Sieben Tage voller Wunder - Dani Atkins - E-Book
SONDERANGEBOT

Sieben Tage voller Wunder E-Book

Dani Atkins

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach ihren Bestsellern "Die Achse meiner Welt", "Die Nacht schreibt uns neu" und "Der Klang deines Lächelns" verzaubert Dani Atkins ihre Leserinnen mit einer neuen mitreißenden und außergewöhnlichen Liebes-Geschichte, die einem dem Atem raubt und die Herzen höher schlagen lässt. Beim Check-in hat Hannah ihn zum ersten Mal gesehen: Logan mit den unglaublich grünen Augen. Ist es Schicksal, dass er sich im Flugzeug neben sie setzt, kurz bevor die Maschine wie ein Stein vom Himmel fällt, mitten in Kanadas endlose winterliche Wildnis und das eisige Wasser eines Sees? Wie durch ein Wunder kommen Hannah und Logan mit dem Leben davon, doch die nächsten Tage verlangen ihnen das Äußerste ab, vor allem, als mit jeder Stunde, die vergeht, die Hoffnung auf Rettung schwindet. Wird ihnen gemeinsam gelingen, woran ein Einzelner scheitern muss? Hochemotional und dramatisch - Der neue Liebes-Roman der Bestseller-Autorin Dani Atkins!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 342

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dani Atkins

Sieben Tage voller Wunder

Roman

Aus dem Englischen von Sonja Rebernik-Heidegger

Knaur e-books

Über dieses Buch

Beim Check-in hat Hannah ihn zum ersten Mal gesehen: Logan mit den unglaublich grünen Augen. Ist es Schicksal, dass er sich im Flugzeug neben sie setzt, kurz bevor die Maschine wie ein Stein vom Himmel fällt, mitten in Kanadas endlose winterliche Wildnis und das eisige Wasser eines Sees? Wie durch ein Wunder kommen Hannah und Logan mit dem Leben davon, doch die nächsten Tage verlangen ihnen das Äußerste ab, vor allem, als mit jeder Stunde, die vergeht, die Hoffnung auf Rettung schwindet. Wird ihnen gemeinsam gelingen, woran ein Einzelner scheitern muss?

Inhaltsübersicht

WidmungTag einsTag zweiTag dreiTag vierTag fünfTag sechsTag siebenEpilogLeseprobe »Wohin der Himmel uns führt«
[home]

 

 

 

 

Für meinen Vater, Bert Harris, dessen Leben ein einziges Abenteuer war

[home]

Tag eins

Als wir das erste Mal tatsächlich miteinander sprachen, befanden wir uns in tausend Metern Höhe, und das Flugzeug trudelte bereits außer Kontrolle geraten auf die schneebedeckten kanadischen Berge zu. Bis dahin hatten sich unsere Wege allerdings bereits drei Mal gekreuzt.

 

Er war mir zum ersten Mal aufgefallen, als ich am Flughafen aus dem Taxi stieg. Ich drückte gerade die abgezählten Banknoten in die ausgestreckte Hand meines Taxifahrers, als mein Blick auf einen Mann fiel, der in diesem Moment die Straße überquerte und sich mit seinem großen, teuer wirkenden Koffer mühelos den Weg durch den stetigen Strom ankommender Autos bahnte. Als ich es endlich geschafft hatte, meinen eigenen Koffer auf den Bürgersteig zu wuchten, war der Mann bereits im Inneren des Flughafengebäudes verschwunden.

 

Genau genommen zählte diese Begegnung aber nicht, denn eigentlich hatte ich nur seinen Hinterkopf gesehen – genauer, einen Schopf glänzender, kastanienbrauner, mit Schneeflocken bedeckter Haare. Natürlich waren auch einige Flocken auf meinem Kopf gelandet, doch auf meinen schulterlangen hellblonden Haaren kamen sie weit weniger gut zur Geltung. Ich glaube, das Erste, was mir an ihm auffiel, war seine Größe. Er war mindestens einen Meter neunzig groß, und da ich ebenfalls sehr groß bin (einen Meter und achtundsiebzig Zentimeter, ohne Absätze), hatte ich eine Art inneres Radar entwickelt, das mich ständig nach Männern Ausschau halten ließ, die größer waren als ich. Auch wenn ich mich eigentlich nicht mehr nach anderen Männern umsehen musste, denn immerhin hatte ich ja William. Oder etwa nicht? Die Reise nach Kanada war eigentlich dazu gedacht gewesen, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Doch mittlerweile waren seit meiner tränenreichen Ankunft fünf Wochen vergangen, und ich war kein bisschen schlauer.

 

»Ich wünschte, du müsstest nicht zurück. Ich wünschte, ich könnte dir eine größere Hilfe sein. Und ich wünschte, ich hätte mir nicht diese verdammte Erkältung eingefangen und könnte dich selbst zum Flughafen fahren.«

»Das waren jetzt gleich drei Wünsche auf einmal, Mommy«, erklärte meine bezaubernde vierjährige Nichte, und ich überlegte mir wieder einmal ernsthaft, ob ich sie vielleicht einfach kidnappen und mit nach England nehmen sollte. »Ich wünsche mir, ein Genie zu sein, und dann sorge ich dafür, dass sie sich alle erfüllen.«

»Ich glaube, du meinst, du willst eine Jeannie sein, Liebling«, verbesserte sie ihre Mutter.

Es war schwer, beim Anblick des kleinen Mädchens mit den ernsten blauen Augen nicht loszulachen – sie sah genauso aus wie ihre Mutter, als wir noch Kinder waren und vor unserem Haus in dem kleinen englischen Dorf spielten. Ich beugte mich hinunter, drückte einen Kuss auf ihre weißblonden Locken, die aussahen wie Zuckerwatte, und spürte einen Kloß im Hals, als sie ihre kleinen, pummeligen Arme um meine Beine schlang.

»Danke, Lily, ich glaube, ein Genie ist genau das, was ich jetzt brauche«, flüsterte ich und klang dabei vielleicht ein wenig wehmütiger als beabsichtigt.

»Sag ihm einfach, dass du noch mehr Zeit brauchst«, meinte Kate, die sich ein zerknülltes Taschentuch an ihre deutlich verstopfte Nase drückte. »Immerhin ist er an der Sache schuld, und nicht du. Nimm dir so lange Zeit, wie du brauchst, und lass dich zu nichts drängen.« Sie hielt kurz inne, und mir war klar, dass sie ohne die Anwesenheit ihrer Tochter sehr viel offener gesprochen hätte, denn diese hatte die Angewohnheit, sämtliche Schimpfwörter, die sie aufschnappte, sofort mit ihren Kindergartenfreunden zu teilen. »Du kennst ja meine Meinung, Hannah. Er hat sich wie ein totaler … du weißt schon … verhalten und dich absolut nicht verdient. Du verdienst einen besseren als ihn. Jemanden, der dich ordentlich behandelt.«

Während der vierzigminütigen Fahrt zum Flughafen spukten mir ihre Worte im Kopf herum. Für meine glücklich verheiratete Schwester war es einfach, mir einen derart eindeutigen und zweifellos vernünftigen Ratschlag zu erteilen, doch es war viel schwerer, auch danach zu handeln. Kate hatte Glück gehabt: Sie hatte Stephen, ihren kanadischen Ehemann, kurz nach dem Studium kennengelernt und sich sofort in ihn verliebt. Innerhalb von acht Monaten hatten sie geheiratet, und noch bevor die Hochzeitstorte aufgegessen war, hatten sie bereits einen Flug in Stephens Heimatland gebucht. Allerdings ohne Rückflug.

Mittlerweile war sie beinahe zehn Jahre fort, und seit damals war keine einzige Woche vergangen, in der ich Kate nicht vermisst hätte. Vor allem natürlich dann, wenn mein Leben wieder einmal in einer Krise steckte – und das war, um ehrlich zu sein, ziemlich oft der Fall.

Genau aus diesem Grund war es auch zu diesem jüngsten, unvorhergesehenen und übereilten Transatlantikflug gekommen, denn ich brauchte Trost und Rat und musste endlich Abstand von meinem betrügerischen Freund gewinnen.

Im Flughafengebäude war es warm und hell, und es war erstaunlich viel los. Ich trat widerstrebend aus dem Schwall warmer Luft, den das Gebläse oberhalb der Schiebetüren verströmte, und manövrierte meinen Koffer durch das Getümmel aus Gepäckwagen und Rollkoffern, während ich versuchte, nicht überfahren zu werden und gleichzeitig den Schalter meiner Fluglinie zu finden.

Drei Schalter waren geöffnet, die restlichen zehn waren nicht besetzt. Ich reiste nicht oft, aber während ich am Ende der kürzeren Reihe vor den Economy-Schaltern Aufstellung bezog, fragte ich mich, unter welchen Umständen wohl alle Schalter besetzt waren, und ob es eigentlich jemals dazu kam. Ich warf einen sehnsüchtigen Blick auf die wesentlich kürzere Schlange zu meiner Rechten. Business Class. Es warteten nur drei Passagiere vor dem Schalter, und einer davon war der Mann, den ich bereits am Taxistand gesehen hatte. Wieder war es seine Größe, die mir als Erstes auffiel. Er war über die Köpfe der anderen Passagiere hinweg leicht zu sehen und wartete auf den Check-in für den Abendflug. Plötzlich schaute er in meine Richtung, gerade so, als hätte er gespürt, dass er beobachtet wurde. Natürlich konnte er auf keinen Fall wissen, wer ihn gemustert hatte. Es hätte jeder in unserer Reihe sein können, doch er sah genau in meine Richtung, und unsere Blicke trafen sich. Es war zu spät, um mich abzuwenden und so zu tun, als hätte ich nicht in seine Richtung gestarrt, also lächelte ich höflich, wie zwei Fremde einander nun mal anlächeln. Als Antwort erhielt ich ein sehr viel offeneres Grinsen, das sein Gesicht erstrahlen ließ und seine durchaus attraktiven Züge in etwas verwandelte, das jenes seltsame Gefühl in meinem Magen auslöste, das ich normalerweise nur in Aufzügen verspüre.

Ich war einen Moment lang abgelenkt, so dass ich nicht bemerkte, dass die Passagiere in meiner Reihe sich plötzlich in Bewegung setzten, und der gleichgültige Teenager hinter mir überfuhr mich beinahe mit seinem hochbeladenen Gepäckwagen. Seine gehetzt wirkende Mutter entschuldigte sich eilig und wies ihren Sohn halbherzig zurecht. Der großgewachsene Mann in der Business-Class-Schlange warf mir hingegen einen mitleidsvollen Blick zu, und sein Gesicht verzog sich, als wollte er mich fragen, ob alles in Ordnung sei. Ich nickte und zuckte kurz mit den Schultern, um ihm zu verstehen zu geben, dass es mir gutging und solche Dinge nun mal passierten. Dann wurde unsere kurze, wortlose Unterhaltung jedoch abrupt unterbrochen, denn der Passagier vor ihm war vom Schalter fortgetreten, und der höfliche Mann mit den kastanienbraunen Haaren und den funkelnden grünen Augen wurde aufgerufen.

Vor mir standen immer noch mindestens fünfzehn Leute, und so brauchte ich um einiges länger, bis ich mich endlich in einer Art Slalom bis zum Schalter vorgearbeitet hatte.

»Miss Truman«, begann die etwas erschöpft wirkende Flughafenbedienstete. »Reisen Sie allein?«

Ich nickte und schob ihr meinen Reisepass hin.

Ich reise allein, ich schlafe allein, und vielleicht wohne ich auch bald allein.

Auch auf diese Frage hatte ich noch keine richtige Antwort gefunden. Die Zukunft erschien mir mit einem Mal so düster wie der bedrückend graue Himmel vor dem Flughafengebäude.

»Ja«, antwortete ich, und mir war durchaus bewusst, dass die Frau kaum bis gar kein Interesse an den traurigen und bemitleidenswerten Details meines Privatlebens haben würde. »Ja, ich bin allein«, bestätigte ich. Mein überstürzter Besuch bei Kate war die erste Reise seit beinahe drei Jahren, die ich ohne William unternommen hatte. Aber vielleicht würde ich mich in Zukunft auch daran gewöhnen müssen.

»Es tut mir leid, aber könnten Sie bitte noch einmal wiederholen, was Sie gesagt haben?«, fragte ich verwirrt, als ich erkannte, dass ich der Frau vor mir nicht mehr richtig zugehört hatte. Sie seufzte ungeduldig.

Es tut mir leid, entschuldigte ich mich in Gedanken bei ihr. Seit ich herausgefunden habe, dass mein Freund mich mit einer jungen Praktikantin betrügt, habe ich in etwa die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches. Es tut mir wirklich sehr leid.

Vielleicht zeigte sich etwas von dieser Tragik auf meinem Gesicht, denn die Frau klang plötzlich sehr viel freundlicher, als sie das Gesagte noch einmal wiederholte.

»Bitte behalten Sie die Anzeigetafel im Auge. Es ist möglich, dass einige unserer Flüge aufgrund des herannahenden Sturms verspätet sein werden. Sollte das der Fall sein, muss Ihr Anschlussflug nach London umgebucht werden.«

Ich nahm meinen Reisepass und meine Bordkarte. Es spielte keine Rolle, ob mein Flug Verspätung hatte oder nicht. Ich hatte William nicht gesagt, dass ich bereits heute zurückfliegen würde. Tatsächlich hatte ich es niemandem erzählt – und deshalb würde auch niemand lächelnd am Gate warten, um mich in die Arme zu schließen. Ich versuchte, die albernen Tränen des Selbstmitleids zurückzudrängen, während ich mich vor der Sicherheitskontrolle in die nächste Schlange einreihte.

 

Fünfundzwanzig Minuten später stopfte ich den Inhalt meines gesamten Handgepäcks hastig zurück in meine Tasche. Meine Wangen brannten, während ich meine Habseligkeiten planlos verstaute. Ich hatte die kleine Schachtel am Boden der Tasche nicht gleich erkannt, in die meine Nichte heimlich drei ihrer Lieblingsschokoriegel gelegt hatte. Ich wurde so rot, als hätte ich tatsächlich ein Verbrechen begangen, während mich der Sicherheitsbeamte mit einem argwöhnischen Blick bedachte und noch einmal fragte: »Aber Sie haben doch vorhin angegeben, dass Sie die Tasche selbst eingepackt haben, oder etwa nicht?«

Ich bin mir nicht sicher, ob ich schuldbewusst oder einfach bloß dämlich klang, als ich antwortete: »Ja, natürlich. Es tut mir leid, aber diese Schokoriegel hatte ich vollkommen vergessen. Wie dumm von mir.«

Ich schüttelte immer noch den Kopf über Lilys süße und aufmerksame Geste, als ich in den Aufzug stieg, der in die Abflughalle hochführte – auch wenn mich ihr überraschendes Abschiedsgeschenk arg in Bedrängnis gebracht hatte. Mehrere Menschen betraten noch nach mir den Aufzug, und schließlich wurde ich gegen die hintere Wand der Kabine gedrückt. Ich rückte ein wenig zur Seite, damit mir der dicke, weiche Schal der Frau neben mir nicht mehr ins Gesicht ragte, und plötzlich fiel mein Blick auf den großgewachsenen Mann aus der Business Class, der ebenfalls gerade auf die Aufzüge zueilte. Er sah mich, wie ich eingeklemmt wie in einer Sardinenbüchse in der Liftkabine steckte, und ein freundliches, wiedererkennendes Lächeln erhellte sein Gesicht. Ich spürte ein freudiges Kribbeln und weigerte mich standhaft, auf die leise Stimme zu hören, die immer wieder versuchte, mir William ins Gedächtnis zu rufen. Bloß für den Fall, dass ich vergessen hatte, dass ich keine ungebundene Frau war. Oder vielleicht doch? Wie auch immer, ich tat nichts Verwerfliches. Wir hatten einander bloß unschuldig zugelächelt.

Ich schlich mich immerhin nicht aus der Wohnung, hatte heimliche Verabredungen zum Abendessen und nahm mir für ein paar Stunden ein Hotelzimmer, um mich dort mit jemandem zu vergnügen, der fünfzehn Jahre jünger war als ich. Das war er, nicht ich. Und er war nicht einmal schlau genug gewesen, seine Kreditkartenabrechnung fortzuräumen, damit seine dämliche, vertrauensselige Freundin sie nicht fand. Das war ich.

Der Mann aus der Business Class befand sich immer noch mehrere Meter vom Aufzug entfernt, als eine leise, geschlechtslose Stimme verkündete, dass sich die Türen bald schließen würden.

»Entschuldigung, könnten Sie die Türen bitte noch kurz offen halten?«, fragte ich unvermittelt die vor mir Stehenden und erstaunte dabei mich selbst und meine Mitfahrer gleichermaßen. Die anderen drehten sich zu mir um und bedachten mich mit einem genervten Blick. Vielleicht hatten sie aber auch einfach nur Angst, dass sie alle aussteigen mussten, weil ich den Aufzug noch einmal verlassen wollte. Nichtsdestotrotz drückte jemand den Knopf, um die Türen offen zu halten.

Der Mann hatte den Aufzug mittlerweile fast erreicht, sah mir direkt in die Augen, und es war einfach unglaublich, wie viel man aus seinem Blick ablesen konnte. Ich grinste. Und er grinste zurück.

Doch ehe ich den Menschen kennenlernen konnte, der wohl dazu auserkoren war, mein Leben zu verändern, kreuzte eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm und einem bis obenhin bepackten Gepäckwagen seinen Weg. Ich hörte ein unangenehmes Geräusch, als das andere Kind der Frau auf den harten Fliesenboden aufschlug. Sofort erhob sich verzweifeltes Gebrüll, und die junge Mutter wandte sich um, um ihrem Kind zu helfen, wobei der Gepäckwagen ins Schwanken geriet und sämtliche Koffer hinunterfielen und über den glänzenden Boden schlitterten.

Der Mann hätte einen Schritt zur Seite machen und schnell in den Aufzug hüpfen können. Er hätte die gestresste Frau mit ihren Problemen alleinlassen können. Doch wenn er dies getan hätte, wäre er vermutlich kein Mann gewesen, den ich gern kennengelernt hätte. Selbst wenn sich dieses Kennenlernen bloß auf einen kurzen Flirt auf einem geschäftigen Flughafen beschränkte.

Er warf mir einen bedauernden und entschuldigenden Blick zu, ehe er sich bückte, um die Habseligkeiten der jungen Familie einzusammeln.

»Soll ich die Türen noch länger geöffnet halten, Ma’am?«, fragte ein älterer Herr im vorderen Teil der Aufzugkabine.

»Nein. Ist schon in Ordnung«, antwortete ich und spürte ein leises Bedauern.

Der Mann mit den kastanienbraunen Haaren sah kurz auf, als sich die Türen mit einem Ping schlossen – und womöglich folgte sein Blick der gläsernen Kabine sogar auf ihrem Weg nach oben, bis sie durch die Decke verschwand.

 

Ich war überrascht, wie geschäftig es in der Abflughalle zuging. Ich musste mich durch eine kleine Gruppe Passagiere zwängen, bloß um von den Aufzügen fortzukommen. Ich warf einen Blick auf die Anzeigetafel und sah, dass hinter einigen Flügen bereits das gefürchtete Wort verspätet aufleuchtete, auch wenn der vorhergesagte Sturm noch gar nicht begonnen hatte.

Ich zögerte für einen Moment. Sollte ich auf den lächelnden Mann aus der Business Class warten, oder würde das aufdringlich wirken? Und auch ziemlich verzweifelt, meldete sich die leise Stimme in meinem Hinterkopf erneut zu Wort.

Zugegebenermaßen hatte mein Selbstvertrauen einen schweren Schlag erlitten, nachdem sich William einer jüngeren, frecheren und – soweit ich wusste – auch hübscheren Frau zugewandt hatte. Aber war das wirklich der beste Weg, es wieder stark zu machen? Gleiches mit Gleichem zu vergelten? Das war eigentlich nicht das, was ich wollte.

Ich seufzte und machte mich entschlossen auf den Weg zu den Designerläden direkt vor meiner Nase. Einkaufen war eine sehr viel bessere Therapie. Doch als ich schließlich das Ping hörte, das die Ankunft des nächsten Aufzugs ankündigte, warf ich trotzdem einen Blick über die Schulter auf die Passagiere, die ausstiegen. Er war nicht dabei.

Ich kaufte mir einen wunderschönen Wollschal, den ich mir eigentlich gar nicht leisten konnte, und machte mich dann auf den Weg durch die Sitzreihen, um mir einen freien Platz zu suchen, von dem aus ich die Anzeigentafel im Blick hatte. Ich erkannte dankbar, dass mein Flug pünktlich starten würde – Sturm hin oder her –, und schrieb Kate eine Nachricht, dass ich heil am Flughafen angekommen war. Hoffentlich konnte ich damit ihre Bedenken zerstören, die sie zum Ausdruck gebracht hatte, als sie mich vor meiner Abfahrt umarmte. »Vielleicht solltest du den Rückflug lieber verschieben«, hatte sie vorgeschlagen und einen Blick auf die bedrohlichen Wolken geworfen. »Das ist nicht gerade das beste Wetter, um zu reisen.«

»Ich dachte, die Taxis hier haben alle Schneeketten?«

»Das haben sie auch«, gab sie zögernd zu.

»Und das Flugzeug wird nicht starten, wenn das Wetter zu schlimm ist.«

»Nein, vermutlich nicht.« Doch sie klang nicht gerade glücklich.

Ich drückte sie noch fester. So war es immer, wenn wir uns voneinander verabschiedeten. Eine von uns suchte nach einer Ausrede, um unser Zusammensein zu verlängern und bereits gefasste Reisepläne hinauszuschieben. Dieses Mal war es Kate.

»Ich muss zurück und mich der Sache stellen. Ich muss mein Leben wieder in Ordnung bringen«, flüsterte ich in ihren schicken blonden Bob. »Und wenn es mir nicht gelingt … dann werde ich eine andere Lösung finden.«

»Ruf mich an, wenn du in den Staaten umsteigst. Und auch, wenn du endlich in London bist – egal, wie spät es ist.«

»Mach ich«, versprach ich.

Es war das erste Versprechen meiner Schwester gegenüber, das ich nicht halten würde.

 

Ich ließ mich mit einem Bestseller, den ich auch noch gekauft hatte, auf meinem Platz nieder. Ich weiß nicht, was mich einige Zeit später dazu veranlasste, den Blick zu heben. Das Buch war ziemlich mitreißend, und ich hatte es tatsächlich geschafft, die laute Familie, die sich neben mich gesetzt hatte, auszublenden. Doch plötzlich spürte ich, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Ich hob den Blick, als hätte jemand meinen Namen gerufen. Zunächst sah ich bloß den vertrauten Anblick der geschäftigen Abflughalle mit den vielen Passagieren. Doch dann richtete sich meine Aufmerksamkeit auf den etwa fünfundzwanzig Meter entfernten Coffeeshop.

Es befanden sich etwa hundert Menschen zwischen mir und dem großgewachsenen Mann, doch irgendwie fiel mein Blick sofort auf ihn. Er trat gerade aus der Tür und hielt einen großen Becher Kaffee in der Hand. Plötzlich verharrte er mitten in der Bewegung und sah mir direkt in die Augen. Wir waren zu weit voneinander entfernt, um miteinander sprechen zu können, also hob er bloß eine Hand zum Gruß. Ich erwiderte die Geste und schüttelte lächelnd den Kopf, weil die Situation so absurd war. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich einen alten Freund wiedergesehen, was albern war, da wir noch kein einziges Wort miteinander gesprochen hatten. Ich kannte nicht einmal seinen Namen.

Er sah mir noch immer in die Augen, als er schließlich mit einem Finger auf mich und anschließend auf den Kaffeebecher in seiner Hand deutete. Dann neigte er fragend den Kopf. Kein Pantomime der Welt hätte die Einladung besser formulieren können. Ich lächelte und nickte zustimmend, bevor ich mein Buch zuschlug und aufstand. Ich spürte seinen Blick auf mir, als ich mich über die ausgestreckten Beine der anderen Passagiere hinweg und an kleinen Kindern vorbei bis ans Ende der Sitzreihe durchschlug.

In diesem Moment knackte der Lautsprecher über meinem Kopf, und eine Stimme erhob sich über das Gemurmel Hunderter Menschen. »Achtung, eine Passagierdurchsage. Mr Logan Carter, gebucht auf den Flug der Canadian Airways nach Chicago, wird unverzüglich zum Informationsschalter auf Level eins gebeten.«

Sein Lächeln verblasste. Er zeigte hinauf zu dem Lautsprecher, aus dem die körperlose Stimme gekommen war, dann deutete er auf sich selbst und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Der Aufruf galt ihm. Es sollte wohl so sein, dass wir uns nie richtig kennenlernen konnten.

Seine Lippen formten ein Entschuldigung, und ich sagte: »Ist schon okay«, und hoffte, dass er es über diese Entfernung irgendwie verstand. Gleich darauf schob sich seine großgewachsene Gestalt auf der Suche nach dem Informationsschalter durch die Menge. Ich ließ mich mit einem enttäuschten Seufzen auf einen Stuhl sinken. Aber zumindest kannte ich nun seinen Namen.

Er kam nicht wieder. Die Minuten verrannen, und als schließlich eine halbe Stunde vergangen war, wurde mir klar, dass wir uns vermutlich nie mehr wiedersehen würden. Mittlerweile leuchtete mein Flugsteig auf der Anzeigentafel auf, und ich warf noch einen letzten, bedauernden Blick in die Richtung, in die er verschwunden war, nahm mein Handgepäck und machte mich auf den Weg.

 

Ich hatte den schlimmsten Sitzplatz von allen, eingezwängt zwischen einem stämmigen Mann, der bereits die Armlehne für sich beansprucht hatte und keine Anstalten machte, sie zu teilen, und einer Mutter mit einem quengeligen Kleinkind. Die nächsten dreieinhalb Stunden würden also alles andere als angenehm werden.

Ich zwängte mich an dem Mann vorbei auf meinen Sitz und versuchte, meine langen Beine vor mir unterzubringen, obwohl der Platz gerade groß genug schien für einen Hobbit. Mein Platz befand sich drei Reihen hinter dem Einstieg, durch den in diesem Moment die letzten Passagiere an Bord kamen. Ich stand gerade noch einmal auf, um mein Handgepäck in dem Fach über meinem Kopf zu verstauen, als mein Blick an dem Trennvorhang vorbei auf einen Mann fiel, der nach links in die Business Class geführt wurde. Ich war mir ziemlich sicher, dass dieser Mann kastanienbraune Haare hatte, und wenn er sich umgedreht hätte, hätte ich direkt in seine fesselnden grünen Augen geblickt.

Ich lächelte immer noch, als ich schließlich meinen Sicherheitsgurt schloss.

 

Wir standen ewig auf dem Rollfeld. Lange nachdem auch der letzte Passagier seinen Platz eingenommen hatte, befand sich das Flugzeug noch immer am Boden, und die Technikcrew führte – dick eingepackt wie Nordpolforscher – Arbeiten an der Außenhaut durch. Der Kapitän versicherte uns zwar, dass wir bald starten würden, aber der Schneefall wurde immer dichter und ein Abflug wirkte immer unwahrscheinlicher.

Erschwerend kam noch hinzu, dass der kleine Junge neben mir jedes Mal wie ein kleines Äffchen zu brüllen begann, wenn ich versuchte, einen Blick aus dem ovalen Fenster neben ihm zu werfen, das direkt auf die Tragfläche des Flugzeuges hinausführte.

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich seine Mutter, während sie versuchte, seine klebrigen Finger zu lösen, mit denen er eine dicke Strähne meiner Haare umklammert hielt. »Er fliegt einfach nicht gern.«

»Das kann ich verstehen«, erwiderte ich mitleidig und lehnte mich wieder zurück, wobei ich zuließ, dass der Kleine einige meiner Haare um seine pummeligen Finger wickelte.

Endlich erklang erneut die Stimme des Kapitäns. »Okay, Leute. Tut mir leid wegen der Verspätung. Aber diejenigen auf den Fensterplätzen haben vermutlich gesehen, dass das Flugzeug zuerst noch von Eis und Schnee befreit werden musste. Wir sind nun bereit zum Abflug. Die Luftschichten in Bodennähe sind ein wenig instabil, aber wir werden unser Bestes geben, um sie so schnell wie möglich hinter uns zu bringen und auch die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Kabinencrew – bereit machen zum Abflug.«

»O Gott«, murmelte die junge Frau neben mir. »Ich hoffe, es wird nicht zu turbulent, sonst muss Marcus sich wieder übergeben.«

»Und ich mich auch«, ergänzte der stämmige Mann auf meiner anderen Seite. Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und versuchte mit aller Kraft, so zu tun, als sei ich weit, weit fort.

Während des Starts kommt jedes Mal ein Moment, in dem ich mich plötzlich daran erinnere, dass ich eigentlich nicht gern fliege. Normalerweise greife ich dann nach Williams Hand, der meine daraufhin fest drückt. Doch an jenem Abend war das anders. Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, wo sich Williams Hände gerade befanden und wen sie gerade drückten. Mich jedenfalls nicht.

Das Flugzeug raste die Startbahn entlang, um Geschwindigkeit für den Abflug aufzunehmen, und ich versuchte, sämtliche Zeitungsartikel zu vergessen, die ich jemals über Flugzeuge gelesen hatte, deren vereiste Triebwerke versagt hatten oder an denen irgendwelche anderen Teile vereist gewesen waren, die das Flugzeug eigentlich in der Luft hätten halten sollen. Das ist der Nachteil, wenn man über ein fotografisches Gedächtnis verfügt: Ich erinnerte mich an Dinge, die ich lieber vergessen hätte, während wir mit hundert Sachen durch den Schneefall rasten – auch wenn mir meine Fähigkeit einen Abschluss an einer äußerst renommierten Universität eingebracht hatte, weshalb sie wohl auch Vorteile besaß.

Anstatt mir also über das unglaubliche Phänomen Gedanken zu machen, dass ein Flugzeug überhaupt in der Luft bleibt und warum dem eigentlich so ist – bloß weil ich ein außerordentliches Gedächtnis habe, heißt das nicht, dass ich superintelligent bin –, beschloss ich, an weniger verstörende Dinge zu denken. Und kaum überraschend kam mir dabei als Erstes der Passagier in den Sinn, dem ich an diesem Tag bereits drei Mal beinahe über den Weg gelaufen wäre. Der Mann, der nun etwa zwanzig Meter vor mir saß, in der Business Class, wo er seine Beine vermutlich nicht gegen den Vordersitz pressen musste, wie es bei mir der Fall war, und dessen Sitznachbar weit genug entfernt saß, dass er keine ernsthafte Bedrohung darstellte, falls der Flug so turbulent werden sollte, wie es der Kapitän angekündigt hatte.

Und das wurde er tatsächlich. Dass der Kapitän von »instabilen Luftschichten« gesprochen hatte, war eine maßlose Untertreibung gewesen. Noch bevor das Fahrwerk den Kontakt zum Boden verloren hatte, traf uns der Wind von der Seite, so dass ein Ruck durch das gesamte Flugzeug ging. Und es wurde auch nicht besser, als wir schließlich in der Luft waren. Anstatt sanft in die Höhe zu steigen, so dass man sich maximal Sorgen über den Druck in den Ohren machen musste, wurden wir wie wild durchgeschüttelt, und jedes Rütteln wurde von einem Chor besorgter Schreie begleitet.

Es dauerte vermutlich nicht länger als zwei Minuten, doch unser Flug durch die Wolken fühlte sich an wie ein Ritt auf einem wildgewordenen Rodeo-Pferd, das sich in den Kopf gesetzt hat, seinen Reiter abzuwerfen. Mehrere Gepäckfächer sprangen auf, und die darin enthaltenen Handgepäckstücke purzelten auf die Köpfe der Unglücklichen, die direkt darunter saßen.

Ich öffnete die Augen – ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich sie panisch geschlossen hatte – und warf einen Blick auf die beiden Stewardessen in ihren Crew-Sitzen. Auch wenn sie die Sicherheitsgurte umgelegt hatten und sich mit den Händen an den Sitzen festklammerten, führten sie noch immer eine relativ normale Unterhaltung und wirkten nicht ernsthaft besorgt. Ich beschloss, dass das ein gutes Zeichen war. Hätten diese beiden ängstlich gewirkt, wäre es wohl langsam an der Zeit gewesen, in Panik zu geraten.

Dann schien es plötzlich, als hätte unser Flugzeug eine Art Membran durchstoßen, denn mit einem Mal war das Rütteln vorbei, und wir glitten ruhig durch die Luft. Spontaner Applaus brandete auf, und ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich mit einstimmte.

 

Ich hätte nie von selbst um einen anderen Sitzplatz gebeten. Ich weiß nicht, ob Briten von Natur aus zurückhaltend sind und kein Aufhebens machen wollen oder ob es nur auf mich zutrifft.

Glücklicherweise musste ich mich auch gar nicht beschweren, denn die Stewardess mit dem Getränkewagen hatte wohl von selbst gesehen, dass mein Sitznachbar mir mehr oder weniger keinen Platz für meine Beine ließ. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass sich das Tischchen vor mir schmerzhaft in meine einklemmten Knie bohrte, als sie es herunterklappte, um mein Getränk darauf abzustellen. Oder aber der Umstand, dass sie sich sehr nahe zu mir beugen musste, um meine Bestellung zu verstehen, weil der kleine Junge neben mir sich gerade so lautstark über das Fliegen im Allgemeinen beschwerte, wie es nur ein Zweijähriger zustande brachte.

Die Stewardess überreichte meinem Sitznachbarn den doppelten Scotch und die beiden Extrabeutel Erdnüsse, nach denen er verlangt hatte, doch bevor sie sich den Passagieren auf der anderen Seite des Mittelganges zuwandte, berührte sie sanft meine Schulter und beugte sich abermals so weit zu mir vor, dass nur ich sie verstehen konnte.

»Geben Sie mir fünf Minuten, ich schaue, ob ich Ihnen vielleicht einen anderen Platz anbieten kann«, versprach sie. Sie hielt ihr Wort, denn bevor sie sich wieder mit ihrem Getränkewagen auf den Weg machte, sprach sie kurz mit einem Steward, der einen Blick in meine Richtung warf, nickte und davoneilte. Weniger als zehn Minuten später war er zurück und half mir, mein Handgepäck aus dem Gepäckfach zu holen.

»Entschuldigen Sie, aber werden Sie etwa höhergestuft?«, fragte mein Sitznachbar. Ich zögerte, denn ich wusste nicht, was ich antworten sollte, und ich versuchte gleichzeitig, aufgrund dieser Aussicht nicht allzu aufgeregt zu wirken. Durfte ich wirklich in die Business Class umziehen? »Denn wenn das der Fall ist, möchte ich anmerken, dass ich hier auch sehr wenig Platz habe, und –«, fuhr der stämmige Mann fort, der sich offensichtlich in den Kopf gesetzt hatte, in meiner Nähe zu bleiben.

»Nein, tut mir leid, Sir«, unterbrach ihn mein Retter. »Die Business Class ist vollkommen ausgebucht.« Er warf einen Blick auf die Erdnüsse, die auf dem Tischchen des Mannes verstreut lagen. »Die junge Dame bekommt bloß einen anderen Platz. Nussallergie«, fügte er lapidar hinzu, bevor er meinen Ellbogen nahm und mich davonführte.

»Vielen herzlichen Dank«, sagte ich dankbar, als er mich an der kleinen Bordküche vorbei in einen weiteren Gang im hinteren Bereich des Flugzeuges führte. Ich versuchte, einen schnellen Blick durch den Vorhang zu werfen, hinter dem die Business Class lag, doch ärgerlicherweise war er dicht zugezogen.

Der Steward führte mich an vollbesetzten Reihen vorbei, bis wir schließlich das hintere Ende des Flugzeuges erreicht hatten, wo sich drei vollkommen leere Sitzreihen befanden. Er gab mir mein Handgepäck und meinen Mantel und deutete mit der Hand auf die freien Plätze.

»Suchen Sie sich einen aus«, meinte er lächelnd.

Ich sah mich überrascht um. »Aber ich dachte, der Flug sei ausgebucht? Ich hatte Glück, überhaupt noch einen Platz zu bekommen.«

»Stimmt, wir waren auch ausgebucht«, bestätigte er. »Diese Plätze hier waren für eine Schulklasse gedacht, die zum Skifahren unterwegs war. Aber sie haben aufgrund des schlechten Wetters den Flug verpasst«, erklärte er. »Sie hatten einfach Pech.«

Ich bin mir sicher, dass die Eltern der Kinder ihm schon weniger als eine Stunde später nicht mehr zugestimmt hätten.

Ich entschied mich für einen Fensterplatz, doch gerade als ich mich setzte, wurde das Flugzeug erneut von einer Sturmbö getroffen. Über meinem Kopf leuchteten die Lämpchen auf, die alle Passagiere aufforderten, ihre Sicherheitsgurte anzulegen, und der Steward überprüfte, ob ich ordnungsgemäß angeschnallt war, bevor er entschuldigend sagte: »Es wäre wohl besser, Sie bleiben angeschnallt. Ich nehme an, der Flug wird noch ziemlich turbulent.«

Er hatte ja keine Ahnung.

Ich zog mein Buch heraus, doch das Flugzeug ruckelte so stark, dass es beinahe unmöglich war, zu lesen, und schließlich legte ich es beiseite, bevor mir noch übel wurde. Immer wieder warf ich nervöse Blicke aus dem kleinen ovalen Fenster hinaus in den Sturm, der uns auf unserer Reise begleitete. Die wirbelnden Schneeflocken gaben mir das Gefühl, mich in einer riesigen Schneekugel zu befinden, die gerade jemand ordentlich durchgerüttelt hatte.

Mittlerweile war es beinahe Mitternacht, und auch wenn der Flug alles andere als ruhig war und die Triebwerke des Flugzeuges dröhnten, spürte ich, wie meine Lider langsam schwer wurden, und lehnte den Kopf zurück.

Vielleicht schlief ich sogar kurz ein, bevor es losging, doch danach war an Schlaf nicht mehr zu denken.

Es gab keine Vorwarnung, dass wir uns in ernsthaften Schwierigkeiten befanden, und es war auch keine Zeit, um sich an die Situation zu gewöhnen oder sich über den unwahrscheinlichen Fall Gedanken zu machen, dass wir womöglich bald eine Flugzeugkatastrophe erleben würden.

Es begann mit einem ohrenbetäubenden Krachen, das das ganze Flugzeug vibrieren ließ und sogar noch die Schreckensschreie der Passagiere übertönte. Die Lichter in der Kabine flackerten, gingen aus und wieder an, und in diesem Moment wusste jeder, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Man musste kein Flugexperte sein, um das zu erkennen.

Ein lautes Brüllen drang aus dem Bauch der Maschine und ersetzte das Brummen der Triebwerke. Es klang wie das verzweifelte Heulen eines ziemlich verärgerten, blutrünstigen Tieres.

Dann ging ein Ruck durch das Flugzeug, das plötzlich an Höhe verlor und mit der Nase voran auf die schneebedeckten Berge unter uns zuraste. Ich packte die Armlehnen und stemmte die Beine in den Boden. Schreie drangen durch die Kabine, und manche Passagiere erinnerten sich an längst vergessene Gebete und verliehen ihrem vermutlich spontan wiedererwachten Glauben an Gott Ausdruck.

Der Sturzflug dauerte nur einige furchteinflößende Sekunden, bevor die Piloten das Flugzeug wieder unter Kontrolle hatten und geraderichteten. Ich glaube allerdings nicht, dass irgendjemand tatsächlich dachte, die Gefahr sei vorüber. Da ich einsam und allein im hinteren Teil saß, sah ich meine Mitpassagiere zwar nicht, doch sie waren nicht zu überhören. Schließlich drang die Stimme des Kapitäns aus den Lautsprechern, doch sie klang nicht im Geringsten wie die des Mannes, der uns zuvor noch vor »instabilen Luftmassen« gewarnt hatte. Ein einstimmiges Psst erklang, ehe die Passagiere versuchten, den Worten des Kapitäns zu folgen und einen Sinn darin zu erkennen. Ich selbst bekam nur einen Bruchteil seiner Durchsage mit, denn mittlerweile hatte schiere Panik von mir Besitz ergriffen. Die Wortfetzen, die ich verstand, waren furchteinflößend genug und klangen wie aus einem Alptraum: »… Fehler … Elektrik … Systemfehlfunktion … umkehren … Notlandung …« Ich setzte die fehlenden Wörter in die Lücken ein, und das Bild, das sich dann ergab, raubte mir den Atem.

Ich richtete mich so weit es ging in meinem Sitz auf, schaute nach vorn und erkannte, was die Worte des Kapitäns angerichtet hatten. Paare saßen engumschlungen da, einige weinten und versuchten, ein Leben voller »Ich liebe dich« in die wenigen Momente zu stopfen, die uns vielleicht noch blieben. Die Stewardessen eilten die Gänge entlang und setzten das antrainierte Notfallprogramm um, von dem sie sicher gehofft hatten, es nie zu benötigen. Verzweifelte Passagiere packten sie im Vorbeilaufen an den Händen und baten um Antworten, die ihnen niemand geben konnte. Werden wir abstürzen? Es schien eine sinnlose Frage zu sein.

Ich warf einen Blick auf die leeren Sitzreihen um mich herum, und plötzlich tat es mir leid, dass ich versetzt worden war. Ich hockte allein und vergessen im hintersten Winkel des Flugzeuges. Bis ich plötzlich nicht mehr allein war.

»Da sind Sie ja«, erklang eine warme Stimme, und es war deutlich zu hören, dass ihr Besitzer lächelte.

Ich hob den Blick und sah Logan Carter, den Mann aus der Business Class, neben meiner Sitzreihe stehen. In diesem Moment schoss mein früherer Sitznachbar in einer Geschwindigkeit an ihm vorbei, die man einem Mann von seiner Statur gar nicht zugetraut hätte. Er war offensichtlich auf dem Weg zur Toilette.

»Gehen Sie sofort zurück und schnallen Sie sich an!«, donnerte die Stimme des Stewards durch die Kabine. Vermutlich meinte er beide Männer. Logan Carter wirkte ein wenig beschämt und glitt auf den Sitzplatz neben mir. »Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich mich zu Ihnen geselle, oder?«

»Ich … ich … was machen Sie hier?«, fragte ich stotternd, während er an die Seite des Sitzes griff, um sich anzuschnallen. Ich sah, wie er einen Blick auf meinen Sicherheitsgurt warf, vielleicht wollte er prüfen, ob er ordnungsgemäß verschlossen war.

»Na ja, ich wollte Sie doch auf einen Kaffee einladen«, erklärte er ungezwungen, doch dann legte er seine Hand auf meine, die noch immer die Lehne umklammert hielt, und diese Geste widersprach seinem lockeren Tonfall.

»Wie bitte? Kaffee?«, wiederholte ich verwirrt. Ich war so verängstigt, dass ich nicht verstand, was er von mir wollte.

»Ich wusste, dass wir im selben Flugzeug sitzen und dass Sie allein reisen«, erklärte er, und seine Augen waren aus der Nähe betrachtet noch grüner und intensiver. Sie hielten meinen Blick gefangen und schafften es auf unerklärliche Weise, mich selbst in diesem Moment, in dem ich vor Angst wie gelähmt war, zu beruhigen. »Ich dachte, dass keiner von uns in einer solchen Situation allein sein sollte, also habe ich mich auf die Suche nach Ihnen begeben.«

Ich starrte in sein freundliches, mitfühlendes Gesicht und sah nur die Sorge um mich, die dieser vollkommen Fremde hegte, und keine Spur der Angst, die er doch sicher auch verspürte.

»Und als ich Sie nicht gleich fand, begann ich ehrlich gesagt zu hoffen, dass Sie den Flug doch nicht genommen haben.«

Etwas von der Angst, die mir die Kehle zuschnürte, verflüchtigte sich, und ich schaffte es tatsächlich, ihm zu antworten. »Ich wünschte, es wäre so.«

Er nickte ernst und drückte sanft meine Hand, bevor er sie losließ.

»Es tut mir leid, dass Sie hier sind. Aber ich bin froh, dass ich Sie gefunden habe. Ich heiße übrigens Logan.« Er drehte sich in seinem Sitz zu mir herum und streckte mir die Hand entgegen, als wären wir einander auf einer Cocktailparty vorgestellt worden. Es war ein unwirklicher Moment, und ich brauchte einige Augenblicke, um genügend Kraft zu finden, meine Hand von der Armstütze zu heben und sie ihm zu reichen.

»Hannah. Hannah Truman«, erwiderte ich, und seine Berührung wirkte seltsam beruhigend.

Er senkte unsere ineinander verschlungenen Hände, so dass sie schließlich neben meinen Beinen lagen.

Die Ruhe, die er unbewusst vermittelte, war sofort dahin, als wir plötzlich von einer Stewardess unterbrochen wurden. Sie hielt einen riesigen schwarzen Müllsack in der Hand.

Sie sammeln den Müll ein? Ausgerechnet jetzt?, fragte ich mich.

»Haben Sie spitze Gegenstände bei sich?«, fragte die Frau ohne weitere Einleitung.

»Wie bitte? Nein, nichts«, antwortete ich benommen und überlegte, wie lange es Passagieren wohl schon verboten war, spitze Gegenstände mit an Bord zu nehmen.

»Stöckelschuhe?«, fuhr mich die Frau an, ehe sie einen Blick auf meine bequemen Turnschuhe warf, die ich immer trug, wenn ich unterwegs war. Ich schüttelte den Kopf. »Eine Brille? Kontaktlinsen? Broschen oder sonstige Nadeln?« Mittlerweile machte sie mir wirklich Angst. Nicht, weil sie mir solche Fragen stellte, sondern weil ich die Panik in ihrem Gesicht sah. Das wollte ich auf keinen Fall sehen: eine Stewardess, die Angst hatte.

»Was ist mit denen da?«, fragte sie und deutete auf mein Gesicht. Ich sah sie verständnislos an.

»Ihre Ohrringe«, erwiderte Logan sanft. »Sie will, dass Sie Ihre Ohrringe abnehmen.« Er ließ meine Hand los, damit ich sie lösen konnte. Kate hatte sie mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt und ich hätte sie gern behalten, doch die Stewardess riss sie mir aus der Hand und warf sie in den schwarzen Sack, wo sie sich zu hochhackigen Schuhen, Mobiltelefonen, elektronischen Geräten und Hunderten anderen Dingen gesellten, von denen die Fluggesellschaft offensichtlich dachte, sie könnten uns während eines Absturzes Schaden zufügen. Obwohl ich persönlich der Meinung war, dass ein Flugzeug, das mit über zweihundert Sachen die Stunde auf dem Boden aufprallte, deutlich mehr Schaden anrichtete.

Logan hatte keine Gegenstände bei sich, die ihn womöglich hätten aufspießen können, und nachdem die Stewardess einen schnellen Blick auf die leeren Reihen geworfen hatte, stellte sie eine letzte Frage: »Kommen Sie hier hinten zurecht? Oder wollen Sie lieber weiter nach vorn?« Ich warf einen Blick auf Logan, dessen Augen mir zu verstehen gaben, dass die Entscheidung allein bei mir lag. »Nein. Ich möchte hierbleiben.« Die Stewardess nickte knapp und war in Gedanken offensichtlich bereits bei ihrer nächsten Aufgabe.

Sie riss die Toilettentür auf, warf den schwarzen, gefährlichen Sack hinein und schloss sie wieder. »Folgen Sie bitte unbedingt den Anweisungen«, sagte sie im Davongehen. »Wenn wir sagen: ›Körper anspannen‹, dann stellen Sie sicher, dass Sie es sofort tun.«

Meine Kehle war plötzlich so zugeschnürt, dass ich nichts erwidern konnte, weshalb ich bloß mit Tränen in den Augen nickte.

»Ja, machen wir«, versicherte Logan ihr mit ruhiger Stimme.

Ich wartete, bis sie gegangen war, ehe ich mich an ihn wandte. Ich war mir durchaus bewusst, dass mir Tränen über die Wangen kullerten. Als ich in dieses Flugzeug stieg, war ich mir über meine Zukunft vollkommen im Unklaren gewesen, doch jetzt wurde mir allmählich bewusst, dass diese letzten Momente vielleicht die ganze Zukunft waren, die mir überhaupt noch vergönnt war. Logan zog ein sorgfältig gefaltetes Stofftaschentuch hervor und reichte es mir. Ich sah darauf hinunter und hatte keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte, also hob er sanft mein Kinn und tupfte mir die Augenwinkel trocken.

Seine Stimme war nur ein Flüstern. »Wir werden das hier durchstehen, Hannah. Sie müssen ganz fest daran glauben.« Es war ein Schwur, ein Versprechen, eine Oase mitten in der Wüste.

Ich nahm das Tuch, tupfte meine Wangen trocken und schneuzte mich auch noch, bevor ich es einsteckte. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er es wiederhaben wollte.

»Wir werden es nicht zurück zum Flughafen schaffen, oder?«

Ich sah, wie er zögerte und einen Moment lang überlegte, ob er mich anlügen und mir sagen sollte, was ich hören wollte. Doch wenn die Zeit davonläuft, hat man auch keine Zeit mehr, um zu lügen.

»Nein, ich glaube nicht.«

Er beugte sich an mir vorbei zum Fenster, und ich folgte seinem Blick und erkannte zum ersten Mal, wie viel tiefer wir mittlerweile flogen. Ich konnte sogar die scharfen Umrisse der Berge unter uns ausmachen.

Logan richtete sich wieder auf und sah mich traurig und bedauernd an. »Ich hätte diese verdammte Durchsage ignorieren und Sie auf einen Kaffee einladen sollen. Ich finde es schrecklich, dass ich Sie auf diese Art und Weise kennengelernt habe.« Er hielt für einen kurzen Moment inne, bevor er fortfuhr: »Die Geschichte ist so schrecklich, die können wir nicht unseren Enkelkindern erzählen.«

Seine Worte hatten den gewünschten Effekt. Ich wandte mich vom Fenster ab und warf ihm einen erstaunten Blick zu. »Enkelkinder? Wir werden einmal Enkelkinder haben?«

Er lächelte und war offensichtlich froh, dass ich bereit war, bei seinem kleinen Spiel mitzuspielen, das uns ein wenig ablenken würde. »Aber natürlich! Ich wollte schon immer eine große Familie haben. Was ist los? Mögen Sie keine Kinder?«