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Ehemalige Opfer von sexualisierter Gewalt und zwei Freunde der gehobenen Gesellschaft schließen sich zusammen, um gemeinsam Jagd auf Kinderschänder zu machen. Dabei steht die Befreiung aktueller Opfer im Vordergrund. Allerdings werden die Täter nicht geschont. Im Hintergrund agiert ein mysteriöser Racheengel, dessen Identität vage bleibt. Er kocht sein ganz eigenes Süppchen.
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Seitenzahl: 309
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Ehemalige Opfer von sexualisierter Gewalt und zwei Freunde der gehobenen Gesellschaft schließen sich zusammen, um gemeinsam Jagd auf Kinderschänder zu machen. Dabei steht die Befreiung aktueller Opfer im Vordergrund. Allerdings werden die Täter nicht geschont. Im Hintergrund agiert ein mysteriöser Racheengel, dessen Identität vage bleibt. Er kocht sein ganz eigenes Süppchen.
Paul Theo M. Dronnus:
Er wurde in Düsseldorf im Jahr 1956 geboren. Machte dort sein Abitur und war viele Jahre in der Jugendarbeit aktiv. Der verheiratete Vater zweier Kinder ist ein Familienmensch und liebt Sport und Musik in vielen Facetten.
U. Rex:
Er wurde in Oberhausen 1948 geboren. Der verheiratete Vater von drei Kindern ist immer für soziale Gerechtigkeit eingetreten. Er liebt seine Familie, seine Freunde und die Freiheit, besonders seine eigene.
Vorwort
1 Der Waldparkplatz
2 U
3 Die Hütte
4 Der Anruf
5 Das Nest
6 Zwei alte Freunde treffen sich
7 Und erneut in der Hütte
8 Dr.T
9 Der Entschluss
10 Ein erneutes Treffen mit Dr. T
11 Eine erste Bewährung für Julianes Truppe
12 Das zweite Verhör
13 Zurück zum anderen Raum
14 Im Waschraum
15 Die Sondereinheit
16 Neues von Václav
17 U und die glückliche Wendung
18 Das Richtergremium
19 Václav und die Realität
20 Selbstzweifel
21 Im Bunker
22 Der Anruf bei Juliane
23 Erstmals mit allen im Hauptquartier
24 Das große Sammeln
25 Jochen sondiert die Gefechtslage
26 Theodor
27 Der Märchenonkel
28 Tausendmal berührt
29 Vor dem Hauptquartier
30 Die Osiris-Methode
31 Besuch für Max
32 Bei Julius
33 Jogginglauf und ein Verdacht
34 Die Begegnung mit Theodor
35 Der Plan für den Märchenonkel
36 U sitzt in seinem Nest und brütet
37 Die Entscheidung in der Causa Märchenonkel
38 Karl Gauneck
39 In der Hütte
40 Karls Theorie und eine erste Auswirkung
41 Die Kirche verliert zwei „treue“ Diener
42 Václav und Alexander treffen sich
43 U stellt sich der Gruppe vor
44 Vollzug
45 Der Schlachtplan
46 Die Dolphin
47 Jochen berichtet Karl
48 Zwei Freunde sind geschockt
49 Geisterreiter in der Nacht
50 Die letzten Vorbereitungen vor dem Finale
51 Karl überrascht Jochen
52 Die Zusammenkunft vor der großen Aktion
53 Die Mission Titanic
54 Die Dolphin sticht in See
55 Im Hafen
56 Auf der Dolphin
57 Das Chirurgenschicksal
58 Dieses Mal Blumen vom Oberstaatsanwalt
59 Karl und Jochen beraten über ihre Zukunft
60 David Spot
61 Die Flucht von U
62 Auf zur neuen Freiheit
63 Qualen und Tod
64 Benni reist ebenfalls ab
65 Ankunft und Weiterreise
Nachwort
Dank
Hinweis
In vielen Kulturkreisen dieser Welt gibt es die Mythologie einer Sintflut. Eine Sintflut wurde schon von ihrer Bedeutung her als eine lang andauernde und umfassende Überschwemmung angesehen. Eine Überschwemmung, die stets die ganze Welt erfasste und bis auf wenige Auserwählte alles Leben auf diesem Planeten vernichtete. Immer war sie ein Werk einer höhergestellten Macht. Eines Gottes, der Rache nahm für das sündige und unmoralische Treiben der Menschen auf dieser Erde. So beschreiben es beispielsweise die Bibel und fast wortgleich das ältere Gilgamesch-Epos.
Seit langer Zeit streitet man sich darüber, ob und durch welche Flutereignisse die Menschen zu der Idee von diesem Großreinemachen durch einen Gott oder mehrere Götter angeregt wurden. Klar scheint allein, dass es vielerlei Großflutereignisse im Laufe der Erdgeschichte gab.
Unstrittig ist, dass der Lebenswandel der Menschen selten sozialverträglich und friedfertig war. Da sie sich aber selbst nicht in der Lage sahen, hier nachhaltig und weltweit verändernd einzugreifen, war ein rächender Gott der gewünschte Vollstrecker in Sachen Säuberung der Welt. Dabei schien eine Sintflut ideal geeignet zu sein. Sie konnte den unerträglichen Dreck an ausufernder Ungehörigkeit, Lüsternheit, Ausbeutung und menschenverachtendem Benehmen von dieser Welt tilgen. Eine solche Aktion wurde als eine gerechte Strafe und Mahnung für die Zukunft angesehen. Erst im Alten Testament schloss Jahwe mit Noah einen Bund, der durch Christus im Neuen Testament gefestigt wurde, wodurch eine abermalige weltweite Sintflut verhindert werden sollte. Doch genau dieser Bund, der unserer Spezies – trotz Fegefeuer und postmortalen Höllenqualen - womöglich das Gefühl von Sicherheit einräumte, wurde von einer kleinen Gruppe Aktivisten in Frage gestellt.
Zumindest die große Ruhe der Übeltäter musste in Angst und ständige Unruhe gewandelt werden. Davon war die schlagkräftige Gruppe um ein vierblättriges Kleeblatt von Racheengeln der Neuzeit überzeugt. Teilweise kannten sie sich schon seit Jahren, Jahrzehnten gar, manch einer kam hingegen recht frisch hinzu. Sie alle aber einte die feste Überzeugung, dass es Zeit war, Zeichen zu setzen. Dass ausradiert gehörte, was auf dieser Erde nur für Hass und Leid sorgte. Schnell und möglichst großflächig. Dabei sollten nur die Schonung erfahren, die sich an diesem Treiben nicht beteiligten.
Aus Sicht dieser Gruppe stellte sich allein die Frage, ob man an der Schwelle von Sodom stand oder schon mittendrin war. In dieser Zeit ungebremsten Auslebens aller möglichen Egoismen. Von Respektlosigkeit und Verrohung, die man bisweilen in einer weit zurückliegenden und finsteren Epoche verortete und längst überwunden wähnte. Als hätte es eine moralische und ethische Entwicklung und die Aufklärung, nicht zuletzt getrieben von wissenschaftlicher Erkenntnis, nie gegeben. Als würde das Pendel der Menschlichkeit zu weit in eben diese vergangenen Zeiten zurückschwingen und niemand wäre da, hier und jetzt diese höchst gefährlichen und zutiefst unmenschlichen Handlungen zu stoppen.
Selbst das Ansprechen eben dieser Entwicklung wurde schon angefeindet, da die immer zahlreicheren Wölfe unter den Menschen aus ihren Verstecken krochen und ohne jeden Skrupel drohten und mordeten. So nahmen Verbrechen gegen die Zukunft, unsere Kinder, immer stärker überhand. Hier fühlten sich zu allem entschlossene Menschen aufgerufen, einzuschreiten und ihrerseits ein Zeichen zu setzen. Diese Gruppe musste dabei die Sprache sprechen, die verstanden werden würde, obwohl sie weder rechtlich noch ethisch korrekt war. Aber auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.
Alles begann damit, dass nach weiteren ungeheuerlichen Skandalen im Dunstkreis der sexualisierten Gewalt gegen Kinder einigen bislang unbescholtenen Bürgern und an der Aufklärung beteiligten Polizeibeamten der Kragen endgültig platzte.
Es wurde schlicht unerträglich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund sonstiger alltäglicher Hasstiraden und hirnloser Verschwörungstheorien, die ständig auf einen niedertropften und längst den Stein der Gelassenheit ausgehöhlt hatten.
Vor Stunden hatte die Sonne den Westen besäumt, wie es Rainer Maria Rilke so treffend zu beschreiben gewusst hätte. Ja, mittlerweile war die Dämmerung längst gewichen und die Dunkelheit der Nacht regierte. Vom mond- und sternenlosen Himmel war ebenfalls keine nur geringste Helligkeit zu erwarten, da regenschwere Wolken jedwede Sicht auf die Gestirne und unseren Trabanten verwehrten.
Kevin verließ seinen Wagen, um sich ein wenig die Beine zu vertreten, nachdem er ihn auf dem ehemaligen Waldwanderparkplatz abgestellt hatte. Doch zunächst setzte er seine Löwenmaske auf, wie vereinbart. Denn jeder war aufgerufen, bei dieser ersten Zusammenkunft eine Maske zu tragen. Allein wegen der Anonymität, die für dieses Treffen verabredet worden war. Das galt in besonderem Maße für den Fall einer unerwünschten Beobachtung durch Dritte. Es war nicht sein Wagen, mit dem er vorfuhr. Er hatte ihn sich unter einem Vorwand von einem Freund geliehen, der nie viele Fragen stellte und gerne half. Ebenso klar war, dass er andere Nummernschilder mit einer Phantasiekennung an diesen Wagen montiert hatte. Nichts sollte zu erkennen und nachverfolgbar sein. Alles erschien ein wenig paranoid, aber das Treffen war keines, wie jedes andere. Er selbst hatte darauf gedrungen, dass es so schnell wie möglich geschah.
Die Straßen waren heute Abend erstaunlich frei. So erreichte er das vereinbarte Ziel vor der Zeit. So, wie er es liebte.
Er wäre gerne mit seinem fast unsichtbaren und unhörbaren Hubschrauber hier gelandet. Aber erstens war das Wetter nicht so passend und zweitens ließ das sein bewusst gepflegtes Understatement nicht zu. Er war zu Anfang lieber ein normaler und eher etwas schüchtern auftretender Mann. Er wurde gerne unterschätzt. Nicht nur hinsichtlich seiner Wirtschaftskraft, sondern auch seiner kombinatorischen Fähigkeiten und der Sinnesschärfe seines Gehirns. So ließ sich manche Überraschung kreieren.
Kevin hatte gute Kontakte in die Justizverwaltung und zählte gar einen Oberstaatsanwalt zu seinen Freunden. Ihm war er schon länger als ein Jahrzehnt verbunden. Dies war wichtig für ihn, so kurz vor der jetzt unmittelbar bevorstehenden Begegnung, die er gemeinsam mit seinem Freund herbeigeführt hatte.
Hier draußen, fernab einer Großstadt oder größeren Menschenansiedlungen, war die Dunkelheit tiefschwarz. Der Wald im Hintergrund diente daher eher als Geräuschkulisse, da sich seine Umrisse nicht recht vom ebenfalls dunklen Himmel abzuheben vermochten. Es knackte hier und raschelte dort. Und schrie da nicht ein Käuzchen? Ein leichtes Schaudern ergriff ihn, der recht schnell zu einem Treffen in dieser Einsamkeit eingeladen worden war. Er hatte großes Verständnis dafür, dass man sich nicht in irgendeiner Gaststätte traf, zumal sich nicht alle kannten und ein die Öffentlichkeit scheuendes Thema zu besprechen war. Aber musste es unbedingt hier sein? Am Ende der Welt?
Diese Dunkelheit erinnerte ihn an ein Erlebnis aus Jugendtagen, als er in einem kleinen Dorf in Griechenland seinen Urlaub verbrachte, das weit weg von einer größeren Stadt lag. Hier war es außerhalb der Ortschaft nachts ebenfalls absolut dunkel. Damals war es eine letzte Laterne, die mit ihrer Leuchtkraft ein kleines Stück einer Straße erhellte. Doch trat man aus diesem Lichtkegel heraus, so war es, als durchschritt man einen schwarzen Vorhang, der diese Straße in zwei Sphären teilte. Diesseits dieser imaginären Grenze war Helligkeit, jenseits hingegen tiefschwarze Nacht. Von dort aus hatte er einen unglaublichen Blick auf einen über und über mit Sternen übersäten Himmel, wie er ihn zuvor so nie gesehen hatte. Eine Vielfalt, die neben den bekannten Sternbildern eine schier unzählige Menge hellerer und etwas dunkler scheinende Sterne zeigte. Es war absolut überwältigend und ließ in ihm die Frage aufsteigen, ob diese kleine Erde als einziger Planet bewohnbar sei. Einige dieser vielen Sterne hatten doch einen Exoplaneten, der Leben ermöglichte, in welcher Form auch immer. Schade, dass das heutige Wetter einen ähnlichen Ausblick auf das reichhaltige Firmament wegen der Regenwolken nicht erlaubte.
Neben diesem gänsehautmachenden Anblick der Gestirne bemerkte er damals einen Temperaturunterschied. Ohne das Licht der Laterne hatte er nicht nur einen klareren Blick gen Himmel, sondern es schien zugleich eine wichtige Wärmequelle zu fehlen. Die Erinnerung an dieses Erlebnis ließ ihn jetzt wegen der heutigen Kühle frösteln.
Er überlegte, kaum dass er die Einfahrt des Parkplatzes erreicht und die schnurgerade Landstraße entlanggeschaut hatte, zu seinem Auto zurückzukehren. Da erblickte er am Horizont in einer Entfernung von rund zwei Kilometern ein Scheinwerferpaar. Dieser Wagen schien zielgerichtet auf den ehemaligen Waldparkplatz zuzusteuern. Andererseits gab es hier nicht mehr Straßen als diese Landstraße, die nicht nur zum Treffpunkt führte, sondern zudem die weit versprengten kleinen Gehöfte miteinander verband, die hier in dieser Gegend lagen. Von daher war es nicht ausgemacht, dass das sich nähernde Fahrzeug auf den Parkplatz fuhr, obgleich er die Ankunft seines Freundes Alexander erwartete.
Der erneut einsetzende Regen bestärkte dann sein Bestreben, zu seinem Gefährt zurückzukehren und den vermeintlich weiteren Ankömmling zu erwarten. Dort angekommen, öffnete er sein Handschuhfach, griff hinein, holte vorsichtig seine Pistole heraus, legte sie neben sich auf den Beifahrersitz und wartete darauf, dass der andere Wagen auf den Parkplatz mitten im Nichts einbiegen würde. Letztlich war nicht klar, wer sich da näherte.
Er atmete gleichmäßig und zwang sich zur Ruhe. Er ließ die Pistole neben sich liegen. Sie verhalf ihm zu mehr Gelassenheit. Von ihr ging eine gewisse, womöglich nur trügerische Sicherheit aus. Er hatte zwar ein Schießtraining absolviert, dies lag schon über ein Jahr zurück. Benutzt, so zur Verteidigung - und nur das kam für ihn in Betracht – hatte er sie nie, aber gestern einmal auseinandergebaut und vor dem Zusammenbau gesäubert und frisch geölt. Er überließ nichts dem Zufall. Er fühlte sich mit der Schusswaffe in seiner Nähe immer ein wenig besser, wenngleich die Maske auf seinem Gesicht ihn momentan etwas in der Sicht einschränkte.
Während er seinen Blick erneut auf die Waffe richtete, glaubte er im Innenspiegel einen kurzen Lichtblitz gesehen zu haben. Dieser schien aus dem Gebüsch schräg hinter ihm gekommen zu sein. Er war im Begriff seinen Kopf herumzuwirbeln, besann sich eines Besseren und versuchte stattdessen, über die Rückund die Außenspiegel Gewissheit zu erlangen. Jetzt glaubte er, eine Zigarettenglut zu sehen. War schon jemand vor ihm auf dem Parkplatz angekommen und hatte ihn beobachtet? Im Gebüsch verborgen? Um ihn zu testen? War das der ihm unbekannte Mister X, der die Einladung ausgesprochen und diesen Treffpunkt vorgeschlagen hatte? Der so wichtige Verbindungsmann zur Szene, den er erst vor kurzer Zeit über das Internet kontaktiert hatte?
Egal, denn jetzt nahm der Wagen, dessen Scheinwerferpaar er eben am Horizont ausgemacht hatte, seine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag, da dieser auf den Parkplatz einbog. Darin saß nur eine Person. Mit dem unheimlichen Beobachter waren sie zu dritt. Sie hatten sich zu viert verabredet, demnach fehlte noch einer der Teilnehmer dieses konspirativen Treffens. Doch da näherte sich auf einem Waldweg ein Elektroquad. Das Gefährt hatte den Vorteil, sich extrem leise zu bewegen, und es war außerdem geländegängig. Es war Charles. Sie waren jetzt komplett. Der Fahrer des eben erst angekommenen Wagens hatte seine Scheinwerfer verlöschen lassen und öffnete die Fahrertüre. Es war eindeutig sein alter Freund Alexander, der das heutige Treffen letztlich angestoßen hatte. Er erkannte ihn sofort an der hünenhaften Gestalt und der Art, sich aus dem Wagen zu schälen. Da half die Clownsmaske nichts, die er trug. Sie kannten sich schon zu lange und waren einander daher sehr vertraut. Kevin verließ erneut sein Fahrzeug, nahm aber zunächst seine Waffe vom Beifahrersitz und steckte sie in seine tiefe Manteltasche. Dort würde sie nicht auffallen. Jetzt näherte sich der stille Beobachter, den er in seinem Außenspiegel ausgemacht hatte. Wie sich schnell herausstellte, war Mister X in Wahrheit eine Mrs. X. Ihr Ruf in der Szene war legendär. Sie trug nur eine kleine Augenmaske, hatte aber ihr gesamtes Gesicht überaus kunstvoll auf Katze geschminkt. Damit hätte sie bei Cats auftreten können.
Der Quadfahrer, ebenfalls ein Freund von Kevin, dessen Auftritt schon recht bemerkenswert war, stoppte sein Gefährt, setzte seinen Helm ab, behielt zunächst jedoch seinen Schal vor dem Gesicht. Alle vier schritten auf die Mitte des Platzes zu. Das war der Startschuss für das Treffen und die anstehenden ersten Beratungen, aus denen sich ergeben konnte, dass man sich ein weiteres Mal begegnen würde. Es käme darauf an, Mrs. X von ihrem Anliegen zu überzeugen, denn sie und ihre Gruppe würden eine nicht unerhebliche Last dieses Unterfangens zu schultern haben. Deutlich über das hinaus, was sie bisher im Internet an Hilfen anboten.
Es knackte erneut im Wald und ein weiterer Gast näherte sich der kleinen Gruppe. Erschreckt fuhren die drei Männer herum, doch Mrs. X beruhigte sie gleich wieder.
„Das ist der Kommissar, nennen wir ihn zunächst einfach K. Er ist unser Verbindungsmann zur aktuellen Sonderkommision. Er wird uns Tipps geben und, wenn nötig, warnen oder den Rücken freihalten. Er wollte allerdings schon wissen, mit wem er es zu tun hat. Ich habe auch ihn eingeladen, da ich ihn seit Jahren kenne. Er ist auf unserer Seite. Er wird mit Sicherheit dabei helfen, diesen Unrat von der Erde bzw. unter diese zu schaffen. Er kennt die Methoden der Täter und der Aufklärer von Straftaten. Er wird uns als erfahrener Insider helfen, Anfängerfehler zu vermeiden. Er hat Zutritt zu allen Asservaten und Ermittlungsergebnissen. Seine Tante arbeitet bei der Staatsanwaltschaft. Wir verfügen so über eine Art Vorwarnsystem. Die weiß übrigens nichts von uns. Also alle wieder ruhig weiteratmen und keine hektischen Bewegungen jetzt. Und lassen Sie Ihre Waffen stecken, falls Sie welche mit sich führen.“
Bei diesen Worten sah sie alle drei Herren im Rund an. Sehr eindringlich Kevin, zumindest empfand er es so. Hatte sie irgendetwas bemerkt? War sie eine so genaue Beobachterin? Kevin hatte es bewusst unterlassen, in seine Manteltasche zu greifen. Er hatte sich nicht wegen des plötzlichen Erscheinens von K erschreckt, keine verräterische Bewegung trotz seiner Waffe vollzogen. Der Kommissar hatte sich bei der Wahl seiner Fuchsmaske von seinem Job leiten lassen. Der Quadfahrer drehte sich für einen Moment von der Gruppe weg und setzte seine mitgebrachte Erdmännchenmaske auf. Er erntete einige kurze Lacher für diese Auswahl.
Kevin ertappte sich jetzt dabei, wie er einen Protest anbringen und diesen in Richtung Mrs. X zu adressieren suchte. Frei nach dem Motto, dass Vertrauen wichtig sei und rechtzeitige Information über einen weiteren Teilnehmer an diesem ersten Treffen unabdingbar gewesen wäre. Er überlegte dann einmal kurz, unterdrückte seinen spontanen Frust und unterließ diesen Hinweis, da er selbst ein Geheimnis mit sich herumtrug, das er nicht mitzuteilen bereit war. Er nahm nicht nur aus eigenem Interesse an diesem Treffen teil. Kevin war zudem eine Art Verbindungsmann. Ein Mittelsmann zwischen dieser sich konstituierenden Gruppe und seinem alten Freund und Gönner U. Dieser wiederum würde in der Lage sein, im Hintergrund eine wichtige Rolle zu spielen. Doch hing die Wirkung von U und dessen Erfolg für die Gruppe davon ab, dass er im Dunkeln bleiben konnte. Dass niemand mitbekam, dass und wie er einige Fäden zog. Daneben war zudem sein Freund Alexander in einer eigenen Mission unterwegs, von der Kevin zwar wusste, die aber erst später zum Tragen kommen würde. Von daher verbot es sich für ihn, hier den großen Moralapostel zu mimen und Transparenz und rechtzeitige Information zu fordern. Der Start des Unternehmens durfte nicht gleich von einem Streit getrübt werden.
U war ein überaus reicher und ebenso erfolgreicher Geschäftsmann mit allerbesten Kontakten zu verschiedensten Unternehmern. Er hatte die Marotte, sich von seinen Freunden immer nur mit dem ersten Buchstaben seines Vornamens ansprechen zu lassen. Er arbeitete zu Beginn seines Berufslebens unablässig, um jede Menge Geld zu verdienen und Einfluss zu erlangen. Dabei vernachlässigte er jedoch seine Familie. Nach einiger Zeit stand er vor der Frage, ob er ein weiterer dicker Karpfen im Teich der vielen anderen Protagonisten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung werden oder aber die Funktion des Hechtes in diesem Areal übernehmen sollte. Diese Entscheidung nahmen ihm zwei schwere Schicksalsschläge ab, die ihn derart erschütterten, dass er von unstillbarer Wut und Rachegedanken erfüllt wurde. An ein Karpfendasein dachte er von da an nicht mehr. Sein Leben erhielt eine andere Ausrichtung.
Das Geschäftsgebaren und die Verfehlungen seiner einflussreichen „Freunde“, die sich mit ihm regelmäßig trafen, ihre sonstigen Netzwerke und Verwicklungen dokumentierte er äußerst penibel. U stellte so lange Beweisketten her, mit deren Veröffentlichung er eines Tages und bei passender Gelegenheit drohen würde. Er selbst hielt sich stets zurück, wenn es sich um unerlaubte Absprachen oder gar kriminelle Aktivitäten handelte. Ihm wurde schnell klar, dass er den Inhalt seines so angesammelten Schatzes heben und einsetzen würde, wenn er nach getaner Rachearbeit überleben und verschwinden wollte.
Sein Verhalten war nicht ehrenhaft, doch so funktionierte halt dieser Karpfenteich, den viele gerne Haifischbecken nennen. Dabei wird verkannt, dass neben der wirtschaftlichen Konkurrenz ein gewisser Zusammenschluss dieser Gruppen für sämtliche Beteiligten förderlich war. Hier herrschte oftmals ein fein ausbalanciertes Gleichgewicht. Hier bestand die Gefahr, dass schon kleinere Störungen alles durcheinanderzubringen vermochten. Skandale gar galt es zu verhindern. Jeder hatte eine Menge Geld und Ansehen zu verlieren. U, dem dies bewusst war, verlieh dieser Umstand eine ungeheure Macht. Er strebte nicht an, alles zu zerstören. Sein Bestreben lag darin, seine Rachegedanken ungestört und letztlich unbehelligt umzusetzen. Womöglich benötigte er später dazu die Dienste des einen oder anderen Haifisches.
Dies alles hatte Kevin von Anbeginn zu beachten und für sich zu behalten. Er war der einzige wirkliche Vertraute von U. Nur er war in der Lage, den Zusammenhang zwischen U und den womöglich anstehenden Aktivitäten herzustellen.
Der vom Wetterbericht vorhergesagte heftigere Regen setzte deutlich spürbar ein und es wurde mitten auf dem Parkplatz ungemütlich. Mrs. X schlug von daher einen nur wenige Minuten dauernden Fußmarsch zu einer Hütte im Wald vor, die ihrer Organisation gehörte. Dort gab es etwas zu essen und zu trinken, keine Abhörvorrichtungen, aber Netz. Die Wagen auf dem Parkplatz waren sicher. Eine versteckte Kamera beobachtete das Geschehen und man war in der Lage jederzeit einzugreifen. Sie erklärte Charles den Weg, der mit seinem Quad bis unmittelbar vor die Hütte fahren und diese aufschließen konnte. Den Schlüssel gab sie ihm gern. Sie hatte nichts zu verbergen.
Diese Hütte, die sie in einem eher beklagenswerten Zustand von einem Freund geschenkt bekommen hatte, wurde von ihr und der Gruppe um sie herum restauriert und mit einigen kleinen Nettigkeiten ausstaffiert. Zu Beginn ihrer gemeinsamen Aktivitäten trafen sie sich hier, um in entspannter Atmosphäre ihre Ideen auszutauschen und die ersten Fälle zu besprechen. Die Hütte wurde jetzt seltener genutzt. Sie diente der Ruhe in naturnaher Umgebung.
Alle nahmen den Vorschlag von Mrs. X an und so zogen sie gemeinsam, teils beschirmt, teils von den Kapuzen ihrer Regenjacken geschützt, zur Hütte, da sich der Regen weiterhin verstärkte. Nach nur vier Minuten waren sie vor Ort. Charles hatte schon das Licht angeschaltet und den Elektroofen angedreht. Er hatte fünf Gläser auf den Tisch gestellt, die er in der Vitrine des einzigen Schrankes dieser Behausung vorgefunden hatte. Allein den Kühlschrank ließ er unangetastet, denn hier war die Hausherrin gefragt. Zwar war die Hütte nicht groß, doch reichte der Platz für diese Gruppe aus. Sie verfügte über einen Anschluss ans Strom- und Wassernetz und hatte sogar eine Chemietoilette. Hier ließ es sich eine Weile aushalten.
Mrs. X bat ihre Gäste, die Handys auszuschalten und in die Metallbox zu legen, die sie auf dem Tisch platziert hatte. Nur so war zu erreichen, dass die Mobilfunkgeräte nicht zu Mikrofonen für fremde Ohren wurden. Jedes angeschaltete Handy ist in der Lage, Gespräche zu verfolgen, die in unmittelbarer Nähe geführt werden.
Sie erklärte ihnen, dass dies hier ein Außenposten ihrer Gruppe sei. Gelegentlich fanden hier Treffen im kleinen Kreis statt. Neben dieser Hütte verfügten sie zudem über einen großen Lagerraum und ein geräumiges Quartier, das sie gerne das Hauptquartier nannten. Dort gab es viele schalldichte Zimmer. Letzteren Hinweis garnierte sie mit einem spöttischen und zugleich Angriffslust signalisierenden Unterton. Alle in der Hütte verstanden, was das zu bedeuten hatte. Weder Verräter noch gefangene Übeltäter würden dort überaus spaßige Zeiten erleben. Mrs. X öffnete eine verborgene Tür an der Hinterseite des Schrankes und zeigte ihren Gästen, dass ihre auf dem Parkplatz abgestellten Autos völlig unbehelligt und unentdeckt im Regen standen. Die Bilder waren leicht unscharf und man vermochte nicht in das Innere der Fahrzeuge zu sehen, was Kevin mit Zufriedenheit zur Kenntnis nahm, denn so waren ihre unmaskierten Gesichter zum Zeitpunkt des Ankommens nicht zu erkennen gewesen. Auf einigen anderen Bildausschnitten des Desktops sah man, dass rund um die Hütte außer Wald und Regen nichts zu sehen war, was in irgendeiner Form Anlass zur Sorge gegeben hätte. Alle zeigten sich beruhigt und beeindruckt zugleich. Die Truppe um Mrs. X herum schien umsichtig und recht professionell zu handeln. Bei Kevin sorgte diese Erkenntnis für ein beruhigendes Gefühl. Dennoch spürte er immer noch gerne das Gewicht und die Körperlichkeit der Pistole in seiner Manteltasche. Mrs. X schritt zum Kühlschrank und stellte einige Getränke und etwas Käse, Brot und Margarine auf den Tisch. Sie legte fünf Messer dazu. Wegen der Masken verzichteten alle bis auf Mrs. X darauf, zu essen und zu trinken. Sie selbst hatte mit ihrem aufgemalten Katzengesicht keine Probleme und lachte. Es war ein befreites Lachen und ein hübsch anzusehendes. Sie nahm ihre Augenmaske ab und zeigte damit ihre Offenheit an. Daraufhin fiel die etwa drei Zentimeter lange Narbe unter ihrem linken Auge auf, die jetzt im Licht trotz der aufgetragenen Schminke zu sehen war. Diese Verletzung hatte ihr Vater ihr zugefügt, im Suff und mal wieder übergriffig, wogegen sie sich ohne Erfolg zu wehren versucht hatte. Sie bat die übrigen Anwesenden, sie bei ihrem Vornamen Juliane zu nennen.
Jetzt standen die ersten inhaltlichen und organisatorischen Fragen zur Klärung an. Die Rollen waren schnell verteilt. Kommissar K hatte die Aufgabe, sie über Ergebnisse in aktuellen Fällen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder auf dem Laufenden zu halten. Dies war immer dann wichtig, wenn sie sich selbst in die Ermittlungen und in die Verhöre einschalteten. Ihre Verhörformen würden sich von denen der Polizei unterscheiden. Wie weit sie abweichen durften, war zu klären. Das erklärte Ziel war, möglichst viele Kinder möglichst schnell aus den Klauen der Monster zu befreien. Selbst zurückliegende Fälle, von denen K oder andere Teilnehmer Kenntnis hatten, wollten sie im Nachhinein einer gerechten Lösung zuführen. Für diese Tätigkeiten war die Organisation von Juliane vorgesehen. Alle ihre Mitglieder waren in ihrer Kindheit entweder selber Opfer sexualisierter Gewalt geworden oder hatten das Zerbrechen anderer Kinder aus dem Familien- bzw. Freundeskreis miterlebt. Ihnen brauchte man nicht zu erklären, in welcher Leidenssituation diese hilflosen Wesen lebten.
Kevin, Alexander und Charles einte die feste Überzeugung, dass in dieser Frage ein hartes und entschiedenes, wenngleich subversives Vorgehen unerlässlich wäre. Sie gäben Geld, führten aber daneben eigene Ermittlungs– und Beobachtungstätigkeiten durch. Zudem bildeten sie gemeinsam mit Herrn K und Juliane eine Art Richtergremium, das über die Schwere der Verfehlung und damit die Art der Bestrafung entscheiden würde. Hier standen erkennbar schwierige Gespräche bevor. Eine solche Abstimmung war gewiss nicht leicht, galt es doch individuelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Klar schien aber von Anbeginn, dass skrupellose Vergewaltiger und Kinderquäler nur eine Strafe verdient hatten, den Tod. Hier gehörte ausgemerzt, was stets gefährlich blieb und zumindest Seelen tötete. Die drei Freunde waren von der Entschlossenheit ihrer beiden Gesprächspartner überrascht. Hatte Kevin zunächst erwartet, dass sie die Gruppe um Juliane von einer harten Gangart hätten überzeugen müssen, so drehte sich jetzt die Angelegenheit in die genau andere Richtung. Denn ihre zwei Gegenüber waren deutlich klarer in ihren Aussagen, als sie es erwartet hätten. Sie traten an, alles zu unternehmen, um die Monster, die Kinder schändeten, zu stellen und zu töten.
Daneben gab es Mitläufer, die sich von der Einfachheit des Beutemachens im Internet zum Konsumentendasein verführen ließen. Hier galt es zu differenzieren. Eine Kastration des Delinquenten bildete hingegen das geringste Strafmaß. Milde oder gar Freispruch gäbe es in keinem Fall. Bevor sie zuschlugen, war die Schuldfrage stets eindeutig zu klären. Bei der großen Menge von Perversen und triebgesteuerten Ungeheuern würde die erste Zeit mit Todesurteilen übersät sein. Für Mütter, die ihre Kinder Peinigern bewusst überließen oder gar zuführten, kam ebenfalls nur die Todesstrafe in Betracht.
Gerne wäre Kevin gegen andere Verbrecher, wie die organisierte Kriminalität, Vergewaltiger und Mörder oder gefährliche Politiker und sonstige Scharfmacher vorgegangen. Das überstieg hingegen bei weitem ihr Potential. Außerdem musste sich zunächst erweisen, was sie auf dem jetzt ins Auge gefassten Terrain zuwege brachten. Daneben war nicht klar, wie es sich praktisch anfühlt, jemanden zum Tode zu verurteilen und letztlich das Urteil vollstreckt zu sehen. Ganz davon zu schweigen, dass es ab diesem Zeitpunkt kein Zurück mehr für das eigene Gewissen gab. Sie wurden zu Kriminellen. Bei Entdeckung der Straftaten würde zudem ein Verfolgungsdruck durch die Staatsmacht in Gestalt von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei aufgebaut. Die Motivation zu ihren Handlungen änderte daran nichts.
Letztlich blieb zu klären, ob man die Taten bewusst zur Schau stellen oder lieber nur die Kreise der Kinderschänder mit voranschreitender Zeit verunsichern wollte. Man beschloss, die produzierten Leichen auf Nimmerwiedersehen zu entsorgen. Die Öffentlichkeit würde von ihrem Aufräumen schon früh genug etwas mitbekommen. Bis dahin hätten sie aber eine gewisse Schneise geschlagen. Außerdem würde das Verschwinden von Menschen aus ihrem bisherigen Umfeld zu Nachforschungen führen. Irgendwann würden die Zusammenhänge offenkundig. Juliane wies darauf hin, dass sie über eine Zugriffsmöglichkeit auf ein Krematorium verfügten. Dies sorgte für ein großes Stück Erleichterung bei den übrigen Teilnehmern.
Inwieweit U in der Lage war, sie zu beschützen, wenn es eng werden würde, war nicht ausgemacht, obwohl er zweifelsfrei alles Notwendige unternehmen würde. Dieser Notausgang war eben eine allerletzte Exitmöglichkeit. Wenn diese Möglichkeit zu früh in seinen Reihen publik würde, gefährdete Kevin sich, U und die anderen ohne Grund. Es lag hier allein an U, sich der Runde vorzustellen.
Nach eingehender Diskussion verschiedener Punkte kamen sie zu dem Ergebnis, dass Juliane und ihre Leute auf Hinweis der Ermittlungen von K oder den Beobachtungen der übrigen drei die Täter festnehmen und in ihrem Hauptquartier unterbringen sollten. Zunächst kamen die unumstrittenen und schweren Fälle in Betracht, bei denen Todesurteile unausweichlich schienen. Vor jeder Aktion würde das Richtergremium kurz zusammentreten, nach Abwägung von Für und Wider ein Urteil fällen, das von der Truppe um Juliane herum vollstreckt würde. Um die Entsorgung der Leichen kümmerten sie sich ebenfalls. Sie nutzten dazu das Krematorium. Ein Mitglied der Gruppe hatte ein Beerdigungsinstitut geerbt, dem ein solches angeschlossen war, was die restlose Beseitigung einer Leiche erheblich voranbrachte. Die Asche würde man dann zu gegebener Zeit in einen Flusslauf oder See zu verbringen wissen.
Offen war zudem, ob und in welchem Umfang die Täter zuvor durch Verhöre und ggf. Foltertätigkeiten zu Angaben über Opfer und weitere Mittäter bewegt werden sollten. Dieser Komplex löste bei den drei Freunden erkennbar Unwohlsein aus. Es war erstaunlich, dass die Tötung eines Täters einvernehmlich diskutiert wurde. Die Durchführung von Folter hingegen schien komplizierter. Ein solcher Vorgang ist gesellschaftlich einer größeren Ächtung ausgesetzt als eine vergeltende Tötung, die zudem eine gewisse Berechtigung und Schutzfunktion in sich birgt. Außerdem benötigte man bei Folterhandlungen ein hohes Maß an Rohheit und Distanz zum eigenen Handeln. So vertagte man sich auf ein erneutes Zusammentreffen in einer Woche an gleicher Stelle. Alle Teilnehmer konnten so in der gebotenen Ruhe über diesen Abend nachdenken und sich für den weiteren Ablauf rüsten. Jetzt, wo es erkennbar anfing, real zu werden. Nur wenige Schritte von einer gut bürgerlichen Existenz zu einer, die sich Verbrechen schuldig machen wird.
Eine neue Realität bildete sich in den Köpfen der drei Freunde aus. Es wurde ernst. Man konnte es mit Händen greifen und im Magen breitete sich ein gewisses Grummeln aus, das man in den Griff bekommen musste. Nur Juliane und der Kommissar schienen entspannt und ungeheuerlich entschlossen zu sein. Juliane trug nicht unbedingt Hass in sich, etwa gegen ihren Vater, der mittlerweile verstorben war. Die Trinksucht hatte seine Leber zerstört und damit seine Familie von einem stets unberechenbaren und abgrundtief verkommenden Subjekt befreit. Seine Beerdigung war eine solitäre Veranstaltung, auf der ihm niemand nur eine Träne nachweinte. Man verzichtete auf heuchlerische Beileidskundgebungen und bewusst auf eine kirchliche Begleitung und die üblichen Reden zu diesem Anlass. Er war weg und das war gut so. Er hatte lange genug seine Tyrannei ausgeübt. Aus dieser damaligen Gefühlslage hatte Juliane gelernt. Wenn die Folgen der Trinksucht nicht halfen, Gewalt und Missbrauch zu stoppen, so waren Menschen aufgerufen, Abhilfe zu schaffen. Entweder solche aus der betroffenen Familie, wozu diese leider zu selten in der Lage sind, oder eben diese neue Organisation, die wie ein Helfer in der Not, als Befreier gar, ihre Dienste darbringen wollte. Das trieb sie an. Das führte aber dazu, dass sie den Tätern gegenüber kalt bis ins Herz war. Auszumerzen galt, was täglich Unglück und Leid über schutzlose und verletzliche Menschen brachte. Ohne jeden Zweifel und jedwedes Zögern. Sie alle wollten zum starken Arm werden, der die Axt führte, um die Wurzel des Übels zu zerstören. Für immer auszurotten, was nicht in diese Welt gehörte. Der Kommissar hingegen war Profi. Das half ihm dabei, ebenfalls gelassen mit der Situation umzugehen.
Nachdem Juliane ihr Glas geleert und alles gesäubert und weggeräumt hatte, nahmen die Besucher der Hütte wieder ihre Handys an sich. Jeder verließ sie mit seinen eigenen Gedanken und dem selbst gestellten Auftrag, sich zu prüfen. Bei weiterem Interesse an dieser bald zu startenden Unternehmung kämen sie nächste Woche wieder. Treffpunkt war dieses Mal gleich vor der Hütte, um sofort den Disput fortzusetzen und womöglich erste Urteile zu fällen. Masken wären dabei überflüssig, denn dann war Vertrauen das Gebot dieser Gruppe. Juliane hatte es ihnen vorgemacht.
Dann würde eine Lawine losgetreten, die zunächst klein mit nur einem Steinchen begann, um später aber eine Dynamik zu entwickeln, die wegen ihrer mitreißenden Art kaum zu stoppen sein würde. Zwar passte das Bild nicht jedem in letzter Konsequenz, da sich Lawinen dann doch letztlich immer totliefen. Ein Umstand, an den jetzt niemand denken wollte. Der Grund dafür könnte neben dem schlichten Aufhören die Entdeckung ihrer Aktivitäten und ihrer selbst sein. Es war hingegen angeraten, den Mut und die Weitsicht zu haben, das Ende zu bedenken, bevor man zu handeln begann.
Aber würde jeder erneut den Weg zur Hütte finden, oder gab es schon den ersten Aussteiger? Kevin war sich bei Charles nicht sicher. Ging für ihn alles zu schnell? Er wurde mit zunehmender Diskussion und deutlich konkreter werdender Gefahrenlage immer schweigsamer. Nach Ansicht von Kevin lenkte Charles an diesem Abend zum ersten und letzten Mal sein Quad in diese Gegend. Alle anderen schienen recht entschlossen zu sein. Juliane und der Kommissar ohnehin.
Kevin hatte sich in seinen Wagen gesetzt und ihn gestartet, als sein Handy klingelte. Es war U, der irgendwie beobachtet hatte, dass die erste Zusammenkunft zu Ende war. Er hatte wohl die Meldung erhalten, dass das zuvor ausgeschaltete Handy von Kevin nunmehr wieder zu erreichen war. Er wollte sicher sofort wissen, wie alles gelaufen war. Kevin drückte seinen Anruf kurz weg, um nicht auf dem beobachteten Parkplatz zu telefonieren. Er setzte seinen Wagen in Bewegung und fuhr in die nächste kleine Ortschaft und dort rechts ran, um dann seinerseits U zu kontaktieren.
Die Eltern von Kevin und die von U hatten sich vor Jahrzehnten kennengelernt. Sie trafen sich auf einer Benefiz-Veranstaltung. Kevins Mutter war im achten Monat schwanger, U war damals zehn Jahre alt. Beide wurden in recht vermögende Familien hineingeboren. Mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund, wie man so gerne sagt. Aufgrund des Altersunterschieds der beiden Jungen trafen sich diese zunächst nicht so häufig. Nachdem Kevin das Studium des Ingenieurwesens und der Wirtschaftswissenschaften aufgenommen und U sein erstes Start-up zu frühen Erfolgen geführt hatte, kreuzten sich ihre Wege entscheidend. Kevin arbeitete von da an in den Semesterferien und gelegentlich neben dem Studium in der Firma von U. Beide wurden dabei getrieben von dem Interesse an der Entwicklung des jeweils anderen. Aus dieser Neugier erwuchs im Laufe der Zeit eine echte und tiefe Freundschaft. U hatte seinerzeit schon seine spätere Frau kennengelernt und plante mit ihr eine gemeinsame Zukunft einschließlich der Gründung einer Familie. Kevin hingegen suchte nach der richtigen Beziehung. U versuchte, seinem Freund immer wieder zu verdeutlichen, dass es die perfekte Frau nicht geben würde. Niemand ist ohne Macken, sie beide eingeschlossen. Als U heiratete, war Kevin einer der Trauzeugen. Damals war die Welt nicht nur morgens um sieben in Ordnung. U war erfolgreich und die Ehe war trotz der vielen Arbeit von U harmonisch. Als dann seine Frau schwanger wurde, schien der Himmel voller Geigen zu hängen. Bei Kevin hingegen zeigte sich, dass seine Arbeit und seine vielen beruflichen Reisen nur kurze und recht unverbindliche Kontakte zuließen. Er war eher in der Welt der Oberflächlichkeiten und Fassadenpflege gelandet, wenngleich er die wirkliche Tiefe vermisste. Hier half die Kunst. Vor allem anderen führten die Musik und das Lesen zu der gesuchten Euphorie und Entspannung.
Kevin bemerkte, dass seine Gedanken in die Vergangenheit abgeschweift waren. Jetzt aber widmete er sich U. In kurzen Worten schilderte er ihm den Stand der Dinge, ohne dabei Namen oder verräterische Details zu nennen. Sein Prepaid-Handy war zwar durch Verschlüsselungstechnologie geschützt, aber nichts ist absolut abhörsicher. U lud ihn seinerseits zu einem Treffen ein, um seine neuesten Errungenschaften zu demonstrieren. Vorher stand für Kevin eine Reise nach Rio an, da dort einige geschäftliche Angelegenheiten zu regeln waren. Einen Tag vor der nächsten Zusammenkunft mit der neuen Truppe hatte Kevin Zeit, U einen kleinen Besuch abzustatten. Dort konnte er alles Wichtige mit ihm in Ruhe und rechtzeitig besprechen. So war es möglich, eine erfolgreiche Strategie festzulegen. U hatte ein hohes Interesse an einem zügigen Beginn dieser neuen Gruppe, die er gerne „Die Reinigungstruppe“ oder die „Die Wegspüler“ nannte. Denn war es nicht ihre Aufgabe, die Erde von einem Teil des menschlichen Drecks zu reinigen, diesen von ihr hinfort zu spülen? Ja, genau dazu war sie da. Sie sollte wie eine kleine Sintflut sein, wenn es so etwas überhaupt gab. Er würde alles nach Kräften unterstützen. Ihm war es ein unbedingtes Bedürfnis.
Kevin kannte die Intention von U. Obwohl er selbst nicht unmittelbar betroffen war, trug er doch große Wut in sich. Wie konnten es diese Unmenschen nur wagen, sich an arglosen Individuen unserer Spezies, den kleinen, wehrlosen und teilweise sogar abhängigen Menschlein, zu ihrem Lustgewinn zu vergreifen. Ihm war klar, dass hier nicht nur körperliche, sondern auch seelische Schäden zurückblieben, die womöglich das ganze weitere Leben in höchstem Maße beeinträchtigten. Hier passierte ein Angriff auf den Kernbereich eines Menschen, völlig skrupellos. Dem musste unbedingt Einhalt geboten werden. Diese reinen Testosteronmonster und Geschäftemacher gehörten in den Orkus. Je schneller und je mehr von ihnen, desto besser. Ja, das war seine Einstellung. Jetzt galt es, den Mut zu finden, bei diesen Aktionen mitzuwirken. Eine aktive Rolle zu übernehmen, wenn sie sich auch auf Finanzierung, Beobachtungen und das Fällen von Urteilen beschränken würde.
Zudem galt es, U nicht zu enttäuschen. Unzählige Male hatten sie beide in Gesprächen ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Doch gab es eine reelle Chance, einen Teil dieser Überlegungen umzusetzen? Ja, jetzt könnte es endlich Realität