So sanft, so schön – und doch ein Teufel - A. F. Morland - E-Book

So sanft, so schön – und doch ein Teufel E-Book

A. F. Morland

0,0

Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht – Neue Edition: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert. Cynthia ging ein bißchen spazieren, schlenderte durch den nahen Wald und konnte nicht verhindern, daß sie an Arthur Taylor dachte. Plötzlich überlief es sie eiskalt. Hinter Bäumen, zwischen Büschen hatte ein morscher Ast gekracht! Jemand war in ihrer Nähe! Und jetzt fühlte sie sich beobachtet! Wie lange war der Unbekannte schon hinter ihr? Cynthia sah eine Hand, die auf der rissigen Rinde eines Eichenstamms ruhte. Naßkalt strich der Wind vom Meer landeinwärts. Er stieß gegen die weißen Kreidefelsen, baute sich zu einer wilden Turbulenz auf und stürzte sich mit großer Kraft auf den Mann, der reglos am Klippenrand stand. Sein Blick war in die dunkle Ferne gerichtet, aber er hielt nach keinem Schiff Ausschau. Er schien nicht einmal zu wissen, wo er sich im Augenblick befand. Seine Erscheinung war stattlich, und der Pflege seines dichten schwarzen Knebelbarts widmete er täglich sehr viel Zeit. Jetzt strich er mit dem Zeigefinger darüber. Es war eine liebevolle Geste, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Er nahm sie schon lange nicht mehr wahr. Tief unter ihm brauste und donnerte die Brandung, und die Gischt erreichte, vom Wind getragen, mitunter sogar sein Gesicht. Es war eine ungemütliche Nacht, in der es den Anschein hatte, als könnten die Toten aus dem Meer zurückkehren. Davor fürchteten sich jedenfalls die abergläubischen Menschen, die im nahen Maidstone wohnten. »In einer Nacht wie dieser kann vieles passieren«, war ihre Meinung, und es sollte sich bald herausstellen, daß sie damit nicht unrecht hatten, denn der Tod näherte sich dem Mann auf den Klippen bereits auf leisen Sohlen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 133

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Irrlicht - Neue Edition – 21 –

So sanft, so schön – und doch ein Teufel

Diese Frau kann töten!

A. F. Morland

Cynthia ging ein bißchen spazieren, schlenderte durch den nahen Wald und konnte nicht verhindern, daß sie an Arthur Taylor dachte. Plötzlich überlief es sie eiskalt. Hinter Bäumen, zwischen Büschen hatte ein morscher Ast gekracht! Jemand war in ihrer Nähe! Und jetzt fühlte sie sich beobachtet! Wie lange war der Unbekannte schon hinter ihr? Cynthia sah eine Hand, die auf der rissigen Rinde eines Eichenstamms ruhte. Jetzt zuckte die Hand zurück, und Cynthias Herz übersprang einen Schlag…

Naßkalt strich der Wind vom Meer landeinwärts. Er stieß gegen die weißen Kreidefelsen, baute sich zu einer wilden Turbulenz auf und stürzte sich mit großer Kraft auf den Mann, der reglos am Klippenrand stand.

Sein Blick war in die dunkle Ferne gerichtet, aber er hielt nach keinem Schiff Ausschau. Er schien nicht einmal zu wissen, wo er sich im Augenblick befand.

Seine Erscheinung war stattlich, und der Pflege seines dichten schwarzen Knebelbarts widmete er täglich sehr viel Zeit.

Jetzt strich er mit dem Zeigefinger darüber. Es war eine liebevolle Geste, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Er nahm sie schon lange nicht mehr wahr.

Tief unter ihm brauste und donnerte die Brandung, und die Gischt erreichte, vom Wind getragen, mitunter sogar sein Gesicht.

Es war eine ungemütliche Nacht, in der es den Anschein hatte, als könnten die Toten aus dem Meer zurückkehren. Davor fürchteten sich jedenfalls die abergläubischen Menschen, die im nahen Maidstone wohnten.

»In einer Nacht wie dieser kann vieles passieren«, war ihre Meinung, und es sollte sich bald herausstellen, daß sie damit nicht unrecht hatten, denn der Tod näherte sich dem Mann auf den Klippen bereits auf leisen Sohlen.

Er war ahnungslos, der Welt entrückt und hörte nichts. Trotz seiner fünfundvierzig Jahre sah Arthur Taylor noch sehr gut aus.

Er hatte jetzt ein bißchen Speck an den Rippen, war nicht mehr so mager wie früher, fühlte sich aber wohl und liebte das Leben, das nur noch wenige Augenblicke währen sollte.

Taylor war wohlhabend und ver-gnügte sich gern mit jungen hübschen Frauen. Da er sehr witzig und charmant sein konnte, hatte er nie Schwierigkeiten, mit einer Frau bekannt zu werden, und die Vielzahl seiner Amouren trug ihm den Ruf eines Don Juan ein.

Näher, immer näher kam das Unheil!

Arthur Taylors Lider flatterten kurz. Seine Gedanken kehrten von weither zurück, und er schaute zu der vom Mondlicht erhellten Brandung hinunter.

Das Meer schien zu kochen und zu brodeln. Zwischen Felsenritzen pfiff gepreßte Luft, gurgelte zurückflutendes Wasser.

Trotz des Lärms, den das Meer machte, vernahm Arthur Taylor plötzlich ein Geräusch hinter sich. Ein Knirschen war es, kaum wahrnehmbar.

Er drehte sich langsam um, und über sein Gesicht breitete sich ein erfreutes Lächeln, das jedoch gleich wieder verschwand und einem entsetzten Ausdruck Platz machte, denn zwei Hände legten sich in diesem Moment auf seine Brust, und dann bekam er den Stoß, der ihn in den sicheren Tod beförderte…

*

Ein langgezogener, markerschütternder Schrei flog durch die Nacht und riß Cynthia Jackson aus tiefstem Schlaf.

Ruckartig setzte sie sich auf. Zunächst glaubte sie, im Traum jemanden schreien gehört zu haben, doch der Schrei war immer noch zu hören, und jetzt war sie wach.

Plötzlich… Stille!

Cynthia glaubte zu wissen, was das zu bedeuten hatte. Ein eisiger Schauer durchlief sie, mit einem Satz war sie aus dem Bett und schlüpfte hastig in ihren Schlafrock.

Die Klippen! Wie vielen Menschen mochten sie schon Unglück gebracht haben? Schön und gefährlich waren diese Kreidefelsen, und wer nicht aufpaßte, den holten sie in den Tod.

Cynthia schüttelte ihr langes blondes Haar, kämmte es rasch mit den Fingern und eilte aus ihrem Zimmer.

Auf dem Flur begegnete sie Mrs. Shankland, der wohlbeleibten Haushälterin. Rita Shankland trug eine Betthaube auf ihrem grauen Kopf, und ihre großen Kulleraugen waren starr auf Cynthia gerichtet.

»Haben Sie diesen entsetzlichen Schrei auch gehört, Miss Jackson?«

»Ja.«

»Er weckte mich, obwohl ich wie ein Murmeltier geschlafen habe.«

Carl, der Butler, erschien. Jetzt standen sie schon zu dritt auf dem Flur. Carl Mason hatte sich in aller Eile angezogen.

Sein Blick pendelte zwischen Cynthia und Mrs. Shankland hin und her. »Das kam von den Klippen.«

»Also, wenn Sie mich fragen, da stürzte jemand in den Tod«, sagte die Haushälterin.

»Nicht so laut«, sagte der Butler gedämpft. »Wollen Sie Miss Carney aufwecken?«

»Sie müßte durch den grauenvollen Schrei aufgewacht sein.«

»Sie hat sich eine Schlaftablette geben lassen«, sagte Carl.

»Dann wird sie auch durch meine Stimme nicht wach«, sagte die Haushälterin barsch.

Sie hatte den Butler nicht gerade in ihr Herz geschlossen. An manchen Tagen schien sie ihn nicht ausstehen zu können, doch das störte Carl Mason nicht. Die Animosität beruhte auf Gegenseitigkeit.

»Wir sollten hier nicht herumstehen, sondern nachsehen, was passiert ist«, sagte Cynthia.

»Ich hole ein Windlicht«, sagte Rita Shankland. »Sie sollten sich noch etwas überziehen, mein Kind, sonst holen Sie sich dort draußen eine Lungenentzündung.«

Carl eilte die düstere Treppe des großen Herrenhauses hinunter. Er wartete weder auf Cynthia noch auf Mrs. Shankland. Auf die schon gar nicht.

Während er zum Klippenrand lief, zog Cynthia rasch einen Trenchcoat an. Daß die Haushälterin gar mit einem Wintermantel auf dem Flur erschien, fand das blonde Mädchen etwas übertrieben, schließlich war noch Sommer.

Gemeinsam stiegen Cynthia und Mrs. Shankland die Marmorstufen hinunter.

»Augenblick«, sagte die Haushälterin unten. »Das Windlicht!«

Cynthia glaubte nicht, daß sie 
es brauchten, denn es war eine 
sternenklare Nacht, aber sie sagte nichts.

Eine Minute verging, dann war Rita Shankland mit der leuchtenden Lampe zur Stelle. Das Licht, das von unten ihr Gesicht beleuchtete, schuf fremde Schatten.

Direkt unheimlich sieht sie aus, dachte Cynthia Jackson.

Dabei war die Haushälterin alles andere als unheimlich. Rita Shankland war die Seele von einem Menschen und konnte keiner Fliege etwas zuleide tun.

»Kommen Sie, Miss Jackson«, keuchte die rundliche Frau. »Meine Güte, sind das Aufregungen mitten in der Nacht.«

Sie liefen durch die Dunkelheit. Carl stand am Klippenrand und blickte in die Tiefe. Der Wind zerrte an seiner Kleidung.

»Himmel, wie knapp steht der denn an der Felsenkante? Will er auch abstürzen?« keuchte die Haushälterin.

Sie erreichten den Butler und folgten seinem Blick mit den Augen. Auf den nassen Felsen, die immer wieder von hochgischtendem Wasser überspült wurden, lag eine Gestalt.

»Ein Mann? Ist es ein Mann?« fragte Rita Shankland. »Ohne Brille sehe ich das nicht.«

»Ja«, sagte Carl Mason ernst, »und ich gehe jede Wette ein, daß er tot ist.«

»Wie können Sie das so gelassen sagen, Carl?« stieß die Haushälterin erregt hervor.

Cynthia spürte, wie sich ihr Inneres zusammenzog. Der Mann lag mit seltsam verrenkten Gliedern dort unten.

Gab es soviel Glück, daß er den Sturz aus dieser Höhe überlebt hatte? War das überhaupt möglich? Wie viele Schutzengel brauchte man, um sein Leben nach so einem Absturz behalten zu können?

»Vielleicht ist er nur schwer verletzt«, sagte sie leise.

Carl schüttelte den Kopf. »Dem Mann ist nicht mehr zu helfen.«

»Heißt das, Sie wollen ihn einfach dort unten liegen lassen?« fragte Rita Shankland empört. »Wir müssen ihn heraufholen. Irgendwie. Unter Umständen hat Miss Jackson recht. Es geschehen manchmal Wunder. Solange wir nicht hundertprozentig sicher sind, daß der Mann dort unten tot ist, müssen wir so tun, als wäre er noch am Leben.«

»Ich kann da nicht hinunterklettern«, sagte Carl Mason kopfschüttelnd. »Ich bin fast fünfzig.«

»Miss Carneys Geländewagen hat eine Seilwinde«, sagte Cynthia schnell. »Glauben Sie, daß Sie hinunterkommen, wenn ich Sie abseile?«

»Das könnte gehen.«

»Ich hole den Wagen!« sagte Cynthia und rannte los.

»Nehmen Sie das Windlicht mit!« rief ihr die Haushälterin nach. »Sie brechen sich sonst noch auf diesem unebenen Boden den Fuß.«

»Sie sehen wohl immer schwarz, wie?« sagte der Butler.

»Ich bin nur vorsichtig«, erwiderte die Haushälterin spitz. »Dafür sind meine Knochen noch alle heil. Ich wette, das können Sie von sich nicht behaupten.«

Cynthia erreichte das Haus mit den hohen matten Säulen. Es paßte nicht in diese rauhe Landschaft, aber es stand schon seit mehr als hundert Jahren da.

Neben dem Haus stand der Geländewagen, ein großes, starkes Fahrzeug, olivgrün und mit Allradantrieb.

Cynthia wußte, daß der Schlüssel im Zündschloß steckte. Marilyn Carney zog ihn nie ab. Sie weigerte sich, zu glauben, daß man sie einmal bestehlen würde. Sollte es doch passieren, so war sie gut versichert.

Das Haus warf einen tiefschwar-zen, unheimlichen Schatten auf das Fahrzeug, und als Cynthia den Geländewagen erreichte, schälte sich eine Gestalt aus der Dunkelheit…

*

Das Mädchen hätte beinahe einen schrillen Schrei ausgestoßen. Entsetzt prallte sie zurück. Der Mann, der ihr entgegentrat, hatte große, unheimliche Augen, seidiges Haar und wulstige Lippen.

Er schien ein Mensch zu sein, bei dem man nie genau wußte, wie man mit ihm dran war. Er schien nicht ganz zurechnungsfähig zu sein.

Manchmal machte er auf Cynthia beinahe einen gefährlichen Eindruck. Das blonde Mädchen kannte niemanden, der so sonderbar war wie er.

»Mr. Grant!« preßte sie heiser hervor und faßte sich ans Herz. »Mein Gott, haben Sie mich erschreckt.«

Er sah sie verständnislos an. »Erschreckt? Ich habe Sie erschreckt? Bin ich Ihnen denn so unheimlich, meine Liebe?«

Ja! Ja, das bist du! dachte Cynthia. Und wie!

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte er, und sein Mund verzog sich zu einem merkwürdigen Lächeln. »Sie sind sehr schön, Miss Jackson«, sagte er und streckte die Hand nach ihrem Haar aus. »Ich liebe langes blondes Haar.«

Cynthia schob seine Hand beiseite und setzte sich in den Wagen.

»Wollen Sie noch wegfahren, Miss Jackson? Um diese Zeit?«

»Haben Sie den Schrei nicht gehört? Jemand ist die Klippen hinuntergestürzt.«

»Die Klippen hat der Teufel geschaffen. Nein, ich habe keinen Schrei gehört. Ich war unterwegs, bin eben erst zurückgekommen. Sie wissen, daß ich unter Schlafstörungen leide. Ich gehe oft nachts spazieren. Zu Hause vergeht die Zeit nicht. Wenn ich umherlaufe, bringe ich die Zeit besser herum… Die Klippen hinuntergestürzt, sagen Sie? Wer ist es?«

»Keine Ahnung. Wenn Sie mitkommen wollen, steigen Sie ein.«

Michael Grant setzte sich neben Cynthia. Sie startete den Motor und fuhr los. Ein äußerst unangenehmes Gefühl beschlich sie, als sie sich vorstellte, Grant könnte den unbekannten Mann von den Klippen hinuntergestoßen haben.

Michael Grant war ihr nicht geheuer. Vom ersten Augenblick an hatte sie ihn für einen weltfremden Spinner gehalten.

Er träumte oft am hellichten Tag und mit offenen Augen, war manchmal nicht ansprechbar, redete hin und wieder so wirr daher, daß man denken mußte, er hätte einen kleinen Dachschaden.

Was konnte so einem Menschen alles in den Sinn kommen? Niemand konnte es wissen.

Cynthia wußte, daß sie an Marilyn Carneys Stelle in Michael Grants Haus nie eingezogen wäre, aber es stand ihr nicht zu, darüber zu entscheiden. Sie war nur Marilyn Carneys Gesellschafterin, und das erst seit vier Monaten.

Drei Monate hatte sie mit Marilyn Carney in London verbracht, einen Monat war sie mit ihr nun schon hier.

Miss Carney war reich. Jung, reich und schön war sie. Ihre Eltern hatten ihr so viel Geld hinterlassen, daß sie bis an ihr Lebensende keine Sorgen zu haben brauchte.

Aber trotz ihres großen Reichtums war Marilyn Carney nicht glücklich. Ruhelos und einsam war sie, obwohl es viele Männer gab, die von ihrer zarten Schönheit fasziniert waren.

Aus irgendeinem Grund kam Marilyn Carney mit den Männern nicht klar. Manchmal kam es Cynthia vor, als würde sich Miss Carney vor Männern fürchten.

Vielleicht war das auch der Grund, weshalb sie mit ihrer Haushälterin, ihrem Butler und ihrer Gesellschafterin London verlassen hatte.

Suchte sie hier, in der Einsamkeit, ihre innere Ruhe?

Es traf sich gut für Marilyn Carney, daß Michael Grant so gut wie mittellos dastand. Ein Onkel hatte ihm das große, düstere Herrenhaus vererbt, das er mit seinen bescheidenen Mitteln nicht erhalten konnte.

Er war vor die Entscheidung gestellt gewesen, entweder zu verkaufen oder zu vermieten, wobei ihm vermieten lieber war, denn dadurch blieb das schöne Haus in seinem Besitz.

Er hatte die Bedingung gestellt, einen Teil des Gebäudes für sich zu behalten, und Marilyn Carney hatte das akzeptiert.

Cynthia empfand es als unangenehm, daß man Michael Grant nur ganz selten zu Gesicht bekam. Tags-über verkroch er sich zumeist in seinen Räumen, und nachts strich er wie ein hungriger Wolf ums Haus.

Das blonde Mädchen streifte Grant jetzt mit einem raschen Blick und fragte sich, ob er heute schon einmal bei den Klippen gewesen war.

Die Scheinwerferkegel erfaßten den Butler und die Haushälterin, die ungeduldig auf Cynthias Rückkehr warteten.

Kaum stand der Geländewagen, da sprang Michael Grant aus dem Fahrzeug und lief davon, um in die Tiefe zu blicken.

»Tot«, stellte er lakonisch fest.

»Wir wollen ihn heraufholen«, sagte Rita Shankland. »Vielleicht gibt es doch noch eine Hilfe für ihn.«

Grant schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen.«

Cynthia kniete sich vor den Geländewagen und hakte das lange, dünne, widerstandsfähige Drahtseil los.

Carl Mason schickte sich an, sich das Seil um die Leibesmitte zu schlingen. Grant sah ihn überrascht an.

»Sie wollen da hinunterklettern?«

»Wer sollte es sonst tun? Mrs. Shankland? Oder Miss Jackson?«

»Ist doch wohl klar, daß ich das übernehme. Sie sind nicht mehr der Jüngste, Carl. Ich bin gelenkiger als Sie. Geben Sie das Seil her. Nun geben Sie es schon her.«

Dem Butler war es nicht unangenehm, daß Michael Grant sich zu der waghalsigen Klettertour entschlossen hatte. Er fühlte sich wirklich nicht mehr jung genug für solche Eskapaden.

Grant band das Seil fest und trat so weit vor, daß seine Schuhspitzen über den Rand der Klippen ragten.

»Ich lasse die Motorwinde ganz langsam laufen«, sagte Cynthia. »Sollte es irgendein Problem geben, rufen Sie, aber rufen Sie laut, damit ich Sie auch sicher höre.«

»Wir werden ihn beobachten«, sagte Rita Shankland. »Sie können anfangen, Miss Jackson.«

»Sind Sie bereit, Mr. Grant?« fragte Cynthia.

Michael Grant drehte sich süffisant grinsend um. »Bereit wofür, Miss Jackson?«

Cynthia schaltete die Winde ein, und Michael Grant begann mit dem Abstieg. Er hielt sich mit beiden Händen am Seil fest und stieß sich vom senkrechten Kreidefelsen immer wieder ab.

»Es kann ruhig etwas schneller gehen!« rief er, aber Cynthia ließ die Winde nicht schneller laufen, und sie war auch stets bereit, den Motor sofort zu stoppen, falls Michael Grant in Schwierigkeiten geraten sollte.

Es brauchte ihn nur einmal der Wind zu erfassen und mit großer Wucht gegen den Felsen zu schleudern.

»Wie tief ist er schon unten, Carl?« wollte Cynthia wissen.

»Die Hälfte hat er schon. Mehr sogar als die Hälfte… Jesus, wenn ich denke, daß ich das beinahe getan hätte…«

Ein Windstoß zerzauste Cynthias langes Haar. Sie strich es sich aus dem Gesicht.

»Ist alles in Ordnung, Carl?« fragte sie.

»Ja, jetzt hat er den Mann schon fast erreicht«, berichtete der Butler.

»Langsam, Miss Jackson. Langsam… Halt!«

Cynthia stoppte die Winde und eilte zum Klippenrand. Eine Welle stieg hinter Michael Grant hoch, krachte gegen den Felsen und überflutete den Mann, der am Seil hing.

Grant fluchte und schüttelte 
sich. Er kniete neben dem Reglosen, schien ihn flüchtig zu untersuchen.

Dann hob er den Kopf, legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief: »Was ist gesagt habe! Der Mann ist mausetot!«

»Ist er Ihnen bekannt, Mr. Grant?« fragte Cynthia.

»Nein! ich glaube nicht, daß ich ihn schon mal gesehen habe.«

»Wieso weiß er das denn nicht sicher?« fragte Rita Shankland befremdet.

»Der Mann ist aufs Gesicht gefallen«, sagte Carl Mason, und die Haushälterin zog geräuschvoll die Luft ein.

»Ein Fremder treibt sich nachts hier herum und stürzt zu Tode«, sagte Carl. »Merkwürdig. Ich finde das äußerst merkwürdig.«

»Würden Sie das Seil dem Toten umbinden, Mr. Grant?« rief Cynthia hinunter. »Ich hole zuerst ihn und dann Sie herauf.«

»In Ordnung, aber vergessen Sie mich hier unten nicht.«

Michael Grant löste das Draht-seil, schob es unter dem schlaffen Körper des Toten durch und hakte es fest.

»Okay, Miss Jackson! Sie können ihn hochziehen.«

Cynthia betätigte wieder die Motorwinde. Die Haushälterin biß an ihrem Daumennagel herum und war schrecklich nervös.

»Meine Güte, am liebsten würde ich ins Haus zurückkehren«, stöhnte sie.

»Nichts da, Sie bleiben hier«, sagte Carl.

Rita Shankland stemmte zornig die Fäuste in die schwammigen Seiten. »Denken Sie etwa, Sie können mir Vorschriften machen?«