Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe! - André Müller - E-Book

Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe! E-Book

André Müller

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Beschreibung

Er war der Jäger des verlorenen Sinns, ein begnadeter Gesprächskünstler und literarischer Stilist. So wie er fragte niemand, und deshalb bekam er auch Antworten wie kein anderer. "Ich verlange in einem Interview alles von mir", sagte André Müller, der Autor und Journalist. Mit seiner direkten Art, nach den intimsten Dingen zu fragen, zumeist nach Liebe und Tod, brachte er seine Gesprächspartner dazu, sich um Kopf und Kragen zu reden. Und schuf selbst Literatur. Durch Reden, Zuhören, Fragen. Seine Interviews, die in allen großen Zeitungen abgedruckt wurden, führten zu erschütternden Geständnissen und lösten Skandale aus. Das radikalste, auch für ihn wichtigste Gespräch war jenes mit seiner Mutter, es ging über mehrere Tage. Nicht selten versuchten Müllers Interviewpartner im Nachhinein, eine Publikation zu verhindern. Denn die Wahrheiten, die sie ihm und seinem Tonband offenbart hatten, entsetzten sie. Viele aber waren begeistert. Von Karl Lagerfeld und Toni Schumacher über Peter Handke und Salman Rushdie bis hin zu Leni Riefenstahl, Hanna Schygulla, Günter Grass und Luc Bondy - es sind letzte und legendäre Gesprächsdramen, die dieser Band versammelt.

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Seitenzahl: 391

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© für die Originalausgabe: 2011 LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München © für das eBook: 2012 LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel Umschlagbild Rückseite: Christine Gerstacker Satz: Ina Hesse

Inhalt

Elfriede Jelinek Wer oder was?Zu André Müllers InterviewsFrühstück mit GenscherDolly BusterToni SchumacherKarl LagerfeldPeter HandkeJonathan LittellGünter WallraffElfriede JelinekSalman RushdieDas Schreien – Über Marcel Reich-RanickiDas Lächeln – Zum Tod von Ingmar BergmanGerhard RichterHanna SchygullaGerta MüllerJulia FischerHelmut BergerGünter GrassChristoph SchlingensiefLuc BondyMichel HouellebecqLeni RiefenstahlBenjamin Henrichs: Preisrede zur Verleihung des Ben-Witter-PreisesEine letzte FrageTextnachweis

Elfriede Jelinek Wer oder was?

Zu André Müllers Interviews

Da laufen die Menschen herum und leisten sich Subjektivität, etwas Besseres können sie sich nämlich (ihre Namen bürgen dafür) nicht leisten (und darauf bauen sie und leisten sich oft eine Menge gegenüber andren Menschen). Sind sie nicht fertig ausgeführte Gedankenentwürfe, und zwar von Gedanken, die ein andrer hatte, vielleicht ein höheres, höhnisches Wesen, das sich endlos über uns amüsiert? Der Interviewer André Müller wird sie schon fertigmachen, nein, nicht fertig machen, er ist vielleicht so einer, der diese bereits Geschaffenen, wobei er sich ebenfalls oft glänzend amüsiert, noch einmal schafft (auch im Sinn von Erschöpfung, die manche sicher nach Gesprächen von ihm gefühlt haben), aber nicht als seinem Willen oder seiner Vorstellung entsprechend, ihnen diese Subjektivität damit nehmend, sondern indem er über sie nachdenkt, aber im Sprechen, im Sprechen denken, nicht im Gehen, denn André Müllers Sprechen ist Nachdenken, damit er sie versteht, die Menschen, mit denen er spricht. Nein, ich glaube, das stimmt nicht, aber warum nicht? Welchen Bezug könnten diese Leute, die da interviewt werden, zur Welt haben, na, das werden wir schon noch herauskriegen, indem wir schauen, welchen Bezug sie zu sich selbst haben!

Bin ich von diesen Gesprächen deshalb so fasziniert, weil ich diese Menschen nicht (oder fast nie, außer durch ihre Auftritte in der Öffentlichkeit) kenne? Was macht diese Gespräche André Müllers mit jeweils einem anderen Menschen zu Literatur, obwohl er etwas sagt und der oder die andere etwas antwortet, und das jeweils in der eigenen Sprache, die zur Veröffentlichung zwar bestimmt ist (etliche haben das aber nachträglich wieder zurückgezogen, was sie gesprochen haben, als hätten sie es nicht gesagt, es ist allerdings trotzdem da), aber sich das Gesagte dieser Bestimmung auch wieder widersetzt, es ist ja nur gesprochen? Wieso ist es dann Literatur? Das möchte ich selber gerne wissen. Macht die Tatsache, die Menschen zu kennen (Müllers große und für mich nicht durchschaubare Leistung), also das, was sie sagen (und was er sagt), schon zu Literatur, oder ist es meine Faszination, etwas zu lesen, was andre gesagt haben, der Genuss, das zu lesen, ohne diese Menschen kennenlernen zu müssen (andre wollen sie vielleicht grade deshalb jetzt erst recht kennenlernen)? Ist es für mich deshalb Literatur, was ich hier lese, weil ich es lesen kann, ohne an die Personen, die eben etwas darstellen (denn mit anderen würde man nicht öffentlich sprechen, die würde man nicht öffentlich vorkommen lassen, mit einer Ausnahme: Andrés Mutter, deren Denken, weil sie seine Mutter ist, etwas anderes vollzieht, einen Sprung aus der Analytik heraus, auch der existenziellen, in den einzigen freien Raum, den der Sohn ihr gibt, eben weil sie die Mutter ist – Herrschaft, späte Herrschaft des eigenen Kindes, die Sprache, die Muttersprache, die er von ihr gelernt hat, gegen sie zu wenden, die Macht des Sohnes, der der Mutter damit auch wieder Raum gibt), anstreifen zu müssen, was mir persönlich nicht angenehm wäre: an Menschen anzustreifen.

André Müller geht gleich ganz in die Menschen hinein, und dann macht er sie zu Sprache, und dann werden sie erst sie selbst. Besonders deutlich wird das bei dem Autor, der Müller am meisten bedeutet, Thomas Bernhard; aber jeder, der Thomas Bernhard liest, wird er. Gesprochen habe ich nie mit ihm, sonst wäre ich jetzt auch noch er, eine Überflüssige mehr. Indem die Leute etwas sagen, sind sie es, einmal mehr, einmal weniger, das liegt am herrischen Wort ihres Herrn, des Interviewers. Wenn André Müller mit Thomas Bernhard spricht, ist er es. Dieser Herr ist es. Aber das wäre dann jeder. Ist es wirklich er? Jetzt weiß ich nicht mehr, wer wer ist. Aber wenn die Menschen etwas sagen, sind sie es selbst doch schon gar nicht mehr, oder? Sie werden zu etwas anderem, ohne etwas anderes zu sagen als das, was sie eben sagen. Das ist der Unterschied zwischen ihrer Wirklichkeit und der Idee von ihrer Wirklichkeit, die Müller jedes Mal, wirklich immer, aus ihnen herausholt (herauskitzelt), nichts als die Wahrheit. Und auch wenn es unwahr ist, was die Leute sagen mögen, es ist, während sie es noch aussprechen, schon wahr, und diese Wahrheit, die vielleicht gar keine ist, weil es sie nicht gibt, genau die ist Literatur. Existenz könnte man sagen, um Heidegger abzuwandeln, ist das Geschick zur Unwahrheit, ja, die Menschen sind im Geschick ihrer eigenen Unwahrheit. Und was ist Lüge anderes als Literatur? (Nun ja, manche mögen in der Literatur die Wahrheit sagen, aber sie ist es nicht; während sie noch ausgesprochen wird, rinnt die Wahrheit aus wie aus einem Kleidungsstück, das zu heiß gewaschen wird und seine Farbe verliert, wir würden alle blass werden, würden wir mit der Wahrheit konfrontiert, was für ein Glück, dass es sie gar nicht gibt!). Doch nicht, ob es diese Menschen wirklich gibt oder ob sie von André Müller erfunden worden sind (er hat Beweise, dass er sie nicht erfunden hat, aber die gelten für mich nicht viel, Beweise in der Literatur gelten nicht, in der Mathematik vielleicht, aber dort kenne ich mich nicht aus), ist hier die Frage, sondern ob diese Menschen wirklich sind. Die Literatur André Müllers sagt: Die sind wirklich die, die ich aus ihnen gemacht habe, indem ich nicht gefragt habe, was sie sind, sondern wer sie sind. Ja, ich meine das so und nicht umgekehrt: Wer sie sind, nicht was sie sind, das sind sie.

Frühstück mit Genscher

1990

Mit Hans-Dietrich Genscher habe ich nicht wirklich gesprochen. Anfang Oktober 1989 bat ich ihn brieflich um ein Interview für das »Zeit«-Feuilleton. »Es wäre natürlich kein Gespräch über Tagespolitik«, schrieb ich, »eher eines über den sozusagen philosophischen Gehalt der in ihr häufig verwandten Begriffe. Was ist Freiheit? Wie erträgt der Mensch Frieden? Kann er ihn denn ertragen? Zu fragen wäre auch, ob Sie den unter Künstlern grassierenden Fatalismus verstehen können, ja von ihm vielleicht gelegentlich sogar selbst befallen werden …« Ulrich Greiner, damals Leiter des Feuilletons, vermutete später, den Minister habe angesichts des Ansinnens, ihm mehr als die sonst üblichen Sprechblasen abzuverlangen, die Angst gepackt. Zunächst aber bekam ich positiven Bescheid. Der Pressesprecher des Auswärtigen Amtes, Peter Schuhmacher, teilte mir mit, er könne sich »ein spannendes Gespräch sehr gut vorstellen«, und Genschers persönlicher Referent Jürgen Chrobog stellte in Aussicht, sein Chef werde sich um die Weihnachtszeit für eine halbe bis Dreiviertelstunde freimachen können. Schließlich wurde ich für den 10. Januar 1990 um halb neun zum Frühstück nach Bonn geladen. Am 8. Januar abends, ich hatte schon das Flugticket gekauft und ein Zimmer reserviert,erhielt ich die Nachricht, der Minister sei von der sich anbahnenden deutschen Vereinigung so in Beschlag genommen, dass er auf das Frühstück verzichten müsse. Ich stornierte den Flug und die Zimmerbestellung und setzte mich an die Schreibmaschine. Mein Bericht über das Treffen mit dem Außenminister, das nie stattgefunden hat, erschien in der Zeit vom 19. Oktober 1990 unter der Überschrift »Frühstück mit Genscher«. Die darin vom Interviewer gesprochenen Sätze sind den Werken folgender Dichter und Philosophen entnommen: Fernando Pessoa, Laotse, Heraklit, Friedrich Hölderlin, Thomas Bernhard, Jean-Jacques Rousseau, Sören Kierkegaard, Albert Camus, Michel de Montaigne und Johann Wolfgang Goethe.

(1996)

Es ist der 10. Januar, Mittwoch. Der Außenminister betritt das Auswärtige Amt mit gerunzelter Stirn. Sein Oberkörper ist den Beinen ein Stück voraus. Das Frühstück mit dem Journalisten, zu dem er eilt, ist natürlich ein Arbeitsfrühstück. Das heißt, man kann es auch stehen lassen. Der Journalist, der mit dem Minister ein Zeit – Gespräch führen will, tut so, als frühstücke er, während er in Wirklichkeit nachdenkt, was er als Erstes fragen könnte. Noch steht die Mauer. Aber Ceausescu ist vor zweieinhalb Wochen erschossen worden. Neben dem Arbeitsfrühstück kennt der Minister auch das Arbeitsbegräbnis. Voraussetzung ist ein toter Politiker, um den man offiziell trauern darf. Das heißt, man tut so, als trauere man, um nach dem Begräbnis mit den anderen Trauerdarstellern zum Beispiel über die Nahostkrise zu reden. Der tote Ceausescu kommt dafür nicht infrage. Der Journalist denkt, dass der Minister dem Diktator in Erfüllung seiner Pflicht die Mörderhand geschüttelt hat. Er überlegt, wie er diesen Gedanken in eine Frage verwandeln könnte, in der kein Vorwurf steckt. Denn natürlich liegt es ihm fern, dem dienstältesten Außenminister der Welt vorzuwerfen, dass er gelegentlich auch Menschen, die sich dann als Mörder entpuppen, die Hand schütteln muss. »Ihr Kaffee wird kalt«, sagt der Minister.

Der Journalist erinnert sich an sein letztes Zeit – Gespräch mit Ernst Jünger, in dem von Hitler als Werkzeug der Geschichte die Rede war. Er führt die Kaffeetasse zum Mund. Immer geschehe das Notwendige, hatte Jünger erklärt, worauf er, der Journalist, mit der Frage hatte auftrumpfen können, ob somit das Böse, da es geschehe, notwendig sei. Jünger, der Fünfundneunzigjährige, hatte geschwiegen. Nicht jeder Gedanke müsse auch ausgesprochen werden, hatte er später gesagt. Hitler notwendig, denkt jetzt der Journalist, wobei er, ohne getrunken zu haben, die Tasse absetzt und in seinen Notizen zu wühlen beginnt. Ein Satz von Nietzsche ist ihm eingefallen. Er will sich vor dem Minister hinter Nietzsche verstecken. Er findet den Satz: Alles Gute ist die Verwandlung eines Bösen, jeder Gott hat einen Teufel zum Vater. Er spricht es nicht aus. In seinem Kopf überstürzen sich die Gedanken: Freud und Leid, Krieg und Frieden, Auschwitz und Wirtschaftswunder. Er murmelt: »Wittgenstein«. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Worüber, so fragt er sich, kann man mit einem Politiker sprechen, dem seine Popularität naturgemäß das Wichtigste ist?

Aus den Notizen des Journalisten ist ein Zeitungsfoto herausgefallen, das zeigt, wie der Minister sich eine Batman-Maske über die obere Gesichtshälfte stülpt. Nur noch Mund und Kinn sind zu sehen. Der Mund lacht. Der Minister ist für seinen Humor bekannt. Über seine großen Ohren darf man sich lustig machen, ohne dass er es übel nimmt.

»Nun fragen Sie mal!«, ruft er und beißt in eine mit Butter bestrichene Semmel.

Während sich der Journalist nach dem Foto bückt, fällt ihm der Lieblingswitz von Franz Kafka ein. Ein Armer beklagt sich bei einem Reichen, weil er seit Tagen nichts mehr gegessen hat. Darauf der Reiche: Man zwingt sich. Nichts ist komischer als das Unglück, so Beckett im Endspiel. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang. Es soll ja ein Gespräch für den Kulturteil werden. Der Minister kaut mit Genuss. Er hat nur eine halbe Stunde Zeit. Wenn der Journalist nicht zu schweigen aufhört, wird er der Redaktion einiges zu erklären haben. Warum bekommt er den Mund nicht auf? Warum denkt er an Rilke statt zum Beispiel an Helmut Kohl, mit dem der Minister seit über zwanzig Jahren befreundet ist? Seine Miene erhellt sich. Er blättert wieder in seinen Unterlagen. Kohl ist die Rettung. Er sucht einen bestimmten Satz. Da, endlich, rot angestrichen: »Pessimismus trübt den Blick, lähmt Kräfte und raubt Lebensfreude.« Trübt den Blick? Darüber ließe sich streiten. Raubt Lebensfreude? Der Journalist nickt. Der Minister unterbricht seine Kaubewegung.

»Habe ich etwas gesagt?«

Der Journalist schüttelt den Kopf. Er hat alle im Verlag Bonn aktuell erschienenen Reden des Ministers gelesen. Wenn der Minister im Fernsehen sprach, hat er Zettel und Bleistift bereitgelegt. Frieden, Freiheit, Menschenwürde, hat er in fliegender Eile notiert, Wachstum, Wohlstand, Wertegemeinschaft. Ein verirrtes Insekt kreist über dem Marmeladenglas. Der Minister schaut auf die Uhr: noch fünfzehn Minuten. Die Stille macht ihn nervös. Das Nichtstun weckt dunkle Erinnerungen. In jungen Jahren hat er sich einer Liegekur unterziehen müssen. Eine lebensgefährliche Tuberkulose hat ihn geprägt. Seither denkt er im Liegen, Sitzen und Stehen oft an den Tod. Am liebsten ist er in Fortbewegung. Im Auto, im Flugzeug und sogar im Hubschrauber kann er gut schlafen, weil es da, so gestand er es Bild, wie in einer Wiege schön schaukelt. 1984 vollführte er in seinem Dienst-Mercedes auf Glatteis einen dreifachen Salto. Drei Jahre zuvor war er schon gegen eine Gartenmauer geprallt. Zwei Herzinfarkte und zahllose Schwächeanfälle vor laufenden Kameras haben die Öffentlichkeit, sofern sie ihm gerade gewogen war, mit Sorge erfüllt. 1982 hat er die Koalition gewechselt und wurde deshalb als Hagen (der Siegfried tötete), Judas und Wackelpudding beschimpft. Das hat ihm wehgetan. Denn der Minister braucht wie jeder Mensch Liebe. Liebt man ihn nicht, nascht er heimlich Pralinen.

Über das Nichtstun und das dadurch zwangsläufig hervorgerufene Denken würde sich der Journalist mit dem Minister gern unterhalten. Er könnte dann endlich seinen Lieblingspessimisten, den Schriftsteller Thomas Bernhard, zitieren, der in Auslöschung, seinem dicksten Buch, behauptet: »Dem Geistesmenschen ist das sogenannte Nichtstun ja gar nicht möglich, der Geistesmensch ist am allertätigsten, wenn er sozusagen nichts tut.« Ist der Minister ein Geistesmensch?

Das ist die Frage, deren Beantwortung der Zeitungsleser mit Recht erwartet. Wie klug oder wie dumm muss ein Politiker sein, um unentwegt Optimismus verbreiten zu können? Als Pessimist kann er keine Wahlen gewinnen. Verstellt er sich? Ist er im Stillen verzweifelt? Überfällt ihn des Nachts der Albtraum seiner Machtlosigkeit? Am Tag muss er voll Zuversicht in Flugzeuge steigen, über rote Teppiche schreiten, an Konferenztischen lächeln, Kränze feierlich nieder legen, mit gebührendem Ernst, aber um Himmels willen nicht depressiv zum Hunger in der Dritten Welt, zum Ozonloch oder zum Meeresschutz Stellung nehmen. Von Balkonen darf er winken, machtvoll bescheiden, staatsmännisch volksnah, väterlich dienend. Gottesfürchtig soll er sein, aber nicht schicksalsergeben. Wehe, es unterläuft ihm das Eingeständnis, dass er für nichts eine Lösung hat! Wehe, er denkt zu viel nach und erkennt, dass Freiheit aus Gefangenschaft, Frieden aus Krieg, Aufbau aus Zerstörung entsteht! Der Politiker ist kein Spielverderber. Der Journalist nippt am Grapefruitsaft.

»Leben heißt nicht denken«, entfährt es ihm unvermittelt. Wo hat er bloß diesen Satz wieder her? Der Minister schluckt rasch hinunter. Noch fünf Minuten.

»Was du vernichten willst«, sagt der Journalist dem Minister direkt ins Gesicht, »das musst du erst richtig aufblühen lassen. Die schönste Harmonie erfolgt auf dem Wege des Streits. Krankheit macht Gesundheit süß. Der Not ist jede Lust entsprossen. Es nährt das Leben vom Leide sich.«

Der Minister lauscht aufmerksam. Er ist dem Journalisten sympathisch, denn er hat schon immer an die Einheit geglaubt. Er hört gern Heino, aber auch Händel und Dvorák. Er liest Karl May, aber auch Kleist. In Thomas Manns Zauberberg hat er sich wiedererkannt. Er ist Fußballfan und besucht die Festspiele von Bayreuth und Salzburg. Seine Lieblingsspeise ist Hammelfleisch mit grünen Bohnen und Speck, sein Lieblingstier der Elefant. Der Journalist schüttet den Grapefruitsaft in die Kaffeetasse.

»Es gibt ja nur Gescheitertes«, erklärt er dem erstaunten Minister. »Der Mensch ist ein krankes Tier. Derjenige, der unendlich resigniert hat, der ist sich selbst genug. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann. Sinnen auf den Tod ist Sinnen auf Freiheit. Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.« »Goethe!«, ruft da der Minister.

Das Insekt ist in die Marmelade gefallen. Der Journalist streicht Butter auf seinen Kassettenrekorder. Der Minister tupft sich mit der Serviette die Lippen ab, steht auf und verlässt fluchtartig, aber gemessenen Schrittes den Raum. Eine unbegreifliche Heiterkeit erfasst plötzlich den Journalisten. Mit dem Buttermesser rettet er das Insekt, das im Marmeladenglas zu ersticken droht. Die Marmelade, denkt er, ist für das Insekt so etwas wie für den Menschen ein Sumpf. Je verzweifelter es versucht, sich zu befreien, desto schneller versinkt es. Der Journalist ist für das Insekt gleichsam der liebe Gott. Indem er es rettet, lässt er ein Wunder geschehen. Das würde er gern dem Minister erzählen. Er möchte seine Freude mit dem Minister teilen. Zu spät! Sein Blick gleitet über das frische Gebäck, den kleinen Teller mit Butterröllchen, die Wurst- und die Käsescheiben, die Zuckerdose, das Sahnekännchen. Damit nicht alles vergeblich war, bricht er, nachdem er sich vergewissert hat, dass das Tonband noch läuft, in schallendes Gelächter aus.

Dolly Buster

2000

Ich habe Ihre Homepage studiert …

Ich sehe, Sie haben sich da richtig hineingearbeitet.

Ein Stück aus Ihrem Spielzeug-Sortiment hat mich besonders inspiriert.

Aha.

Da wird ein sogenannter »Lust-Torso« zum Preis von 198 Mark mit folgenden Zeilen gepriesen: »Keine Last mit der Lust! Dringen Sie ein! Die weiche, rosa Pforte öffnet sich nur für Sie. Sie werden feucht und schlüpfrig empfangen. Sensationelle Schwingungen breiten sich aus, stufenlos …«

Ja, und wo steckt die Frage?

Ich frage Sie: Ist die Lust eine Last?

Dazu muss ich sagen, ich habe diese Texte nicht selbst geschrieben, weil meine Internet-Seite von Beate Uhse1 Hinweis gestaltet wird. Die haben wir2 Hinweis also verkauft, weil wir am Anfang, ich will nicht sagen, keine Ahnung, aber weder das Personal noch genügend Kenntnisse hatten. Aber die krieg ich jetzt wieder und werde sie selbst gestalten.

Sie würden so einen Satz nicht schreiben?

Ich würde nicht sagen, dass die Lust eine Last ist. Ich würde sagen, das ist eine hormongesteuerte Begierde, die je nachdem, wie stark sich die Hormone im Blut konzentrieren, mehr oder weniger ausgeprägt ist.

In einem Interview bezeichneten Sie diese Begierde als unvermeidlich.

Ja, je nachdem …

Ist ein niedriger Hormonspiegel, der zur Folge hat, dass einen die Gier nicht so plagt, erstrebenswert?

Das weiß ich nicht.

Im Buddhismus, dem Sie anhängen, ist die Freiheit von Gier das höchste Ziel.

Ja, man soll nicht begierig sein. Aber ich habe das für mich sehr relativiert. Der Buddhismus ist ja keine Religion im engeren Sinne. Im Buddhismus gibt es keinen Gott, sondern einen Erleuchteten, der sagt, im Grunde kann jeder ein Erleuchteter werden, also ein höheres Wesen, das sich von den ewigen Wiedergeburten befreien kann.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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