Sinnliche Bescherung für Miss Emma - Michelle Styles - E-Book
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Sinnliche Bescherung für Miss Emma E-Book

Michelle Styles

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Beschreibung

Hochzeit unterm Mistelzweig? Als reicher Mann kehrt Jack nach England zurück — und ist überglücklich, seine Jugendliebe Emma wiederzusehen. Nun scheint seine Chance gekommen, sich ihrer würdig zu erweisen. Er wünscht sich nichts sehnlicher als ein frohes Fest an der Seite der Frau, die er schon immer verehrt hat. Doch ausgerechnet an Weihnachten droht eine hinterhältige Intrige plötzlich alles zu zerstören ...

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IMPRESSUM

Sinnliche Bescherung für Miss Emma erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2007 by Michelle Styles Originaltitel: „A Christmas Wedding Wager“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL WEIHNACHTENBand 8 - 2015 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Bärbel Hurst

Umschlagsmotive: Nata_Slavetskaya/GettyImages, Irina Gordeeva/GettyImages, winyuu_GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733728328

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

November 1846, Newcastle Upon Tyne, England

Machen Sie sich keine Hoffnungen, Miss Emma, das erste Gutachten war eindeutig. Der Boss, Ihr Vater, würde mir zustimmen, wenn er hier wäre.“ Der Vorarbeiter Mudge sagte das mit ernster Miene, und seine Worte hallten von den Wänden des kleinen Büros wider.

Emma Harrison holte tief Luft und versuchte, die Fassung zu bewahren, trotz des überwältigenden Drangs loszuschreien. Das Letzte, was sie brauchte, war ein Vortrag darüber, warum die Brücke genau da bleiben musste, wo sie war. Sie konnte ein Gutachten ebenso gut lesen wie jeder Mann. Wenn nicht sogar besser als die meisten.

„Mein Vater teilt meine Ansicht. Das habe ich Ihnen gesagt. Wie oft muss ich es noch wiederholen?“ Sie richtete den Blick auf den Geländeplan, der an der Wand hing.

„Ihr Vater war in der letzten Zeit nicht er selbst. Entschuldigen Sie, Miss. Jeder hier weiß das.“

Emma rang sich ein Lächeln ab und ignorierte den wachsenden Schmerz hinter ihren Augen. Dieser Tag hatte schlecht angefangen, und es sah so aus, als ob alles noch schlimmer werden würde. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um eine Frage: Wie konnte sie dafür sorgen, dass die Brücke pünktlich fertig wurde?

Einige der Arbeiter und Hilfskräfte schritten mutlos über das Gelände am Ufer des Tyne, ein volles Dreiviertel weniger als am Samstag. An diesem Morgen war der Turm der St. Nicholas Cathedral auf dem Weg von Jesmond hierher im dichten Nebel kaum zu sehen gewesen. Die Baustelle hatte wenig Ähnlichkeit mit dem sonnendurchfluteten, betriebsamen Ort von letztem Samstag, als Jack Stanton erwartet worden war.

Emma holte tief Luft. Und wenn nun Jack Stanton heute hier auftauchte? Wie würde er auf das verlassene Gelände reagieren? Sie schluckte schwer und wollte sich lieber nicht das Entsetzliche vorstellen, das dann geschehen würde.

„Seien Sie vernünftig, Miss Emma.“

„Das bin ich, Mudge.“ Emma schob sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr. „Ich kenne die Entschuldigungen auswendig. Aber wir haben den Montag nach dem Zahltag. Ein blauer Montag. Die Männer werden zurückkommen, wenn ihr Geld weg ist und die Taschen des Wirts voll sind. Ich bin mit der Eisenbahn und ihren Bauprojekten groß geworden. Es war immer so, und es wird auch immer so bleiben.“

Mudge trat von einem Fuß auf den anderen und murmelte einen weiteren Fluch.

Sie blickte durch das schmale Fenster nach draußen. Dabei schlang sie die Arme um sich. Der Nebel hatte sich weiter gelichtet, und die Feuerstelle in der Nähe des ersten Bauabschnitts flackerte orange.

„Was wollen Sie, Miss? Was soll ich den Männern sagen?“

Ich will, dass diese Brücke gebaut ist, ehe mein Vater stirbt. Es ist sein Lebensziel, die erste Eisenbahnbrücke über den Tyne zu errichten. Es war eine einfache Bitte, aber eine, die sie nicht auszusprechen wagte. Die wahre Tragweite der Krankheit ihres Vaters musste ihr Geheimnis bleiben.

Emma zuckte leicht mit den Schultern und zog das karierte Tuch, das auf ihren Schultern lag, fester um sich.

„Gutes Wetter bis Weihnachten, vielleicht sogar bis Silvester. Dass die neuen Gutachten über das Flussbett stimmen, und wir in der Lage sind, die Fundamente doppelt so schnell aufzubauen.“

„Sie wollen nicht viel, Miss.“ Mudge kratzte sich am Kopf. „Soll ich noch Frieden und Wohlstand für alle hinzufügen, wenn ich schon dabei bin?“

Emma ging auf die Bemerkung nicht ein. Sie wollte sich von dem Vorarbeiter nicht einschüchtern lassen. Sie war keine achtzehn mehr. Damals hatte sie sich über nichts anderes Gedanken gemacht als über ein Paar neuer Tanzschuhe. Sie wusste, wie Brücken gebaut wurden. Sie hatte viel gelernt.

„Oh, und was ich vergessen habe: die Burg. Der Wohnturm und die königlichen Gemächer sollten erhalten bleiben, wenn möglich.“

„Nur eine Frau würde sich um einen Haufen alter Steine sorgen. Besser wäre es, alles abzureißen und die Steine dann weiterzuverwenden. So stand es auch im ersten Gutachten.“

„Trotzdem sollte er erhalten bleiben. Das erste Gutachten war falsch.“

„Ah, aber was ist mit den Investoren – Robert Stephenson und sein neuer Partner – dieser J.T. Stanton? Sie sind ziemlich pfiffig.“ Mudge verschränkte die Arme vor der Brust. „Ihr Vater denkt nicht klar, sollte er Ihrer Meinung sein, wenn ich das sagen darf. Könnte ich darüber entscheiden, würde ich die Firma verkaufen. Da herauskommen, solange ich noch kann. Brückenbau ist Arbeit für einen jungen Mann.“

Emma biss sich auf die Unterlippe. Sie brauchte Mudge und seinen guten Einfluss auf die Arbeiter, wenn sie darauf hoffen wollte, den Traum ihres Vaters zu verwirklichen. Sie machte sich keine Illusionen über die öffentliche Meinung, was weibliche Ingenieure anbetraf, und über Frauen, die große Bauprojekte leiten wollten. Dennoch weigerte sie sich, die Firma und damit den Traum ihres Vaters aufzugeben, nur weil er zu krank geworden war, um jeden Tag auf die Baustelle zu kommen.

„Wenn das alles ist“, stieß Emma zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich werde meinem Vater berichten und morgen mit seinen weiteren Anweisungen wiederkommen.“

„Wie Sie wünschen, Miss. Aber denken Sie an meine Worte. Ich habe Sie immer gut beraten. Es gibt niemanden, der behaupten kann, Albert Mudge sei illoyal.“

Emma schob die verschiedenen Papiere zusammen und machte ihrem Ärger Luft, indem sie sie in ihre Tasche stopfte. Sie würde sich durchsetzen. Der Wohnturm war wichtig.

„Miss, überbringen Sie Ihrem Vater meine besten Wünsche. Es gibt keine …“

„Ist jemand hier? Oder ist diese Hütte so verlassen wie das Gelände draußen?“ Vom vorderen Tresen her war eine tiefe Männerstimme zu hören.

Emma erstarrte. Die Papiere entglitten ihrer Hand und bedeckten den Schreibtisch. Sieben Jahre war es her, und sie hatte die Stimme sofort erkannt. Sie klang nicht mehr liebevoll und auch nicht vertraulich, aber sie gehörte eindeutig zu ihm. Zu Jack Stanton. Ein kleiner Scherz des Schicksals. Damit der Tag noch unangenehmer wurde.

„Gestatten Sie, ich werde das erledigen.“ Mudge wandte sich um und verließ den kleinen Raum.

Emma unterdrückte den Impuls, sich das Haar zu richten oder ihr Kleid glatt zu streichen. Sie musste Mudge jetzt vertrauen. Jack Stanton würde nicht hier hereinkommen. Es gab keinen Grund, ihm zu begegnen. Sie musste nichts weiter tun als sich nicht vom Fleck zu rühren.

„Ich werde erwartet.“ Der gedämpfte, aber entschiedene Tonfall drang bis in den kleinen Arbeitsraum. „Das sollte bekannt sein. Sie müssen mir gestatten einzutreten.“

„Mr Harrison ist nicht im Haus, Sir. Wenn Sie vielleicht zu einem Termin vorsprechen würden, der beiden Seiten passt?“ Mudges Tonfall war in genau dem richtigen Maße unterwürfig.

Emma nickte kurz. Sie hoffte, Jack werde das Angebot annehmen, zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen, wenn sie dafür sorgen konnte, dass ihr Vater hier war.

Sie ließ sich in einen der Stühle sinken, hörte ein Knarren und zuckte zusammen.

„Mr Harrison wird mich empfangen. Sagen Sie ihm, J.T Stanton verlangt ihn zu sprechen. Ich höre ihn im Hinterzimmer.“

„Mr Harrison ist heute nicht zu sprechen.“ Mudge machte einen Schritt zur Seite und versperrte mit seinem massigen Körper den Blick durch die Tür. „Sie müssen ein andermal kommen, Mr Stanton, wenn Sie ihn treffen möchten. Aber ich werde Ihnen mit Vergnügen alle Fragen beantworten, die Sie vielleicht haben.“

Emma richtete sich auf. Sie wollte sich nicht wie ein verschrecktes Kaninchen im Hinterzimmer verstecken, während Mudge das Gelände vorführte und zweifellos seine Ansicht über den Verlauf der Brücke kundtun würde. So leicht wollte sie sich nicht unterkriegen lassen.

Jack Stanton barg keinen Schrecken für sie. Wenn sie es zuließ, dass Mudge die Führung über die Baustelle übernahm, würde das Geheimnis ihres Vaters verraten und die Firma verloren sein. Sie kannte Jack Stantons Ruf. Beinahe gegen ihren Willen hatte sie seinen Werdegang verfolgt, während er aufstieg vom jungen Ingenieur im Dienst ihres Vaters zu einem der angesehensten und reichsten Eisenbahnmagnaten im gesamten Empire. Aber niemand stieg so schnell und so hoch hinauf, ohne rücksichtslos zu sein. Sie hatte Gerüchte darüber gehört, wie er die meisten Männer beim Bau einer Brücke in Manchester gefeuert und die verbliebenen gezwungen hatte, Überstunden zu machen, um sicherzustellen, dass die Eisenbahnlinie rechtzeitig eröffnet werden konnte. Emma stand auf und trat zur Tür.

„Mudge, schicken Sie Mr Stanton herein. Ich werde mit ihm reden.“ Emma zwang sich, ihre Stimme klar und energisch klingen zu lassen. Sie war nicht mehr achtzehn, sondern fünfundzwanzig, eine alte Jungfer, wie sie im Buche stand. Ob nun Eisenbahnmillionär oder nicht, Jack Stanton war für sie kein Unbekannter. Sie hatte alles beendet, was es zwischen ihnen gegeben hatte. Es war damals das Richtige gewesen. Und es war noch immer richtig. Sie hatte die Bedürfnisse ihrer Familie über einen Schönwetter-Flirt stellen müssen, wie ihre Mutter ihre Beziehung zu Jack genannt hatte. Hätte Jack sie wirklich geliebt, hätte er das verstanden. Er hatte es nicht. Er war ohne ein Wort fortgegangen.

Mudge starrte sie mit offenem Mund an.

„Mr Stanton sagt die Wahrheit. Sein Besuch wird erwartet, auch wenn er sich verspätet hat.“

„Wie Sie wünschen, Miss Emma.“ Mudge trat weg von der Tür und vollführte eine übertriebene Willkommensgeste. Aber sein Tonfall verriet, dass er über die Situation außerordentlich unglücklich war. „Miss Harrison wünscht Sie zu sehen, Sir.“

Emma zwang sich zu einer aufrechten Haltung und betete innerlich, dass Jack Stanton ein aufgedunsener Mann mit vorzeitiger Glatze und Haaren an unpassenden Stellen geworden war.

Ein Mann in dunklem Rock trat ein, der sich mit der Anmut eines ungezähmten Raubtiers bewegte. Der Schnitt seines Mantels betonte die schmale Taille und die breiten Schultern. Das Musterbeispiel eines erfolgreichen Geschäftsmanns, aber ohne das Protzige, das zu erwarten gewesen wäre bei jemandem, der erst vor so kurzer Zeit reich geworden war.

Emma presste die Lippen zusammen. Sein rabenschwarzes Haar und die dunklen Augen passten eher zu dem Helden eines Groschenromans, wie sie an Eisenbahnstationen verkauft wurden, als ins wirkliche Leben.

Wie bei so vielen anderen Dingen in der letzten Zeit hatte Gott für ihre Gebete nur taube Ohren gehabt.

Sie zwang sich, den Blick von seinem Körper abzuwenden, und konzentrierte sich auf den kalten Glanz in seinen Augen und das schwache Lächeln, das seine vollen Lippen umspielte. Selbstherrlich. Gefährlich.

Sie streckte eine Hand aus und schob alle Gedanken daran beiseite, wie er vor sieben Jahren gewesen war. Der Schmerz, den er ihr zugefügt hatte, war nur noch eine vage Erinnerung.

„Mr Stanton. Es ist lange her.“

„Miss Harrison.“

Er nickte ihr zu, ignorierte aber ihre Hand. Emma ließ den Arm sinken und wünschte sich, etwas Modischeres zu tragen als ihr zweitbestes graues Kleid vom vergangenen Jahr, aber das Graue erlaubte ihr mehr Bewegungsfreiheit in den Armen, und der Rock benötigte weniger Unterröcke.

„Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit Sie hier sind?“

„Meine Geschäfte mit Ihrem Vater.“

„Ihre Geschäfte führen Sie mit Harrison & Lowe.“ Sie glättete eine Falte an ihrem Rock. „Wir haben Sie vor zwei Tagen erwartet.“

„Mir ist etwas dazwischengekommen. Es wurde eine Nachricht geschickt, die Ihren Vater von meiner Absicht, heute zu kommen, in Kenntnis setzte.“

„Offenbar wurde der Brief verlegt.“ Sie deutete mit einer Hand auf die Briefe, die über den Schreibtisch verstreut lagen. „Mein Vater ist unabkömmlich. Vielleicht können Sie mir sagen, warum Sie hier sind?“

„Es war Ihr Vater, der um dieses Treffen gebeten hat“, sagte er mit der knappen Andeutung eines Lächelns. „Ich hoffte, Sie könnten mir einen Grund dafür nennen.“

„Ich glaube kaum, dass er das tun würde. Vor über einem Monat wurde mit den Grabungsarbeiten begonnen. Mein Vater und Mr Stephenson hatten zuvor mehrere lange Besprechungen. Beide waren mit dem Ergebnis zufrieden.“

„Ich bedaure, dass ich zu jenem Zeitpunkt außer Landes war. Mein Schiff aus Rio hatte sich verspätet.“ Er ließ den Blick über ihre Gestalt gleiten und dann auf ihren Lippen ruhen. „Als ich zurückkam, hatten die Bauarbeiten begonnen. Ich gehe davon aus, dass alles nach Plan verläuft? Die Strecke von Newcastle nach Berwick soll im März eröffnen, und Verzögerungen können wir uns nicht leisten.“

Emma nickte kurz. Sie musste ihn überzeugen, dass Harrison & Lowe nicht nur das Projekt vollenden würde, wie versprochen, sondern auch, dass der Wohnturm der Burg bewahrt werden würde.

„Dann sollen Sie eine Führung über das Gelände bekommen, und ich werde dafür sorgen, dass Ihnen die Fortschritte gezeigt werden.“ Emma rang sich ein Lächeln ab, was ihr auch gelang, schließlich beherrschte sie die Kunst der Verstellung. „Es ist noch etwas fraglich, wie die Brücke über das Burggelände verlaufen soll. Mein Vater hat ein neues Gutachten in Auftrag gegeben, und es sieht so aus, als würden wir den Wohnturm erhalten können, Newcastles Symbol, auch wenn die Außenmauern zerstört werden müssen.“

„Nun, Miss …“ Mudge räusperte sich.

„Mudge, ich glaube, Sie haben anderes zu tun. Ich bin durchaus dazu in der Lage, Mr Stanton über das Gelände zu führen und alle Fragen zu beantworten, die er möglicherweise hat. Wir sind – alte Freunde.“

„Sie werden mich herumführen, Miss Harrison?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „So entzückend die Aussicht auch sein mag, so will ich doch niemandem zur Last fallen.“

„Miss Emma.“ Mudge verneigte sich knapp, stand jedoch weiterhin mitten im Raum. „Es ist kalt da draußen. Es hat angefangen zu schneien.“

„Ich will es so, Mudge.“ Emma bemühte sich um Gelassenheit. Sie wollte nicht wieder einen lautstarken Streit mit Mudge anfangen. Wie stur dieser Mann doch sein konnte! „Ich werde Mr Stanton das Gelände zeigen. Über Ihre morgigen Aufgaben haben wir schon gesprochen.“

„Jawohl, Miss Emma.“ Mudge blieb weiterhin stehen.

Sie blickte vielsagend zur Tür, und der Vorarbeiter ging brummelnd davon. Emma hoffte, dass er einige der Männer dazu bringen konnte, so zu tun, als würden sie arbeiten, trotz des Wetters. Jack Stanton sollte sehen, dass es Fortschritte gab, wenn auch langsame. Mit geschickten Fingern befestigte sie ihre Haube, indem sie die Schleife unter dem Kinn band.

„Und nun, Mr Stanton – was möchten sie zuerst sehen? Die Fundamente oder die Ruine der Burg?“

„Ich bin sehr gespannt auf die Führung, Miss Harrison. Ihre sanfte Stimme wird mich leiten.“ Jack hielt ihr den Arm hin, was Emma geflissentlich übersah.

Sie hatte wahrgenommen, dass er das „Miss“ betonte, und war dabei zusammengezuckt. Sie wusste, was er zweifellos dachte – Emma Harrison, die Frau, von der erwartet worden war, dass sie eine ausgezeichnete Partie machte, führte das Leben einer alten Jungfer. Ihre Mutter hatte in ihren letzten Tagen eine Pflegerin gebraucht, und jetzt brauchte ihr Vater eine Gesellschafterin. Sie musste bei niemandem für ihr Tun Rechenschaft ablegen, am wenigsten einem Mann gegenüber, für den sie nur ein flüchtiges Abenteuer gewesen war.

„Dann sollen es die Fundamente sein. Hier entlang, bitte, Mr Stanton.“ Sie schlang das Tuch um ihren Körper und zupfte ihren Rock zurecht. „Ich bin überzeugt, dass wir beide so wenig Zeit wie möglich mit dieser Führung vergeuden wollen.“

„Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Madam.“ Er neigte den Kopf, aber das Lächeln erreichte nicht seine Augen. „Können Sie mir sagen, wo Ihr Vater ist?“

„Unabkömmlich.“ Sie zeigte auf die Stelle, wo ein einzelner Mann im Nebel stand und grub. „Je eher wir mit dieser Inspektion beginnen, desto schneller ist sie beendet. Wir sind die besten Brückenbauer in der Gegend.“

„Dieser Ansicht zu vertrauen hat Ihr Vater mich gelehrt.“

Emma versuchte, den brennenden Schmerz hinter ihren Lidern nicht zu beachten. Am Ende dieser Führung musste Jack Stanton überzeugt sein, dass Harrison & Lowe diesen Auftrag durchführen konnte. Er musste es einfach sein.

Jack Stanton folgte Emmas leicht wiegenden Schritten aus der Hütte heraus. Er hatte nicht damit gerechnet, sie hier anzutreffen. Für ihn gehörte Emma Harrison und alles, für das sie stand, zu einem früheren Leben. Eines, von dem er gehofft hatte, es für immer vergessen zu können. Er hatte mit diesem Teil seiner Vergangenheit abgeschlossen.

Er konnte sich gut erinnern an die vielen Verehrer, die sie umschwärmt hatten. Daran hatte Margaret Harrison keinen Zweifel gelassen. Sie hatte erwartet, dass ihre Tochter heiratete, und zwar vorteilhaft. Trotzdem war er seinem Herzen gefolgt und hatte Emma einen Antrag gemacht, hatte auf ihre Zuneigung gesetzt und seine Aussichten für die Zukunft. Sie hatte ihn zurückgewiesen, hatte seinen Brief nie beantwortet, und dann war er fortgegangen. Er hatte stets damit gerechnet zu erfahren, dass sie geheiratet hatte.

Doch wie es aussah, hatte sie das nicht. Die Zeit war nicht freundlich mit ihr umgegangen. Er versuchte, die Emma, an die er sich erinnerte, mit der Frau zu vergleichen, die vor ihm her ging, in einem grauen Kleid, das mit dem Nebel verschmolz. Sie hatte das Haar straff aus dem Gesicht gekämmt und zu einem festen Zopf aufgesteckt, auf dem die unkleidsamste Haube saß, die er je gesehen hatte. Ihr Rock schleifte durch den Morast, als wäre er mit Ketten beschwert. Das war nicht sein Problem. Die Vergangenheit lag hinter ihm. Er blickte einer glanzvollen Zukunft entgegen – er würde Brücken und Eisenbahnschienen bauen, seine Firmen zusammenlegen und die Früchte seiner Arbeit genießen.

Zuerst wollte er aber dem Rätsel auf den Grund gehen, warum Edward Harrison ihm geschrieben und ihn hierherbestellt hatte. Er hatte vorgehabt, Stephenson die Brücke zu überlassen und einfach nur die nötige Finanzierung bereitzustellen. Doch nach Harrisons Einladung war Jack nach Newcastle gereist, um sich persönlich zu vergewissern, ob alles in Ordnung war.

Eine eisige Böe aus Schneeregen traf ihn, als er aus der kaum beheizten Hütte trat. Winter in Newcastle anstatt der drückenden Hitze Brasiliens. Unwillkürlich wappnete er sich gegen die nächste Böe und schob sich den Hut tiefer ins Gesicht. Emma war weiter vorausgegangen, gestikulierte dabei und deutete auf verschiedene Stellen, wo die Fundamente gesetzt werden sollten oder wo bereits Steine weggeräumt worden waren.

Der Wind peitschte ihr die Röcke gegen die Knöchel, doch sie setzte ihren Weg unbeirrt fort. Eine plötzliche Böe ließ sie vorwärtsstolpern, näher an den Abhang.

Jack griff zu und packte sie am Arm, zog sie zurück und in Sicherheit. Ein Stein brach ab und fiel hinunter bis auf den Grund der Burgmauern. Aus der Nähe konnte er erkennen, dass ihre blaugrauen Augen genauso leuchteten wie früher, und dass ihre Wimpern immer noch genauso lang waren. Sie sahen einander einen Moment lang an. Dann ließ er ihren Arm los und trat zurück.

„Sie sollten vorsichtiger sein“, sagte er.

„Ich weiß, was ich tue.“ Sie reckte abwehrend das Kinn.

„Der Wind bläst heftig, und mit diesen Röcken sind Sie in Gefahr.“

„Sie können sehen, dass dies der beste Baugrund für die Brücke ist, trotz der offensichtlichen Schwierigkeiten, aber es gibt immer noch die Frage nach der genauen Ausrichtung.“ Emma deutete über die Reste der Burg hinweg, rückte von Jack ab und überging seinen wohlgemeinten Ratschlag einfach. Jack sah sie finster an. „Wenn wir die Brücke ein Stückchen weiter links bauen, kann der Wohnturm erhalten bleiben.“

Sie schloss den Satz mit einem strahlenden Lächeln, als wäre sie auf einer Dinnerparty und hätte gerade etwas Geistreiches gesagt. Mochte Gott ihn schützen vor Frauen, die sich einmischten. Offenbar hatte sie keine Ahnung davon, wie viel Zeit und Arbeit in die Planung der Brücke gesteckt worden waren. Und er hatte nicht vor, wie Don Quichotte gegen Windmühlen zu kämpfen, nur, damit sie zufrieden war. „Stephenson und ich sind da einer Meinung. Die Gutachten belegen, dass der gegenwärtige Entwurf einiges für sich hat.“

„Ein neueres Gutachten …“ Sie straffte die Schultern.

Er hob eine Hand. Diese Farce dauerte jetzt lange genug an. Edward Harrison hatte seine Töchter niemals auf Baustellen geduldet. Der Edward Harrison, den er kannte, hatte sehr strenge Vorstellungen von dem, was sich schickte. Wann genau war er für seine jüngste Tochter davon abgewichen?

„Die Gutachten sind korrekt.“ Er legte einen Finger an den Hut. „Ich könnte es Ihnen erklären, Miss Harrison, aber ich verspüre nicht den Wunsch, Sie mit technischen Informationen zu langweilen. Zweifellos würden Sie sich lieber über das Wetter unterhalten. Oder über die neueste Mode aus London. Ich fürchte, ich bin über die gesellschaftlichen Konventionen nicht ganz auf dem Laufenden, nachdem ich gerade von einem mehrmonatigen Aufenthalt in Brasilien zurückgekehrt bin.“

„Ganz im Gegenteil, Mr Stanton.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Einer der Vorteile, eine spitzzüngige alte Jungfer zu sein, besteht darin, interessante Gespräche führen zu können, anstatt nur über Belanglosigkeiten zu plaudern. Ich würde die Diskussion begrüßen.“

„Eine scharfzüngige alte Jungfer?“, wiederholte Jack. Das war ein Schicksal, das gar nicht zu Emma Harrison passen wollte. Er entsann sich gut der vielen Männer, die sie umringt hatten. Bei jeder Feier hatte sie stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden, ein wunderschönes, lebhaftes Mädchen mit einer vollen Tanzkarte. Was war in den Jahren seither geschehen? Wie hatte sie sich so verändern können? „Das sind nicht die Worte, die ich mit Ihnen in Verbindung bringen würde.“

„Nach dem Tod meiner Mutter musste ich wählen, ob ich exzentrisch sein wollte oder ein farbloser, aber tapferer Schwächling. Ich denke, ich habe die angenehmere Seite gewählt.“ Sie lächelte ein wenig. „Sie scheinen mit meiner Einschätzung nicht übereinzustimmen.“

Jack erschrak und bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass seine Gedanken über ihr hässliches Kleid und die Haube ihm deutlich sichtbar ins Gesicht geschrieben standen. Er verbeugte sich leicht und versuchte, die Situation zu retten. „Mir war nicht klar, dass es Vorteile hat, eine alte Jungfer zu sein.“

„Dann wissen Sie nicht viel.“ Ihre Wangen und ihre Nase waren vom Wind rot gefärbt, ein bisschen Farbe in einer ansonsten grauen Umgebung. „Ich bevorzuge das Errichten von Brücken eindeutig gegenüber Gesprächen über die neueste Mode, wie man einen Hut verziert, etwas knüpft oder ein Nadelkissen bestickt.“

„Das erscheint mir etwas extrem – nicht zu heiraten, weil Sie keine oberflächlichen Gespräche mögen.“ Jack fasste seinen Spazierstock fester. „Ich dachte, die Ehe sei das Ziel jeder jungen Dame.“

„Ich sehe keinen Grund, noch länger über mein Leben zu diskutieren, Mr Stanton. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich mit meinen Entscheidungen glücklich bin.“ Ihre Augen funkelten. „Ich bedaure nichts.“

Jack entschied sich, ihre Bemerkung nicht zu kommentieren. Wohin sollte dieses Gespräch führen? Was hatte Emma tatsächlich im Sinn? Sie schien auf etwas anderes hinauszuwollen.

„Und Sie? Sind Sie verheiratet? Ist Ihr Haus voll von oberflächlichen Gesprächen und Nadelkissen?“ Sie sah ihn gleichmütig an, mit einer Entschlossenheit, die er früher betörend gefunden hatte, ehe er etwas gelernt hatte über Frauen und ihre launische Natur.

„Zum Glück war ich in der Lage, den Machenschaften von Müttern und Töchtern zu entkommen.“ Mehr wollte Jack im Moment nicht sagen. Ihre Bemerkungen ließen keinen Zweifel daran, worauf sie abzielte. Er würde ihr nicht gestatten, die Vergangenheit wieder auszugraben, nur weil sich irgendwelche Hoffnungen, die sie gehegt hatte, nicht erfüllt hatten.

„Aber sehnen Sie sich nicht nach häuslichem Glück, Mr Stanton? Warme Pantoffeln, die vor dem Kamin warten?“ Wieder sah sie ihn mit ihren ruhigen blaugrauen Augen an.

Jack seufzte leise. War das der Grund für Harrisons Brief gewesen? Hatte der Mann etwa im Sinn, seine jüngste Tochter zu verkuppeln? Falls ja, so waren seine Bemühungen aussichtslos. Jack hatte nicht die Absicht, seinen Antrag zu wiederholen. Diese Demütigung war schon beim ersten Mal schlimm genug gewesen.

„Gegenwärtig verläuft mein Leben so, dass ich meine Freiheit genieße. Keine Frau würde mich begleiten wollen. Ich bin ständig unterwegs, ziehe von einem Projekt zum nächsten – England, Südamerika und Europa sind für mich einerlei.“

Ihr Lachen klang wie klirrendes Kristall. „Sie sehen, ich habe recht gehabt. Wir hätten niemals zusammengepasst. Ich habe den Nordosten in den vergangenen sieben Jahren kaum je verlassen.“

„Ich hatte vergessen, dass unsere Namen einst verbunden waren.“ Er achtete darauf, dass seine Miene keine Gefühle verriet, aber es verursachte ihm ein kleines bisschen Vergnügen, sie an das zu erinnern, was sie so einfach fortgeworfen hatte. „Mir würde es außerordentlich missfallen, sollte ich etwas mit Ihrem unverheirateten Stand zu tun haben.“

„Bitte schmeicheln Sie sich nicht, Mr Stanton.“ Emma richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Ihre Hände schmerzten von der Kälte, und der Schneeregen tropfte von ihrer Haube.

Wie konnte er es wagen, so etwas anzudeuten?

Er ließ es so aussehen, als versuchte sie verzweifelt, seinen Stand zu erfragen, und als hätte sie sich in den vergangenen sieben Jahren nach ihm verzehrt. Sie hatte ihn abgewiesen, ihn und seinen wenig galanten Heiratsantrag. Nicht an ihr war ihm gelegen gewesen, sondern nur an ihrem Vermögen und dem Status, den ihm eine Hochzeit mit ihr ihm gebracht hätte. Ihre Mutter hatte recht gehabt. Wäre sie ihm wirklich wichtig gewesen, hätte er damals verstanden, was sie zu erklären versucht hatte.

„Meine Entscheidung, nicht zu heiraten, hatte nichts mit Ihnen zu tun. Woran liegt es, dass jeder sofort annimmt, dass eine unverheiratete Frau mit ihrem Leben unzufrieden ist?“

Jack zog eine Braue hoch. „Ich muss widersprechen. Sie verdrehen mir die Worte im Mund.“

„Sie haben damit angefangen. Als alte Freundin war ich natürlich neugierig zu erfahren, was in Ihrem Leben passiert ist.“ Emma ärgerte sich immer mehr. Er hielt sie für einen verzweifelten Blaustrumpf. Was erwartete er von ihr? Dass sie auf die Knie fiel und ihn anflehte, sie zu heiraten, weil er ein Vermögen und gutes Aussehen im Überfluss besaß? Dieser Mann war unerträglich. Wenn sie überhaupt heiratete, dann nur aus Liebe, weil ein Mann sein Leben mit ihr teilen wollte, nicht sie in einer kleinen Schachtel aufheben wollte, umgeben von Kindern und Vergnügungen, wie sie sich für eine Dame schickten. „Es ist nichts falsch daran. Nur ein paar Fragen, um die Zeit zu vertreiben.“

„Ich wollte nur sichergehen, das ist alles. Das erscheint mir unter den gegebenen Umständen am besten.“

„Sie überschätzen sich, Sir. Ich habe vor Ihrem schon Anträge abgelehnt und danach auch.“ Emma wünschte, sie trüge ihr neues blaues Popelinekleid und nicht diesen grauen Sack, der ihr von Sekunde zu Sekunde schäbiger erschien.

Jack neigte den Kopf. Seine Lippen erschienen jetzt wie eine dünne weiße Linie. „Verzeihen Sie, Miss Harrison, aber was hätte ich sonst denken sollen? Sie waren es, die sich nach meinem Familienstand erkundigte. Ich habe gelernt, in diesen Dingen vorsichtig zu sein. Ich wollte Sie nicht beleidigen.“

„Es wäre uns mehr geholfen, wenn Sie keine voreiligen Schlüsse ziehen würden, sondern sich an die Fakten hielten.“ Sie setzte ihr höflichstes Gesellschaftslächeln auf, senkte den Blick und bedauerte es, keinen Fächer zu haben, um sich Luft zuzufächeln.

Jack streckte den Arm aus und packte sie, als eine Welle des Zorns ihn überkam.

Wie konnte sie es wagen, in alten Erinnerungen herumzuwühlen? Was einst zwischen ihnen gewesen war, gehörte der Vergangenheit an. Er musste sich nicht dafür entschuldigen, wie er sich verhalten hatte. Vor sieben Jahren hatte er ihr einen ordnungsgemäßen Heiratsantrag gemacht, den sie ablehnte. Er hatte ihre Zurückweisung nicht zweimal hören müssen.

„Sie vergessen sich, Mr Stanton.“

Sie versuchte sich seinem Griff zu entwinden, und er ließ sie los. Sofort legte sie ihre Hand an die Stelle, an der er sie festgehalten hatte. Jack presste die Lippen fest zusammen, verfluchte sich selbst, ärgerte sich maßlos, dass er so plötzlich die Beherrschung verloren hatte. Das war ihm seit Jahren nicht passiert. Es bereitete ihm Vergnügen, die Dinge leidenschaftslos zu betrachten. Doch ein paar Minuten in Emma Harrisons Gesellschaft hatten genügt, und er war wieder der Jüngling, dessen Kleidung von der Stange gekauft worden war, und für den ein Ball in Newcastles Assembly Rooms eine aufregende und verlockende Aussicht gewesen war.

„Es ist nicht nötig, dass wir weitergehen. Ich habe genug gesehen, Miss Harrison“, sagte er.

Er machte kehrt und atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen.

„Sie müssen verzeihen, Mr Stanton“, rief sie und holte ihn ein. Unter der hässlichen Haube sah er den bittenden Ausdruck in ihrem Gesicht. „Ich habe Ihnen gesagt, dass ich eine spitze Zunge habe, und dass ich daran gewöhnt bin, meine Meinung zu sagen. Sie hatten recht. Meine früheren Bemerkungen bezogen sich auf unsere Bekanntschaft. Ich wollte Sie nicht bedrängen. Und ich wollte auch nichts andeuten. Bitte verzeihen Sie mir.“

„Der Fehler lag voll und ganz bei mir.“ Jack deutete eine Verbeugung an. „Die Reise nach Norden scheint mich aus dem Gleichgewicht zu bringen und meine schlechte Laune zu wecken. Ich hätte es als das erkennen sollen, was es war – nur eine leichthin gesagte Bemerkung.“

„Sollen wir jetzt auch darüber streiten?“ Sie legte den Kopf schräg, und in ihren Augen blitzte etwas wie Übermut auf.

Ganz kurz durchzuckte Jack schmerzlich der Gedanke an das, was hätte sein können. Er zwang sich zu schlucken, und dann war es fort. Er hätte nicht hierher zurückkehren sollen. Die Erinnerungen waren so gegenwärtig wie lange nicht mehr und zogen ihn an einen Ort, von dem er sicher gewesen war, ihn hinter sich gelassen zu haben.

„Ich verspüre nicht den Wunsch, mit Ihnen zu streiten, Miss Harrison.“

„Ebenso wenig wie ich mit Ihnen, Mr Stanton.“ Sie nickte kurz. „Doch ich wünsche Ihnen zu zeigen, welche Fortschritte wir gemacht haben, damit Ihre Reise nicht umsonst war. Ich bezweifle nicht, dass mein Vater, hätte er gewusst, dass Sie hierherkommen, alles getan hätte, um Sie zu empfangen. Doch da heute der Montag nach dem Zahltag ist, geht er seiner üblichen Routine nach.“

„Es war eine sehr erhellende Erfahrung.“

Sie standen unbehaglich da. Emma wies dorthin, wo die Fundamente errichtet werden sollten. Jack machte ein paar höfliche Bemerkungen, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass es hier ein Geheimnis gab. Es war nicht alles so, wie Emma Harrison es erscheinen lassen wollte.

„Haben Sie alles gesehen, was Sie sehen müssen?“ Die Zahl der Männer, die wie verloren an dem Glutofen gestanden hatten, hatte sich ein wenig verringert. Ein oder zwei hatten halbherzig mit der Arbeit begonnen.

„Ich hoffe, Sie haben nicht vergessen, was ich über die Burg gesagt habe. In dieser Phase lassen sich die Pläne noch leicht ändern, aber wenn wir erst begonnen haben, die Fundamente in den Fluss zu bauen …“

„Eine Baustelle ist wie die andere an einem blauen Montag. Newcastle ändert sich nicht.“

„Es ist gut, dass Sie sich der Schwierigkeiten bewusst sind, mit denen wir konfrontiert sind.“

Jack konnte nicht anders – er musste lächeln. Er mochte keine Geheimnisse, aber dieses schien leicht zu lösen zu sein.

Vor sieben Jahren waren Emma und ihre ältere Schwester hin und wieder auf einer Baustelle aufgetaucht und hatten einen Blick riskiert, aber ihr Vater hatte niemals erlaubt, dass sie sich längere Zeit dort aufhielten. Dafür hatte ihre Mutter gesorgt.

Dieses Mal deutete das, was Emma sagte, und wie sie sich verhielt, darauf hin, dass sie genau wusste, wo jeder einzelne Stein lag. Jack kniff die Augen zusammen. Gegenwärtig schien sie für den Brückenbau verantwortlich zu sein. Der Vorarbeiter hatte sich ihrer Anweisung gefügt. Die Arbeiter schienen etwas mehr daran interessiert zu sein, Erde zu bewegen, wenn sie in der Nähe war.

Sie hatte hier das Sagen.

Eine Vorstellung, die so unglaublich war, dass er beinahe laut aufgelacht hätte. Emma Harrison war eine Frau.

Was würde sie tun, wenn die Fundamente im Fluss errichtet werden mussten? Oder wenn die ersten Gleise verlegt wurden?

Es war einfach undenkbar, dass eine Frau dafür sorgen konnte, dass ein solches Vorhaben nach Plan verlief. Und der Gedanke war beunruhigend, dass eine Frau sich einer solchen Gefahr aussetzte.

Eine Situation wie diese wäre desaströs für die Brücke und für die Zukunft Newcastles als Industriemacht. Das anspruchsvolle Bauvorhaben musste pünktlich fertig sein. Brunel hatte auf der westlichen Seite Großbritanniens die Eisenbahnverbindung nach Schottland fast fertiggestellt. Jack konnte nicht zulassen, dass der Bau sich verzögerte. Newcastle durfte nicht zurückfallen.

„Alles scheint in bester Ordnung zu sein, abgesehen von einer Kleinigkeit – Ihrem Vater.“

„Mein Vater ist heute auf der Baustelle nicht anwesend, aber das hat keine Folgen für das Fortschreiten der Arbeiten.“ Ihre Fingerknöchel hoben sich weiß ab von dem Karomuster ihres Tuchs. „Ich hoffe sehr, alle Fundamente vor dem Frühling legen zu können. Dann können die Hauptarbeiten an den neun Pfeilern wie geplant im Sommer beginnen.“

„Das ist genau das, was meine Firma ebenfalls wünscht“, gab er gewandt zurück.

Er wartete und beobachtete, wie Emma heftig blinzelte. Auf ihrer Wange landete eine Schneeflocke und blieb einen Moment lang glitzernd dort haften, ehe sie schmolz. Ungeduldig wischte sie sie weg, sagte aber nichts.

Jack zählte zweimal bis zehn. Er hatte ihr ausreichend Zeit und Gelegenheit gegeben. Er hatte ihre Spiele satt. Während der letzten sieben Jahre hatte auch er gelernt zu spielen. Diesmal stellte er die Regeln auf.

„Wie krank genau ist Ihr Vater, Miss Harrison?“

2. KAPITEL

Emma blinzelte, während sie fieberhaft nach einer plausiblen Erklärung suchte. Etwas, das die Krankheit ihres Vaters erklärte, ohne die ganze Wahrheit über seinen Zustand offenzulegen. Unwillkürlich trat sie einen Schritt von Jacks hochgewachsener Gestalt weg und murmelte ein paar höfliche Worte über eine Erkältung

„Sie haben mir nicht geantwortet, Miss Harrison.“ Jack Stanton drängte gnadenlos weiter. Seine dunklen Augen waren jetzt eiskalt und schienen bis in ihre Seele zu blicken. „Ihr Vater ist schon eine Weile nicht mehr hier gewesen, nicht wahr?“

„Er war am Samstag hier“, sagte Emma zu schnell und zu fröhlich. Sie musste ruhig bleiben. Sie holte tief Luft und zwang sich, langsamer zu sprechen. „Wären Sie gekommen, als sie erwartet wurden, hätten Sie gesehen, wie schwer er arbeitet.“

„Und davor?“ Jack tippte sich mit dem Stock gegen die Wade. Er lächelte grimmig. „Kommen Sie, Miss Harrison, genug von diesem Theater. Sie beaufsichtigen die Arbeiten schon eine ganze Weile. Sie sind mit der Baustelle in einer Weise vertraut, wie es sich nicht durch gelegentliche Besuche ergibt.“

„Mein Vater und ich stehen uns seit dem Tod meiner Mutter sehr nahe.“ Emma legte eine Hand an ihre Kehle und hoffte, dass er endlich Ruhe gab.

„Mit dem allergrößten Respekt, Miss Harrison, Sie haben mir nicht geantwortet. Meine Frage war unmissverständlich.“ Sein schroffer Tonfall strafte seine höflichen Worte Lügen.

Sie schluckte schwer. Sie hatte nicht vor, noch mehr private Details zu enthüllen. Wie viel genau wusste er? Es konnte nur gut geraten sein, mehr nicht. Sie war vorsichtig gewesen. Mudge hatte geschworen, nichts zu sagen. Er würde ihren Vater nicht hintergehen, das wusste sie. Sie holte tief Luft. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren und das Problem in den Griff bekommen.

„Er war ein paar Tage nicht hier, aber ich bin jeden Tag da, um Mudge zu sagen, was getan werden muss, entsprechend den Anweisungen meines Vaters.“ Sie lachte kurz auf und machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich vermittle nur. Sie wissen, wie mein Vater in dieser Hinsicht ist. Er möchte genau informiert werden über das, was alles vor sich geht, selbst wenn er ans Bett gefesselt ist.“

„Sie, Miss Harrison?“ Jack sah sie verblüfft an. „Was wissen Sie über Drehmomente und das Richten von Stein? Was, wenn Sie die Anweisungen durcheinanderbringen? Die Folgen wären katastrophal.“

„Ich bin die Tochter meines Vaters. Ich bin mit Gleisen, Lokomotiven und Brücken aufgewachsen.“ Emma hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen, als wollte sie ihn ermahnen, dass er ja nicht widersprechen sollte. Er musste ja nicht erfahren, dass sie angefangen hatte, sich mit der Tätigkeit ihres Vaters zu beschäftigen, um sich von der bedrückenden Atmosphäre des Krankenzimmers ihrer Mutter abzulenken. Zuerst war es schwierig gewesen, aber sie hatte nicht nachgelassen, und inzwischen gefiel ihr die präzise Arbeit.

„Das mag so sein, aber was ist mit den Männern? Wie reagieren die, wenn eine Frau ihnen Befehle erteilt? Wie erlangen Sie ihren Respekt?“

Offenbar bezweifelte er, dass sie in der Lage war, die Arbeiter zu befehligen. Dabei wusste sie ebenso viel über Brückenbau wie die meisten Männer – mehr sogar. Sie hatte ihrem Vater bei den ersten Zeichnungen für die Brücke geholfen, hatte die Berechnungen durchgeführt, während er im Bett lag. Dies war ihr Projekt, und es war der Traum ihres Vaters. Vielleicht ihre letzte Chance. Ihre einzige Chance. Sie holte noch einmal tief Luft. „Die Brücke wird fertiggestellt werden, wie es im Vertrag steht. Harrison & Lowe hat sich noch nie verspätet. Schließlich haben wir einen Ruf zu verlieren.“

„Das ist keine Antwort.“

„Das ist die einzige Antwort, die ich Ihnen geben kann.“ Mit einer Hand raffte sie ihre Röcke. Sie schuldete diesem Mann keine weiteren Erklärungen. Es war offensichtlich, dass er sein Urteil bereits gefällt hatte. Wie die meisten Männer glaubte er, dass Frauen nicht fähig seien, solche Berechnungen anzustellen. Zum Glück hatte sie ihren Vater vom Gegenteil überzeugen können. „Sie sorgen sich darum, ob die Firma ordentlich arbeiten kann. Ich versichere Ihnen, dass Harrison & Lowe das kann.“

Ein Schrei durchbrach die Stille. Jack erstarrte, und Emma fühlte sich, als hätte sie einen Schlag in den Magen erhalten. Der Schrei war aus der Nähe gekommen und hatte die Arbeiter aufgeschreckt, die nun herbeigeströmt kamen.

„Jemand wurde verletzt“, sagte Emma. „Ich muss gehen.“

„Eine Baustelle ist ein gefährlicher Ort, Miss Stanton.“ Jack streckte die Hand aus und hielt sie am Arm fest. „Ich könnte vielleicht eine kleine Hilfe sein.“

Emma nickte, während ihre Gedanken sich überschlugen. Woher war der Schrei gekommen? Sie versuchte, sich damit zu beruhigen, dass niemand ernsthaft zu Schaden gekommen sein konnte. Die Männer verrichteten keine gefährlichen Arbeiten, nicht bei diesem Nebel.

Sie rannten dorthin, wo die Männer sich versammelt hatten. Mudge war schon dort, blickte über den Abhang und schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, wie das passiert ist, Miss Emma.“

Emma zuckte zusammen. Genau dort, wo sie vorhin beinahe gefallen wäre, hatte es einen Erdrutsch gegeben. Einer der jungen Burschen lag unter mehreren Steinen. Sein Gesicht war aschfahl, die Augen geschlossen. Ein Teil der Burgmauer war auf ihn gestürzt. Entsetzt sah sie, wie ein weiterer Stein oben auf der Mauer wackelte.

„Wir müssen ihn dort herausholen, Mudge.“

„Die Mauer droht einzustürzen, Miss Emma!“, rief Mudge. Er schnalzte mit der Zunge, dann schüttelte er den Kopf. „Das Wetter ist gegen uns. Am besten stützen wir die Mauer zuerst ab, bevor wir runtergehen. Wir sollten von hinten kommen. Ganz langsam. Ein übles Stück Arbeit. Je eher die Ruine hier abgerissen wird, desto besser für die Männer. Das ist nichts als eine Todesfalle.“

Emmas Kehle war trocken, als sie hinabblickte, um herauszufinden, wie die Männer am geschicktesten vorgingen. Mudge hatte recht. Am sichersten war es, sich von hinten zu nähern, statt direkt den Abhang hinunterzuklettern. Aber bei den schlechten Lichtverhältnissen würde es Stunden dauern – Stunden, die der Junge vielleicht nicht hatte.

„Jemand muss da hinuntergehen. Und ihn von der Mauer wegziehen. Wenn mehr Steine fallen sollten …“ Sie verstummte.

Sie sah erst Mudge an und dann die anderen Männer, aber keiner hielt ihrem Blick stand oder rührte sich vom Fleck. Sie wartete darauf, dass jemand etwas sagte. Einer der Männer scharrte mit den Füßen.

„Einen Klotz und einen Flaschenzug! Jetzt!“, brüllte Jack, als er den Abstieg begann und dabei mehr rutschte als ging, während der Morast unter seinen Füßen nachgab. „Warum wurden nicht einmal die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen ergriffen?“

„Es ist eine gefährliche Arbeit“, meinte einer der Männer und rieb sich den Nacken, machte aber keine Anstalten, ihm zu helfen.

„Gehen Sie und holen Sie, was Mr Stanton braucht“, befahl Emma energisch. Endlich setzte sich ein Mann in Bewegung und begann, durch den Schlamm davonzutrotten. „Beeilen Sie sich!“

„Was er da tut – das ist verdammt riskant“, meinte Mudge. „Möglicherweise haben wir heute bereits einen Mann verloren. Wir haben keine Ahnung, ob er noch am Leben ist. Ich muss an die anderen denken.“

Jack sah ihn verächtlich an und stieg weiter nach unten, bis er den Jungen erreicht hatte.

„Er ist am Leben.“ Jack stemmte die Hände in die Hüften. „Jetzt werden Sie mir helfen, ihn von hier wegzubewegen. Ich brauche ein Seil und ein breiteres Holzbrett. Wenn wir zusammenarbeiten, können wir ihn retten.“

Emma begann hinabzusteigen und bahnte sich den Weg durch das Gestein. Dabei rutschte sie ein wenig ab, und es gelang ihr nicht, einen leisen Aufschrei zu unterdrücken. Sie erstarrte und hielt sich notdürftig an einem Stein fest.

„Sie sollten lieber bleiben, wo Sie sind, Miss Harrison. Dies ist keine Arbeit für eine Lady. Gott möge uns beistehen, wenn Sie in Ohnmacht fallen.“

„Mr Stanton, ich bin in meinem ganzen Leben noch nie in Ohnmacht gefallen und habe nicht vor, diese Gewohnheit zu ändern“, erwiderte sie, achtete aber besser auf ihre Schritte und suchte nach einem einfacheren Weg, um den steilen Abhang zu bewältigen.

„Wie Sie wünschen.“ Jack zog den Rock aus und betrachtete den verunglückten Jungen. „Wenn ich ihn von den Steinen befreit habe, wird alles andere eine leichte Übung sein. Wir werden ihn hier herausholen.“

„Ist er schwer verletzt?“, rief Emma, und die Furcht schnürte ihr beinahe die Kehle zu. Ein Bein des Jungen war gänzlich unter den Steinen begraben. Behutsam ging sie noch ein paar Schritte und erkannte dann das typische blaue Hemd. „Das ist der junge Davy Newcomb.“

„Wie es aussieht, ist sein Bein eingeklemmt.“ Jack bückte sich und versuchte, den größten der Steine mit seiner Schulter zu bewegen, aber der rührte sich nicht. Hinter ihm stürzten zwei weitere Steine herab. „Miss Harrison, Sie setzen Ihr Leben aufs Spiel. Diese Mauer ist alles andere als stabil.“

Emma war unten angekommen und wischte sich die Hände an ihrem Rock ab. „Sie sehen, nichts ist passiert. Lassen Sie uns an die Arbeit machen.“

Jack murmelte etwas und musterte sie, sagte sonst aber nichts. Emma kniete neben dem Jungen nieder und nahm ihr Taschentuch, um sein bleiches Gesicht vom Schmutz zu befreien.

„Es tut mir leid, Miss Emma.“ Davy öffnete die Augen. „Ich habe eine Abkürzung genommen, bin im Schlamm ausgerutscht und gestürzt. Dann sind die Steine auf mich gefallen. Ich wollte nichts Böses tun. Ich weiß, dass Sie gesagt haben, es ist nicht sicher, aber es war der kürzeste Weg.“

„Still, still, Davy. Du musst dich schonen“, entgegnete Emma. Sie hielt die Hand des Jungen. Davy nickte, während ihm eine Träne über die Wange lief. „Du bist sehr tapfer.“