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Eine Familienangelegenheit Mord auf Oaks Manor, de Familiensitz der Familie Worthington. Für Inspektor Lestrade ist der Fall eigentlich schon geklärt, aber die Hauptverdächtige verlangt vehement, Sherlock Holmes in die Ermittlungen mit einzubeziehen. Dieser begibt sich mit Doktor Watson und Lestrade nach Somersetshire und beginnt sogleich mit den Untersuchungen. Recht bald kommen Zweifel an Lestrades Theorie auf und es scheint sich ein neues Bild in dieser "Familienangelegenheit" zu ergeben. Getrieben Rätselhafte Morde im und um den Hyde Park halten Scotland Yard in Atem. Sherlock Holmes und Doktor Watson waren eigentlich nur durch Zufall in den ersten Mordfall hineingeraten. Wer zieht im Hintergrund die Fäden in diesen seltsamen Fällen und gibt sonderbare Hinweise am Tatort des jeweiligen Verbrechens? Die Ermittlungen verlangen einiges an Gespür vom Ermittlerteam aus der Baker Street und nur ganz allmählich lichtet sich der Nebel.
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Seitenzahl: 255
Veröffentlichungsjahr: 2024
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In dieser Reihe bisher erschienen:
3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan
3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer
3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn
3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter
3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer
3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick
3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz
3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi
3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick
3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler
3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer
3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer
3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt
3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson
3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson
3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt
3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle
3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn
3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler
3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter
3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel
3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler
3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner
3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler
3028 – Der Träumer von William Meikle
3029 – Die Dolche der Kali von Marc Freund
3030 – Das Rätsel des Diskos von Phaistos von Wolfgang Schüler
3031 – Die Leiche des Meisterdetektivs von Andreas Zwengel
3032 – Der Fall des Doktor Watson von Thomas Tippner
3033 – Der Fluch der Mandragora von Ian Carrington
3034 – Der stille Tod von Ian Carrington
3035 – Ein Fall aus der Vergangenheit von Thomas Tippner
3036 – Das Ungeheuer von Michael & Molly Hardwick
3037 – Winnetous Geist von Ian Carrington
3038 – Blutsbruder Sherlock Holmes von Ian Carrington
3039 – Der verschwundene Seemann von Michael Buttler
3040 – Der unheimliche Mönch von Thomas Tippner
3041 – Die Bande der Maskenfrösche von Ian Carrington
3042 – Auf falscher Fährte von James Crawford
3043 – Auf Ehre und Gewissen von James Crawford
3044 – Der Henkerkeller von Nils Noir
3045 – Die toten Augen des Königshauses von Ian Carrington
3046 – Der grausame Gasthof von Ralph E. Vaughn
3047 – Entfernte Verwandte von Jürgen Geyer
3048 – Verrat aus dem Dunkel von James Crawford
3049 – Die Dämonenburg von Nils Noir
3050 – Die Shakespeare-Verschwörung von J. J. Preyer
3051 – Das Monsterlabor von Nils Noir
3052 – Die Bruderschaft des Feuers von James Crawford
3053 – Der tote Landarzt von Uwe Niemann
3054 – Nebel in der Baker Street von Jürgen Geyer
Sherlock Holmes - Neue Fälle
Buch 54
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Copyright © 2024 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Vignette: iStock.com/neyro2008
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
www.blitz-verlag.de
3054 vom 12.09.2024
ISBN: 978-3-68984-051-8
Eine Familienangelegenheit
Getrieben
Über den Autor
Für Silvia und Nicole
Vielen Dank!
Ein Fall zu später Stunde
„Und doch erweist es sich in vielen alltäglichen Begebenheiten, dass gerade ein musisch begabter Mensch eine ungleich größere Phantasie bei der Planung und Ausführung eines Verbrechens an den Tag legt. Einem kleinen Straßenkehrer aus den Docks bedeutet vielleicht der Gesang der Vögel in einem unserer herrlichen Parks gleichviel wie das Rattern der vielen Droschkenräder, die jeden Tag an ihm vorüberfahren.“
Holmes hatte mir nach diesen Worten wieder sein schmales Gesicht zugewandt. Leicht vornübergebeugt, die langen zerbrechlich wirkenden Finger gegeneinander gepresst, sah er mich auffordernd an. Sein alter, mausgrauer Hausmantel hing um seine, wie ich fand, sehr mager gewordenen Schultern. Meine des Öfteren geäußerten Bedenken hinsichtlich seiner in letzter Zeit sehr strapazierten Gesundheit hatte er bisher stets mit einer bloßen Handbewegung abgetan.
Noch während ich zu einer Entgegnung ansetzte, war er plötzlich aufgesprungen und zum Fenster getreten.
„Entschuldigen Sie, lieber Watson, aber ich glaube, es hat sich noch ein Besucher angekündigt, wobei mich das zu dieser fortgeschrittenen Stunde denn doch etwas verwundert.“ Seinen hellwachen Sinnen war wohl das Läuten der Türglocke auch in einer äußerst stürmischen Novembernacht wie dieser nicht entgangen. Nach einem Blick auf meine Taschenuhr musste ich Holmes zustimmen. Auch mich überraschte es, noch kurz vor Mitternacht einen Besucher erwarten zu können. Denjenigen hatte anscheinend auch der seit Stunden niedergehende Regen und die heftigen Windböen nicht davon abhalten können, in unseren bescheidenen Räumen in der Baker Street vorzusprechen.
Eilige Schritte, von der protestierenden Stimme der guten Misses Hudson begleitet, waren nun auf der Treppe zu hören. Holmes’ angespannte Gesichtszüge bekamen aber sofort einen verschmitzten Ausdruck, als gleich darauf ein total durchnässter Inspektor Lestrade prustend und triefend ins Zimmer eilte. „Aber bester Lestrade, bitte kommen Sie doch zum Kamin! Ach Watson, rücken Sie dem Inspektor doch bitte den Sessel zurecht.“
Während sich der fröstelnde Scotland-Yard-Beamte in den Sessel sinken ließ, griff Holmes, der ihn immer noch belustigt musterte, zu seinem persischen Pantoffel auf dem Kaminsims, um sich daraus Tabak für eine neue Pfeifenfüllung zu entnehmen.
Aus dem bisher nur vor Kälte und Nässe bibbernden Lestrade brach es nun jedoch wie ein Wasserfall hervor.
„Eine scheußliche Sache, Holmes! Aber gerade ein Dolch ist das typische Werkzeug einer hasserfüllten Frau! Eigentlich ein Fall, wie er klarer nicht sein könnte, denn alle Indizien sprechen eindeutig gegen die Täterin. Ich hätte sie doch einfach auf der Stelle verhaften sollen! Unglaublich, dieses starrköpfige Leugnen des klar ersichtlichen Tatherganges! Und dann die ständigen, energischen Forderungen, einen gewissen Mister Sherlock Holmes hinzuzuziehen, obwohl, wie ich in aller Bescheidenheit bemerken darf, der Fall als solcher für einen fähigen Beamten von Scotland Yard bereits als geklärt gelten darf!“
„Mein lieber Lestrade! Ihre sicherlich verständliche Erregung ist für uns wohl auch zu solch fortgeschrittener Stunde begreiflicher, wenn Sie bei aller Güte etwas deutlicher würden!“ Meine Unterbrechung seiner atemlos vorgetragenen Geschichte mochte wohl in etwas zu scharfem Ton über meine Lippen gekommen sein. Aber gerade die selbstgefällige Art und Weise des Inspektors, uns in einen neuen Fall mit einzubeziehen, hatte mich verärgert. Auch Holmes’ ernster Ausdruck, das ungeduldige Ziehen an seiner Pfeife und das nervöse Spielen seiner Finger am Kaminsims zeugten von leichtem Unmut, den er nun bei diesem hektischen Vertreter der Obrigkeit empfand.
„Ich kann Doktor Watson nur beipflichten, Lestrade“, wandte sich Holmes, der jetzt ungeduldig bei seinem Gegenüber Platz genommen hatte, an den verdutzten Beamten. Lestrade hatte sich in den paar Jahren, die ich ihn kannte, überhaupt nicht verändert. Drahtig, an einen Terrier erinnernd, das Frettchengesicht mit den kleinen, hektischen Augen. Und nicht zuletzt die selbstgefällige Art, mit der er Sherlock Holmes auch gönnerhaft einige Brosamen des Ruhms abzugeben bereit war, falls, und das kam nach Meinung des Inspektors sehr selten vor, das Latein eines der besten Männer von Scotland Yard am Ende war. Belustigt beobachtete ich in diesen Fällen immer die uneigennützige Art meines Freundes Holmes. Er, der, um es mit seinen eigenen Worten auszudrücken, nur als reiner Amateur, zu spielen um des Spieles willen, Licht in die Dunkelheit mancher erstaunlichen Affäre und auch in die Gedankengänge dieses oder jenes Polizeiinspektors gebracht hatte.
„Lestrade!“ Holmes’ Stimme hatte nun wieder einen etwas müden, gelangweilten Klang. „Alles, was ich bisher Ihrem Auftritt hier entnehmen konnte, ist, dass es sich wohl um einen Mord handelt, der in den Vormittagsstunden in Somersetshire von einer Frau mittels eines Dolches verübt wurde. Die Täterin befindet sich noch am oder in der Nähe des Tatortes. Sie hat eine starke, von großer Willenskraft geprägte Persönlichkeit und ist mittleren Alters.“
Gleich Lestrade war es nun auch an mir, Sherlock Holmes erstaunt anzusehen.
„Wie um alles in der Welt wollen Sie das eben Gesagte erklären, Holmes?“, fragte ich den Freund.
„Aber Mister Holmes, das ist ja unglaublich“, ließ sich nun auch Lestrade wieder vernehmen.
„Nun, wir wollen uns doch nicht lange mit solchen Kleinigkeiten aufhalten“, meinte Holmes, der schon wieder unruhig Qualmwolken aus seiner Pfeife entließ.
„Es ist doch nur eine Aneinanderreihung ins Auge fallender Punkte. Als ich vor zwei Tagen den hier bestens bekannten Inspektor Gregson bei Scotland Yard wegen einer unbedeutenden Angelegenheit konsultierte, erwähnte dieser beiläufig, dass sich unser lieber Lestrade auf eine Dienstreise in den Süd-Westen begeben hätte. Bei der Zeitung, die aus der Außentasche ihres Reisemantels hervorschaut, handelt es sich eindeutig um eine Ausgabe des TauntonObservers. Nun, Taunton ist die Verwaltungshauptstadt von Somersetshire! Der Mord, ich schließe auf Mord, wegen des Dolches, wurde also von einer Lestrades blumiger Schilderung zu Folge hasserfüllten Dame verübt. Und zwar in den Vormittagsstunden, weil wir in der heutigen Presse darüber noch keine Notiz finden konnten. Dass Lestrade gerade in der Nähe der Tragödie anzutreffen war, muss allerdings als eine Fügung angesehen werden.“
Bei dieser Bemerkung konnte dem genauen Beobachter nicht der Schalk entgehen, der plötzlich in Holmes’ grauen Augen aufblitzte.
„Doch weiter! Lestrade machte sich gleich nach der Besichtigung des Tatortes und nachdem er sich über den Tathergang ein klares Bild gemacht hatte, dies dürfte etwa drei bis vier Stunden gedauert haben, mittels des nächsten Zuges zu uns auf. Die knapp dreihundert Kilometer bewältigen unsere modernen Fortbewegungsmittel in etwa sechs Stunden, kurze Wartezeiten wegen Verbindungsschwierigkeiten kommen hinzu. Sie kamen sehr spät in London an und eilten sofort hierher, was Ihr nasser Reisemantel mit seinem aufschlussreichen Tascheninhalt zeigt, den zu wechseln Sie keine Zeit vergeudeten! Ihre Reisetasche übergaben Sie wohl Misses Hudson, bevor Sie die Treppe heraufstürmten.“
Obwohl es mich immer wieder faszinierte, musste ich mir eingestehen, dass sich alles, was zunächst rätselhaft wirkte, durch die klaren Darlegungen meines Freundes in einfacher Weise zu einem Bild zusammenfügte. Trotzdem kam mir ein Einwand.
„Aber Holmes, die Dame! Wieso befindet sie sich noch am Tatort? Wie konnten Sie auf die erwähnten Charaktereigenschaften und das Alter schließen?“
„Watson, Sie sehen selbst, dass unser Freund Lestrade alleine hier ankam, also ohne Begleitung einer von ihm verhafteten Person. Die von ihm genannte Dame leugnete strikt die Tat und ließ sich, stetig fordernd, meine Wenigkeit zu benachrichtigen und hinzuzuziehen, nicht von Lestrade in Gewahrsam nehmen. Der Inspektor ließ sie also, wie ich annehme, unter Bewachung der örtlichen Sicherheitskräfte zurück. Es bedarf schon großer Willenskraft und einer starken Persönlichkeit, um unseren braven Inspektor dermaßen zu beeindrucken und ihn zu einer solchen Handlungsweise zu veranlassen. Lestrade hätte sich dies sicher kaum von einer jungen Dame gefallen lassen. Deshalb schloss ich auf eine Person mittleren Alters!“ Holmes hatte mich wieder einmal überzeugt. Wie oft schon hatte ich versucht, nach seinen Methoden kleinere Probleme in unserer mittlerweile schon langjährigen Praxis anzugehen. Vergebens, denn immer wieder war ich gescheitert! Es bedurfte wohl doch eines messerscharfen Verstandes, kombiniert mit dieser hervorragenden Beobachtungsgabe, wie ich dies bisher nur bei Sherlock Holmes gesehen hatte, um sämtliche registrierten Fakten in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Die Kunst, alles Nebensächliche auszusondern und die übrig bleibenden Punkte, auch wenn sie zunächst unwahrscheinlich erschienen, zu ordnen und zu deuten, verstand Holmes wie kein Zweiter. Indessen starrte Lestrade Holmes noch immer reglos an.
„Nun, was haben Sie uns noch hinzuzufügen, mein Bester?“, fragte Holmes den Kriminalbeamten. Stockend, immer noch erstaunt, begann Lestrade nun wieder zu berichten. „Es hat sich alles so zugetragen, wie Sie richtig folgerten. In den Vormittagsstunden des mittlerweile gestrigen Tages ...“ Lestrade hatte während seinen Erklärungen auf seine Taschenuhr geblickt „... wurde Lady Florence Barnsdale von ihrem Gatten, Sir Richard Barnsdale, in ihrem Ankleidezimmer ermordet aufgefunden. Sie wurde mit einem Jagddolch erstochen und alles deutet darauf hin, dass diese Tat von ihrer älteren Schwester, Lady Sarah Worthington, verübt wurde. Erst am vorhergehenden Abend hatten die beiden Schwestern, wie mir das Hausmädchen bestätigte, einen heftigen Streit. Im Verlauf des Streites drohte Lady Sarah ihrer jüngeren Schwester damit, sie zu töten. Es ging in der Auseinandersetzung wohl um den Verkauf des Westgebäudes von Oaks Manor, das ist übrigens der Wohnsitz aller genannten Personen. Im besagten Westgebäude lebt seit ihrem Reitunfall, der sie zu einem für immer behinderten Menschen machte, Lady Sarah. Laut Mister Alf Keen, das ist der Butler der Barnsdales, trug sich Lady Florence schon seit einiger Zeit mit der Absicht, einen Teil von Oaks Manor zu veräußern. Dies wurde von Mister Keen mit der sehr bedenklichen finanziellen Lage auf dem alten Herrensitz begründet.“
„Sie sagen, Lady Florence wollte verkaufen, wieso nicht Sir Richard?“
„Nun, Mister Holmes, Lady Florence ist, pardon, war die Besitzerin von Oaks Manor, das sie als Lieblingstochter von Lord Soams Worthington nach dessen Ableben erbte. Hierin liegt auch schon einer der Gründe der ständigen Streitereien der beiden Schwestern, da sich die ältere in der Erbfolge übergangen fühlte und dies der Jüngeren immer zum Vorwurf machte.“
„Wodurch kam es denn zu der schwierigen finanziellen Lage der Barnsdales?“, wollte Holmes, nun schon wesentlich interessierter, von Lestrade wissen.
„Es wird gemunkelt, dass ungeheuer große Summen von Sir Richard Barnsdales Leidenschaft, der Schmetterlingsforschung, verschlungen wurden. Seit seiner Heirat mit Lady Florence unterstützte diese ihren Gemahl immer wieder mit sehr großzügigen Gaben aus dem Worthington-Vermögen. Sir Richards Forschungsreisen in alle möglichen Ecken unserer guten, alten Erde, immer auf der Suche nach bisher noch unbekannten Schmetterlingen, nahm große Finanzmengen in Anspruch. Die langen Monate der Einsamkeit während diesen Exkursionen und das schließlich schwindende Familienvermögen bewogen Lady Florence wohl dazu, einen Teil des gemeinsamen Wohnsitzes zum Verkauf anzubieten. Auch soll das Eheglück der Barnsdales in den nunmehr neunzehn Jahren ihres Zusammenlebens wegen eben dieser Leidenschaft Sir Richards stark gelitten haben. Mister Keen deutete an, dass Lady Florence seit einem halben Jahr größere Geldzuwendungen an ihren Gatten vonseiten ihres Bankhauses sperren ließ. Dies sei auch der Grund für die abrupte Beendigung einer großen Südamerikareise, von der Sir Richard erst vor zwei Wochen zurückkehren musste.“
Holmes hatte Lestrades Ausführungen aufmerksam zugehört. Es war nun nichts mehr von Teilnahmslosigkeit in seinen hellen Augen zu erkennen.
„Recht interessant, was Sie da berichten, Inspektor. Aber wo liegt denn nun dieses Oaks Manor genau?“
„Wie Sie schon richtig erwähnten, befand ich mich auf einer Dienstreise nach Somersetshire, bei der ich meinem alten Kollegen McFarlane von der Taunton-Polizei einen Besuch abzustatten hatte. Es ging um die Klärung einer groß angelegten Betrugsangelegenheit, die bis in den Süd-Westen hineinreichte. Aber das ist hier wohl nebensächlich. Wir wurden also am gestrigen Morgen gegen elf Uhr durch den bereits erwähnten Mister Keen alarmiert, der uns im Verwaltungsgebäude der Tauntoner Polizei aufsuchte. Wir folgten ihm umgehend zum Tatort, der südlich von Taunton, nahe einem kleinen Dorf mit Namen Evton, etwas erhöht in einem Eichenwald liegt. Von eben diesem Wald rührt auch der Name des Herrensitzes.“
Holmes war langsam zum Fenster gegangen und blickte sinnend hinaus auf die Straße, wo noch immer der Regen niederprasselte und der Wind abgestorbene Blätter um die alten Gaslaternen wirbelte. Plötzlich drehte mein Freund sich wieder nach uns um. In seine vorher schlaffe Gestalt war wieder die alte Spannkraft und Energie zurückgekehrt, wie immer, wenn er sich in ein neues, rätselhaftes Abenteuer hineinstürzte.
„Warum besteht eine des Mordes beschuldigte Dame aus Somersetshire so nachdrücklich darauf, dass ich mich mit dieser Sache beschäftige? Watson, sehen Sie doch bitte mal im Kursbuch auf dem kleinen Regal nach, wann der nächste Zug nach Taunton in Somersetshire fährt!“
Ich tat wie mir geheißen und fand auch schon bald eine infrage kommende Verbindung für fünf Uhr zwölf ab Viktoria Station.
„Wunderbar, es wird sich wohl als nützlich erweisen, schnell noch ein paar Sachen einzupacken, bevor wir uns zu einem zugegeben äußerst kurzen Schläfchen begeben. Wir sehen uns doch hoffentlich am Bahnhof, Lestrade? Ach ja, haben Sie übrigens den Tatort, ich meine das Ankleidezimmer, in unberührtem Zustand zurückgelassen?“
„Aber natürlich, Mister Holmes! Nachdem wir gründlich recherchierten und uns über die weiteren Maßnahmen geeinigt hatten, ließ Inspektor McFarlane eine Wache vor dem Ankleidezimmer aufstellen. Diese sollte bis zu meiner Rückkehr niemandem den Zutritt erlauben.“
„Großartig“, grinste Sherlock Holmes wieder etwas spöttisch dem braven Inspektor ins Gesicht, „dann ist ja alles für ein glückliches Aufklären des Falles getan worden. Nähere Einzelheiten und eventuelle Fragen meinerseits können wir dann während der Bahnfahrt erörtern, um die lange Reise etwas zu überbrücken. Sagen Sie doch Misses Hudson noch Bescheid, Doktor, dass das Frühstück vielleicht etwas zeitiger für uns bereitet wird, wenn Sie unseren Inspektor zur Tür bringen. Gute Nacht, und seien Sie rechtzeitig am Bahnhof, Lestrade!“
Reiseplaudereien
Nach einem hastigen Frühstück verließen Holmes und ich die Wohnung in der Baker Street. Kopfschüttelnd beobachtete Misses Hudson, wie uns die schon bestellte Droschke in Richtung Viktoria Station entführte.
Holmes war äußerst wortkarg und so beließ ich es auch, bis auf ein: „Recht frischer Morgen heute, nicht wahr?“, ihn mit reichlich Konversation einzudecken. Kaum hatten wir den Bahnhof erreicht, stürzte er zur Telegrafenstelle, aus der er schon wenige Minuten später wieder auftauchte.
„Nun denn, lieber Freund“, meinte er jetzt schon etwas gesprächiger, „falls Lestrade uns nicht vergessen hat, könnten wir eigentlich bald losfahren!“
Holmes rieb sich dabei seine schlanken Hände und stellte seinen Mantelkragen etwas höher. Er hatte in seiner Betriebsamkeit wohl erst jetzt den frostigen Morgen gespürt. Fast mit dem Eintreffen des Zuges stellte sich auch ein sehr müde und lädiert wirkender Inspektor Lestrade auf dem menschenleeren Bahnsteig ein.
„Hallo, bester Lestrade! Haben Sie die Nacht noch gut verbracht? Sie machen einen sehr frischen Eindruck! Recht so, fordert dieser Fall doch sicherlich die größte Aufmerksamkeit und Ihr glänzendes Urteilsvermögen!“
Lestrades Miene hellte sich ein wenig auf. Offenbar war ihm der spitzbübische Ausdruck in Holmes’ Gesicht bei dieser Anrede ganz entgangen.
„Man tut, was man kann! Aber dieser Fall ist ohnehin so gut wie abgeschlossen. Wir bräuchten uns der Mühe einer solch gemeinsamen Reise gar nicht zu unterwerfen. Mister Holmes, jawohl, Sie werden mir noch recht geben müssen!“
Während dieser recht selbstbewussten Feststellung des Inspektors hatten wir bereits in einem leeren Abteil Platz genommen und der Zug fuhr schon langsam aus dem Bahnhof. Die Fahrt verlief sehr ruhig. Als nun auch zögernd die Sonne durch den morgendlichen Dunstschleier brach, gab dies eigentlich Anlass zu einer freundlichen und friedvollen Stimmung, die aber doch in grobem Gegensatz zum wirklichen Zweck der Reise stand.
Holmes und Lestrade begannen ein sehr eingehendes Gespräch über den zu lösenden Fall, dem ich mit gespannter Aufmerksamkeit folgte.
„Wann genau sagten Sie, Inspektor, fand Sir Richard die Verblichene?“
„Es war etwa neun Uhr fünfzehn. Sir Richard war gerade mit Studien beschäftigt, als er laut seiner Aussage sein Arbeitszimmer verließ, um im schräg gegenüberliegenden Ankleidezimmer nach Lady Florence zu sehen. Diese hielt sich immer um diese Uhrzeit dort auf, um ihre Morgentoilette zu machen.“
„Über die Gründe seines kurzen Besuches teilte er nichts mit?“
„Nein, Mister Holmes, es steht nichts darüber im Protokoll.“
„Eigenartig, finden Sie nicht, dass eine dahin gehende Frage logisch wäre? Aber Sie führten ja die Ermittlungen“, setzte Holmes unwirsch hinzu. Mit einem verlegenen Räuspern fuhr der Polizeibeamte fort.
„Sir Richard fand Lady Florence regungslos auf dem Frisierstuhl kauernd vor. Ihr Kopf ruhte auf dem Toilettentisch vor dem großen Spiegel. Die Mordwaffe, der besagte Jagddolch, steckte in ihrer linken Brustseite, genau in der Herzgegend. Sie muss sofort tot gewesen sein.“
„Seltsam, Holmes“, fiel ich nun ein. „Sie sitzt vor dem Spiegel, wird angegriffen und erhält den tödlichen Dolchstoß vorn in die Brust. Sie muss doch auf die Mörderin aufmerksam geworden sein! So etwas geht doch nicht ohne Geräusche ab. Wieso saß Lady Florence noch immer dem Spiegel zugewandt auf ihrem Stuhl?“
„Vortrefflich überlegt, Watson“, lobte Holmes. „Da ist schon was dran, nicht wahr, Lestrade?“
„Na ja, lieber Doktor, diese Gedanken sind ganz nett, aber für meinen Teil steht felsenfest, dass Lady Sarah, ohne Zweifel die Genannte, in ihrem Hass blitzschnell den Dolch um das Opfer herum zum tödlichen Stich führte. Habe schon die tollsten Sachen während meiner langen Karriere erlebt, das können Sie mir glauben!“
Ein Blick in das ernste Gesicht meines Freundes Holmes zeigte mir schnell, dass er von den Ausführungen Lestrades nicht sehr überzeugt zu sein schien. Nachdenklich verlor sich sein Blick in der vorbeifliegenden Landschaft. Es war interessant, Holmes bei der geistigen Arbeit zu beobachten. Scheinbar desinteressiert nahm er die weiteren Worte des Inspektors auf, um sie aber wohl doch noch einmal sehr konzentriert vor seinem inneren Auge zu beleben und sie so, Steinchen für Steinchen, zu einem Mosaik zusammenzusetzen.
Ganz gemächlich zog Holmes nun die alte Pfeife aus seiner Manteltasche und begann, sie mit seinem schwarzen Shag zu stopfen. Sein immer noch recht ernstes Gesicht wollte jetzt auch so richtig zum Wetter passen, das nun draußen herrschte. Graue Wolken lagen über den Feldern und vereinzelte Nebelbänke huschten an unserem Abteilfenster vorbei. Die Sonne war schon seit einiger Zeit wieder verschwunden. Holmes zündete seine Pfeife an und wandte sich plötzlich vom Fenster ab, als wäre er eben von einem Traum erwacht.
„Wie viele Bedienstete befinden sich zurzeit in Oaks Manor?“, fragte er den leicht verwirrt dreinschauenden Inspektor.
Lestrade fing sich jedoch sogleich.
„Eine Köchin, ein Hausmädchen, Mister Keen der Butler, zwei Gärtner und drei Stallburschen. Oaks Manor hatte, wie schon gesagt, früher bessere Zeiten erlebt“, meinte er leichthin.
„Nun, immerhin genug für ein paar hoffentlich informative Gespräche. Doch kommen wir nun endlich auch zu Lady Sarah“, entgegnete Sherlock Holmes mit gespannter Miene.
„Der Schwesternmörderin, ganz recht!“
Aus Lestrades Blick sprachen Anklage und Gewissheit zugleich. Holmes räusperte sich nur zweimal kurz und überging geflissentlich den Ausruf des eifrigen Kriminalbeamten.
„Sie sprachen von einem Reitunfall, den Lady Sarah erlitt; in ihren jüngeren Jahren, wie ich vermute?“
„Ja, Mister Holmes, Lady Sarah war damals vierundzwanzig Jahre alt. Sie behielt ein steifes Bein zurück.“
„Ist das nicht eine Tragödie für so ein junges, aufblühendes Leben, lieber Watson?“
Ich konnte dem Freund nur nickend zustimmen.
„Aber sehr oft sind gerade Verbitterung und Einsamkeit die Wurzeln des Neids und des Hasses, die eine solche Bluttat geschehen lassen!“
Lestrades unheilschwangerer Blick, der diese bedeutenden Erkenntnisse begleitete, beeindruckte Holmes und auch mich nicht wenig. Leicht schmunzelnd erkundigte sich Holmes nach weiteren Umständen, die das Zusammenleben der Bewohner von Oaks Manor betrafen.
Lestrade berichtete sehr eifrig, dass der Stamm der Familie, als solchen bezeichnete er Sir Richard, Lady Florence, Lady Sarah, den Butler und die Köchin, schon seit dem Ableben von Lord Soams Worthington vor nunmehr sechzehn Jahren zusammenlebte. Der Butler Alf Keen gehörte schon zu Lebzeiten des Lords zur Familie. Er sei, gewissermaßen aus großer Sympathie, schon in jungen Jahren vom alten Herrn in die Familie aufgenommen worden.
Aus seiner Vorliebe für die zartbesaitete, ja verwöhnte Lady Florence, habe der alte Lord Soams nie einen Hehl gemacht. Die burschikose, sehr direkte Art seiner ersten Tochter Sarah stieß immer auf sein Unverständnis.
„Vielleicht wusste Lady Florence besser eine rührend hilflose Art an den Tag zu legen, mit der man beim stolzen Vater mehr als mit schneidigem Draufgängertum erreichen konnte, das so gar nicht zu einer Lady hohen Geblüts passen wollte?“
„Nun, Holmes, es war wohl gerade die unverminderte Hartnäckigkeit von Lady Sarah, zu beweisen, welch ganzer Kerl sie sei, die dazu führte, dass sich der Lord mehr und mehr von ihr entfernte. Damals schon muss der Funke des Hasses in Lady Sarah entzündet worden sein. Öl in diese Flamme wurde wohl noch durch die Heirat Lady Florences mit Sir Richard Barnsdale gegossen, der schon damals als Koryphäe galt und eine glänzende Partie zu nennen war. Ein Übriges tat der besagte Reitunfall, wurde doch somit dem sicher schon krankhaften Darstellungsbestreben der älteren Tochter ein Riegel vorgeschoben! Der Neid auf die Schwester, auf deren Heirat, das Selbstmitleid und ein übergroßes Geltungsbedürfnis, das alles formt eine Mörderin, meine Herren!“
„Fürwahr sehr bemerkenswerte Dinge, die uns der Inspektor da berichtet.“
Holmes hatte aufmerksam zugehört.
„Sie haben in der kurzen Zeit, die Ihnen zur Verfügung stand, glänzend recherchiert, Lestrade!“
„Man tut, was man kann, Mister Holmes. Jedoch sind solche Dinge der Alltag eines gut ausgebildeten Scotland-Yard-Mannes! Eine gewisse Veranlagung, im Geiste Dinge, die einem etwas ungeordnet erscheinen, so zu einem Gesamtbild zu fügen, dass auch andere Personen leicht einen Überblick erhalten, das, mein lieber Holmes, ist eben der gewisse sechste Sinn, den ich für mich beanspruchen darf!“
„Nun ja, Inspektor, so wie die Dinge liegen, hat mich die Hauptverdächtige wohl wirklich nur zu einem netten Gespräch nach Oaks Manor eingeladen. Aber man ist ja als reiner Amateur so dankbar, einmal einen Blick in das unergründliche Labyrinth von Leidenschaft, Tragik und Tod werfen zu können. Noch dazu, wenn einem dies von einem solch großartigen Kriminalisten wie Ihnen, Lestrade, vergönnt wird, nicht wahr Watson?“
Ich wollte schon zu einem empörten Protest gegen die wieder äußerst selbstgefällig vorgebrachten Theorien Lestrades ansetzen, aber der Blick in Holmes’ graue Augen und das spöttische Lächeln, das um seine Mundwinkel spielte, belehrte mich eines Besseren. Ganz und gar wollte ich mich aber nicht geschlagen geben.
„Meiner Meinung nach zielt Ihr Interesse viel zu sehr auf Lady Sarah, Inspektor. Schon aus der Schilderung der Gegebenheiten auf dem alten Herrensitz lässt sich doch auch leicht ein Motiv für Sir Richard herleiten. Oder stellt der Geldhahn, den Lady Florence in letzter Zeit mehr und mehr zudrehte, etwa keinen guten Grund dar, Hand an die eigene Gattin zu legen? Ein leidenschaftlicher Jünger der Wissenschaft, eine, wie Sie selbst ausführten, Koryphäe auf seinem Gebiet, steht mit einem Mal vor dem Nichts. Ja, er setzt sich dem Spott der Gesellschaft aus, weil die Gemahlin seinem sehr kostspieligen Zeitvertreib einen Riegel vorgeschoben hatte!“
„Bravo, Doktor, höchst bemerkenswert! Man sollte sich neben Lady Sarah vielleicht auch noch etwas eingehender mit Sir Richard unterhalten. Finden Sie nicht auch, guter Lestrade?“
Der unruhig auf seinem Sitz hin und her rutschende Polizeibeamte blickte Holmes und mich leicht säuerlich an. Holmes stopfte in aller Ruhe wieder seine Pfeife, und nachdem er diese angezündet hatte, umwallten alsbald dunkle Schwaden die Denkerstirn des Inspektors. Derart eingehüllt war es ihm wohl leid, neue Aspekte des Falles zu erörtern, und so verlegte man sich darauf, während des weiteren Verlaufes der Fahrt allgemeine Betrachtungen über das Wetter der jetzigen Jahreszeit anzustellen. Je näher das Ziel Taunton rückte, umso mehr umwölkte und verfinsterte sich der Himmel. Kurz vor der Einfahrt des Zuges begann es zu regnen. Ein gleichmäßiger, sehr ergiebiger Landregen, der wohl noch den ganzen Tag anhalten würde. Neben schweren, tief hängenden Regenwolken hatte sich ein grauer Dunst über die ganze Umgebung gelegt. Rasch nahmen wir unsere wenigen Gepäckstücke auf und stiegen aus dem stillstehenden Zug. Ein aufgeregt winkender Mann stand am Ende des Bahnsteiges.
„Ah, da ist ja auch schon Inspektor McFarlane“, klärte uns Lestrade auf. „Sehen sie, Mister Holmes, so reagiert man bei der Polizei! Er hat sicher genau gewusst, dass wir mit diesem Zug hier ankommen würden!“
„Ganz recht, Inspektor. Mir war es vor unserer Abfahrt noch vergönnt, ihm kurz zu telegrafieren“, bemerkte Holmes daraufhin sehr trocken, um dann gleich auf den immer noch winkenden Polizisten zuzueilen. Lestrade stockte einen Augenblick, brummelte etwas in sich hinein und bemühte sich dann aber doch wieder, uns zu folgen.
„Mister McFarlane, wie ich vermute?“
„Jawohl, ich nehme an, dass ich Mister Sherlock Holmes und Doktor Watson begrüßen darf?“
Inspektor McFarlane war ein sehr sympathischer Mann von etwa fünfzig Jahren, nicht groß, eher von stämmiger Gestalt. Zu seinem lebhaften Wesen passten die lustigen kleinen Äuglein, die in ständiger Bewegung waren. Seine scharf geschnittene Nase und das energische Kinn ließen jedoch zugleich auf einen pflichtbewussten, unerschrockenen Menschen schließen. Seine freundliche, ungekünstelte Art gefiel wohl auch meinem Freund Holmes. Lebhaft schüttelte er unsere Hände.
Freundlich lächelnd klopfte Holmes auf die Schulter des Inspektors.
„Vielen Dank für Ihr pünktliches Erscheinen, lieber Inspektor. Ich hoffe, Sie konnten alles arrangieren?“
„Natürlich, alles ist hoffentlich zu Ihrer Zufriedenheit erledigt, Mister Holmes. Oh, hallo Lestrade, da sind Sie ja auch schon wieder in unserer schönen Stadt!“
Lestrades finsterem Gesichtsausdruck war deutlich zu entnehmen, wie er über die sehr zuvorkommende Art dachte, mit der sein Kollege einen Amateurkriminalisten empfing.
„Was sein muss, muss sein, lieber Kollege! Nur scheint es der Wettergott wohl nicht so mit Ihrer schönen Stadt zu meinen“, bemerkte er etwas bissig.
McFarlane aber lachte herzhaft und bat uns zum Bahnhofsportal. Obwohl er nichts weiter sagte, war seinem Lachen anzuhören, welchen Stand sein geschätzter Polizeikollege bei ihm einnahm. Vor dem Bahnhofsgebäude stand bereits eine Pferdekutsche, die ihrer kriminalistischen Passagiere harrte.
„Bestens, lieber McFarlane“, kommentierte Holmes das wartende Gefährt.
Wortlos stiegen wir in die Kutsche. McFarlane war sehr befriedigt und zeigte dies auch deutlich, indem er Holmes immer wieder bewundernde Blicke zuwarf. Die Stimmung von Lestrade war nicht ganz so rosig. Schnell ging die Fahrt in Richtung des kleinen Ortes Evton voran, den wir schon nach etwas mehr als zwanzig Minuten trotz des starken Regens und der damit verbundenen schlechten Straßenbeschaffenheit erreichten.
Die Gespräche während der Fahrt drehten sich natürlich um den vorliegenden Mordfall, und Holmes schien gleich mir die geradlinige nüchterne Art der Berichterstattung McFarlanes zu imponieren.
„Besteht die Möglichkeit, hier in Evton eine Unterkunft zu bekommen, Mister McFarlane?“
„Ich denke schon, Mister Holmes, wir haben hier einen netten Gasthof, gleich um die nächste Straßenecke. Aber warum wollen Sie denn nicht auf dem Herrensitz übernachten? Ich bin überzeugt, man wäre vonseiten der Bewohner bestimmt damit einverstanden!“
„Sicherlich, Inspektor, aber ich denke, nach eingehenden Studien am Tatort ist es gar nicht so schlecht, sich die gesammelten Eindrücke an einem anderen Ort, der nicht so weit vomSchuss entfernt ist, nochmals durch den Kopf gehen zu lassen. Außerdem liebe ich diese kleinen Landgasthöfe mit ihrem interessanten Publikum. Es gibt da immer Anlass zu netten Gesprächen, nicht wahr, Watson?“
Mein zugegeben ungläubiger Blick entlockte Holmes ein Lachen.
„Wie Sie wünschen, Mister Holmes“, erwiderte McFarlane.
„Nur Mut, guter Doktor, wir werden hier sicherlich gut versorgt werden!“
Holmes’ wissendes Lächeln machte mich neugierig darauf, zu erfahren, was er sich von diesem Aufenthalt versprach.
„Sehen Sie, da sind wir auch schon am Sailors Inn. Ich werde das für Sie erledigen.“
McFarlane war schon aus der Kutsche gesprungen und durch den strömenden Regen zum naheliegenden Gasthaus gelaufen. Bald darauf kam er wieder prustend in unser Gefährt gestiegen und machte uns eine Erfolgsmeldung.