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Ein Mord, ein Geheimnis und die süßeste Versuchung Italiens – willkommen in Sirmione! Eigentlich wollen Niels und seine Schwester Sofia nur schnell das geerbte Restaurant am Gardasee verkaufen. Doch statt Dolce Vita erwartet sie das pure Chaos: Ein charmanter Gemüsehändler weckt unerwartete Gefühle, eine alte Familiengeschichte gibt Rätsel auf und dann wird auch noch der Küchenchef ermordet! Während Niels unfreiwillig zum Kochlöffel greifen muss und Sofia nur ein paar sonnige Tage am Gardasee verbringen möchte, stecken die beiden plötzlich in einem Fall voller Lügen, Intrigen und köstlicher italienischer Spezialitäten. Dabei kommen sie dem Mörder immer näher – ohne zu ahnen, dass sie längst im Visier des Täters stehen. Ein humorvoller Cosy Crime voller Sommer, Sonne und Spannung – perfekt für alle, die Italien, gutes Essen und charmante Ermittlungen lieben!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 – Ab in den Süden
Kapitel 2 – Eine Villa in Sirmione
Kapitel 3 – La Dolce Vita
Kapitel 4 – Maklerbesuch
Kapitel 5 – Obst und Gemüse
Kapitel 6 – Luca, der Eisverkäufer
Kapitel 7 – Kopf im Topf
Kapitel 8 – Zufälle gibt es nicht
Kapitel 9 – Ein neuer Koch
Kapitel 10 – Roccos
Kapitel 11 – Gefährliche Gegend
Kapitel 12 – Familienbesuch
Kapitel 13 – Zwei Männer auf einer Vespa
Kapitel 14 – Paolo und die anderen
Kapitel 15 – Tatverdächtig
Kapitel 16 – Maklereien
Kapitel 17 – Ein Abend voller Salsa
Kapitel 18 – Frühstücksgespräche
Kapitel 19 – Zahlengedächtnis
Kapitel 20 – Und noch ein Safe
Kapitel 21 – Dealereien
Kapitel 22 – Geheimnisvolle Bilder
Kapitel 23 – Abendspaziergang
Kapitel 24 – Ein Ehebrecher kommt selten allein
Kapitel 25 – Der Mann mit der Narbe
Kapitel 26 – O sole mio
Kapitel 27 – Söhne, Mütter und Tresore
Kapitel 28 – Das Versteck im Keller
Kapitel 29 – In der Zwickmühle
Kapitel 30 – Vertragsfragen
Kapitel 31 – Ein Abend am See
Epilog
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Impressum
Wolf September
c/o WirFinden.Es
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65817 Eppstein
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Lektorat & Korrektorat
Matti Laaksonen - www.mattilaaksonen.de
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Vielen lieben Dank an meine Testleser
Björn, Sandra, Susan, Antonia, Tina und Stefan
die mich mit Tipps, Hinweisen und
sehr umfangreichem Feedback unterstützt haben.
Schön, dass es Euch gibt
Niels wuchtete seinen Koffer in den winzigen Kofferraum des alten Spiders. Der Deckel schloss mit einem satten Klacken. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, kalt und unbarmherzig, als wollte er ihn darin bestätigen, dass es an der Zeit war, Bamberg zu verlassen.
Fluchend rannte er um den Wagen, riss die Beifahrertür auf und ließ sich in den Sitz fallen.
„Bitte.“ Sofia hielt ihm mit einem nachsichtigen Grinsen eine Packung Papiertaschentücher entgegen. Die Tropfen trommelten auf die Windschutzscheibe, als schlügen unsichtbare Hände einen schnellen Beat, der ungeduldig forderte: Los, los, los!
„Danke.“ Niels zog ein Taschentuch heraus, wischte sich das Gesicht ab und schaute zu seiner Schwester. Seine Mundwinkel zuckten. Er griff nach einer ihrer Locken, die im spärlichen Licht der Straßenlaternen leuchtete. „Rot?“
„Herbstfeuer, Schätzchen, nicht Rot.“ Sie drehte den Zündschlüssel und der Motor erwachte mit einem kehligen Brummen zum Leben. „Ich wollte mal was anderes.“
„Wie passend.“ Niels lehnte sich zurück und blickte aus dem Fenster hoch zu der Wohnung, in der er lebte. Der Regen zog silbrige Spuren über das Glas und der Himmel hing schwarz und schwer über ihnen wie ein Vorhang, der sich nicht lüften wollte. Es war Mai, aber es fühlte sich wie Oktober an.
„Bei dem Wetter hätten wir den Skoda nehmen sollen.“
„Das alte Ding?“ Sofia lachte süffisant auf, setzte den Blinker und lenkte den Spider geschmeidig auf die Straße.
„Zumindest war ich schon auf der Welt, als er gebaut wurde … im Gegensatz zu dir und diesem Vehikel.“ Er tippte auf das Armaturenbrett und gähnte. Wer um alles in der Welt fährt nachts um drei Uhr nach Italien?
Sofia verzog empört das Gesicht. „Das kannst du ja wohl nicht vergleichen. Außerdem passt der Spider perfekt für Italien. Und so begleitet uns auch Opa.“
Niels lehnte seinen Kopf zurück und lächelte. So taff wie seine Schwester normalerweise war, so sentimental wurde sie, wenn es um die Familie ging. Sie würde sich niemals von dem Wagen trennen, den sie von ihrem Großvater geerbt hatte. Sofia hatte ihn aufpolieren und instand setzen lassen, und nun schimmerte der Lack fast so, als wäre das Auto gestern erst aus der Fabrikhalle gerollt.
Bald hatten sie Bamberg hinter sich gelassen und fuhren auf der A 73 in Richtung Nürnberg. Der Vorteil dieser frühen Stunde war, dass die sonst stark befahrene Strecke fast leer vor ihnen lag.
Sofia drückte die Kassette, die bereits im Kassettendeck des Radios steckte, komplett hinein, tippte auf Play und die ersten Takte von Sempre sempre tönten aus den Lautsprechern.
Niels zog eine Braue hoch. „Echt jetzt?“
„Was? Das gehört dazu.“ Sie trommelte mit den Fingerspitzen zum Rhythmus aufs Lenkrad. „Wir haben immer diese Songs gehört, wenn wir nach Italien gefahren sind.“ Für einen Moment schwieg sie und schien nachzudenken, dann drehte sie ihm mit einem warmen Lächeln das Gesicht zu. „Danke übrigens.“
Niels blinzelte. „Danke wofür?“
„Dass du mitkommst. Ich fühle mich sicherer, wenn wir uns zu zweit um den Verkauf kümmern.“
„Das hättest du auch allein hinbekommen.“ Er wandte sich ab, ließ seinen Blick nach draußen schweifen. Die Tropfen auf der Seitenscheibe verzerrten die Lichter der anderen Autos zu flüchtigen Streifen. Alles war flüchtig, genau wie in den letzten Monaten seines Lebens. Noch vor einem halben Jahr hatte er fest auf beiden Beinen gestanden. Eine gemütliche Wohnung, die sein Zuhause gewesen war. Einen Mann an seiner Seite, den er geliebt hatte. Einen Job, der ihn erfüllt hatte. Und jetzt? Jetzt war er hier, auf einer dunklen Autobahn, auf dem Weg zu einem Ort, der nicht mehr als eine Erinnerung aus Kindertagen war, mehr gab es für Niels nicht.
Er rieb sich über das Kinn. „Der Makler weiß über alles Bescheid. Wenn überhaupt sollte es doch nur noch um Detailfragen gehen.“
„Egal.“ Sofia zuckte mit den Schultern. „Ich bin froh, dass Carlos dir Urlaub gegeben hat.“
Niels lachte leise, ohne die Straße aus den Augen zu lassen.
„Obwohl …“ Sofia zögerte. „Ich finde es immer noch irgendwie schräg, dass du noch bei ihm arbeitest.“ Ihr Blick huschte prüfend zu ihm. „Also nach allem, was war. Ich könnte das nicht. Wenn mich einer verlässt, dann ist Schluss … mit allem. Ende. Aus. Basta!“
Das letzte Auto war an ihren vorübergezogen, nun war da nichts mehr außer Dunkelheit. Niels’ Gedanken trieben wie die weißen Markierungen auf dem Asphalt davon. Zurück zu jenem Tag im November, als Carlos ihn mit dieser ruhigen, fast bedauernden Stimme darüber informiert hatte, dass es vorbei sei. ‚Es liegt nicht an dir, Niels.‘ Natürlich nicht. Tat es ja nie.
Der Regen hatte damals gegen die Fensterscheiben des Restaurants gepeitscht wie heute gegen die Windschutzscheibe, als hätte der Himmel gewusst, dass sich an diesem Abend etwas ändern würde. Niels hatte den Tisch abgewischt, immer und immer wieder, als könnte er die Worte einfach weg reiben. Als könnte er so tun, als hätte er sich verhört, als hätte es diese Unterhaltung nie gegeben. Aber das hatte er nicht. Und dann war er gegangen, mit nichts als einem Rucksack und seiner weißen Kochjacke, die noch nach Tomaten und Basilikum gerochen hatte.
Ein Freund hatte ihm angeboten, in dessen Wohnung unterzukommen – ein Glücksfall, weil der eigentliche Mitbewohner für ein Jahr nach Australien gezogen war.
Die ersten Wochen seines neuen Lebens waren die Hölle gewesen. Jeden Tag Carlos zu begegnen, ihn in seinem Restaurant herumlaufen zu sehen, den Mann zu ertragen, den er noch immer liebte, obwohl er ihn nicht mehr wollte – es war ein täglicher Kraftakt. Aber irgendwann hatte sich etwas verändert. Irgendwann hatte er gemerkt, dass es auch für ihn vorbei war. Carlos war sein Chef, er war der Koch. Nichts weiter. Bis … Ja, bis …
„Hallo? Erde an Niels!“ Ein Finger bohrte sich schmerzhaft in seine Schulter.
„Was?“ Er blinzelte und sah in Sofias amüsiertes Gesicht.
„Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken?“ Sie zog die Nase kraus. „Ich habe gefragt, ob du schon eine neue Wohnung hast. Kommt dieser Sven nicht im September zurück?“
„Nein, also ja.“ Er seufzte und ließ sich tiefer in den Sitz sinken. „In Bamberg eine bezahlbare Wohnung zu finden … Eher bringst du einer Katze bei, dir jeden Morgen das Frühstück zu servieren.“ Er blies Luft durch die Zähne. „Und, wenn ich ehrlich bin … ich weiß im Moment auch gar nicht, ob ich dortbleiben will.“
„Aha … Du Vollpfosten.“
Überrascht wandte er sich zu Sofia um, doch ihr Blick klebte auf einem Golf 3 vor ihr. Der Wagen pendelte von links nach rechts über die gestrichelte Linie.
„Ich wette, das ist ein Opa. In diesem Alter gehört man um diese Uhrzeit ins Bett.“ Sie schüttelte den Kopf, blinkte und gab Gas. Als sie an ihm vorbeifuhr, verzog sie das Gesicht zu einer dramatischen Grimasse. „Männer!“
Nachdem sie eingeschert hatte, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. „Also: Was ist los? Und jetzt sag nicht nichts. Ich kenne dich.“
Niels senkte den Kopf und zögerte. Eigentlich wollte er nicht darüber reden, aber sie würde sowieso nicht lockerlassen, also … warum es nicht lieber gleich hinter sich bringen? „Ich habe keinen Urlaub.“ Seine Stimme klang ruhiger, als er sich fühlte. „Ich habe fristlos gekündigt.“
„So, so, hast du das? Und der Grund?“ Sie wirkte nicht sonderlich überrascht.
„Seelische Grausamkeit.“
Ihr Finger klopfte im Takt zu Bello e impossibile auf das Lenkrad, während Gianna Nannini mit voller Leidenschaft aus dem Lautsprecher schrie.
„O mein Gott. Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Los. Dann erzähle ich dir auch etwas.“
Niels warf ihr einen fragenden Blick zu. „Was denn?“
„Du zuerst.“
Er ließ die Luft langsam aus seiner Lunge entweichen. „Als ich vorgestern in die Küche kam, lernte ich Carlos’ neuen Lebensgefährten kennen.“
„Und weiter …? Es war doch klar, dass das über kurz oder lang passieren wird. Oder nicht?“
„Besser kennen, als mir lieb war“, nuschelte Niels.
Sofia runzelte die Stirn.
„Sie …“ Niels fuchtelte verlegen mit den Händen in der Luft. „Also Carlos und er waren … beschäftigt … du weißt schon ... in meiner Küche.“
„Sie haben es getrieben?“, quietschte Sofia so laut, dass er zusammenzuckte.
„Carlos hat sich zwar entschuldigt und es war ihm sichtlich peinlich …“
„Aber …?“
„Danach erfuhr ich, dass er seinem Neuen einen Job als Küchenhelfer gegeben hat, es war sein erster Arbeitstag, sozusagen. Das war’s.“
Sofia schwieg einen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf. Und als Nächstes prustete sie los. „Entschuldige, aber ich stelle mir gerade die Situation vor.“ Sie hielt sich mit einer Hand den Bauch, während sie mit der anderen das Lenkrad umklammerte.
Niels verschränkte beleidigt die Arme. „Also ich fand es nicht gerade witzig.“
„Fandest du? Oder findest du?“ Sie schnappte nach Luft, wischte sich die Tränen aus den Augen. „O Gott, der arme Carlos! Und ausgerechnet du erwischst sie. Die beiden treiben es wie Karnickel und dann kommst ausgerechnet du rein!“
So sehr er auch dagegen ankämpfte, er konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf seine Lippen schob. Eins, das immer breiter wurde und schon im nächsten Augenblick konnte auch er sich nicht mehr halten. Niels schnappte nach Luft, so sehr verkrampfte sich sein Körper, die Tränen flossen über seine Wangen.
„Das tat gut“, japste er, als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, und lehnte den Kopf gegen die Stütze. „Und … so ein bisschen was von Karnickeln hatte es tatsächlich.“ Er drehte sich zu Sofia. „Ich liebe dich, Schwesterherz.“
„Ich liebe dich auch.“ Sie tippte ihm sanft gegen den Arm. „Sei froh, dass es so gekommen ist. Jetzt hast du endlich einen Abschluss und kannst neu durchstarten.“ Für einen Moment schwieg sie. Lediglich das rumpelnde Brummen der Räder auf dem Asphalt war zu hören. „Du hättest damals Mamas Restaurant übernehmen sollen, bevor es verkauft wurde.“
„Ich war siebzehn“, verteidigte sich Niels.
„Na und? Du wärst er jüngste Gastronom Deutschlands … ach was … der Welt gewesen.“
„Du spinnst doch.“
„Das wäre ein Abenteuer gewesen. So wie damals, wenn wir mit Mama und Paps bei Teresa waren und auf der Grotte di Catullo verstecken gespielt haben.“
Sofias Worte schickten Niels’ Gedanken auf die Reise, zurück zu heißen Sommertagen, an denen der Himmel über dem Gardasee so blau war, dass es fast wehtat. Er sah sich mit ihr zusammen durch die alten Ruinen rennen, barfuß auf dem warmen Stein. Die Luft gefüllt von Pinienharz und Seewasser, und das Licht fiel golden auf die zerbröckelten Mauern.
Niels blinzelte, als würde allein diese Erinnerung den Geruch von Sonne auf heißem Stein zurückbringen. Wie sehr wünschte er, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können. Noch einmal einen dieser Sommer zu erleben. Noch einmal diese Unbeschwertheit zu spüren.
„Damals war das Leben noch aufregend und schön“, murmelte er rau und ein wenig abwesend. „Ich vermisse die beiden.“ Ein Hauch von Sentimentalität durchwehte ihn wie eine warme Brise.
„Ja, ich auch. Jeden Tag.“ Sofias Stimme war leise, aber fest.
Er sah wieder zu ihr. „Also, jetzt du!“
Sofia atmete tief durch. „Ich habe beschlossen, ebenfalls neu zu beginnen. Diese Klinik macht mich verrückt.“ Sie sprach langsam, beinahe genießerisch, als würde sie die Worte zum ersten Mal laut aussprechen. „Das Arbeitsklima im Krankenhaus ist absolut grottig geworden, seit der neue Verwaltungschef am Ruder ist. Ich habe das Gefühl, ich behandle keine Patienten mehr, sondern bin nur damit beschäftigt, dass Zahlen nicht rot werden. Das ist nicht das, wofür ich studiert habe.“ Sie drehte den Kopf zu ihm. „Es ist Zeit für etwas Neues. Und wer weiß – vielleicht war es Schicksal, dass Teresa uns diese Villa und das Restaurant vererbt hat.“
„Der Verkauf dürfte genügend Geld bringen, um uns beiden einen Neuanfang zu ermöglichen.“ Niels tippte auf das Knie.
Draußen begannen sich die Wolken aufzulösen und erste blasse Lichtstreifen tauchten den Himmel über der Autobahn in ein gedämpftes Grau.
„Vielleicht gehe ich nach Hamburg oder Berlin, vielleicht auch nach München“, sagte Sofia dann.
Niels lachte leise. „Vielleicht komme ich mit. Ohne mich wärst du verloren.“
„Meinst du?“ Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Wäre es nicht vielmehr so, dass du ohne mich aufgeschmissen wärst?“
Er grinste. „So oder so. Es wäre schön, dich weiter in meiner Nähe zu haben.“ Unablässig trommelte er mit den Fingern auf sein Knie, während sein Blick an den vorbeiziehenden Lichtern hängen blieb. Der Name Teresa hallte in seinem Kopf nach. „Ich hab ewig nichts mehr von Teresa gehört“, sagte er nachdenklich. „Eigentlich seit Mamas Beerdigung nicht mehr. Deswegen war ich auch so überrascht, dass sie uns alles vererbt hat.“
„Sie hatte keine Kinder, war, soweit ich weiß, nie verheiratet und Mamas beste Freundin …“, versuchte sich Sofia an einer Erklärung. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Aber egal. Es ist, wie es ist. Wir gönnen uns jetzt ein paar Tage Auszeit. Ich freue mich schon so auf Sirmione.“
„Und lassen den Makler seinen Job erledigen“, fügte Niels hinzu. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Sirmione. Er konnte die Stadt fast riechen. Das klare Wasser des Sees, vermischt mit dem Duft von frisch gebackener Focaccia, der am Morgen aus den kleinen Bäckereien strömte. Das vibrierende Leben auf der Piazza, wenn sich am späten Nachmittag die Tische mit Menschen füllten, die ein Glas Spritzz in der Hand hielten und dann in der Wärme des Abends versanken.
Sofia nickte und tippte mit dem Finger auf das Lenkrad. „Ich habe gestern noch mit Signora Giordano telefoniert. Sie richtet uns zwei Zimmer in Teresas Villa her.“
„Signora Giordano?“
„Das ist die Haushälterin von Teresa. Ich habe mit ihr ausgemacht, dass sie noch bleibt, bis der Verkauf über die Bühne gebracht ist.“ Sofia schüttelte den Kopf. „Sie meinte, Teresa war zwar krank, aber ihr Tod kam trotzdem für alle völlig überraschend.“
„Was hatte sie eigentlich?“
„Krebs. Genau wie Mama.“
Bevor Niels etwas erwidern konnte, deutete sie auf ein Schild, das auf ihrer Seite näher kam und anzeigte, dass sie bald München erreicht hatte. „Halbzeit.“
Niels lehnte den Kopf zurück und blinzelte in den Himmel. „Meinst du, er wird auch da sein?“
Sofias Augen verengten sich einen Wimpernschlag lang. „Er wohnt in Sirmione. Also wird er wohl auch da sein. Aber Sirmione ist groß. Wenn wir Glück haben, werden wir ihm nicht begegnen.“
„Ich hoffe es, nach allem, was war …“, murmelte er und spürte, wie er schwer wurde.
Der Regen hatte nachgelassen. Ein schmaler Streifen Morgenlicht schob sich über den Horizont, färbte die Wolkenränder jetzt in sanftes Rosa. Er gähnte, ließ die Lider sinken, während ihn das gleichmäßige Rattern der Reifen und das gedämpfte Murmeln des Motors einlullten.
Italien rückte näher. Und damit ein Neuanfang. Sein Neuanfang.
Bevor er endgültig in den Schlaf fiel, war da noch der letzte Gedanke, der ihm durch den Kopf huschte – leise und schwerelos wie die erste Morgensonne: Vielleicht war es wirklich Schicksal.
Ein sanfter, warmer Hauch streichelte Niels’ Haut. Schlaftrunken öffnete er die Augen, und einen Moment lang wusste er nicht, wo er sich befand. Das trübe Grau hatten sie hinter sich gelassen und es schien nun Lichtjahre entfernt. Über ihnen wölbte sich ein Himmel, so tiefblau, als wäre er frisch gestrichen. Die Sonne blitzte durch das dichte Astwerk der Zypressen und Pinien, tanzte über das Armaturenbrett und warf bewegte Schatten über Sofias Gesicht. Sie blendete ihn angenehm, als er blinzelte und die Hand über die Augen hob, um die volle Helligkeit abzuschirmen. Ein leichter, süßlicher Duft von Oleander und frisch geschnittenem Gras drang durch das offene Fenster auf Sofias Seite ins Auto und sorgte dafür, dass sich seine Stimmung sofort aufhellte.
Das Erste, was sich in sein Bewusstsein brannte, war das Ortsschild. SIRMIONE. Die schwarzen Buchstaben hoben sich scharf gegen das strahlende Weiß des Schildes ab, während die Sonne darüber flimmerte.
„Sind wir schon da?“ Schläfrig gähnte er, richtete sich auf und sah Sofia verwundert an.
„Na, wieder unter den Lebenden, Schlafmütze?“ Sofia grinste. „Ich dachte schon, du wirst nie mehr wach.“ Ihre Augen glänzten im Sonnenlicht, als sie auf die Uhr im Armaturenbrett deutete. „Wir haben kurz nach elf und um deine Frage zu beantworten, ja, wir sind da.“
Über die Via 25 Aprile fuhren sie immer weiter in Richtung Scaligerburg, deren von Zinnen gekrönte Mauern in der Ferne auftauchten.
„Jetzt kommt der spaßige Teil.“ Ihre Finger krallten sich ein wenig fester um das Lenkrad, als sie die Burg erreichten. Geschickt lenkte sie den Spider über die Brücke und durch die Menge von Touristen, die darüber hinweg aus der Altstadt kamen. Die Via Vittorio Emanuele II war die einzige Straße, die zur Villa führte – und verlief damit mitten durch das Herz von Sirmione, das jetzt, außerhalb der Hochsaison, in einer angenehmen Mischung aus Betriebsamkeit und Gemütlichkeit dalag.
Niels erwartete Chaos, Stimmengewirr und ein Durcheinander aus Lichtern und Farben, als er sein Fenster ebenfalls herunterkurbelte, um noch mehr der warmen Luft ins Auto zu lassen. Doch stattdessen war die Stadt erfüllt von etwas Unerwartetem, einem ruhigen Rhythmus von Geschäftigkeit. Er sah ihn in den schlendernden Schritten der Touristen, die zwischen den Schaufenstern bummelten, in der Art, wie eine ältere Dame mit ihrem kleinen Hund auf dem Schoß auf einer Piazza saß und ihn am Hals kraulte, als hätte sie gerade nichts Wichtigeres zu tun. Er hörte ihn in den Stimmen der Menschen, die sich unterhielten, lachten, miteinander scherzten. In den ersten Tönen eines alten italienischen Liedes, das aus einem Café an der Ecke klang – leise und doch so präsent, als gehörte es zum Stadtbild wie die Mauern der Burg.
Sie schlängelten sich im Schritttempo durch die engen Gassen, vorbei an alten Steinhäusern mit bunt gestrichenen Fensterläden, die in der Sonne leuchteten. Fliederbüsche reckten ihre violetten Blüten in den Himmel, schufen mit ihren intensiven Farben einen Kontrast zu den erdfarbenen Mauern, vor denen sie wuchsen.
Kleine Läden reihten sich aneinander wie Perlen auf einer Kette. Winzige Boutiquen, die handbemalte Keramik, exklusive Lederwaren und Körbe voller frisch gepflückter Zitronen anboten. Aus einer offenen Tür duftete es nach Espresso, von einer anderen her nach Rosmarin und frisch gebackenen Biscotti.
Niels lehnte sich zurück und ließ die Umgebung auf sich wirken. Der Spider ruckelte über das unebene Kopfsteinpflaster und mit jedem Ruck schien eine Schicht Anspannung von ihm abzufallen. Von Zeit zu Zeit öffneten sich Lücken zwischen den Häusern, gaben den Blick frei auf den Gardasee, dessen Wasser in der Sonne glitzerte wie zerstreute Goldsplitter. Ihm wurde leicht und er fühlte sich losgelöst. Hatte sich die Entscheidung, Sofia auf dieser Reise zu begleiten, für ihn anfangs wie eine Flucht angefühlt, so wusste er in diesem Moment, dass es gut war, so wie es gekommen war, und er freute sich auf die folgenden Tage.
Die Altstadt lag nun hinter ihnen, die Straßen wurden weiter, die Umgebung grüner. Zypressen reckten sich schlank in den Himmel, standen in Reihen entlang der Anwesen wie Wachen der Geheimnisse dahinter. Das Navigationsgerät informierte sie, dass sie in Kürze ihr Ziel erreichen würden.
Niels beugte sich vor, als sie auf die Villa zufuhren. Hinter einem kunstvoll geschmiedeten Tor erhob sich das Gebäude, eingebettet in eine Oase aus Grün. Der terracottafarbene Stein schimmerte warm in der Mittagssonne, als hätte er all die Sommer aufgesogen, die hinter ihm lagen.
Um das Grundstück zog sich eine dichte Hecke aus Oleander und Liguster, wie ein ungezähmter Rahmen aus Blüten und Blättern. Die hölzernen Fensterläden, einst dunkelbraun gestrichen, waren von Wind und Wetter mitgenommen, an vielen Stellen blätterte die Farbe ab. Doch das tat dem Charme des Hauses keinen Abbruch – im Gegenteil. Es wirkte nicht verlassen, nicht verfallen und nicht alt. Es wirkte … lebendig. Ein Haus, das eine Geschichte erzählte.
Sofia lenkte den Wagen in eine Parkbucht direkt vor dem Eingang und stellte den Motor ab.
Als Niels ausstieg, schlug ihm die warme, nach Lavendel duftende Luft entgegen. Gemeinsam gingen sie zum Tor und Niels drückte die Klinke nach unten. Mit einem Quietschen schwang es auf. Dahinter erwartete sie eine Explosion aus Farben. Beete mit Rosen, Lavendelsträucher und andere Blumen, deren Namen er nicht kannte, rahmten die Villa ein, als wäre sie eine Insel in einem Meer aus Farben. Daneben standen große Zitronenbäume und in der Mitte der Wiese eine wuchtige alte Kastanie. Das Wasser in einem kleinen steinernen Brunnen plätscherte leise aus dem Mund einer Löwenstatue und durch die Lücken der Bäume schimmerte der See.
„Wow“, entfuhr es Niels, der sich kaum daran sattsehen konnte. Die einzige Pflanze, mit der er zuhause täglich konfrontiert war, war die Yuccapalme in seinem Wohnzimmer und mit der hatte er seine liebe Mühe und Not, sie am Leben zu erhalten. Stärker hätte der Kontrast zu dieser grünen Oase tatsächlich nicht sein können.
„Teresa hatte wirklich Geschmack“, sagte Sofia leise. Sie lächelte ihn an und ging ein paar Schritte auf das Haus zu. Vor einem Rosenbeet blieb sie stehen. Vorsichtig nahm sie eine der Blüten in die Hand und roch daran. „Es ist wirklich ein Traum. Ich hatte das alles gar nicht mehr so schön in Erinnerung.“
„Wie auch?“ Niels ließ den Blick weiter über das Anwesen schweifen. „Das letzte Mal, dass wir mit Mama hier waren, ist eine Ewigkeit her. Es sollte eine Leichtigkeit sein, es zu verkaufen.“
Schweigend gingen sie auf die Haustür zu und stiegen die drei rundlich angelegten Stufen hinauf. Sofia streckte die Hand aus und drückte den abgenutzten Messingknopf der Türklingel.
Ein sanftes, melodisches Läuten hallte aus dem Inneren der Villa.
Sie drehte sich zu Niels um und zwinkerte.
Kurz darauf hörten sie Schritte, die sich der Tür näherten.
Eine Frau um die sechzig öffnete ihnen. Sie war gut einen Kopf kleiner als Sofia und hatte graues Haar, das einmal schwarz gewesen sein musste. Aus braunen Augen musterte sie die beiden und ein Lächeln schob sich auf ihre Lippen. „Ihr müsst Sofia und Niels sein.“ In ihrem Blick lag etwas Warmes, Mütterliches, als würde sie alte Bekannte begrüßen.
„Genau die sind wir. Und Sie sind Signora Giordano?“, antwortete Niels und hielt ihr seine Hand hin.
Doch bevor er begriff, was geschah, schoss plötzlich ein Wirbelwind aus Fell und Pfoten an ihr vorbei, ein schwarzer Blitz, groß, schwer und mit ungebändigter Energie. Ehe er reagieren konnte, riss ihn die Wucht des Aufpralls fast von den Füßen. Eine riesige Deutsche Dogge stellte sich auf die Hinterbeine, legte ihm die gewaltigen Vorderpfoten auf die Schultern und fuhr ihm mit einer rauen, feuchten Zunge quer übers Gesicht.
„Uff!“ Niels taumelte einen Schritt zurück, fing sich gerade noch, während die sabbernde Begrüßung weiterging.
„Al Bano!“ Francesca lachte und klatschte in die Hände. „Du bist unmöglich! Runter mit dir, du Tollpatsch!“ Sie sah zu Niels. „Und bitte nicht so förmlich. Ich bin Francesca.“
Doch Al Bano dachte gar nicht daran, von Niels abzulassen, er wedelte begeistert mit dem Schwanz und legte eine zweite Runde Sabber nach.
Sofia bog sich vor Lachen. „So wie es aussieht, hast du wohl einen neuen besten Freund gefunden.“
„Hör auf! Das ist … ekelhaft!“, keuchte Niels und versuchte, sich gegen das fellige Ungetüm zu wehren. Aber Al Bano schien keinerlei Absicht zu haben, von ihm abzulassen. Stattdessen sah er ihn mit leuchtenden, warmen Hundeaugen an, als hätte er gerade den wichtigsten Menschen der Welt getroffen.
„Oh, das ist ein gutes Zeichen!“, rief Francesca fröhlich, während sie Sofia ebenfalls in eine Umarmung zog.
„Ein gutes Zeichen?“ Niels rang noch immer mit den riesigen Pfoten, die sich fest auf seine Schultern drückten.
„Al Bano war Teresas Hund und wohnt jetzt bei mir“, erklärte sie. „Ich bringe ihn jeden Tag mit hierher, damit er seine vertraute Umgebung hat. Er mag nicht jeden, in diesem Punkt ist er sehr wählerisch.“
„Davon merke ich gerade nichts.“ Niels stieß vorsichtig die Dogge von sich, die sich mit einem lauten Plopp auf den Boden fallen ließ, nur um sich dann direkt neben ihm niederzulassen, als wäre er sein persönlicher Bodyguard.
Sofia wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Tja, Brüderchen. Dann bist du wohl auserwählt.“
„Fantastisch“, murmelte er und sah auf Al Bano hinab, der ihn mit treuen Augen anstarrte. Ein tiefer, zufriedener Seufzer hob seine riesige Brust.
Im nächsten Moment wurde er von Francesca in eine Umarmung gezogen. „Ich freue mich, euch endlich kennenzulernen, nachdem ich schon so viel über euch gehört habe.“
„Äh, von wem?“, entfuhr es ihm verdutzt.
„Was für eine wunderschöne Signora“, sagte sie und betrachtete Sofia mit einem Lächeln.
„Vielen Dank“, antwortete diese unbeeindruckt. Niels schmunzelte. Seine Schwester hasste es, auf ihr Aussehen reduziert zu werden.
„So, wie ihr ausseht, habt ihr bestimmt noch nichts gegessen.“ Francesca lachte und bedeutete den beiden, einzutreten. „Kommt mit. Ich habe gerade eine Kleinigkeit gemacht.“ Sie zeigte den Flur nach hinten. „Dort ist das Badezimmer, wenn du dir das Gesicht waschen willst.“
Das Badezimmer war überraschend elegant eingerichtet – geschwungene Armaturen aus Messing, eine freistehende Wanne mit Löwenfüßen und cremefarbene Fliesen, die im Licht der kleinen Kristallleuchte warm schimmerten. Alles wirkte alt, aber liebevoll gepflegt. Hier putzte nicht nur jemand, hier achtete jemand auf das Haus.
Niels drehte den antik anmutenden Wasserhahn auf und beugte sich über das Waschbecken. Mit den Händen fing er das kalte Wasser auf und strich es sich übers Gesicht. Als er sich aufrichtete, sah er im Spiegel ein blasses, müdes Abbild seiner selbst – Augenringe, Bartstoppeln und doch war etwas anders. Die Traurigkeit, die ihn in den letzten Monaten begleitet hatte, war verschwunden.
Er schenkte sich ein Lächeln, trocknete sich ab und löschte das Licht.
Zurück im Flur lotste Francesca sie in eine geräumige Küche. „Wir essen in der La Cucina.“
Die Decke des Raums wurde von dunklen Balken getragen, die kalkverputzten Wände schimmerten in einem weichen Cremeton. Niels stieg sofort der süßwürzige Duft von Tomatensoße in die Nase, durchzogen von einem Hauch Basilikum und frisch gebackenem Brot.
Das Zentrum des Raumes bildete ein massiver Holztisch, auf dem bereits drei Teller bereitstanden. In der Mitte davon eine große Porzellanschüssel voller dampfender Spaghetti al Pomodoro und auf einem abgeschrammten, dicken Holzbrett lag ein imposantes Stück Parmesan, daneben eine altmodische Reibe.
„Woher könnt ihr so gut Italienisch?“, erkundigte sich Francesca. „Ihr sprecht, als wärt ihr hier aufgewachsen.“
„Durch unsere Mutter. Sie war aus Sirmione“, klärte sie Sofia auf und fuhr mit dem Finger über die Fasern der Tischplatte.
„Sie wissen, warum wir hier sind?“, fragte Niels und warf einen Seitenblick auf Al Bano. Erleichtert stellte er fest, dass der Hund sich in einer Ecke neben dem Küchenschrank niedergelassen hatte.
Francesca nickte, als hätte sie sich längst mit dieser unausweichlichen Tatsache abgefunden. „Ja, das weiß ich. Aber zuerst wird gegessen. Mit vollem Magen redet es sich leichter.“ Sie deutete auf die Stühle. „Und es wäre mir lieber, wenn ihr nicht so förmlich seid. Einfach Francesca.“
Kaum hatten sie Platz genommen, füllte sie ihre Teller großzügig mit den Spaghetti und rieb mit sicherer Hand eine üppige Portion Käse darüber. Niels nahm die Gabel und drehte die dampfenden Nudeln auf. Der erste Bissen traf ihn unvermittelt – vollmundig, sonnengereifte Tomaten, eine leichte Süße, ein Hauch von Fenchel vielleicht, dann Oregano, Basilikum, Muskat? Und etwas, das er nicht ganz zuordnen konnte. Es schmeckte … genau wie die Soße seiner Mutter. Nur ein wenig fruchtiger.
Niels legte die Gabel kurz ab. „Wow …“
Francesca lächelte über ihren Teller hinweg. „Zu viel Salz?“
„Im Gegenteil. Das ist … unglaublich. Da ist etwas drin, das ich kenne, aber es ist anders. Frischer. Hast du Zitronenzesten verwendet?“
„Einen Hauch, ja. Und einen Schluck Weißwein. Teresa hat das Rezept immer wieder verfeinert.“
„Es erinnert mich an das Essen meiner Mutter. Ihre Soße war das Beste an jedem Sonntag. Aber deine …“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Du musst mir unbedingt das Rezept geben.“
Francesca lachte. „Ich schreibe es dir gerne auf.“
Sie wartete, bis sie fertig gegessen hatten, stand auf, um die Teller in die Spülmaschine zu stellen. Dann nahm sie wieder Platz, faltete die Hände und sah sie mit einem Ausdruck an, den Niels nicht recht einordnen konnte. „Ihr wollt also euer Erbe verkaufen? Das ist wirklich sehr schade.“
Sofia ließ ihren Blick mit weicher, fast verträumter Miene durch die Küche schweifen. „Es tut uns sehr leid. So schön, wie das alles hier ist …“
„Wir können es nicht halten“, fuhr Niels dazwischen. „Und unser Leben ist in Deutschland.“
„Aber wir werden dir für ein Jahr aus der Kaufsumme das Gehalt weiterzahlen“, fügte Sofia hinzu.
Francesca winkte ab. „Es geht doch nicht ums Geld, Liebes.“ Sie holte ein Stofftaschentuch aus ihrer Schürze und tupfte sich damit unauffällig die Augen. „Ich kann im Laden meines Sohnes arbeiten.“ Ein tiefer Seufzer entrann sich ihrer Kehle, dann hob sie den Kopf. „Es tut mir nur um dieses Fleckchen Erde leid. Versprecht mir, dass ihr dieses Haus in gute Hände gebt. Teresa hätte es verdient. Sie hat dieses Haus so sehr geliebt.“
Sofia legte ihre Hand auf Francescas. „Das versprechen wir dir.“
„Wie lange wollt ihr überhaupt bleiben?“
Zögernd schaute Sofia zu Niels. „Ich denke, bis der Verkauf über die Bühne ist. Wir treffen uns morgen mit dem Makler, um alles zu besprechen.“
„Morgen schon“, wiederholte Francesca mit einem Hauch von Bedauern in der Stimme. „So schnell?“ Sie hielt einen Moment inne und lächelte Niels bittersüß an. Dann seufzte sie und richtete sich auf. „Vielleicht ist es besser so. Wenn eure Entscheidung feststeht, dann ist es besser, alles rasch zu erledigen.“ Francesca senkte den Kopf und glättete den Stoff ihres Rocks. „Ich werde euch in allem unterstützen, so gut ich kann.“
Mit einer schnellen Bewegung stand sie auf und ging zu einem Schrank neben dem Herd, öffnete eine Schublade und holte zwei Kuverts hervor. „Wollt ihr zuerst euer Gepäck auf die Zimmer bringen oder lieber gleich ins La Dolce Vita?“
„La Dolce Vita?“ Niels runzelte die Stirn.
„Das Restaurant von Teresa. Es gehört zum Haus.“ Sie schob ihnen die beiden Kuverts herüber.
Niels nahm seines in die Hand und spürte sofort das harte Metall darin. Als er es öffnete, fielen ihm zwei Schlüssel entgegen.
„Dieser hier ist für die Villa und dieser für das Restaurant“, erklärte sie. „Das sind jetzt eure. Ich werde euch leider nicht begleiten können, aber Paolo, der Küchenchef des Restaurants, weiß Bescheid, dass ihr kommt. Er wird euch dem Personal vorstellen.“
„An Paolo erinnere ich mich dunkel. Wir waren dort als Kinder häufiger essen“, entgegnete Sofia.
Niels nickte langsam. „Ich auch … ein großer Kerl mit schwarzen Haaren. Ich hatte damals Angst vor ihm. Er hatte so eine donnernde Stimme, das weiß ich noch genau.“
Francesca schmunzelte. „Ich weiß, was du meinst. Er ist nicht gerade der Typ, mit dem man gerne einen Plausch hält. Aber so schlimm, wie du ihn in Erinnerung hast, ist er auch nicht.“
„Na, das will ich hoffen“, murmelte Niels, während er das Kuvert wieder schloss.
„Aber jetzt zeige ich euch erst einmal eure Zimmer.“ Francesca ging, gefolgt von Al Banos Blick, zur Tür.
Das Zimmer, in dem Niels untergebracht war, befand sich in einem kleinen Seitenflügel auf der Rückseite des Gebäudes.
Der Raum war in hellen Farben gehalten. Die Einrichtung bestand aus einem Himmelbett, das aussah, als wäre es einem alten Märchen entsprungen, einem geräumigen Schrank, einer gemütlichen Couchecke und einem Sessel. An der Wand hing ein Flatscreen und an der daneben befand sich ein Kamin, von dem Niels nicht wusste, wofür man ihn in diesen Breitengraden überhaupt bräuchte.
Er stellte seine Tasche neben den Schrank und strich über die Bettwäsche. Sie war aus weichem Leinen und fühlte sich angenehm kühl an. Im polierten Holzboden spiegelte sich der Himmel vor der Terrassentür.
Er öffnete sie und trat auf eine kleine, mit Bruchsteinen gepflasterte Terrasse, von der er einen atemberaubenden Blick über den See hatte. Eine niedrige Brüstung aus Terrakottasäulen trennte sie vom Rasen.
Ein Anflug von Wehmut erfasste ihn, als er so dastand und auf die Schönheit blickte, die sich vor ihm ausbreitete. In einem anderen Leben, unter anderen Umständen … Ach, was soll’s, stoppte er den Gedanken, der sich gerade in seinem Kopf ausbreiten wollte. Er drehte sich um, ging zurück ins Zimmer und nahm seine Tasche. Sofia wartete. Und das Restaurant auch.
Das La Dolce Vita lag nur etwa fünfzehn Gehminuten von der Villa entfernt. Niels ließ sich gemeinsam mit Sofia von der Navigationsapp durch die verwinkelten Gassen von Sirmione leiten. Die Sonne stand inzwischen hoch über ihnen und tauchte die Umgebung in strahlendes Licht, irgendwo aus einem offenen Fenster sang eine Frauenstimme leise einen alten Adriano-Celentano-Klassiker mit.
Das Restaurant lag auf einem kleinen Platz direkt neben dem Wasser, eine perfekte Kulisse für laue Abende, die man mit Freunden verbrachte und gemütlich ausklingen ließ.
„Wir sind da.“ Sofias Stimme klang beinahe ehrfürchtig, ihr Blick wanderte über die Fassade des Lokals. „Es sieht noch genauso aus wie vor zwanzig Jahren.“
Obwohl Niels das Restaurant größer in Erinnerung hatte, war alles andere genau wie damals. Die blau gestrichenen Fensterläden, die üppig blühenden Geranien auf den Fensterbrettern – Teresa hatte sie geliebt, daran erinnerte er sich noch. Die rot-weiß karierten Tischdecken auf der Terrasse. Und dieser Duft. Knoblauch, der in Olivenöl brutzelte. Frisch gezupftes Basilikum. Der herzhafte Geruch nach Pizzateig, der gerade aus dem Steinofen kam. Und über allem lag die kühle Frische des Sees.
Die Gebäude rund um den Platz wirkten wie aus der Zeit gefallen. Ihre verblassten Fassaden, die bunten Fensterläden und die schmiedeeisernen Balkone mit wucherndem Efeu – all das gab dem Ort einen Hauch von Nostalgie, als hätte sich der Platz seit Jahrzehnten kaum verändert.
Auch das La Dolce Vita zeigte deutliche Spuren der Jahre. Der Putz hatte an einigen Stellen Risse bekommen, die hölzernen Fensterläden hätten längst einen neuen Anstrich vertragen. Aber genau das machte diesen Charme aus.
Niels ließ seinen Blick über den kleinen Steg schweifen, der neben dem Restaurant ins Wasser führte. Er sah sich selbst, wie er als Kind dort gesessen hatte, die Füße baumelten über den sanften Wellen, die glänzend gegen das Holz schlugen. Wie er mit einem Stück Baguette Fische angelockt hatte, während drinnen im Restaurant das Lachen von Teresa, seiner Mutter und seinem Vater erklang.
Der Steg war noch immer da, das Wasser plätscherte dagegen. Und auf der Terrasse brachte ein Kellner zwei Gläser Wein an einen Tisch. Das Klirren von Gläsern, das Murmeln der Gäste – all das gab dem Ort eine vertraute, einladende Atmosphäre, die Niels schon damals so geliebt hatte.
„Lass uns reingehen“, schlug er vor und drückte bereits die Tür auf.
Ein sanftes Glockenspiel erklang. Drinnen umfing sie die angenehme, kühle Luft des Restaurants, ein wohltuender Kontrast zur Hitze draußen. Der Raum war in freundliches Licht getaucht, schattig und beruhigend, mit schweren Holzbalken an der Decke und Regalen voller Weinflaschen entlang der Wände. Das Klingen von Geschirr aus der Küche und das gedämpfte Summen der Gespräche der Gäste erfüllten den Raum.
Eine Frau mit braunen Haaren stand hinter dem Tresen und polierte ein Weinglas, in dem sich das Licht der Lampe darüber brach, bevor sie es mit einer geübten Bewegung ins Regal hinter sich stellte. Als sie Niels und Sofia entdeckte, legte sie das Tuch beiseite und nickte ihnen mit einem warmen Lächeln zu. „Herzlich willkommen. Einen kleinen Augenblick.“
Sie drehte sich zur Durchreiche an der Wand und rief hinein: „Vincenzo. Gäste.“
„Nicht ganz“, erwiderte Niels. „Signora Giordano sollte uns angekündigt haben. Wir wollten uns nur vorstellen.“
Die Tür neben dem Tresen schwang auf und ein großgewachsener Mann trat heraus. Eine dunkle Strähne fiel ihm in die Stirn, sein weißes Hemd war akkurat geknöpft, aber die hochgekrempelten Ärmel ließen ihn nicht streng wirken. Der helle Stoff bildete einen angenehmen Kontrast zu seiner gebräunten Haut.
„Oh. Sie sind das“, entfuhr es der Frau. Sie umrundete den Tresen und streckte Sofia die Hand entgegen. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Giulia.“
„Angenehm. Sofia Wagner und das ist mein Bruder Niels.“
Giulia drehte sich zu dem Mann neben ihr. „Vincenzo, das sind die neuen Eigentümer.“
Für einen kurzen Moment verspannte sich Vincenzos Haltung, kaum wahrnehmbar, doch Niels bemerkte es trotzdem. Sein Lächeln verlor eine Nuance der Freundlichkeit, wirkte distanzierter und formeller. „Herzlich willkommen im La Dolce Vita.