gebilde darin. Kaum größer als sein kleiner Finger und doch von unschätzbarem Wert! Es beruhigte ihn, es zu spüren, viel mehr beruhigte ihn jedoch zu wissen, dass es nur ein oder zwei weitere Aufträge dieser Größe bedurfte, und er hätte ausgesorgt. Und könnte hier leben! Nie wieder auf einem Schiff, nie wieder auf dieser weiten See und in schaukelnden Hängematten, wie sehr er sich darauf freute. Nein, es herbeisehnte! Denn hier, zwischen diese weiten Gärten, kleinen Teichen und teuren Bauten, da gehörte er hin.
Er fühlte es, tief in sich. Nur hier fühlte er sich wohl.
Mijil atmete tief ein und ließ diese edle Luft durch seinen Körper strömen. So unfassbar gut! So wie nirgendwo sonst und fast, ja da hätte er doch gesummt.
Vermassel’ es nicht! Er wollte die Illusion hinterlassen, Teil zu sein dieser gut betuchten Gegend. Nicht auffallen als jemand, der nur schauspielerte.
Einige Meter weiter bog Mijil von der großen Straße ab und folgte einem breiten Weg. Die Sonne mochte hier nicht mehr erhaben über allem thronen, dafür aber konnte er den Stein der Häuser aus nächster Nähe bestaunen: Hergebracht aus Übersee und mit einer Technik behauen, die keine einzige Spur hinterließ. Ein strahlendes Weiß, das er auch einmal sein Eigen nennen wollte.
Der große Weg mündete in einen kleineren und dieser schließlich auf einen Platz. Nicht sein Zielort, aber Mijil kam gerne hier vorbei, genoss die Stille und beobachtete das tanzende Wasser des Brunnens, der Fontaine um Fontaine in immer neuen Mustern gen Himmel schickte. Er hätte es lange beobachten können. Noch länger hier mit einem guten Buch in der Hand sitzen können, so, wie es die edlen Herrschaften zu tun pflegten. Aber er wohnte hier nicht. Noch nicht. Und ein Buch, Mijil verzog den Mund, das besaß er auch nicht. Zeitverschwendung – noch – erst mussten alle anderen Umstände stimmen.
Mijil holte seine Taschenuhr hervor. Die 16. Stunde stand kurz bevor, der Zeitpunkt seines Treffens und so gerne er geblieben wäre, um dem Plätschern zu lauschen, er konnte es nicht. Nicht, ohne etwas zu riskieren. Seine Hand wanderte erneut an seine Brusttasche.
Ein letzter Blick, dann verschwand er in einer weiteren Straße, der letzten für heute, und dort, gut versteckt in den vornehmen Schatten dieser Häuser war eine Statue und zwei Pflanzen. Feuerblumen, die sich hin und her wogen.
Mijil runzelte die Stirn. Das letzte Mal waren es noch prächtige Orchideen gewesen. Viel Ungewöhnlicher jedoch: Neben ihm war niemand hier und selbst der Wind trug nur das Rascheln der Pflanzen an seine Ohren, keine fremden Schritte.
Verwunderlich! Erneut holte Mijil seine Uhr hervor. Er war pünktlich, auf die Minute genau, und – selbstverständlich! – am richtigen Ort.
»Mh.« Vielleicht kam der andere auch nur zu spät? Nicht, dass es sich ziemte, passieren konnte es dennoch.
Aber er kam nicht nur zu spät, selbst nach einer halben Stunde stand Mijil noch immer alleine zwischen Feuerblumen und der Statue und als er frustriert abziehen wollte, blinzelte ihm ein Umschlag zwischen drei Blüten entgegen.
Mijil griff danach. Warum war ihm das nicht schon früher aufgefallen? Ärgerlich!
Eine ungewöhnliche Belohnung
Sinyar.
Warum kam ihm der Name ausgerechnet jetzt wieder in den Sinn?
Faylan starrte auf das Logbuch in seinen Händen. Auf den groben Ledereinband, die Schnalle und den Zettel, der unten hervorlugte. Abgenutzt, ja nahezu speckig und vielleicht mochte er es auch deshalb so gerne: Es war Zeuge seiner eigenen Arbeit und gab ihm Sicherheit, wenn die Welt ihn ängstigte.
Sie hatte auch eins. Gestohlen vom Markt, als einziges und von ihren Händen umklammert, wie ein kleiner Schatz.
Vielleicht, weil er sein eigenes Buch gerade hielt?
Faylan schüttelte den Kopf. Unfug! Und doch, neben ihrem Namen, da tauchte auch ihr wildes Haar, ihr überraschter Blick und diese flinken Bewegungen vor seinen Augen auf.
Ein Lächeln formte sich auf seinen Lippen und hatte sein Herz einen Satz gemacht? Unsinn! Trotzdem fuhr er sich über die Brust, spürte das Schlagen, spürte Wärme.
Es war doch Unsinn, oder? Er schloss seine Augen und die Erinnerung ihres Lächelns sah ihm entgegen. Dieses Schöne...
»Ich bin zurück.« Es knarzte hinter ihm. Eine Tür fiel ins Schloss und kurz darauf erfüllte der penetrante Geruch von Rosenwasser die Luft der Besprechungskammer und vertrieb alles andere – Gedanken, Erinnerungen.
Mijil war zurück.
Seine Hände versteiften sich um das Logbuch und die weiche Lehne seines Stuhls, warum fühlte sie sich plötzlich so hart an? Neben ihm atmete Lean überrascht aus und schob seinen Eintopf von sich.
»Du bist schnell zurück.« Viel schneller, als sie es erwartet hatten und schneller als bei anderen Aufträgen. Ist das gut oder schlecht? Faylan wusste es nicht und ein Blick neben sich verriet ihm, Lean war auch unsicher. Genauso wie Perjal, nervös aus einer Luke starrte, hinaus auf das Hafenbecken. Sie schenkte ihnen nur einen Seitenblick samt mahlender Zähne.
»Ist alles gut gelaufen?« Faylan wusste nicht sicher, wer im Raum die Frage gestellt hatte. Hinter ihm, im Schatten weiterer Tische und Vorratsschränken wusste er nur weitere Mitglieder ihrer Mannschaft.
Seine Finger trommelten gegen den Einband des Logbuchs und fast automatisch versuchte er, im Gesicht Mijils etwas zu erkennen. Doch wie immer war es blass und leer und das ließ ihn nur nervöser werden.
Ruhig. Es ist nur ein Auftrag. Himmel, sie hatten dutzende erledigt! Und trotzdem fühlte es sich so an, wie ihr allererster. Vielleicht, weil der Schatz, eine Nixenfigurine, alles andere als leicht zu finden gewesen war. Vielleicht, weil sie dieses Mal königlich entlohnt werden sollten – für ihre Verhältnisse.
Faylan konnte es nicht mit Sicherheit sagen.
»Natürlich.« Mijil lächelte ihnen süffisant entgegen. Allerdings flogen seine Hände, mit denen er gerne wild gestikulierte, nicht durch die Luft. Dieses Mal klammerten sie an seinem Gehstock und waren die Knöchel weiß?
Faylan hob die Augenbrauen und endlich schaffte er es, das Buch aus den Händen zu legen. Natürlich? Das sah ihm nicht danach aus. »Was ist passiert?«
Mijils Kleidung raschelte, als er mit zwei großen Schritten näher zu ihnen herantrat. Der lange Mantel, das Hemd mit eingestecktem Tuch darunter. Wortlos zog er etwas aus seiner Tasche, dass Faylan erst auf den zweiten Blick erkannte: ein Blatt Papier.
Eine seltsame Entlohnung! Aber vielleicht ließ sich diese ja irgendwo eintauschen. Gehört hatte Faylan von diesem Verfahren schon –, miterlebt hatte er es allerdings noch nie.
Mijil entfaltete das Papier und zeigte ihnen das Siegel ihres Auftraggebers samt der Initialen und der Legitimation des Schriftstücks.
Er spürte die anderen erleichtert aufatmen und Faylan stimmte mit ein. Damit war also alles in Ordnung. Nun, außer vielleicht der Geruch. Auch wenn der üblich dort sein könnte, wo Mijil sich herumgetrieben hatte. Er roch ja selbst kaum besser.
»Das Schreiben sah vor, dass ich die Figurine versteckt zurücklasse«, Faylan verzog den Mund und seine Hände krampften, wieder, »dafür halte ich die Legitimation in Händen, unsere Belohnung aus seiner dritten Lagerhalle auszuwählen.«
Das klang durchaus interessant. Aber der Gedanke hinterließ einen faden Beigeschmack. Sie wussten nicht, was in diesem Lager war – dafür wussten sie nur zu gut, wie wertvoll die Nixenfigurine geschätzt wurde. Das konnte nur schief gehen.
»Kommt schon, wo ist euer Lächeln angesichts dieser tollen Neuigkeit eures Kapitäns?«
Faylan schüttelte den Kopf. Ihm war nicht nach Lächeln zu Mute. Ganz und gar nicht. »Du hast dich daran gehalten?«
»Natürlich. Die Anweisung war eindeutig.« Mijil nickte ihm zu und sein Gehstock klopfte geräuschvoll gegen den Tisch. »Und nun lächelt! Es ist geschafft.«
Geschafft. Faylan wollte Freude spüren, die Sorgen einfach beiseite wischen – immerhin kannte Mijil sich mit diesen Geschäften aus! Doch die Luft glitt ihm nur zittrig über die Lippen und seine Hände hatten sich doch wieder um sein Logbuch gewickelt und nestelten am Einband.
Er wusste nicht, wie er sich fühlen sollte. Befreit? Glücklich? Er fühlte nichts davon, da war nur Angst in seinem Magen, kalt und stechend und als er einen Blick nach links und rechts warf, erkannte er auch dort keine Freude. Nur Unsicherheit.
Faylans Finger trommelten auf dem Ledereinband des Logbuches. Leise, unstet, doch das Geräusch verschaffte ihm Ruhe.
Mijil schüttelte den Kopf und sein Gehstock klopfte abermals gegen den Tisch. »Ihr seid zu verkrampft und versteift auf die alten Auträge.«
Von denen sie wenigstens wussten, was sie hatten und Faylan teilte lieber Goldmünzen, als ein verschlossenes Lager. Aber das war nicht seine Entscheidung, er war nur Matrose, kein Kapitän. Das war Mijil – und er hatte bisher immer am besten gewusst, wie man mit Auftraggebern umsprang.
»Die größeren laufen anders ab. Das hab ich euch doch erklärt.« Und nicht nur er, in Bronhaeven hatten es viele gesagt. Allerdings hatte Faylan damals gedacht, dass es sich auf die Schätze bezog, auf die Dauer ihrer Reisen und nicht auf ihre Interaktion mit den Auftraggebern.
Vertrau’ ihm. Faylan schluckte. Ihm gefiel das nicht.
»Wann holen wir unsere Belohnung?«, fragte Lean. Der Eintopf stand inzwischen wieder vor ihm. Aber er löffelte nicht daraus, er rührte nur in der Flüssigkeit und schenkte Mijil nicht einmal einen Blick.
»Heute noch. Ein Diener wird uns zur 19. Stunde im Hafen treffen und das Lager aufsperren.«
Heute noch? Faylan erstarrte. Das war doch gut, oder? Warum gefiel ihm das dann absolut nicht?
Er fröstelte und eine Öllampe neben ihm begann zu flackern.
Licht im abendlichen Hafen
Das Buch in ihren Händen fest umklammert und an die Brust gedrückt, huschte Sinyar von Schatten zu Schatten.
Es war dunkel geworden, spät am Abend und der Mond schob sich langsam über den Himmel.
Sie musste vorsichtig sein. Verschwinden von hier, von diesem Markt dieser Stadt und vielleicht, ja vielleicht, gelang es ihr, dieses Buch andernorts zu verkaufen und damit ein neues Leben zu beginnen. Fernab der Straße, wie sie es sich schon so lange gewünscht hatte. Und mit diesem Buch, da könnte es endlich funktionieren. Bilder in Büchern waren selten geworden. Teuer und dieses hier, es war voll damit.
Bitte lass es klappen. Sinyar schloss für einen Moment die Augen, betete still, dann huschte sie weiter. In die nächste Gasse, in die nächste Dunkelheit. Hier am Pier, da gab es mehr als genug davon und das Einzige, was sie finden musste, wäre neben der nächsten Gasse, ein Schiff. Eines im Norden des Hafens, die laut ihren aufgeschnappten Informationen am nächsten Tag auslaufen sollten.
Und dann gut verstecken... Irgendwo in einem Frachtraum. Die waren früher schon immer herrlich Durcheinander gewesen, damals als...
Sinyar schüttelte den Kopf. Das war vorbei – lange vorbei! Es muss nur für ein paar Tage funktionieren. Für eine einzige Überfahrt. Das ging. Musste!
Ein leises Knirschen und Tappen hallte durch die Straßen.
Sinyar stutzte. War da was? Sie spitzte die Ohren und spähte über ihre Schulter zurück. Wieder war da ein Knirschen und Tappen, lauter dieses Mal und plötzlich tauchten zwei Schatten auf der Straße auf, die ihre Gasse kreuzten.
Wachen! Sinyar hielt den Atem an und presste sich enger an die Hauswand. Steine stachen durch ihr dünnes Hemd, dort, wo ihr Überwurf sie nicht schützte. Ihr war es gleich. Besser ein kurzes Ziehen, als entdeckt zu werden.
Sinyar huschte in eine andere Gasse, als die Schritte verklungen waren. In eine andere Richtung, hinab dort hin, wo der Kai lag. Nur noch einige Lagerhallen trennten sie davon.
Erneut Geräusche, weitere Schritte in der Nacht. Viel lauter, als ihre Eigenen.
Was ist denn heute los!? Sie hatte Jahre in dieser Stadt zugebracht, lange Zeit ihre eigenen kleinen Schätze in Spalten und aufgebrochenen Wänden in diesem Hafen versteckt. Doch nie – wirklich nie – waren ihr nachts so viele Geräusche durch die Dunkelheit gefolgt!
Sinyar lauschte. Sie waren nah! Mist!
Was sollte sie tun? Die Gasse war zu breit, die Schatten der Wände reichten kaum, um sie einzuhüllen und neben ihr... Doch, da waren Kisten! Ein Glück.
Sie hockte sich hinter die Kisten und hielt den Atem an, als eine ganze Gruppe vor ihren Augen vorüber jagte. So viele!
»Wir sind da, hier ist das Lager.« Ein Klappern, unruhiges Schaben, dann knackte es und eine der hohen Lagertüren sprangen auf. »Es ist reichlich gefüllt.«
Sinyar knirschte mit den Zähnen. Ein Überfall? Das war nicht gut! Wenn sie entdeckt werden würden, würde es eine Untersuchung geben. Keine auslaufenden Schiffe am Morgen, mehr Wachen und keine Möglichkeit für sie, in eine andere Stadt zu gelangen!
Mist! So ein verdammter Mist! Heute musste auch wirklich alles schiefgehen!
»Großartig!« Die Schatten huschten in die Halle und plötzlich war da flackerndes Licht.
Sinyar stieß einen Fluch aus. Licht! Bei einem Überfall! Das war eine Katastrophe.
Sie presste das Buch an ihren Oberkörper und die Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Warum musste das alles heute passieren?
Zwei Schatten kamen zurück, eine Hand griff nach der Tür und für einen Moment, einen kurzen Moment nur, sah sie rote Haarsträhnen in der Nacht. »Ich werde hier warten.«
»Faylan?«, entfuhr es ihr. Es war ein Flüstern nur, nicht mehr und nichts, was er oder der andere gehört haben könnten – oder irgendwer. In ihren eigenen Ohren hingegen, da war es viel zu laut gewesen. Fast ein Schrei.
Sie wollte weiter, sollte weiter! Was Faylan hier mit dieser Gruppe anstellte, lag nicht in ihrem Interesse. Aber erneut waren da Schritte in der Dunkelheit und ein einziger Blick reichte aus, um zu bestätigen, was sie fürchtete: Es waren Wachen. Wieder. Waren heute mehr, als üblich unterwegs? Die Patrouillen, die sie kannte, hätten doch schon lange ihre Runden gedreht haben sollen! Seltsam.
Sinyar sah zur Lagerhalle, zum Licht mitsamt der Silhouette davor, die in eine ganz andere Richtung starrte und langsam in diese Richtung lief.
Für eine Warnung war es bereits zu spät.
Ich könnte... Sinyar atmete tief durch. Sie könnte den Gefallen erwidern. Sie war geübt darin, unauffällig zu werden und einfach zu verschwinden.
Außer heute Morgen. Sinyar knirschte mit den Zähnen und schob den Gedanken beiseite. Das war unglücklich gelaufen, mehr nicht und würde ihr kein weiteres Mal passieren.
»Dieses Geschmeide!« Geräuschvoll stieß sie gegen eine Kiste. Hoffentlich klappte es.
Sinyar rannte und direkt hinter ihr polterten die schweren Stiefel der Wachen über das Pflaster.
Es waren definitiv mehr, als üblich. Und mit anderer Ausrüstung. Ihre Bewegungen klangen anders.
Nichts als Hohn
Seine Hände wühlten durch die Kiste, in der seine Augen nichts weiter als Unrat entdecken konnten. Und trotzdem, Faylan hoffte, dass irgendwo im Inneren doch noch eine Überraschung auf ihn wartete. Irgendeine.
»Hier ist nichts.« Wühlen, Knurren, Fluchen und ein leises Rascheln.
»Aber es muss, es wurde uns zugesichert!« Hoch und spitz. So voller Empörung, Faylan wusste sofort zwischen all dem Rascheln und anderen gedämpften Stimmen, dieser Satz gehörte zu Mijil.
Er zog die Augenbrauen zusammen und ballte eine Hand zur Faust, als er erneut nur den dreckigen Boden unter Tuchschichten berührte.