Selection – Der Erwählte - Kiera Cass - E-Book + Hörbuch

Selection – Der Erwählte Hörbuch

Kiera Cass

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Beschreibung

Der dritte Band des Weltbestsellers ›Selection‹! 35 perfekte Mädchen waren angetreten. Nun geht das Casting in die letzte Runde: Vier Mädchen träumen von der Krone Illeás und einer Märchenhochzeit. America ist noch immer die Favoritin des Prinzen, doch auch ihre Jugendliebe Aspen umwirbt sie heftig. Sie zögert, denn sie liebt beide. Doch jetzt ist der Moment der Entscheidung gekommen: America hat ihr Herz vergeben, mit allen Konsequenzen. Komme, was wolle … Fortsetzung der romantischen ›Selection‹-Serie für Mädchen ab 14! ›Selection – Die Elite‹ schoss bei Erscheinen in den USA direkt auf Platz 1 der New York Times Bestsellerliste! ›Selection‹ und ›Selection – Die Elite‹ standen monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste!

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Zeit:5 Std. 40 min

Sprecher:Friederike Wolters

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Kiera Cass

Selection – Der Erwählte

Aus dem Amerikanischen von Susann Friedrich

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung]1234567891011121314151617181920212223242526272829303132EpilogDanksagungLeseprobe ›Atlantia‹Meine Zwillingsschwester Bay […]

Für Callaway,

den Jungen, der das Baumhaus in meinem Herzen erklommen

und mich zur Königin seines Herzens gemacht hat.

1

Wir waren im Großen Saal und ließen gerade eine weitere Unterrichtsstunde in Etikette über uns ergehen, als plötzlich Steine durchs Fenster flogen. Sofort warf sich Elise auf den Boden und kroch wimmernd auf die Seitentür zu. Celeste stieß einen spitzen Schrei aus und wich hastig in den rückwärtigen Teil des Raums zurück. Nur mit knapper Not entkam sie dem Glassplitterregen. Kriss packte mich am Arm und zog mich mit sich. Ich setzte mich in Trab, und wir rannten zur Tür.

»Beeilung, meine Damen!«, rief Silvia.

Innerhalb von Sekunden hatten sich die Wachmänner an den Fenstern postiert und das Feuer eröffnet. Während unserer Flucht hallte das Geräusch der Gewehrsalven in meinen Ohren. Ob die Rebellen nun mit Gewehren oder nur mit Steinen bewaffnet waren: Jeder, der sich in unmittelbarer Nähe des Palastes aggressiv verhielt, hatte sein Leben verwirkt, denn mittlerweile wurden die Angriffe mit aller Härte bekämpft.

»Ich hasse es, in diesen Schuhen zu rennen«, murmelte Kriss, raffte ihr Kleid mit einem Arm und richtete den Blick auf das Ende des Flurs.

»Eine von uns wird sich wohl daran gewöhnen müssen«, japste Celeste.

Ich verdrehte die Augen. »Wenn ich es bin, werde ich immer nur Sneakers tragen. Ich bin es jetzt schon leid.«

»Nicht schwatzen, laufen!«, schrie Silvia.

»Wie kommen wir von hier aus nach unten?«, fragte Elise.

»Und was ist mit Maxon?«, schnaubte Kriss.

Silvia antwortete nicht. Auf dem Weg in den Keller folgten wir ihr durch ein Labyrinth von Gängen, wobei ein Leibgardist nach dem anderen in entgegengesetzter Richtung an uns vorbeirannte. Ich bewunderte sie für den Mut, den sie aufbringen mussten, um der Gefahr entgegenzulaufen – nur um das Leben anderer Menschen zu schützen.

Die Mehrheit der Wachmänner konnte ich nicht auseinanderhalten, doch dann streifte mich ein Blick aus grünen Augen. Aspen sah weder ängstlich noch erschrocken aus. Es gab ein Problem, und er war unterwegs, um es zu lösen. So tickte er nun mal.

Wir schauten uns nur kurz an, doch das reichte aus. So war es immer mit ihm. Ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen, hatte ich Aspen eine Botschaft übermittelt: Sei vorsichtig und sieh zu, dass dir nichts passiert. Und er hatte ebenso stumm geantwortet: Ich weiß, und du pass auf dich auf.

Ohne Worte klappte unsere Verständigung hervorragend. Doch wenn wir uns richtig unterhielten, lief es weniger gut. Wie bei unserer letzten Begegnung. Ich war kurz davor gewesen, nach Hause zurückzukehren, und hatte Aspen gebeten, mir ein wenig Zeit zu lassen, um erst einmal das Casting verarbeiten zu können. Und dann war ich doch hiergeblieben und hatte ihm nicht erklärt, warum.

Vielleicht war seine Geduld mit mir allmählich erschöpft, und seine Fähigkeit, immer nur das Beste in mir zu sehen, versiegt. Irgendwie würde ich das wieder in Ordnung bringen müssen. Ich konnte mir ein Leben, in dem Aspen nicht vorkam, kaum vorstellen. Selbst jetzt, da ich hoffte, Maxon möge sich für mich entscheiden.

»Hier ist es!«, rief Silvia und drückte eine Geheimtür in der Wand auf.

Wir liefen die Treppe hinunter, Elise und Silvia vorneweg.

»Verdammt, Elise, mach mal ein bisschen schneller!«, brüllte Celeste. Erst wollte ich mich über sie aufregen, doch dann wurde mir klar: Wir dachten alle das Gleiche.

Während wir ins Dunkel hinabstiegen, versuchte ich mich darauf einzustellen, dass ich wieder viele Stunden im Schutzraum verbringen würde – wie eine Maus, die sich vor der Katze verbarg. Wir gingen weiter, und das Geräusch unserer Schritte übertönte den Lärm im Palast, bis wir die Stimme eines Mannes über uns hörten.

»Halt!«, brüllte er.

Kriss und ich drehten uns gleichzeitig um und spähten die Treppe hoch. Dort stand ein Mann in Uniform. »Bleibt stehen«, rief Kriss den anderen zu, die schon weiter unten waren. »Es ist ein Wachmann.«

Heftig atmend warteten wir auf ihn. Als er uns erreicht hatte, ging sein Atem ebenfalls stoßweise.

»Sie können wieder nach oben kommen, meine Damen. Als wir das Feuer eröffnet haben, sind die Rebellen sofort geflohen. Anscheinend hatten sie heute keine Lust zu kämpfen.«

Silvia, die mit den Händen ihr Kleid glättete, sprach für uns alle: »Hat der König die Lage für unbedenklich erklärt? Wenn nicht, dann bringen Sie diese Mädchen in große Gefahr.«

»Die Order kam vom Hauptmann der Leibgarde. Ich bin sicher, Seine Majestät …«

»Sie können nicht für den König entscheiden. Kommen Sie, meine Damen, wir gehen weiter.«

»Ist das Ihr Ernst?«, fragte ich. »Müssen wir wirklich für nichts und wieder nichts in den Schutzraum gehen?«

Silvia starrte mich mit einem Blick an, der selbst einen Rebellen eingeschüchtert hätte, und ich verstummte sofort. Zwischen uns war eine besondere Bindung entstanden, als sie mir mit ihren zusätzlichen Unterrichtsstunden unwissentlich geholfen hatte, mich von Maxon und Aspen abzulenken. Nach meiner »Glanznummer« beim Bericht aus dem Capitol ein paar Tage zuvor schien davon jedoch nichts mehr übrig zu sein. »Holen Sie die offizielle Erlaubnis des Königs ein«, fuhr Silvia an die Wache gewandt fort, »dann kommen wir wieder nach oben. Und jetzt setzen Sie sich bitte in Bewegung, meine Damen.«

Der Wachmann und ich wechselten einen resignierten Blick und gingen dann jeder unserer Wege.

Als nach zwanzig Minuten ein anderer Wachmann auftauchte und bekanntgab, wir könnten tatsächlich nach oben gehen, zeigte Silvia keinerlei Bedauern.

Ich war so wütend über die ganze Situation, dass ich nicht einmal mehr auf sie und die anderen wartete. Hastig stieg ich die Treppe hoch, kam irgendwo im Erdgeschoss heraus und ging dann schnurstracks auf mein Zimmer. Meine Zofen waren nicht da, aber auf meinem Bett lag ein kleines Silbertablett mit einem Brief darauf.

Ich erkannte Mays Handschrift, riss den Umschlag auf und verschlang jedes ihrer Worte:

Liebe Mer,

 

wir sind jetzt Tanten! Astra ist einfach perfekt. Ich wünschte, Du wärst hier und könntest sie persönlich in Augenschein nehmen, aber wir alle haben Verständnis dafür, dass Du im Moment im Palast bleiben musst. Glaubst Du, dass wir uns zu Weihnachten sehen können? Es ist ja nicht mehr lange bis dahin! Gleich muss ich wieder zurück zu Kenna und James, um ihnen zu helfen. Ich kann es nicht fassen, wie hübsch Astra ist! Hier ist ein Bild für Dich. Wir haben Dich sehr lieb!

 

May

Ich zog das glänzende Foto hinter dem Brief hervor. Alle hatten sich darauf versammelt, nur Kota und ich fehlten. James, Kennas Ehemann, strahlte und stand mit müden Augen über seine Frau und seine Tochter gebeugt. Kenna saß aufrecht im Bett, hielt ein winziges rosa Bündel im Arm und sah entzückt und erschöpft zugleich aus. Mom und Dad glühten vor Stolz, während Mays und Gerads Begeisterung einen geradezu anzuspringen schien. Natürlich war Kota nicht gekommen, er hatte ja keinen Nutzen davon, dabei zu sein. Aber ich hätte dort sein sollen.

Doch ich war es nicht.

Ich war hier. Und manchmal verstand ich selbst nicht, warum. Obwohl er alles in seiner Macht Stehende unternommen hatte, damit ich im Palast blieb, traf sich Maxon weiterhin mit Kriss. Von außen bedrohten uns die Rebellen, sie attackierten uns mit aller Härte. Und in meinem Inneren richteten die eisigen Worte des Königs ebenso großen Schaden an. Außerdem schlich Aspen ständig um mich herum, worüber ich mit niemandem sprechen konnte. Ich fühlte mich von allen Seiten bedrängt, und sämtliche Dinge, die mir früher wichtig gewesen waren, kamen jetzt zu kurz.

Ich schluckte ein paar Zornestränen hinunter. Ich hatte es so satt, zu weinen.

Stattdessen fing ich an, Pläne zu schmieden. Es gab nur einen Weg, die Dinge wieder in die richtige Richtung zu lenken: Das Casting musste rasch ein Ende finden.

Obwohl mich die Prinzessinnenfrage noch immer beschäftigte, war ich mir mittlerweile ganz sicher, Maxons Frau werden zu wollen. Doch wenn daraus etwas werden sollte, durfte ich mich nicht zurücklehnen und darauf hoffen, dass es von selbst geschah. Ich lief im Zimmer auf und ab, dachte an meine letzte Unterhaltung mit dem König und wartete ungeduldig auf die Rückkehr meiner Zofen.

 

Ich bekam kaum Luft; essen würde ich wohl nichts können. Aber das war es zweifellos wert. Irgendwie musste ich mit Maxon einen Schritt weiterkommen. Und zwar bald. Wenn es stimmte, was der König angedeutet hatte, dann machten die anderen Mädchen Maxon Avancen – Avancen körperlicher Art. Und König Clarkson hatte auch gesagt, ich sei viel zu reizlos, um es auf diesem Gebiet mit ihnen aufnehmen zu können.

Als ob meine Beziehung zu Maxon nicht schon kompliziert genug gewesen wäre, musste ich jetzt auch noch sein Vertrauen zurückgewinnen. Sollte ich ihn direkt auf diese Annäherungsversuche ansprechen oder nicht? Eigentlich hatte ich nicht das Gefühl, dass er den anderen Mädchen körperlich schon besonders nahegekommen war – bis auf die Episode mit Celeste. Trotzdem nagten Zweifel an mir. Noch nie hatte ich versucht, ihn zu verführen. Jeder intime Moment zwischen uns war zufällig entstanden. Aber wenn ich es jetzt bewusst darauf anlegte, würde ich ihm hoffentlich klarmachen können, dass ich genauso viel Interesse an ihm hatte wie die anderen.

Ich holte tief Luft, hob das Kinn und betrat den Speisesaal. Ich kam absichtlich ein wenig zu spät, in der Hoffnung, die anderen hätten sich bereits gesetzt. So war es auch. Doch die Reaktionen waren noch besser als erwartet.

Ich knickste und schwang das Bein weit nach hinten, so dass der Schlitz in meinem Kleid bis zum Oberschenkel aufklaffte. Das Kleid war dunkelrot, trägerlos und fast komplett rückenfrei. Es kam mir so vor, als hätten meine Zofen Magie angewandt, damit es überhaupt an meinem Körper hielt. Ich erhob mich wieder und blickte zu Maxon, der aufgehört hatte zu kauen. Jemand ließ eine Gabel fallen.

Ich senkte den Blick und setzte mich auf meinen Platz neben Kriss.

»Ist das dein Ernst, America?«, flüsterte sie.

Ich neigte den Kopf in ihre Richtung. »Ich glaube, ich verstehe nicht recht?«, erwiderte ich und gab vor, verwirrt zu sein.

Sie legte das Besteck hin, und wir sahen uns an. »Du siehst billig aus.«

»Tja, und du siehst eifersüchtig aus.«

Offenbar hatte ich ins Schwarze getroffen, denn sie errötete ein wenig und wandte sich wieder ihrem Teller zu. Ich selbst nahm nur ein paar Bissen, denn das Kleid schnürte mich bereits jetzt furchtbar ein. Als das Dessert serviert wurde, beschloss ich, Maxon nicht länger zu ignorieren. Sein Blick ruhte auf mir – genau wie ich gehofft hatte. Sofort hob er die Hand und fasste sich ans Ohr. Schüchtern tat ich es ihm nach. Dann schaute ich kurz zu König Clarkson und unterdrückte ein Lächeln. Er war sichtlich verärgert.

Ich entschuldigte mich als Erste und gab Maxon ausreichend Gelegenheit, den Rückenausschnitt meines Kleids zu bewundern. Dann ging ich auf mein Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir, zog sofort den Reißverschluss herunter und schnappte nach Luft.

»Wie war es?«, fragte Mary und kam zu mir.

»Er schien überwältigt zu sein. Und alle anderen auch.«

Lucy quiekte begeistert, und Anne eilte Mary zu Hilfe. »Wir halten das Kleid für Sie fest. Bewegen Sie sich ruhig«, riet sie mir, und ich befolgte ihren Rat. »Kommt er heute Abend?«

»Ja. Ich weiß nicht genau, wann, aber er wird ganz sicher auftauchen.«

Ich hockte mich auf die Bettkante und schlang die Arme um den Oberkörper, damit das Kleid nicht herunterrutschte.

Anne sah mich mitfühlend an. »Es tut mir leid, dass Sie noch ein paar Stunden in diesem Kleid aushalten müssen, aber ich bin mir sicher, das ist es wert.«

Ich lächelte und versuchte den Eindruck zu erwecken, als ob mir diese Pein nicht viel ausmachte. Ich hatte meinen Zofen gesagt, dass ich Maxons Aufmerksamkeit erregen wollte. Aber ich hatte ihnen nicht erzählt, dass ich darauf hoffte, dieses Kleid schon bald am Boden liegen zu sehen.

»Sollen wir hierbleiben, bis er kommt?«, fragte Lucy mit überschäumendem Eifer.

»Nein, helft mir nur, den Reißverschluss wieder zuzumachen, ich muss nachdenken«, erwiderte ich und stand auf.

Mary packte den Reißverschluss. »Luft anhalten, Miss.« Ich gehorchte, und wieder schnürte das Kleid mich ein. Unwillkürlich dachte ich an einen Soldaten, der in den Krieg zog. Zwar trug er eine andere Art von Rüstung, aber das Ziel war dasselbe.

Heute Nacht würde ich einen Mann erobern.

2

Ich öffnete die Balkontüren und ließ die süße Luft in mein Zimmer. Obwohl es bereits Dezember war, prickelte die sanfte Brise auf meiner Haut. Ohne die Begleitung von Leibwächtern durften wir überhaupt nicht mehr nach draußen, das musste an Frischluft also genügen.

Ich lief im Zimmer umher, zündete Kerzen an und versuchte eine stimmungsvolle Atmosphäre zu schaffen. Es klopfte an der Tür. Schnell blies ich das Streichholz aus, sprang hinüber zum Bett, griff nach einem Buch und breitete mein Kleid auf der Bettdecke aus. Genau, Maxon, so sehe ich immer aus, wenn ich lese.

»Herein«, sagte ich so leise, dass es kaum zu hören war.

Maxon trat ein, und ich hob anmutig den Kopf und sah das Staunen in seinen Augen, als er sich in meinem spärlich erleuchteten Zimmer umschaute. Schließlich fiel sein Blick auf mich und wanderte mein entblößtes Bein hinauf.

»Da bist du ja«, sagte ich und klappte das Buch zu, um ihn zu begrüßen.

Er schloss die Tür hinter sich, und seine Augen glitten über meine Rundungen. »Du siehst heute Abend phantastisch aus.«

Ich warf meine Haare zurück. »Ach, meinst du das Kleid? Es hing irgendwo ganz hinten im Schrank.«

»Dann freue ich mich, dass du es hervorgeholt hast.«

Ich verschränkte die Finger mit seinen. »Komm, setz dich zu mir. In letzter Zeit habe ich dich kaum gesehen.«

Er seufzte und ließ sich neben mir nieder. »Das bedauere ich auch wirklich sehr. Wir haben bei dem letzten Rebellenangriff viele Männer verloren, deshalb ist die Lage ein bisschen angespannt. Und du weißt ja, wie mein Vater ist. Wir haben einige Leibgardisten zum Schutz eurer Familien abkommandiert, und nun ist unsere Wachmannschaft ziemlich ausgedünnt. Also benimmt er sich noch schlimmer als sonst. Und er will unbedingt, dass ich das Casting rasch beende, doch in diesem Punkt gebe ich nicht nach. Ich möchte mir genügend Zeit nehmen, um alles gründlich zu überdenken.«

Ich rückte ein Stück näher an Maxon heran. »Natürlich. Nur du allein solltest diese Entscheidung treffen.«

Er nickte. »Es macht mich einfach wahnsinnig, wenn man Druck auf mich ausübt.«

Ich zog einen Schmollmund. »Das weiß ich doch.«

Er schwieg, und ich wusste nicht, was in ihm vorging. Wie konnte ich nun weitermachen, ohne dass er sich bedrängt fühlte? Ich hatte keine Ahnung, wie man eine romantische Situation herbeiführte.

»Das findest du jetzt bestimmt albern, aber meine Zofen haben mich heute mit diesem neuen Parfum besprüht. Riecht es zu aufdringlich?«, fragte ich und senkte den Kopf, so dass er an meinem Hals schnuppern konnte.

Er beugte sich vor, und seine Nase berührte die zarte Haut an meinem Hals. »Nein, Liebes. Es riecht wundervoll«, sagte er an meiner Halsbeuge. Dann küsste er mich dort. Ich schluckte und versuchte, mich zu konzentrieren. Ich musste die Dinge zumindest ansatzweise unter Kontrolle behalten.

»Schön, dass es dir gefällt. Ich habe dich wirklich vermisst.«

Er legte einen Arm um mich, und ich hob ihm mein Gesicht entgegen. Er blickte mich an, und unsere Lippen waren nur noch Millimeter voneinander entfernt.

»Wie sehr hast du mich vermisst?«, flüsterte er.

Seine Augen und seine tiefe Stimme stellten seltsame Dinge mit meinem Herzschlag an. »Sehr«, flüsterte ich zurück. »Ich habe dich unglaublich vermisst.«

Ich sehnte mich danach, von ihm geküsst zu werden. Selbstsicher zog mich Maxon mit der einen Hand noch enger an sich, mit der anderen fuhr er mir durchs Haar. Mein Körper wollte sich in dem Kuss verlieren, doch das Kleid verhinderte das. Als mir mein Plan wieder einfiel, wurde ich plötzlich nervös.

Ich ließ die Hände über Maxons Arme gleiten und führte seine Finger zu dem Reißverschluss an meinem Rücken – in der Hoffnung, dies wäre eindeutig genug.

Seine Hände verharrten einen Augenblick dort, und ich war kurz davor, ihn zu bitten, den Reißverschluss zu öffnen. Im selben Moment brach er in Lachen aus.

Das ernüchterte mich augenblicklich.

»Was ist so komisch?«, fragte ich entsetzt und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, unauffällig meinen Atem zu überprüfen. Er roch doch nicht etwa schlecht?

»Von allem, was du bisher getan hast, war das bei weitem das Amüsanteste!« Maxon beugte sich vor und schlug sich vor Lachen auf die Schenkel.

»Wie bitte?«

Er küsste mich fest auf die Stirn. »Ich habe mich immer gefragt, wie es sein würde, wenn du es versuchst.« Wieder fing er an zu lachen. »Tut mir leid, ich muss jetzt gehen.« Selbst die Art, wie er aufstand, wirkte irgendwie belustigt. »Wir sehen uns morgen früh.«

Und dann ging er. Er ging einfach!

Zutiefst gedemütigt saß ich da. Warum um alles in der Welt hatte ich geglaubt, ich könnte so eine Show abziehen? Natürlich wusste Maxon nicht alles von mir, aber er kannte meinen Charakter. Und das hier? Das war nicht ich.

Ich sah an mir herab auf das lächerliche Kleid. Es war eindeutig zu verrucht. Nicht mal Celeste wäre so weit gegangen. Meine Haare saßen zu perfekt, und ich hatte viel zu viel Make-up aufgetragen. Von dem Moment an, als Maxon zur Tür hereingekommen war, hatte er gewusst, was ich vorhatte. Seufzend lief ich im Zimmer umher, blies die Kerzen aus und fragte mich verzweifelt, wie ich ihm am nächsten Morgen gegenübertreten sollte.

3

Ich überlegte, mich mit einer Magen-Darm-Grippe zu entschuldigen oder mit unerträglichen Kopfschmerzen. Einer Panikattacke. Ganz egal, Hauptsache, das Frühstück blieb mir erspart.

Dann dachte ich an Maxon und daran, wie er immer davon sprach, dass man sich zusammenreißen und Haltung beweisen müsse. Das war nicht gerade eine Stärke von mir. Aber wenn ich mich in den Speisesaal traute, würde mir das vielleicht seine Anerkennung einbringen.

In der Hoffnung, ich könnte etwas von dem, was ich angerichtet hatte, wiedergutmachen, bat ich meine Zofen um das züchtigste Kleid, das ich besaß. Allein das machte ihnen klar, dass sie gar nicht erst nach letzter Nacht zu fragen brauchten. Der Halsausschnitt des Kleids war ein bisschen höher, als man ihn üblicherweise im warmen Klima von Angeles trug, und seine Ärmel reichten fast bis zum Ellbogen. Es hatte ein fröhliches Blumenmuster und war das genaue Gegenteil meines gestrigen Aufzugs.

Als ich den Speisesaal betrat, konnte ich Maxon zwar kaum ansehen, trotzdem ging ich hocherhobenen Hauptes zu meinem Platz.

Schließlich spähte ich doch zu ihm hinüber, und er grinste mich an. Während er sein Essen kaute, zwinkerte er mir zu. Ich senkte den Kopf und tat so, als interessierte ich mich nur für meine Quiche.

»Schön, dass du heute ein richtiges Kleid anhast«, sagte Kriss streitlustig.

»Schön, dass du heute so gute Laune hast.«

»Was in aller Welt ist in dich gefahren?«, zischte sie.

Resigniert gab ich auf. »Ich bin heute nicht in der Stimmung, Kriss. Lass mich einfach in Ruhe.«

Für einen Moment sah sie so aus, als wollte sie dagegenhalten, aber offenbar war ich es ihr nicht wert. Also setzte sie sich nur aufrechter hin und aß weiter. Hätte ich vergangene Nacht auch nur ein kleines bisschen Erfolg gehabt, hätte ich meinen Auftritt rechtfertigen können. Aber so, wie die Dinge lagen, konnte ich nicht mal so tun, als wäre ich stolz darauf.

Ich riskierte noch einen Blick in Maxons Richtung, und obwohl er nicht zu mir schaute, unterdrückte er noch immer ein Grinsen, während er sein Essen kleinschnitt. Das reichte. Ich würde mir das nicht den ganzen Tag lang anschauen. Gerade wollte ich eine Ohnmacht vortäuschen, mir den Bauch halten oder sonst etwas tun, um den Speisesaal verlassen zu können, als ein Diener hereinkam. Er trug ein silbernes Tablett mit einem Umschlag und verbeugte sich, bevor er ihn vor König Clarkson ablegte.

Der König nahm den Brief und las ihn rasch. »Verdammte Franzosen«, murmelte er. »Es tut mir leid, Amberly. Sieht so aus, als müsste ich noch in dieser Stunde aufbrechen.«

»Schon wieder ein Problem mit dem Handelsabkommen?«, fragte sie leise.

»Ja. Ich dachte, wir hätten das alles schon vor Monaten geklärt. Wir müssen das jetzt hundertprozentig festklopfen.« Er stand auf, warf seine Serviette auf den Teller und ging zur Tür.

»Vater!«, rief Maxon und stand ebenfalls auf. »Soll ich nicht mitkommen?«

Es hatte mich schon gewundert, dass der König seinem Sohn nicht wie sonst den Befehl zum Mitkommen zugebellt hatte. Stattdessen drehte er sich jetzt mit kaltem Blick zu Maxon um.

»Erst wenn du bereit bist, dich wie ein König zu verhalten«, sagte er mit scharfer Stimme, »bist du so weit, die Geschäfte eines Königs zu führen.« Und dann verschwand er ohne ein weiteres Wort.

Geschockt und beschämt, dass sein Vater ihm vor aller Augen eine Lektion erteilt hatte, stand Maxon da. Schließlich setzte er sich wieder und wandte sich seiner Mutter zu. »Wenn ich ehrlich bin, war ich sowieso nicht besonders scharf auf diese Reise«, versuchte er die angespannte Atmosphäre mit einem Scherz aufzulockern. Die Königin lächelte pflichtschuldig, und der Rest von uns tat möglichst unbeteiligt.

Die anderen Mädchen beendeten ihr Frühstück und entschuldigten sich, um in den Damensalon zu gehen. Als nur noch Maxon, Elise und ich am Tisch saßen, blickte ich ihn an. Wir zupften uns gleichzeitig am Ohr und lächelten. Endlich verschwand auch Elise, und wir zogen uns in eine Ecke des Saals zurück, ohne auf die Dienerinnen und Diener zu achten, die um uns herum abräumten.

»Es ist meine Schuld, dass er dich nicht mitnimmt«, jammerte ich.

»Kann schon sein«, neckte er mich. »Glaub mir, das ist nicht das erste Mal, dass er mich auf meinen Platz verweisen will. Er hat eine Million Gründe, warum er das für gerechtfertigt hält. Es würde mich nicht wundern, wenn er es diesmal nur aus Boshaftigkeit getan hat. Er will die Macht eben unter keinen Umständen aus der Hand geben.«

»Du kannst mich genauso gut nach Hause schicken. Dein Vater wird nie zulassen, dass du dich für mich entscheidest.« Immer noch hatte ich ihm nicht erzählt, wie der König mich eingeschüchtert und bedroht hatte – unmittelbar nachdem Maxon ihn überredet hatte, mich weiter am Casting teilnehmen zu lassen. Der König hatte mir befohlen, über unser Gespräch Stillschweigen zu bewahren, und ich wollte ihn nicht weiter reizen. Gleichzeitig gefiel es mir nicht, es vor Maxon geheim halten zu müssen.

»Außerdem«, fügte ich hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust, »kann ich mir nach dem, was vergangene Nacht passiert ist, nicht vorstellen, dass du überhaupt noch scharf drauf bist, mich länger hierzubehalten.«

Er biss sich auf die Lippen. »Bitte entschuldige, dass ich gelacht habe, aber wie hätte ich sonst reagieren sollen?«

»Da hätte ich viele Ideen«, murmelte ich, noch immer beschämt über meinen kläglich gescheiterten Verführungsversuch. »Ich komme mir so dumm vor.« Ich barg das Gesicht in den Händen.

»Hör auf«, sagte er sanft und zog mich in seine Arme. »Du kannst mir glauben, es war wirklich sehr schwer, dir zu widerstehen. Aber du bist nun mal nicht so ein Mädchen.«

»Aber müsste ich das denn nicht sein? Müsste das nicht Teil von dem sein, was wir für dich sind?«, wimmerte ich an seiner Brust.

»Denkst du denn gar nicht mehr an unsere Nacht im Schutzraum?«, fragte er mit leiser Stimme.

»Doch, aber da haben wir uns quasi voneinander verabschiedet.«

»Dann wäre das ein phantastischer Abschied gewesen.«

Ich trat einen Schritt zurück und schlug nach ihm. Er lachte, froh, die Verlegenheit zwischen uns durchbrochen zu haben.

»Am besten, wir vergessen das Ganze«, schlug ich vor.

»Sehr gern«, stimmte er mir zu. »Außerdem haben wir beide ein Projekt vor uns.«

»Haben wir das?«

»Ja, und wir sollten Vaters Abwesenheit nutzen. Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um Pläne zu schmieden.«

»Einverstanden«, sagte ich und freute mich darauf, Teil von etwas zu sein, das nur uns beide betraf.

Maxon seufzte und machte mich damit ganz nervös. »Es stimmt. Vater schätzt dich wirklich nicht. Aber man könnte ihn dazu zwingen, dich zu akzeptieren, indem wir ein bestimmtes Ziel erreichen.«

»Und das wäre?«

»Wir müssen dich zur Favoritin des Volkes machen.«

Ich verdrehte die Augen. »Das ist unser Projekt? Das wird niemals klappen, Maxon. Nachdem ich versucht habe, Marlee vor den Rutenschlägen zu retten, habe ich eine Umfrage in einer von Celestes Zeitschriften gesehen. Die Mehrheit der Leute kann mich nicht ausstehen.«

»Meinungen ändern sich. Lass dich von diesem einen Stimmungsbild nicht zu sehr runterziehen.«

Ich rechnete mir dennoch kaum Chancen aus, doch was sollte ich sagen? Wenn das meine einzige Möglichkeit war, musste ich es zumindest versuchen.

»Na schön«, lenkte ich ein. »Aber ich sage dir: Es wird nicht funktionieren.«

Mit einem schelmischen Grinsen beugte er sich zu mir und gab mir einen langen, zärtlichen Kuss. »Und ich sage dir: Das wird es doch.«

4

Als ich den Damensalon betrat, war die Königin noch nicht da, und die Mädchen drängten sich lachend am Fenster.

»America, komm schnell her!«, rief Kriss. Sogar Celeste wandte sich lächelnd zu mir um und winkte mich herüber.

Mit einem mulmigen Gefühl, was mich am Fenster wohl erwarten mochte, ging ich zu den anderen.

»O mein Gott!«

»Allerdings«, seufzte Celeste.

Im Garten lief die Hälfte der Leibgarde mit freiem Oberkörper ihre Runden. Aspen hatte mir erzählt, dass alle Wachmänner kräftigende Aufbauspritzen bekamen, doch offenbar trainierten sie auch viel, um ihre Körper in Topkondition zu halten.

Obwohl wir alle Maxon treu ergeben waren, ließ uns der Anblick hübscher Jungs nicht kalt.

»Der Typ mit den blonden Haaren«, sagte Kriss. »Also, ich glaube jedenfalls, er ist blond. Seine Haare sind ja so kurz!«

»Mir gefällt der da«, sagte Elise leise, als ein weiterer Leibgardist unter dem Fenster vorbeijoggte.

Kriss kicherte. »Ich kann nicht glauben, was wir hier machen!«

»Oh-oh! Da vorne ist der Typ mit den grünen Augen«, sagte Celeste und zeigte auf Aspen.

Kriss seufzte. »Mit dem habe ich an Halloween getanzt, und er ist genauso witzig wie attraktiv.«

»Ich habe auch mit ihm getanzt«, prahlte Celeste. »Er ist zweifellos der schönste Soldat im ganzen Palast.« Unwillkürlich musste ich schmunzeln. Wie würde sie über Aspen denken, wenn sie wüsste, dass er ein Sechser gewesen war?

Ich sah ihm beim Laufen zu und dachte an die unzähligen Male, als diese Arme mich umschlungen hatten. Die wachsende Distanz zwischen uns schien unvermeidlich zu sein, doch selbst jetzt fragte ich mich noch, ob es möglich war, ein Stück von dem zu retten, was uns miteinander verbunden hatte. Was war, wenn ich ihn brauchte?

»Und welcher gefällt dir, America?«, fragte Kriss.

Der Einzige, der mir wirklich ins Auge stach, war Aspen. Doch nachdem ich gerade diese seltsame Sehnsucht verspürt hatte, kam mir das Ganze irgendwie albern vor. Also wich ich der Frage aus.

»Keine Ahnung. Sie sind alle ganz hübsch.«

»Ganz hübsch?«, äffte mich Celeste nach. »Du machst wohl Witze! Unter ihnen sind ein paar der bestaussehenden Typen, die mir je untergekommen sind.«

»Es ist doch nur ein Haufen Jungs mit nacktem Oberkörper«, hielt ich dagegen.

»Genau, also warum genießt du die Aussicht nicht einfach, bevor du wieder nur uns drei vor der Nase hast«, sagte Celeste schnippisch.

»Ist doch egal. Maxon sieht mit nacktem Oberkörper genauso gut aus wie jeder dieser Kerle.«

»Wie bitte?«, krächzte Kriss.

Schlagartig wurde mir klar, was ich da angerichtet hatte. Drei Augenpaare fixierten mich.

»Wann genau wart ihr beide oben ohne?«, wollte Celeste wissen.

»Ich war es nicht!«

»Aber er?«, fragte Kriss. »War das der Sinn dieses abscheulichen Kleids, das du gestern getragen hast?«

Celeste schnappte nach Luft. »Du Schlampe!«

»Also hör mal!«, rief ich.

»Tja, was soll man denn sonst dazu sagen?«, blaffte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es sei denn, du erzählst uns jetzt ganz genau, was vorgefallen ist und warum wir uns furchtbar irren.«

Doch das konnte ich ihnen auf keinen Fall erzählen. Als ich Maxon das Hemd ausgezogen hatte, war das nicht gerade ein romantischer Augenblick gewesen. Die anderen Mädchen durften nicht erfahren, dass ich die Wunden auf seinem Rücken versorgt hatte. Denn es war sein Vater, der ihm die blutigen Striemen beigebracht hatte. Und dieses Geheimnis hütete Maxon schon sein Leben lang. Wenn ich ihn verriet, wäre das unser Ende.

»Celeste hat sich auf dem Flur halbnackt an ihn rangeschmissen!«, sagte ich anklagend und zeigte mit dem Finger auf sie.

Celeste klappte die Kinnlade herunter. »Woher weißt du das?«

»Ist etwa jede von euch schon nackt mit Maxon zusammen gewesen?«, fragte Elise entsetzt.

»Wir waren nicht nackt!«, brüllte ich.

»Okay«, sagte Kriss und streckte die Arme aus. »Wir sollten das jetzt klären. Wer hat was mit Maxon getan?«

Ein paar Sekunden lang waren alle still, denn keine von uns wollte den Anfang machen.

»Ich habe ihn geküsst«, sagte Elise. »Dreimal. Mehr war nicht.«

»Ich habe ihn noch nicht mal geküsst«, bekannte Kriss. »Aber nur, weil ich es selbst so will. Wenn ich es ihm erlauben würde, würde er mich gern küssen.«

»Wirklich? Nicht ein einziges Mal?«, fragte Celeste schockiert.

»Nicht ein einziges Mal.«

»Also, ich habe ihn schon oft geküsst.« Celeste warf die Haare nach hinten. Offenbar hatte sie beschlossen, lieber stolz als beschämt zu sein. »Und der beste Kuss war der im Flur neulich Nacht.« Sie sah mich herausfordernd an. »Wir mussten dauernd daran denken, wie aufregend es wäre, wenn man uns erwischt.«

Jetzt richteten sich alle Blicke auf mich. Die Worte des Königs hatten nahegelegt, dass die anderen Mädchen viel freizügiger waren als ich. Doch anscheinend war das nur ein weiterer Pfeil in seinem Köcher gewesen, eine weitere Methode, mich kleinzukriegen. Also packte ich aus.

»Ich war die Erste, die Maxon geküsst hat, nicht Olivia. Ich wollte nicht, dass es jemand erfuhr. Und es gab noch ein paar … intimere Momente zwischen uns. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte er kein Hemd an.«

»Kein Hemd an? Ist es wie durch Zauberhand davongeflogen oder was?«, bohrte Celeste nach.

»Er hat es ausgezogen«, gab ich zu.

Celeste war noch nicht zufrieden. »Er hat es ausgezogen oder hast du es ihm ausgezogen?«, drang sie in mich.

»Ich glaube, wir waren beide daran beteiligt.«

Einen Augenblick lang herrschte angespanntes Schweigen.

»Na schön, jetzt wissen wir alle, wo wir stehen«, ergriff Kriss wieder das Wort.

»Und wo stehen wir?«, fragte Elise.

Keine von uns antwortete.

»Ihr solltet wissen …«, fing ich an. »All diese intimen Momente haben mir wirklich viel bedeutet, genau wie Maxon selbst.«

»Willst du damit sagen, dass er uns nichts bedeutet?«, bellte Celeste.

»Dass er dir völlig egal ist, weiß ich.«

»Wie kannst du es wagen?«

»Es ist doch kein Geheimnis, dass du einen Mann willst, der Macht besitzt, Celeste. Bestimmt magst du Maxon gern, aber du bist nicht in ihn verliebt. Du bist vor allem an der Krone interessiert.«

Ohne zu widersprechen, wandte sich Celeste an Elise. »Und was ist mit dir? Ich habe nie auch nur einen Hauch von Gefühlen bei dir erlebt!«

»Ich bin eben zurückhaltend. Das solltest du auch mal probieren«, feuerte Elise schlagfertig zurück. Dass sie auch mal wütend werden konnte, machte sie mir gleich viel sympathischer. »In meiner Familie sind alle Ehen arrangiert. Ich wusste, was mich erwartet, und damit ist alles gesagt. Ich bin vielleicht nicht rettungslos in Maxon verliebt, aber ich respektiere ihn. Die Liebe kann später noch kommen.«

»Das klingt ehrlich gesagt ziemlich traurig, Elise«, sagte Kriss mitleidig.

»Ist es aber nicht. Es gibt wichtigere Dinge als Liebe.«

Wir starrten Elise an, ihre Worte klangen in uns nach. Ich hatte stets nur aus Liebe gekämpft. Für meine Familie. Um Aspen. Und obwohl es mir Angst machte, war ich mir sicher, dass all meine Aktionen in Bezug auf Maxon – selbst wenn sie absolut töricht waren – ebenfalls von Liebe gesteuert wurden. Aber wenn es bei dieser Sache nun um etwas Wichtigeres ging als das?

»Also, ich sage es geradeheraus: Ich liebe ihn«, brach es aus Kriss hervor. »Ich liebe ihn und ich will, dass er mich heiratet.«

Ihr Geständnis katapultierte mich unsanft in unser eigentliches Gespräch zurück. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Was hatte ich da bloß losgetreten?

»Na schön, America, jetzt du«, befahl Celeste.

Ich erstarrte, mein Atem ging flach. Es dauerte eine Weile, bis ich die richtigen Worte fand. »Maxon weiß, was ich für ihn empfinde, und nur das zählt.«

Celeste verdrehte die Augen, bohrte jedoch nicht weiter nach. Zweifellos hatte sie Angst, ich würde dann auch ein Geständnis von ihr fordern.

Schweigend blickten wir uns an. Seit Monaten waren wir zusammen im Palast, und jetzt endlich erkannten wir, wo wir im Wettbewerb standen. Jede von uns hatte einen Einblick bekommen, wie es um die Beziehungen der anderen zu Maxon bestellt war – zumindest in einer Hinsicht. Und dadurch konnte man sie erstmals miteinander vergleichen.

Kurze Zeit später kam die Königin herein. Nachdem wir vor ihr geknickst hatten, zogen wir uns alle zurück. Jede in eine Ecke, jede in sich selbst. Vielleicht hatte es unweigerlich so kommen müssen. Es gab vier Mädchen und einen Prinzen, und schon bald würden drei von uns den Palast verlassen – mit wenig mehr als einer interessanten Geschichte im Gepäck, wie wir den Herbst verbracht hatten.

5

Nervös lief ich in der Bibliothek auf und ab, während ich mir im Kopf die passenden Worte zurechtlegte. Ich musste Maxon erklären, was gerade passiert war, bevor er es von einem der anderen Mädchen erfuhr. Aber ich freute mich nicht gerade auf dieses Gespräch.

»Klopf, klopf«, sagte er, kam herein und bemerkte augenblicklich meinen besorgten Gesichtsausdruck. »Was ist los?«

»Werd bitte nicht sauer«, warnte ich ihn, als er näher kam.

Sein Schritt verlangsamte sich, und seine Betroffenheit verwandelte sich in Wachsamkeit. »Ich versuche es.«

»Die Mädchen wissen, dass ich deinen nackten Oberkörper gesehen habe.« Ich merkte, welche Frage ihm auf den Lippen lag. »Über deinen Rücken habe ich kein Wort gesagt«, schwor ich. »Aber ich hätte gern, denn jetzt denken sie, wir hätten wild herumgefummelt.«

Er lächelte. »So war es doch auch, oder?«

»Das ist nicht witzig, Maxon! Sie hassen mich jetzt.«

Als er mich umarmte, wirkte er noch immer belustigt. »Falls es dir ein Trost ist: Ich bin nicht sauer. Solange du mein Geheimnis bewahrst, ist mir alles andere egal. Obwohl ich ein bisschen geschockt bin, dass du es ihnen erzählt hast. Wie kam es denn überhaupt dazu?«

Ich barg meinen Kopf an seiner Brust. »Das möchte ich dir lieber nicht sagen.«

»Hm.« Sein Daumen glitt über meine Wirbelsäule. »Ich dachte, wir hatten uns vorgenommen, offener und vertrauensvoller zueinander zu sein.«

»Das stimmt. Und jetzt bitte ich dich, mir zu vertrauen, dass alles noch viel schlimmer wird, wenn ich es dir erzähle.« Ich wollte Maxon auf keinen Fall beichten, dass wir halbnackte, verschwitzte Soldaten beim Training beobachtet hatten.

»Na schön«, sagte er schließlich. »Die anderen Mädchen wissen jetzt also, dass du mich teilweise entkleidet gesehen hast. Noch etwas?«

Ich zögerte. »Sie wissen auch, dass ich die Erste war, die du geküsst hast. Und sie haben mir erzählt, was du mit ihnen getan oder nicht getan hast.«

Er zuckte zurück. »Wie bitte?«

»Nachdem ich das mit dem nackten Oberkörper gesagt hatte, gab es jede Menge gegenseitige Schuldzuweisungen, und dann haben alle reinen Tisch gemacht. Ich weiß jetzt, dass du mit Celeste schon oft rumgeknutscht hast und dass du Kriss schon längst geküsst hättest, wenn sie dich gelassen hätte. Es ist alles rausgekommen.«

Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und ging ein paar Schritte durch den Raum, um diese Nachricht zu verdauen. »Ich habe also jetzt keinerlei Privatsphäre mehr? Überhaupt keine? Nur weil ihr vier euren Punktestand vergleichen musstet?« Sein Frust war deutlich herauszuhören.

»Weißt du, für jemanden, dem Ehrlichkeit so wichtig ist, könntest du ruhig dankbarer sein.«

Er blieb stehen und starrte mich an. »Wie bitte?«

»Jetzt liegen alle Karten offen auf dem Tisch, und wir wissen ziemlich genau, wo wir stehen. Ich zumindest bin froh darüber.«

Er verdrehte die Augen. »Froh?«

»Wenn du mir erzählt hättest, dass Celeste dir bisher körperlich auch nicht näher gekommen ist als ich, hätte ich nie versucht, dich so zu verführen wie vergangene Nacht. Weißt du, wie demütigend das war?«

Er schnaubte und lief wieder auf und ab. »Ich bitte dich, America, du hast schon so viele dumme Dinge gesagt und getan, da überrascht es mich schon ein wenig, dass du überhaupt noch so etwas wie Scham empfinden kannst.«

Ich brauchte einen Moment, bis mir das Ausmaß dieser Beleidigung richtig klarwurde. Maxon hatte mich immer gemocht, jedenfalls hatte er das gesagt. Und damit hatte er sich offen gegen die Meinung anderer Leute gestellt. Widersprach seine Zuneigung auch seinem eigenen Urteil über mich?

»Ich werde jetzt gehen«, sagte ich leise, unfähig, ihm in die Augen zu sehen. »Es tut mir leid, dass ich das mit dem Hemd verraten habe.« Ich ging zur Tür, ich fühlte mich winzig. Bemerkte er meinen Abgang überhaupt?

»Ach, komm, America. So habe ich es doch nicht gemeint …«

»Schon gut«, murmelte ich. »Ich muss eben besser aufpassen, was ich sage.«

Ich stieg die Treppe hinauf, unsicher, ob ich mir wünschte, dass Maxon mir folgte oder nicht. Er tat es nicht.

Als ich mein Zimmer betrat, waren Anne, Mary und Lucy gerade dabei, meine Bettwäsche zu wechseln und die Regale abzustauben. »Hallo, Lady America«, begrüßte mich Anne. »Hätten Sie gern einen Tee?«

»Nein, ich möchte mich einen Moment lang auf den Balkon setzen. Wenn Besuch kommt, sagen Sie bitte, dass ich mich ausruhe.«

Anne runzelte ein wenig die Stirn, nickte aber. »Selbstverständlich.«

Ich verbrachte einige Zeit an der frischen Luft, dann sah ich mir die Lektüre an, die Silvia für uns zusammengestellt hatte. Anschließend machte ich ein kleines Nickerchen und spielte ein wenig Geige. Solange ich Maxon und den anderen Mädchen aus dem Weg gehen konnte, war es mir gleichgültig, womit ich mich beschäftigte.

Da der König verreist war, durften wir die Mahlzeiten auf unseren Zimmern einnehmen, und ich machte dankbar von dieser Möglichkeit Gebrauch. Ich hatte mein Pfeffer-Zitronenhuhn gerade halb aufgegessen, als es an der Tür klopfte. Vielleicht war ich ein bisschen paranoid, aber ich war mir sicher, dass es Maxon war. Auf keinen Fall konnte ich ihn jetzt empfangen. Ich schnappte mir Mary und Anne und zog sie mit mir ins Badezimmer.

»Lucy«, flüsterte ich. »Sagen Sie ihm bitte, ich nähme gerade ein Bad.«

»Ihm? Ein Bad?«

»Ja. Lassen Sie ihn nicht herein«, schärfte ich ihr ein.

»Worum geht es denn überhaupt?«, fragte Anne, als ich die Badezimmertür schloss und mein Ohr daran drückte.

»Könnt ihr etwas hören?«, fragte ich.

Die beiden pressten ebenfalls das Ohr an die Tür, um festzustellen, ob etwas zu verstehen war.

Zunächst vernahm ich nur den gedämpften Klang von Lucys Stimme, doch dann hielt ich mein Ohr an den Türschlitz, so dass ich das weitere Gespräch problemlos verfolgen konnte.

»Sie nimmt ein Bad, Eure Majestät«, sagte Lucy ruhig.

Also war es Maxon.

»Oh. Ich hatte gehofft, sie wäre noch beim Essen. Ich dachte, ich könnte ihr vielleicht Gesellschaft leisten.«

»Sie hat beschlossen, vor dem Essen ein Bad zu nehmen.« Lucys Stimme schwankte leicht, weil ihr die Lüge unangenehm war.

Komm schon, Lucy. Du schaffst das.

»Ich verstehe. Nun, vielleicht kann sie mir Bescheid geben, wenn sie fertig ist. Ich würde gern mit ihr sprechen.«

»Ähm … Es könnte ein längeres Bad werden, Eure Majestät.«

Maxon schwieg einen Augenblick. »Oh. Also gut. Könnten Sie ihr dann bitte ausrichten, dass ich hier gewesen bin und sie gern nach mir schicken lassen kann, wenn sie reden möchte. Egal, zu welcher Uhrzeit. Ich werde kommen.«

»Sehr wohl, Sir.«

Lange Zeit war es still, und ich nahm an, er sei bereits gegangen.

»Ich danke Ihnen«, sagte Maxon schließlich. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Eure Majestät.«

Ich blieb noch ein paar Sekunden im Bad, um ganz sicherzugehen, dass er weg war. Als ich herauskam, stand Lucy noch immer an der Tür. Ich blickte meine Zofen an und sah die Fragen in ihren Augen.

»Ich will heute Abend einfach allein sein«, sagte ich ausweichend. »Und ehrlich gesagt möchte ich mich am liebsten gleich hinlegen. Wenn Sie mein Essenstablett abräumen würden, dann mache ich mich schon mal bettfertig.«

»Möchten Sie, dass eine von uns bei Ihnen bleibt?«, fragte Mary. »Falls Sie den Prinzen doch noch rufen lassen wollen?«

Ich sah ihre hoffnungsvollen Blicke, musste sie aber enttäuschen. »Nein, ich brauche etwas Ruhe. Ich sehe Maxon ja morgen früh.«

Es war seltsam, mit dem Gefühl ins Bett zu gehen, dass zwischen Maxon und mir nicht alles im Reinen war. Wir hatten bereits so viele Höhen und Tiefen miteinander erlebt und so viele Versuche unternommen, unsere Beziehung zu festigen. Doch wenn das wirklich geschehen sollte, hatten wir zweifellos noch einen langen Weg vor uns.

 

Noch bevor der Morgen dämmerte, wurde ich jäh aus dem Schlaf gerissen. Das Licht aus dem kleinen Flur fiel in mein Zimmer. Ich rieb mir die Augen, als ein Wachmann hereinkam.

»Lady America, stehen Sie bitte auf«, sagte er.

»Was ist los?«, fragte ich gähnend.

»Ein Notfall. Sie werden unten gebraucht.«

Mir gefror das Blut in den Adern. Meine Familie war tot, ich wusste es. Der Palast hatte Wachen zu ihrem Schutz abkommandiert; man hatte sie gewarnt, dass ein Angriff jederzeit möglich war. Aber die Rebellen waren einfach in der Überzahl. Das Gleiche war mit Natalies Familie passiert. Sie hatte das Casting verlassen, nachdem die Rebellen ihre kleine Schwester getötet hatten. Keine unserer Familien war mehr sicher.

Ich warf die Bettdecke zurück und schnappte mir meinen Morgenmantel und die Pantoffeln.

So schnell ich konnte rannte ich über den Flur und dann die Treppe hinunter. Zweimal wäre ich fast auf den Stufen ausgerutscht. Als ich unten ankam, sprach Maxon gerade mit einem Wachmann. Er wirkte angespannt. Ich rannte zu ihm, mit einem Mal hatte ich alles vergessen, was während der vergangenen beiden Tage geschehen war.

»Geht es ihnen gut?«, fragte ich und drängte die Tränen zurück. »Wie schlimm ist es?«

»Was denn?«, fragte er und umarmte mich überraschenderweise.

»Meine Eltern, meine Brüder und Schwestern. Geht es ihnen gut?«

Rasch schob mich Maxon auf Armeslänge von sich und sah mir in die Augen. »Es geht ihnen gut, America. Bitte entschuldige, ich hätte wissen müssen, dass das dein erster Gedanke ist.«

Fast hätte ich zu weinen angefangen, so erleichtert war ich.

»Es sind Rebellen im Palast«, fuhr Maxon fort.

»Was?«, kreischte ich. »Warum verstecken wir uns dann nicht?«

»Sie sind nicht hier, um uns anzugreifen.«

»Warum dann?«

Er seufzte. »Es sind nur zwei Rebellen aus dem Norden. Sie sind nicht bewaffnet, und sie haben darum gebeten, mit mir … und auch mit dir sprechen zu dürfen.«

»Weshalb mit mir?«

»Keine Ahnung. Aber ich werde mit ihnen reden und möchte dir ebenfalls die Möglichkeit dazu geben.«

Ich blickte an mir herab und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Ich hab nur ein Nachthemd an.«

Er lächelte. »Ich weiß, aber hier geht es nicht um Formalitäten. Das ist schon in Ordnung.«

»Willst du denn, dass ich mit ihnen rede?«

»Das entscheidest einzig und allein du selbst, aber natürlich bin ich neugierig, warum die Rebellen gerade mit dir sprechen möchten. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie es mir verraten, wenn du nicht dabei bist.«

Ich nickte und wägte in Gedanken die Situation ab. Ich wusste nicht, ob ich wirklich mit den Rebellen reden wollte. Ob bewaffnet oder nicht – sie waren sicher gefährlich. Aber wenn Maxon es für unbedenklich hielt, dann sollte ich vielleicht …

»Okay«, sagte ich und gab mir einen Ruck. »Einverstanden.«

»Dir wird nichts geschehen, America. Das verspreche ich.« Er hielt noch immer meine Hand. Jetzt drückte er sie leicht. Dann wandte er sich an den Wachmann. »Gehen Sie voraus. Und halten Sie Ihre Waffe bereit, nur für den Fall.«

»Natürlich, Eure Majestät«, antwortete er und geleitete uns um die Ecke in den Großen Saal, wo zwei Leute standen, die von weiteren Wachen umzingelt waren.

Ich brauchte nur ein paar Sekunden, um Aspen unter ihnen zu entdecken.

»Könnten Sie Ihre Wachhunde zurückpfeifen?«, fragte einer der beiden Rebellen. Er war groß, schlank und blond. Seine Stiefel waren schlammverkrustet, und seine Kleidung sah wie die eines Siebeners aus: Er trug eine eng anliegende Hose aus dickem Stoff und ein geflicktes Hemd unter einer abgetragenen Lederjacke. Um seinen Hals hing an einer langen Kette ein rostiger Kompass, der bei jeder Bewegung hin und her baumelte. Der Mann wirkte tough, aber nicht angsteinflößend, was mich überraschte.

Noch überraschender war die Tatsache, dass sein Gefährte ein Mädchen war. Auch sie trug Stiefel. Doch dazu Leggins und einen Rock, der aus dem gleichen Stoff wie die Männerhose gefertigt war – als versuchte sie, erfinderisch und modisch zugleich zu sein. Obwohl so viele Wachen um sie herumstanden, stellte sie selbstbewusst die Hüfte aus. Selbst wenn ich ihr Gesicht nicht wiedererkannt hätte, hätte ich mich an ihre Jacke erinnert.

Eine kurze Jeansjacke, die mit Blumen bestickt war.

Sie schaute mich an und machte einen kleinen Knicks. Ich gab ein Geräusch von mir, das irgendwo zwischen einem Lachen und einem Keuchen lag.

»Was ist los?«, fragte Maxon.

»Später«, flüsterte ich.

Etwas verwirrt, aber dennoch gelassen drückte er meine Hand und konzentrierte sich dann wieder auf unsere Gäste.

»Wir sind in friedlicher Absicht gekommen, um mit Ihnen zu reden«, sagte der Mann. »Wir sind unbewaffnet, Ihre Wachen haben uns durchsucht. Wahrscheinlich ist es nicht angebracht, Sie um eine etwas persönlichere Gesprächsatmosphäre zu bitten, aber wir haben vertrauliche Dinge mit Ihnen zu besprechen.«

»Was ist mit America?«, fragte Maxon.

»Mit ihr möchten wir ebenfalls reden.«

»Zu welchem Zweck?«

»Noch einmal«, sagte der junge Mann fast großspurig, »es wäre besser, wenn wir unsere Unterhaltung außerhalb der Hörweite dieser Kerle fortführen könnten.« Er wies mit spielerischer Geste auf die Männer im Raum.

»Wenn Sie glauben, Sie könnten ihr etwas antun …«

»Mir ist klar, dass Sie uns misstrauen, und das aus gutem Grund. Aber wir haben nicht die Absicht, einem von Ihnen zu schaden. Wir möchten uns nur unterhalten.«

Maxon überlegte einen Moment. »Sie«, sagte er und blickte dabei einen der Wachmänner an, »holen Sie einen Tisch und vier Stühle. Und dann treten Sie bitte alle zur Seite und lassen unseren Gästen ein bisschen Raum.«

Die Wachen gehorchten, und ein paar Minuten lang herrschte unbehagliches Schweigen. Als sie endlich einen Tisch vom Stapel heruntergehoben und mit je zwei Stühlen zu beiden Seiten in einer Ecke aufgestellt hatten, bedeutete Maxon den Rebellen, dort mit uns Platz zu nehmen.

Während wir vier auf die Ecke zusteuerten, traten die Wachen beiseite und formten wortlos einen Halbkreis, wobei sie die Rebellen nicht aus den Augen ließen – als hielten sie sich bereit, in Sekundenschnelle loszufeuern.

Als wir vor dem Tisch standen, streckte der Mann die Hand aus. »Meinen Sie nicht, wir sollten uns vorstellen?«

Maxon sah ihn misstrauisch an, schlug dann jedoch ein. »Maxon Schreave, Ihr Souverän.«

Der junge Mann schmunzelte. »Es ist mir eine Ehre, Sir.«

»Und Sie sind?«

»August Illeá, zu Ihren Diensten.«

6

Maxon und ich blickten erst uns und dann wieder die beiden Rebellen an.

»Sie haben mich richtig verstanden. Ich bin ein Illeá. Und zwar qua Geburt. Diese Dame hier wird es dann früher oder später durch Heirat werden«, sagte August und deutete mit einem Kopfnicken auf das Mädchen.

»Georgia Whitaker«, stellte sie sich vor. »Und natürlich wissen wir alles über Sie, America.«

Wieder schenkte sie mir ein Lächeln, und ich erwiderte es. Ich wusste nicht, ob ich ihr vertrauen konnte, aber ganz sicher hasste ich sie nicht.

»Also hat Vater recht gehabt«, seufzte Maxon. Verblüfft schaute ich ihn an. Er wusste, dass direkte Nachfahren von Gregory Illeá existierten? »Er meinte, Sie würden eines Tages herkommen und die Krone für sich beanspruchen.«

»Ich will Ihre Krone nicht«, beteuerte August.

»Gut, denn ich habe durchaus die Absicht, dieses Land zu regieren«, schoss Maxon zurück. »Dazu bin ich erzogen worden. Und wenn Sie glauben, Sie könnten hier auftauchen und behaupten, Sie seien Gregorys Ur-Urgroßenkel …«

»Ich will Ihre Krone wirklich nicht, Maxon! Die Monarchie zu Fall zu bringen ist eher das Ziel der Südrebellen. Wir haben anderes im Sinn.« August ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Und dann – als ob er der Hausherr wäre und wir die Gäste – deutete er auf die übrigen Stühle und lud uns ein, ebenfalls Platz zu nehmen.

Wieder wechselten Maxon und ich einen kurzen Blick und setzten uns schließlich. Auch Georgia ließ sich nieder. Eine Zeitlang schaute August uns an, entweder musterte er uns oder er überlegte, wie er beginnen sollte.

Maxon brach das angespannte Schweigen, vielleicht wollte er allen in Erinnerung rufen, wer hier das Sagen hatte. »Hätten Sie gern einen Tee oder Kaffee?«

Georgias Gesicht hellte sich auf. »Kaffee?«

Maxon lächelte unwillkürlich über ihre Begeisterung und drehte sich zu einem der Wachmänner um. »Würden Sie bitte einer Dienerin Bescheid sagen, damit sie uns Kaffee bringt? Und stellen Sie um Himmels willen sicher, dass er auch stark ist.« Dann richtete er den Blick wieder auf August.

»Ich habe keine Ahnung, was Sie von mir wollen. Bestimmt haben Sie absichtlich diese späte Stunde für Ihren Besuch gewählt, weshalb ich vermute, dass Sie ihn gern geheim halten wollen. Bitte sagen Sie, was Sie zu sagen haben. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich Ihnen geben kann, was Sie verlangen, aber ich werde Ihnen zuhören.«

August nickte und beugte sich vor. »Schon seit Jahrzehnten suchen wir nach Gregorys Tagebüchern. Wir wissen schon lange von ihrer Existenz, und vor kurzem wurde