Singende klingende Märchen aus aller Welt -  - E-Book

Singende klingende Märchen aus aller Welt E-Book

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Beschreibung

Es ist schon beeindruckend, in wie vielen Volksmärchen aber auch in Kunstmärchen der Gesang eine ganz bedeutende Rolle spielt. In diesem Buch sind Märchen aus verschiedensten Kulturen zusammengestellt, und das spannende ist, hier singen nicht nur die Menschen. Es singen auch Kräutergeister, Meerminnen, Elfen und Feen, es singen Vögel und sogar die Toten. In einem Kapitel ist dann sogar zu erfahren, wie Menschen ihre Lieder von den Tieren lernen, um die Prüfungen ihres Lebens bestehen zu können. Für alle, die an Gesang, die an Musik interessiert sind, bietet dieses Märchenbuch ganz besondere Klangbilder. Somit ist es nicht nur ein Buch für Kinder, sondern die hier singend erklingenden Märchen sprechen auch Erwachsene an. Die von Fritz Rainer Pabel gestalteten Bilder geben einen Einblick, wie sich der Gesang in den Märchen zu Bildern formen kann.

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Seitenzahl: 293

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Singende Kräutergeister, Männchen, Elfen, Feen, Meerminnen

Die Kräuterjungfrau

Die zwei buckligen Musikanten

Fingerhütchen

Das verlorene Lied

Die singende Meerminne

Der Fischer und seine Seele

Die Macht des Singens durch den Menschen

Fet-Frumos, der die Sonne befreite

Der Tschongurispieler

Die Sage vom Büffeltanz

Koobor, der die Dürre überlebte

Der Königsohn in der Drehorgel

Die singende Besenbindertochter

Hadelumpumpum

Tiere lehren die Menschen ihre Lieder

Wie die Indianer zu Gesang, Tanz und Musik kamen

Wie die Zwillinge zur Sonne reisten

Das Singen der Vögel

Wie der Donnervogel entstand

Das Lied der Eulen

Das Finkenlied im Rabennest

Das singende, springende Löweneckerchen

Das Sangesfest

Die Nachtigall

Der Spielmann und die Nachtigall

Der Vogel Phönix

Der Gesang des Phönix

Der Mönch und das Vögelein

Der Gesang der Toten

Das klagende Lied

Vom singenden Dudelsack

Der singende Knochen

Das ewige Lied

Quellenverzeichnis

Einleitung

Gesang und Musik verbinden die Kulturen und die Menschen auf der ganzen Welt. Märchen tun dies auch. Jede Kultur hat ihre ganz eigenen Märchen und doch werden in den Märchen weltweit ähnliche Themen angesprochen.

Es geht immer wieder um Wandlung, um den Sieg über das Böse, um die individuelle Weiterentwicklung des Menschen und die dazugehörenden Prüfungen, die in allen Märchen mit eindrücklichen Bildern beschrieben werden. Es geht um das Nichtaufgeben, um das Vertrauen in unerwartete Hilfen, wenn Aufgaben, die gestellt werden, schwer zu bewältigen sind oder wenn die Gegner so stark sind, dass es zunächst durchaus zum Scheitern kommen kann.

Grundsätzlich sind viele Weisheiten in den Märchen verborgen, die aber heute nicht mehr so leicht ersichtlich sind. Sie treten vielfach erst dann in Erscheinung, wenn der Leser, die Leserin, sich tief in die Märchenbilderwelt hineinbegibt und diese Bilder für sich meditativ erforscht. Schließlich haben die Bilder, die in den Märchen beschrieben und erzählt werden, immer mit unserem ganz eigenen Inneren zu tun. Darum entwickelt auch ein Jeder sein eigenes Märchenbild, wenn er ein Märchen anhört oder liest.

Heute werden Märchen sehr häufig in Zeichentrickfilmen oder Märchencomics dargestellt und man darf sich da durchaus einmal die Frage stellen, ob dadurch die individuellen inneren Bilder, die Märchen erwecken können und wodurch eigene seelische Zustände porträtiert werden, dadurch nicht verloren gehen.

So hat der Künstler Fritz Rainer Pabel, in dieses singende klingende Märchenbuch, ganz besondere, kunstvolle Bilder eingefügt, die dazu anregen können, sich auf die Suche nach den ganz eigenen inneren Bildern zu machen. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass Märchen ja nicht nur etwas für Kinder, sondern auch für Erwachsene sind und dass wir immer wieder Neues für uns und unser Leben darin entdecken können.

In diesem Buch sind Märchen aus verschiedensten Ländern und Kulturen zusammengestellt, in denen, auf ganz unterschiedliche Weise, der Gesang zum Erklingen kommt.

Dabei ist nicht nur den Menschen der Gesang zu eigen, sondern es singen auch die Kräfte in der Natur, wie die Elfen, die Feen und die Meerminnen. Es singen aber auch die Vögel. So sind in vielen Märchen Vögel die vielfältigsten Sänger und in vielen Sprachen wird das ja auch so ausgedrückt. In den verschiedensten Sprachen wird eben viel häufiger von singenden, als von piepsenden Vögeln gesprochen.

Gesang und Musik nehmen in den Märchen immer eine besondere Rolle ein. Manchmal helfen sie entscheidend, den Wandel zu vollziehen, um den es in dem Märchen geht, manchmal sind sie einfach dafür da, das Leben zu verschönern und Ausdruck der Freude am Leben darzustellen. Doch immer wieder drückt das Lied den Wunsch des Helden oder der Heldin darüber aus, was seine / ihre Aufgabe im Leben wirklich sein soll, und so machen diese sich mit ihrem Lied auf den Weg.

Interessant ist, welche Änderungen Märchen mit gleichem Namen oder mit gleichen Erzählbildern in unterschiedlichen Regionen erfahren haben.

Auf eine Besonderheit, die in den Märchen zu finden ist, sei noch hingewiesen. Das sind die Märchen, in denen die Toten singend mit den Lebenden in Kontakt treten. Dieses Märchenbild ist nicht nur in besonderen Kulturen, die vielleicht an ein Leben nach dem Tode glauben, zu finden. Singende Tote findet man bei den Brüdern Grimm genauso, wie im Märchen aus Sizilien oder bei den Dakota in Amerika. Es sind dann die Knochen, die zu singen beginnen und da wirken anscheinend magische Kräfte. Oft wird aus den Knochen eine Flöte oder Pfeife gemacht und diese beginnen dann, ihr ganz eigenes magisches Lied nicht zu flöten, sondern zu singen. Hier kann man entdecken, dass Singen dabei helfen kann, ein Bewusstsein davon zu entwickeln, welche Ursachen dazu geführt haben, dass bestimmten Seelenanteilen im Menschen einmal das Leben genommen wurde. Die Bedeutung der Redewendung „Etwas sitzt mir in den Knochen“, mag an dieser Stelle noch mal ganz neu verstanden werden. Dieses Kapitel leitet dann über zu Band 2, des singenden, klingenden Märchenbuchs, welches von Märchen zum Thema Flöten und Pfeifen handelt.

Für eine bessere Lesbarkeit wurden die Märchen weitgehend in die neue deutsche Rechtschreibung übertragen. Besonderen Begriffe und Redewendungen aus alten Zeiten wurden beibehalten. Manche Märchen wurden der Autorin mündlich überliefert und von ihr neu erzählt. In diesem Band kommen aber nicht nur Volksmärchen zum Erklingen, sondern es findet sich auch das ein oder andere Kunstmärchen.

Singende Kräutergeister Männchen Elfen Feen Meerminnen

Die Kräuterjungfrau

Chinesisches Märchen

Weit im Südwesten erzählen sich die Leute, dass in den tiefen Wäldern die Kräuterjungfrau lebt. Sie sorgt dort für die Bergkräuter und passt auf, dass diese immer wieder schön aufblühen, dass sie zur rechten Zeit reifen und dass immer so viele wachsen, wie nötig sind. Wenn arme Menschen in den Wäldern und Bergen Kräuter sammeln, bekommen sie ihre Hilfe, aber Menschen, die gewinnsüchtig und neidisch sind, werden von ihr oft bestraft.

Man erzählt sich, dass vor vielen Jahren die Kräuterjungfrau ein wunderschönes Mädchen gewesen sei und ihr Name Könnerchen war. Sie war anmutiger als die weiße Lotusblüte, welche die Königin der Blumen ist, doch sie konnte auch singen, dass den Menschen, die ihre wunderschönen Lieder hörten, der Herzschlag stockte. Lachte sie, war es als würden Glöcklein klingeln und kam sie des Weges daher, erschien sie, als glitt ein weißes Wölkchen über den Boden. Ein solches Mädchen, behauptete man, gäbe es sonst nirgends. Sehr geschickt war sie auch. Stickte sie eine Blume, erschienen daneben echte Blumen wie verwelkt, stickte sie Vögel, schienen sie lebendiger als jeder Vogel am Himmel. Doch am allerliebsten sammelte sie Heilkräuter. Sie kannte alle Namen und Eigenschaften der Kräuter ihres Landes. Und weil sie alles konnte, was einem nur einfallen mag, nannten sie die Menschen einfach Könnerchen, denn niemand wusste mehr, wie sie wirklich hieß.

Könnerchen war Kammerzofe am königlichen Hof ihres Landes und der König dieses Landes war dem Kaiser von China untertan. Doch war er so reich, dass ihm, wenn er die hohen Tribute an den Kaiser von China abgegeben hatte, noch viele Goldstücke für den eigenen Gebrauch blieben. So hatte dieser König an seinem königlichen Hof eine zahlreiche Dienerschaft. Die Königin und alle Nebenfrauen waren gekleidet in Seide und Brokat und in ihren Haaren trugen sie goldene und silberne Blumen.

Nun war der König aber ein sehr grausamer Mensch, wie Könige es nun mal sein können. Für das Nichtbefolgen seines Befehles war das Gehenkt werden wohl die mildeste Strafe. Könnerchen jedoch hatte vor nichts Angst und so auch vor dem König nicht. Hätte sie keine Lust gehabt Tee zu kochen oder Kuchen zu backen, sie hätte es nicht getan, egal was der König befahl oder ihr androhte. Gegen ihren Willen konnte niemand sie zu etwas zwingen und auch der grausame König erreichte bei ihr im Bösen überhaupt nichts. Nun wusste Könnerchen aber dem König einen so köstlichen Tee zu kochen und dazu einen so süßen Kuchen zu backen, wie es keinem seiner vielen hundert Diener möglich war. Weil nun keiner dem König so perfekt dienen konnte wie sie, stand sie unter seinem ganz besonderen Schutz. So wandelte sie in ihrem Rohleinenrock im Palast herum, hatte eine wilde Blume im Haar, doch ihre Schönheit überstrahlte all die goldenen Blumen und auch die seidenen Gewänder der Nebenfrauen des Königs, ja sogar der Königin.

All die Lustbarkeiten am königlichen Hofe konnten sie nicht lockten. Selbst dem Spiel auf der Nephriten-Flöte, das bei all den Festmahlen erklang und das der König so gern hörte, lauschte sie nicht. Lieber floh sie, so oft sie nur konnte, aus dem Palast in die Bergeinsamkeit. Dort erfreute sie sich viel lieber am Gesang der Zikaden und sammelte Heilkräuter. Sie wusste alles über die Kräuter und sie heilte damit immer wieder leidende Menschen und half auch vielen kleinen Tieren.

So war sie bei den armen Leuten sehr beliebt, denn alle erkannten sofort ihr gutes Herz und waren dankbar für ihre Hilfe. Jedoch die Frauen des Königs und die Höflinge verspotteten sie nur, nannten sie heimlich Wildfang. Könnerchen jedoch kümmerte sich darum nicht. Es gab nur einen, vor dem ihr Lachen und ihr Gesang verstummten, das war der königliche Zauberer. Dieser war wirklich ein ganz besonders niederträchtiger Mensch und ihre Augen blickten ihn niemals an. So ging die Zeit dahin, bis es in einem Jahr eine reiche Ernte gab und es den Menschen ganz besonders gut ging. Doch da fiel plötzlich der Südwind herein und führte die Pest mit sich. Diese Krankheit breitete der Wind über das ganze Land aus und viele Greise und Kinder fielen dem Tod anheim.

Alle Menschen ergriff eine panische Angst vor der Ansteckung. Selbst der König zitterte vor Angst, denn die Pest macht nun mal keinen Unterschied zwischen einem Mächtigen oder Geringen, einem Armen oder Reichen. So berief der König den Zauberer zu sich. Beide machten einen Plan, wie sie sich schützen konnten. Der König und seine Umgebung mussten von einer Ansteckung bewahrt werden. Alle übrigen Menschen waren ihnen völlig egal! So wurden die Stadttore geschlossen, um die Stadttore wurde ein tiefer Graben ausgehoben und auf die Wälle stellten sie Wachen, die niemanden mehr hineinließen. Selbst Vögel hinderten sie daran, über die Wälle zu fliegen.

Doch genau zu der Zeit fiel es Könnerchen ein, die abgeschlossene königliche Stadt zu verlassen und in die Wälder zu gehen. Daran konnten auch die allerstrengsten Befehle des Königs nichts ändern, denn wenn sie sich zu etwas entschlossen hatte, musste sie es tun.

Weil aber alle Ausgänge schwer bewacht waren, ersann sie eine besondere Fluchtmöglichkeit. Dazu ging sie zuerst in den königlichen Garten und pflückte Blumen. Mit diesen Blumen schmückte sie dann einen Waschtrog, so dass er wie ein Blumenaltar erschien. Dann versteckte sie sich zwischen den Blumen und schwamm mit dem Waschtrog, über den königlichen Kanal, aus dem königlichen Garten heraus.

Der Kanal mündete in einen tiefen See und weil der Wind heftig wehte und die Wellen recht hoch gingen, wurde das Mädchen immer weitergetrieben, bis es vor sich den Zauberberg sehen konnte, der ganz und gar mit wilden Blumen bedeckt war. Dort sprang sie ans Ufer und wanderte durch eine Gebirgsschlucht. Auf ihrem Weg fand sie in den Felsritzen die wunderlichsten Kräuter. Kräuter mit langen Blättern, welche, die zusammengerollt waren, andere Kräuter wiederum waren an der Wurzel grün und ihre Spitzen leuchteten strahlend rot. Könnerchen pflückte sie, gab sie in ihr Körbchen und schon bald war dieses bis an den Rand gefüllt, mit all den grünen und roten Kräutern.

Ihrem aufmerksamen Blick entging kein Kraut und so sah sie hinter einem Stein Jen-sheng hervorlugen. Das war die Wurzel des Lebens und im gleichen Augenblick schwebte aus einer hohen weißen Wolke der Sagenkranich hernieder. Kaum hatte er sich auf die gegenüberliegende Felswand gesetzt, verwandelte er sich auch schon in einen schönen jungen Hirsch. Dieser sprang zu Könnerchen herab und war sogleich verschwunden. Doch an seiner Statt stand nun ein Jüngling vor ihr. Dieser war so schlank, wie eine Pappel und seine Augen leuchteten ihr entgegen, wie zwei Edelsteine. Könnerchen betrachtete ihn und vergaß bei diesem Anblick völlig die Wurzel des Lebens. Beide standen ein Weilchen so da, schauten sich an und schwiegen.

Dann, aber fragte sie der Jüngling: „Warum sammelst du all diese Kräuter? Die Armen tun es, weil sie sie brauchen und die Habgierigen wollen reich damit werden, sag wer bist du?" Das Mädchen antwortete, ohne weiter nachzudenken: „Diese Heilkräuter haben die zartesten Blätter und den allerherrlichsten Duft. Wer den Duft dieser Kräuter einatmet, vergisst seine Müdigkeit, wer so ein zartes Kraut kostet, erwacht zum Leben. Ich liebe alle Kräuter schon, seitdem ich auf der Welt bin." Da lächelte der Jüngling: „Du verstehst etwas von den Kräutern, denn deren Duft kann nur jemand riechen, der etwas von ihnen versteht. Ich habe es mir schon gedacht, dass du kein gewöhnliches Mädchen bist. Ich bin der Kräutergeist und ich lebe in diesem hohen Gebirge, wie in den Blumen die Blumengeister und in den dichten Wäldern die Baumgeister leben. Willst du mit mir gehen, so führe ich dich an einen Ort, wo du alle Arten von Kräutern sehen wirst."

„Ich weiß, dass unzählige in den Bergen wachsen“, sagte das Mädchen, „aber bisher habe ich nur wenige davon gesehen. Wenn du sie mir zeigst, würde es mich sehr glücklich machen. Aber heute suche ich keine seltenen Arten, sondern ich muss die Kräuter nach Hause bringen, die tausende Menschen vor der Pest retten.“ Der Jüngling verstand und nickte: „Ich sehe, dass du unerschrocken bist. So gebe ich dir ein Körbchen voll der allerseltensten Kräuter. Pflücke davon, so viel du willst.“

Und schon nahm er sie bei der Hand und stieg mit ihr im leichten Schritt hinauf auf den Gipfel des Wunderberges. Am höchsten in den Himmel reichen ja die Wolken, doch der Kräutergeist und das Mädchen stiegen über die siebenfache Wolkenschicht hinaus. Dort oben, auf dem Gipfel des Wunderberges, war die Behausung des Kräutergeistes.

Von dort schaute Könnerchen auf die Wolken hinunter und diese wallten weit und breit wie ein weißes Meer. Der Kräutergeist nahm einen Korb mit Samen und die streute er in die Wolken hinein, so dass sie in die Wolkenwellen fielen. Von dort nahm sie ein leichter Wind mit sich, trug sie in die Bergschluchten und besäte die Berghänge. Da wo die Samen nieder fielen schlugen sie Wurzeln und setzten sogleich grüne Triebe an.

Könnerchen blickte weiter um sich und da sah sie die seltsamsten Kräuter um sich herum wachsen. Es waren Kräuter, deren Früchte jährlich reiften und Kräuter, die nur einmal im Jahr blühten, aber auch solche, die Jahre brauchten, um ihre zarten Triebe anzusetzen. Da sprach der Kräutergeist zu ihr: „Wer diese kostbaren Kräuter bekommt wird glücklich. Aber nur die Mutigsten und Bedürftigsten können an die unzugänglichen Hänge gelangen, an denen sie wachsen. Nur dort können sie in ihren Besitz gelangen.“

Könnerchen pflückte ihr Körbchen voller Kräuter und seufzte, denn es tat ihr leid, sich von dem schönen Kräutergeist verabschieden zu müssen. Doch der schöne Jüngling betrachtete sie lächelnd und reichte ihr ein zartes blaues Blümlein. Dazu sang er ihr leise sein Lied:

„Willst du bei mir bleiben?

Kommst du auf den Wunderberg zurück?

Wunderschönes Mädchen!

Bliebest du doch bei mir, bliebest du für immer,

es wäre die Seligkeit für mich, es wäre mein Glück.

Mit Gewalt bringt man den Fluss nicht zum Stehen,

es lässt sich nicht erzwingen, was man nicht gerne macht.

Doch willst du wirklich wieder zu mir kommen,

warte ich auf dich Tag und Nacht.

Kehrst du zu mir zurück fürs ganze Leben,

iss die blaue Blume, die ich dir gegeben.“

Das Mädchen schaute den Jüngling an und konnte ihren Blick nicht von ihm lassen. Lächelnd nahm sie von ihm das Kräutlein mit der blauen Blüte entgegen. „Wie wäre ich glücklich, wenn ich hier, inmitten der Wolken, mein ganzes Leben mit dir verbringen könnte. Mein geliebter Kräutergeist, wenn ich die Menschen von der Pest geheilt habe, kehre ich zu dir zurück.“ Da nahmen sie Abschied von einander und Könnerchen kehrte zu den Menschen zurück und half den Kranken.

Der König in seinem Palast war sehr verärgert und befahl all seine Diener im Palast, sich auf die Beine zu machen und Könnerchen zu suchen, doch niemand konnte das Mädchen finden. Da war der König böse, dann wurde er zornig, bis er schließlich zu toben begann. Nichts schmeckte ihm mehr, weil niemand Speise und Trank so zuzubereiten verstand wie Könnerchen. Da lief er schreiend durch seinen Palst: „Könnerchen ist dazu bestimmt, meine Dienerin zu sein! Findet sie auf der Stelle!"

Alle seine Leute suchten, doch Könnerchen blieb verschwunden. Um den König zu beschwichtigen, begannen sie sich verschiedene Lügen auszudenken. Der Nachtwächter wollte sie am Fluss Wäsche waschen gesehen haben. Die Köchin behauptete, am Morgen hätte Könnerchen unter den Küchenfenstern ihre Kräuter getrocknet. Der Gärtner wollte sie im Garten singen gehört haben und die Wachen gaben bekannt, sie wäre in die Stadt gelaufen, Zwirn zu kaufen. Doch davon ließ sich der König nicht sehr lange täuschen und schickte seine Soldaten aus, mit dem strengen Befehl, das Mädchen zu finden und zu ihm zu führen.

Am siebenten Tag kamen die Soldaten zurück und meldeten dem König freudig, dass die Pest erloschen sei und alle Kranken genesen seien. Doch der König schrie sie an: „Ist das die Kunde, die ihr mir bringen solltet?" Dann ließ er, in seinem Zorn, alle hinrichten und schickte einen zweiten Zug von Soldaten aus, dass sie das verschwundene Mädchen suchen. Auch diese Soldaten kehrten nach sieben Tagen zurück, sie meldeten dem König erfreut, dass die Ernte überall reich ausfallen wird und die Menschen viel Geld an Steuern abführen würden. Der König geriet wieder in allergrößten Zorn und rief drohend: „Sagt mir auf der Stelle, wo Könnerchen ist!"

„Unser allergnädigster König", sagten die Soldaten, „alle Menschen auf unserem Weg haben sie gesehen, doch niemand weiß, wo sie gerade in diesem Augenblick verweilt. Sie ging herum, mit einem Körbchen voller Kräuter in der Hand und heilte Zehntausende arme Kranke." Doch der König war damit nicht zufrieden und ließ die Soldaten in den Kerker werfen. Dann entschloss er sich, Könnerchen selbst zu suchen.

Das königliche Ross musste sofort gesattelt werden und sogleich zog er an der Spitze seiner Soldaten hinaus aus der verschlossenen Stadt. Sie durchquerten viele Dörfer, bekamen aber keinen Hinweis, wo Könnerchen denn sein könnte, bis sie an eine Stelle kamen, wo einige Mädchen am Waldesrand Pilze sammelten. Hier erfuhr der König endlich etwas.

Sie erzählten, dass Könnerchen, nachdem sie die letzten Kranken geheilt hatte, eine blaue Blume gegessen und sich in einen weißen Kranich verwandelt hatte. Dieser war daraufhin in das unwegsame Gebirge zum Kräutergeist geflogen. „Zum Kräutergeist geflogen?“, rief der König, doch dann hörte er nicht weiter zu, sondern gab dem Pferd die Sporen und ritt ins Schloss zurück.

Auf der Stelle ließ er seinen Zauberer vortreten, der alle bösen Zauberkunststücke kannte. Der ersann dann auch sofort einen ganz schändlichen Zauberstreich.

Während dies alles geschah, lebte Könnerchen mit dem Kräutergeist auf dem Wunderberg. Glücklich wie zwei Vögelchen lebten sie froh und frei wie zwei Schmetterlinge und jeden Morgen weckte der Kräutergeist seine Liebste mit einem Lied.

„Liebste, öffne deine Augen,

du mein Glück, du meine Wonne,

die Nacht ist längst zu Ende,

strahlend scheint die junge Sonne."

Das Mädchen erwachte vom Lied ihres Gemahls, ergriff seine Hand und Seite an Seite schwebten sie vom Wunderberg hinab ins Tal. Während sie so flogen, erwachten die Vögel und sangen ihr Lied, die Blumen erhoben ihre Köpfe und die Pappeln winkten ihnen mit ihren Zweigen zu. Hirsche schritten über den Pfad und die Hasen trieben um sie herum ihre Possen.

So glücklich lebten die Beiden miteinander, doch der warme Frühling verstrich, ebenso wie der übermütige Sommer und auch der gabenreiche Herbst ging vorüber. Nun kam der grausame Winter. Die Vögel hockten in ihren Nestern und das Wild verkroch sich in seine Verstecke, denn nun bedeckten Eis und Schnee alle Gebirgshänge. Dieser eisige Nordwind ließ dann auch das Wolkenmeer einfrieren. Könnerchen litt schwer, denn der eisige Wind drang ihr unter die Haut und es war nichts da, womit sie sich hätte wärmen können.

Auch wenn der Kräutergeist dieses Leiden an der eisigen Kälte nicht so empfand, wie die Menschen, litt er doch schwer wegen seiner geliebten Frau, denn er wusste nicht, wie er ihr helfen sollte, obwohl er sich alle Mühe gab. So sammelte er alle Federn und Tierfelle, die er in den Bergen finden konnte, doch das war alles zu wenig. Könnerchen war schon so durchfroren und steif, sie konnte nicht einmal mehr sprechen. Da ging der Kräutergeist zu den Menschen, und er brachte von dort einen warmen, ganz leichten Pelz mit.

„Meine Liebste, dieses wunderschöne Gewand hat mir der königliche Zauberer verkauft und es hat Zauberkräfte. Schau wie schön und warm es ist. Kein Mensch könnte so etwas anfertigen", sagte er voll Freude. Doch das Mädchen wurde ganz bleich. „Vom königlichen Zauberer will ich nichts haben und wenn ich sterben müsste.“

Nun konnte der Kräutergeist aber die Not seiner Frau nicht mehr länger mitansehen, nahm das pelzgefütterte Gewand und legte es ihr um. Sogleich durchströmte Könnerchen eine angenehme Wärme und ihre Angst verflog. So nahm sie dann einmal den Mantel und warf ihn freudig lächelnd ihrem Gemahl über die Schulter. Er sollte sehen, wie leicht und warm er war.

Schon im nächsten Augenblick barst mit Donnergetöse der vereiste Fels von der Spitze des Wunderbergs bis hinunter ins Tal. Der Kräutergeist verschwand. Er verwandelte sich in eine Muschel, durchschwamm das eisige Wolkenmeer, stürzte ins Wasser und sank auf den Boden der tiefen Schlucht.

Könnerchen wollte ihn auffangen, doch ihr Griff ging ins Leere. Es blieb ihr nur das pelzgefütterte Gewand in der Hand zurück. Nun weinte Könnerchen Tag und Nacht und dabei verfluchte sie den königlichen Zauberer. Immer wieder lief sie weinend am Rande der Schlucht hin und her und dabei rief sie verzweifelt nach ihrem Gemahl. Es weinte mit ihr auch der wehmütige Wind. Seine Tränen des Mitleids flossen in den Schnee der Berge. In der Kälte froren sie dort zu Eis.

Trotz seiner Verwandlung hörte der Kräutergeist das Wehklagen seiner Frau. Mit schmerzerfüllter Stimme rief er aus der Tiefe der Schlucht zu ihr empor: „Du mein so beklagenswertes Weib bist rein wie der Schnee der Berge! Sofort vergesse ich all meinen Schmerz, wenn ich an dich denke. Du mein teures Weib, vertraue all meinen Gefährten! Der Berggeist wird dich beschützen und der Windgeist wird dir immer beistehen. Alles, was im Gebirge wächst, wird dir dienen. Jedes Jahr kommt der warme Frühling zurück, dann blühen die Blumen und der Windgeist kommt in die Schlucht. Schaue in das Wasser und wenn der Windgeist den Wasserspiegel kräuselt, wirst du mich sehen. Keinen anderen Trost habe ich für dich, du mein geliebtes Weib. Steige hoch auf den Berg, denn dort wächst ein Kräutlein mit weißer Blüte und roter Wurzel. Dann kannst du dich für immer hier im Gebirge niederlassen und du wirst die Bergkräuter betreuen."

Nun konnte Könnerchen ihren großen Schmerz überwinden und sprach zu ihrem Gemahl: „Alles, was du zu mir gesprochen hast, will ich mir merken und ich werde mich um alle Kräuter kümmern. Wenn dann der warme Frühling kommt und die Blumen erblüht sind, werde ich mit dem Wind zu dir kommen. Doch vorher will ich den König strafen." Daraufhin kehrte Könnerchen in den Palast zurück und versetzte damit alle in Staunen. Niemand konnte ja ahnen, weshalb sie ganz aus eigenen Stücken zurückgekehrt war.

Nun sprach der König zu ihr: „Jetzt bist du auf alle Zeit meine Sklavin. Nur in meiner Hand liegen deine Zukunft und dein Glück, dein Leben und dein Tod. Nichts wirst du selber mehr bestimmen." Könnerchen stand nur da und schwieg und der König sah, dass alle seine Drohungen nichts fruchteten. Da sprach er: „Wenn du mir dienen wirst wie ehedem, befehle ich dem Zauberer, dem Kräutergeist sofort seine frühere Gestalt wiederzugeben." – „Das Wagenrad dreht sich nicht rückwärts und der Fluss kehrt nicht zu seiner Quelle zurück“, sagte Könnerchen, „und so beugt sich ein Mädchen, das von Geburt an ihren eigenen Willen hatte, auch nicht der Gewalt eines Königs." – „Was wünschst du dir?" rief darauf der König. „Sage mir, was du haben möchtest und nichts wird dir zustoßen."

Jetzt trat das Mädchen vor ihn hin und sie reichte ihm ein ganz seltsames Kräutlein. „Ich habe nun keinen Wunsch mehr, ich habe nun keine Hoffnung mehr. Nimm, König, dieses Kräutlein. Es soll dir ein ewiges Andenken sein. Wer es isst, wird für alle Zeiten stark und jung bleiben."

Der König war nun sehr erfreut und aß sofort das Musikkräutlein. Doch da begann es auch schon seine Zunge zu verbrennen. Er wollte etwas sagen, doch kein einziges Wort brachte er mehr heraus. So wurde der grausame König stumm und blieb es für sein Leben lang.

Niemand hat von da an Könnerchen je wiedergesehen. Man suchte sie überall, jedoch vergeblich. Doch manche wollten am Horizont einen weißen Kranich gesehen haben und dieser flog, mit einem langgezogenen Klagegesang, weit in das Gebirge hinein.

Seitdem erzählen die Leute, dass Könnerchen ständig auf dem Wunderberg lebe und sie sich in die Kräuterjungfrau verwandelt hat. Die Dorfmädchen hören sie manchmal singen, wenn sie im Gebirge Kräuter sammeln. Es heißt, jedes Jahr im Frühling verlässt sie den Wunderberg und kommt mit dem lauen Wind in die tiefe Schlucht hinunter. Dort kräuselt der Wind dann den Wasserspiegel und sie erblickt voll Freude ihren Kräutergeist. Wenn um diese Zeit ein guter und beherzter Mensch dem lauen Wind folgt, findet er meistens ein seltenes Kräutlein.

Die zwei buckeligen Musikanten

Märchen aus Kärnten

In einem Dorf waren zwei Musikanten, die recht lustig aufspielen konnten. Nur von der Natur waren sie etwas stiefmütterlich bedacht, denn jeder hatte einen krummen Buckel. Einer wusste sich durch sein freundliches Benehmen bei den Leuten beliebt zu machen und auch die Krämerstochter sah ihn nicht ungern. Wenn er nur den krummen Buckel nicht hätte. Der Krämer selbst war ihm gewogen, aber von einem buckeligen Schwiegersohn wollte er durchaus nichts wissen.

Als der gute Musikus einstmals spät in der Nacht von einer Hochzeit über einen Berg nach Hause ging, kam er auf eine Wiese. Der Mond leuchtete hell, da sah er unter einer Linde eine Menge kleiner Männchen, die um den Baum herumtanzten. Sie machten die sonderbarsten Sprünge und fingen zuletzt noch zu singen an. Aber diese kleinen Leute hatten feine dünne Stimmen, es fehlte der Bass. Obschon der Musikus etwas furchtsam war, trat er doch etwas näher hinzu und ließ seine Stimme kräftig erschallen, denn singen konnte er wie eine Grasmücke. Das schien den Männchen zu gefallen und sie sangen mit noch größerem Eifer, ohne sich jedoch um den im Gebüsch verborgenen Bassisten zu kümmern.

Aber als sie mit ihrem Gesang zu Ende waren, gingen sie auf ihn zu, schlossen um ihn einen Kreis, tanzten um ihn wie toll herum und fragten, was er für seinen geleisteten Dienst begehre. „Mein Gott!“, rief der kaum zu Atem kommende Musikus, „nichts als von meinem Buckel möchte ich befreit werden.“ „Das kann gleich geschehen“, riefen die Männchen und zwei davon sprangen ihm auf den Rücken, hoben den Höcker herab und warfen ihn ins Gebüsch. So war er schlank wie eine Tanne. Er bedankte sich und eilte nach Hause.

Als ihn der Krämer am nächsten Morgen sah, schlug er die Hände vor Verwunderung zusammen und seine Tochter blinzelte verstohlen durch die Fensterläden und wusste nicht, ob sie ihren Augen trauen sollte.

Am Platz des Dorfes begegnete ihm sein Kamerad, er hatte die Bassgeige auf dem Rücken und ging eben zu einer Musik über Land. „Wie schaust du denn aus“, rief dieser und die Bassgeige wäre ihm bald von seinem eigenen Buckel gefallen, „wie hast du’s denn angefangen, dass du auf einmal so schlank bist?“ Und der Musikus erzählte ihm von der Bergwiese und von den Männlein und wie er mitgesungen und wie sie ihm aus Dankbarkeit den Buckel abgenommen.

Da war sein Entschluss schnell gefasst. Gleich an demselben Abend, als er von der Musik heimging, schlug er den Weg über die Bergwiese ein. Es war eine mondhelle Nacht und die Männchen tanzten wiederum um die Linde und sangen mit feinen dünnen Stimmchen. Da fiel der Musikant mit seiner tiefen Stimme ein. Schnell sprangen die Männchen auf ihn zu, umringten ihn und fragten, was sein Begehr sei. „Ach mein Buckel“, aber sie ließen ihn nicht ausreden, kicherten, was sie aus dem Halse brachten und tanzten wie besessen um ihn herum. Zwei davon huschten ins Gebüsch und brachten den Buckel seines Kameraden und hefteten ihn auf seinen Rücken. So musste er, statt mit einem, mit zwei Höckern nach Hause wandern und das Gekicher der Männchen hallte ihm noch aus der Ferne nach.

Und wie lachten die Leute, als sie ihn mit seinen Buckeln durchs Dorf gehen sahen. Sein Kamerad aber hing die Geige auf den Nagel und heiratete die Tochter des Krämers und war ein gemachter Mann.

Fingerhütchen

Irisches Elfenmärchen

Es war einmal ein armer Mann, der lebte in dem fruchtbaren Tale von Archerlow, an dem Fuße des finsteren Galati-Berges. Er hatte einen großen Höcker auf dem Rücken und es sah gerade aus, als wäre sein Leib heraufgeschoben und auf seine Schultern gelegt worden. Von der Wucht war ihm der Kopf so tief herabgedrückt, dass, wenn er saß, sein Kinn sich auf seine Knie zu stützen pflegte. Die Leute in der Gegend hatten Scheu, ihm an einem einsamen Orte zu begegnen und doch war das arme Männchen so harmlos und friedliebend, wie ein neugeborenes Kind. Aber seine Ungestalt war so groß, dass er kaum wie ein menschliches Geschöpf aussah und boshafte Leute hatten seltsame Geschichten von ihm verbreitet. Man erzählte sich, er besitze große Kenntnisse der Kräuter und Zaubermittel, aber gewiss ist, dass er eine geschickte Hand hatte Hüte und Körbe aus Stroh und Binsen zu flechten, auf welche Weise er sich auch sein Brot erwarb.

Fingerhütchen war sein Spottname, weil er allzeit auf seinem kleinen Hut einen Zweig, von dem roten Fingerhut oder dem Elfenkäppchen trug. Für seine geflochtenen Arbeiten erhielt er einen Groschen mehr als andere und aus Neid darüber, mögen einige wohl die wunderlichen Geschichten von ihm in Umlauf gebracht haben. Damit verhalte es sich nun, wie es wolle. Genug, es trug sich zu, dass Fingerhütchen eines Abends von der Stadt Cahir nach Cappagh ging. Da er wegen des lästigen Höckers auf dem Rücken nur langsam fortkonnte, war es schon dunkel, als er an das alte Hünengrab von Knockgrafton kam, welches rechter Hand an dem Wege liegt. Müde und abgemattet, niedergeschlagen durch die Betrachtung, dass noch ein gutes Stück Weg vor ihm liege und er die ganze Nacht hindurch wandern müsse, setzte er sich unter den Grabhügel, um ein wenig auszuruhen und sah ganz betrübt den Mond an, der eben silberrein aufstieg.

Auf einmal drang eine fremdartige unterirdische Musik zu den Ohren des armen Fingerhütchens. Er lauschte und ihm war, als habe er noch nie so etwas Entzückendes gehört. Es war wie der Klang vieler Stimmen, deren jede zu der andern sich fügte und wunderbar einmischte, so dass es nur eine einzige zu sein schien, während doch jede einen besonderen Ton hielt. Die Worte des Gesangs waren diese: „Da Luan, Da Mort, Da Luan, Da Mort, Da Luan, Da Mort“. Danach kam eine kleine Pause, worauf die Musik von vorne wieder anfing.

Fingerhütchen horchte aufmerksam und getraute kaum Atem zu schöpfen, damit ihm nicht der geringste Ton verlorenginge. Er merkte nun deutlich, dass der Gesang mitten aus dem Grabhügel kam und obgleich anfangs auf das höchste davon erfreut, ward er doch endlich müde denselben Rundgesang, in einem fort, ohne Abwechslung, anzuhören. Als aber abermals Da Luan, Da Mort dreimal gesungen war, benutzte er die kleine Pause, nahm die Melodie auf und führte sie weiter mit den Worten: „Augus Da Cadine!“, dann fiel er mit den Stimmen in dem Hügel ein und sang: „Da Luan, Da Mort, Da Luan, Da Mort, Da Luan, Da Mort“, endigte aber bei der Pause mit seinem „Augus Da Cadine!“.

Die Kleinen in dem Hügel, als sie den Zusatz zu ihrem Geistergesang vernahmen, ergötzten sich außerordentlich daran und beschlossen, sogleich das Menschenkind hinunter zu holen, dessen musikalische Geschicklichkeit die Ihrige soweit übertraf und Fingerhütchen ward, mit der kreisenden Schnelligkeit des Wirbelwindes, zu ihnen getragen.

Das war eine Pracht, die ihm in die Augen leuchtete, als er in den Hügel hinab kam, rundumher schwebend, leicht, wie ein Strohhälmchen! Und die lieblichste aller Musik hielt ordentlich Takt bei der Fahrt. Die größte Ehre wurde ihm aber gezeigt, als sie ihn über alle Spielleute setzten. Er hatte Diener, die ihm aufwarten mussten, alles, was sein Herz begehrte, wurde erfüllt und er sah, wie gern ihn die Kleinen hatten; kurz, er wurde nicht anders behandelt, als wenn er der erste Mann im Lande gewesen wäre.

Daraufhin bemerkte Fingerhut, dass sie die Köpfe zusammensteckten und miteinander beratschlagten und so sehr ihm auch ihre Artigkeit gefiel, so fing er doch an sich zu fürchten. Da trat einer der Kleinen zu ihm hervor und sagte:

„Fingerhut, Fingerhut!

fass dir frischen Mut!

lustig und munter,

dein Höcker fällt herunter,

siehst ihn liegen,

dir geht’s gut,

Fingerhut, Fingerhut!“

Kaum waren die Worte zu Ende, so fühlte sich das Fingerhütchen so leicht, so selig, dass es wohl in einem Satz über den Mond weggesprungen wäre, wie die Kuh in dem Märchen von der Katze und der Geige. Er sah mit der größten Freude von der Welt, den Höcker von seinen Schultern herab auf den Boden rollen. Er versuchte darauf, ob er seinen Kopf in die Höhe heben könnte, tat es aber mit Vorsicht und Verstand, aus Furcht, er möchte ihn an dem Tafelwerk der großen Halle stoßen. Dann aber schaute er rings herum mit der größten Bewunderung und ergötzte sich an all den Dingen, die ihm immer schöner vorkamen. Zuletzt war er so überwältigt, von der Betrachtung des glänzenden Aufenthalts, dass ihm der Kopf schwindelte, die Augen geblendet wurden und er in einen tiefen Schlaf verfiel.

Bei seinem Erwachen war es voller Tag geworden. Die Sonne schien hell, die Vögel sangen und er lag gerade an dem Fuße des Riesenhügels, während Kühe und Schafe friedlich um ihn her weideten. Nachdem Fingerhütchen sein Gebet gesagt hatte, war sein erstes Geschäft, mit der Hand nach seinem Höcker zu greifen, aber es war auf dem Rücken keine Spur davon zu finden und er betrachtete sich nicht ohne Stolz, denn aus ihm war ein wohlgebildeter, behänder Bursche geworden und, was keine Kleinigkeit schien, er sah sich von Kopf bis zu Füßen in neuen Kleidern und merkte wohl, dass die Geister ihm diesen Anzug besorgt hatten.

Nun machte er sich auf den Weg nach Cappagh. Er ging so tapfer daher und sprang bei jedem Schritt, als wenn er es sein Lebtag nicht anders gewohnt gewesen wäre. Niemand, der ihm begegnete, erkannt Fingerhütchen ohne den Höcker und er hatte große Mühe, die Leute zu überreden, dass er es wirklich wäre und in der Tat, seinem Aussehen nach war er es auch nicht mehr.

Wie es aber zu gehen pflegt, die Geschichte von Fingerhütchen wurde überall bekannt und viel Wesens davon gemacht. Meilenweit in der Gegend redete jedermann, vornehm oder gering, von nichts als von dieser Begebenheit.

Eines Morgens saß Fingerhütchen an seiner Haustüre und war guter Dinge. Da trat eine alte Frau zu ihm und sagte: „Zeigt