SIGNALE - Georg Vetten - E-Book

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Georg Vetten

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Beschreibung

Die spannende Aussteigergeschichte vor dem Hintergrund der glitzernden Medienwelt, setzt sich mit dem Leben von Männer auseinander, die die 40 überschritten haben und plötzlich feststellen: 'Wir haben nur noch zehn bis 15 gute Jahre.' Die Management- und Medienwelt bestimmen das Leben von Tom, Chef einer PR- und Management-Agentur, 24/7! Doch Anfang 40 stößt er sich zunehmend an der Oberflächlichkeit dieser Scheinwelt. Auf einer Medienparty kommt es zu einem Konflikt mit einer mysteriösen Unbekannten. Die Begegnung bringt den erfolgreichen Medienmanager aus dem Tritt. Wenig später kommt es zu einem weiteren, einschneidenden Erlebnis, dessen Ausgang Tom beinahe mit dem Leben bezahlen muss. Der Romanheld wird aus seiner Umlaufbahn katapultiert. Der Zyniker wird zum Suchenden. Es verschlägt ihn in eine vollkommen andere Welt. Der Gehetzte wird zum Chiller am Mittelmeer. Wird er dort sein Glück finden? Die Struktur des Romans ist eine klassische Dreiteilung. Der Autor arbeitet mit einer lebhaften Bildsprache, Metaphern gehören zu seinen Stilmitteln. Männern um die 40 sollte die Gefühls- und Gedankenwelt des Romanhelden vertraut sein - für weibliche Leser öffnet sich ein spannendes Fenster ... Im Stil des klassischen Roadmovies treibt der Autor seinen Helden: Temporeich. Packend. Erotisch.

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SIGNALE - Die Scheinwelt und der Fluss

Titel SeitePROLOGDie ScheinweltDer FlussDas Tal der SchmetterlingeEPILOG

Roman

Georg Vetten

SIGNALE

Die Scheinwelt und der Fluss

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

„SIGNALE – Die Scheinwelt und der Fluss“

Layout, Satz: Georg Vetten

Covermotiv: Georg Vetten

Autorenfoto: privat

Autor und Verlag haben dieses Buch sorgfältig geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Autor schriftlich genehmigt werden. Dieser Roman ist rein fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht gewollt!

SIGNALE – Die Scheinwelt und der Flusserschien 2007 imReichardt Verlagund ist mittlerweile vergriffen. Mit dieser Ausgabe liegt nun eine leicht überarbeitete Fassung vor.

Die Aussteigergeschichte setzt sich mit dem Leben von Männer auseinander, die die 40 überschritten haben und feststellen: ‚Wir haben nur noch zehn bis 15 gute Jahre.‘

Männern sollte die Gefühls- und Gedankenwelt des Romanhelden vertraut sein - für weibliche Leser öffnet sich ein spannendes Fenster ...

INHALT

Die Schlagzeilen des Tages. Nörgelnde Künstler. Konferenzen. TV-Produktionen. Medienevents. Das ist die Welt, mit der Tom, Chef einer PR- und Management-Agentur, sich täglich herumzuschlagen hat.

Im Auftrag seiner Kunden erhöht er den Bekanntheitsgrad von Fernsehsendungen. Er setzt Trends und etabliert Stars, indem er die Frequenz der bundesweiten Schlagzeilen hochhält. Tom ist erfolgreich, die Agentur ist sein Leben. Ein Leben am Limit: Twenty Four Seven! Die Grenzen zwischen Privatleben und Job sind längst verschwommen. Doch Anfang vierzig stößt er sich zunehmend an der Schnelllebigkeit des Business, an der Oberflächlichkeit dieser Scheinwelt. Das Leben als Single. Ausufernde Business-Termine. Affären und durchzechte Nächte mit Freunden, setzen seinem Körper zudem mächtig zu. Der Drang den Teufelskreis zu durchbrechen, gewinnt Oberhand. Die Begegnung mit einer mysteriösen Unbekannten scheint ihn schließlich aus der Bahn zu werfen. Der Zyniker wird zum Suchenden. Sein Leben steht Kopf. Tom scheint sich zu verlieren. Doch ein einschneidendes Schlüsselerlebnis signalisiert ihm schließlich, die Weichen neu zu stellen. Die Brücken hinter sich abzubrechen. Es verschlägt ihn in eine vollkommen andere Welt. In eine neue Geschichte. Wird Tom dort sein Glück machen? Kann er die Signale deuten? Wird der Suchende seine Liebe finden?

Im Stil des klassischen Roadmovies treibt der Autor seinen Romanhelden: Temporeich. Packend. Erotisch.

PROLOG

Es gab sie also tatsächlich, die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär. Zugegeben, eine stark überzeichnete Metapher. Der Job beim Fernsehen war der Einstieg gewesen. Klar, dass du dich irgendwann nicht mehr mit den Jungs der Band getroffen hast:

Keine Zeit!

Die Dinge entwickelten sich in rasender Geschwindigkeit. Es war Goldgräberstimmung und es ging aufwärts. Du warst Pressechef von PR-Agenturen, Pressesprecher von Fernsehsendern, Künstlermanager und Agent.

Ja, heute bist du fett drin, Alter. Doch bist du glücklich? Sei ehrlich! Wann hast du das letzte Mal deinem eigenen Spiegelbild zugelächelt? Und wann hast du dich zum letzten Mal frei gefühlt? Hin und wieder vermisst du den Dreck der Proberäume und den abgegriffenen Hals deiner Fender. Selten, aber ab und an, triffst du einen der Jungs von früher, zumeist Kai. Mit Ausnahme von Ritchi macht niemand mehr Musik.Hey Tom, zu viel Aftershowpartys gefeiert?Sieht so deine Selbstverwirklichung aus?feixen sie.

Selbstverwirklichung? Was heißt das? So zu leben, wie die Figuren, die sich heute mit deinen Beiträgen aus der Künstlersozialkasse über Wasser halten? Die drei Mal im Monat ihr Ausdruckstheater vor fünf nicht zahlenden Zuschauern aufführen und sich dabei frei fühlen? Du weißt, das Business bedeutet Kampf! Du weißt, du bist ein Macher! Mit ganzer Seele! Doch was produzierst du? Sei ehrlich, die One-Hit-Wonder, die du aufbaust, kotzen dich an! Die Reproduktion von Stereotypen hängt dir zum Hals raus.

Was ist los, Alter?hatte ich am frühen Morgen mein Spiegelbild befragt: Keine Lust mehr Luftblasen und Lügen zu verkaufen? Macht es Sinn, die Kids vor die Glotze zu locken, damit sie schwachsinnige Vorabend-Soaps und die dazugehörige Werbung konsumieren? Oder noch schlimmer, sie dahin gehend zu manipulieren, sich billige Popsongs zu kaufen und den dazu gehörigen Starschnitt? Ja, heute hievst du ausdrucksarme Kids mit einstudierten Tanzschritten in die Charts!Alter, hast du alles verraten, was dir heilig war? Den eigenen Ausdruck, die Anarchie, den freien Gedanken?Hey!Ich hatte mit ausgestrecktem Zeigefinger und mit entnervter Miene meinem Spiegelbild gedroht:Alter, was soll das? Midlife-Crisis? Anfang 40 bist du das Rückgrat der Gesellschaft. Die Angestellten wollen ihre Kohle und der Staat die Steuern. Und es läuft doch, was willst du überhaupt? Du treibst sie nicht in den Krieg, du verkaufst niemandem Drogen und du lieferst sie auch nicht ans Messer, wie manch einer dieser durchgeknallten Redakteure, die Tag für Tag die Wahrheit verdrehen:Hey, das ist doch ne tolle Geschichte, das wollen die Leute lesen. Und du weißt doch, wenn es in unserem Blatt steht...

Du kannst das alles nicht mehr hören! Die latent vorhandene Wut kocht zunehmend hoch. Und jetzt, gerade in diesem Moment, trifft sie dich mit voller Wucht. Du wirfst einen Blick über die Schulter. Das hier, diese miese Medienparty, macht dich depressiv. Oberflächlich zappelnden Schickimickis auf Aftershowpartys und Premierenfeiern rauben dir den letzten Nerv. Hau mir ab mit diesen selbst verliebten Karrieristen, mit dieser Ansammlung von Schwuchteln. Ellbogen raus! Ohne nachzudenken, ohne den Sinn zu hinterfragen – Hauptsache nach oben, auf der Karriereleiter.

Du kannst sie nicht mehr sehen, diese genormten Titten und Ärsche, diese immer gleich toupierten Muschis (die Schlimmsten sind die mit Arschgeweih und Piercings in den Schamlippen) ... Da könntest du Geschichten erzählen – doch dazu vielleicht später.

Wir fabrizieren doch alle die gleiche Scheiße! Der Kaufmann, die Laborantin, der Taxifahrer, der Autobauer und der Star. ALLE! Wir lassen uns von den Politikern verarschen. Wir sehen blind zu, wie die ganze Kiste hier gegen die Wand gefahren wird. Wir sind Beifahrer und schauen zu, wie die Erde zum Schrottplatz verkommt.

Doch das, was hier gerade läuft, nervt extrem! Du spürst, wie sich die Kleine von hinten an dir reibt. Du holst aus und katapultierst sie mit einem kräftigen Stoß und wutschnaubend in dieses beschissene Buffet:

The Show must go on!

DIE SCHEINWELT

Ich spürte die Blicke der anderen Gäste. Was war in mich gefahren? Jedenfalls hatte ich die Aufmerksamkeit der gesamten Mischpoke auf mich gezogen. Sechs, sieben Knipser schmissen sich sogleich in die Szene und erfassten das Chaos eines zertrümmerten Buffets. Währenddessen richteten die TV-Teams ihre Kameras auf die hysterisch kreischenden Ladys. Vorspeisensoßen, Trüffel und Kaviar tropften von spärlichen Abendgarderoben. Und in der Dekoration lag dieses Mädel. Bei ihrem Anblick überkam mich um ein Haar so etwas wie Mitleid. Sie lag dort, alle Viere von sich gestreckt, und versuchte verzweifelt auf die Beine zu kommen. Sie trug einen kurzen Rock und ihre Oberschenkel waren mit Himbeersoße verschmiert. Irgendwie appetitlich. Genauso wie die Brust, die sich aus dem Dekolleté befreit hatte und von einem ausgewachsenen Lachs nur unzureichend verdeckt wurde. Gerade versuchten, flinke Kellner das Chaos in den Griff zu bekommen, als Axel, Medienpartymacher No.3, im Eilschritt auf mich zu steuerte:

                    »Tom, was ist passiert? Was ist denn bloß in dich gefahren? Komm mit!«

Er zog mich Backstage und warf mir immer wieder besorgte Blicke zu.

»Weißt du, wer das war?«

»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Du wirst es mir gleich verraten.«

»Ich hoffe nicht, dass es die Frau des rumänischen Botschafters war. Ich lasse gerade die Gästeliste checken.«

»Sie ist mir zu sehr auf die Pelle gerückt. Da habe ich ausgeholt.«

»Ich glaub, du brauchst Urlaub!«

Ich ließ mich auf ein rotes Kanapee fallen und ließ meine Knochen knacken.

Nach zehn Minuten erschien die Cheftante der Akkreditierung. Nein, es war wohl nicht die Frau des rumänischen Botschafters, auch nicht die Konkubine des Pressesprechers der CDU, auch nicht die Frau des Vereinspräsidenten, die sich auf einen heißen Flirt mit dem dazugehörigen Fußballlehrer einließ. Es war keine der gemieteten Hostessen, auch keines der gebuchten Pferdchen von Ralle K., keine Praktikantin, kein Superluder und kein It-Girl.

Ich unterbreitete dem wild diskutierenden Hühnerhaufen meine messerscharfe Analyse:

»Meiner Meinung nach gehört sie nicht zu der Gruppe derer, die sich die Titten aufpumpen, die Lippen aufblasen oder die Krähenfüße wegbügeln lassen.«

Die Magazinmoderatorin, die - ohne mein Licht unter den Scheffel zu stellen - ihre Karriere einzig und allein meinen Kontakten verdankte, zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Ich nestelte an meiner Tasche auf der Suche nach einem Feuerzeug. Ich ertastete meine Kippen, Visitenkarten und eine Schachtel Kaugummi. Jedoch kein Feuerzeug. Und … auch keine Brieftasche!

»Ähm, Axel, ich … wir … du hast ein Problem. Meine Brieftasche ist weg. Diese flinken Finger haben ihren Job verstanden, alle Achtung!«

»Um Gotteswillen, das darf nicht wahr sein. Zu niemandem ein Wort. Das ist ein Skandal. Auf meinem Event! Zu niemandem einen Ton!«Eventmanager No.3 wurde blass.

»Wenn das rauskommt …!«

Zum Glück hatte ich Papiere und Bargeld im Hotel-Safe deponiert. Der Verlust der Dauerkarte meines Klubs hingegen schmerzte sehr.

»Ich denke, du findest die Kleine und bringst mir die Brieftasche zurück« knurrte ich.

»Wir suchen nach ihr. Keine Sorge! Es tut mir leid, ich konnte ja nicht wissen ... jetzt kann ich deine Reaktion verstehen.«

»Das kannst du mit Sicherheit NICHT!«

Ich winkte ab und steuerte die hinterste Ecke der Bar an, auf der Suche nach Ruhe. Meine Verfassung war miserabel. Natürlich konnte ich auch hier nicht abtauchen. Und so dauerte es keine fünf Minuten, bis sich zwei bekannteKolumnistinnenund ein glatzköpfigerSocietyreporterzu mir gesellten, um mich mit scheinheiligen Fragen zu belagern.

Am liebsten hätte ich meiner spontanen Laune nachgegeben und ihnen rechts und links eine geklebt. Doch leider sah ich mich nach wie vor nicht in der Lage, den Ast, auf dem ich mich vor Jahren gemütlich eingerichtet hatte, endgültig abzusägen. Und so fütterte ich sie mit irgendwelchen Insiderinfos zu diversen Künstlerinnen und deren Liebesleben, streute noch ein paar Branchengerüchte und bat sie, den Vorfall unter den Tisch zu kehren. Ich bestellte mir einen Drink und warf nervöse Blicke über die Schulter. Von der Kleinen, die ich ins Buffet befördert hatte, war weit und breit nichts zu sehen. Ich nippte gedankenverloren an meinem Gintonic und schaute mich in aller Ruhe um.

Ich sah leider nichts Neues, nichts, was mich hätte aufheitern können. Im Gegenteil, meine Gedanken verdunkelten sich erneut. Die gesamte Szene, dieses ganze Huschi-Huschi, Bussi-Bussi, Trallala-Trallala, es widerte mich an!

Befreundete Kollegen waren cleverer gewesen. Sie hatten die Einladung direkt dorthin befördert, wo sie hingehörte, nämlich in die Tonne. Ich versuchte mich, abzulenken, und dachte an meine Agentur. Umsätze, Mitarbeiterbriefings, PR-Strategien und To-Do-Listen der laufenden Woche schwirrten mir durch den Kopf. Für bessere Laune sorgten diese Gedankenfetzen allerdings auch nicht.

Denn da ist immer noch dieser Scheiß-Beat, sind immer noch diese oberflächlichen Fratzen – gelangweilt, leer, hohl und oberflächlich. Mir ist klar, dass ich an dieser Stelle ein wenig übertreibe. Natürlich gibt es Perlen in dieser Branche. Doch ich werd den Teufel tun und Ross und Reiter nennen. Im Laufe der Zeit lernt man schließlich seine kleinen Nester, zu schützen. So auch den Platz der alten Platane, unter der ich manch erholsamen Tag verbrachte, abseits vom Klingeln, Summen und Vibrieren diverser Handys.

In Momenten der Ruhe konnte auch der berufliche Rückblick versöhnlich stimmen:

Alter, du hast alles erreicht, was du wolltest. Du brauchst niemandem mehr etwas zu beweisen. Du hast alles gesehen, kennst jeden Schachzug und jeden Trick. Dir macht keiner mehr ein X für ein U vor. Weshalb nicht aufhören, etwas Neues anfangen? Geht nicht, denn leider hast du auch zu gut gelebt. Auf die faule Haut legen, läuft nicht. Zumal der Entertainmentbranche der Wind in den letzten Jahren kräftig ins Gesicht blies.

Vorbei die fetten Jahre. In den 80ern bis Mitte der 90er war nahezu alles möglich gewesen. Unter lautem Tamtam und soziokulturellem Gelaber wurde ein deutscher Musikfernsehsender aus dem Boden gestampft. Es dauerte nicht lange und die Sozis standen Schlange. Schließlich ging es um deutsche Kultur und Poesie und Wählerstimmen.„Hinter den feindlichen Linien“(damit war MTV in London gemeint) wolle man abspringen. Der Rest ist bekannt, wir schreiben 2007! Was höre ich? Wer hat seinen Glauben verraten? Wer hat sich die Taschen vollgestopft? Ist irgendjemand desillusioniert?It’s only Rock`n`Roll...

Ja, die Zeiten, in denen man Journalisten auf einsame Inseln einflog, um ihnen dort das neue Album von Künstler XY unterzujubeln, sind endgültig vorbei. Wirtschaftliche Depression, verändertes Konsumverhalten - vor allen Dingen der Kids - setzten der Entertainmentbranche mächtig zu. Internet, Raubkopierer und überteuerte Preise brachten die großen Plattenfirmen an den Rand des Abgrunds. Die Systeme waren zu starr, die Strukturen festgefahren und die gediegenen Bosse ohne Plan. Doch auch den Fernseh-, Print- und Hörfunkmedien stand das Wasser bis zum Hals. Sie sahen sich mit fallenden Werbeumsätzen konfrontiert. Dies wiederum hieß weniger Werbung, weniger Kampagnen und eine radikale Verschlechterung der Auftragslage bei den PR-, Kreativ-, Werbe- und Eventagenturen, bei den Bookern, Agenten, Managern, Beratern, Produktionsfirmen usw. usw. In dem Maße, in dem Aufträge abnahmen und Honorare sanken, erhöhten sich Steuern, Abgaben und Lebenshaltungskosten. Nur kleine Systeme besaßen eine gute Überlebenschance. Ich für meinen Teil expandierte zwar nach wie vor, doch der Spaß nahm zugegeben von Jahr zu Jahr stetig ab.

Halt, gibt es tatsächlich einen Grund zu jammern? Nein! Ein kurzer Blick auf den Globus genügt. Im Grunde genommen leben wir doch hier im Schlaraffenland, auf der Sonnenseite – im Land, wo Milch und Honig fließen.

Ich zündete mir noch eine Kippe an und plötzlich bemerkte ich, wie ich in mich hinein lächelte. Ich beschäftigte mich mehr und mehr mit dieser Frau. Nein, ich dachte nicht an die verlorene Brieftasche. Dieser überraschte Gesichtsausdruck, der über ihr hübsches Gesicht gehuscht war, als sie rücklings in die Dekoration flog, verfolgte mich. Ich grinste und entspannte mich und genoss diesen angenehmen Augenblick, diesen kleinen Moment des Friedens. Denn fünf Minuten später schwadronierte ich bereits wieder gemeinsam mit Medienredakteuren, Programmentwicklern und Castern, über Positionierungs- und Programmierungsfehler diverser Fernsehsender.

Ich hörte mir das affektierte Genöle von kleinen Popstars an. Ich kannte die meisten:What goes up, must come down. Immer wieder das gleiche Spiel: Noch nicht einmal oben angekommen begann er schon, der Zickenalarm:schon wieder ein Fotoshooting? Schau mal wie mein Titel auf der Bravo aussieht! Ich will nicht in die Bild! Ich will eine Limousine! Wo bleiben meine Autogrammkarten ...?

Irgendwann werden sie in der Regel beratungsresistent, niemand will wahrhaben, dass es einen Unterschied zwischen brutto und netto gibt. Und so stehen die meisten nach zwei bis drei Jahren ausgelaugt, gealtert, süchtig und verstrahlt vom Business vor dem Nichts. Doch die Mädels haben zumindest noch ihre Titten, die sie als Argumente in die Waagschale schmeißen können ... und natürlich gibt es dazu auch die passenden Blender:

Hey, ich verschaff dir ein Comeback. Wir sollten das in aller Ruhe besprechen. Was meinst du? Am besten wir gehen an die Hotelbar ...

In der, nennen wir sie Endphase, geht es schließlich nur noch darum, sich einen Promi zu angeln, in der Presse stattzufinden, große Töne zu spucken. Doch mit den Jahren gestaltete sich auch dies zunehmend schwieriger, denn mit den Ludern drängte plötzlich eine neue Konkurrenz in den Markt. Am Ende waren sie für jede „Promiparty“ dankbar, auf deren Gästeliste sie auftauchten. Der Ellbogenkampf um die briefmarkengroßen Beiträge in den Klatschspalten hatte begonnen:„Auch auf der Party gesichtet ...“

Die Mädels hielten sich für gewöhnlich etwas länger, wenn sie ihre Waffen einsetzten. Für die Jungs hingegen folgte in der Regel der rasante Absturz.

Ich versuchte, gerade einer nervenden Nachwuchsschauspielerin zu erklären, weshalb ich ihr nicht die Hauptrolle im neuen Wedel-Film geschossen hatte, als mir eine kräftige Hand auf den Hinterkopf schlug.

Ich drehte mich erschrocken über die Schulter und seufzte im nächsten Moment erleichtert auf. Endlich ein Lichtblick, der erste Mensch auf diesem verfluchten Medienevent, der mir etwas bedeutete: J.B. Wir begrüßten uns mitGive me five.

»Hey Tom, altes Haus! Hast ja schon wieder kräftig zugeschlagen, wie man hört. Hahahaha!«

J.B. war Medienredakteur eines bekannten Nachrichtenmagazins. Obwohl ich mit meinen 1,87 nicht gerade klein geraten war, überragte er mich um mindestens fünf Zentimeter. Im Schlepptau befand sich Marc, einer der wenigen VJs, dem der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen war. Einige der Clip-Ansager waren heute sehr erfolgreich, gemessen an der Talentlosigkeit, die sie zu Beginn ihrer Karriere einbrachten. Am Anfang waren sie wie kleine Kinder, die an der Hand laufen lernen. Über PR-Kampagnen, wie dieGirlies, die ganze Modeströmungen lostraten, wurden sie jedoch innerhalb kürzester Zeit zu Vorbildern einer ganzen Generation und zu Stars. Heute sind sie Schauspieler oder Komiker im TV und verfügen über ein Kurzzeitgedächtnis.

»Hey Tom, alles klar?«

J.B. und Marc standen vor mir, zogen Grimassen und winkten unübersehbar durch mein Blickfeld.

»Tut mir leid, Jungs, bin heute etwas nachdenklich und introvertiert.«

»Hoho, das haben wir schon gehört«, grinste Marc. Ich nahm ihn in den Arm.

»Sag, Alter, was hat dich denn hier hin verschlagen?«

J.B. musterte mich kopfschüttelnd.

»Keine Ahnung. Eine Vorsehung?«

An dieser Stelle muss ich anmerken, dass diese Party nicht gerade einem gehobenen Medienevent entsprach. In der Regel kannte ich die Hälfte der Leute, hatte meinen Spaß und freute mich auf ein Treffen mit alten Freunden und Geschäftspartnern.

»Und was macht ihr hier? Kein zu Hause?«

»Wir haben eine Runde über den Kiez gedreht und dachten, wir schauen einfach mal rein. Aber jetzt erzähl, was hast DU denn für einen Stunt gebracht, Alter?«

»Keine Ahnung, schau dich um. Was ist das hier? Ich glaub, ich hab ne Midlife-Crisis! Ich kann das alles nicht mehr sehen.«

»Ich find’s gar nicht so übel hier«, grinste Marc. »Schau dir die beiden Süßen auf der Tanzfläche an.«

Ich riskierte einen Blick und beobachtete, wie sich zwei Mädels Anfang zwanzig Lambada tanzend aneinander rieben. Bei aller Anstrengung konnte ich nicht erkennen, ob sie nun hauchdünne Stringtangas drunter trugen oder gar nichts ...

»Du bist zwanzig Jahre jünger, Marc.«

»Tom, es gibt kein Alter um sich am Boden zerstört zu fühlen. Dazu reicht kurzes Nachdenken«, sinnierte J.B.: »Außerdem musst du nicht gleich handgreiflich werden, wenn jemand nett zu dir sein will.«

»Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass die Typen auf diesen Partys alle unserem Alter entsprechen, wohingegen die Mädels in der Regel zwanzig Jahre weniger auf dem Buckel haben?«

»Ohlala, was ist dir denn über die Leber gelaufen? Komm, wir trinken noch einen und dann wird’s Zeit für einen Tapetenwechsel. Jetzt erzähl, welchem Mädel hast du da so übel mitgespielt?«

Erneut erwischte ich mich dabei, wie meine Gedanken abschweiften. Ich sah ihr Gesicht verschwommen vor mir – irgendwie exotisch. Ich lächelte:

»Keine Ahnung. Irgendwie war sie anders als die anderen. Ich glaube, sie war etwas Besonderes. Ihre Augen weißt du ...«

»Und deshalb hast du ihr eine gescheuert? Das darf doch nicht wahr sein! Du wirst ja langsam gemeingefährlich.«

»Sie hat meine Brieftasche geklaut, könnt ihr euch das vorstellen?«

»Hmmm!«

»Hmmm? Ja sind wir denn hier in Kalabrien, oder was?« spielte ich den Empörten.

Am kommenden Morgen erwachte ich mit einem schalen Geschmack und rasenden Kopfschmerzen. Ich hatte mir den Wecker auf sieben Uhr gestellt, obwohl ich erst gegen drei ins Hotelbett gefallen war. Disziplin ist der Schlüssel zum Erfolg und der Tag würde voller Arbeit stecken. Ich bestellte mir ein kleines Frühstück, warf zwei Aspirin ein, blätterte durch die wichtigsten Boulevard- und Tageszeitungen und erstellte mir eine To-Do-Liste. Ich schüttelte den Kopf, als die Bilder der letzten Nacht vor meinem inneren Auge wie aus dem Nichts auftauchten:

Wir waren noch weiter gezogen. J.B. und Marc hatten einen neuen Geheimtipp. Die kleine abgerockte Bar bot Platz für etwa dreißig Gäste, die Musik wurde geschmackvoll und nicht aufdringlich von einem Rasta aufgelegt, das Publikum war gut gemischt. J.B. war der Meinung, dass meine kleine Zigeunerin mit Sicherheit in einem der Laufhäuser zu finden sein sollte. Für einen kurzen Moment überlegten wir, um die Häuser zu ziehen. Einfach so, um zu gucken, auf der Suche nach meiner Brieftasche. Schließlich verwarfen wir die Idee. Ich verspürte keine Lust, irgendjemandem über den Weg zu laufen, der unter Umständen ein großes Ding daraus machen würde.

Marc sorgte dafür, dass wir uns irgendwann in einer größeren Runde und in Damengesellschaft befanden. Normalerweise ließ ich in solchen Situationen nichts anbrennen.

Seit vier Jahren schimpfte ich mich Single. So lange war es her, dass Britta und ich uns getrennt hatten. Zuvor wohnten wir drei Jahre zusammen, mit allem Drum und Dran und Plänen von Familie und Kindern. Es kam, wie es kommen musste: einerseits Alltag, Gewohnheit, Langeweile und andererseits die nächtliche Versuchung. Ich betrog sie immer öfter. Schließlich verrannte ich mich in immer bizarrere Spielchen mit vielen Leibern und Schreien voller Lust. Sie war mir auf die Schliche gekommen und seitdem war ich wieder solo. Von heute auf morgen verließ ich unsere gemeinsame Wohnung und nahm außer einem Stapel Bücher und einer Handvoll alter Platten nichts mit. Jetzt besaß ich Platz. 130 Quadratmeter Penthousewohnung, Innenstadtlage, keine schlechte Adresse. Im Ernst, die Bude war eine echte Mausefalle. Ich schob das Frühstück beiseite und grinste beim Gedanken an den Kellner und der zerbrochenen Whiskyflasche.

Marc war schließlich gegen halb eins mit einem der Mädels abgezogen. Ihre Freundinnen verzwitscherten sich daraufhin recht zügig. Denn es war unschwer zu erkennen, dass sich mit J.B. und mir keine weiteren Pläne schmieden ließen. Unbegreiflich, aber wir hatten die Mädels ziehen lassen. Ich ließ die letzten Stunden der Nacht Revue passieren:

»Mann ohhh Mann, was ist mit dir los, Tom? Die hätten wir nicht so einfach ziehen lassen sollen. Mensch, da wäre was gegangen«, hatte J.B. geunkt.

»Ich verstehe es auch nicht«, hatte ich geantwortet. »Du kennst mich, ich bin ein Liebhaber. Ich liebe Frauenkörper: schlanke Taillen, üppige Becken, Mösen in allen Variationen, flache Brüste, lange Nippel, schwere Titten, große Höfe, lange Beine. Süßes Lächeln, volle Lippen, kecke Grübchen, Sommersprossen und Leberflecke, sinnliche Augen, Mandelaugen, Kulleraugen, große und kleine Nasen. Lange und kurze Haare, glatt, gelockt, kraus, gewellt, struppig oder elegant – schwarz, blond, braun, brünett, rot und alle Zwischenschattierungen. Mediterrane und nordische Frauen. Wild behaart oder wie eine Schnecke rasiert. Willige, zickige, struppige, widerspenstige, hochnäsige, verführerische – wie auch immer. Welche die es darauf anlegen und direkt sind. Oder die, die sich noch zieren und erobert werden wollen. Die, die sich rausputzen und die, die ihre derbe Schönheit, ihre scheuen Blicke verstecken. So bald mich etwas reizt – ein verschmitztes Lächeln, ein Leuchten in den Augen, eine große Nase, lange Beine, ein knackiger Arsch, schon ist der Jagdinstinkt in mir geweckt. Ich liebe sie einfach. Es macht Spaß sie zu erobern, sie zu entdecken, sie zu riechen, sich an ihnen zu reiben ...«

»Halt’s Maul, sonst bekomm ich noch einen Ständer«, knurrte J.B. »Altes Arschloch! Weshalb haben wir’s nicht versucht? Hast du nicht mitbekommen, wie sich die beiden ins Zeug gelegt haben? Ich hoffe, du weißt es zu schätzen, dass ich noch immer hier bei dir hocke.«

»Ich weiß, das hört sich an, als würde ich in einem Katalog blättern. Aber du weißt ja, dass mir die inneren Werte wichtig sind. Wie soll ich sagen? Ein tragischer Zug um die Mundwinkel, ein Blues in den Augen, eine steile Falte zwischen den Augen – selbst ein auf den ersten Blick trauriger Hängebusen, dicke Waden oder ein zu großer Arsch – nichts kann mich abschrecken, wenn ich neugierig geworden bin. Neugierig auf den Menschen. Und sind wir doch mal ehrlich, wenn ihnen einer abgeht, sehen sie alle geil aus. Ich könnte mich in diese Anatomie verkriechen, weißt du? Diese Muschis, Pussys und Mösen, diese Unterschiede in der Anatomie – verborgen oder geil nach außen gestülpt, nass und rot oder dunkel, salzig und pulsierend geil. Oder die Titten, diese Weichheit, diese Härte, diese Geilheit, diese Höfe, diese Warzen, der Unterschied zwischen dunklen und hellen Frauen – übrigens auch bei den Mösen ...«

»Hör auf, verdammtes Arschloch.«

»Du weißt, dass es mir um mehr geht, J.B. Ich liebe sie. Den Duft ihrer Haare, den Geruch am Hals, der Geschmack in ihrer Ritze ...«

Der Kellner, der uns belauscht hatte, ließ mit offen stehendem Mund eine gute Flasche Whiskey fallen!

Ich packte meine Klamotten in aller Ruhe. Ich hatte Zeit. Mein Flug ging um 8.35 Uhr.Ich steckte gerade dem Rezeptzionisten beim Auschecken einen Schein zu, als ihm plötzlich etwas einzufallen schien. Mit zur Stuckdecke gestrecktem Zeigefinger und einem Aha-Lächeln in den Augen drehte er mir den Rücken zu und kramte in meinem Postfach.»Hier, das ist gestern noch für Sie abgegeben worden.«

Ich schaute ihn fragend an und riss das Kuvert auf. Mich traf der Schlag. Meine Dauerkarten und ein kleiner Zettel:Tut mir leid und viel Glück beim Wiederaufstieg.

»Wer hat den abgegeben?«

»Keine Ahnung, das muss ich den Nachtportier fragen.«

»Er soll mich unbedingt anrufen«, rief ich über die Schulter und bestieg das Taxi zum Flughafen.

Nach einer Mütze Schlaf im Flieger fühlte ich mich schon besser. Ich wusste, dass Wut und Unlust sich legen würden, sobald ich wieder hinter dem Schreibtisch Platz nahm. Ich ging grundsätzlich professionell an die Dinge heran. Die kommenden Aufgaben würden meine ganze Konzentration erfordern. Da blieb kein Platz für trübe Gedanken. Kein Raum, um irgendwelche Dinge in Frage zu stellen.

Sobald ich gelandet war, hing ich mit dem Ohr am Handy. Ich verteilte Aufgaben, erledigte die dringlichsten Telefonate und besorgte mir einen kurzen Überblick über die restlichen Schlagzeilen des Tages.

Danach spielte ich Maulwurf bei den wichtigsten Blättern, um heraus zu bekommen, welche Themen sie für den morgigen Tag einplanten. Nur durch diesen immer wieder kehrenden Ablauf bekam ich das Gefühl, den Tag in den Griff zu bekommen.

In der Agentur rief ich wie jeden Morgen ein Meeting ein und verteilte die Aufgaben. Das neue Fernsehformat eines großen Privatsenders musste im sechswöchigen Vorlauf promotet werden. Ein weiterer Sender benötigte Unterstützung bei den Tages- und Boulevardzeitungen anlässlich der 150. Ausstrahlung eines Boulevardmagazins. Eine Plattenfirma hatte uns mit der Single- und Albumpromotion einer nationalen Künstlerin beauftragt. Morgen war ein Fotoshooting mit einem Lifestyle-Magazin angesetzt. Zudem standen Gagenverhandlungen mit einer Produktionsfirma an, die beabsichtigte, einen unserer Künstler als Moderator zu verpflichten. Die Pilotsendung sollte kommende Woche produziert werden. Meetings, Kundenberichte, zu erstellende Konzepte – die To-Do-Liste war umfangreich … Zum Glück war heute erst Dienstag. Ich würde die wichtigsten Redaktionen am Donnerstag und Freitag persönlich aufsuchen. Schließlich ging es darum, das Fernsehformat den entsprechenden Redakteuren nachhaltig schmackhaft zu machen.

                  Gegen Mittag rief ich J.B. an und fragte, wie sein Interview mit dem Geschäftsführer der großen Plattenfirma gelaufen sei. Man munkelte, dass der Merger mit einem anderen Riesen kurz bevorstand. Dadurch würden nochmals vierzig Prozent der Stellen gestrichen werden.

J.B. bestätigte mir (natürlich unter strengster Vertraulichkeit), dass wir den richtigen Riecher gehabt hatten.

»Alter, ich hatte vielleicht ne Birne heute Morgen«, jammerte J.B.: »Wie ist es dir denn ergangen?«

»Das gleiche Übel! Hab’s jedoch wohl tatsächlich noch geschafft den Knopf für Pay TV zu finden. Der erste Blick beim Öffnen der Augen heute Morgen war ganz schön heftig!«

»Bitte! Erspar mir die Einzelheiten! Tom! Bitte!«

»Hey und noch was. Du erinnerst dich an die Story mit der Kleinen, die mit dem Buffet, die mir das Portemonnaie geklaut hat? Stell dir vor, die hat meine Dauerkarten im Hotel abgegeben. Kannst du dir das vorstellen?«

»Die Geschichte scheint dir ja noch immer im Kopf herumzuspuken, wie? Übrigens, nettes Foto von dir und der Kleinen heute in derPost!«

»Was? Das ist nicht wahr, oder? Ausgerechnet die habe ich heute Morgen nicht gelesen. So eine Schlamperei, das passierte mir doch sonst nicht«, jammerte ich. »Fax mir das Ding rüber, J.B. Und schick mir auch ein Original. Ich will mir das Foto ansehen. Steht etwas von der Brieftasche drin? Wie komme ich weg?«

»Alles okay, Alter. Kommst gut weg. Die Geschichte mit der Brieftasche ist auch erwähnt!«

»Verdammt, dann kann es nicht lange dauern und ich hab Eventmanager No. 3 an der Strippe.«

Und in der Tat, als ich auflegte, wurde mir postwendend Axel K. durchgestellt. Ich beteuerte, dass die Informationen nicht von mir stammten. Selbstverständlich hatte ich kein Wort mit diesem Kolumnisten gewechselt. Dem redseligen Partymacher hingegen wurde das Wort im Mund verdreht.

»Als Trottel stehe ich da«, jammerte Axel. Selbst Schuld, man sollte wissen, wann es an der Zeit ist, die Klappe zu halten, dachte ich bei mir. Keine fünf Minuten später fragte eines dieser unsäglichen Boulevardmagazine ein Interview an:Wie steht er zu der Dame, was sagt er zu seinem Ausraster ...?

Ich ließ mich verleugnen.

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Das Wochenende kam wie gerufen. Nach einem ausgiebigen Frühstück, zu dem ein Stapel Tageszeitungen gehörte, checkte ich die Einschaltquoten diverser Sendungen des Vorabends. Am Nachmittag ging ich ins Stadion. Ich war schon seit Jahren im Besitz von Dauerkarten. In der Pause - wir lagen 0:2 zurück - lief mir Kai am Wurststand über den Weg.

Es war wie immer ein großesHallo. Schließlich kannten wir uns seit unserer Kindheit. Wir kickten für den gleichen Klub und spielten in den gleichen Bands. Wir ließen uns eine Hippiematte wachsen, um sie Jahre später zur Punkfrisur zu stutzen. Wir wohnten zusammen und teilten uns das gleiche Bad. Wir hegten gemeinsame Träume und teilten große Pläne. Und irgendwann trugen wir die ersten gemeinsamen Freunde zu Grabe. Nachdem die Band endgültig auseinandergefallen war, trennten sich unsere Wege. Aus den Augen verloren hatten wir uns indes nie. Wir trafen uns noch, wenn auch selten. Kai arbeitete im Vertrieb eines großen Keyboardherstellers und gründete eine Familie. Er lebte einen gänzlich anderen Film als ich und war mittlerweile Vater einer pubertierenden Tochter und eines achtjährigen Sohns.Er besitzt all das, was dir fehlt, so dachte ich zumindest.„Ich bin froh, neben den ganzen Musiker- und Szeneheinis, regelmäßigen Kontakt mit ganz normalen Leuten zu pflegen“,betonteKaiimmer wieder. Mindestens drei Mal pro Woche stand er auf dem Fußballplatz, wenn Filius in der F-Jugend kickte.„Ich brauche dieses Kontrastprogramm. Die Birne freibekommen, mal über ganz andere Dinge labern, das gibt mir zunehmend mehr“,bekräftigte Kai.

Mir wurde plötzlich klar, dass es das war, was mir die ganze Zeit über fehlte: Kontrastprogramm in jeglicher Form! Kai lud mich ein, am Sonntag auf einen Drink bei ihm vorbei zu schauen, und ich nahm dankend an, bevor der Schiedsrichter die zweite Hälfte anpfiff.

Im Stadion kam mir die Idee, am Abend dasBlue Moonaufzusuchen. Vielleicht traf ich ja einen der anderen Jungs von früher. Ein paar Bier, ein kleiner Flirt, in eine andere Welt eintauchen – Kontrastprogramm leben. Ich musterte die Mädels, die ihre Schals schwenkten und lauthals Sprechgesänge ansetzten. Warum nicht einfach rüber gehen, anquatschen, den Abend in einer stinknormalen Eckkneipe verbringen? Ich verwarf diesen Gedanken, denn das Spiel wurde zusehend dramatischer. Nicht zum ersten Mal in dieser Saison pfiff der Schiedsrichter gegen uns. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, gab Anweisungen an die Spieler, beleidigte lautstark den Schiedsrichter und beschimpfte den Trainer. Meine Sitznachbarn kannten mich. Wir erkämpften ein 3:3. Zu wenig, gegen diese Gurkentruppe.