Sexueller Missbrauch. Vorbeugung als Aufgabe des Sachunterrichts - Petra Thiele - E-Book

Sexueller Missbrauch. Vorbeugung als Aufgabe des Sachunterrichts E-Book

Petra Thiele

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Didaktik - Sachunterricht, Heimatkunde, Note: 1,0, Universität Paderborn, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit soll versuchen, die in letzter Zeit durch die Medienberichte vermittelten unvollständigen und oftmals falschen Vorstellungen über Umstände und Hintergründe des sexuellen Missbrauchs zu verifizieren und hieraus Konsequenzen für eine geeignete Prävention abzuleiten. Da die Opferzahlen und das Ausmaß stark von der zugrunde gelegten Definition des sexuellen Missbrauchs abhängen, soll zunächst versucht werden, basierend auf unterschiedlichen Studien, einen Eindruck über Definition und Erscheinungsformen des Missbrauchs zu vermitteln. Anschließend werden alters-, geschlechts- und schichtspezifische Merkmale potentieller Opfer herausgearbeitet. Es handelt sich beim sexuellen Missbrauch nicht immer um einen einmaligen Übergriff. Die unterschiedlichen Phasen und der Ablauf des Missbrauchs sollen näher dargestellt werden.Eine nähere Erörterung der Ursachenfrage ist neben einer Thematisierung der opferbezogenen Verarbeitungs- und Abwehrmechanismen, von erheblicher Relevanz für die Präventionsarbeit. Der zweite Teil und eigentliche Schwerpunkt dieser Arbeit ist der Prävention im Sachunterricht der Grundschule gewidmet. Untersuchungen haben ergeben, dass sich adäquate Präventionsmaßnahmen bis heute nicht immer im Grundschulalltag etablieren konnten.Die Schule als Sozialisations- und Erziehungsinstanz hat aber einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und somit eine Verantwortung zu tragen. Sie muss realisieren, dass es sich beim sexuellen Missbrauch nicht um ein marginales Problem handelt und adäquate Präventionskonzepte in den Schulalltag integrieren. Prävention muss, im Rahmen einer emanzipatorischen und im Lehrplan verankerten Sexualerziehung eine Erziehungshaltung repräsentieren, welche sich nicht auf eine kurzfristig angelegte Veranstaltung mit erhoffter immunisierender Wirkung beschränken kann. Der zweite Teil dieser Arbeit beginnt mit der Darstellung allgemeiner Ziele und Aufgaben eines auf diesem Verständnis basierenden Sachunterrichts. Anschließend werden die drei verschiedenen Ebenen der Prävention näher beleuchtet. Darauf aufbauend sollen die Möglichkeiten und Grenzen einer schulischen Primärprävention, basierend auf zentralen Themenschwerpunkten, diskutiert werden. Hierbei wird besonders die Position der Lehrerin, sowie die Notwendigkeit einer schulischen Kooperation mit professionellen Institutionen, wie auch mit der Elternschaft herausgearbeitet.

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Veröffentlichungsjahr: 2005

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Hintergründe und Fakten des sexuellen Missbrauchs

1.1 Definition

1.1.1 Terminologie

1.1.2 Verschiedene Definitionskriterien

1.1.3 Grenze zwischen liebevoller Zuwendung und sexuellem Missbrauch

1.1.4 Erscheinungsformen

1.2 Häufigkeitsverteilung und Ausmaß

Studie

TeilnehmerInnen

Ausmaß

Methode/Definitionskriterien

1.3 Die Opfer

1.3.1 Geschlechtsspezifische Verteilung

1.3.2 Altersspezifische Verteilung

1.3.3 Schichtspezifische Verteilung

1.3.4 Opferprofile

1.4 Die Täter

1.4.1 Geschlechtsspezifische Verteilung

1.4.2 Alterspezifische Verteilung

1.4.3 Schichtspezifische Verteilung

1.4.4 Bekanntschaftsgrad zwischen Täter und Opfer

1.4.5 Täterprofile

1.5 Dauer und Ablauf des sexuellen Missbrauchs

1.5.1 Planung

1.5.2 Ablauf

1.5.3 Dauer

1.6 Ursachen

1.6.1 Gesellschaftlicher Erklärungsansatz

2. Erkennungsmerkmale und Folgen des sexuellen Missbrauchs

2.1 Konkrete Abwehrmechanismen

2.2 Unmittelbares emotionales Erleben

2.3 Kurz- und mittelfristige Folgen

2.3.1 Körperliche Folgen oder Verletzungen

2.3.2 Psychosomatische Folgen

2.3.3 Emotionale Reaktionen

2.3.4 Verhaltensweisen

2.3.5 Erkennungsmöglichkeiten anhand von Medien

2.4 Zwischenergebnis

3. Prävention des sexuellen Missbrauchs und Aufgaben des Sachunterrichts

3.1 Aufgaben und Ziele des Sachunterrichts

3.1.1 Allgemeine Überlegungen zu Aufgaben, Inhalten und Zielen

3.1.2 Aufgaben, Prinzipien, Inhalte und Ziele des Sachunterrichts laut  Lehrplan

3.2 Verschiedene Präventionsbegriffe

3.2.1 Primäre Prävention

3.2.2 Sekundäre Prävention

3.2.3 Tertiäre Prävention

4. Schulische Primärprävention im Sachunterricht - Möglichkeiten und Grenzen-

4.1 Entwicklung schulischer Prävention

4.2 Rolle der Lehrerin

4.3 Zentrale Themenbereiche der Prävention und deren Umsetzungsmöglichkeiten im Sachunterricht

4.3.1 Körperliche Selbstbestimmung

4.3.2 Gefühle wahrnehmen

4.3.3 Differenzierung zwischen unterschiedlichen Berührungen

4.3.4 „Nein“ sagen

4.3.5 Unterscheidung zwischen guten und schlechten Geheimnissen

4.3.6 Hilfe holen

4.3.7 Geschlechtsspezifische Präventionsmaßnahmen

4.3.8 Kritische Beurteilung der Präventionsschwerpunkte

4.4 Prävention als Erziehungshaltung

4.5 Elternarbeit

4.6 Kooperation mit außerschulischen Institutionen

5. Schulische Sekundärprävention-Möglichkeiten und Grenzen

5.1 Situation der Lehrerin

5.2 Schulische Interventionsmöglichkeiten und - grenzen

5.2.1 Kontaktaufnahme zur betroffenen Schülerin bzw. zum betroffenen  Schüler

5.2.2 Kontaktaufnahme zur Mutter

5.2.3 Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs

Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

 

Einleitung

Sexueller Missbrauch ist kein modernes Problem der heutigen Gesellschaft. Bereits auf einer 5000 Jahre alten Tontafel aus dem babylonischen Reich ließen sich erste Hinweise zu diesem Phänomen finden, welches sich durch die gesamte historische Entwicklung erstreckt. Lange Zeit unterlag lediglich das Sprechen über den Missbrauch einem Tabu, dieses wurde aber Anfang der achtziger Jahre durch die autonome Frauenbewegung gebrochen und öffentlich gemacht. In den letzten Jahren wird der sexuelle Missbrauch an Kindern vermehrt, nicht zuletzt bedingt durch zahlreiche Medienberichte, als Problem wahrgenommen und verbalisiert.

Zu Beginn diesen Jahres rückte der Prozessauftakt des belgischen „Kinderschänders“ Marc Dutroux, der Mitte der neunziger Jahre wegen sechsfachen Kindesmissbrauchs und vierfachen Mordes verhaftet worden war, den sexuellen Missbrauch wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Nachdem Ende Juni das Urteil einer lebenslangen Haft gefällt worden war, folgte direkt ein weiteres Missbrauchsgeständnis aus Belgien. Michel Fourniret gestand Anfang Juli, mehrere Mädchen vergewaltigt, getötet und anschließend vergraben zu haben. Die Medienberichte lösten Abscheu und Entsetzen in der Gesellschaft aus, woraus Unsicherheit und Angst um die eigenen Kinder resultierten.

Repräsentieren derartige Berichte die eigentliche Wirklichkeit über Ausmaß und Erscheinungsformen des sexuellen Missbrauchs? Sind es wirklich überwiegend die sogenannten „perversen Kinderschänder“, die Jungen und Mädchen missbrauchen um sie anschließend zu töten? Presseberichte vermitteln oft einen verzerrten und sensationszentrierten Eindruck und lassen übersehen, dass sexueller Missbrauch nicht primär von verbrecherischen Fremden verübt wird, sondern von Bekannten, Freunden und Verwandten. Ebenso beschränkt er sich nicht immer auf die einmalige brutale Vergewaltigung, sondern vollzieht sich häufig, nach einem strategisch durchdachten Plan über einen längeren Zeitraum.

Diese Arbeit soll versuchen, die in letzter Zeit durch die Medienberichte vermittelten unvollständigen und oftmals falschen Vorstellungen über Umstände und Hintergründe des sexuellen Missbrauchs zu verifizieren und hieraus Konsequenzen für eine geeignete Prävention abzuleiten.

Da die Opferzahlen und das Ausmaß stark von der zugrunde gelegten Definition des sexuellen Missbrauchs abhängen, soll zunächst versucht werden, basierend auf unterschiedlichen Studien, einen Eindruck über Definition und Erscheinungsformen des Missbrauchs zu vermitteln. Anschließend werden alters-, geschlechts- und schichtspezifische Merkmale potentieller Opfer herausgearbeitet. Der gesellschaftlich noch weitverbreitete Irrglaube, dass nur Mädchen, die kurz vor der Pubertät stehen, sexuell missbraucht würden, soll dabei revidiert werden. Diese Arbeit versucht wissenschaftlich zu belegen, dass Mädchen und Jungen jeden Alters sowie jeden sozialen Standes gefährdet sind. Auch den Tätern liegt kein prägnantes Profil zu Grunde. Thesen vom bösen, alten Mann oder vom perversen „Kinderschänder“ müssen überdacht werden.

Es handelt sich beim sexuellen Missbrauch nicht immer um einen einmaligen Übergriff. Die unterschiedlichen Phasen und der Ablauf des Missbrauchs sollen näher dargestellt werden. Viele Autoren sehen in den ungleichen Machtstrukturen der patriarchalischen Gesellschaft die entscheidende Ursache dafür, dass sexueller Missbrauch kein Ausnahmedelikt darstellt. Eine nähere Erörterung der Ursachenfrage ist neben einer Thematisierung der opferbezogenen Verarbeitungs- und Abwehrmechanismen, von erheblicher Relevanz für die Präventionsarbeit. Aufgrund des vom Täter auferlegten Geheimhaltungsdrucks wird es den Opfern nahezu unmöglich gemacht, sich verbal zu äußern. Bestimmte Symptome, sowohl körperlicher, emotionaler wie auch verhaltensbezogener Art können Aufschluss geben.

Alters- und schichtspezifische Opfermerkmale führen dazu, dass besonders Grundschullehrerinnen mit den Opfern sexuellen Missbrauchs konfrontiert werden. Der zweite Teil und eigentliche Schwerpunkt dieser Arbeit ist der Prävention im Sachunterricht der Grundschule gewidmet. Untersuchungen haben ergeben, dass sich adäquate Präventionsmaßnahmen bis heute nicht immer im Grundschulalltag etablieren konnten. Oftmals beschränkt sich die Prävention auf eine einmalige Veranstaltung in der die Kinder bestimmte Grundkompetenzen erlernen sollen, um in Gefahrensituationen entsprechend zu agieren. Häufig wird das Thema aus dem Grundschulalltag völlig ausgeklammert, da auch Lehrerinnen oft nicht genügend über das eigentliche Ausmaß und die Hintergründe des Missbrauchs, sowie über geeignete Präventionsmaßnahmen informiert sind. Die Schule als Sozialisations- und Erziehungsinstanz hat aber einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und somit eine Verantwortung zu tragen. Sie muss realisieren, dass es sich beim sexuellen Missbrauch nicht um ein marginales Problem handelt und adäquate Präventionskonzepte in den Schulalltag integrieren. Prävention muss, im Rahmen einer emanzipatorischen und im Lehrplan verankerten Sexualerziehung eine Erziehungshaltung repräsentieren, welche sich nicht auf eine kurzfristig angelegte Veranstaltung mit erhoffter immunisierender Wirkung beschränken kann. Derartige Bemühungen sind eine entscheidende Aufgabe eines auf Handlungskompetenz ausgerichteten Sachunterrichts.

Der zweite Teil dieser Arbeit beginnt mit der Darstellung allgemeiner Ziele und Aufgaben eines auf diesem Verständnis basierenden Sachunterrichts. Anschließend werden die drei verschiedenen Ebenen der Prävention näher beleuchtet. Darauf aufbauend sollen die Möglichkeiten und Grenzen einer schulischen Primärprävention, basierend auf zentralen Themenschwerpunkten, diskutiert werden. Hierbei wird besonders die Position der Lehrerin, sowie die Notwendigkeit einer schulischen Kooperation mit professionellen Institutionen, wie auch mit der Elternschaft herausgearbeitet. Da eine primäre Prävention immer die sekundäre Präventionsebene mitberücksichtigen muss, um im Falle einer Aufdeckung eines Missbrauchs adäquat intervenieren zu können, werde ich zum Schluss dieser Arbeit kurz die schulischen Interventionsmöglichkeiten skizzieren. Eine besondere Betonung liegt hier auf den Grenzen, an die Lehrerinnen im Zusammenhang mit einem Interventionsprozess gebunden sind.

Belegt werden meine Ausführungen durch zahlreiche Studien und durch eine eigens durchgeführte Befragung in einem Lehrerkollegium einer ländlich gelegenen katholischen Grundschule. Diese Befragung beschränkt sich auf vier Lehrerinnen und zwei Lehrer und erhebt aus diesem Grund nicht den Anspruch als repräsentativ gewertet zu werden. Trotz allem lieferte sie interessante Informationen. Des Weiteren erfolgten Gespräche mit lokalen Beratungsstellen und Mitarbeitern des Präventionsdezernats der Polizei.

 1. Hintergründe und Fakten des sexuellen Missbrauchs

 

1.1 Definition

 

In der wissenschaftlichen Literatur existiert keine einheitliche Definition des Begriffs: „sexueller Missbrauch an Kindern“. Es herrschen Unstimmigkeiten bezüglich der Terminologie, der unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und somit auch Unklarheiten in der Abgrenzung zur notwendigen und für Kinder existentiellen, liebevollen Zuwendung. Ich möchte im Folgenden versuchen, diese Unstimmigkeiten zu erörtern und transparent zu machen.

 

1.1.1 Terminologie

 

Wissenschaftler, die sich eingehender mit der Begrifflichkeit des sexuellen Missbrauchs beschäftigten, stellten heraus, dass der Terminus „Missbrauch“ als solcher nicht tragbar sei, da er einen normgerechten Gebrauch von Kindern impliziere.[1] Viele Autoren[2] lehnen ihn daher ab und verwenden stattdessen Begriffe wie „sexuelle Ausbeutung“,[3] „sexuelle Gewalt“[4] oder „sexuelle Misshandlung“[5], wobei diese Begriffe in der Literatur synonym verwendet werden. Meines Erachtens liegt ihnen sehr wohl ein Bedeutungsunterschied zugrunde. Sexuell missbrauchte Kinder werden keinesfalls zwangsläufig misshandelt oder erfahren physische Gewalt. Um diesem vielschichtigen Thema nicht noch eine zusätzliche Verkomplizierung zu verleihen, werde ich weiterhin den Begriff „sexueller Missbrauch“ verwenden, da er der gebräuchlichste ist[6] und zudem die direkte Übersetzung des englischsprachigen Begriffs „sexual abuse“ darstellt, welcher in der internationalen Literatur überwiegend genutzt wird.

 

1.1.2 Verschiedene Definitionskriterien

 

In der Literatur und in wissenschaftlichen Untersuchungen werden dem sexuellen Missbrauch unterschiedliche Definitionen mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen zugrunde gelegt. Dieses hat zur Folge, dass Ergebnisse in Studien zur Häufigkeitsverteilung sexueller Übergriffe im hohen Maße divergieren, was wiederum Auswirkungen auf die präventiven Maßnahmen hat. „Eigentlich müsste jedes Mal zuerst geklärt werden, welche Vorstellungen und Definitionen sich hinter den verwendeten Begriffen verbergen.“[7] Ich werde nun einige immer wieder auftretende Kriterien diskutieren und versuchen zu einer akzeptablen Definition zu gelangen, welche dieser Arbeit zugrunde gelegt werden kann.

 

Wissentliches Einverständnis

 

Es wird davon ausgegangen, dass es sich um sexuellen Missbrauch handelt, wenn das Kind nicht in die Handlung eingestimmt hat. Ausgangspunkt ist hierbei das Erwachsenenstrafrecht, bei dem

 

„nach geltendem Recht eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung dann gegeben ist, wenn eine Person an einer anderen ohne deren Zustimmung sexuelle Handlungen ausführt.“[8]

 

Bei Kindern kann dieses Kriterium nicht greifen, da sie nicht den gleichen Informations- und Entwicklungsstand wie Erwachsene haben und somit das Ausmaß sexueller Handlungen nicht abschätzen können. Des Weiteren stehen sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Erwachsenen und somit ist für sie die Freiheit der Entscheidung nicht gegeben.[9]

 

„Kinder können sowohl wegen mangelnder Kenntnisse als auch wegen fehlender Kompetenzen nicht als gleichwertige Partner sexuellen Kontakten mit Erwachsenen zustimmen oder diese ablehnen“[10]

 

Häufig stimmen Kinder den sexuellen Handlungen auch zunächst zu, da sie nicht in der Lage sind, sie als solche zu definieren und der Täter die Übergriffe zudem in spielerische Aktionen einbettet. Kinder deuten Übergriffssituationen auch dahingehend um, dass diese mit dem eigenen Einverständnis geschehen, um sich selber nicht als Opfer zu definieren. Besonders für Jungen ist es schwierig, sich der eigenen Hilflosigkeit bewusst zu werden.

 

„Durch diese Neubewertung kann sowohl die bedrohliche Wahrnehmung der erlebten Hilflosigkeit, als auch das verletzende Verhalten der missbrauchenden Person umgedeutet werden.“[11]

 

Folgen

 

Eine weitere Behauptung bezüglich sexuellen Missbrauchs ist, dass aus ihm immer eine Schädigung des Kindes resultiere.

 

Viele Kinder tragen, besonders nach häufigen sexuellen Übergriffen, zwar Störungen in der Entwicklung und Wahrnehmung davon und zeigen Verhaltensauffälligkeiten[12], aber nicht jeder Missbrauch muss zwangsläufig traumatisch sein.[13] Es sind auch Opfer bekannt, die keinerlei Symptome zeigten.

 

Körperkontakt

 

Speziell in der Beantwortung der Frage, ob sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt in die Definition des sexuellen Missbrauchs einbezogen werden sollen, herrschen Unstimmigkeiten. Die Entscheidung über eine Einbeziehung dieses Aspekts hat aber einen wesentlichen Einfluss auf die Erhebung von Opferzahlen.

 

Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt harmlos seien und behaupten, dass

 

„Exhibitionismus, die sexuelle Anmache eines Kindes[...],Voyeurismus,[...] harmlos seien und bei den meisten Kindern keine oder nur geringe Schädigungen hervorrufe.“[14]

 

Aber wenn Kinder permanent einem Klima latenter oder auch offensichtlicher sexueller Gewalt ausgesetzt sind, kann sich dies traumatisch auswirken. Ebenso wird männlicher Exhibitionismus von vielen Kindern als bedrohlich empfunden.[15] Auch denke ich, dass das nackte Posieren für pornographische Bilder, welche im Internet veröffentlicht werden, die Kinder erheblich in ihrem natürlichen Schamgefühl verletzt und in ihre Intimsphäre eingreift. Das Vorliegen von körperlichem Kontakt, um von sexuellem Missbrauch sprechen zu können, ist demnach nicht zwingend.

 

Altersunterschied

 

In den meisten Definitionen wird ein Altersunterschied von mindestens fünf Jahren zwischen Opfer und Täter vorausgesetzt, um von sexuellem Missbrauch sprechen zu können.

 

Derartige Definitionsversuche schließen den Missbrauch zwischen Gleichaltrigen von vornherein aus. Gerade dieses Phänomen ist in letzter Zeit aber zunehmend in die Öffentlichkeit gerückt. Auch bleibt, da nur das chronologische Alter von Kindern einbezogen werden kann, der individuelle biologische, psychische, soziale und sexuelle Entwicklungsstand unberücksichtigt. Geringe Altersunterschiede können aber gerade im Kindesalter enorme Entwicklungsunterschiede aufweisen.[16]

 

Im Bereich des sexuellen Missbrauchs unter Gleichaltrigen ist jedoch eine Abgrenzung zu den zur körperlichen, psychischen und emotionalen Entwicklung notwendigen „Doktorspielen“ sehr schwierig. Hier sollte von sexueller Ausbeutung nur dann gesprochen werden, wenn Kriterien wie „Missachtung des Willens“ oder „Zwang und Gewalt“ zusätzlich zutreffen, wenn also

 

„die sexuellen Handlungen eindeutig gegen den Willen des einen Kindes stattfinden.[...]Diese sehr genaue Unterscheidung zwischen gewalttätigem und nicht gewalttätigem Verhalten ist notwendig, um nicht in eine neue Prüderie zu verfallen, die den Kindern ihr Recht auf die freie Entwicklung ihrer Sexualität und auf einvernehmliche Sexualität mit anderen Kindern abspricht“[17]

 

Zwang und Gewalt

 

Um diese Aspekte bei der Definitionsfrage berücksichtigen zu können, muss zunächst geklärt werden, ob dieses Kriterium lediglich die Anwendung körperlicher Gewalt beinhaltet, oder ob auch psychische Gewaltformen mit berücksichtigt werden. Auch hier herrschen keine Übereinstimmungen. Ist ersteres der Fall, ist dieses Kriterium sicherlich unzureichend, da sexueller Missbrauch nicht zwangsläufig mit physischer Gewaltanwendung einhergehen muss. Aber auch Formen psychischer Gewalt liegen nicht immer vor, da viele Täter aufgrund der emotionalen Abhängigkeit des Kindes überhaupt keine Form von Gewalt anwenden müssen.[18] Die Aussage eines betroffenen Mädchens macht dieses deutlich: „Es war mein Onkel, er war älter, und du darfst deinem Onkel nicht sagen, was er tun soll. Das war`s, wie ich erzogen wurde.“[19]

 

Inwieweit der Geheimhaltungsdruck, der nahezu jedem Missbrauch zugrunde liegt, als psychische Gewaltausübung definiert werden kann, ist nicht eindeutig. Einigkeit besteht aber darin, dass besonders bei länger andauernden sexuellen Übergriffen der Geheimhaltungsdruck ein zentrales Moment darstellt.[20]

 

Erleben des Opfers

 

Das persönliche Erleben des Opfers ist ein sehr verbreitetes Definitionskriterium. Es liegt nahe zu behaupten, dass dann von sexuellem Missbrauch gesprochen werden kann, wenn das Opfer sich ausgebeutet fühlt.

 

Aber auch hier muss festgestellt werden, dass sich viele Kinder, besonders Jungen, nicht mit der Opferrolle identifizieren, weil sie nicht dem Selbstbild oder den gesellschaftlichen Normen entspricht und sie sich somit nach einem Missbrauch nicht als ausgebeutet definieren.

 

„Viele Menschen lehnen es strikt ab, sich als Opfer sexueller Gewalt zu bezeichnen.[...]Ob jemand sich missbraucht fühlt, bestimmen nicht nur die tatsächlichen Begebenheiten, sondern auch das eigene Selbstbild und die darin enthaltenen gesellschaftlichen Normen und Werte.“[21]

 

Ein derartiges Kriterium würde zudem die Verantwortung für die Grenzziehung dem Kind zuschieben:

 

„Es [das Kind] muss nicht nur imstande sein, zu spüren, dass seine Bedürfnisse übergangen werden; es muss darüber hinaus diese Grenzüberschreitung dem Erwachsenen gegenüber auch deutlich machen können. Beides sind Anforderungen, welche die Fähigkeiten von Kindern bei weitem übersteigen.“[22]