Shaped In Fire: The Embers Of The Phoenix - Anastasia Spitsin - E-Book

Shaped In Fire: The Embers Of The Phoenix E-Book

Anastasia Spitsin

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Beschreibung

Sie ist der Tod. Er ist das Leben. Sie sind bestimmt, einander zu zerstören. Leichen unschuldiger Frauen pflastern den blutigen Weg in die Zukunft. Von Geburt an ist Elithalia Teil der tödlichen Auswahl der Herrscherinnen. Im Kampf um die Krone müssen die Frauen die Macht der Götter entfachen, um die fatalen Herausforderungen zu meistern und das Herz eines der sechs Prinzen zu erobern. Tausende fanden in den gnadenlosen Prüfungen den Tod, Hunderte werden noch sterben. Von den Flammen der Phönixe beherrscht, ruft eine verborgene Realität nach Elithalia. Unwissend über die Existenz der apokalyptischen Welt, ahnt sie nicht, dass ihr Schicksal vorherbestimmt ist. Gefangen zwischen den Realitäten, ringt sie verzweifelt mit der vernichtenden Macht in sich. Welten liegen in ihren Händen, während ihr Herz auf dem Spiel steht. Denn jeder der Prinzen hat die Macht, es ihr aus der Brust zu reißen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Anastasia Spitsin

 

 

Shaped in Fire

The Embers Of The Phoenix

 

Shaped in Fire: The Embers Of The Phoenix

 

 

 

 

© 2025 VAJONA Verlag GmbH

 

 

 

 

Lektorat: Sandy Brandt

Korrektorat: Michelle Abt, Lara Gathmann und Susann Chemnitzer

Umschlaggestaltung: Stefanie Saw

Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz

 

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

Für alle brennenden Herzen.Ist das Brennen das Verbrennen wert?

 

 

 

 

Hüte dein Herz,

denn jeder der Prinzen hat die Macht, es dir aus der Brust zu reißen.

 

 

 

 

Das Leben und der Tod lauern an meinem Fenster.

Die Uhr zeigt kurz vor Mitternacht an.

Die Wehen plagen mich seit Wochen und heute Nacht sind sie besonders intensiv.

Ich stelle die Tasse Tee auf den kleinen Beistelltisch und nehme die Nadel erneut in die Hand. Doch meine Finger zittern zu sehr, um das Stickmuster zu beenden.

Würde er es sehen, würde er zornig werden. Aber ich bin allein, und ihren Namen immer und immer wieder auf dem Stoff zu verewigen, beruhigt mich.

Ich lehne den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe und atme tief ein. Am wolkenfreien Himmel funkeln die Sterne. Das Schloss, in dem der junge König heute einen Ball gibt, ragt in der Ferne auf.

Laute Stimmen und fröhliche Musik dringen zu mir herein. Die Menschen feiern die längste Nacht dieser neuen Ära, die vor einem halben Jahr begonnen hat, als die jungen Herrscher die Macht über die sechs Königreiche übernommen haben.

Ein Tag danach wurden die Kinder der Zukunft geboren.

Und das Leben der Mütter gestohlen.

Die Hebamme behauptet, mein Baby sei tot, sie spüre ihren Herzschlag nicht.

Das stimmt nicht.

Es ist ein Mädchen, ihre Macht brennt in mir. Ich weiß, dass ich ein Kind der Zukunft in mir trage.

Alles im Leben hat seinen Preis.

Sie ist unser.

In der Hoffnung, dass der warme Trank mir beim Einschlafen helfen wird, strecke ich die Hand nach dem Pfefferminztee aus.

Die Uhr schlägt Mitternacht.

Ein scharfer Schmerz zuckt mir durch den Bauch wie ein glühendes Messer. Mir stockt der Atem, die Teetasse entgleitet meiner Hand und zerspringt klirrend auf dem Boden. Die Scherben des Kristalls erinnern mich an meine zerschmetterte Zukunft. Ebenso klar wie das funkelnde Sternenbild im Wandspiegel des dunklen Zimmers.

Das laute Wiehern, als käme es von tausend Pferden, lässt die Luft in unnatürlicher Kraft erzittern und zerbricht meinen geliebten Spiegel.

Eine unsichtbare Macht durchstreift die Straßen und zwingt mit ihrer Präsenz die Bewohner zum Schweigen.

Ein einzelner Stern schwillt an und nähert sich unaufhaltsam meinem Haus.

Es ist ein Pferd aus fließendem Sternenlicht, seine Mähne aus geschliffenen Diamanten gewoben, die Augen feuerrot leuchtend. Es ist das schönste Geschöpf, das ich je erblickt habe.

Ich bete zu den Göttern, sie mögen mein Kind beschützen.

Doch sie haben uns dazu verdammt.

Sie würden es vor der Auswahl nicht retten.

Das Fenster fliegt auf.

Der Tod blickt mir entgegen, hört meinen Gebeten zu und stiehlt mir meine Tochter.

In diesem Moment weiß ich: Heute werde ich sterben.

 

 

 

 

Ich fürchtete mich nicht vor den Toten. Nur vor den Lebenden.

Mein Herz raste. Jeder Schritt hallte wie ein Trommelschlag durch die Stille der leeren Stadt. Die Nacht war mir dicht auf den Fersen. Die Finsternis atmete, lauerte, jagte.

Weiße Schatten zogen sich zwischen den Gebäuden hindurch, kaum greifbar und doch erschreckend real. Eine Nebelgestalt flackerte am Rand meines Blickfeldes. Schauer krabbelte mir den Rücken hinunter.

Noch ein Geist.

Die Sterne funkelten, als könnten sie alle meine Geheimnisse verraten und jedem erzählen, dass ich auf der Flucht war.

Elithalia, flieh. Du musst hier weg. Ein leises Echo von Lucianas Worten verirrte sich in den dunklen Winkeln meines Verstandes, drängte mich mit jedem Herzschlag.

Ich biss mir auf die Unterlippe, schmeckte Blut, doch ich ignorierte den Schmerz. Keine Zeit. Meine Finger zitterten, selbst als ich sie zur Faust ballte, um die Kontrolle zu gewinnen. Es war die Kälte, die meine Haut taub machte. Sie kroch in jede Faser meines Seins, klammerte sich an meine Rippen, wollte mich erdrücken.

Ich musste entkommen. Ich musste …

Ein knirschender Laut ließ mich innehalten, der Kopf ruckte zur Seite, der Blick glitt über die verfallenen Wände eines alten Gebäudes.

Irgendetwas bewegte sich in den Schatten, und mein Herz stolperte, als meine Augen sich mit unnatürlichem, leuchtendem Rot trafen.

Nein. Nicht noch einmal.

Ich presste die Augen fest aufeinander, rannte in die andere Richtung.

Mein Magen verkrampfte sich bei der Erinnerung an das letzte Mal. Die blutrot glühenden Augen. Das Gefühl, als würde die Zeit für einen Moment stillstehen, als wäre ich in ihre Welt gezogen worden. Der bittere Geruch des Blutes, das auf meinen Händen klebte, als ich in meinem Bett erwachte. Die verächtlichen Blicke der Mädchen. Sie haben noch wochenlang gekichert, ich hätte mit meiner Blutung die Bettwäsche versaut. Doch das stimmte nicht. Es war nicht mein Blut.

Heute war es anders. Ich fühlte es. Es war nicht die Kälte oder die Dunkelheit, die mich jagte. Es war etwas Größeres, Unausweichliches.

Und ich war allein.

Die Beine brannten, die Lunge schrie nach Luft. Ich zwang mich weiter, rannte durch die engen Gassen. Die unzähligen Wohnheime, in denen wir groß geworden waren. Die jedoch nie mein Zuhause gewesen waren.

Eis knackte unter meinen Füßen. Die Spur einer Seele hatte die sommerliche Nacht gezeichnet. Die Geister kannten nur Kälte, brachten nur Schmerz. Die blassen Schemen, die hinter mir her waren, ohne je einen Laut von sich zu geben. Sie wollten mich zurückziehen.

Sie wollten mich.

Die Straßen waren still – zu still. Ein unheimliches Schweigen, das wie eine Decke über der Stadt lag. Mein Atem ging flach, jeder Zug brannte in der Brust, und dennoch konnte ich nicht aufhören zu rennen.

Ich wagte einen flüchtigen Blick über die Schulter. Die Dunkelheit verschluckte die Gebäude, das vertraute, doch verhasste Labyrinth aus Beton. Die Lichter in den Fenstern waren längst erloschen.

Kein Geräusch, kein Lachen, nichts Lebendiges mehr. Nur Stille. Und Geister. So viele Geister. Vor einigen Jahren hätte mich das überrascht, doch jetzt waren sie überall. Ihre Präsenz war zur bedrückenden Normalität geworden, als gehörten sie genauso zur Stadt der Zukunft wie die Mauern selbst. In der Nacht glichen die Straßen einem Friedhof.

Mein Herz hämmerte, die Schläge wie Trommeln, die durch meinen Körper jagten. Beeil dich, Lili, schrie es. Du musst hier weg. Ich schmeckte die Panik metallisch und bitter auf der Zunge.

Leises Scharren von Stiefeln auf dem Kopfsteinpflaster erregte meine Aufmerksamkeit. Sofort zog sich mein Körper zusammen. Ein vasarischer Soldat.

Ich musste schneller sein, bevor er mich bemerkte. Hastig ließ ich meinen Blick umherschweifen, suchte in den Schatten nach ihm. Wo war er? Die Dunkelheit verschluckte den Mann. Würde sie mich beschützen?

Ohne zu zögern, bog ich in die nächste Seitengasse ab. Meine Füße rutschten auf den Eisspuren der Geister.

Ich musste verschwinden. Morgen würde alles anders sein. Für manche eröffnete sich die Möglichkeit, in die Reihen der Erwählten aufgenommen zu werden. Sie würden in das Schloss einziehen, um die Herrschaft über eines der sechs Königreiche zu erlangen. Für den Rest ihres Lebens ewige Dienstbarkeit. Ein Leben lang gefangen hinter den Mauern der Stadt der Zukunft. Nur zwölf würden jemals entkommen. An der Seite eines zukünftigen Königs.

Ich konnte mir das Gesicht der Oberpriesterin vorstellen, dieses kalte, selbstgerechte Lächeln, als sie meine Akte auf den zweiten Stapel legte. Für sie war ich ein Fehler. Ein Nachtkind. Das Mädchen, das zu spät geboren worden war, das nicht in den perfekten Sonnenkreis passte.

Aber ich würde nicht bleiben. Ich würde nicht auf sie warten. Nicht auf das Urteil, das sie mir auferlegen wollen. Die Ketten, die man mir anlegen würde, schienen mir jetzt schon zu fest, um meine Glieder zu schließen.

Meine Beine zitterten vor Erschöpfung. Ich wusste nicht, wie weit ich schon gelaufen war. Die stummen Gebäude zogen sich endlos hin, als gäbe es kein Entkommen. Diese Mauern, in denen ich aufgewachsen war, diese Stadt, die mich erdrückte.

Das Wohnheim war nie mein Zuhause gewesen. Es war ein Käfig, ein Gefängnis. Und heute Nacht würde ich es hinter mir lassen.

Ich würde frei sein.

Hier hatte ich meine Freundinnen verloren. Eine nach der anderen an die Prüfungen und das System. Ihre Träume waren zerschlagen worden. Ich hatte sie nie wieder gesehen, obwohl ich wusste, sie waren irgendwo da draußen. Sie waren meine Familie gewesen.

Luciana war meine Familie.

Und ich ließ sie zurück. Ich lief davon, ließ sie allein in der Auswahl.

Du musst fliehen, du willst nicht bleiben, hatte Luciana gesagt. Du willst kein Dienstmädchen werden. Du hast eine bessere Zukunft außerhalb der Mauern.

Aber wir wussten nicht, was jenseits der Mauern war. Nur in den Büchern hatten wir von den sechs Königreichen gelesen, als wären sie Märchen, unerreichbare Träume.

Wenn ich es über die Mauern schaffte … würden mich ihre Bewohner aufnehmen? Würde ich dort nicht ebenso allein sein wie hier? Keine Familie. Kein Dach über dem Kopf.

Meine Füße stolperten über die unebenen Pflastersteine, und für einen Moment dachte ich, ich würde zusammenbrechen. Mein Körper wollte nicht weiter. Meine Beine weigerten sich. Tief in mir wusste ich, das war Wahnsinn. Seit unserer Geburt kannten wir nur diese Mauern, diese Regeln, dieses Leben.

Jedoch hatte sich immer wieder der Gedanke zu fliehen in meinem Inneren eingenistet, mich verfolgt, wie ein dunkler Schatten, der mich nachts aus dem Wohnheim trieb. Als die Wände auf mich zukamen und die Luft abschnürten.

Die schwarzen Haare versteckten mich bei Dunkelheit. Doch sobald die Sonne aufging, stellten sie mich allen zur Schau. Sie ist kein Mädchen der Sonne.

Genau wie alle anderen Frauen der Zukunft hatte mich ein heiliges Pferd in die Stadt der Zukunft gebracht. Nur war es ein halbes Jahr zu spät.

Ich hatte zu den Göttern gebetet, sie angefleht, mir Antworten zu geben. Doch weder sie noch die Priesterinnen, die mich nie wirklich akzeptiert hatten, hatten je geantwortet.

Die Priesterinnen hatten nie daran geglaubt, dass ich es so weit schaffen würde. Sie hatten gehofft, dass ich bei einer der Prüfungen versagen würde, dass die Götter mir die Gnade erweisen würden, von der Auswahl auszuscheiden, ohne sie zu erzürnen.

Aber Luciana hatte mich nicht fallen lassen. Die Frau, die selbst in der dunkelsten Stunde leuchtete, zog mich mit in ihren Schein.

Ich hatte ihren Körper trainiert, sie hatte meinen Verstand geschärft. Eine Klausur nach der anderen, ein Training nach dem nächsten. Ich war nichts ohne sie, und sie nichts ohne mich. Und doch hatte sie mich heute gedrängt, fortzulaufen. Die Priesterinnen wollen dich im Schloss nicht haben. Wenn du nicht in der Stadt der Zukunft verrotten willst, dann flieh.

Ich hatte nie gewollt, eine Herrscherin zu sein. Weder Prinzessin noch Königin. Doch niemand hatte uns je die Wahl gelassen. Die Auswahl zu verlassen, einfach in die Welt hinauszutreten, war undenkbar. Selbst die, die die Auswahl nicht bestanden, blieben hier – gebunden an die Stadt der Zukunft.

Wollten es die Götter wirklich so?

Lucianas Worte hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt, als sie in mein Ohr flüsterte: Elithalia, ich liebe dich. Morgen wird es zu spät sein. Sie liebte mich. Und ich liebte sie. Ich konnte nicht glauben, dass meine Beine mich weitertrugen, fort von ihr. Fort von dem einzigen Menschen, der mir je etwas bedeutet hatte.

All die Jahre hatten wir uns gegenseitig gestützt, durch die Prüfungen, durch den Schmerz und die Zweifel. Sie hatte Waffen verabscheut, ich verachtete die Etikette. Doch nun war sie in perfekter Form, und ich war geübt in guten Manieren.

Ich dachte daran, wie wir gestern noch trainiert hatten – ich hatte ihren Ellenbogen beim Bogenschießen korrigiert, während sie mich dazu gebracht hatte, den Aufsatz des hundertsten Propheten erneut aufzusagen. Immer wieder. Sie hatte nicht locker gelassen, bis ich ihn auswendig konnte.

Doch jetzt? Der letzte Absatz war mir längst entfallen, und ihr Ellenbogen … Sie würde ihn wahrscheinlich immer noch zu hoch halten.

Ich konnte sie nicht zurücklassen. Ich werde sie nicht zurücklassen. Nicht aus freiem Willen. Sie musste die Auswahl gewinnen. Es war ihr Schicksal, davon war ich überzeugt. Mit ihrem großen Herzen und scharfen Verstand würde sie die Welt verändern. Ich glaubte fest daran.

Diese Überzeugung machte es jedoch nicht einfacher, fortzulaufen. Ich wusste nicht, was hinter den Mauern auf mich wartete. Geister vielleicht oder Schlimmeres. Doch eines wusste ich: Luciana brauchte mich.

Die Straßen der Stadt der Zukunft waren alle gleich, ein Labyrinth aus grauen, gesichtslosen Gebäuden, die sich in die Unendlichkeit zogen. Jede Gasse war ein Spiegelbild der vorherigen. Es war, als würde die Stadt mich selbst zurückziehen wollen, mich daran hindern, zu entkommen.

Und so bemerkte ich kaum, dass meine Füße mich unbewusst zurück zum Wohnheim geführt hatten. Die Flucht, die ich begonnen hatte, war zu Ende, als ich vor dem eintausenddreizehnten Wohnheim stand – dem Ort, der nie mein Zuhause gewesen war.

Auf ein Zuhause konnte ich noch warten.

Zuerst musste ich Luciana zur Krone verhelfen.

 

 

 

 

 

Valynor stand vor dem Spiegel, ihr Blick war fokussiert, ihre Bewegungen ruhig und bedacht. Sie steckte ihre Haare hoch, strich die letzten Falten auf ihrem Kleid glatt, putzte sich die Zähne zweimal, als könnte sie die Nervosität wegschrubben.

Draußen, am Rande der Siedlung, wartete die Kutsche, bereit, die Auserwählte ins Schloss zu bringen. Bereit, sie in die letzte Runde der Auswahl zu führen.

Die Kutsche, die Valynor niemals betreten würde.

Mein Magen zog sich zusammen.

»Du hast keine Eile, wie ich sehe.« Valynor schaute sich um. Die anderen Frauen haben ihre Sachen gepackt und das Zimmer verlassen. Acht Betten standen leer. Kratzer und die abgeblätterte Farbe erinnerten an die vorherigen Bewohnerinnen.

»Ich suche noch.« Meine Stimme klang hohl, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Mit fahrigen Händen sortierte ich die Kleidung in meinem Koffer um. Wieder und wieder neu, die Augen ständig auf Valynor gerichtet.

»Nach was?« Sie zog eine Schublade auf und holte einen Stapel Papier hervor – die Akte.

Meine Brust schnürte sich zu, als ich den goldenen Stempel darauf sah.

Der Schlüssel zur Zukunft im Schloss.

Meine eigene Akte lag unbeachtet auf dem Boden neben mir, zerknittert und wertlos. Kein Stempel, keine Chance.

»Nach einer besseren Zukunft«, antwortete ich.

Valynor lachte, legte die Akte auf ihren Koffer und verschwand im Bad. Das Wasser rauschte, die Uhr tickte. Sekunden liefen mir weg.

Ohne zu zögern, sprang ich auf, griff nach den Akten. Meine Finger bebten, als ich ihre Unterlagen gegen meine eintauschte. Ihr Leben gegen meines.

Dann schnappte ich den Koffer, mein Herz hämmerte so laut, dass ich kaum atmen konnte. Der Schlüssel, den ich in der Nacht zuvor gestohlen hatte, brannte in meiner Hand. Ich rannte aus dem Zimmer.

Ich schloss die Tür von außen ab, das Schloss klickte. »Es tut mir leid, Valynor.«

Ich warf den Schlüssel in die Büsche, sobald ich die Straße erreicht hatte. Meine Füße trugen mich schneller, als ich denken konnte, und doch fühlte es sich an, als würde jede Bewegung in Zeitlupe geschehen. Die Häuser um mich herum waren nichts als verschwommene Schatten.

Ich musste mich beeilen. Die Fenster im Wohnheim ließen sich zwar nicht öffnen, aber das würde Valynor nicht aufhalten. Sie würde das Glas zerschlagen, um mich einzuholen und ihren rechtmäßigen Platz zurückzufordern.

Hunderte von Auserwählten sind weitergekommen. Zwölf werden die Auswahl gewinnen. Valynor war keine Gewinnerin. Früher oder später wäre sie wie die tausend Anderen im Dienst der Stadt der Zukunft geendet. Es war nicht meine Schuld.

Der Muskelkater erinnerte mich an die letzte Nacht. Diesmal rannte ich nicht weg.

Die Sonne stieg langsam über den Horizont, färbte die Wohnheime in den bronzenen Glanz und tauchte die Stadt in einen friedlichen Schein. Keine Geister waren zu sehen. Doch ich wusste, sie verschwanden nie.

»Halt!« Eine tiefe Stimme ließ mein Herz stocken. Vor mir stand ein Wachmann, seine nächtliche schwarze Uniform hatte er gegen eine goldene Rüstung getauscht. Sie funkelte im Morgenlicht, wie ein scharfes Messer, das bereit war, jeden Moment zuzuschlagen. Sein Gesicht war ernst, die Augen schmal, als er mich musterte.

»Guten Morgen«, brachte ich mit einem gezwungenen Lächeln hervor. Mein Atem ging zu schnell, mein Herz raste. Ich durfte mir nichts anmerken lassen. Nicht, wo ich so nah dran war.

»Wohin so eilig?« Er zögerte, als könne er durch meine Fassade hindurchsehen.

»Zu meinem Traum.« Ich drückte die Akte fester an die Brust und blinzelte, als hätte mich seine Frage verlegen gemacht. Nach einem endlos langen Moment trat er zur Seite.

Ich setzte meinen Weg fort. Die Absätze blieben zwischen den Pflastersteinen stecken, mit jedem Schritt schmerzten meine Füße mehr. Blasen bildeten sich an den Stellen, wo das Leder der Schuhe die Haut aufrieb. Die Priesterinnen hatten Erwartungen, ich musste ihnen entsprechen.

Ich hielt meinen Kopf erhoben, die Schultern gerade, das Lächeln süß und unschuldig, und stellte mich in die Schlange vor den Toren am Rande der Siedlung.

Die anderen Frauen vor mir sahen fremd aus – ein gutes Zeichen. Niemand würde mich erkennen. Niemand würde wissen, dass ich nicht Valynor war.

Von einem Fuß auf den anderen tretend, beobachtete ich die Kutschen, wie sie eine nach der anderen den schmalen Weg hinauf in die Berge fuhren. Dort, wo das Schloss wie ein Schatten am Horizont aufragte, kaum erkennbar hinter den Nebelschwaden.

Ein Grollen erzitterte die Luft. Die Frau vor mir stolperte rückwärts. Auch ich verspürte den Drang, mehr Abstand zu der Kutsche zu bringen.

Rückwärts. Irgendwohin, nur nicht zu den Greifen, die einen weiteren Wagen hinter sich her zogen. Aber es gab keinen Ausweg. Nicht jetzt.

Ihre pechschwarzen Federn waren durchzogen von blutroten Streifen, als hätten sie einen Körper zerfleischt, dessen Überreste an ihnen hingen. Die scharfen Krallen kratzten mit jedem Schritt auf den Pflastersteinen. Ihre leuchtend roten Augen glühten vor Wildheit, vor Hunger.

Die mächtigen Flügel schlugen in der Luft und erinnerten an die donnernden Schläge eines Kriegers. Mein Herz pochte in meinem Hals. Mir wurde schlecht.

Das Biest drehte seinen Kopf in unsere Richtung und öffnete den Schnabel, die roten Zähne offenbarend. Sie konnten mühelos durch Knochen schneiden.

Es hieß, die Greife waren unbezwingbar, gebunden an die Priesterinnen durch uralte Magie. Sie konnten mich riechen, wussten, dass ich eine Lügnerin war. Doch reden konnten sie nicht. Den Gedanken, dass sie mich in Stücke reißen könnten, ignorierte ich.

Mein Magen drehte sich um. Es waren sechs Biester für eine Kutsche. Ich drückte die Papiere fester an die Brust, meine Finger zitterten. Die Schlange bewegte sich langsam vorwärts, ich konnte meine Augen nicht von den Tieren abwenden.

»Name?« Die Stimme der Priesterin riss mich aus meiner Starre. Ich musste mich konzentrieren.

Der Plan. Fokussiere dich auf den Plan.

»Valynor.« Mein Mund war trocken, ich zwang die Worte heraus und reichte der Priesterin die gestohlenen Papiere. Mein Puls donnerte in meinen Ohren.

Die Frau warf einen Blick auf die erste Seite, überprüfte meinen Namen und legte die Akte in den Stapel zu den anderen. Mit einer ungeduldigen Geste winkte sie mich vorbei.

Zur Kutsche.

Die weißen Wände reflektierten die Sonnenstrahlen und schmerzten in meinen Augen. Die roten Muster zogen sich an ihren Rädern und Fensterrahmen wie Schlangen. Sie wanden sich, als würden sie lebendig werden und mich beißen, sobald ich näher kam.

Die Greife hoben ihre Köpfe, als ich auf sie zuging. Ihre Augen durchbohrten mich. Sie konnten die Schuld sehen. Meine Lüge.

Ich betete zu den Göttern, dass ich nicht die Nächste war, deren Blut auf ihren Krallen kleben würde.

Ein mulmiges Gefühl kroch mir den Rücken hinauf. Es fühlte sich falsch an, in die Kutsche zu steigen, die mich weiter weg von allem führen würde, was ich kannte.

Ich nahm neben zwei anderen Frauen Platz. Zwanzig Auserwählte könnten hier mühelos Platz finden.

Ich glättete nervös die unsichtbaren Falten meines Kleides, versuchte, die zitternden Hände zu beschäftigen, während die Gedanken in tausend Richtungen rasten. Ich erwartete Valynor, ihre Schreie nach Gerechtigkeit. Die Priesterinnen, die mich aus dem Wagen zerrten.

Es geschah nichts.

Die Tür wurde mit einem dumpfen Knall verschlossen, im selben Moment setzten sich die Greife in Bewegung. Ihre mächtigen Flügel schlugen in gleichmäßigem Takt, der die Luft um uns herum zum Vibrieren brachte.

»Ich wusste nicht, dass wir fliegen werden.« Die Frau presste die Augen zu.

»Wenn du Angst hast, kannst du noch in die Bedienstetenstadt rennen.« Eine andere Auserwählte verschränkte die Arme vor der Brust.

»Die Auserwählten werden sicherlich keinen unnötigen Gefahren ausgesetzt.« Ich krallte meine Finger so fest in die samtige Bank, dass meine Knöchel weiß hervortraten. »Der Flug ist sicher.«

Die Frauen tauschten nervöse Blicke aus. Die schweren Atemzüge und bedrohlichen Flügelschläge erfüllten die stickige Luft.

Die Greife hoben uns mit einem Ruck in die Luft. Wir verließen die Erde, ein Schrei entrang sich meinen Lippen, ehe ich ihn hastig wieder verschluckte. Ich musste meine Angst unterdrücken.

»Wieso schreist du denn, wenn es so sicher ist?« Die Auserwählte rollte mit den Augen.

Ich zwang meine Lippen zu einem Lächeln.

Der Wagen schwankte unkontrolliert von einer Seite zur anderen. Im verzweifelten Versuch, nicht auf die anderen zu rutschen, spannte ich die Muskeln an, klammerte mich fester an die Bank.

Jeder Ruck, jeder Schwung drückte mich tiefer in den harten Sitz. Das Pochen meines Herzens hallte in meinen Ohren wider. Ich versuchte, ruhig zu atmen, doch es war, als würde die Luft dünner werden.

Mein Magen drehte sich um, als hätten die Bestien, die uns durch die Lüfte trugen, längst die Kontrolle verloren.

Ich gehörte nicht hierher. Ich war die Falsche in dieser Kutsche. Die Angst kroch in meine Glieder, machte sie schwer.

Die Kutsche krachte und kam ruckartig am Boden zum Stehen. Ich atmete aus. Wir waren gelandet.

Die Frau mir gegenüber stürzte auf die Tür zu, ihre Bewegungen hektisch und panisch. Kaum hatte sie den Boden berührt, brach ein würgender Laut aus ihr heraus.

Ich zwang mich, auszusteigen, doch als ich die Überreste ihres Mageninhalts auf dem Boden sah, stieg Bitterkeit mir in den Hals. Ich schluckte schwer.

Dann geschah es. Ein Grollen, tief und durchdringend, zerriss die Stille. Ich spürte die Gefahr, bevor ich sie sah.

Langsam drehte ich mich um und traf auf das wütende Funkeln der Augen eines Greifen. Er war riesig. Er breitete die Flügel aus, peitschte mit dem Schwanz über den Boden, ritzte mit den Krallen den steinigen Boden auf. Er war bereit zum Angriff, fixierte mich mit seinem Blick.

Ich spannte jeden Muskel in meinem Körper an. Wir konnten nicht fliehen. Konnten nichts tun, außer das Entsetzen in uns hochkriechen zu lassen.

Dann sprang er. Ein Aufschrei verließ meine Kehle, doch er verschwand im Echo eines viel lauteren Heulens, das nicht meines war.

Die Frau neben mir wurde von dem Greif erfasst, sein massiger Körper riss sie zu Boden. Blut spritzte in alle Richtungen. Es bedeckte den Boden, die Kutsche, meine Kleidung.

Ihr Blut, es war überall – auf meiner Haut, in meinem Haar. Der Greif riss sie in Fetzen. Ihr verzweifeltes Flehen verhallte.

Ich wollte weglaufen. Ich sollte weglaufen. Aber meine Beine verweigerten den Dienst, als wären sie aus Stein. Stattdessen stand ich da, ein paar Schritte von dem Ungeheuer entfernt, und konnte nichts tun. Nur zusehen, wie er mit seinem Schnabel die Knochen der Frau zerpflückte, als wäre sie nichts weiter als Beute.

Das Blut war warm auf meiner Haut, es klebte an den Händen, tropfte von den Fingern. Der metallische Geruch brannte in meiner Nase, und ein neuer Schwall von Übelkeit drohte, mich zu überwältigen.

Ihr Blut war auf mir. Ihr Blut …

Es war überall.

»Hilfe!«, flehte jemand.

Alles verschwamm, die Welt löste sich auf. Ich presste eine Hand auf die Lippen, doch es war zwecklos. Der Geschmack vom Blut füllte meinen Mund, als würde der Horror mich von innen zerfressen. Der Greif setzte sich in die Blutlache und spielte mit den Überresten. Ein Monster, das das Leben der unschuldigen Frau ausgelöscht hatte. Er warf einen Knochen in die Luft, schnappte ihn mit dem Schnabel auf und verschlang ihn mit einer Selbstverständlichkeit, die das Grauen nur noch tiefer in mich hineinfraß. Das Blut sickerte weiter in die Kleidung, klebte an meiner Haut. Meine Beine zitterten, trugen mich nicht fort.

Ich konnte nicht weinen. Konnte nicht schreien. Nur stehen. Und warten. Warten, bis er sich für mich entscheiden würde.

Ich war schwach. So schwach, dass jeder Atemzug schmerzte, als würde er mich in der Mitte auseinanderbrechen. Mein Verstand schrie, dass ich etwas tun musste – irgendetwas – doch meine Glieder waren taub, eingefroren von der überwältigenden Furcht, die durch meinen Körper raste.

Die Frau, die nur noch eine leblose Masse aus Blut und Fleisch war, konnte ich nicht mehr retten. Sie war verloren. Ich wusste es tief in meinem Innersten, und doch versuchte ich verzweifelt, mir einzureden, dass ich handeln musste.

Aber es gab nichts mehr zu tun. Niemanden mehr, den ich retten konnte. Ich konnte nicht einmal mich selbst retten.

Ich stand da, zwei Meter von dem Biest entfernt, und sah zu, wie es seine grausame Mahlzeit beendete, seine Krallen in das Fleisch grub.

Ich würde die Nächste sein. Die Nächste, die er zerreißen würde. Mein Atem kam stoßweise, unregelmäßig. Tränen stiegen mir in die Augen, heiß und drängend.

Das Adrenalin ließ nach, und die pure Angst schnürte mir die Kehle zu, erstickte mich.

Jemand schloss eine Hand fest um meinen Arm, zog mich mit einem harten Ruck zurück. Fort von dem blutigen Schlachtfeld.

Ich stolperte, halb blind vor Tränen, und sah auf. Ein Soldat.

»Weiter mit Euch«, knurrte er, ohne mich anzusehen. Seine Stimme klang rau und abweisend, als wäre ich nichts weiter als eine Last, die er zu tragen hatte.

Ich blinzelte heftig, wischte die Tränen vom Gesicht, spürte meine Finger kaum.

Nur langsam realisierte ich, dass ich nicht allein war. Um mich herum drängten sich Auserwählte, ihre Gesichter leuchteten vor Aufregung, Augen funkelten voller Hoffnung, als hätten sie nicht gesehen, was passiert war. Als wäre der Greif und seine Beute eine Illusion meiner Fantasie gewesen.

Die Wachen drängten uns weiter. Sie stellten sich in einer starren Reihe hinter uns auf, bildeten undurchdringliche Mauern aus Muskeln und Waffen.

Kein Zurück mehr. Nur vorwärts. Doch wohin?

Ich verstand nichts. Nichts außer der Tatsache, dass eine Frau gestorben war, und es keinen zu interessieren schien.

Eine weitere Kutsche ratterte heran, die Räder wirbelten Staub und Steine auf. Die Tür öffnete sich mit einem knirschenden Geräusch. Aus der Dunkelheit trat eine Frau, um die ich mehr Angst hatte als um mich selbst.

Mein Herz setzte aus.

Luciana.

Graziös und ohne Zögern sprang sie die Stufen hinunter und landete direkt vor dem Greifen. Ich ballte die Hände zu Fäusten, bereit, zu ihr zu rennen, sie zu retten, selbst wenn ich wusste, dass es nutzlos war. Der Greif würde sie zerreißen, bevor ich in ihre Nähe käme.

Er tat es nicht, ließ sie passieren, als wäre sie unsichtbar für ihn. Meine Knie gaben vor Erleichterung nach, aber das Gefühl war flüchtig. Unsere Blicke trafen sich. Sie blieb stehen, mitten im Schatten des Biestes.

Nein, schrie es in mir. Bitte, Luciana, geh weiter. Doch sie tat es nicht. Stattdessen musterte sie mein Kleid, meine mit Blut bedeckte Haut. Ihr Blick spiegelte nicht die Angst wider, die meine Glieder gelähmt hatte. Nein, ihre Augen füllten sich mit etwas anderem: Besorgnis, Vorurteil und … Enttäuschung.

Luciana schüttelte den Kopf, als wäre ich diejenige, die alles falsch gemacht hatte, und senkte den Blick. Dann schritt sie zu mir, das Biest hinter sich lassend.

»Was machst du hier?« Sie wollte nicht wissen, warum ich blutverschmiert war, ob das Blut mein eigenes war oder das einer anderen. »Lili, du hättest längst fort sein sollen!«

Als hätte sie mir eine Ohrfeige gegeben, stolperte ich zurück. »Ich konnte dich nicht allein lassen.«

Die anderen Frauen blieben regungslos, ihre Augen auf etwas weiter vorne gerichtet. Die Luft war dicht, von Nebel durchzogen. Ich kniff meine Augen zusammen, um klarer sehen zu können. Kurz dachte ich, Statuen erkannt zu haben, doch es waren Priesterinnen, die auf einer Erhöhung in der Mitte der Menge standen und uns aus der Distanz beobachteten.

Luciana zog an meinem Arm, zwang mich, sie anzusehen. »Du darfst nicht hier sein.«

Meine Augen schweiften zu den Greifen hinter uns. »Luciana, die Greife …« Meine Stimme zitterte bedrohlich. »Er hat sie ermordet.« Die Worte kamen wie ein Flüstern aus mir heraus, zerrissen von der Furcht, die mich von innen auffraß.

Neue Auserwählte drängten sich in die Menge, versperrten mir die Sicht auf die Bestien.

Ich musste die Kreaturen sehen. Ich musste sicher sein, dass sie nicht näher kamen, dass sie nicht …

»Es ist alles gut«, sagte Luciana, ihre Stimme fest, als könnte sie die Realität mit ihren Worten verändern.

Alles gut? Wie konnte sie das sagen? Die Frau war tot. Ermordet von einem Greifen, und niemand hatte etwas getan.

Nicht die Wachen, nicht die Priesterinnen. Sie hatten zugesehen, wie das Biest eine Auserwählte zerrissen hatte. Sie hätte Herrscherin werden können.

Die Wachen hätten eingreifen sollen. Sie hätten sie beschützen sollen. Sie haben nichts getan. Nichts.

»Elithalia.« Luciana sah mich flehend an. »Du musst ruhig bleiben. Bitte, konzentriere dich. Es ist alles gut.«

Aber das war es nicht. Es war nichts gut. Sie war tot, und ihr Blut klebte an mir, an meiner Haut. Ich konnte es riechen, diesen metallischen Geruch, der meinen Magen umdrehte. Konnte schmecken, wie es auf meinen Lippen brannte.

Sie war tot. Tot.

»Meine lieben Auserwählten, ich gratuliere euch allen, dass ihr es zu der letzten Auswahlrunde geschafft habt!« Die Stimme der Oberpriesterin Monmery schnitt durch die Stille und drang in meinen Kopf.

Ich drückte die Hände auf die Ohren, versuchte, den Klang zu ersticken. Es half nichts. Ihre Stimme war nicht um mich, sie war in mir.

»Ihr habt euch all die Jahre beweisen können …«

Nein. Nein! Ich will das nicht hören! Meine Gedanken schrien. Die Oberpriesterin war schuld an dem Tod der Frau. Es waren ihre Soldaten, die sie hätten beschützen sollen und versagt hatten.

»Heute ist ein besonderer Tag.« Der Druck in meinem Kopf wuchs unerträglich. Ich presste die Handflächen so stark an meinen Schädel, dass ich fürchtete, er würde zerbersten.

Über den Köpfen der Menge, auf einem Podest erhöht, standen zehn Priesterinnen. Das Weiß ihrer Mäntel flatterte im Wind wie Gespenster. Alles war grau. Der Nebel hüllte die Welt ein, verschluckte jede Farbe, außer das Blut an meiner Haut.

»Wir haben etwas für euch mitgebracht.«

Verschwinde aus meinem Kopf!

Die Auserwählten versanken in Trance, ihre Blicke nach vorne gerichtet, die Lippen in einem Lächeln verzogen. Keine von ihnen atmete.

Die Priesterinnen sagten etwas, doch ich hörte es nicht mehr. Als hätte jemand die Verbindung aufgelöst.

Die Brise spielte mit meinen Haaren, und für einen Moment fragte ich mich, wann die Sonne hinter den Wolken verschwunden war. Der Nebel legte sich auf unsere Kleidung, kroch in die Lungen, doch selbst die frische Feuchtigkeit konnte den Geruch des Blutes nicht vertreiben.

Mein Kopf fühlte sich klarer an, auch wenn meine Hände unaufhörlich zitterten.

Ein dumpfer Schlag, wie Donner, durchbrach die Stille. Mein Kopf zuckte in alle Richtungen, auf der Suche nach der Quelle. Niemand sonst reagierte.

Jenseits der Frauenmenge, wo das Feld sich bis zu den massiven Mauern des Schlosses erstreckte, löste sich ein Teil der Wand. Ein Krachen folgte. Ein Stück der Mauer fiel herunter und gab eine Brücke frei. Sie führte zum Schloss. Es war riesig, seine Türme stiegen in die Wolken auf und schienen unerreichbar zu sein.

»Luciana.« Ich stieß meine Freundin an der Schulter an. »Ich habe ein schlechtes Gefühl.«

Sie blinzelte, als würde sie aus einem Traum erwachen, und rieb sich die Augen, ihre Klarheit kehrte langsam zurück. Ihr Blick huschte von den Priesterinnen zu mir und dann zu der Brücke. Ohne zu zögern, packte sie mich an der Hand und zog mich hinter sich her Richtung Brücke. »Versuche, keine Aufmerksamkeit zu erregen.«

»Was tust du?« Die Furcht setzte bei mir ein. Wenn die Priesterinnen bemerkten, dass wir nicht zuhörten, würden sie uns bestrafen. »Luciana, wir dürfen nicht gehen.«

Die Angst kehrte zurück. Ich hätte sie nicht wecken sollen, sie nicht in Gefahr bringen sollen.

»Lili, du hättest fliehen sollen.«

»Wieso?« Der Vorwurf in meiner Stimme war unverkennbar. Wollte sie mich nicht hier haben? Hatte sie Angst, ich könnte ihr die Chance auf den Thron stehlen? Wir hatten so viele Jahre Seite an Seite gekämpft, und jetzt … wollte sie mich loswerden?

Vielleicht wollte sie mich hier nicht haben. Ich zog sie mit mir in Schwierigkeiten. Genau wie in diesem Moment. Wir brachen die Regeln.

Ich wollte ihr doch nur helfen. Ich dachte, ich könnte ihr zur Macht verhelfen. Habe ich mich geirrt? War ich Ballast in ihren Augen?

»Ich kann gehen, wenn du mich hier nicht haben willst.« Ich konnte kaum glauben, was ich aussprach. »Ich kann zu den Priesterinnen gehen und mich in den Dienst schicken lassen.«

Luciana blieb abrupt stehen, drehte sich zu mir um und packte mich an den Schultern. »Es gibt keinen Dienst, Lili!« Sie spuckte die Worte aus, als müsste sie mich zwingen, die Wahrheit zu sehen.

Doch es ergab keinen Sinn. Natürlich gab es den Dienst. Die Frauen, die es nicht schaffen würden, wurden immer in die Bedienstetenstädte geschickt. Seit Jahren. Seit unserer Geburt.

Ihr Blick zuckte zu den Priesterinnen. Angst flackerte in ihren Augen. »Egal, was gleich passiert, Lili, bitte … bitte, denk nicht an die anderen. Denk nur an dich selbst.«

»Was?« Meine Stimme zitterte, als die Verwirrung meine Wirbelsäule hochkroch.

»Tausend Auserwählte erwarten die Mauern des Schlosses der Zukunft«, erklangen die Stimmen der Priesterinnen in meinem Kopf. »Beweist, dass ihr sie euch verdient habt.« Die Worte sickerten durch meine Abwehr, und ein finsteres Verständnis begann sich in mir zu regen.

Sollte das eine Art Prüfung sein? Es waren viel mehr als tausend Frauen hier. Die Besten würden die Brücke überqueren.

Die Starre fiel von der Menge, alle sahen sich verwirrt um. Ich konnte keine Rätsel lösen. Das war Lucianas Stärke, nicht meine.

Dann hörte ich es: Flügelschläge. Viele. Unzählige. Mein Kopf schnellte nach oben. Die Greife. Hunderte von ihnen. Sie flogen auf uns zu, die Augen glühend vor Hunger.

Ein kalter Gegenstand schmiegte sich in meine Hand – ein Messer. Die Klinge war unnatürlich schwer.

»Sie wollen doch nicht, dass wir …?« Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Wir sollten gegen die Bestien kämpfen.

»Renn.« Luciana drehte sich um, verschwand in der Menge. Ich folgte ihr.

Die ersten Schreie zerrissen die Luft.

 

Blut – an den Händen, in den Augen, auf der Zunge.

Die Greife stürzten sich auf die Auserwählten, ihre scharfen Krallen zerschnitten Haut und Knochen. Gezogene Messer stachen hilflos in die Luft. Die Körper fielen auf den Boden, die Schreie verloren sich in dem Rausch des Regens. Ein reines Chaos aus Verzweiflung, Schmerz und dem überwältigenden Drang zu überleben.

Etwas riss meine Haut auf. Die Arme, die Beine. Schnitte durchtrennten das Fleisch, doch ich spürte den Schmerz kaum. Ich war betäubt, gefangen in der Raserei, die sich um mich entfaltete. Mein Blut tränkte den Boden.

Mein Körper war ein einziger Sturm aus Agonie. Die Haut glühte, doch das Feuer war nirgendwo zu sehen. Die grelle Hitze in meinem Inneren war unerträglich. Ich konnte kaum atmen. Ich stand in Flammen, aber nichts brannte.

Es musste das Fieber sein, das mich von innen heraus verzehrte. Jede Bewegung kostete mich mehr Kraft, als ich hatte. Mit gezücktem Messer stand ich inmitten der Verwüstung, die Beine weigerten sich, mich zur Brücke zu tragen.

Der Weg dorthin war so nah, aber gleichzeitig unendlich weit entfernt. Ich musste es schaffen. Nur noch ein paar Meter. Doch meine Glieder fühlten sich schwer an, als wären sie aus Blei. Jeder Schritt war ein verzweifelter Kampf gegen die Starre, die mich ergriffen hatte.

Ich stolperte. Der Boden war hart und unnachgiebig, meine Hände versanken in der Erde, die kühle Nässe auf meiner Haut war ein Schock für meine überhitzten Sinne.

Unter meinen Beinen lag ein Körper. Eine Frau – oder das, was von ihr übrig war. Ihr Leib war aufgerissen, die Gedärme quollen aus dem klaffenden Loch in ihrem Bauch, die Augen fehlten, das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt.

Ihr Blut klebte an mir, vermischte sich mit meinem eigenen, und der widerwärtige Geruch von Tod und Verwesung füllte die Lunge.

Übelkeit kroch mir den Hals hoch. Ich musste weg, weg von ihr, weg von dem Tod, der mir dicht auf den Fersen war.

Ich kämpfte mich hoch, als ein tiefes Knurren durch den Regen schnitt. Mein Herz raste. Langsam drehte ich den Kopf in die Richtung des Klanges.

Ein Greif, größer als die anderen. Seine goldenen Augen funkelten in der Dämmerung.

Er war anders. Nicht wie die Bestien, die mir bisher begegnet waren. War er der Anführer? Mein Atem stockte, jeder Schlag meines Herzens dröhnte in meinem Kopf und übertönte alles.

Angst lähmte mich. Ich konnte mich nicht rühren, nicht schreien. Ich konnte nichts tun, außer zusehen, wie er auf mich zukam, mit seinen scharfen Krallen bereit, mein Leben zu beenden.

Ich drehte mich auf der Stelle um, rannte. Zu spät. Es war zu spät.

Er schoss in die Luft, landete vor mir und versperrte den Weg. Panik raste durch meine Adern. Ich stolperte rückwärts, zückte mein Messer – eine armselige Verteidigung gegen ein Monster.

Das Biest trat näher, seine Bewegungen bedächtig, als wollte es mit mir spielen. Ein Raubtier und ich war seine Beute.

Die feuchte Erde dampfte. Dichter Nebel stieg auf und färbte die Umgebung weiß. Hitze umhüllte mich. Mein Körper glühte. Etwas brannte, doch ich wusste nicht, was es war.

Der Greif knurrte, trat vor, und als seine Füße die Pfütze vor mir berührten, begann das Wasser zu sieden. Blasen bildeten sich, verbrannten seine Beine.

Er schrie wütend auf, zögerte nicht. Mit einem gewaltigen Satz warf sich das Biest auf mich, und ich fiel zurück, landete hart auf dem Boden.

Panik pflanzte ihre Wurzeln in meinem Bauch. Ich würde nicht nur von ihm gefressen werden. Ich würde lebendig in dem Regenwasser gekocht werden.

Der Aufprall raubte mir den Atem, mein Dolch rutschte aus meiner Hand. Ich lag unter ihm, gefangen zwischen seinen mächtigen Klauen. Sein Schnabel kam bedrohlich auf mein Gesicht zu, scharf und bereit, zuzuschlagen.

In der Panik griff ich nach ihm, packte ihn fest mit beiden Händen. Auch wenn der Tod unausweichlich war, würde ich nicht kampflos sterben.

Ich presste die Augen fest zusammen, wandte das Gesicht ab. Dann spürte ich, wie die dicke Haut unter meinen Fingern nachgab.

Der schwarze Schnabel des Greifs schmolz, offenbarte die Sicht auf die weißen Knochen. Blut quoll hervor, heiß und klebrig, tropfte es auf sein Gesicht.

Meine Hände … sie brannten. Ungläubig starrte ich auf den Greif, auf meine Finger.

Nein. Das konnte nicht sein.

Ich verbrannte ihn. Mit meinen eigenen Händen.

Wut blitzte in den gelben Augen auf, er entriss seinen Schnabel meinem Griff. Schützend streckte ich die Arme vor meinem Gesicht aus.

Es war vorbei. Er würde mich töten.

Etwas leuchtete auf. Ein Strom aus glühendem, rotem Licht schmerzte in meinen Augen.

Der Greif knurrte vor Schmerz, wand sich von mir ab, warf sich wild umher. Das Feuer verschlang ihn.

Flammen. Er stand in Flammen.

Ich kroch unter ihm hervor, mein Körper zitterte vom Adrenalin, die Gedanken wirbelten chaotisch durcheinander. Ich musste von hier verschwinden. Stattdessen sah ich zu, wie das Biest gegen das Feuer kämpfte.

Die Luft war erfüllt von dem bestialischen Schrei des Greifs, und ich wartete auf den unvermeidlichen Schmerz, wartete darauf, selbst zu brennen. Doch der Schmerz kam nicht. Das Feuer verzehrte nur das Biest, ließ mich unversehrt.

Der Greif fiel zu Boden, er hatte den Kampf aufgegeben.

Ich hatte ihn getötet.

Die Erde erzitterte. Die Kreaturen knurrten, der Boden vibrierte unter ihren schweren Schritten, und dann – flogen sie. Sie stiegen in die Luft und flohen, so schnell und unerwartet, dass ich es nicht glauben konnte.

Unheimliche Stille kehrte ein. Die Frauen, erschöpft und blutüberströmt, standen wie versteinert da, unfähig zu begreifen, was gerade geschehen war.

Ketten klirrten. Die Brücke, sie wollten sie schließen.

»Nein!«

Ich rannte los, so schnell ich konnte. Es gab keine Zeit mehr, über das Feuer nachzudenken, über die Toten. Ich musste es auf die Brücke schaffen, bevor es zu spät war.

Mein linkes Bein war verletzt. Jemand oder Etwas hatte die Haut aufgeschlitzt. Mein Bein knickte um, gab unter mir nach. Glühender Schmerz zuckte bei jedem Schritt durch meine Wunde.

Die Ketten der Brücke spannten sich. Ich war fast da. Ich würde sie rechtzeitig erreichen, da war ich mir sicher. Die Auserwählten setzten sich in Bewegung, versuchten in die Sicherheit zu gelangen, sobald der Schock nachgelassen hatte. Alle Monster waren weg. Die Auserwählten hatten den Kampf überstanden und rannten um ihr Leben.

Auf der anderen Seite versammelten sich immer mehr Überlebende. Unbewusst suchte ich nach dem blonden Haarschopf. Und da, ganz vorne, sah ich sie. Auch unter dem Dreck glänzten ihre Locke golden. Luciana.

Sie hatte es geschafft.

Tränen brannten in ihren Augen. Sie lebte. Ein Zittern durchlief meinen Körper, die Erleichterung mischte sich mit dem Gewicht der Erschöpfung.

Sie hatte es überlebt.

All die Jahre Training hatten sich ausgezahlt. Doch das, was wir heute erlebten, war nichts, worauf wir uns hätten vorbereiten können.

Ich erreichte die Brücke. Sie erzitterte und donnerte unter dem Gewicht der rennenden Frauen.

Die Fläche hinter der Brücke füllte sich mit mehr verweinten Gesichtern. Erschöpfte Körper nahmen Verletze in Empfang, stillten die Blutungen.

Der Boden erschütterte, bewegte sich. Die Ketten zogen die Brücke hoch. Meine Beine rutschten auf der geneigten, vom Regen feuchten Oberfläche aus, doch ich war schon drinnen. In Sicherheit.

Die Brücke lag hinter mir, und der Kampf … der Kampf war vorbei. Die Frauen drängten sich zusammen. Ihre Gesichter waren verschmiert mit Schmutz und Blut. Tränen rannen über ihre Wangen und zeichneten im getrockneten Blut ein Muster der Angst. Sie atmeten schwer, ihre Körper zitterten unter der Last von dem, was sie durchgemacht hatten.

Einige knieten nieder, versorgten die Wunden der anderen.

Zu viele verletzte. Zu viele, die es nicht geschafft hatten.

Meine Füße fühlten sich schwer an, als ich den blutgetränkten Boden betrachtete. Der Schmerz in meiner Brust drückte auf mein Herz, während die Schreie der Frauen, die es nicht geschafft hatten, in meinen Ohren widerhallten.

Im letzten verzweifelten Versuch, Sicherheit zu erreichen, hatten sie alles gegeben. Sie waren gesprungen, hatten sich an den Rändern festgeklammert — die Brücke hatte sie zurückgelassen. Zurückgelassen, um dort zu sterben.

Luciana zog mich in ihre Arme, ihre Stimme durchbrach den Nebel, der meinen Kopf umhüllte. »Du hast es überlebt.« Ihre Lippen bebten.

Erleichterung durchströmte meinen Körper, verbannte die Schmerzen. Das Atmen fiel auf einmal leichter.

»Du hast es überlebt.« Es war mehr ein Flüstern als eine Antwort. War das real? Oder war das nur eine Illusion, geschaffen von meinem Verstand, um mich vor der Wahrheit zu schützen?

»Wir haben es geschafft.« Ihre Finger strichen über meinen Rücken, beruhigend und vertraut. Doch als ich sie ansah, breitete sich die Besorgnis in meiner Brust aus.

Blut, so viel Blut. Es tropfte von ihrer Kleidung, klebte an ihrer Haut. Doch sie schien unbeeindruckt.

»Wo bist du verletzt?« Meine Stimme klang brüchig, wie Glas, das gleich zerbrechen würde.

»Es ist nichts.« Ihr Lächeln war schwach, fast unsichtbar hinter dem Rot, das ihre Lippen umrahmte. »Hier und da.« Sie zuckte mit den Schultern, als wäre der Schmerz nichts im Vergleich zu dem, was wir durchlebt hatten. Aber ich wusste es besser. Niemand ging unversehrt aus so etwas hervor.

»Wie hast du das geschafft?«, fragte eine fremde Stimme. Stille legte sich über die Menge, die Gesichter richteten sich auf mich.

Stille. Erwartung. Meine Brust zog sich zusammen, die Angst kroch wie kaltes Wasser meine Wirbelsäule hinauf.

»Die Greife verschwanden, als das Feuer kam«, sagte jemand. »Ohne es wäre ich jetzt tot.«

Ich schluckte, mein Hals fühlte sich trocken an, als wäre er mit Sand gefüllt. Sie alle schauten mich an. Dankbar. Bewundernd. Sie glaubten, ich hätte sie gerettet. Dass das Feuer—das Feuer, das ich nicht kontrollieren konnte—ihnen das Leben geschenkt hatte.

»Ich auch.« Die anderen nickten, stimmten den Aussagen zu.

»Ich …« Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Die Flammen. Sie kamen aus dem nirgendwo. Aus mir. Doch es war unmöglich.

Früher oder später sollte jede von uns die heiligen Kräfte entfalten. Von den Göttern gesegnet, würden sie uns helfen, die Welt zu bewegen.

Doch Feuer war keine Macht, die man sich unter der heiligen Kraft vorstellte. So etwas existierte nicht.

In den Büchern wurden die heiligen Kräfte als Segen für die Welt beschrieben. Kontrolle über die Natur jeglicher Art. Die Erde, Pflanzen, Tiere, das Wetter … eine Macht, die Leben schenkte.

Feuer schenkte kein Leben. Feuer nahm es.

Luciana trat an meine Seite. »Elithalia hat Zündlösung aus der Akademie benutzt«, verkündete sie. »Sie hat uns alle gerettet.« Sie sprach und ihre Worte legten sich wie Ketten um mein Herz. Das war eine Lüge.

Die Menge stimmte ein, Dankbarkeit hallte durch die Stimmen. Die Zündlösung haben wir in der Akademie noch vor Wochen zubereitet.

»Wieso hattest du sie dabei?« Eine Frau saß auf dem Boden, ihre Arme blutverschmiert, das Gesicht verwundet.

Meine Gedanken rasten, ich musste eine Ausrede finden. Etwas, das nicht weiter hinterfragt werden würde. »Ich habe heute früh nochmal in die Schubladen geschaut und sie dort liegen gesehen. Der Koffer war schon gepackt, also habe ich sie einfach schnell in das Kleid gesteckt. Es blieb keine Zeit mehr.« Ich zuckte mit den Schultern, versuchte unbeirrt zu klingen.

Die Frau nickte in Verständnis.

Sie durften nicht wissen, was ich getan hatte. Dass ich diejenige war, die das Feuer entfacht hatte. Dass es nicht die Zündlösung war, sondern ich.

Ich hätte sie alle verbrennen können. Und jetzt jubelten sie. Dachten, ich sei ihre Retterin. Aber ich war es nicht.

Ich war nicht nur die falsche Frau in diesem Schloss. Ich log sie weiter an, versteckte die gefährliche Macht.

Ich war eine Lügnerin.

Und dann traf es mich wie ein Schlag in den Magen. Die Wahrheit überrollte mich, nahm mir den Atem.

Es gibt keinen Dienst, hatte sie gesagt. Luciana wusste es. Sie wusste, dass wir alle sterben sollten. Sie hatte es von Anfang an gewusst, hatte mich aus der Menge gezogen, mich in Sicherheit gebracht.

»Sie sind tot.« Meine Stimme war brüchig, kaum mehr als ein Flüstern. »Alle Frauen … sind tot.« Ich sprach, doch die Worte blieben in meinem Hals stecken, erreichten die anderen nicht. Sie waren zu beschäftigt, ihr Überleben zu feiern.

»Wir sind jetzt in Sicherheit.« Luciana wandte mir ihr Gesicht zu. Ihre blauen Augen wussten, dass alles gelogen war.

Es gab keine Sicherheit. Die Erkenntnis traf mich wie eine Lawine, ließ mich in die Knie gehen. Alles um mich herum verschwamm, als die Schuld mich erdrückte.

Sie hatte mich fort vom Blutbad gezogen. Ihr unschuldiges Lächeln … Ich hatte es nie hinterfragt, nicht einmal, als sie mich zu sich riss und mir ein verspieltes: »Komm schon, Lili, du willst kein Dienstmädchen werden«, ins Ohr geflüstert hatte. Ihre Arme um mich geschlungen hatte, als wäre es nur ein harmloser Spaß.

Aber es war keiner. Sie wusste, was geschehen würde. Dass wir zum Sterben bestimmt waren. Sie drängte mich zu fliehen, nicht wegen irgendeines Dienstes. Sie wollte mich retten, weil sie wusste, dass wir alle hier sterben sollten.

Die Geister, die ich oft gesehen hatte, waren die Seelen der Frauen. Derer, die für die Ewigkeit in der Stadt der Zukunft geblieben waren.

Und Valynor … war unter ihnen. Sie hatte mich nicht aufgehalten, obwohl sie die Zeit dazu gehabt hätte. Warum? Weil sie wusste, dass sie nicht entkommen konnte? Oder … weil ich es war, die sie zum Sterben verurteilt hatte?

Der Boden unter mir schwankte, die Luft in meiner Lunge brannte.

Sie waren alle tot.

Ich hätte dort sein müssen, mit ihnen sterben sollen. Valynor hätte überleben können. Wenn ich nicht … Wenn ich sie nicht eingesperrt hätte.

Ich hatte sie getötet.

Ich fasste mir an den Kopf, die Arme bebten, während ich mich an die Tür erinnerte, die ich mit einem Klick verschlossen hatte. Es tut mir leid, Valynor, hatte ich gesagt, ohne zu wissen, was ich damit anrichtete. Dass ich ihr Todesurteil unterschrieben hatte.

Ich kannte sie mein Leben lang. Jetzt war sie tot.

Jubelnde Auserwählte umgaben mich, ihre Stimmen voller Erleichterung, voller Dankbarkeit. Sie lebten und glaubten, ich hätte sie gerettet.

Lüge. Das Blut von Valynor klebte an meinen Händen.

Es würde nie verschwinden, egal, wie oft ich versuchte, es abzuwaschen.

Ich war eine Mörderin. Valynor war tot.

Wegen mir.

 

Irgendwo zwischen dem vergossenen Blut und dem Traum von der Krone lebten wir. Seit drei Wochen war das Schloss der Zukunft unser Albtraum. Hunderte von den Auserwählten starben in seinen Wänden.

Die Schreie vergifteten meinen Verstand, zerrissen meinen Geist in tausend Fetzen. Sie hörten nie auf und holten mich bei Einbruch der Dunkelheit ein.

Ich presste die Handflächen auf die Ohren und summte vor mich hin, in der Hoffnung, die Rufe um Hilfe zu übertönen. Doch es war vergebens. Die Stimmen waren da — ob sie real waren oder nicht, spielte keine Rolle. Ihre Präsenz machte es schwer zu atmen, schwer zu denken.

Waren es die Seelen der Toten, die rastlos durch die Gänge schwebten? Oder war es mein Verstand, der mit mir spielte?

Ich wusste es nicht. Aber ich spürte sie. Näher. Näher mit jedem Atemzug. Ihre Qual, ihre unerhörten Schreie um Gerechtigkeit.

Sie fanden keine Ruhe. Und ich auch nicht.

Jede Bewegung der Hände erzeugte ein dumpfes Rauschen. So hörte sich das unruhige Meer an, stellte ich mir vor. Oder der Wind, der über die langen Weizenfelder fegt, kurz bevor ein Regen ausbricht. Weder das eine noch das andere hatte ich je in meinem Leben gesehen. Doch vielleicht, vielleicht schon bald, würde ich die Welt nicht nur durch die Seiten von Büchern kennenlernen können.

Falls ich die Auswahl überlebte. Falls.

Über eintausend Auserwählte bewiesen sich gegen die Greife und schafften es in das Schloss. Einhundert starben an den Verletzungen. Zweihundert wurden vergiftet durch Essen, erwürgt mit ihrer Kleidung, getötet von den Geistern, eingeschläfert in der Nacht, verschlungen von den Gängen, erdrückt von den Wänden … Zwölf würden das Schloss wieder verlassen.

Überleben und herrschen. Oder sterben. Dies war die einfache Regel der Auswahl. Gesetz unseres Lebens.

Einige Frauen bevorzugten es, diese Regel umzuschreiben. Auf diese Weise fiel es ihnen leichter, an eine bessere Zukunft zu glauben. Daran, dass es für uns überhaupt eine Zukunft gab.

Lieben und herrschen. Oder sterben.

Denn schon bald werden die sechs Erstgeborenen in das Schloss einziehen, um an unserer Auswahl teilzunehmen. Von nichts anderem wurde in den letzten Tagen gesprochen. Prinzen, die Anspruch auf uns erheben und uns retten könnten, in dem sie uns zu ihrem Eigentum machten.

Doch in meinem Bett, die Augen fest zusammengepresst, fiel es mir schwer, an etwas anderes zu denken, als an die Leichen der Unschuldigen in den Zimmern nebenan.

Aller Wahrscheinlichkeit nach bin ich tot, noch bevor die Männer im Schloss antreffen.

Vielleicht war der Tod erbarmungsvoller als dieses Schicksal.

»Die Götter haben den Königreichen eure Leben geschenkt«, hatte die Oberpriesterin verkündet. Verwundet und traumatisiert hatten wir vor den Toren des Schlosses gestanden. Ihre verdammte Rede hatte eine höhere Priorität, als die Versorgung der Verletzten. »An die Götter geben wir euch zurück.« Luciana und ich hatten eine Frau gestützt. Der Greif hatte ihren Fuß abgebissen. Sie starb zwei Stunden später. »Die heilige Macht bringt die Sicherheit in die Königreiche. Sie ist ein Segen für die Herrschaftsfamilien und ist nicht für das einfache Volk bestimmt.«

Meine Macht hatte sich gezeigt. Auch die anderen Auserwählten würden die Kräfte bald entfalten. Doch solange wir sie nicht kontrollieren konnten, waren wir schutzlos. Unser Körper und unser Verstand – die einzigen Waffen. Die Stärksten würden herrschen.

Also mussten die Schwachen sterben.

Ich drehte mich auf die Seite, blickte zum Bett neben meinem. Luciana schlief. Die restlichen acht Betten standen leer, ihre Besitzerinnen tot. Gestern waren wir noch zu dritt gewesen.

Jemand oder etwas hatte heute früh an der Tür geklopft. Neralyn hatte die Tür geöffnet und das Zimmer verlassen. Sie hatte nicht geschrien, nicht nach Hilfe gerufen.

Wir haben ihren Körper zerfetzt und blutüberströmt im Flur vorgefunden.

»Du hättest fliehen sollen«, hatte Luciana zu mir gesagt, als wir bei der Leiche stehen geblieben waren. Die Stimme des einst verträumten Mädchens klang kalt. Es gab keinen Platz für Träume in den Wänden des Schlosses. Sie musste sie im Wohnheim zurücklassen.

»Du hättest es mir erzählen sollen!« Sie hatte über die Toten Bescheid gewusst. Sie hatte mich angelogen.

Wir waren dagestanden und hatten die Überreste der Frau betrachtet. Vor einigen Wochen hätte es mich in Panik versetzt. Ich hätte geweint und geschrien. Doch ich hatte sie angesehen und nichts gespürt. Ich hatte mich nicht umgesehen, nicht nach der Quelle ihres Todes gesucht.

»Du warst sicherer, als du es nicht wusstest. Ich wollte dich beschützen.« Lucianas Antwort machte mich sauer. Wir hatten nie etwas voreinander verheimlicht. Oder zumindest hatte ich es geglaubt.

»Ich will nicht beschützt werden!« Ich hatte sie angeschrien. Ich wollte es nicht verstehen, nicht zugeben, dass sie vielleicht recht hatte. Dass ich an ihrer Stelle dasselbe getan hätte. »Woher wusstest du das?«

»Ich habe die Priesterinnen reden gehört. Ich habe die Leichen gesehen.« Sie hatte sich zu mir gedreht, den Körper der Frau nicht weiter beachtet. »Du darfst keinem über das Feuer erzählen«, hatte sie zu mir gesagt. »Wenn sie von deiner Macht erfahren, werden sie dich umbringen. Sie werden eine Gefahr in dir sehen.«

Den Priesterinnen gefiel nicht, dass ich später als die anderen Frauen geboren wurde. Ihnen gefielen meine schwarzen Haare nicht, meine zu helle Haut. Wenn sie erfahren würden, dass ich gefährliche Macht in mir trug, die ich nicht kontrollieren konnte, würden sie mich töten.

Ich lag im Bett und beobachtete, wie die Brust meiner Freundin sich langsam hob und senkte. Ich war sauer, dass sie mir nicht früher die Wahrheit verraten hatte. Doch ich könnte sie jeden Tag verlieren. Ich könnte sterben und sie nie wiedersehen.

Nein, sie würde überleben. Nichts wünschte ich mir sehnsüchtiger, als sie als Königin eines der sechs Königreiche zu sehen. Mit ihrem guten Herzen hätte sie die Macht, die Welt zu verändern. Sie würde Söhne großziehen, die diesem grausamen Auswahlprozess ein Ende setzen könnten.

Denn genau das war mein Ziel. Sollte ich diese Auswahl überleben, würde ich alles daransetzen, die Stadt der Zukunft und ihre Priesterinnen in Flammen aufgehen zu lassen. Ich würde sie zerstören und nichts als Asche zurücklassen. Sie wären vergessen.

Dasselbe Schicksal, das sie den unschuldigen Kindern der Zukunft, die über Jahrhunderte hinweg für Frieden und Gerechtigkeit geopfert wurden, auferlegt hatten.

Ich konnte nicht weiter im Bett liegen. Ich brauchte Bewegung, Ablenkung. Ich verließ das Zimmer, schloss die Tür hinter mir ab. Ich würde zurück sein, bevor Luciana aufwachen und feststellen könnte, dass ich sie eingesperrt hatte. Ich tat es für ihre Sicherheit.

Der Gang war dunkel. Nur das schwache Licht des Mondes drang durch das Fenster und beleuchtete die Leiche auf dem Boden. Neralyns Körper wurde nicht weggebracht. Wussten die Priesterinnen, dass sie tot war?

Drei Tage hatte es gedauert, bis Caeliras Körper aus unserem Zimmer herausgetragen wurde. Sie ist in der Nacht gestorben. Morgens hatten wir sie leblos in ihrem Bett vorgefunden. Ihr Körper war bis auf ihre Augen unversehrt geblieben. Zwei blutige Löcher hatten ihr Gesicht gezeichnet. Was auch immer sie getötet hatte, hatte die anderen nicht angefasst.

Ich kniete mich neben Neralyns Körper. Sie war immer nett zu mir gewesen. Sie hatte diesen grausamen Tod nicht verdient.

Mit der Hand fuhr ich über ihre braunen Locken. Ich hätte an ihrer Stelle sein können. Dafür hätte ich nur die Tür aufmachen müssen. Dann würde mein Körper in Fetzen auf dem kalten Steinboden liegen.

Die Angst kroch aus den Winkeln meines Bewusstseins hoch. Jeder Schlag meines Herzens – eine Beschwerde über die Leichtfertigkeit. Es wünschte sich ein langes Leben. Einen Körper, der im Gegensatz zu mir eine Zukunft hätte.

Zwölf Auserwählte würden überleben.

Wenn ich eine von ihnen werden wollte, sollte ich nicht mit dem Tod spielen. Sollte ich in mein Zimmer gehen, die Tür versperren und fürs Überleben kämpfen.

Stattdessen stand ich auf und lief den Gang weiter.

Aus einem der Zimmer erklang ein Schrei. Ein echter Schrei, nicht nur ein Spiel meines Verstandes. Jemand starb, doch ich konnte ihr nicht helfen.

Der Schrei verstummte. Die Frau war tot.

Die Abschnitte wurden dunkler und kälter. Der Wind zog an den Wänden entlang, rauschte und glitt an meiner nackten Haut entlang.

Ich blieb stehen, blickte auf meine Hände herunter. In der Dunkelheit konnte ich sie kaum erkennen. Die Finsternis machte mich blind.

Wenn ich diese Auswahl gewinnen wollte, musste ich handeln. Lernen, meine Kraft zu kontrollieren.

Die Arme vor mir ausgestreckt, konzentrierte ich mich auf die Wärme. Stellte mir das Feuer vor. Bildete mir ein, ich könnte Verbranntes riechen.

Es geschah nichts.

Ich brachte die Hände an mein Gesicht, betrachtete die Finger. Wenn man ein Feuer mit den Streichhölzern zündete, entstand dieses durch Reibung.

Ich fuhr mit einem Finger über den anderen. Noch mal und noch mal. Kräftiger, stärker.

Ein Funke. Es hatte funktioniert …

Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Es war tatsächlich meine Macht. Ich hatte es mir nicht eingebildet. Feuer. Meine Macht war das Feuer.

Ich machte weiter, wiederholte die Bewegung. Die Finger brannten, färbten sich rot. Mehr Funken sprangen hervor, tanzten in der Luft.

»Das ist eine tolle Gabe.«

Erschrocken fuhr ich herum, stolperte nach hinten. Jemand musste mich entdeckt haben. Doch ich hätte nie gedacht, dass ich jemandem um diese Uhrzeit in den Gängen begegnen würde.

Blutige Augen blickten mir entgegen.

Caeliras. Nein, ihr Geist.

Sie stand so dicht bei mir, dass sich eine Frostschicht auf meinen Händen bildete. Der eisige Nebel, der von ihr ausging, biss in meine Haut. Ich wich weiter zurück. Ich musste rennen, mich in Sicherheit bringen.

»Sie hat mir das Leben gerettet.« Der Körper des Geistes war weiß und durchsichtig, als wäre er aus Nebel geformt worden. Ein zartes, schimmerndes Gewand fiel wie fließendes Wasser von ihren Schultern hinab, berührte niemals den Boden. Ihr zerzaustes Haar schien vom Wind getragen zu werden, auch wenn die Luft um uns still war. »Schade, dass ich doch so früh gehen musste.«

In der Stadt der Zukunft hatte ich die Geister nie betrachten können. Sie waren wie lange Lichtstrahlen an mir vorbeigehuscht, nur Spuren von Eis hatten sie hinterlassen.

Nie hätte ich gedacht, ich würde mit einem reden können. »Wie bist du gestorben?«

»Ich habe sie in der Menge verletzt. In den Bauch. Alle stachen um sich herum. Ich wollte nur raus, ich wollte ihr nicht wehtun.« Ich hörte ihre Stimme, hörte sie reden. Doch ihr Mund bewegte sich nicht. Ihr Körper, wie eingefroren. »Verärgere die Lebenden nicht. Die Toten werden dich holen.«

Der Geist einer anderen Auserwählten hatte sie umgebracht. Es war nicht fair. Ich konnte nicht glauben, dass die Götter uns für dieses Schicksal geschickt hatten.

Wenn das unsere Götter sein sollten, brauchte ich ihr Paradies nicht. Ich würde lieber in der Hölle brennen, als nach ihren Regeln zu leben.

»Ich werde die Auswahl gewinnen. Ich werde das System in Asche legen.« Ich sprach die Worte aus, erkannte meine eigene Stimme nicht. »Ich werde euch rächen.«

»Dann musst du dich beeilen.« Ihr Körper verschwamm. »Er kommt.«

»Wer kommt?«

Sie verwandelte sich in einen Strahl aus Licht, kam auf mich zu, strömte durch mich hindurch. Ich wollte ihr nachsehen, drehte mich um. Sie war schon weg.

 

Die Wache hatte mich ohne ein Wort in den kleinen Raum gezerrt. Es roch nach altem Holz und Staub. Ich keuchte auf. Der Mann entzündete die Leuchter an der Wand und verschwand. Dem dumpfen Klang des Schlosses, das einrastete, folgten eilige Schritte. Er wusste, dass ich nicht auf meinem Zimmer gewesen war. Er hatte sicher jedes Wort gehört.

Ich ging auf einer Stelle auf und ab, versuchte, die Gedanken zu ordnen. Ich konnte mich nicht ergeben. Nein, ich musste bereit sein, den Priesterinnen gegenüberzutreten. Ich musste eine Erklärung finden.

Der Greif hatte mich nicht umgebracht, aber das hier … das fühlte sich anders an. Würden sie mich diesmal töten?