Seelsorgefelder -  - E-Book

Seelsorgefelder E-Book

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Beschreibung

Was ist gemeint, wenn heute von "Seelsorge" die Rede ist? Der Blick auf die einzelnen Seelsorgefelder zeigt ein differenziertes Bild: Der Kontext, in dem Seelsorge stattfindet, gestaltet immer mit, was jeweils unter Seelsorge verstanden wird. Wie ist beispielsweise das Selbstverständnis von Seelsorge im Krankenhaus, in der Notfallseelsorge, am Telefon, in der Schule oder in der Gemeinde? Welche Vorstellungen und Konzeptionen liegen zugrunde? Ist Seelsorge heute "Muttersprache in vielen Zungen"? Und was lässt sich an Verbindendem beschreiben? Die Beiträge dieses Bandes beleuchten aus der Praxis heraus exemplarisch verschiedene Seelsorgefelder. Denn erst von einer solchen Annäherung an ihre Vielgestaltigkeit lässt sich nach einem Verständnis von Seelsorge heute angesichts ihrer Pluralität fragen. [Fields of Pastoral Care. Approaches to the Diversity of Pastoral Care] What does it mean when we talk of "pastoral care" today? A look at the various fields of pastoral care shows a differentiated picture: the context in which a specific pastoral care takes place has always a determining influence on how it is seen. For instance what is the self-image of pastoral care in hospital, in emergency pastoral care, at the phone, in school or in congregation? What are the underlying conceptions? Pastoral care, is it today a "first language with many tongues"? And what are the unifying factors? The contributions of this volume describe from practical experience exemplarily various fields of pastoral care. Only such an approach to its different forms allows an understanding of pastoral care in all its plurality.

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SEELSORGEFELDER

Wolfgang Drechsel | Sabine Kast-Streib (Hrsg.)

SEELSORGEFELDER

ANNÄHERUNG AN DIE VIELGESTALTIGKEIT VON SEELSORGE

EVANGELISCHE VERLAGSANSTALT

Leipzig

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

©2017 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Zacharias Bähring, Leipzig

Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurth

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

ISBN 978-3-374-05189-2

www.eva-leipzig.de

INHALT

Sabine Kast-Streib/Wolfgang Drechsel

Einleitung

Elisabeth Hartlieb

Zwischen »Grüss-Gott«-Seelsorge und Krisenintervention

Seelsorge im Akutkrankenhaus

Isabel Overmans

Der Stille eine Stimme, dem Dunkel ein Gesicht

Raimar Kremer

Herausforderungen der Notfallseelsorge zwischen Gemeinde- und Spezialseelsorge

Urte Bejick

»ICH WILL HEIM«

Seelsorge in Altenpflegeheimen

Sibylle Rolf

Kurze Wege

Seelsorge im Kontext und Alltag der Kirchengemeinde

Gerhard Ding

Gefängnisseelsorge

Seelsorge in einem öffentlichen Spannungsfeld

Elke Heckel-Bischoff

Seelsorge in der Schule

Hans-Georg Ulrichs

Poimenik en passant

Seelsorge an Hochschulen

Wolfgang Drechsel

Die Vielfalt der seelsorglichen Praxis als Grundlage der Frage nach der Seelsorge

Die Autorinnen und Autoren

EINLEITUNG

Sabine Kast-Streib/Wolfgang Drechsel

Was ist gemeint, wenn heute von »Seelsorge« die Rede ist? Kann es darauf überhaupt eine einheitliche Antwort geben? Lässt sich eine Definition von Seelsorge formulieren, die für alle Seelsorgefelder gleichermaßen Gültigkeit hat? In kirchlichen Verlautbarungen, in gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenhängen, aber auch im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff »Seelsorge« häufig in einem generellen Sinne verwendet. Entweder wird dann versucht, eine Definition von Seelsorge zu entwickeln, die unabhängig vom konkreten Kontext Gültigkeit beanspruchen kann, oder es wird ein unausgesprochenes Einverständnis darüber vorausgesetzt, was Seelsorge sei. Von daher mag es sich zunächst nahelegen, dass es so etwas wie eine »Einheit der Seelsorge« gibt. Auch theologisch und pastoralpsychologisch wird die Vorstellung eines einheitlichen Seelsorgeverständnisses immer wieder unterfüttert. Zwar hat sich das Seelsorgeverständnis mit der sogenannten »empirischen Wende« vor 50 Jahren grundlegend verändert, weg von »einem theologisch identifizierbaren Wort-Geschehen« hin zu einem »Beziehungsgeschehen«, das von der Vorstellung eines »tiefgehenden« Gespräches geprägt sei, wie Wolfgang Drechsel in seinem Beitrag im vorliegenden Band schreibt. Jedoch liegt auch dabei die Vorstellung zugrunde, dass das, was Seelsorge ausmacht, allgemeingültig zu beschreiben und zu verstehen sei.

Viele Bemühungen um ein »einheitliches« Seelsorgeverständnis geschehen aus einem durchaus nachvollziehbaren kirchlichen und theologischen Ringen um Klarheit, Verständigung und Identität nach innen und außen. Befördert werden diese Bemühungen einerseits durch Konzepte der strategischen Leitung von Kirche als Organisation,1 andererseits durch religiöse und weltanschauliche Individualisierung und Pluralisierung in der Postmoderne. Beide Entwicklungen verstärken die Notwendigkeit, kirchliche Seelsorge als »Marke« mit Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Arbeitsgebieten, respektive Anbietern, zu profilieren. In dieser Linie sind auch die Seelsorgekonzeptionen aus dem Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihrer Gliedkirchen zu sehen.2 Exemplarisch für ein Bemühen um definitorische und identitätsstiftende Einheit steht die oft zitierte Aussage von Petra Bosse-Huber: »Seelsorge ist die Muttersprache der Kirche«.3 Sie gab dem Seelsorge-Workshop der EKD von 2009 den Namen4 und wurde symbolisch für die beginnende neue Aufmerksamkeit für die Seelsorge.

Das Heidelberger Symposion »Seelsorge – Muttersprache in vielen Zungen? Die Pluralität der Seelsorgefelder und die Frage nach dem Verständnis von Seelsorge heute«, auf das die Beiträge dieses Bandes zurückgehen, nimmt das Zitat von Bosse-Huber in seinem Titel kritisch auf. Die durch die Metapher der Muttersprache suggerierte Einheitlichkeit der Seelsorge wird aufgebrochen. Es wird konkret nach dem Selbstverständnis der einzelnen Felder gefragt: Wie versteht sich Seelsorge im Krankenhaus, im Notfall, am Telefon oder in der Gemeinde? Der Einblick in die Praxis zeigt ein differenziertes Bild, für das einheitliche Definitionen zu kurz greifen. Denn der jeweilige Kontext gestaltet immer mit, was hier unter Seelsorge verstanden wird. Von da aus kann zum einen weiter gefragt werden, ob es sich bei der Seelsorge überhaupt um die Muttersprache, oder nicht vielmehr um Fremdsprache(n) handelt; zum andern ob von Seelsorge nicht besser im Plural – als »Seelsorgen« – zu sprechen sei.

Dieses Symposion wurde am 15. Oktober 2016 von der Universität Heidelberg in Verbindung mit dem Zentrum für Seelsorge der Evangelischen Landeskirche in Baden veranstaltet. Es ist eingebettet in einen mehrjährigen Prozess des konzeptionellen und strukturellen Nachdenkens über Seelsorge in der badischen Landeskirche. Ein initiatorischer Fachtag fand bereits 2008 unter dem Motto »Gesichter der Seelsorge« statt. Er förderte das Wahrnehmen der Pluralität ebenso wie das Nachdenken darüber, was bei aller Ausdifferenzierung an gemeinsamem Profil bleibt. Das 2009 gegründete Zentrum für Seelsorge hatte den Auftrag, eine Gesamtkonzeption zu verfassen, in der erstmals alle Seelsorgefelder der badischen Landeskirche und ihrer Diakonie mit inhaltlichen Profilen und strukturellen Rahmenbedingungen dargestellt werden. In einer theologisch-konzeptionellen Orientierung werden feldübergreifende Grundzüge skizziert. Die in der Konzeption formulierten Perspektiven und Maßnahmen für die Weiterarbeit sehen auch das weitere konzeptionelle Nachdenken über Seelsorge auf allen Ebenen vor. Die Schrift wurde in enger Kooperation mit Verantwortlichen und Fachleuten aus Kirche und Diakonie, Universität und Hochschule, Pastoralpsychologischer Fortbildung und seelsorglicher Praxis entwickelt, von der Landessynode beraten und 2013 verabschiedet. Zur Weiterarbeit wurden hauptamtlich und ehrenamtlich Seelsorgende zu einem »Impulstreffen Seelsorge« eingeladen, in dem Impulse aus der Praxis für die Vorbereitung dieses wissenschaftlichen Symposions erarbeitet wurden. Dabei ging es zunächst einmal um eine Entselbstverständlichung dessen, was vermeintlich selbstverständlich unter Seelsorge verstanden wird, um von dort aus einen »Andersblick« zu gewinnen und neu zu fragen: Was lässt sich aus der sehr pluralen Perspektive der einzelnen Felder überhaupt an Verbindendem beschreiben?

Der feldspezifische Binnenblick findet in den Vorträgen des Symposions, die in diesem Band um weitere Beiträge ergänzt werden, jeweils einen profilierten Ausdruck. Leitfragen waren: Was ist in dem jeweiligen Feld Seelsorge? Was wird hier in der Praxis getan? Welche Vorstellungen und Konzeptionen von Seelsorge liegen der Arbeit in den Feldern zugrunde? Die Ergebnisse zeigen anschaulich, wie vielgestaltig und ausdifferenziert sich Seelsorge heute darstellt. Sie arbeitet in unterschiedlichsten Systemen und Organisationen, innerhalb und außerhalb von kirchlichen Kontexten.5 Umgekehrt erfordert der spezifische Kontext von Seelsorgern* neben einer professionellen pastoralpsychologischen Aus- und Fortbildung, den Erwerb von Feldkompetenz. Dazu gehören die Kenntnis der konkreten Rahmenbedingungen und organisationalen Voraussetzungen des Systems, in dem die sie arbeiten, sowie eine professionelle Klärung ihrer Rolle in diesem System.

Die nachfolgend benannten acht Felder der Seelsorge werden hier aus der Praxis heraus von darin Tätigen beleuchtet. Exemplarisch ermöglichen sie eine Annäherung an die Vielgestaltigkeit von Seelsorge heute:

Krankenhausseelsorge (Elisabeth Hartlieb), TelefonSeelsorge (Isabel Overmans), Notfallseelsorge (Raimar Kremer), Altenheimseelsorge (Urte Bejick), Seelsorge in der Kirchengemeinde (Sibylle Rolf), Gefängnisseelsorge (Gerhard Ding), Schulseelsorge (Elke Heckel-Bischoff) und Hochschulseelsorge (Hans-Georg Ulrichs).

Der Binnenblick bringt detaillierte Nahaufnahmen der einzelnen Felder hervor, die in ihrer Komplexität hier nur holzschnittartig zusammengefasst werden können. Zu den Texten im Einzelnen:

»Zwischen ›Grüß-Gott‹-Seelsorge und Krisenintervention« schildert Elisabeth Hartlieb die Seelsorge im Akutkrankenhaus und skizziert zunächst gesundheitspolitische, organisationale und theologisch-ekklesiologische Rahmenbedingungen. Gesundheitspolitisch bewegt sich Krankenhausseelsorge im Kontext eines »Dienstleistungsanbieters im Sektor Gesundheitswesen«, dessen »ökonomische Logik« organisational zu einer breiten Fächerung der Aufgaben und Ziele führt. Krankenhausseelsorgende müssen ihre »Rolle bestimmen«, zwischen der Freiheit, nicht in das fremde System eingebunden zu sein und der Sinnhaftigkeit, sich bei interdisziplinären »Querschnittsaufgaben« einbinden zu lassen. Theologische und ekklesiologische Rahmenbedingungen skizziert Hartlieb auf der Basis einer wachsenden »Einsicht in die Bedeutung psychischer und sozialer Faktoren wie auch von Religiosität und Spiritualität« seitens der Medizin, welche die Krankenhausseelsorge »als ein wichtiges psycho-spirituelles Angebot« in den Blick kommen lässt. Aufgrund des sich ausdifferenzierenden Seelsorgebedarfes erachtet Hartlieb ökumenische Kooperation als »selbstverständlich«, verbunden mit interkultureller und interreligiöser Sensibilität sowie »religiöser Sprachfähigkeit«. Als Spezifikum der Krankenhausseelsorge nennt sie den verdichteten »Kontakt mit Krankheit, Leid und Sterben« und dessen Auswirkungen auf das Befinden von Patienten, Angehörige und Mitarbeitende, denen die Seelsorge Rechnung zu tragen habe, etwa durch die »Geh-Struktur« oder die Begleitung von Mitarbeitenden, welche »die Markt-Logik des Gesundheitswesens in Spannung zu ihrem professionellen Ethos« erleben. Anhand ihrer konkreten Praxis beleuchtet Elisabeth Hartlieb exemplarisch die Tätigkeit in diesem Seelsorgefeld. Zentral sind für sie Präsenz und persönlicher Kontakt, liturgische Handlungen und Rituale, Gottesdienste und Andachten einerseits, und die »Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal und … Ärzten« andererseits, auch beim »Unterricht in der Krankenpflegeschule und bei der klinikinternen Weiterbildung«. Sie nimmt wahr, »dass die Seelsorgenden und ihre Kompetenz von Mitarbeitenden, Stationsleitungen und der Klinikleitungen angesichts der Belastungen des Personals geschätzt und nachgefragt werden«.

Unter dem Titel »Der Stille eine Stimme, dem Dunkel ein Gesicht« stellt Isabel Overmans die TelefonSeelsorge, kurz TS, vor. Diese geschieht in ökumenischer Zusammenarbeit und wird, außer in der Leitung, überwiegend von Ehrenamtlichen getragen. Anhand eindrücklicher Praxisbeispiele schildert Overmans die Merkmale dieses Feldes entlang dem Motto »TelefonSeelsorge – Anonym. Kompetent. Rund um die Uhr«. Rund um die Uhr bedeutet, es ist »normal, wenn nachts das Telefon klingelt«, wobei Overmans auch die Grenzen des Anspruchs auf Erreichbarkeit angesichts zunehmender Nachfrage markiert. Telefon, Handy und Computer kennzeichnen die TS als mediales Seelsorgefeld, welches auch Chat- und Mailberatung anbietet. Chancen der Technik liegen in der Verbesserung der Erreichbarkeit, sowie in einer niedrigschwelligen Kontaktaufnahme. Jedoch betont Overmans die Wichtigkeit, den Menschen »hinter der Technik wahrzunehmen« und Seelsorgende dazu auszubilden, »zwischen den Zeilen zu lesen, Schwingungen wahrzunehmen und der eigenen Intuition zu vertrauen.« Die Anonymität der TS fokussiert die Kontaktsituation auf das »Hier und Jetzt«, eine Fortsetzung (zumindest mit denselben Gesprächspartnern) ist nicht gewährleistet. Als »Seelsorge unter dem Kreuz« bietet die TS einen Raum, bedingungslos und zweckfrei, wo Menschen »mit ihrer Schwäche sein können, ohne pathologisiert zu werden.« Kompetent ist die Arbeit der TS, weil sie eine umfangreiche Aus- und Fortbildung, sowie begleitende Supervision voraussetzt. Dazu gehört die Beschäftigung mit Fragen des Glaubens und der christlichen Tradition, wobei Mitarbeitende zunehmend nicht kirchlich sozialisiert sind, vor allem aber die Arbeit an der eigenen Haltung, sowie der Erwerb einer »hohe Beratungskompetenz« und die »Kenntnis psychischer Erkrankungen«. Durch die Erfahrung von Gemeinschaft und einer »Kultur des Mitleidens wird die TelefonSeelsorge für viele zu einer diakonischen Gemeinde.«

In seinem Beitrag beleuchtet Raimar Kremer die »Herausforderungen der Notfallseelsorge zwischen Gemeinde- und Spezialseelsorge«. Seine Grundthese ist inhaltlicher Art: »Notfallseelsorge ist zu 95% Gemeindeseelsorge und zu 5% Spezialseelsorge«. Zunächst gründet er seine Analyse jedoch auf einen »strukturellen Zugang«. Anhand des Vergleichs der unterschiedlichen Systeme in den Evangelischen Kirchen von Hessen-Nassau und Kurhessen-Waldeck fragt Kremer, ob Notfallseelsorge die »kirchliche Antwort auf die hohe Professionalisierung der Feuerwehren, der Rettungsdienste und der Polizei« oder ob sie pastorale Grundaufgabe sei. Während die Statistiken und Indikationen nahelegen, dass die Notfallseelsorge mit bis zu 95% häuslichen Einsätzen Gemeindeseelsorge ist, stellt Kremer von der Organisationsform her eine »Patt-Situation« fest, bei der »eine kirchen-politische Entscheidung« gefragt sei. Für alle Bereiche der Notfallseelsorge vertritt er ein weites Verständnis von Seelsorge als »Sorge um den ganzen Menschen in seiner Lebendigkeit und in seiner Beziehung zu sich selbst, zu anderen und zu Gott.« Dies gelte, »egal ob gebetet, gesegnet, geredet, geschwiegen, telefoniert oder ein Glas Wasser gereicht wird.« Für beide Organisationsformen beschreibt der Autor pastoralpsychologische und kybernetische Herausforderungen. Für das Modell der Spezialseelsorge stellt er die kritische Frage nach dem Einsatz von Ehrenamtlichen in einem hoch professionalisierten System, welches eine permanente Erreichbarkeit gewährleisten muss. Für die Gemeindeseelsorge fragt er umgekehrt, inwieweit Pfarrer angesichts eines sich wandelnden Pfarrbildes und Berufsverständnisses künftig noch Notfallseelsorge leisten werden. Ausgehend von seiner Grundthese skizziert er abschließend ein »integriertes Modell«, das den »Einsatzort« als Kriterium ansetzt: »Einsätze mit dem Indikationsziel ›häuslicher Bereich‹ zählen zur Gemeindeseelsorge.« »Alle Einsätze außerhalb zählen zur Spezialseelsorge.«

In ihrem Beitrag »ICH WILL HEIM« entwickelt Urte Bejick die These, dass Altenheimseelsorge Spezialseelsorge sei. Diese entfaltet sie anhand dreier Einzelthesen: Altenheimseelsorge geschieht erstens in einem »besonderen System«, in dem die Bewohner kein »Haus- und Schlüsselrecht« haben, kaum Gastgeber sein können und in einer Welt leben, die »begrenzend und halböffentlich« ist. Konsequenterweise ermöglichen Seelsorgende den Besuchten einen »Akt souveräner Selbstbestimmung«, wenn sie auch »akzeptieren, abgewiesen zu werden«. Zweitens geschieht Altenheimseelsorge in einer »besonderen Lebenslage«, die von Hochaltrigkeit und Sterben, Pflegebedürftigkeit, Demenz und eingeschränkter Mobilität gekennzeichnet ist. Im Pflegeheim als (letztem) »Wohnort« beobachtet sie eine Verdichtung menschlicher Grunderfahrungen und konstatiert als Aufgabe der Seelsorge »Menschen innerhalb dieser Wahrnehmungsschablonen als individuelle Gewordenheit wahrzunehmen.« Dazu braucht es Zeit für regelmäßige Begleitung und Wachheit für ethische und politische Fragen. Angesichts des »Paradigmenwechsels« von einer therapeutischen hin zu einer Seelsorge im Alltag benennt Bejick, drittens, die »besonderen Kommunikationsformen« der Altenheimseelsorge: das scheinbar »belanglose« Gespräch, das Schweigen, das Einbringen von Symbolkompetenz, das Entwickeln von »neue(n) Formen verbaler und nonverbaler Kompetenz«, das Feiern von Andachten und Gottesdiensten. Bejick stellt ihre Thesen in den ekklesiologischen Kontext der Frage nach der »Kirche im Heim« als Dienst der Ortsgemeinde, im Unterschied zur »Heimkirche« mit eigener Gottesdienstgemeinde und Seelsorgeangebot. Letztere »bedürfte eigener Heimseelsorger«. Ergänzend benennt sie die »Seelsorge durch das Heim« als Pflege des geistlichen und seelsorglichen Profils einer Einrichtung. Angesichts zunehmender Durchlässigkeit zwischen stationärer und ambulanter Pflege sieht Bejick die Notwendigkeit der Einbindung von Altenpflegeeinrichtungen in Quartier und Kirchengemeinde. Vice versa sieht sie Altenheimseelsorge, ähnlich wie Krankenhausseelsorge, als »Vermittlerin zwischen Einrichtung und Gemeinde«. Besondere Herausforderungen benennt sie im multikulturellen und interreligiösen Bereich, sowie in der Säkularisierung und dem damit verbundenen »Verlust gemeinsamer Traditionen«.

Sibylle Rolf stellt ihre Überlegungen zur »Seelsorge im Kontext und Alltag der Kirchengemeinde« unter die Überschrift »Kurze Wege«. Anhand konkreter Beispiele skizziert sie wesentliche Felder der Gemeindeseelsorge: die »Seelsorge an der Schwelle« bei Kasualien, die »erbetene Seelsorge« und die »Seelsorge bei Gelegenheit«. Bei der Frage, ob Seelsorge »das ganze pastorale Handeln in der Kirchengemeinde« umfassen kann, kommt sie aus ihrer eigenen Erfahrung heraus zu dem Schluss: »Ich bin froh, dass Pfarrer synonym als Seelsorger verstanden werden. Für mich kann jedes Arbeitsfeld zur Seelsorge werden.« Ausgehend von der Praxis arbeitet Rolf in abschließenden Thesen wesentliche theologische und poimenische Dimensionen der Seelsorge im Kontext und Alltag der Kirchengemeinde heraus. In ihnen entfaltet sie Seelsorge als »ein Beziehungsgeschehen in der gleichwohl nicht immer benannten Gegenwart Gottes«. Seelsorge gilt gemäß »biblischer Anthropologie« der Seele des Menschen, »die er nicht hat, sondern ist«. Der Kontext der Kirchengemeinde ist für Rolf zum einen eng mit dem »Amt der Ortspfarrerin« verbunden, das »einen Vorschuss an Vertrauen mit sich« bringt, zum andern getragen vom »gegenseitigen Gespräch und Trost der Glaubensgeschwister«, von haupt- und ehrenamtlich Seelsorgenden. Rolf spezifiziert Gemeindeseelsorge »als pastorale Kompetenz«, die in der kirchlichen Aus- und Fortbildung »erlernt und eingeübt werden« muss, wobei »ein hohes Maß an Präsenz, Rollenflexibilität und Empathie erforderlich« ist, jedoch zugleich die Seelsorge für die Seelsorgenden wichtig wird. Rolf entwickelt ihr Seelsorgeverständnis auf der Grundlage biblisch-reformatorischer Theologie und Anthropologie, welche »die Person von ihrer Tat« unterscheidet. Seelsorge stellt sich »dem schöpferischen, versöhnenden und erlösenden Wirken Gottes zur Verfügung«, darum wissend, dass das, was sie bewirken will, »nicht machbar, sondern unverfügbar« ist.

Gerhard Ding schildert Gefängnisseelsorge als »Seelsorge in einem öffentlichen Spannungsfeld«, das besonders in Krisenfällen »große öffentliche Aufmerksamkeit« erfährt. Dabei stehen Sicherheitsfragen im Vordergrund, während die Situation der Gefangenen und der Bediensteten kaum von Interesse ist. Der Auftrag Jesu (Mt 25,36) führt Gefängnisseelsorgende in das Spannungsfeld zwischen realer Kriminalität und dem Bedürfnis nach Sicherheit und Bestrafung einerseits sowie dem Recht eines jeden Menschen auf Achtung seiner »von Gott verliehenen Würde« und dem damit verbundenen Ziel der Resozialisierung andererseits. Im Gefängnis als »totaler Institution« wird Freiheitsentzug als »gesellschaftliches Übel« bewusst zugefügt und ein eigenverantwortliches Leben erschwert. Begegnungen sind von Misstrauen geprägt. Macht und Ohnmacht sind sichtbar verteilt, die Seelsorgenden haben als »Schlüsselträger« ebenfalls Macht. »Eine entscheidende ethische Alltags-Frage dabei ist: Wie wird diese »Macht« ausgeübt. Ding sieht es als vordringliche Aufgabe der Gefängnisseelsorge, mit den Gefangenen auf ein Unterbrechen des »Teufelskreises von Verletztwerden und Wieder-verletzen« hinzuarbeiten und »mit Scheitern Leben (zu) lernen«. Seelsorgegeheimnis, Beichtgeheimnis und Zeugnisverweigerungsrecht haben im Gefängnis »eine überragende Bedeutung« und sind oft Türöffner für Gespräche. Sie charakterisieren die Sonderstellung der Seelsorge »im Auftrag Jesu Christi«, die es auch in der Kooperation mit den verschiedenen Diensten im Strafvollzug zu wahren gilt und die »eine eigene Form von Einsamkeit innerhalb der Institution« mit sich bringt. Der Rahmen der Gefängnisseelsorge ist das »staatliche Hoheitsfeld«, welches Gerhard Ding für Baden-Württemberg beschreibt. Strukturell ist es mit einer Refinanzierung von Stellen und der Dienstaufsicht durch den Staat verbunden, während die Fachaufsicht bei der Kirche bleibt. Gefängnisseelsorge gilt auch Angehörigen und Bediensteten, die besonders im »Allgemeinen Vollzugsdienst« mit schlechter Bezahlung und mangelnder Wertschätzung zu kämpfen haben und »zwischen die Mühlsteine von Vorgesetzen und Inhaftierten« geraten. Sie wirkt bei auch bei der Aus- und Fortbildung von Bediensteten mit und begleitet die mittlere Führungsschicht in der »Kollegialen Beratung«. Der Seelsorger ist darüber hinaus im »Krisenteam« der Anstalt, das nach besonderen Vorfällen Gespräche anbietet.

»Seelsorge in der Schule« stellt Elke Heckel-Bischoff vor. Dabei differenziert sie zwischen kirchlicher Arbeit in der Schule und Schulseelsorge im engeren Sinne, wie sie der Orientierungsrahmen der EKD und die Konzeption der badischen Landeskirche vorsehen. Evangelische Schulseelsorge ist demnach »christliche Hilfe zur Lebensgestaltung für Einzelne und Gruppen in der Schule mit dem Ziel der Bewältigung von Alltagsproblemen wie auch von spezifischen Konflikten und Krisensituationen«, und gehört als solche zur »sorgenden Schulgemeinschaft«. Theologisch argumentiert Heckel-Bischoff von der Gottebenbildlichkeit her, die »eine seelsorgliche Haltung der Wertschätzung und des Respektes«, der Freiheit und der Liebe generiert. Die Praxis der Schulseelsorge umfasst vielfältige Angebote, deren Konzeption vom spezifischen Schulprofil, den Rahmenbedingungen, sowie den Bedürfnissen und Kompetenzen der Beteiligten abhängen. Grundsätzlich weist Heckel-Bischoff auf die »seelsorgliche Dimension des Religionsunterrichts« hin, als Chance für die Entwicklung einer »vertrauensvollen Beziehung« zwischen Unterrichtenden und Schülern. Dabei benennt sie auch »christliche Symbole und biblische Erzählungen«, sowie »Formen religiöser Kommunikation«, als Ressourcen für die Seelsorge. Seelsorgliche Kontakte außerhalb des Unterrichts finden als »Tür- und Angelgespräche« (»Kurzgespräche«), oder als verabredete Einzelgespräche statt, wobei Heckel-Bischoff problematisiert, dass »eine persönliche und störungsfreie Umgebung« im Schulkontext nicht immer herzustellen sei. Als weiteres Angebot nennt Heckel-Bischoff die »Begleitung in Krisensituationen«, die Mitarbeit in schulischen Krisenteams und in der Konfliktarbeit. Dabei stellt sie die strukturelle Vernetzung mit inner- und außerkirchlichen Unterstützungssystemen heraus. Insgesamt leistet Schulseelsorge »einen Beitrag zu einer menschenfreundlichen Gestaltung von Schule« als Lebensraum. Seelsorge wird unabhängig von »Konfession, Religion oder Weltanschauung« angeboten und »bietet die Chance mit eher kirchenfernen und jungen Menschen ins Gespräch zu kommen«, jedoch betont Heckel-Bischoff, »dass die Schulseelsorgerin von der Kirche beauftragt ist und aus ihrem christlichen Glauben heraus handelt.« Als Herausforderung skizziert sie die Gestaltung einer »differenzsensiblen« »Konvivenz« von Menschen verschiedener Kulturen und Religionen, verbunden mit dem Nachdenken über Modelle einer »islamischen, jüdischen oder ethisch orientierten Schulseelsorge«.

Hans-Georg Ulrichs beschreibt die Arbeit der Evangelischen Studierendengemeinden (ESG) als »Poimenik en passant«. Seine These, dass Hochschulseelsorge Gemeindearbeit sei, stützt er sowohl durch strukturelle, als auch inhaltliche Kriterien: »verkündigend, kritisch bildend, missionarisch, seelsorglich und diakonisch«. In Analogie zur Gemeindeseelsorge postuliert er auch für die ESG, dass sie »nicht nur poimenisches ›Objekt‹ […], sondern selbst seelsorgerische Akteurin« ist. Als »Freiwilligengemeinde« biete sie Studierenden und Hochschulmitarbeitenden eine »Gemeinde auf Zeit«. Statt »nachgehender« Seelsorge sind aus Ulrichs’ Perspektive »Konvivenz«, sowie erfahrungs- und lebensweltbezogene Angebote gefragt, die mit anderen »Freizeitbeschäftigungen« und missionarischen Gruppen außerhalb der verfassten Kirchen um das »rare Gut Zeit« konkurrieren. Als zielgruppenspezifische Themen sieht er die hohen Studierendenzahlen, die von Auf- und Umbrüchen bestimmte studentische Lebensphase, »divergente Lebenswelten«, die »veränderten Studienbedingungen nach dem Bologna-Prozess« sowie den Abbruch kirchlicher und religiöser Traditionen. Dabei konstatiert er einen großen »Anteil von Seelsorge in diesem Funktionspfarramt«, in der empathische und geistliche Lebensbegleitung, aber auch »niederschwellige Seelsorge im Zusammenhang mit Kasualien« und Notfallsituationen gefragt sei. Ulrichs benennt auch Problemanzeigen der evangelischen Hochschulseelsorge, so die geringe personelle Ausstattung und die mangelnde innerkirchliche Wahrnehmung und Wertschätzung dieses Seelsorgefeldes. Entsprechend entwickelt er Herausforderungen für die feldspezifische Aus- und Fortbildung, wobei er neben der Arbeit an der eigenen Person und an dem zentralen seelsorglichen Profil der Hochschulseelsorge auch einen missionarischen Schwerpunkt für notwendig erachtet. Für sinnvoll hält er eine Zusatzqualifikation, welche zum Konfliktmanagement befähigt. Als »Schlüsselqualifikation« bezeichnet er jedoch die eigene Erfahrung, sowohl aus dem »gemeindlichen Pfarramt«, als auch aus dem eigenen Studium. Abschließend reflektiert Ulrichs über die »Wirksamkeit« der Hochschulseelsorge, welche »temporär für vorübergehende Gemeindeglieder« da ist und daher die »Nachhaltigkeit« der eigenen Arbeit oft nicht erlebt, sondern »mehr der Kirche Jesu Christi im Gesamten zu dienen« hat.

Aufgrund dieser exemplarischen Einblicke reflektiert Wolfgang Drechsel abschließend und ausblickend über »die Vielfalt der seelsorglichen Praxis als Grundlage der Frage nach der Seelsorge«. Unter kritischer Aufnahme des Bildes von der Muttersprache stellt er fest: »In den verschiedenen Seelsorgefeldern werden sehr verschiedene Sprachen gesprochen, […] die durch […] den Kontext des jeweiligen Seelsorgefeldes bestimmt sind«. Angesichts dieser »lebensbezogenen Pluralität« von Seelsorge ist zuerst zu klären »welche Sprache wo gesprochen wird«, um von da aus nach einer »gemeinsamen Grammatik« zu fragen. Dabei vollzieht Drechsel mit Blick auf die jüngere Seelsorgegeschichte einen Perspektivwechsel, von der Ausrichtung auf psychotherapeutische Konzepte in der Seelsorge, welche »tiefgehende Gespräche«, Kommunikation und Beziehung in den Mittelpunkt rücken, hin zu einer konkreten empirischen »Aufmerksamkeit auf die Seelsorgefelder«. Dem jeweiligen Verständnis von Seelsorge in den einzelnen Feldern nähert sich Wolfgang Drechsel zunächst anhand dreier grundlegender Dimensionen – Kontext, Kommunikation und Beziehung sowie christlicher Glaube – an. Darauf aufbauend entwickelt er verschiedene praxisbezogene Ebenen und thematische Unterscheidungen. Aus der Wahrnehmung der teils widersprüchlichen Vielgestaltigkeit fragt Drechsel neu »nach der Einheit« der Seelsorge. Diese sieht er nicht in Themen oder Inhalten, sondern in der »seelsorglichen Haltung« und in einer »Sicht vom Menschen in der Gottesperspektive«, welche »die Seelsorgerin und ihr Gegenüber umgreift.« Diese verbindet die unterschiedlichen Felder und macht »die Seelsorge zur Seelsorge«.

Was ist also gemeint, wenn von »Seelsorge« heute die Rede ist? Es ergibt sich ein differenziertes Bild. Die Beiträge dieses Symposions nähern sich exemplarisch der Vielgestaltigkeit von Seelsorge an. Die Vielgestaltigkeit wird sich, angesichts der Pluralisierung von Lebenswelten und der Weiterentwicklung digitaler Medien, noch weiter ausdifferenzieren. Der hier vollzogene Perspektivwechsel hin zur Aufmerksamkeit auf die konkreten Felder bietet empirische Zugänge und Kategorien einer »theologischen Grammatik«, die Seelsorge in ihrer Ausdifferenzierung wahrnehmen lassen, ohne sie vorschnell auf eine einheitliche Definition zu verengen.

Heidelberg, im Mai 2017

Sabine Kast-Streib/Wolfgang Drechsel

1 Vgl. dazu z.B. epd-Dokumentation 6/2012, darin den Beitrag von Thorsten Latzel, »Geistlich Leiten« – Versuch einer Begriffsschärfung.

2 Z.B.: »Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden« – Seelsorge in der Evangelischen Landeskirche in Baden, Karlsbad 2013, Download unter www.zfs-baden.de. Kerstin Lammer, Sebastian Borck et al., Menschen stärken: Seelsorge in der evangelischen Kirche, Gütersloh 2015.

3 Petra Bosse-Huber, Seelsorge – »Muttersprache« der Kirche, in: Anja Kramer/Freimut Schirrmacher (Hrsg.), Seelsorgliche Kirche im 21. Jahrhundert, Neukirchen-Vluyn 2005, 11–17.

4 Siehe epd-Dokumentation 10/2010: Seelsorge – Muttersprache der Kirche. Dokumentation eines Workshops der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hannover, 16. November 2009).

5 Die Seelsorge in »öffentlichen Anstalten« ist in Deutschland, als Folge der Ausübung der Religionsfreiheit, seit der Weimarer Reichsverfassung sogar verfassungsrechtlich garantiert (gemäß Art. 140 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland).

*Die sog. inklusive Schreibweise (z.B. Schüler und Schülerinnen) wird nur da verwendet, wo es wirklich um Individuen in ihrer Geschlechterdifferenz geht, nicht um den Typus, der im Deutschen zumeist durch die maskuline Form bezeichnet wird.

ZWISCHEN »GRÜSS-GOTT«-SEELSORGE UND KRISENINTERVENTION

Seelsorge im Akutkrankenhaus

Elisabeth Hartlieb

Seelsorge1 aus der Perspektive des Krankenhauses bedeutet, dass seelsorglicher Kontakt und Begegnung unter der Signatur der Krankheit, der Verletzung und des körperlichen Schmerzes steht. Dies ist die Erfahrung, die die Patienten und ihre Angehörigen bei aller Unterschiedlichkeit der Individualität, ihrer Biographie und ihrer sozialen Herkunft, Religion und Kultur gemeinsam ist und die auch alle Mitarbeitenden im Krankenhaus bis hin in die Verwaltung und die technisch-handwerklichen Bereiche nicht unberührt lässt. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass seelsorgliche Begegnungen im Krankenhaus monothematisch von Krankheit und Sterben bestimmt sind. Das gilt weder für Patienten und ihre Angehörigen noch und erst recht nicht für die Mitarbeitenden. Dennoch stellen Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod die inhaltlichen Leitthemen dieses Kontaktes dar, weil Krankenhäuser Orte sind, an denen sich vieles, was mit Kranksein und körperlichem Leiden zu tun hat, verdichtet und in eine organisatorische Struktur gebracht ist. Dies kommt in der folgenden Definition knapp zum Ausdruck:

»Ein Krankenhaus […] ist eine Einrichtung, in der durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung die Krankheiten, Leiden oder körperlichen Schäden festgestellt und geheilt oder gelindert werden. Auch die Geburtshilfe und die Sterbebegleitung gehören zu den Aufgaben eines Krankenhauses.«2

Diese Definition hebt darauf ab, was in einem Krankenhaus getan wird. Im Zentrum steht der medizinisch-therapeutische Umgang mit Krankheit und kranken Menschen. Zugleich verdichten sich an diesem Ort gesellschaftliche Muster und kulturelle Konzepte davon, wie wir Kranksein und Gesundsein, Körper und Seele, Schmerzen, ins Leben kommen oder Sterben bewältigen und verstehen.

Unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen steht das Krankenhaus als öffentliche Einrichtung? Wie sieht der institutionell-organisatorische Rahmen aus, in dem insbesondere das ärztliche, pflegerische und das weitere therapeutische Personal arbeitet? Wie wirkt der Ort Krankenhaus auf Patienten und Angehörige? Unter welchen Vorzeichen geschieht an diesem Ort Seelsorge?

1. GESUNDHEITSPOLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN

»Das moderne Krankenhaus ist ein Dienstleistungsanbieter im Sektor Gesundheitswesen …«3 und bewegt sich nach ökonomischen Prinzipien auf dem funktional aufgefächerten Gesundheitsmarkt. Dies ist politisch so gewollt. In der ökonomischen Logik stellt eine Krankenhausbehandlung eine Dienstleistung dar, die mit einer zu definierenden und überprüfbaren Qualität möglichst effizient erbracht werden soll. Dieses Denken beeinflusst die Therapien und Arbeitsprozesse sowie die Arbeitshaltung der Beschäftigten. Keine Ärztin kann die Augen verschließen vor der wirtschaftlichen Logik des Fallpauschalensystems; Pflegekräfte haben in den letzten Jahren eine enorme Arbeitsverdichtung erlebt4 und haben oft den Eindruck, sie seien nur noch als Kostenfaktoren für Klinikleitungen im Blick; in den Krankenhausleitungen bildet sich die ökonomische Ausrichtung darin ab, dass in der Regel eine Doppelspitze von ärztlicher und betriebswirtschaftlicher Leitung existiert.