Von Wölfen, Wäldern und wehrlosen Jungfrauen - Peter Hakenjos - E-Book

Von Wölfen, Wäldern und wehrlosen Jungfrauen E-Book

Peter Hakenjos

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Beschreibung

Hat Rapunzel mit dem Prinzen in der einsamen Turmkammer nur gesungen und gebetet? Ist der Wolf bei Rotkäppchen wirklich der böse Mann, der das arme Mädchen verführt und auffrisst? Wieso begleiten die bösen Stiefschwestern, denen die Augen ausgehackt wurden, Aschenputtel auch noch nach der Hochzeit? Märchen geben Rätsel auf! In Märchen gibt es alles: Sex, Tod, Unterdrückung und Komik. Wenn wir uns auf sie mit Alltagslogik und dem Wissen um die Traumsprache einlassen, bereichern sie unser Leben. Sie können viel sein, Kindergeschichten, Lebenshilfe und Weisheit. Nur eines sind sie nie: Unverbindlich!

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Seitenzahl: 205

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Inhaltsverzeichnis

Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?

Aschenputtel

Aschenputtel – oder wie werde ich die, die ich bin?

Rotkäppchen

Und was will Rotkäppchen wirklich?

Schneewittchen

Und was will Schneewittchen wirklich?

Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich

Der Froschkönig oder warum Frösche mehr sind als nasskalte Insektenfresser

Der Froschkönig – oder wie ich lernte, Frösche zu lieben

Dornröschen

Dornröschen – Hat der Prinz die schlafende Jungfer nur geküsst?

Rapunzel

Rapunzel – das Schicksal einer langhaarigen Schönheit

Das singende springende Löweneckerchen

Von Lerchen, Löwen, Greifen und einer jungen Frau, die mit ihrer Beharrlichkeit alle erlöst

Brüderchen und Schwesterchen

.Brüderchen und Schwesterchen – ein Glück gibt es Mädchen!

Bridges in Madison County (Brücken am Fluss) Unsere Märchen, neu geschrieben

Was also wollen uns Märchen sagen?

Weitere Veröffentlichungen des Autors

Über den Autor

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Impressum neobooks

Peter Hakenjos

Von Wölfen, Wäldern und wehrlosen Jungfrauen

Märcheninterpretationen

Besonders danken möchte ich meiner Frau, die mir stets eine kompetente Ratgeberin war, sowie Herrn Dr. Hans Jellouschek, der mir mit seinen Märcheninterpretationen, enthalten in »Im Irrgarten der Liebe« (Im Irrgarten der Liebe, 2012, Hans Jellouschek, Herder spektrum, ISBN 978-3451063695, TB 14,99 €), nicht nur wieder einen Zugang zu Mythen und Märchen verschaffte, sondern mir mit dem »Froschkönig« auch bei der Bewältigung eines gesundheitlichen Problems half.

Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?

Rotkäppchen ist ein Märchen, in dem eine liebe Mama ein ebenso liebes Töchterchen, das eine Vorliebe für rote Kopfbekleidungen hat, auf den Weg zu ihrer ebenso lieben Großmutter schickt. Und weil das Mädchen so lieb ist, pflückt sie, entgegen dem Rat ihrer ach so lieben Mutter, ein paar Blümchen für die Oma. Diese kleine Schwäche kostet das arme Mädchen, nebst der geliebten, und in diesem Fall unschuldigen Großmutter, fast das Leben. Und die Moral von der Geschicht’: Man muss der Mama immer folgen, dann passiert weder dem Töchterchen noch der Großmutter etwas, denn dann kann der böse Wolf nicht zuschlagen.

Oh ja, so kann man Märchen sehen, wenn man das denn will, und man kann sie so auch den armen Kindern erklären. Die glauben gerne, was Mama, Papa oder die Großeltern ihnen nach dem Vorlesen der Märchen erzählen. Sie glauben ja auch an den harmlosen Osterhasen, der, wie ihnen versichert wird, nichts mit unmoralischen Fruchtbarkeitsriten zu tun hat und sie glauben auch an den Weihnachtsmann, der es nur gut mit ihnen meint. Glauben wir, die wir die Grundschule längst hinter uns haben, das auch? Mag sein! Jedem ist freigestellt, wie er oder sie Märchen sehen möchte. Aber da kommt ein bitterböser Gedanke auf: Ahnen wir nicht hinter den lieben und harmlosen Geschichten etwas ganz, ganz anderes? Lauert da nicht eine böse Schlange, die uns in Versuchung führen möchte, auf unser Leben zu sehen? Sollen wir mit Hilfe der Märchen Gutes von Bösem unterscheiden lernen, um uns so von unserer Unschuld zu befreien? Wollen Märchen beispielsweise die irrige Vorstellung zerstören, dass wir eine fröhliche Kindheit im Paradies hatten und uns zum Hinsehen auf das zwingen, was alles schief gelaufen ist? Sollen wir akzeptieren, dass es in unserer Kindheit und Jugend Grausamkeiten und böse Menschenfresser gab?

Oh ja, wir ahnen eine Wahrheit hinter den harmlosen Geschichten in den Märchen! Warum sonst wären alle Kitsch- und Gartenläden voll mit hässlichen Fröschen, die blöde grinsend und mit einer lächerlichen Krone auf dem Kopf, darauf warten, dass wir unser sauer verdientes Geld für sie über den Ladentisch schieben? Ist der Keramikfrosch nicht hässlicher als die Eidechse und wird er nicht dennoch mehr verkauft? Und warum verfolgen uns die treu dreinblickenden Püppchen, die Schneewittchen und die ihr hörigen Zwerge darstellen, bis in unsere Nachtruhe? Nein, hinter den Geschichten, mit denen wir unsere Kinder beglücken, steckt mehr. Die sind kein Kinderkram. Da gibt es knallharte Pornos und gnadenlose Horrorgeschichten. Wenn der Prinz, angezogen vom Haar einer gewissen Rapunzel, diese in ihrem Kämmerlein schwängert und die Rache einer Frau fürchtet, die mit besagter Rapunzel ein inzestuöses Verhältnis hat, dann ist dies keinesfalls eine sexuell harmlose Geschichte, die in Märchenform daherkommt. Hätte der junge Mann mit dieser Dame lediglich fromme Lieder gesungen, dann wäre das Märchen tatsächlich auch für prüde Menschen kindertauglich.

Haben Sie schon einmal geträumt? Gut, ich weiß selbst, dass diese Frage an der Grenze des Blödsinns angesiedelt ist. Jeder hat schon geträumt, auch wenn sich nicht jeder an seine Träume erinnern kann. Wozu sich auch an etwas erinnern, das man ohnedies nur in den seltensten Fällen eindeutig versteht? Allgemeine Überzeugung ist, dass unser Unterbewusstsein im Schlaf mit dem ganzen Müll aufräumt, der uns den Tag über belästigt hat, und dass es mitunter Botschaften schickt, die ein gutes, leider meist eher ein ungutes Gefühl in uns hinterlassen. Wir fragen uns nicht, wie wohl ein Sigmund Freud geträumt haben mag, der glaubte, Träume seien Wunscherfüllungen. Da läuft man als Pubertierender auf einen Abgrund zu und will stehen bleiben, kann aber nicht, da verirrt man sich als Erwachsener in einer Stadt, die man noch nie gesehen hat und ist verzweifelt. Also eine Wunscherfüllung sieht anders aus! Und wer träumt schon von wilden Sexpartys mit den Partnern seiner Tagträume? Und gerade, weil wir die Traumsprache nicht verstehen, gehen wir nur allzu gerne davon aus, dass es nur Müll sein kann, der Nacht für Nacht auf uns einprasselt. Doch so ist es nicht! Wir können die Sprache des Unbewussten, der wir in Träumen und in Märchen begegnen, sehr wohl verstehen, denn ein Teil von uns spricht diese Sprache!

Wie aber deutet man Märchen oder Träume? Vorweg: Wenn Sie sich sicher sind, dass ein Märchen oder Traum dies oder jenes bedeutet, und Sie fühlen tief im Herzen, dass es so ist, wie Sie es sehen, dann lassen Sie sich von keinem Psychologen, Traumdeuter oder mir etwas anderes einreden. Archetypen, also Urbilder, die in uns allen vorhanden sind, sind nicht eindeutig. Und was Sie in einem Märchen sehen, das stimmt für Sie, obwohl der Rest der Welt vielleicht nur verständnislos den Kopf schüttelt. Es gibt keine Wahrheit, nur Wahrheiten. Welche davon die unsere ist, das lassen wir uns nicht vorschreiben! Deshalb meine Bitte: Nehmen Sie meine Interpretationen als Vorschläge, ein Märchen zu verstehen, und nicht als absolute Wahrheit.

Märchen, zumindest die Guten, sind aus einem Bauchgefühl heraus entstandene Geschichten, die uns etwas über das Leben erzählen, wenn wir bereit sind, ihnen zuzuhören. Und da wird es bereits schwierig. Was ist denn die Sprache der Märchen? Es ist eine Sprache, die so vieldeutig ist wie die Bilder eines Traumes nach einem üppigen Mahl. Damit sind wir bei einem Problem, das sich bei der Märcheninterpretation immer stellt: Sie sind unter mehreren Perspektiven deutungsfähig. Ist Rotkäppchen eine junge Jakobinerfrau, die sich gegen die herrschende Kaste der Feudalherren stellt, also eine Symbolfigur der französischen Revolution, ist sie ein vom Patriarchat bedrohtes Mädchen, das den Mann, dargestellt als Wolf, fürchten muss oder ist sie eine ungehorsame Göre, die lernen sollte, dass man besser Mamas Regeln befolgt? Letztendlich gibt es bei der Deutung von Märchen keine Sicherheit. Die eine Interpretation erscheint uns plausibel, eine andere an den Haaren herbeigezogen.

Doch egal wie wir Märchen verstehen oder verstehen wollen, eines sind sie immer: Spannend! Die hier dargestellte Sichtweise auf Märchen ist keine sozialpolitische; ich sehe in Märchen in der Regel geronnene Lebenserfahrung, die in archetypische Bilder gekleidet, auch heute noch helfen kann, uns selbst und unsere Mitmenschen zu verstehen. Daneben sollten wir unser Alltagswissen auf Märchen anwenden. Ist etwas logisch? Warum tut diese oder jene Person gerade das, was sie tut, und wie fügt sich das in ein Gesamtbild ein? So, wie wir einen zeitgenössischen Roman oder einen Film sehen, so können wir auch Märchen sehen, und zu verstehen versuchen.

Wie gesagt, was die Interpretation schwierig macht, ist, dass zwei Perspektiven auf das gleiche Märchen, die sich zu widersprechen scheinen, gleichzeitig richtig sein können. Nehmen wir zum Beispiel Aschenputtel.

Version 1

Aschenputtel verkörpert eine Frau, die ihr ganzes Leben darauf wartet oder gewartet hat, dass ein Prinz auf einem strahlenden Ross vor ihrer Tür auftaucht und sie aus den Banalitäten des Alltags befreit. Er, der Prinz, erkennt als einziger die wahre Schönheit dieser Frau. Er holt sie aus der familiären Unterdrückung ab und sie leben glücklich bis an ihr Ende. Damit wäre Aschenputtel die Heldin der unverstandenen Frau, die, eine Träne in den Augen, Liebesromane liest und zutiefst bereut, dass sie seinerzeit einen jungen Mann verschmähte, der als Prinz in ihr Leben treten wollte, und ihr jetzt, mit einem Rollex-geschmückten Arm, hin und wieder aus einem Porsche zuwinkt, während sie vor dem Supermarkt die für ihre motzigen Kinder mit Lebensmitteln und Süßigkeiten prall gefüllten Taschen in ihren VW-Polo hievt.

Version 2

Aschenputtel ist eine erotisch-sexuell selbstbestimmte Frau, die aufbegehrt und die Initiative ergreift, um der Bevormundung ihrer Mutter und der Geringschätzung ihres Vaters zu entkommen. Sie zeigt der Welt, wer sie in Wirklichkeit ist, geht zum Prinzen und erobert ihn. Ja sie motiviert ihn sogar, sie zu suchen, um sie mit sich auf sein Schloss zu nehmen. Wer also ist diese verwirrende junge Frau wirklich? Dieser Frage werden wir uns im Folgenden stellen.

Was können Märchen überhaupt sein? Ich denke, viele Märchen sind nichts anderes als Tagträume. Andere heben den Zeigefinger und zeigen uns, wie wir leben sollen. Dabei bedienen sich Märchen jenseits jeder Logik Bildern, die auch dem kritischsten Geist als Archetypen erscheinen müssen. Mit anderen Worten: Nimmt man Märchen ernst oder, besser ausgedrückt, als lesenswert, dann muss man sie den Träumen im Schlaf gleichsetzen, deren Sprache sie sprechen. Mit Plausibilität hat weder der Traum noch das Märchen etwas zu tun. Oder wäre es plausibel, dass eine Hexe ein Geschwisterpaar verfolgt, das sich als Fische in einem Teich versteckt, und dass diese Hexe, um das Geschwisterpaar dennoch zu finden, den Teich leersäuft? Im Traum ist so etwas möglich. In der Wirklichkeit eher nicht.

Doch was bitte könnte der Tagtraum hinter dem allseits bekannten Märchen »Hänsel und Gretel« sein? Da soll doch der Hänsel aufgefressen werden und die Gretel wird als Haussklavin gehalten, wobei den Beiden erst im letzten Moment die Flucht gelingt. Das soll ein Tagtraum sein? Eine Horrorgeschichte ersten Ranges, ein Tagtraum? Gut, Alpträume sind auch Träume, aber ob es sich jemand, der keine Suizidabsichten hat, als wünschenswert vorstellt, aufgefressen zu werden, das möchte ich denn doch heftig bezweifeln.

Immer wieder taucht in Märchen die bitterböse Mutter auf, meistens als Stiefmutter, hier aber unverblümt als die leibliche Mutter. Der Vater ist meist dem Schicksal seiner Kinder gegenüber gleichgültig oder aber ein harmloser Trottel. Bei Hänsel und Gretel ist er ein an sich netter Kerl, der sich von seiner Frau zur bösen Tat überreden lässt. Ein Trottel? Mag sein. Lassen wir es einfach so stehen, aber hier haben wir das Motiv des Märchens als Tagtraum. Die Geschichte erzählt davon, wie man mit Hilfe von Intelligenz und Cleverness eine alte Hexe los wird und den lieben Vater für sich gewinnt. Wäre das kein schöner Tagtraum für Kinder, die unter einer bösen Mutter leiden? Wie schön wäre es, die alte Hexe loszuwerden, um den lieben Papa ganz für sich zu haben!

Bleiben wir dem Motiv des Tagtraumes treu und fragen uns am Ende hin und wieder, welcher Traum wohl das Motiv des Märchens gewesen sein könnte! Doch Vorsicht! Nicht jedes Märchen muss einen Tagtraum als Motiv haben. Denken wir nur an »Die kluge Else«, in der vor zu viel Nachdenken und Mitfühlen eindringlich gewarnt wird. Die arme kluge Else scheitert in ihrem Leben, das prächtig hätte verlaufen können. Sie scheitert so erbärmlich, weil sie aus dem Grübeln nie herauskommt. Mitunter hebt das Märchen auch mahnend den Zeigefinger, es will uns dann belehren und vor Gefahren warnen.

Fragen Sie sich, lieber Leser, warum Sie ein bestimmtes Märchen ganz besonders lieben? Nein? Das sollten Sie aber. Sie sollten sich die Frage stellen, was gerade dieses Märchen mit Ihnen ganz persönlich zu tun hat? Und glauben Sie mir, die Frage danach, und vor allem die Antwort, die Sie erwartet, die wird spannend sein und Sie weiterbringen. Dennoch, vergessen Sie nicht: Ihre mit Gewissheit gefühlte Interpretation, auch die des Tagtraums, die ist für Sie die Richtige! Vergessen Sie auch nicht, dass andere Interpretationen genauso richtig sein können. Eine andere Interpretation sieht das Märchen nur unter einer anderen Perspektive. Wir sollten mit einem freundlich-verstehenden Lächeln all jenen antworten, die uns ihre Märcheninterpretation als absolute Wahrheit verkaufen wollen, denn Lächeln ist die schönste Art, jemand die Zähne zu zeigen.

Die Wissenschaft, gleich welcher Couleur, kann uns Informationen über die Herkunft von Märchen, vielleicht auch Sprachanalysen über die Zeit der Entstehung usw. liefern; die letztendlich gültige Bedeutung eines Märchens kann keine Textanalyse und keine noch so scharfsinnige Interpretation liefern. Ironischerweise ist dazu auch der Autor selbst nicht in der Lage. Hat er sein Werk abgeliefert, so ist er ein Interpret seines eigenen Werkes, so wie jeder andere Rezipient auch, denn Märchen sind Kunst und Kunst ist interpretationsfähig.

Doch jetzt hören wir auf, das Messer zu wetzen und beginnen, die Sau zu schlachten, um uns zu fragen, was sich hinter einzelnen Märchen wohl verbergen könnte.

Aschenputtel

Einem reichen Manne, dem wurde seine Frau krank und als sie fühlte, dass ihr Ende herankam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: »Liebes Kind, bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen und ich will vom Himmel auf dich herabblicken und will um dich sein.« Darauf tat sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte und blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.

Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. »Soll die dumme Gans bei uns in der Stube sitzen?«, sprachen sie, »wer Brot essen will, muss es verdienen. Hinaus mit der Küchenmagd!« Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen alten Kittel an und gaben ihm hölzerne Schuhe. »Seht einmal die stolze Prinzessin, wie sie geputzt ist!«, riefen sie, lachten und führten es in die Küche. Da musste es von Morgen bis Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Obendrein taten ihm die Schwestern alles ersinnliche Herzeleid an, verspotteten es und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so dass es sitzen und sie wieder auslesen musste. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett, sondern musste sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.

Es trug sich zu, dass der Vater einmal in die Messe ziehen wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen sollte. »Schöne Kleider«, sagte die eine; »Perlen und Edelsteine«, die zweite. »Aber du, Aschenputtel?«, sprach er, »was willst du haben?«

»Vater, das erste Reis, das Euch auf Eurem Heimweg an den Hut stößt, das brecht für mich ab.«

Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen und Edelsteine und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte ihn ein Haselreis und stieß ihm den Hut ab. Da brach er das Reis ab und nahm es mit. Als er nach Hause kam, gab er den Stieftöchtern, was sie sich gewünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenputtel dankte ihm, ging zu seiner Mutter Grab und pflanzte das Reis darauf und weinte so sehr, dass die Tränen darauf niederfielen und es begossen. Es wuchs aber und ward ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle Tage drei Mal darunter, weinte und betete und allemal kam ein weißes Vöglein auf den Baum und wenn es einen Wunsch aussprach, so warf ihm das Vöglein herab, was es sich gewünscht hatte.

Es begab sich aber, dass der König ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte und wozu alle schönen Jungfrauen im Lande eingeladen wurden, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen möchte. Die zwei Stiefschwestern, als sie hörten, dass auch sie dabei erscheinen sollten, waren guter Dinge, riefen Aschenputtel und sprachen: »Kämm uns die Haare, bürste uns die Schuhe und mache uns die Schnallen fest; wir gehen zur Hochzeit auf des Königs Schloss.«

Aschenputtel gehorchte, weinte aber, weil es auch gerne zum Tanz mitgegangen wäre und bat die Stiefmutter, sie möchte es ihm erlauben.

»Du, Aschenputtel, bist voll Staub und Schmutz und willst zur Hochzeit? Du hast keine Kleider und Schuhe und willst tanzen?«

Als es aber mit Bitten anhielt, sprach sie endlich: »Da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet, wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen.«

Das Mädchen ging durch die Hintertüre nach dem Garten und rief: »Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,

die Guten ins Töpfchen,die Schlechten ins Kröpfchen«

Da kamen zum Küchenfester zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit den Köpfchen und fingen an pik, pik, pik, pik und da fingen die übrigen auch an pik, pik, pik, pik und lasen alle guten Körnlein in die Schüssel. Kaum war eine Stunde herum, so waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte das Mädchen die Schüssel der Stiefmutter, freute sich und glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: »Nein, Aschenputtel, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen, du wirst nur ausgelacht.«

Als es nun weinte, sprach sie: »Wenn du mir zwei Schüsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mitgehen«, und dachte: »Das kann es ja nimmermehr.« Als sie die zwei Schüsseln Linsen in die Asche geschüttet hatte, ging das Mädchen durch die Hintertür nach dem Garten und rief: »Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,

die Guten ins Töpfchen,die Schlechten ins Kröpfchen.«

Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren Köpfchen und fingen an pik, pik, pik, pik und da fingen die übrigen auch an pik, pik, pik, pik und lasen alle guten Körner in die Schüsseln. Und eh’ eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da trug das Mädchen die Schüsseln zur Stiefmutter, freute sich und glaubte, nun dürfte es mit auf die Hochzeit gehen. Aber die Stiefmutter sprach: »Es hilft dir alles nichts. Du kommst nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen, wir müssten uns deiner schämen.« Darauf kehrte sie ihm den Rücken zu und eilte mit ihren zwei stolzen Töchtern fort.

Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief:

»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,wirf Gold und Silber über mich.«

Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. In aller Eile zog es das Kleid an und ging zur Hochzeit. Seine Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht und meinten, es müsste eine fremde Königstochter sein, so schön sah es in dem goldenen Kleide aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht und dachten, es säße daheim im Schmutz und suchte die Linsen aus der Asche. Der Königssohn kam ihm entgegen, nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er wollte auch mit sonst niemand tanzen, also dass er ihm die Hand nicht losließ, und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er: »Das ist meine Tänzerin!«

Es tanzte, bis es Abend war, da wollte es nach Haus gehen. Der Königssohn aber sprach: »Ich gehe mit und begleite dich«, denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang ins Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn, bis der Vater kam und sagte ihm, das fremde Mädchen wär’ in das Taubenhaus gesprungen. Der Alte dachte: »Sollte es Aschenputtel sein?«, und sie mussten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzweischlagen konnte, aber es war niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche und ein trübes Öllämpchen brannte im Schornstein, denn Aschenputtel war geschwind aus dem Taubenhaus hinten herabgesprungen und war zu dem Haselbäumchen gelaufen. Da hatte es die schönen Kleider abgezogen und aufs Grab gelegt und der Vogel hatte sie wieder weggenommen, und dann hatte es sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.

Am anderen Tag, als das Fest von Neuem anhub und die Eltern und Stiefeltern wieder fort waren, ging Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach:

»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,wirf Gold und Silber über mich.«

Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab als am vorigen Tag. Und als es mit diesem Kleide auf der Hochzeit erschien, erstaunte jedermann über seine Schönheit. Der Königssohn aber hatte gewartet, bis es kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die Anderen kamen und es aufforderten, sprach er: »Das ist meine Tänzerin!« Als es nun Abend war, wollte es fort und der Königssohn ging ihm nach und wollte sehen, in welches Haus es ging, aber es sprang ihm fort und in den Garten hinter dem Haus. Darin stand ein schöner großer Baum, an dem die herrlichsten Birnen hingen; es kletterte so behänd wie ein Eichhörnchen zwischen die Äste und der Königssohn wusste nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam und sprach zu ihm: »Das fremde Mädchen ist mir entwischt und ich glaube, es ist auf den Birnbaum gesprungen. Der Vater dachte: »Sollte es Aschenputtel sein?«, ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf. Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche wie sonst auch, denn es war auf der anderen Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider wiedergebracht und sein graues Kittelchen angezogen.

Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab und sprach zu dem Bäumchen:

»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,wirf Gold und Silber über mich.«

Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig und glänzend wie es noch keins gehabt hatte und die Pantoffeln waren ganz golden. Als es in dem Kleid zur Feier kam, wussten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Der Königssohn tanzte ganz allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er: »Das ist meine Tänzerin!«

Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort und der Königssohn wollte es begleiten, aber es entsprang ihm so geschwind, dass er nicht folgen konnte. Der Königssohn hatte aber eine List gebraucht und hatte die ganze Treppe mit Pech bestreichen lassen. Da war, als es hinabsprang, der linke Pantoffel des Mädchens hängen geblieben. Der Königssohn hob ihn auf und er war klein und zierlich und ganz golden. Am nächsten Morgen ging er damit zu dem Mann und sagte zu ihm: »Keine andere soll meine Gemahlin werden als die, an deren Fuß dieser goldene Schuh passt.« Da freuten sich die beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füße. Die Älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zeh nicht hineinkommen und der Schuh war ihr zu klein. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: »Hau die Zehe ab. Wenn du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.« Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging hinaus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mussten aber am dem Grabe vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem Haselbäumchen und riefen:

»Rucke di guck, rucke di guck,Blut ist im Schuck.Der Schuck ist zu klein,die rechte Braut sitzt noch daheim.«