Seelenhingabe - Anja Büdel - E-Book

Seelenhingabe E-Book

Anja Büdel

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Beschreibung

"Seelenhingabe" handelt von der magischen Anziehung zwischen Raphael und Susan, welche die männliche und weibliche Hälfte einer Seele sind. Susan ist ein emotionaler Herzmensch, während Raphael ausschließlich seinem Verstand folgt. Um aneinander zu wachsen und zu lernen sich bedingungslos zu lieben, verabreden sie sich in verschiedenen Epochen und Zeiten. Im 21. Jahrhundert ist Raphael ein berühmter spanischer Rockstar, dem die Groupies zu Füßen liegen. Zur gleichen Zeit verkauft Susan als frustrierter Dauersingle Hochzeitsanzüge. Völlig unerwartet begegnet sie sich eines Tages auf einem Festival. Sofort fühlen beide eine Liebe, die nicht von dieser Welt ist, denn sie wurde im Himmel geschmiedet. Kann sie ihm verzeihen, was er ihr im 16. Jahrhundert in Irland angetan hat? Als dann auch noch Marc Bernstein in ihr Leben tritt, der ihre Seele vor erneuten Verletzungen retten will, steht ihr Leben auf dem Kopf.

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Die Liebe selbst ist wie das Leben, kein stiller ruhiger Fluss, sondern ein Abenteuer voller Überraschungen und Wunder, man muss sie nur sehen wollen.

Anja Büdel

Dieses Buch widme ich allen, die an die heilende Magie der Liebe und die Unsterblichkeit der Seele glauben.

Mühelos wandelt sie zwischen den Zeiten und überlebt selbst den Tod.

Anja Büdel wurde 1974 in Karlstadt geboren. Seit ihrer Kindheit gehört ihre Leidenschaft der Literatur. Inspiriert vom Leben veröffentlichte sie 2013 ihren Debütroman: „Muss ich haben und zwar sofort“. „SEELENHINGABE“ handelt von der Sehnsucht, sein Glück mit jemandem zu teilen. Ein Leben ohne Liebe ist für sie wie ein Tag am Meer ohne Wellen und ohne Sonnenuntergang. Sie möchte die Leser ermutigen, ihre Träume wahr werden zu lassen und daran erinnern, dass alles was zählt, in uns selbst zu finden ist.

Inhaltsverzeichnis

Susans Spontanerleuchtung

Chaos auf der Erde

Die Liebe namens Melia Sanchez

Vor der Hochzeit ist nach der Hochzeit

Susans Sehnsucht nach Liebe

Liebe im Kopf

Ein Date ist ein Date ist ein Date

Das Festival

Der vertraute Fremde

Promis you love

Katzenjammer

Verwirrtes Mädchen

Irland

Paul

Mein neues Leben an Pauls Seite

Heimreise zu Gott

Frankreich, ich grüße Dich

Erneute Heimreise zu Gott

Deutschland, ich liebe Dich

Dauersingle

Weit weg von dir, ganz nah bei mir

Auf zu neuen Ufern

Abschied

Heimflug

Endlich Frieden

Hingabe

Gestörte Harmonie

Endspurt zum Glück?

Nachwort

SUSANS SPONTANERLEUCHTUNG

Zu dritt lümmeln wir auf meiner Single-Couch. Wir, das sind eine Flasche Rotwein, eine Tüte Chips und meine Wenigkeit, Susan Morgan. Ich schiebe mir meinen Frust- Snack zwischen die Zähne. Als ich gelangweilt durch das Fernsehprogramm zappe, lande ich mitten in einem Live-Konzert von Raphael Emporio de la Garcia. Schon wieder hat er sich hinterlistig wie eine Boden-Luft-Rakete in mein Leben geschlichen. In mir brodelt es.

Barcelona scheint ihm zu Füssen zu liegen. Er rockt die Bühne, die Kamera schwenkt näher und ich verliere mich in seinen Augen. Diese Vertrautheit, die ich nur bei ihm spüre, macht es mir unmöglich, ihn zu vergessen. Dummerweise stagniert mein Leben, während er die Welt erobert.

Zum wiederholten Mal frage ich mich, wo zum Teufel Karma steckt. Raphael hat mir nicht nur mein Herz gebrochen, er hat mir meine Seele geraubt. Wenn ich schlafe, schleicht sie sich manchmal zu ihm. Sie verlässt meinen Körper, fliegt über das weite Meer, verbindet sich mit seiner Seelenhälfte und lässt mich sprachlos zurück. Am nächsten Morgen tut sie so, als wäre sie nie weg gewesen.

Ich bade in Selbstmitleid, als mich schlagartig die Erkenntnis anspringt: Ich brauche einen Mann.

Womöglich würde mein Adoptivvater mit dem schrägen Namen Philipp River Ocean behaupten, ich wurde spontan erleuchtet. Angesichts der Tatsache, dass er mehr Gras an einem Tag raucht, als eine Kuh fressen kann, hält sich meine Aufregung über seine esoterischen Weisheiten in Grenzen. Für unsere deutsche Kleinstadt ist er eine Spur zu openminded.

Im Alter von zwei Jahren zog ich mit meiner Familie von London in den Geburtsort meiner Mutter. Während andere Väter ihre Töchter samstags zu Kaffee und Kuchen einladen, erscheint er mit einem selbstgedrehten Joint pünktlich um 15 Uhr vor meiner Haustüre. Es ist seine seltsame Art mir zu zeigen, dass er mich vermisst, nachdem ich von zuhause ausgezogen bin.

Da ich ihn nicht beleidigen will, sitzen wir dann zu zweit, eingepfercht wie die Ölsardinen, auf meiner Einsitzer-Couch und rauchen einen auf unser verkorkstes Leben. Was uns verbindet, ist die Sehnsucht nach Liebe. Was uns unterscheidet, ist die Lösung dieses Dilemmas. Philipp River Ocean gibt sich leidenschaftlich hin, während ich mich nur halbherzig öffne, um mein verwundetes Herz zu schützen.

Mir ist inzwischen bewusst, dass ich vor unendlich langer Zeit einen Vertrag mit meiner Seele geschlossen habe, der mich daran hindert einem männlichen Wesen mein Vertrauen zu schenken. Liebe ohne Hingabe ist wie Pommes ohne Ketchup oder Sex mit dem Ex, ich kann darauf verzichten. Allerdings bin ich endlich soweit, dass ich mich hingeben will, ob ich es kann, steht auf einem anderen Blatt. Mein Herz sehnt sich nach Liebe, doch mein Verstand klopft sich lachend auf die Schenkel und meint: „Vergiss es einfach! Wahre Liebe gibt es nur im Märchen“, woraufhin meine Vagina zustimmend ruft: „Alles Schweine, die wollen nur das Eine!“

Plötzlich wird mein Wohnzimmer von einem gleißenden Licht durchflutet. Vielleicht hätte ich die Flasche Rotwein nicht allein trinken sollen.

Vor mir steht ein Mann mit einem weißen Rauschebart. Ein blauer Mantel verhüllt seinen mächtigen Körper, problemlos füllt er den halben Raum aus.

Mir bleibt die Spucke weg. Verwundert starre ich ihn an und lausche seinen Worten.

„Bedingungslose Liebe findest du nur bei mir, deinem Schöpfer, im Himmel. Es ist die Zeit gekommen, deine Seele zu heilen. Vertrau mir und genieße die irdische Liebe mit all ihren Höhen und Tiefen. Gib dich dem nächsten begehrenswerten Mann, der deinen Weg kreuzt, hin. Dein alter Seelenvertrag ist von nun an ungültig.“

Meine Chipstüte segelt zu Boden. Es wird dunkel im Raum. Genauso schnell wie Gott sich in mein Zimmer gebeamt hat, ist er auch schon wieder verschwunden.

Ich schnappe mir die leere Flasche Rotwein, schlüpfe in meine Regenstiefel und verlasse das Haus. Regentropfen bahnen sich einen Weg durch meine langen braunen Haare und rinnen in meinen Ausschnitt. Mir ist warm und kalt zugleich, Gänsehaut breitet sich aus.

Kein Mensch ist weit und breit zu sehen, nur meine Weinflasche und ich stehen verlassen auf der Straße, wie bestellt und nicht abgeholt. Susan Morgan, die Gott gesehen, aber ihn dummerweise nie gesucht hat. Wofür ich mich gerade erbärmlich schäme. Ich kann nicht glauben, dass mir der allmächtige Vater in meiner bescheidenen Hütte erschienen ist.

So viel Elend auf der Welt, hungernde Kinder in Afrika, Katzen in Versuchslaboren. Warum besucht er ausgerechnet mich? Obwohl ich allein bin, fühle ich mich das erste Mal in meinem Leben nicht einsam. Diese innere Ruhe, die mich nun erfüllt, schulde ich meinem Schöpfer. Ich schlage ein Kreuzzeichen, schicke ihm eine Kusshand in den Himmel und flüstere voller Demut: „Danke.“

Wie in Zeitlupe drehe ich mich um und vergewissere mich, ob mich auch niemand gesehen hat. Die Leute unserer Kleinstadt wissen, dass ich außergewöhnlich bin, deshalb muss ich es ihnen nicht bei jeder Gelegenheit bestätigen. Ich versenke die Flasche mit viel Lärm im Glascontainer und beschließe Gottes Rat zu befolgen und mich hingebungsvoll zu verlieben. Dieses Mal soll es so ein spießiges „Für immer Dein“ werden. Bildhaft stelle ich mir vor, wie wir uns wegen Kleinigkeiten streiten und danach das gesamte Kamasutra üben, um uns gegenseitig zu beweisen, dass eine geöffnete Zahnpastatube unsere Beziehung nicht sprengen kann. Abends, wenn ich wieder einen ätzenden Tag bei Dedmond & Dedmond hinter mich gebracht habe, wird seine Anwesenheit mir zeigen, dass er mein zu Hause ist und es sich lohnt, Hochzeitsanzüge zu verkaufen, die ein längeres Haltbarkeitsdatum haben, als jede zweite Ehe, da ich meine Wurzeln gefunden habe und an ein für immer glaube. Er darf mich auch schwängern, wenn er mich in mehrfacher Ausführung ertragen kann.

Aufgeregt gehe ich in die einzige Bar, die unser verschlafenes Nest zu bieten hat und setze mich an den Tresen. Ich schaue mich suchend um und frage mich, wie ich es anstellen soll, in dieser trostlosen Prärie einen Mann kennenzulernen, dem ich nicht schon im Kindergarten auf den Sack gegangen bin. Beschämt blicke ich zum Himmel und murmle: „Entschuldigung, auf den Keks gegangen bin, wollte ich sagen.“

CHAOS AUF DER ERDE

„Jesus, hast du mal fünf Minuten?“

„Vater, du weißt doch, dass gerade Chaos auf der Erde tobt.“

„Mein Sohn, ich möchte dich auf den neuesten Stand bringen.“

„Um wen geht es?“, fragte Jesus Christus aus Nazareth.

„Susan Morgan“, antwortete Gott.

„Diesen Namen gibt es weltweit 45 Mal, nein 44. Eine hat gerade die Heimreise angetreten. Das Autofahren muss sie im nächsten Leben noch mal lernen“, meinte Jesus traurig.

„Mein Sorgenkind ist Nr. 36. Im 21. Jahrhundert lebt sie in Deutschland. Inzwischen ist sie 27 Jahre alt. Du musst dich an sie erinnern. Sie war im 16. Jahrhundert in dieses Drama mit Ian Walsh verstrickt.“ Gott fuhr sich durch seine lange Mähne.

„Ah, natürlich, die beiden sind Dualseelen. Er hatte damals dieses Casanova-Syndrom. Was ist aus ihm geworden?“

„Er heißt nun Raphael Emporio de la Garcia und lebt und liebt in Barcelona. Sein Alter beträgt 29 Jahre, er ist der typische Rockstar. Die Groupies verehren ihn wie die Motten das Licht.“

Jesus war bestürzt. „Sie haben ihn zu ihrem Gott gemacht.“

„Das haben sie, leider“, gestand der Schöpfer.

„Lass mich raten. Er benutzt ihre Liebe...“

„... und beherrscht inzwischen das gesamte Kamasutra“, erwiderte Gott.

„Die Frauen weinen sich die Augen aus, wenn er sie eiskalt abserviert. Vater du musst ihn stoppen!“

„Raphael hat in den letzten 400 Jahren seine Verführungskünste verfeinert. Um seine Auserwählte zu verzaubern, studiert er ihre Sehnsucht, befriedigt ihren Mangel, umgarnt sie mit Komplimenten oder überhäuft sie mit exklusiven Geschenken. Wie ein Chamäleon passt er sich der Situation an.“

„Das heißt, er ist erfolgreich.“

„Seine Trefferquote liegt bei 99%.“

„O Gott! Wer ist die Standhafte, die sich ihm verweigert hat?“

„Donna Miguel, 19 Jahre jung, wunderschön und lesbisch. Raphael wundert sich noch heute.“

„Hat er ein bestimmtes Beuteschema?“

„Sie muss attraktiv sein, im Alter zwischen 18 und 38. Sexuell sollte sie zur absoluten Hingabe bereit sein. Ansonsten ist er für alles offen.“

„Vater, was genau meinst du damit?“

„Seine Fantasie kennt keine Grenzen. Im Moment lebt er diese mit der Frau seines allerbesten Freundes aus. Sie haben unglaublich viel Spaß zusammen. Davor vergnügte er sich mit einer Ordensschwester eines Klosters in Barcelona.“

„Sie hat ihr Keuschheitsgelübde gebrochen?“

„Ja, sie hat sich ihm hingegeben.“

„Großer Gott, wie konnte es soweit kommen?“

„Raphael gab sich als ihr Hausarzt aus und weihte sie in die Liebe ein. Schwester Franziska war entzückt. Es war nicht die erste Jungfrau, die er verführt hat, allerdings stand sie unter meinem besonderen Schutz, bevor er sie in andere Galaxien entführte.“

„Satan muss seine Hände im Spiel haben!“

„Mein Sohn, er amüsiert sich köstlich. Für die Unterwelt ist das ein gefundenes Fressen. Eine Nonne, die der Sünde verfällt. Sie feiern Raphael als ihren neuen Helden.“

„Wir müssen ihn auf unserer Seite ziehen. Es ist eine Schande, dass ein Gotteskind der Hölle dient.“

„Leider mangelt es vielen Frauen an Aufmerksamkeit und Abwechslung, sie sind gelangweilt. Raphael zeigt ihnen eine andere Welt.“

„Wie viele hat er in seinen Bann gezogen?“

„Bei 800 habe ich aufgehört zu zählen. Dieser britische Sänger, der wirklich jede haben kann, ist sein großes Vorbild.“

„Die Musikszene ist und bleibt spannend.“

„Du sagst es, mein Sohn. Raphael kennt keine Moral, Scham ist für ihn ein Fremdwort.“

„Er ist seinem Verlangen ausgeliefert.“ Jesus zupfte nachdenklich an seinem Bart.

„Ja, er ist davon besessen, unbefriedigte Frauen süchtig nach seiner Aufmerksamkeit zu machen. Sex ist seine Droge.“

„Vater, ich muss es mit eigenen Augen sehen. Wo hält er sich auf?“

„Raphael trifft sich heute mit seiner Geliebten Gabriela um Punkt 16:00 Uhr in einer kleinen Kapelle, mitten in Barcelona.“

„In einer Kapelle?“

„Genauer gesagt, im Beichtstuhl.“

„Wozu?“ Jesus verstand die Welt nicht mehr. Mit seinen Latschen versank er bis zum Sprunggelenk in einer Wolke.

„Um ihre Einsamkeit zu vertreiben und seinen Trieb auszuleben.“ Gott zwirbelte seinen Bart.

„In einem Gotteshaus?“, raunte Jesus empört.

„Raphael liebt den Kick und sie wird ihr Leben lang an diese verrückte Nummer denken“, Gott konnte sich ein Lächeln beim besten Willen nicht verkneifen.

„Ein seltsamer Ort, um sich zu vergnügen.“

„Ja, wo ein Wille ist, ist auch ein Gotteshaus“

„Papa!“ Jesus legte seine Stirn in tiefe Falten.

„Mein Sohn, wo ist dein Humor geblieben? Wenn du zornig bist, muss ich Donner auf die Erde schicken.“

„Vater, er amüsiert sich an einem Ort, der den Gläubigen vorbehalten ist. Raphael macht ihn zu seinem Freudenhaus. Es ist Sünde und Gotteslästerung zugleich.“ Jesus Augen blitzten.

„Ich weiß, danach wird er in der ersten Reihe knien, ein Vaterunser beten, und mich um Verzeihung bitten.“ Gott stieg die Stufen seines Thrones hinab und küsste seinen Sohn auf die Stirn.

„Bist du sicher, dass sie erscheinen wird?“

„Er hat sich bereits ihn ihrem Kopf eingenistet. Gabriela ist ihm verfallen und zur Hingabe bereit. Sie wird ihrem Ehemann erzählen, dass sie sich mit einer Freundin zum Tennis trifft. Julio wird sich weder über ihren kurzen Rock noch über ihr verschwitztes Shirt wundern, wenn sie gut gelaunt nach Hause kommt.“

„Wurde Raphael jemals in flagranti erwischt?“

„Nein, er verschwindet genauso schnell, wie er auftaucht. Die Frauen wissen nie, ob er sie erneut beglücken wird. Dieses Mysteriöse erweckt eine unwiderstehliche Leidenschaft in ihnen. Außerdem besitzt er eine extreme Ausdauer, wenn es darum geht, die sexuellen Wünsche seiner Liebhaberinnen zu befriedigen“, erwiderte Gott und schnürte die Kordel seines blauen Mantels enger.

„Es ist bestimmt nicht nur sein Auftreten. Ich beobachte seit Jahren die Entwicklung des world wide webs. Es ist Gift für jede Beziehung und trennt die Menschen voneinander.“

„Mein Sohn, du hast Recht. Ich kann den technischen Fortschritt nicht mehr stoppen. Ich habe den Menschenkindern bewusst auf allen Ebenen absolute Entscheidungsfreiheit gegeben. Ihre Liebe zu mir soll freiwillig sein. Anstatt zu meditieren und meine Nähe zu suchen, verschwenden sie ihre kostbare Zeit auf pornografischen Seiten. Die Erdbewohner sind süchtig danach. Wenn sie doch nur erkennen würden, dass meine Liebe bedingungslos ist.“

„Erzähle mir mehr über Raphael.“ Jesus setzte sich im Schneidersitz auf Wolke sieben.

„Ehrlich gesagt, ist es eine Wonne, Raphael beim Liebesspiel zu beobachten. Stundenlang zelebriert er die Vereinigung. Es gleicht einer Symphonie zweier Körper, die harmonisch ineinander gleiten. Er gibt sich regelrecht hin und lebt hemmungslos aus, was ich den Menschen immer gepredigt habe, liebt einander. Wenn er sich einfach für eine Frau entscheiden könnte! Stattdessen hinterlässt er ein Gefühlschaos ohnegleichen. Das Geheimnis seines Erfolges heißt Tantra. Die Inder waren leider schneller als wir. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich dafür sorgen, dass diese Liebeskunst auf unserem Mist gewachsen wäre.“

„Meinst du das ernst?“

„Jesus, schau es dir an. Es ist wunderbar. So anders als dieser fast food Sex, Quickies nennen es die Menschen. Ich finde diese schnelle Nummer erbärmlich. Wie soll die Frau dabei auf ihre Kosten kommen?“

„Da fragst du den Falschen.“ Jesus Wangen glühten.

„Leider muss ich gestehen, Raphael ist ein Meister auf seinem Gebiet und daher unwiderstehlich.“

„Du liebst ihn.“ Jesus rückte seine Dornenkrone zurecht.

„Natürlich! Ich liebe alle meine Kinder. Meinst du, ich sehe nicht, dass er mich jede Woche in der Sacrada Familia besucht?“

„Es ist sein hilfloser Versuch, Buße zu tun.“ Jesus bestieg den Thron seines Vaters und betrachtete die aufgehende Sonne, welche den Himmel in goldenes Licht tauchte.

„Nein, ich spüre, dass seine Zuneigung mir gegenüber aufrichtig ist. Er verehrt mich aus tiefster Seele. Leider kann Raphael seinen Trieb nicht kontrollieren, er ist ihm ausgeliefert.“

„Was macht dich so sicher, dass er dich wahrhaftig liebt?“, fragte Jesus, während Rom erwachte. Frauen in Miniröcken und Highheels brausten auf ihren Vespas durch die Gassen der ehrwürdigen Stadt.

„In ihm ist eine große Einsamkeit. Ich allein sehe seine Tränen. Als Zeichen seiner Treue zu mir, hat er sich das Gemälde „Das letzte Gericht“ von Michelangelo über den gesamten Rücken tätowieren lassen. Er hofft auf meine Gnade. Tragischerweise findet Raphael auf der Suche nach Geborgenheit nur Sex.“

„Warum schickst du nicht Moral auf die Erde?“

„Sie hat mit den Bordellen genug zu tun. Ich habe einen anderen, todsicheren Plan.“

„Nicht schon wieder eine Überdosis Kokain. Raphael ist zu alt für den Club 27.“ Jesus schlug ein Kreuzzeichen.

„Wo denkst du hin? Für solche Sachen ist Satan zuständig. Meine Waffe heißt Melia Sanchez.“ Gott strahlte über das ganze Gesicht. Sonnenstrahlen durchfluteten Europa.

„Ich erinnere mich. Erzengel Gabriel modellierte ihren Körper wochenlang. Schließlich wollte er sie gar nicht auf die Erde lassen.“

„Sie ist seine Meisterleistung. Ihr Gesicht ist fantastisch und dieser unglaubliche Hintern!“, schwärmte Gott in den höchsten Tönen.

„Du benutzt Liebe um Raphaels Sexsucht zu heilen?“, Jesus verstand den Himmel nicht mehr.

„Ja, sie ist die stärkste Energie im Universum. Ich setze meine ganze Hoffnung auf sie.“

„Deine Strategie ist gut durchdacht. Raphael wird ihr kaum widerstehen können. Zudem ist sie selbstbewusst genug, nur jemandem ihr Herz zu schenken, der sie auf Händen trägt.“

„Raphael durchlebt das gleiche Drama wie Susan Morgan. Seit diesem tragischen Vorfall in Irland vor 400 Jahren, als er Ian Walsh hieß, verrennen sich beide in seichte Romanzen.“

„Vater, du musst ihre Seelen retten.“

„Ich habe mit Susan bereits gesprochen, sie ist zur Hingabe bereit.“

„Wer ist der Glückliche?“

„Marc Bernstein.“

„Guter Gott, du weißt doch, dass er mit Kristin Schneider verlobt ist.“

„Eine katastrophale Fehlentscheidung!“ Gott schüttelte entsetzt den Kopf.

„Du schlägst sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe?“

„Drei, ich rette Marc vor einer kostspieligen Scheidung und Kristin vor einer unglücklichen Ehe.“

„Wenn er sich denn für Susan entscheidet. Kristin hat bereits ihr Brautkleid bestellt.“

„Keine leichte Mission, ich weiß, Jesus. Amor hat sich bereits auf den Weg gemacht. Der Arme wird wohl Überstunden machen müssen. Leider hat die Hölle Wind von meinem Vorhaben bekommen. Eifersucht hält sich bereit, um sich an Kristins Fersen zu heften und packt gerade ihre Koffer. Rache muss sich noch etwas gedulden.“

„Geliebter Vater, ich kann ehrlich gesagt deine Wahl nicht nachvollziehen. Marc ist ein Spieler, Susan die Unschuld vom Lande.“

„Gegensätze ziehen sich an. Er kann sie sexuell in andere Dimensionen befördern, während sie aus ihm einen besseren Menschen machen wird.“

„Wenn du nicht der Schöpfer des gesamten Universums wärst, würde ich sagen, dein Wort in Gottes Ohr.“

In Paris füllten sich die Bistros.

Jesus atmete den Duft der Croissants ein. Nebel bedeckte die Stadt der Liebe, einzig die Spitze des Eiffelturms ragte neckisch aus dem Dunst hervor.

„Ich frage mich, wo du im letzten Jahr mit deinen Gedanken warst. Susan Morgan hat schon lange ihre Unschuld verloren und sich im Garten der Liebe verirrt.“

„Ich sprach von ihrem Herzen, Vater. Sie ist ein reines Geschöpf. Du kennst die schmutzige Fantasie Marc Bernsteins!“

„Tatsächlich hat er eine lebhafte Vorstellung, was den weiblichen Körper angeht. Sie werden sich gegenseitig heilen, wenn sie zur Hingabe bereit ist.“

DIE LIEBE NAMENS MELIA SANCHEZ

„Vater, hast du Melia in ihre Aufgabe eingewiesen?“

„Mein Sohn, ich möchte, dass du es übernimmst, Liebe auf ihr Tätigkeitsfeld vorzubereiten.“

„Dein grenzenloses Vertrauen ehrt mich. Ich werde dich nicht enttäuschen.“

„Das weiß ich, Jesus. Es wird deine bisher größte Mission. Vergiss nicht, wir schicken die bedingungslose Liebe auf die Erde. Sie soll ihre heilsamen Schwingungen wie ein Lauffeuer über alle Kontinente verteilen. Jeder der mit ihr in Kontakt kommt, wird geblendet sein von ihrer Ausstrahlung.“

„Guter Gott, wie muss sie sich verhalten, dass Raphael ihren Reizen erliegt?“

„Sie muss ihm gegenüber unnahbar, verführerisch, leidenschaftlich und gebildet zugleich sein!“

„Ein lebendiges Aphrodisiakum!“ Schweißperlen zeichneten sich auf Jesus Stirn ab.

„Du sagst es, mein Sohn. Sie wird ihn regelrecht um den Verstand bringen.“

„Wie lange kann sie ihn zappeln lassen, ohne dass er sein Interesse verliert?“

„Zwölf Monate. Sie muss mit ihm Katz und Maus spielen, bis sie das einzige Ziel seiner Begierde ist und er der Liebe verfällt.“

„Diese Operation wird mir ein Vergnügen sein, Vater.“

„Ich weiß, Jesus. Solange du Melia auf Raphael vorbereitest, kümmere ich mich um Susan. Erst wenn sie Marc an der Angel hat, lösen wir Raphaels Problem. Melia wird ihm den Himmel auf Erden bereiten. Er ist und bleibt mein geliebter Sohn, deshalb hat seine Seele die Ruhe verdient, die Melia ihm schenken wird, sollte er sich für sie entscheiden.“ Zufrieden lächelte Gott von seinem Thron während zur gleichen Sekunde Menschen ihren Körper verließen und die Heimreise antraten.

„Wie kann ich Melia auf ihren Einsatz vorbereiten?“

„Konfrontiere sie mit den charmantesten Männern des Himmels. Schicke sie erst nach unten, wenn sie allen widerstanden hat. Belohne sie für ihre Standhaftigkeit mit Friseurbesuchen und Dessous. Behandle bedingungslose Liebe wie eine Göttin, denn das ist ihr Wesen.“

„Ehrlich gesagt kann ich nicht glauben, dass Susan Morgan und Raphael Emporio de la Garcia Dualseelen sind. Allmächtiger Vater, was hast du dir dabei gedacht, als du ihre Seelen bei der ersten Inkarnation auf der Erde geteilt hast?“

„Die beiden werden sich eines Tages unsterblich ineinander verlieben. Was zusammengehört, findet zusammen.“

„Das versprichst du mir seit 400 Jahren.“ Wolken verdunkelten die Erde.

„Mein Sohn, wie du weißt, ist es meine göttliche Pflicht, sämtliche Seelen in zwei Hälften zu teilen, um ihre lebenslange Sehnsucht nach Ganzheit zu schaffen. Ohne Mangel kein Begehren und keine Liebe. Würden die Menschen mit einer Seele, die das männliche und weibliche Prinzip zu gleichen Teilen beinhaltet, geboren werden, könnte die magnetische Anziehung zwischen den Geschlechtern nicht funktionieren.“

„Guter Gott, du siehst, was du damals in Irland bei Raphael und Susan angerichtet hast. Beide können sich nicht ausstehen, weil sie die gleichen Fehler haben.“

„Nur solange, bis sie gelernt haben, sich selbst bedingungslos zu lieben. Jesus, vertraust du deinem eigenen Vater nicht mehr?“

„Du stattest die Frauen mit Gefühl aus und die Männer mit Vernunft. So leiden beide. “

„Niemand hat behauptet, dass der Dualseelenweg einfach ist, mein Sohn.“

„Wann werden sie endlich zueinander finden?“

„Wenn wir Glück haben in 298 Jahren, im Laufe ihrer letzten Inkarnation. Es wird so fantastisch, dass sie sich fragen werden, warum sie sich zuvor nicht lieben konnten.“

„Ich kann es kaum erwarten. Eine Dualseelenliebe ist unglaublich schön“, freute sich Jesus.

„Übrigens, ich habe Susan und Raphael vor wenigen Wochen bei diesem Festival in Deutschland aufeinandertreffen lassen. Es war göttlich.“

„Oh nein, erzähle! Wie hat sie reagiert?“

„Wie alle Dualseelen, denen ich die seltene Chance gewähre, ihre zweite Seelenhälfte kennenzulernen. Du weißt, nur mutige Seelen, die mir vor ihrer Geburt im Himmel ihr Einverständnis gaben, begegnen sich eines Tages auf der Erde.“

„Spann mich nicht auf die Folter! Ist sie seinem Charme verfallen?“

„Nun ja, erst fand sie ihn übergalaktisch gut und wäre ihm bis ans Ende der Welt gefolgt...“

„... um ihn kurz darauf in die Wüste zu schicken, weil er ihr unglaublich ähnlich ist, und sie keine Lust darauf hatte, ihre Fehler von ihm präsentiert zu bekommen“, sinnierte Jesus.

„Leider nein. Sie wollte ihn unbedingt kennenlernen, war fasziniert von ihm. Dummerweise ließ er sie gnadenlos fallen.“

„Schade.“

„Trotzdem hat mein Plan funktioniert. Ihre Seelen haben sich wiedererkannt, somit hat der Heilungsprozess bei beiden begonnen. Wenn sie bereit sind, die Vergangenheit ruhen zu lassen und mit Gottvertrauen und Hingabe ihrem Leben einen tieferen Sinn geben, wird ihr Leben einen Wandel erfahren.“

„Dann hoffen wir das Beste, Vater.“

„Unter meinen Händen wurde ihre Liebe im Himmel geschmiedet, sie ist nicht von dieser Welt. Solange beide im Ego verhaftet sind, kann ich sie unmöglich miteinander vereinen. Trotz der Sehnsucht, die Susan und Raphael antreibt, muss ich ihre Seelen schützen, bis sie gelernt haben, sich und alles was sie umgibt, bedingungslos zu lieben.“

„Es frustriert mich, dass die beiden nicht zueinander finden. Sie wissen nicht, wie schön die Liebe sein kann.“ Jesus schaute betrübt. Regen flutete Asien.

„Nicht mehr lange, dann kommen Melia und Marc ins Spiel. Ich habe Susan und Raphael erneut auf die Erde geschickt, um ihre Wunden aus vergangenen Leben zu heilen. Sie haben sich diese Verletzungen selbst zugefügt. Ich lasse meinen Kindern bei sämtlichen Entscheidungen die maximale Freiheit, doch nun muss ich eingreifen. Es ist an der Zeit, dass beide zu ihrem wahren göttlichen Selbst zurückkehren und heil werden.“

VOR DER HOCHZEIT IST NACH DER HOCHZEIT

14. Dezember 2013

Seltsamerweise traf ich Marc Bernstein das erste Mal, als dieser seinen Hochzeitsanzug im exklusivsten Herrenausstatter-Geschäft der Stadt kaufen wollte.

Seit Jahren war ich die Topverkäuferin dieses Ladens, der Menschen mit Stil, Geld und einem oftmals übersteigerten Selbstwertgefühl magisch anzog. Die meisten Kunden waren erfolgsverwöhnt, jedoch keinesfalls erfüllt, denn es mangelte ihnen an Dankbarkeit und Demut.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass Marc mein Leben komplett auf den Kopf stellen würde, denn er war mit Kristin Schneider, der Tochter des Bürgermeisters, verlobt.

Nachdem die zukünftige Braut selbst am fünfzehnten Outfit des Bräutigams etwas auszusetzen hatte, lagen meine Nerven blank. Mit Sicherheit war Kristin die schwierigste Kundin, die ich je betreut hatte. Aus jahrelanger Erfahrung und guter Kenntnis des Sortiments wusste ich, dass sämtliche Anzüge, die ich Marc angeboten hatte, hochwertig waren. Nicht umsonst war ich die Verkäuferin mit den höchsten Umsatzzahlen bei Dedmond & Dedmond. In jedem Zweiteiler sah er umwerfend aus, denn seine maskuline Schönheit, verkörperte pure Sinnlichkeit. Die Kleidung unterstrich seine Vorzüge, stellten ihn jedoch nicht in den Hintergrund.

Ich musterte ihn. Dieser Mann entsprach definitiv meinem Beuteschema. Leider war ich nicht auf der Jagd, sondern auf der Arbeit. Tief ein- und ausatmend versuchte ich mich zu beruhigen. Seltsamerweise hatte er etwas Unnahbares, Animalisches an sich, das meinen Sexualtrieb, den ich bisher unter Kontrolle hatte, anspornte.

Anscheinend spürte er meine Nervosität. Marc überprüfte den Sitz seiner Krawatte, zog deren Knoten enger und lächelte mich dabei neckisch an, als wäre er sich seiner Wirkung auf mich bewusst. Gekonnt spielte er mit meinen Gefühlen. Mein Puls raste. Da Kristin sich von einer anderen Verkäuferin beraten lies, taxierte er mich selbstbewusst.

„Wie gefalle ich Ihnen in dem Anzug?“

„Gut, er steht Ihnen perfekt.“ Angestrengt versuchte ich nicht euphorisch zu klingen. Insgeheim war ich begeistert. In diesem Outfit hatte er Chancen der „sexiest husband alive“ zu werden.

„Wir beide wissen, dass gut nicht gut genug für meine Frau ist. Bringen Sie mir eine Kombination, die sie aus den Socken haut! Ich möchte, dass meine Braut stolz auf mich ist.“

Entgeistert starrte ich ihn an. Meiner Meinung nach war eine Steigerung nicht mehr möglich. Marc Bernstein sah umwerfend aus. Ich zögerte.

„Was genau ist Ihr Problem?“ Seine Augen fixierten meine. Geduld schien nicht seine Stärke zu sein.

„Sie haben bereits sämtliche Anzüge der oberen Preisklasse anprobiert“, redete ich mich aus der Misere.

„Wenn ich Ihrer Meinung nach, in diesen Anzügen nur gut aussehe, dann sind wir im falschen Laden“, verkündete er überzeugt.

„Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt. Sie sehen fantastisch aus“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

Ein amüsiertes Lächeln umspielte sein Gesicht. Sofort erinnerte er mich an eines dieser Models aus der Werbung. Im Prinzip war er zu schön für diese Welt. Wenn nicht diese eine Narbe unter seinem rechten Auge wäre. Doch genau dieser Makel machte ihn menschlich. Obwohl er so tat, als würde er meilenweit über den Dingen stehen, zeugte dieser Schönheitsfehler davon, dass auch er in der Vergangenheit seine Lektion vom Leben erteilt bekommen hatte. Kritisch spielte er mit den Manschettenknöpfen, die seine Männlichkeit perfekt unterstrichen.

„Ich möchte ein anderes Hemd anprobieren“, befahl er mit einer Stimme, die mir sagte, er war es gewohnt, dass alle nach seiner Pfeife tanzten.

Zu meinem Erstaunen zog er sich vor meinen Augen um. Gekonnt öffnete er mit beiden Händen den festen Sitz der Krawatte.

Ich malte mir aus, wie es wäre, wenn seine Finger über meine Haut streicheln würden. Mein Instinkt sagte mir, er würde mich derart beherrschen, dass ich unter seiner Berührung zerfließen würde.

Überheblich ließ er die Halsbinde mit spitzen Fingern zu Bodenfallen. Ein Lächeln umspielte seinen sinnlichen Mund.

Augenblicklich wurde mir heiß und kalt zugleich. Seine arrogante Art verunsicherte mich, törnte mich jedoch in gleichem Masse an. Zwischen uns vibrierte die Luft, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Verwirrt starrte ich auf die Fliesen, überlegte, ob ich die Krawatte aufheben sollte, oder nicht. Ein Schwarm wild gewordener Schmetterlinge machte sich in meiner Magengegend breit. Niemals zuvor hat mich ein männliches Wesen derart verunsichert. Dieses Schmunzeln gab mir den Rest. Seine Geste war unverschämt. Offensichtlich wollte er mich provozieren.

Mit verschränkten Armen stand er vor mir, lehnte sich lässig an den Türrahmen einer Kabine und räusperte sich.

Deutlich spürte ich die Spannung zwischen uns und brannte lichterloh. Nachdem sein Parfüm mir anscheinend den Verstand raubte, genoss Marc meine Hilflosigkeit. Zufrieden spielte er mit meiner unschuldigen Art.

Sein Blick fiel auf die Krawatte, welche vor meiner Schuhspitze lag, wanderte meinen Beinen entlang, hoch über meinen Busen und verharrte auf meinem Mund.

Inzwischen fühlte ich mich wie ein Objekt, da er mich offensichtlich mit seinen Augen auszog. Vorsichtig ging ich in meinen Stilettos und dem pechschwarzen Bleistiftrock vor ihm in die Knie.

Sein Blick scannte mich gnadenlos ab.

Nervös griff ich nach der Krawatte, um sie aufzuheben. Als ich zu ihm hochschaute, verlor ich beinahe die Fassung.

Marc begutachtete im Spiegel meinen Hintern.

Verrückterweise ließ mich sein männlicher Duft an durchwühlte Bettwäsche nach einer leidenschaftlichen Nacht denken. Sehnsuchtsvoll wanderte mein Blick über seine blankpolierten Schuhe, zu seiner Brust und endete an seinem markanten Kinn.

Unentwegt lächelte er mich an. Sein überheblicher Gesichtsausdruck verwandelte sich und wurde plötzlich weich. Galant reichte er mir seine Hand und zog mich auf seine Augenhöhe. „Entschuldigung, ich wollte Ihnen keine Umstände machen.“ Sein Blick ruhte auf meinen Lippen.

Wütend funkelte ich ihn an.

„Der Anblick hat sich gelohnt. Ihr Hintern ist bezaubernd. Es reizt mich, von Ihnen bedient zu werden.“ Aus seinen Augen blitzte Lust.

Wäre er kein Kunde, müsste ich ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen oder ihn vernaschen. Beides würde mich befriedigen. Perfekt wäre eine Kombination aus harter Vorhand und sanfter Verführung. Niemals zuvor hatte mich ein Kunde so unverschämt behandelt und nie fühlte ich, was ich gegen meinen Willen in diesem Moment fühlte. Ich wünschte mir, er würde dieses Spiel fortführen. Ohne dass er mich berührt hatte, stand ich in Flammen.

Aus heiterem Himmel war Kristin neben Marc. Besitzergreifend legte sie ihre Hand auf seinen Hintern. „Ich weiß nicht, ob Dedmond & Dedmond das richtige Geschäft für uns ist. Lass uns woanders einkaufen gehen.“

„Auf keinen Fall. Ich fühle mich hier Zuhause.“ Erstaunt schaute Kristin ihn an. „Wirklich?“

„Wirklich. Ich bin noch nie so charmant beraten worden. Wir sind in diesem Laden goldrichtig. Glaub mir“, versicherte er seiner Verlobten.

Kristin warf mir einen bitterbösen Blick zu. Eiskalt musterte sie mich von Kopf bis Fuß.

Selbstbewusst hielt ich ihrer Begutachtung stand. Ich habe lediglich meinen Job getan und war mir keiner Schuld bewusst. Warum Kristin nicht sah, dass sie den attraktivsten Mann des Universums an der Angel hatte, war mir ein Rätsel.

„Wie ist Ihr Name?“

„Morgan.“

„Da wir nun oft miteinander zu tun haben, möchte ich wissen, wer mich bedient“, erwiderte Kristin.

Ich setzte mein charmantestes Lächeln auf und dachte mir: Auf in den Kampf.

„Frau Morgan, haben Sie einen Anzug, der dunkler ist? Ich möchte ein intensives Schwarz.“ Mal war das Schwarz des Stoffes nicht schwarz genug, mal lag der Stoff nicht geschmeidig in ihren Händen.

„Marc, dreh dich mal um!“ Kritisch betrachtete sie seinen Hintern.

Was ich sah, war ein perfekt geformter Po. Genüsslich ließ ich meinen Blick länger als nötig auf seiner Kehrseite ruhen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.

„Dein Hintern kommt nicht richtig zur Geltung.“ Kristin blickte ebenfalls auf seinen verlängerten Rücken.

Ungläubig starrte ich sie an. Tatsächlich habe ich tausende Hintern in Anzügen gesehen. Das hier war mit Abstand der geilste Arsch des gesamten Universums. Dankbar gratulierte ich Gott zu dieser Meisterleistung. Hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen, schlüge sie mir ihre Designer-Handtasche, die teurer als mein Auto war, so lange um die Ohren, bis ich das Gegenteil behaupten würde. Es war zum Haare raufen. Ehrlich gesagt, konnte ich nicht glauben, dass Marc diese Tussi liebte.

Der zukünftige Bräutigam ließ das Procedere, ohne mit der Wimper zu zucken, über sich ergehen.

Als nach mehreren Anläufen ein Anzug akzeptiert wurde, ging das Drama bei der Krawattensuche weiter. Das gute Stück musste zu einhundert Prozent dem Farbton des Brautstraußes entsprechen, und zu den Kleidern der Blumenkinder passen. Lediglich ein italienischer Top-Designer kam in Frage, denn Kristin kaufte ausschließlich Kleidung dieses Labels.

SUSANS SEHNSUCHT NACH LIEBE

Geliebtes Tagebuch,

du wirst es nicht glauben. Mir ist tatsächlich ein Mann begegnet, der mich sprachlos macht. Ehrlich gesagt, hatte ich die Hoffnung aufgegeben, jemanden zu treffen, der mich Raphael vergessen lässt.

Warum mir das Universum ausgerechnet Marc Bernstein schickt, der Kristin Schneider heiraten will, ist mir ein Rätsel.

Das letzte Mal habe ich ihn vor 20 Jahren gesehen. Damals war ich in der ersten Klasse und er in der vierten. Alle Mädchen waren heimlich in Marc verliebt.

Seine Eltern waren der Meinung, er wäre auf einem Internat für Jungen besser aufgehoben. Schockiert heulte ich wie ein Schlosshund und konnte mich gar nicht mehr beruhigen. Sofort beschwerte sich meine Freundin Louisa beim Direktor. Wütend wollte sie wissen, ob man nicht Hans-Dieter statt Marc verschwinden lassen könnte. „Das Leben ist kein Ponyhof“, meinte der Direktor. Ich wollte auch kein Pony, ich wollte Marc.

Und nun steht er vor mir, als wäre er nie weg gewesen. Aus dem Jungen ist ein Mann geworden. Das macht es nicht besser. In der ersten Klasse träumte ich davon, er würde mit mir spielen. Manche Träume ändern sich nie.

Guter Gott, ich habe dir versprochen, mich dem ersten gutaussehenden Mann hinzugeben, der meinen Weg kreuzt. War das dein Ernst, als du mir dieses Geschoss geschickt hast? Philipp River Ocean hat dir nicht zufällig einen seiner Joints angedreht? Jetzt mal ehrlich, ich werde schon schwach, wenn er mich nur ansieht. Noch dazu ist er ein sexistisches Arschloch. Meine Gefühle sind verboten, deshalb rät mir mein Verstand, die Finger von ihm zu lassen, doch mein Herz sehnt sich danach, dass ich mir diese verbrenne.

Ich wünschte, Marc Bernstein wäre für mich bestimmt. Mutig ergebe ich mich wie ein Blatt im Wind meinem Schicksal, in der Hoffnung zur rechten Zeit, am richtigen Ort in seinen Armen zu landen.

Nachdenklich schließe ich die Seiten meines Tagebuchs und stelle es zwischen die unzähligen Bücher, die sich in dem Regal vom Fußboden bis unter die Decke meines Hauses stapeln.

LIEBE IM KOPF

Jedes Mal, wenn das Paar den Laden betrat, wurde es mir flau im Magen. Es war nicht, weil Kristin eine schwierige Kundin war, sondern es lag daran, dass Marc mir den Kopf verdreht hatte. Systematisch brachte mich sein Anblick um den Verstand.

Seit 10 Jahren arbeitete ich bei Dedmond & Dedmond. Niemals zuvor hatte ich Sehnsucht nach einem Kunden gehabt.

Verzweifelt wehrte ich mich gegen das Gefühlschaos, doch die Schmetterlinge wollten sich nicht verscheuchen lassen.

Beruhigend redete ich mir ein, es wäre wie bei einem Schnupfen. Früher oder später würden sich die Symptome verflüchtigen. Ich täuschte mich. Inzwischen war mir klar, dass, wenn ich ein Gefühl nicht fühlen wollte, es zu spät war, denn es war bereits da. Still und heimlich hatte sich Marc in mein Gedächtnis geschlichen und weigerte sich, daraus zu verschwinden. Ich würde es nicht Liebe nennen. Es war eine Sehnsucht, die täglich stärker wurde. Bereits vor unserer Begegnung, war mir meine verführerische Ausstrahlung bewusst. Allerdings fühlte ich mich erst durch sein Begehren in meiner Weiblichkeit bestätigt und spiegelte dies in meinem Aussehen.

Durch meine sehnsuchtsvollen Gedanken schien ich ihn magisch anzuziehen. Seltsamerweise verging seit Wochen kein Tag, an dem wir uns nicht zufällig begegneten. Oft handelte es sich dabei um Sekunden, diese hatten es in sich. Immer lag in seinem Blick etwas Wissendes, als ob er ahnen würde, dass mich seine Anwesenheit in den Wahnsinn trieb. Er war das Adrenalin in meinen Adern.

Schamlos wanderten seine Augen über meinen Körper, erkundeten, was seine Finger nicht berühren durften.

Marc ließ mich jedes Mal unbefriedigt und unberührt zurück.

Beim Blick in seine Augen ahnte ich, er könnte meinen Körper zum Klingen bringen und ihn in allen Tonlagen beherrschen wie ein Pianist sein Klavier. Es wurde zu unserem Ritual, dass Marc mich förmlich mit seinen Blicken auszog.

Ich liebte diese Momente, welche innerhalb kürzester Zeit vorbei waren und die mich Stunden später noch erfüllten. Geheim, intim, ein sinnliches Geben und Nehmen.

Voller Vorfreude beflügelte ich seine Fantasie. Selbst wenn er meine Dessous nicht sehen konnte, war ich mir sicher, dass er fühlte, wie ich nur für ihn einen Hauch von Nichts trug. Besessen von dem Gefühl, mit ihm Katz und Maus zu spielen, konnte ich es nicht erwarten, von ihm geliebt zu werden. Früher oder später würde er ausgehungert seinem Trieb nachgeben müssen.

Obwohl ich Marc in dem Glauben ließ, er würde mich dominieren, war ich mir meiner Macht bewusst. Geduldig wartete ich auf den Tag X, an dem er meinem Lockruf folgen und in meine Falle gehen würde.

Es war an einem Mittwoch, wie er langweiliger nicht hätte sein können. Dauerregen überflutete die Straßen und der Laden war menschenleer.

Frustriert blätterte ich in einem Modejournal. Wieder einmal wünschte ich mir, mein Leben wäre aufregender. Seit Jahren ödete mich mein Job an, genauso wie diese Kleinstadt, in der nie etwas geboten wurde. Offensichtlich steckte ich in einer Sackgasse, ohne Wendemöglichkeit. Es musste eine Veränderung stattfinden. Doch wie sollte diese aussehen?

Unverhofft hörte ich die Glocke der Eingangstüre läuten.

Neugierig schaute ich hoch und blickte direkt in Marcs Gesicht, das trotz dieser einen Narbe soebenmäßig ist, dass ein Maler seine wahre Freude hätte. Zum ersten Mal sah ich seine Verletzlichkeit, die ihn in meinen Augen noch attraktiver machte.

Sekundenlang ruhten sein Blick auf meinen Lippen.

Ich wünschte mir, die Zeit würde für alle Ewigkeit stillstehen.

Ein charmantes Lächeln huschte über sein Gesicht.

Das Spiel konnte beginnen.

Ich hatte Lust auf Marc.

Bewegungslos stand er vor mir. Eine Ader zuckte an seiner Schläfe.

Leidenschaft lag in der Luft.

Meine Hormone tanzten einen Tango.

Marc:

Wie sie dasteht und mich anschaut, als wäre ich alles, was sie sich vom Leben wünscht. Trotzig hebt sie ihr Kinn und strafft ihre Schultern. In ihren Augen kann ich sehen, dass sie mir einerseits verfallen ist und andererseits weiß: Dieses Spiel ist eine Spur zu heftig für sie. Sie bewegt sich auf ungewohntem Terrain.

Wäre ich ihr Vater, würde ich ihr den Umgang mit mir verbieten. Notfalls würde ich sie übers Knie legen, und ihr mit Wonne den hübschen Hintern versohlen, auch wenn sie dafür definitiv zu alt ist. Sie sollte reif genug sein, um sich ihren Liebhaber selbst auszusuchen.

Die Tatsache, dass sie sich auf mich eingelassen hat, zeigt mir: Sie ist naiv und gleichzeitig wunderschön. Es tut mir in der Seele weh, wie verletzlich sie ist. Deutlich kann ich in ihren Augen ihre Unschuld sehen. Nicht dass ich ihr erster Liebhaber wäre, dafür ist sie zu attraktiv, die anderen Männer haben wie ich Augen im Kopf. Allerdings hat sie bisher keiner um den Verstand gebracht. Verdammt, ich bin ein vergebener Mann. Offensichtlich ist es genau das, was sie möchte, denn sie macht sich nicht einmal die Mühe, ihre Sehnsucht vor mir zu verbergen.

Wenn Kristin nicht wäre, würde ich diese Sehnsucht mit ihr ausleben. Susan Morgan, warum bist du mir nicht früher begegnet? Dein zauberhaftes Lächeln hat mir den Kopf verdreht. Das Leben sollte in seiner Tiefe gelebt werden und eine leidenschaftliche Liebe katapultiert dich in ungeahnte Höhen oder in unglaubliche Abgründe.

Ohne Zweifel hat sie etwas Besseres als mich verdient. Susan Morgan ist ein Engel in Menschengestalt und ich bin ein Mann mit schmutziger Fantasie und oftmals schlechten Manieren. Geld verdirbt den Charakter. Ich sollte sie aus mehreren triftigen Gründen vor mir verschonen: erstens ich bin verlobt, zweitens sie ist mir jetzt schon verfallen, drittens ich bin verrückt nach ihr, viertens meine Fantasie kennt keine Grenzen, fünftens dieses Märchen wird nicht gut ausgehen, und mit Abstand der wichtigste Grund: Sie ist das bezauberndste Wesen was mir je begegnet ist und ich will ihr auf keinen Fall weh tun.

Irgendjemand muss sie retten.

Momentan ist weit und breit keine Rettung in Sicht, wir schlittern beide unaufhaltsam unserem Abgrund entgegen. Warum auch immer, ich liebe es genauso sehr wie sie.

Susan:

Es fühlt sich an, als würde die Zeit stillstehen, dabei höre ich laut und deutlich den Sekundenzeiger der Uhr.

10:41 Uhr, seit Tagen erscheint er um die gleiche Zeit. Auf die Minute genau. Anscheinend weiß er, was er will und wann er es will. Kompromisslos geht er seinen Weg. Moral ist ein Fremdwort für ihn.

Da wir anscheinend im gleichen Boot sitzen, werfe ich meinen Anstand ebenfalls über Bord und folge ihm ins Ungewisse.

Ich sehe, wie er bestimmt die Ladentüre öffnet, selbstbewusst schreitet er über den blankpolierten Boden. Wie gewohnt glänzen seine Schuhe tadellos. Zielstrebig läuft er mir entgegen. Ich kann das Verlangen in seinen Augen sehen und inhaliere seinen Duft nach Sandelholz und Moschus. Sein Blick wandert tiefer über mein Schlüsselbein, verweilt schamlos in meinem Ausschnitt.

Provokativ langsam öffne ich den obersten Knopf meiner Bluse, erregt verfolgt er jede Bewegung meiner Hand. Unausgesprochen fordert er mich auf, ihm mehr zu zeigen, als ich in der Öffentlichkeit bereit bin. Meine Hand verharrt sekundenlang an der Knopfleiste.

10:42 Uhr. Ich starre wie hypnotisiert auf seine Lippen, mit denen er die Worte: „Susan Morgan!“ formt und ungläubig den Kopf schüttelt. Kein Laut kommt aus seinem Mund, stattdessen fährt er sich nervös durch seine dichten braunen Haare, als könne er sein Glück nicht fassen.

Ich sehe wie das Licht des Kronleuchters sich in seinem Siegelring bricht. Was auch immer hier geschieht, es ist jenseits meiner Moral. Es ist weder gut noch böse, es ist pure Obsession, die mein Herz rasen lässt, dass ich kurz davor bin, durchzudrehen. Meine Unentschlossenheit kämpft einen aussichtslosen Kampf gegen meine Lust zur Hingabe. Nervös drehe ich mich um, scanne den gesamten Laden ab. Offensichtlich macht meine Kollegin ihre Frühstückspause. Marcs Timing ist nahezu perfekt.

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Kaum hörbar flüstert er: „Die Luft ist rein, du kannst dich entspannen.“

10:43 Uhr. Ich schaue ihn an und entdecke etwas Geheimnisvolles in seinem Blick, was ich mit Worten nicht beschreiben kann. Dieses nicht Fassbare ist es, was mich zu dem unsicheren Mädchen gemacht hat, das sich danach sehnt, in seine Arme genommen und gehalten zu werden. Nervös zwirble ich eine Haarsträhne um meinen Finger. Dieses Verhalten versuche ich mir seit Jahren abzugewöhnen. Es ist ein Tick, der zum Vorschein kommt, wenn ich mich unterlegen fühle.

Plötzlich sehe ich in seinen Augen ein Begehren aufflackern, das mich in den Wahnsinn treibt. Diese Sinnlichkeit, welche nun den Raum durchflutet, lässt mich wissen, dass ich wirklich sein Ziel bin. Ich registriere, wie das Blut in seiner Halsvene pulsiert, seine Gesichtsmuskeln zucken. Ohne dass ich ihn berührt habe, liegt Sex in der Luft.

Alles, was er sagt, ist: „Lass das!“

Dieser Ton ist so bestimmt, dass ich mitten in der Bewegung erstarre und sofort damit aufhöre. Ich blicke ihn entgeistert an. „Lass was?“

„Susan, hör auf mit deinen Haaren zu zwirbeln!“

Schon wieder pflügt er sich mit seinen Fingern durch seine Frisur. Ich schaue beunruhigt in sein Gesicht und bemerke, wie er schwer ausatmet, seine Nasenflügel beben. Irgendetwas scheint ihn verrückt zu machen.

„Habe ich das getan?“

„Ja, hast du.“

Ich spiele mit meinem Pferdeschwanz. „Es sind meine Haare.“ Trotzig blicke ich sekundenlang in seine grünen unergründlichen Augen, in denen ich mich zu verlieren scheine.

„Richtig, aber es bringt mich um den Verstand.“ Nervös spielt er mit seinem Siegelring.

„Das war nicht meine Absicht.“

„So, war es das nicht?“, er starrt mich irritiert an.

Ich kann spüren, wie er es genießen würde, mich in meinem Bleistiftrock über die Theke zu legen und meinen Hintern zu versohlen. Mein Herzschlag beschleunigt auf Trommelwirbel.

„Nein, es ist ehrlich gesagt ein lästiger Tick von mir. Er verfolgt mich seit meiner Kindheit.“

„In welchen Situationen tritt dein Tick denn auf?“, amüsiert funkelt er mich an. Nie zuvor habe ich schönere Augen gesehen. Ich möchte in ihnen versinken.

„Wenn ich unartig bin.“ Kokett lächle ich zurück.

„Oh Gott.“ Marc stöhnt auf, kommt um die Theke und zieht mich am Handgelenk hinter ein Regal.

Nun bin ich es, die nervös wird.

„Susan, hör mit zu! Ich wiederhole mich ungern. Ich werde im Sommer Kristin heiraten, somit bin ich ein vergebener Mann.“

„Ach, was du nicht sagst. Glückwunsch. Das habe ich wirklich nicht mitbekommen.“ Mit meinem unschuldigsten Lächeln schaue ich ihn an.

„Was auch immer du vorhast, es wird nicht funktionieren.“ Sein Blick verfinstert sich, grob umfasst er meinen Ellenbogen.

Mit einem Ruck befreie ich mich. „Du tust mir weh. Lass mich los!“

„Entschuldigung, das war keine Absicht.“ Unschuldig hebt er beide Hände in die Luft, wie ein Fußballer nach einem Foul. „Du bringst mich um den Verstand. Das lasse ich nicht zu!“

„Ich mache nichts“, behaupte ich. Trotzdem kann ich ihm nicht länger in die Augen schauen und starre auf den Teppichboden vor mir.

Mit seinem Zeigefinger hebt er mein Kinn, so dass ich ihn anblicken muss. „Du bist der Meinung, du machst nichts mit mir?“, flüstert er so leise, dass ich ihn kaum verstehe.

Das Blut schießt mir ins Gesicht und ich spüre, wie ich rot werde.

„Nicht wirklich“, lüge ich.

„O.k. Susan. Die Wahrheit ist, deine unschuldige Art raubt mir den Verstand. Mein Kopfkino dreht sich unaufhörlich darum, wie es wohl wäre, dich zu verführen. Und du stehst hier und behauptest steif und fest, du machst nichts mit mir!“ Seine Stimme klingt warm und zum ersten Mal spüre ich, Marc Bernstein hat Angst vor meiner Liebe.

Vorsichtig nimmt er meine Hand, führt sie zu seinem Schritt und lässt mich fühlen, was ich bereits weiß.

„Oh mein Gott.“ Als ob ich meine Hand verbrannt hätte, ziehe ich sie in Sekundenschnelle zurück.

„Du bringst mein Leben durcheinander, stellst es auf den Kopf. Für dich ist es amüsant, für mich steht meine Existenz auf dem Spiel.“

„Das wollte ich nicht.“

„Du musst sofort damit aufhören. Versprich mir das!“ Sein bettelnder Blick trifft mich mitten ins Herz.

„Sag mir, dass ich dir nichts bedeute, dass du dir nur einen Spaß mit mir erlaubst.“

Kein Wort kommt über meine Lippen. Mein Herz rast schneller als ein ICE. Marc Bernstein ist nervös, wegen mir. Meine Wirkung auf ihn, ist mir selbst unbegreiflich. Ich zwirble meine Haare um meinen Zeigefinger. Schlagartig höre ich auf, als mir bewusst wird, dass ihn dieses unartige Verhalten noch mehr antörnt.

„Na los, sag etwas! Ich muss es hören, damit ich dich aus meinem Kopf verbannen kann.“

Es herrscht ein Schweigen, dass mehr aussagt als alle Worte dieser Welt. Er kennt die Antwort, schon bevor ich sie ausspreche.

„Es tut mir leid, ich kann das nicht.“

„Was kannst du nicht?“, ungläubig starrt er mich an.

„Dich anlügen“, ich weiche seinem Blick aus und blicke stattdessen in einen der vielen Spiegel im Laden. Ich sehe ihn von hinten. Mein Verstand setzt aus.

Marc umfasst mein Handgelenk, zerrt mich in eine Kabine und schließt mit einem Ruck den Vorhang.

Ich flüstere: „Du willst es doch auch!“, ziehe den Knoten seiner Krawatte fester und schmiege mich an seine Brust. Erwartungsvoll schaue ich zu ihm hoch, streiche über seine Unterlippe.

Statt einer Antwort, saugt er an meiner Fingerkuppe, umspielt sie mit seiner Zunge.

Unterhalb meines Bauchnabels spüre ich ein Ziehen. Bevor ich schwach werde, drehe ich mich abrupt um, damit er mich nicht küssen kann. Unbefriedigt lasse ich ihn mit seinem Gefühlschaos allein.

Das Wissen, wie unheimlich gut er sich anfühlt, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Verwirrt schaue ich auf meine Hand und kann nicht glauben, dass er es war, der sie zielstrebig zwischen seine Beine geführt hat. Diese Sehnsucht nach Marc, welche jenseits von Gut und Böse ist, bringt mich um den Verstand. Im Spiegel kann ich sehen, dass ich aussehe, als ob ich Fieber hätte. Dabei ist es mein Verlangen, das mein Blut zum Kochen bringt. Gerade noch rechtzeitig nehme ich meinen Platz hinter der Verkaufstheke ein.

Kristin betritt offensichtlich schlecht gelaunt den Laden. Sie schaut mich, wie gewohnt, bitterböse an. Anscheinend kann sie meine Gedanken lesen.

Wie aufs Kommando erröte ich wie ein unartiges Kind, das von seiner Mutter beim Klauen erwischt wurde.

Ihre Augen funkeln vor Wut. Sie macht sich nicht einmal die Mühe ihren Hass mir gegenüber zu verbergen.

Nun, ich kann es ihr nicht verübeln. Schließlich bin ich angetörnt, von dem was zwischen Marc und mir passiert ist. Er ist das Salz in meiner Suppe, gibt meinem faden Leben die richtige Würze. Kristin kann mich hassen, von hier bis zum Mond und wieder zurück. Ich habe Blut geleckt und bin bereit, für meine Leidenschaft zu kämpfen.

Unschuldig blicke ich in ihr wutverzerrtes Gesicht. „Guten Tag Frau Schneider, was kann ich heute für Sie tun?“

„Ich suche Marc. Ist er bei Ihnen?“ Wenn Blicke töten könnten, müsste ich auf der Stelle umfallen.

„Ja, Ihr Verlobter schaut sich gerade im Laden um.“

Wie aufs Stichwort kommt Marc um die Ecke und beeindruckt mich mit seiner Selbstsicherheit. Offensichtlich ist er der perfekte Schauspieler. Zielstrebig läuft er auf Kristin zu, nimmt sie in seine Arme und küsst sie, länger als nötig, mitten auf den Mund.

Hilflos muss ich mitansehen, wie er an ihren Lippen saugt und sie es genießt, vor meinen Augen vernascht zu werden.

Spielerisch wandert Marcs Hand von ihrem Rücken auf ihren Hintern und kneift ihn. Als er seiner Verlobten etwas ins Ohr flüstert, kichert Kristin albern und zieht ihn neckisch am Ohrläppchen.

Blitzartig wandelt sich meine Erregung in Wut.

Gelassen wirft Marc einen flüchtigen Blick über die Schulter. „Danke, für die freundliche Beratung.“ Lächelnd liebkost er Kristins Hand und verlässt eiskalt mit ihr den Laden.

Marc:

Ich befürchte, das war eine Spur zu hart. Andererseits, wie konnte sie es wagen mich in der Kabine abzuservieren? Ich bestimme hier die Regeln, nicht sie. Mit ihrem launischen Verhalten treibt sie mich in den Wahnsinn. Wenn sie wüsste, wie wütend ich bin. Wie schafft sie es nur, mich derart aus dem Konzept zu bringen? Nie zuvor habe ich so neben mir gestanden. Sie macht etwas mit mir, was ich selbst nicht begreifen kann. Langsam, aber sicher ruiniert sie meinen Lebensplan. Sie verhält sich wie eine Dreijährige, die zum ersten Mal mit einem Streichholz spielt. Normalerweise müsste man ihr das Spielzeug wegnehmen. Allerdings ist meine Lust, mir gemeinsam mit ihr die Finger zu verbrennen größer als meine Angst vor einem Flächenbrand. Um nicht zu sagen, ich kann es kaum erwarten zusammen mit ihr die Glut zu entfachen.

Susan:

Schockiert starre ich dem Liebespaar hinterher. Mir ist schlecht. Nicht nur ein bisschen; sondern mir wird richtig übel. Mein Blut sackt in den Magen und ich rufe meiner Kollegin zu, sie soll für mich kurz die Stellung halten.

Schnell eile ich in den Personalraum, ziehe meinen knallroten Mantel an, krame in den Taschen und finde zu meiner Erleichterung eine Packung Zigaretten.

Aufgeregt eile ich nach draußen. Es ist ungemütlich. Während der Wind um die Häuser peitscht, gehen die Straßenlaternen an. Mehrmals erlischt mein Streichholz, bevor der Tabak zu glimmen beginnt. Meine hilflosen Versuche mir eine Beruhigungszigarette anzuzünden enden darin, dass meine Finger unkontrolliert zittern. Ich fühle mich wie ein Häufchen Elend.

Obwohl ich Marc und Kristin nur unscharf in der Ferne wahrnehmen kann, sehe ich deutlich, wie er seinen Arm beschützend um ihre Taille legt. Ich kämpfe gegen meinen Brechreiz an, als ein anderes Paar mit unzähligen Tüten bepackt den Laden verlässt und verliebt in die Espressobar an der Ecke huscht. Wehmütig schaue ich ihnen nach, und kann nicht verhindern, dass Neid in mir hochsteigt. In diesem Moment kann ich mich selbst nicht leiden. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz der Natur, dass die unmöglichsten Frauen die tollsten Männer abbekommen.

Frustriert werfe ich meinen Zigarettenstummel auf die Straße und lösche die Glut mit dem Absatz meines Stilettos. Kristin Schneider, ich hasse dich, und noch mehr hasse ich Marc Bernstein! Heiratet, und verschwindet beide aus meinem Leben!

Ich muss zurück in den Laden, schlüpfe in den Waschraum, schnappe mir die Seife und schrubbe mir minutenlang das Gefühl von der Hand, dass seine Männlichkeit auf ihr hinterlassen hat.

Sosehr ich mich bemühe, ich kann nicht vergessen, wie knüppelhart er war. Der Auftritt von ihm war so was von daneben. Und das Schlimmste ist, ich kann mich niemandem anvertrauen. Solange ich meine Hände abtrockne, geht mir nicht aus dem Kopf, dass ich es war, die ihn unbedingt haben wollte. Wenn ich aufhören könnte, an ihn zu denken, würde mein Verlangen sterben und das Drama hätte ein Ende.

Währenddessen ich die neue Kollektion auspackte und im Laden dekorierte, saß meine Kollegin Maja auf der Theke und beobachtete mich bei der Arbeit.

Anscheinend konnte sie meine Gedanken lesen.

„Kristin Schneider ist eine Katastrophe“, meinte sie genervt.

„Das kannst du laut sagen. Spätestens in zwei Tagen kommt sie zurück, und kauft ein neues Hemd. Wenn die Hochzeit nicht bald stattfindet, brauche ich Sonderurlaub“, stöhnte ich.

„Sie hat ihr Brautkleid bei Dein Liebesglück gekauft, dort arbeitet meine Freundin Saskia. Jedes Mal, wenn Kristin den Laden betrat, flüchteten sämtliche Angestellte. Niemand wollte sie bedienen. Ihr Kleid musste drei Mal geändert werden.“

„Wie findest du Marc?“ fragte ich beiläufig.

„Welchen Marc meinst du?“

Fassungslos rollte ich mit den Augen. Was ist das für eine dämliche Frage? „Na, Kristins Verlobten!“

„Ihn habe ich nicht angesehen. Alles dreht sich um Kristin.“

Mir entgleisen die Gesichtszüge. Wo ist sie nur mit ihren Gedanken?

„Du kannst ihn unmöglich übersehen haben!“, erwiderte ich entsetzt.

„Wenn ich es dir sage. Sie stellt sich in den Vordergrund, ich habe den Kunden nicht beachtet.“

Ich musste seit diesem Vorfall ständig an Marc denken. Wieso auch immer, er war meine Droge und ich auf kaltem Entzug. Jeden Tag hoffte ich, er würde zurückkommen und ein Hemd kaufen. Natürlich fehlte zu dem Anzug das passende Unterhemd sowie ein Einstecktuch und Manschetten. Selbst die Schuhe könnte er stilsicher bei Dedmond & Dedmond erwerben. Sogar Uhren hatten wir im Sortiment.

Zwar konnte ich nicht verhindern, dass eine andere Frau in den Genuss seiner rauen Männlichkeit kam, doch auch wenn sein Abgang unverschämt war, wusste ich nun, dass meine Existenz ihn derart reizte, dass Marc die Kontrolle verlor. Allein der Gedanke, dass ich die Hauptrolle seines Kopfkinos spielte, war Anreiz genug, auf eine Fortsetzung zu hoffen.

Täglich malte ich mir ein erneutes Treffen mit ihm in schillernden Farben aus. Indem ich in meiner Fantasie unzählige Facetten durchspielte, trieb ich meine Sehnsucht in ungeahnte Höhen.

Früher oder später würde Marc aufgrund seines Verlangens in den Laden zurückkehren.

Ich war bereit für ihn.

Allerdings stand die Hochzeit vor der Tür, mir rannte die Zeit davon. Dabei wollte ich diese möglichst intensiv mit ihm verbringen.

Es würden unzählige Minuten ins Land ziehen, bis aus Marc Bernstein der perfekte Bräutigam werden würde, der er jedoch nicht war, denn er begehrte eine andere als die Braut.

29. Dezember. 2014

Die Zeit verging.

Sekunden wurden zu Minuten.

Meine Augen fixierten die Ladentür, doch Marc kam nicht wieder.

Vierzehn Tage weigerte er sich, seine Verwandlung vom Mann zum Bräutigam zu vollenden.

Längst hatte ich die Hoffnung aufgegeben, als die Glocke am Eingang schellte.

Vor mir stand ein sichtlich verschnupfter Marc, eingehüllt in einen endlos langen Schal.

„Hatschi.“ Sein Niesen durchbrach die Stille.

„Entschuldigung, ich will dich nicht anstecken. Mich hat es leider erwischt. Hast du ein passendes Hemd für mich?“

Offensichtlich war er angeschlagen und hatte seinen Trieb unter Kontrolle.

„Natürlich. An welchen Farbton hast du gedacht? Cremeweiß oder lieber rein-weiß?“

„Nun, in solchen Dingen bin ich überfragt. Kristin ist geschäftlich im Ausland unterwegs. Sie hat mir eine Stoffprobe ihres Kleides mitgegeben, damit wir das Hemd farblich darauf abstimmen können.“

„Ausgezeichnet, zeig mir mal den Stoff.“ Mein Herz raste, denn sein Blick, fixierte mich intensiver als nötig. Warum auch immer, in seiner Gegenwart fühlte ich mich nackt.

Angestrengt versuchte ich mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen und brachte Marc drei Hemden in der oberen Preisklasse des von Kristin bevorzugten italienischen Labels. Als ich Marc diese reichte, lenkte ein zu Herzen gehendes Jaulen meine Konzentration auf einen Welpen, der angeleint vor der Ladentüre wartete und um die Aufmerksamkeit seines Herrchens buhlte.

„Ist das dein Hund?“, wollte ich wissen.

„Ja, ich muss mich von ihm trennen. Kristin hat eine Hundehaar-Allergie. Kennst du jemanden, dem ich meinen Liebling anvertrauen könnte?“

Ich kannte niemanden, der einen Hund wollte. Die meisten meiner Bekannten hatten Kinder und wohnten in Mietwohnungen. Das waren nicht die besten Voraussetzungen, um einen Hund zu halten. Neugierig sah ich mir den Welpen durch die geschlossene Ladentür näher an.

„Warum holst du ihn nicht herein?“, wollte ich wissen.

„Ja! Warum eigentlich nicht? Dann ist ihm nicht langweilig“, meinte Marc mit heißerer Stimme.

Ich schaute in treuselige, dunkelbraune Knopfaugen.

„Sieht so aus, als ob er dich mag. Mein Hund hat einen ausgezeichneten Geschmack und gute Manieren.“

„Den Geschmack hat er vom Herrchen, die Manieren eher nicht.“ Trotzig schaute ich in Marcs Augen.

„Mein Abgang war unhöflich. Es tut mir leid, ich war mit der Situation überfordert“, gestand er kleinlaut und schenkte mir dabei einen Dackelblick.

Offensichtlich bereute er sein Verhalten. „Wieso habe ich dich überfordert? Ist es, weil ich dich in der Kabine habe stehen lassen und dir nicht gehorcht habe?“

Überrascht blickte er mich an.

Ich hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, um nicht zu sagen, Volltreffer, Schiff versenkt!

„Ehrlich gesagt, bin ich es nicht gewohnt, dass eine Verkäuferin mich nervös macht. Normalerweise bin ich ein kontrollierter Mensch.“

Marc sagte mir nicht die ganze Wahrheit.

„Könntest du dir vorstellen den Hund zu behalten? Bei dir wüsste ich ihn in guten Händen“, flehte er mich an.

Nachdem ich in „in guten Händen“ hörte, erinnerte ich mich an den Moment, als er mich spüren ließ, welche sexuelle Spannung zwischen uns herrschte. Ständig musste ich daran denken, wie er sich angefühlt hatte. Ich musste diese Nähe verhindern.

„Sie haben mir bereits vor ein paar Tagen etwas sehr Persönliches in die Hände gelegt. Sind Sie immer so freigiebig?“

„Frau Morgan, sind wir nun wieder beim Sie? Das macht die Angelegenheit für mich noch reizvoller. Es tut mir leid, wenn Ihnen unser Zwischenfall nun unangenehm ist. Ich habe mir eingebildet, Sie hätten es genauso genossen wie ich.“ Seine Augen fixierten meine.

Gekonnt wich ich seiner Anspielung aus. „Tut mir leid! Ich habe keine Ahnung von Hunden.“

„Das mit dem Hund kann ich Ihnen beibringen. Warum besuchen Sie mich nicht einfach auf unserem Gutshof? Dann könnte ich Sie davon überzeugen, dass Lilo ein Traum von einem Hund ist.“

„Sind Sie sicher, dass Sie Lilo abgeben wollen?“

„Von wollen, kann keine Rede sein. Was bleibt mir für eine andere Wahl?“

Nachdenklich streichelte ich über das hellbraune Fell des Welpen. „Was für ein süßer Hund!“

Ich arbeitete fast 40 Stunden pro Woche bei Dedmond & Dedmond. Konnte ich dem Hund ein Zuhause bieten? Wollte ich überhaupt ein Haustier? Bestimmt würde ich mich mit Lilo nicht mehr so einsam fühlen, wie es seit Monaten der Fall war. Tagtäglich versuchte ich meine Sorgen zu verdrängen, indem ich als Erste am frühen Morgen den Laden betrat und abends als Letzte das Geschäft verließ. Am schlimmsten waren die Sonntage. Vor allem im Winter wusste ich nichts mit meiner Freizeit anzufangen.

Behutsam ging ich in die Hocke, um auf gleicher Höhe wie der Welpe zu sein. Einen Versuch wäre es wert. „Gut, ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen.“

Die Freude stand Marc ins Gesicht geschrieben. „Schön, was halten Sie davon, wenn Lilo und ich Sie am Samstag zu Hause abholen? Wir fahren aufs Land und gehen spazieren.“

„Ich warne Sie, wenn Sie mir zu nahekommen, zeige ich Sie an!“