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Peter Hakenjos

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Beschreibung

Der Aramäer Aram Djallo wird in der Sowjetunion von der deutschen Wehrmacht aufgegriffen und zur Zwangsarbeit ins Reich nach Karlsruhe verschleppt. In der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik begeht er Verrat und muss sich verstecken. Leni Buntin flieht vor den anrückenden Sowjetstreitkräften nach Westen. Sie verliert auf der Flucht ihre Eltern und wird von ihrer kleinen Schwester getrennt. Der Krieg scheint die Zukunft Lenis und Arams zerstört zu haben, bis sie bei Kriegsende in Karlsruhe aufeinander treffen.

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Peter Hakenjos

Sie gingen einen langen Weg

Roman

Für den Autor gedruckt von epubli

Über den Autor

Peter Hakenjos wurde 1948 in Karlsruhe geboren. Nach dem Studium der Wirtschaftspädagogik war er bis 2012 Lehrer für Spanisch und wirtschaftswissenschaftliche Fächer. Seit dem Eintritt in den Ruhestand widmet er sich dem Schreiben und lebt heute in Pfinztal.

Impressum

© 2018, Peter Hakenjos

Durlacher Weg 56, 76327 Pfinztal

Tel.: +49 7240/5742

[email protected]

Covergestaltung: Peter Hakenjos

Gedruckt für den Autor von epubli GmbH Prinzessinnenstraße 20, 10969 Berlin

Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage

1 Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik

Es war Sonntag. Vor der Baracke stolzierte Steinardt vorbei. Das Klacken seiner Schritte war von weitem zu hören. Auf ein Paar Stiefelabsätze hatte der Lagerführer Eisen nageln lassen. Heute wollte er niemand überraschen, sonst hätte er sich im Lager der Zwangsarbeiter lautlos bewegt. Aram richtete sich auf und hielt die Luft an, als ob dies gegen die Launen der Aufseher nützen würde. Am Sonntag ließen sie die Ostarbeiter in Ruhe. Die deutschen Fabrikarbeiter saßen bei ihren Familien, aßen Braten und tranken anschließend Kaffee-Ersatz aus Zichorie. Beim Plaudern mit Frau und Kindern vergaßen sie den Alltag in der Munitionsfabrik. Das Klappern der Absätze wurde leiser. Steinardt war gegangen. Er stolzierte in Richtung der Frauenbaracke. Aram atmete mit einem Seufzer auf und ließ sich zurück auf seine Liege fallen. Der muffige Geruch der Seegrasmatratze stieg in seine Nase. Er schloss die Augen und sah sich umringt von seinen Freunden, mit denen er im Schatten mächtiger Platanen auf dem Lenin-Boulevard entlangflanierte. Halbwüchsige Mädchen in luftigen, bunten Sommerkleidchen kicherten im Vorbeigehen und taten, als ob sie die Burschen, die ihnen bewundernde Blicke zuwarfen, nicht sehen würden. Aus den Cafés und Restaurants mit den gelben Sandsteinfassaden des 19. Jahrhunderts drang der Duft gerösteten Kaffees. Es war Sonntag. Es war immer Sonntag, wenn sich Aram die Bilder seiner Heimatstadt in sein Gedächtnis zurückrief. Er wusste, er würde Tiflis nie mehr wiedersehen. Vielleicht waren seine Eltern und seine beiden Schwestern tot, seine Freunde verscharrt in irgendeinem Loch, das man in den frostigen Boden, bei Stalingrad oder Charkow gehauen hatte. Er richtete sich erneut auf und lauschte. Von Steinardt war nichts mehr zu hören. Der Lagerführer kam nicht zurück. Erneut versuchte Aram die Bilder seiner Spaziergänge in Tiflis zurückzuholen. Es war vergebens. Selbst mit geschlossenen Augen konnte er die schäbige Holzbaracke nicht vergessen, in der er mit zwanzig sowjetischen Ostarbeitern, hauste. Nur drei Landsleute lungerten mit ihm an diesem Sonntag im August 1944 in der Baracke herum. Die anderen waren unterwegs in Karlsruhe, um wenigstens für ein paar Stunden dem Lager zu entkommen. Die Baracken standen auf dem Firmengelände der Deutschen Waffen und Munitionsfabrik in Karlsruhe, ein wenig abseits von der grauen Fabrikfassade des späten 19. Jahrhunderts. Hinter ihren riesigen Fenstern musste ein Heer zwangsrekrutierter Polen, Ukrainer, Russen, Holländer und anderer besiegter Völker arbeiten. Die Sonne kroch ihrem Zenit entgegen. Es wurde unerträglich heiß. Einer nach dem anderen verließ die Baracke, um im Schatten der Bretterverschläge ein wenig Kühlung zu finden, bis auch Aram die Hitze nicht mehr ertrug. Der Schweiß rann ihm von der Stirn. Auf dem groben Leinen seines Kopfkissens zeichneten sich dunkle Flecken ab. Er rappelte sich hoch und kraxelte vorsichtig aus dem oberen Etagenbett auf den rauen Bretterboden der Hütte. Die Sonne vor der Tür brannte ihm ins Gesicht und einen Moment war er von dem gleißenden Licht geblendet. Am Abend zuvor, nach vierzehn Stunden Arbeit in der Dreherei, war er zu erschöpft, um Jelena zu treffen. Er hatte es gerade noch geschafft, die dünne Kohlsuppe und das harte Stück Schwarzbrot zu essen, dann war er auf seine Pritsche hochgeklettert und in einen traumlosen Schlaf gefallen.

In Karlsruhe hatte er sie vor einem Jahr im Lager getroffen. Er verstand nicht, warum Jelena gerade ihn liebte. Er hatte noch nie die athletische Figur gehabt, die Frauen anzog. Und jetzt war er, wie die vielen anderen Fremdarbeiter, bis auf die Knochen abgemagert. Sie liebte es, ihm über die kurz geschorenen schwarzen Haare zu streichen und seine tiefbraunen Augen zu küssen. Vielleicht hatte er sie dadurch gewonnen, dass er ihr abends vor der Baracke im Abendlicht leise traurige Weisen aus seiner Heimat vorsang. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er ohne sie dieses Leben nicht so lange hätte ertragen können.

***

Die Unterkunft der Frauen war nur zwei Baracken entfernt. Bestimmt würde sie nicht dort sein, sondern irgendwo im Schatten mit anderen Zivilarbeiterinnen plaudern. Wäre sie in die Stadt oder an das Ufer des nahegelegenen Flusses, der Alb, gelaufen, hätte sie ihm das am Abend zuvor gesagt. Sie musste in der Nähe sein. Vor der Tür zu ihrer Baracke kam Olga auf ihn zugestürmt. Olga und Jelena waren unzertrennlich. Sie waren wie Schwestern. Zu niemand, außer zu Jelena, hatte Aram so viel Vertrauen. Olga war trotz ihrer zierlichen Figur und ihrer ungebrochenen, kindlichen Lebensfreude die stärkste Frau, die er kannte. Mit ihrer Fröhlichkeit steckte sie auch die anderen Frauen aus allen Teilen Osteuropas an, die ihr Schicksal teilten. Doch heute sah sie ihm ernst entgegen. Sie hielt ihn am Ärmel fest, als er die Baracke betreten wollte. Überrascht sah Aram sie an. Es schien ihm, dass er zum ersten Mal sah, wie abgehärmt von der Arbeit und der kargen Ernährung diese junge Frau war. Olga hatte ihr blondes Haar bis unter den Nacken abgeschnitten und nicht wie Jelena zum Zopf geflochten und dann als Krone um den Kopf gewunden. Olga zeigte stumm auf den Schatten der Baracke, aus dem sie herausgestürzt war. Wortlos folgte er ihr. Die Frauen schauten zu Boden und wichen seinem Blick aus. Aram wandte sich zu Olga um. Sie blickte zur Seite, um ihn dann ruckartig zu fixieren.

»Geh nicht rein. Der Steinardt ist drin. Es wäre gefährlich«, flüsterte sie ihm zu.

»Gefährlich? Ich suche nur Jelena. Weißt du, wo sie ist?«

Olga drehte ihren Kopf hilfesuchend zu den Frauen um, die ihn jetzt stumm beobachteten. Dann schaute sie ihm wieder in die Augen: »Jelena ist bei ihm. Du kannst dir denken warum. Heute ist sie dran. Hat uns eh gewundert, dass er sie bis jetzt verschont hat. So blond und arisch, wie sie mit ihren langen Haaren aussieht. Den Typ mögen die Schweine! Warum glaubst du, habe ich mir die Haare abgeschnitten? Der Steinardt ist anders. Bisher hat er sich seltsamerweise nur an die Dunkelhaarigen rangemacht.«

Einen Augenblick stand Aram mit aufgerissenen Augen da und starrte eine nach der anderen der Barackengenossinnen Jelenas an. Dann drehte er sich um und wollte in Richtung der Frauenbaracke losstürzen. Doch Olga riss ihn zurück und wäre fast gefallen, hätten ihr zwei Frauen nicht beigestanden und ihn ebenfalls festgehalten. Noch vor zwei Jahren, bevor er in Charkow von einer Streife aufgegriffen und zur Arbeit im Deutschen Reich zwangsverpflichtet worden war, hätten die Frauen es nicht geschafft, ihn zurückzuhalten. Jetzt, entkräftet von dem Wenigen, das es zum Essen gab, und das lediglich geeignet war, seine Arbeitskraft zu erhalten, war er zu schwach, um sich gegen drei Frauen gleichzeitig zur Wehr zu setzen. Er ließ sich in den heißen Staub der Lagerstraße auf die Knie fallen und fing an zu schluchzen. Olga lief zurück in den Schatten, nicht ohne ihn weiter zu beobachten. Doch Aram hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. Er machte keine Anstalten, aufzustehen. An die Barackenwand gelehnt wandte er sich wieder den Zivilarbeiterinnen aus der Ukraine, zu. Sie hatten geglaubt, in ein zivilisiertes Land zu kommen, in dem man sie gut bezahlen würde. Dass diese Welt aus Baracken bestand, für die es im Winter kaum Kohlen zum Heizen gab, vor denen sie sich kaum waschen konnten und in denen es im Sommer unerträglich heiß wurde, das hatten sie nicht erwartet.

Das Schluchzen Arams wurde leiser. Mühsam stemmte er sich empor und ging einen Schritt auf die Frauenbaracke zu. Olga sprang auf und hakte sich bei ihm ein. Sanft zog sie ihn fort hinter die Wand der Nachbarbaracke, weg von der Tür, aus der in ein paar Minuten ein grinsender Steinardt auftauchen würde. Widerwillig folgte ihr Aram. Seit er zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich gezwungen wurde, war er Willkür und Sadismus ausgeliefert. Doch selbst als er aus dem Zug, der ihn ins Reich brachte, zusehen musste, wie auf dem Marsch ins Kriegsgefangenenlager sowjetische Soldaten vor Erschöpfung zusammenbrachen und mit Genickschuss in den Straßengraben gekickt wurden, fühlte er sich nicht so ohnmächtig wie jetzt. Er musste weg! Ohne Ziel lief er los. Erst die Alb mit ihrem Weidengestrüpp am Ufer brachte ihn zum Stehen. Es war niemand in seiner Nähe. Der Badestrand der Deutschen war weiter flussaufwärts am Kühlen Krug. Hier durfte er sich auch als Ostarbeiter aufhalten. Räumtrupps, die nach Bombardierungen die Trümmer beseitigten, hatten zersplitterte Backsteine, Betonbrocken und Ziegelsteine am Ufer aufgeschüttet. Der Schutt ragte hinein in den Fluss und bildete in ihm eine kleine Kuhle. Aram zog sich aus und tapste vorsichtig, um sich an den scharfkantigen Steinen nicht zu verletzen, in das grüne, trübe Wasser. Es war warm. An einem in den Fluss ragenden Ast eines umgestürzten Baumes konnte er sich festhalten, um nicht abgetrieben zu werden. Es roch nach den Algen, die der Fluss wie Frauenhaar als lange, hellgrüne Fäden schlängeln ließ. Er trieb schwerelos, auf dem Rücken liegend, auf der Oberfläche des Flusses und hatte die Ohren unter Wasser. Über ihm strahlte der stahlblaue Himmel, gestört nur von einzelnen, strahlendweißen Wolkenbergen, die sich zum Firmament empor wälzten und ein Gewitter ankündigten. Irgendwo da oben mussten die Sterne sein, unsichtbar, doch sie waren da.

Aram fühlte, wie sich seine Wut abkühlte. Er wusste, dass es einen Tag geben musste, an dem seine Ohnmacht enden würde.

***

Der Weg zurück zur Unterkunft war steinig. Zum Glück hatte er Schuhe. Die Firmenleitung hatte nach wenigen Wochen erkannt, dass die Sprachkenntnisse und das technische Verständnis Arams nützlich waren. Einen Teil seiner Zeit verbrachte er damit, den Vorarbeitern zu helfen, frisch zugeteilte Sowjetgefangene und russische Frauen in ihre Arbeit einzuweisen. Rudolf, sein Vorarbeiter, selbst von Beruf Dreher, der als Kriegsversehrter vom Polenfeldzug zurückkam und seitdem eine Beinprothese trug, gab die Anweisungen, die Aram Wort für Wort übersetzte. Selbst die Firmenleitung rief ihn hin und wieder zu sich. Seine Nützlichkeit brachte ihm Vorteile. Er hatte festes Schuhwerk bekommen und musste nicht wie seine Kameraden mit Stofflappen um die Füße laufen. Nur selten drangsalierte ihn Steinardt, der Angst davor hatte, sich bei seinen Vorgesetzten unbeliebt zu machen. Die Angst vor einer Versetzung an die Ostfront hing als Damoklesschwert über den deutschen Vorarbeitern und Aufsehern und stachelte die meisten zur Härte gegenüber den Zwangsarbeitern an.

Jelena stand bei den ukrainischen Frauen im Schatten ihrer Baracke. Keine ihrer Kameradinnen hatte ein Wort über das Geschehene verloren. Es glich einer geheimen Verabredung. Man tat am besten, als sei nichts passiert. Es konnte jede von ihnen treffen und es hatte schon viele von ihnen getroffen. Vergewaltigungen durch Deutsche wurden nicht gerne gesehen, aber dagegen unternommen wurde nichts. Die Frauen konnten sich nicht wehren, niemand hätte ihnen geholfen. Die heimlichen Treffen in einer stillen Ecke des Lagers mit einem polnischen oder russischen Arbeiter gaben ihnen für einen Moment das Gefühl von Wärme und Nähe in einer Welt, die sie hasste. Nur durch die Gemeinschaft und ihre sonntägliche Fröhlichkeit, die sie miteinander verband, war das Schweigen zu ertragen. Doch es gab auch einige, die bereit waren, sich für ein paar Essensmarken an einen Deutschen zu verkaufen.

Von Ferne war das Grollen des nahenden Gewitters zu hören, als Aram ins Lager zurückkam. Vor den Frauenbaracken war Jelena in ein Gespräch mit Olga vertieft. Olga zeigte mit einer Kopfbewegung auf Aram. Jelena drehte sich um. Stumm schaute sie ihm entgegen. Aram blieb stehen, sah sie einen Moment an und lächelte ihr verlegen zu. Als er sah, dass sie ihm entgegenkam, nickte er und lief langsam weiter. Mit gesenktem Blick folgte sie ihm und holte ihn nach einigen Metern ein. Sie hielt ihn am Arm fest. »Aram, du weißt, ich musste es tun. Du weißt das!« Mit einem Ruck wandte sie sich von ihm ab und begann zu schluchzen. Aram fasste sie am Arm und drehte sie zu sich hin. Er drückte sie an seine Schultern, um dann ihren Kopf in beide Hände zu nehmen und sie auf ihre tränenfeuchten Wangen zu küssen. Ihr Schluchzen wurde leiser.

»Meinst du, ich will, dass dir das Gleiche wie Uljana zustößt? Du darfst dich nicht gegen die Sau von Steinardt wehren, sonst denunziert er dich wegen eines erfundenen Blödsinns. Dann landest du bei der Gestapo oder im KZ, um bis auf die Knochen abgemagert und todkrank zurückzukommen, nur um in eurer Baracke als Abschreckung für die anderen zu verrecken.«

»Du glaubst auch nicht, dass Uljana etwas mit Sabotage zu tun hatte? An sie habe ich gedacht und habe ihn machen lassen. Um dich mache ich mir Sorgen. Halt du den Mund, sag nichts, sonst bist du im KZ. Und sprich mich die nächste Zeit nicht an. Der Steinardt macht es immer gleich. Einige Male kommt er zu einer von uns, dann hat er sie über und er geht zur Nächsten. Wenn er dich mit mir sieht, dreht er durch.«

»Ich werde ihn fertigmachen, diese Sau! Irgendwann erwische ich ihn.«

»Das wirst du nicht. Er hat die Soldaten auf seiner Seite. Du bist schneller tot, als du deine Hand gegen ihn heben kannst.« Jelena schwieg einen Moment. Sie wusste, das würde ihn nicht auf Dauer von dem Versuch abhalten, sich an Steinardt zu rächen. Mit einem hilflosen Lächeln fuhr sie fort: »Nein, tu ihm nichts. Sie würden nicht nur dich umbringen. Was glaubst du, würden sie mit mir machen? Unsere Zeit wird kommen und dann wird er für alles zahlen. Wir Frauen werden nicht vergessen, was er uns antut.«

Aram nickte und sah an ihr vorbei an die verwitterte Holzwand der Baracke hinter ihrem Rücken. Er hob den Kopf. Es war Abend geworden. Das Gewitter war abgezogen, ohne die erwünschte Abkühlung zu bringen. Die Kumuluswolken waren zu kleinen Wattebäuschchen geschrumpft und leuchteten golden am blassblauen Abendhimmel. Sie mussten sich trennen. Das Abendessen, eine dünne Lauchsuppe, die nach Abwasser schmeckte, würde gleich ausgeteilt werden. Sie schauten sich noch einen Moment in die Augen. Es gab nichts mehr zu sagen.

***

»Auf dem Bummel gewesen, Russki? Wieso meldest du Russenschwein dich nicht bei mir ab? Hab ich euch nicht gesagt, dass …«, brüllte Egon Kruzinski, der Unterlagerführer Aram hinterher. Aram blieb sofort stehen, drehte sich um und sah ihn an. Er brauchte ein wenig Zeit, um nachdenken zu können. Kruzinski war dafür bekannt, dass er sonntags so lange billigen, selbstgebrannten Fusel in sich hineinschüttete, bis er gerade noch mit Mühe und Not laufen konnte. Hatte er dieses Stadium erreicht, suchte er Streit. Aram war klar, er konnte nur versuchen, ihn zu beschwichtigen. Alles andere endete mit Prügel oder mit Essensentzug. Schlimmstenfalls würde ihn Kruzinski anschwärzen und er müsste beim Werksschutz vorreiten. Ausweichen war nicht möglich. Er hatte Kruzinski nicht gesehen. Sonst hätte er einen Umweg genommen, um ihm nicht über den Weg zu laufen. Nein, es half nichts. Er musste sich ihm stellen. Aram nahm Haltung an und sah Kruzinski in die Augen. Das schien ihn noch wütender zu machen. »Du Hurensohn, lernst du denn nie Disziplin? Du bist in Deutschland und nicht in deinem verlausten Dreckloch von Russland. Hier wird gearbeitet und getan, was deine Führer von dir verlangen. Hast du verstanden?«

»Jawohl, Lagerführer. Ich war unachtsam. Das wird nicht wieder vorkommen.« Es war zwecklos zu widersprechen, er musste so schnell wie möglich das Weite suchen. Anscheinend war Kruzinski mit der unterwürfigen Antwort zufrieden. Er raunzte: »Wegtreten!« Aram drehte sich um, um zur Essensausgabe zu laufen, da traf ihn ein Fußtritt in den Rücken. Er taumelte einige Schritte vorwärts, konnte sich aber noch fangen und lief ruhig weiter, ohne sich umzudrehen. Er hörte, wie Kruzinski hinter ihm lachte, dann war Aram hinter die nächste Baracke abgebogen. Aram grübelte darüber nach, ob es vielleicht an der sonntags nur selten sichtbaren Wachmannschaft der Wehrmacht lag, dass die Aufseher ihren Launen freien Lauf ließen. Der Oberfeldwebel, der die Wachmannschaft unter sich hatte, hatte Kruzinski schon einige Male zusammengestaucht und ihn an den Befehl des Reichsführers SS erinnert, dass die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen für die kriegswichtige Produktion erhalten werden muss. Unnötige Prügel seien zu vermeiden. Aram wusste, dass Kruzinski nicht an die Ostfront wollte, was ihm aber im Lager jeder der halb verhungerten Ostarbeiter wünschte.

Schon vor der Tür zur Essensbaracke schlug Aram der warme Dunst der Steckrübensuppe entgegen, die es seit Monaten jeden Abend gab. Wenn er je dieser Hölle entkommen sollte, würde er um Steckrüben und Lauch einen weiten Bogen machen. Nur hier in der DWM blieb ihm nichts übrig, als die dunkle und übel riechende Brühe in sich hineinzuwürgen. Die Alternative war der Tod.

Sergej war schon da. Er saß an dem grob gezimmerten Tisch und hatte sein Blechgeschirr vor sich stehen. Es war halb gefüllt mit der dunkelbraunen Suppe. Mit einem verlegenen Grinsen begrüßte er wortlos Aram, der sich ihm gegenüber auf die Bank fallen ließ, nachdem ihm die stets mürrische polnische Küchenhilfe einen Schwapp der Suppe in seinen Becher geklatscht hatte.

Sergej reckte den Kopf Aram entgegen und flüsterte: »Hast du schon gehört? Gestern ist die Gestapo aufgetaucht und hat sich den Rudolf gegriffen. Ein Teil von einer Flak muss es an der Front fast verrissen haben. Es stammt von uns. Die Schweine denken, dass es Sabotage war. Jetzt nehmen sie ihn in die Mangel.«

»Wieso ausgerechnet den? Da gibt es andere, welche die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, Deutsche, die unsereins leichter bescheißen könnte. Der Rudolf ist selbst Dreher, der merkt sofort, wenn etwas schief läuft.«

»Vielleicht deshalb. Der Schaden war so raffiniert versteckt, dass die ihre deutschen Gefolgsleute dahinter vermuten. Zumindest denken sie, dass einer das Ganze gedeckt haben muss. Hoffentlich machen sie nicht uns fertig. Irgendeinen werden sie zur Abschreckung rausfischen, auch wenn die arme Sau damit gar nichts zu tun hatte. Die Gestapo hat einen Mordsschiss vor einer Revolte.«

»Mach dir keine Gedanken. Die brauchen jeden. Bis sie einen verhungerten Kameraden aus dem Stalag wieder so weit haben, dass er arbeiten kann, vergeht einiges an Zeit. Die haben sie nicht. Die Produktion muss laufen, sonst bekommen sie Druck von oben. Am besten ist immer noch das Wegducken, so langsam arbeiten wie es geht und hoffen, dass die Betriebsleitung die Bluthunde zurückhält.«

»Wegducken, immer nur die Klappe halten und nichts tun. Die deutschen Schweine gehören alle erschlagen. Daheim vergewaltigen sie unsere Frauen, brennen unsere Dörfer nieder, lassen ganze Landstriche verhungern und hier müssen wir ihnen die Waffen für ihre Verbrechen herstellen«, antwortete Sergej lauter werdend, sodass Aram mit dem Zeigefinger in Richtung seines Mundes fuhr. Sergej verstand die Geste und schwieg.

»Sergej, unsere Zeit wird kommen. Es kann nicht mehr lange dauern. Unsere Kameraden stehen bereits bei Ostpreußen und die Amis kommen vom Westen. In Südfrankreich sind sie schon gelandet.«

Sergej zuckte mit den Schultern und wischte den letzten Rest der dünnen Suppe mit den Fingern auf, um sie hörbar abzulecken. Was nützte es, zu wissen, dass das verfluchte Hitlerdeutschland irgendwann den Krieg verlieren würde. Hier und heute galt es zu überleben.

***

Der säuerliche Metallgeruch der Fabrikhalle schlug den zerlumpten Arbeitern bereits am Eingang zum DWM-Werk entgegen. Die deutschen Vorarbeiter waren noch nicht an ihren Plätzen. Aram richtete seine Werkbank ein. Mit einer Pferdepeitsche, die er hinter seinem Rücken sanft auf seine Oberschenkel klatschen ließ, stiefelte Kruzinski zwischen den endlosen Reihen der Maschinen auf und ab. Langsamer werdend kam er auf Aram zu, der sofort den Blick senkte und vorgab, in einer Schublade seines Werkzeugwagens etwas zu suchen. Er wusste, Kruzinski hatte von der Arbeit, die zu verrichten war, keine Ahnung und der Vorarbeiter, den sie nur bei seinem Vornamen Rudolf nannten, war seit Donnerstag verschwunden. Breitbeinig baute sich Kruzinski vor Aram auf und hieb mit einem Knall seine Reitpeitsche auf die Werkbank.

»Na, hat der Russki sich von seinem Bummel erholt und will er sich endlich ordentlich benehmen, wie es sich in einem zivilisierten Land gehört?«

»Jawohl, Herr Unterführer!«, antwortete Aram, sprang auf und nahm Haltung an. Kruzinski wich zuerst einen Schritt zurück. Dann verzog ein breites Grinsen sein Gesicht. »Na, Russki, wir lernen ja doch noch was in der Zivilisation.« Der Unterführer machte auf der Stelle kehrt. Es sollte zackig aussehen, misslang aber durch einige Fettspuren, die ihn leicht schlittern ließen. Ohne sich umzudrehen, maulte er »Polackenschlamperei« vor sich hin und stolzierte weiter die Maschinen entlang, an denen sich mittlerweile sowjetische und polnische Arbeiter zu schaffen machten.

Zehn Minuten später schallte das Dröhnen der Maschinen durch die Säle der Werkshalle. Die deutschen Vorarbeiter waren eingetrudelt. Sie liefen von Drehbank zu Drehbank und schauten sich die ersten fertigen Metallteile an, die später einmal in einem Flakgeschütz dazu dienen sollten, das verhasste Nazireich zu verteidigen und am Leben zu erhalten.

Ein kurzes Aufheulen der Sirene kündigte die Mittagspause an. Mühselig wand sich Aram aus seiner gebückten Haltung hoch und reckte sich, um den verkrampften Rücken zu entspannen. Die Tür des Büros der Betriebsleitung öffnete sich. Zwei Männer in weißen Hemden und dunkelgrauen Hosen hielten in ihrer Mitte Rudolf am Unterarm und führten ihn zu seinem Platz, von dem er die Reihen der ihm unterstellten Arbeiter übersehen konnte. Der Vorarbeiter der Nachbargruppe, der die Vertretung übernommen hatte, hastete zu ihnen. Die zwei Männer ließen Rudolf los, der ohne ihre Unterstützung leicht schwankte, sich dann aber an seinem Arbeitstisch, der mit Papieren und Zeichnungen übersät war, festhielt. Aram hatte keinen Zweifel. Die Männer waren von der Gestapo. Mit versteinertem Gesicht nickten sie dem Vertreter Rudolfs zu. Ohne Rudolf noch einmal anzusehen, machten sie auf der Stelle kehrt und verließen die Werkshalle. Jeder von Rudolfs Gruppe hatte die Szene beobachten können. Niemand wagte es zu tuscheln, oder das Gesicht zu verziehen. Wortlos schlurften die Arbeiter zum Gemeinschaftsraum. Rudolf blieb zurück und ließ sich auf den Stuhl bei seinem Tisch fallen. Er schien in den drei Tagen, die er nicht in der Fabrik war, abgemagert zu sein. Seine Augen waren in tiefen Höhlen verschwunden und seine Wangenknochen stachen aus seinem Gesicht hervor. Er starrte einen imaginären Punkt an der Wand an und blieb unbeweglich sitzen. Die Halle leerte sich allmählich.

Im Hof vor der Fabrik kauerte Sergej im Schatten des Gebäudes und sah Aram entgegen. Wortlos ließ sich Aram an seiner Seite nieder. Sergej schaute zur Seite auf das geschlossene Tor der DWM, vor der zwei Soldaten in der grauen Uniform der Wehrmacht Wache standen. Ohne den Blick Aram zuzuwenden, flüsterte er: »Hast du gehört, in der Feinmechanik arbeitet einer, der aus einem Stalag getürmt war und zurück in die Sowjetarmee flüchtete. Die arme Sau kam in ein sibirisches Überprüfungslager. Das war nicht besser als die Lager der Deutschen. Dann durfte er in eine Strafkompanie und jetzt ist er hier. Er hat erzählt, dass wir für Stalin alle Deserteure sind, egal wie wir von den Deutschen gefangen genommen wurden. Wir stellen Waffen gegen die Rote Armee her, deshalb sind wir auch noch Kollaborateure! Wenn die Scheißnazis den Krieg verlieren, müssen wir uns warm anziehen. Dann kommt erst einmal Sibirien und die Scheiße geht gerade weiter. Sollte man beim Aufbau des Widerstands helfen? Es gibt bestimmt jemand, der das bereits tut. Mit guten Kontakten lässt sich das Umerziehungslager sicher vermeiden.«

»Du spinnst! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Gestapo Saboteure auffliegen lässt. Schau dir Rudolf an, wie sie den durch die Mangel gedreht haben. Und der hat nichts getan! Was meinst du, machen die mit unsereinem, wenn die nur den geringsten Verdacht haben? Da packt jeder aus und dann ist Schluss mit den Kontakten zu Berija, dem Bluthund von Stalin.«

»Du hast recht. Die Chancen stehen schlecht. Sie haben ja auch die Genossen unserer Widerstandsorganisation schon fertiggemacht. Im Folterkeller in der Ritterstraße haben sie die letzten vom BSW zu Tode geprügelt. Aber selbst eine kleine Chance ist eine Chance.«

»Die Kontakte zu anderen Lagern und Genossen sind futsch. Und die Gestapo hat einen Granatenschiss davor, dass es zu Aufständen kommt. Die reagieren selbst beim geringsten Verdacht. Mag sein, es gibt wirklich jemand, der es wieder versucht. Darüber möchte ich aber nicht reden.«

Sie schwiegen und starrten zu den beiden Soldaten am Tor, die sich in den Schatten des Wachhäuschens zurückgezogen hatten. Aram sah seine Hoffnung auf die Befreiung nach dem Zusammenbruch Nazideutschlands schwinden. Jeder im Lager kannte seine Aufgabe, als Dolmetscher der Betriebsleitung zu helfen. Stalin würde ihm die Hilfe, die er dem Feind leistete, nie verzeihen. Wenn die Sowjets schon Kriegsgefangene wie Deserteure behandelten und sie nach Sibirien schickten, was würde mit ihm geschehen? Es gab für ihn keine Hoffnung, auch nicht nach einem Sieg der Roten Armee.

***

Die Arbeit war laut und schmutzig. Von länglichen Rohren abgefräste Späne sammelten sich auf dem Boden und in regelmäßigen Abständen kamen Arbeiterinnen aus der Ukraine oder Russland mit einem Besen und kehrten den Schmutz ein. Geduckt liefen sie durch die Gänge und wenn ein Aufseher auftauchte, hefteten sie ihren Blick auf den Boden. Nur nicht auffallen, nicht dem Obergefreiten aus Bruchsal in die Augen sehen, der ein Mädchen schon niedergeschlagen hatte, weil sie ihn nicht schnell genug gegrüßt hatte. Es war ratsam, freundlich zu lächeln, dabei aber nicht zu freundlich zu sein, denn nachts könnte er vor der Baracke stehen und sie holen. Aram wusste, wie lustig die russischen Frauen unter sich waren, vorausgesetzt es war kein Deutscher in der Nähe. Ihre Fröhlichkeit war die einzige Waffe, die sie hatten, um das Lagerleben ertragen zu können.

Ohne dass er es bemerkt hatte, hatte sich der neue SS-Unterscharführer, der seit drei Wochen zur Kontrolle der Wachmannschaft in die DWM abgeordnet war, hinter ihn gestellt. Das ewig gleiche Einspannen, Fräsen, Lösen und in die aus rohen Brettern in irgendeinem KZ zusammengenagelte Kiste legen, hatte Aram ermüdet. Die Hitze des Augustmittags ließ ihm den Schweiß in die Augen triefen. Mit dem Handrücken versuchte er vergeblich, ihn zu trocknen. Vor seinen Augen verschwamm die Halterung des Werkstücks. Er fasste daneben, griff in die Späne, die sich neben der Werkbank angesammelt hatten. Sein Gesicht verzog sich. Ein langer Span war in seinen Zeigefinger gefahren. Ihm entrang sich ein lautes: »Scheiße!« Der Unterscharführer hinter ihm grinste und sagte: »Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort, sie sprechen alles so deutlich aus«. Aram zuckte zusammen. Dann drehte er sich um und sah den spöttischen Gesichtsausdruck des Unterscharführers. Ein hochgewachsener Mann von kaum zwanzig Jahren in der schwarzen Uniform der SS schaute ihm in die Augen und wollte sich wegdrehen, da erwiderte Aram: »Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott, sie wissen alles, was wird und war.«

Der Unterscharführer riss ruckartig den Kopf herum. Er blickte in alle Richtungen. An der Nachbarmaschine hatte der polnische Arbeiter sich ihnen zugewandt und beobachtete sie stumm.

»Sag mal, Russki, willst du mich verarschen? Du möchtest wohl für einige Zeit in die Fautenbruchstraße ins Arbeitserziehungslager?«, brüllte ihn der SS-Mann lauthals an, so dass sich jetzt alle Blicke auf Aram und den SS-Mann richteten. Aram sprang hoch, nahm Haltung an und erwiderte: »Bitte vielmals um Verzeihung, Herr Unterscharführer. Ich hatte nicht die Absicht, Sie ...« Der SS-Mann holte aus und hieb mit der flachen Hand eine Ohrfeige auf die linke Wange Arams, die sich sofort rot verfärbte. Ohne etwas hinzuzufügen und mit eingefrorenen Gesichtszügen stolzierte der Unterscharführer in seiner schwarzen Uniform weiter. Der polnische Arbeiter nahm grinsend das nächste Werkstück aus der Kiste und spannte es ein. Die Arbeiter an den anderen Maschinen beeilten sich, um von dem Aufseher in der gefürchteten Uniform nicht wegen Müßiggang ebenfalls geschlagen zu werden.

Aram konnte das Verhalten des SS-Mannes nicht einordnen. Er schalt sich selbst als vorlaut. Niemand konnte dem Pack in der schwarzen Uniform trauen und er wusste, dass er nur reden durfte, wenn Aufseher ihn dazu aufforderten. Wieso hatte er nur den Mund aufgemacht?

Die Schicht war zu Ende. Am Himmel waren Wolken aufgezogen und die Hitze hatte nachgelassen. Noch immer war es unerträglich schwül. Er blieb einen Moment stehen und schaute wieder einmal nach einem Gewitter aus, doch die Wolkendecke war nur einheitlich Grau. Von einem kühlenden Regen war nichts zu ahnen. Mit einem wütenden Gebrummel auf Polnisch wurde Aram von hinten angestupst. Der Pole zeigte mit dem Kopf nach links. Aram wusste nicht, was der Pole ihm sagen wollte und senkte den Blick. Er setzte seinen Weg in den Blickerbau zum Essen fort. Erst da begriff er, dass er in die von seinem polnischen Kollegen gezeigte Richtung schauen sollte. In zehn Meter Entfernung stand der SS-Unterscharführer und starrte ihn an. Aram fing seinen Blick auf. Der SS-Soldat zeigte mit dem Finger vor sich auf den Boden. Aram verstand die Geste. Er lief zu ihm, nahm Haltung an und wartete.

»Du bist Russe und magst Rilke, kannst sogar Gedichte von ihm auswendig?«

»Jawohl Herr Unterscharführer! Ich bin Georgier, Aramäer, um genau zu sein, und habe in Charkow an der Hochschule Deutsch unterrichtet.«

»Soso, Aramäer, das Volk des Juden Jesus, wie es heißt. Und jetzt hier.«

»Auf der Straße haben mich die Deutschen aufgegriffen und mich zur Arbeit im Reich verpflichtet. Sie haben gehört, dass ich ihre Sprache spreche, Herr Unterscharführer.« Der Unterscharführer hatte während des Gesprächs keine Miene verzogen. Aus den Augenwinkeln heraus spürte Aram, dass sie von den Arbeitern, die die Werkshallen in Richtung der Kantine des Blickerbaus verließen, beobachtet wurden. Der SS-Mann räusperte sich und fuhr fort: »Ist gut. So, jetzt muss ich mich ein wenig aufblasen. Nimm es nicht ernst.« Er stemmte seine Fäuste in die Hüfte und begann zu brüllen: »Wenn du dich einmal so undiszipliniert verhältst, werden wir dir im KZ in Struthof zeigen, wie ein sowjetischer Untermensch sich einem Deutschen gegenüber zu benehmen hat!« Dabei machte der Soldat auf der Stelle kehrt und stolzierte in Richtung auf die Mannschaftsunterkunft der Wachen davon.

Aram erstarrte, blieb noch einen Moment ratlos stehen und reihte sich dann wieder in die Kolonne der Arbeiter ein.

***