Sohn der Nacht - Ursula Donner - E-Book

Sohn der Nacht E-Book

Ursula Donner

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Beschreibung

Liebe, Tragik, Vampire, die nicht glitzern, und manche davon sind so richtig böse ...   Venedig um 1750 Seine Profession ist der Tod. Deshalb darf die Patriziertochter Ilaria, die ihn auf dem Carnevale das erste Mal sieht, nicht wissen, wer er ist und was er ist: Alessio, der Vampir mit der Pestmaske. Weder kennt sie sein Gesicht noch seinen Namen. Dennoch ist er der Einzige, dem sie vertrauen kann, als sie aus ihrem Elternhaus flieht. Ilaria ahnt nicht, dass ihn ein dunkles Geheimnis mit ihrer Familie verbindet. Gejagt von der eigenen Vergangenheit muss Alessio sich seinen größten Ängsten stellen. Als sich die Schatten zu einer Macht manifestieren, die ihn und alles, was er liebt, vernichten will, gerät auch Ilaria, die sein untotes Herz erneut schlagen lässt, in allergrößte Lebensgefahr  

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Ursula Donner

Sohn der Nacht

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Beschreibung

Liebe, Tragik, Vampire, die nicht glitzern, und manche davon sind wirklich böse.

 

Venedig um 1750

Seine Profession ist der Tod. Deshalb darf die Patriziertochter Ilaria, die ihn auf dem Carnevale das erste Mal sieht, nicht wissen, wer er ist und was er ist: Alessio, der Vampir mit der Pestmaske. Weder kennt sie sein Gesicht noch seinen Namen. Dennoch ist er der Einzige, dem sie vertrauen kann, als sie aus ihrem Elternhaus flieht. Ilaria ahnt nicht, dass ihn ein dunkles Geheimnis mit ihrer Familie verbindet. Gejagt von der eigenen Vergangenheit muss Alessio sich seinen größten Ängsten stellen. Als sich die Schatten zu einer Macht manifestieren, die ihn und alles, was er liebt, vernichten will, gerät auch Ilaria, die sein untotes Herz erneut schlagen lässt, in allergrößte Lebensgefahr

 

2010 erschienen als Taschenbuch im fallen star Verlag

 

Alle Rechte vorbehalten.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

 

Tot und unvergessen

 

 

 

 

In der Stadt Venedig im Oktober des Jahres 1750

Nebel wand sich um die Gräber, wogte über die kiesbedeckten Wege und umschlang die Statuen der Todesengel. Alessio verspürte ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern, als würden Augen auf ihm ruhen, doch er nahm niemanden wahr. Wer sollte hier sein zu solch später Stunde? Verlassener und trostloser als je zuvor erschien ihm der Friedhof.

Alessio setzte seinen Weg zwischen den Gräbern fort. Eine Böe riss ihm die Kapuze seines Umhangs vom Kopf. Die Rose für Cassandra hielt er schützend an sich gepresst, während er mit der freien Hand die Kapuze wieder über sein Haar zog.

Regen setzte ein, feiner Regen, der sich mit dem Mondlicht zu einem silbernen Schleier verwob. Einige Regentropfen fanden den Weg an Alessios Pestmaske vorbei und rannen seine Wangen herab. Sie ließen ihn an Tränen denken, von denen er unzählige für Cassandra vergossen hatte. Cassandra, deren Todestag sich heute zum 175. Mal jährte. Doch war es ihm, als stürbe sie Nacht für Nacht. Hier war er allein mit seiner Trauer und seinen Erinnerungen. Allein?

Kies knirschte. Alessio fuhr herum und erblickte Jean-François, den er länger kannte als jeden Menschen. Auf dessen Lippen lag jenes ironische Lächeln, das so typisch für ihn war. Seine mitternachtsblauen Augen gaben keine Seele zu erkennen. Nichts reflektierten sie als die Kälte des Weltalls.

»Bonsoir«, sagte Jean-François mit der von ihm gewohnten Gleichmütigkeit.

»Warum schleichst du hier herum?«

»Von Herumschleichen kann keine Rede sein. Seit du dein Haus verlassen hast, bin ich dicht hinter dir. Du bist unachtsam geworden, mon ami. In der alten Zeit wäre dir dies nicht passiert.« Jean-François lächelte. »Ich hätte dich umbringen können, wäre dies meine Absicht gewesen.« Betont provokant, wie es Alessio erschien, strich Jean-François sich eine dunkelbraune Locke aus dem Gesicht. Dessen Mantel stand offen und gab den Blick frei auf eine Moiré-Weste sowie ein Justeaucorps und Kniehosen aus weinrotem Seidensamt. Wie schlicht fand Alessio dagegen seine eigene Kleidung, die ebenso schwarz war wie sein Haar. Doch selbst ohne die Luxusgesetze würde er keine andere tragen. Seine Profession gebot es.

»Mich an Cassandras Todestag zu stören finde ich pietätlos«, sagte Alessio.

»Der Tag ist mir entfallen. Davon abgesehen macht es keinen Unterschied. Cassandras Geburtstag, ihr Namenstag, der Tag, an dem ihr Lieblingshuhn geschlachtet wurde, weil es ihrem Vater auf die Schuhe schiss. Gedenktage, wohin ich blicke. Stets komme ich ungelegen, also kann es mir ebenso gut gleichgültig sein.« Jean-François lachte leise.

»Ich hoffe, du hast einen guten Grund, hier zu sein.«

»Einen Grund? Ich brauche keinen Grund. Ich kann mich in Venedig aufhalten, wann ich will. Hier steht kein Schild: Raus mit euch fremden Vampyren, Franzosen und anderem Gesindel.«

»Als würde dich das aufhalten.«

»Non. Davon abgesehen bist du mir noch etwas schuldig.«

Alessio starrte ihn an. »Wegen dieser Nichtigkeit kommst du hier auf den Friedhof und belästigst mich am Todestag meiner Geliebten?« Alessio wandte sich brüsk ab und lief durch die Reihen der Gräber. Er war froh, dass der Wind endlich verebbte.

»Für mich ist es keine Nichtigkeit«, sagte Jean-François, der ihm zu Cassandras Ruhestätte folgte. Die Zeit hatte den Grabstein nachdunkeln lassen, doch die darin eingravierte Rose war unversehrt. Alessio schloss seine Hand fester um den Stiel der opalweißen Rose. Die Dornen durchstachen seine Haut. Blut lief über seine Finger.

»Cassandra wird meine Anwesenheit hier wohl kaum stören. Sie ist tot.« Jean-François und trat näher an das Grab heran. »Denkst du, unter dieser Steinplatte ist nach all der Zeit noch etwas von ihr übrig?« Er schüttelte den Kopf. »Non, mon ami. Tu dir selbst einen Gefallen und lasse sie in Ruhe. Etwas, das du schon zu ihren Lebzeiten hättest tun sollen.«

»Du hast sie von Anfang an nicht gemocht.«

»Ich muss nicht jeden mögen. Hübsch war sie, doch das war schon ihr einziger Vorzug. Man konnte sie ertragen, solange sie ihren Mund nicht aufmachte.«

»Du schätzt es nicht, wenn Frauen eine eigene Meinung haben?«

Jean-François lachte leise. »Als hätte Cassandra eine eigene Meinung besessen. Ihr fehlten zudem geistige Gaben.«

»Sie war nicht dumm. Es mangelte ihr allein an Bildung. Dafür konnte sie nichts.«

»Sie besaß kein Rückgrat und dafür konnte sie durchaus etwas. Ich hätte sie zum Teufel gejagt.«

»Zum Teufel, dort wo deine liebe Mutter ist?«

Jean-François hob eine Augenbraue. »Gewiss betreibt meine Mutter jetzt ein Bordell in der Hölle, und wie ich sie kenne, ist sie damit überaus erfolgreich. Ein wenig Unterstützung könnte dennoch nicht schaden.«

»So eine Unverschämtheit. Cassandra hätte niemals …«

»War doch nur Spaß.«

»Bist du jetzt endlich damit fertig, an ihrem Grab schlecht über sie zu reden?«

»Ich habe gerade erst begonnen.« Jean-François lächelte. »Non, im Ernst, mon ami. Lass Cassandra endlich hinter dir. Sie ist Vergangenheit und kommt nie wieder.«

»Das geht dich nichts an.«

»Gewiss nicht. Doch ich mache mir Sorgen um dich.«

»Du machst dir Sorgen?« Alessio lachte. »Ich glaube es nicht.«

»Glaube, was du willst, doch es ist wahr. Immerhin bin ich dein Vater.«

»Wie rührend.« Alessio lachte freudlos. »Doch ich habe keinen Vater. Hatte niemals einen.« Bitterkeit lag in seiner Stimme. »Was willst du von mir?«, fragte Alessio.

»Vielleicht plagt mich mein Gewissen.«

»Etwas, das du unmöglich besitzt. Komme zur Sache.«

»Können wir beide nicht einfach das Leben genießen? Warum ist das so schwer für dich?«

»Genießen? Bei all der Schuld, die ich trage?«

»Du warst nie frei von Schuld.«

Alessio schwieg. So Unrecht hatte Jean-François nicht. Alessio starrte auf das Grab vor sich. Cassandra hatte niemals von seiner Profession als Auftragsmörder erfahren.

»Gewiss kannst du so weitermachen wie bisher«, sagte Jean-François, »doch führt das nur ins Verderben.«

»Im Verderben bin ich bereits. Wie gesagt, es ist meine Angelegenheit. Ist morgen Nacht akzeptabel?« Es klang unfreundlicher, als Alessio es beabsichtigte.

»Pardon?«, fragte Jean-François.

»Zur Einlösung der Schuld.«

»Absolut. Ich komme zu dir.« Jean-François lächelte. »A bien tôt.« Er wandte sich um und ging davon.

Alessio schritt näher an Cassandras Grab heran. Er beugte sich nieder, um die Rose draufzulegen, da erblickte er sie.

Alessio erstarrte. Er erstarrte, wie es nur der wandelnde Tod vermochte. Sein totes Herz hörte auf zu schlagen und sein Atem erlosch.

Eine Rose lag dort, eine nachtschwarze Rose. Wind und Regen hatten sie auf den Friedhofsboden gedrückt. Ihr Stiel war geknickt, die Blütenblätter schwer von schimmernden Tropfen. Sie bot ein Bild morbider Schönheit, doch waren die Erinnerungen, die sie in Alessio erweckte, alles andere als erbaulich.

Massimo. Einzig Massimo hatte jemals schwarz gefärbte Rosen auf Cassandras Grab gelegt. Massimo, der in verbotener Liebe zu seiner Cousine entbrannt gewesen war. Obwohl Cassandra diese Liebe nie erwidert hatte, war Massimo der Ansicht gewesen, Alessio hätte sie ihm weggenommen. Massimo hatte ihn damals mit einem Hass verfolgt, der zu einem Feuer auswachsen war, das heißer gebrannt hatte als die Flammen der Hölle.

Doch es war nicht mehr von Bedeutung. Nichts war mehr von Bedeutung. Alle waren lange tot. Alle, außer Alessio, der verdammt war zu ewigem Leben. Cassandra und ihr Cousin waren im selben Jahr gestorben. Cassandras Überreste lagen im Grab zu Alessios Füßen. Massimo hingegen hatte sein Ende durch die Pest gefunden. Er ruhte in einem Massengrab auf der Insel des Schmerzes. Der Wind trug nun ihre Seelen mit sich. Der verfluchte Wind, der die schwarze Rose zu ihm geweht hatte, um ihn mit Erinnerungen zu quälen.

 

* * *

 

In der Ferne verhallten die Glocken einer Kirche, da stieg Ilaria aus einem Fenster des Palazzo Riguccio. Vorsichtig ertastete sie die Sprossen, denn zwischen den Weinranken konnte sie ihre Strickleiter kaum erkennen.

Im Schatten der Gasse angekommen, blickte Ilaria sich um. Niemand war zu sehen. Sogleich eilte sie weiter und bog um die nächste Häuserecke. Dort blieb sie stehen, um den Sitz ihres rauchgrauen Rocks und der Kniehose zu überprüfen. Beide Kleidungsstücke waren ihr etwas zu groß, denn sie stammten von ihrem Bruder. Vorsichtig fuhr sie sich über ihr Haar, einer Flut mühsam zu einem Zopf gebändigter schwarzer Locken. Sie hatte sie grau gepudert hatte, um weniger aufzufallen. Eine Maske verbarg die obere Hälfte ihres Gesichts.

Ilaria hob den Blick, als sie die Geräusche eines Stocks hörte. Ihr Bruder Enrico kam näher. Der Wind zog an seinem offenen Mantel. Darunter trug er eine graue Weste zu der Kniehose und dem Justeaucorps in jenem Taubenblau, das Ilaria so gut an ihm gefiel. Sein Haar hatte er sorgsam unter einer gepuderten Perücke und einem Dreispitz verborgen.

Enrico verzog den Mund zu einem süffisanten Lächeln. »Ah, da sind Sie ja endlich, Sior Maschera«, sagte er, sie beim Namen aller Maskierten nennend. Er deutete eine Verbeugung an, die auf Ilaria geziert wirkte.

»Buonasera«, sagte Ilaria. »Wie sehe ich aus?«

Enrico musterte sie von oben bis unten. »Fast so gut wie ich.« Er grinste. »Dein seltsames Muttermal hättest du überkleben sollen.«

»Es ist nicht seltsam.«

»Doch. Es sieht aus wie eine dreieckige Warze.«

»Es gibt keine dreieckigen Warzen. Außerdem spricht aus dir nur der Neid, denn ich besitze, wofür andere Mouches verwenden.«

»Sie benutzen Mouches, um derartige Makel zu verdecken.«

»Es ist kein Makel, sondern ein Vorzug.«

»Rede es dir nur ein.«

Ilaria schnitt eine Grimasse. »Hättest du mir eben eine Maschera nobile beschafft, so wie ich es dir vorgeschlagen habe.«

Die Kombination aus weißer Wachsmaske, schwarzer Kapuze, einem dunklen Mantel und Dreispitz war Ilarias Ansicht nach die beste Verkleidung, wollte man nicht erkannt werden.

»Erstens, Schwesterlein«, sagte Enrico, »darf die Maschera nobile nur von Männern getragen werden. Zweitens überschreitet diese Maske meine bescheidenen Finanzen.« Er nahm seine Schnupftabakdose aus der Rocktasche. »Wie du mittlerweile wissen solltest, muss ich für alle Ausgaben Rechenschaft ablegen. Filomena erlaubt keine Maschera nobile, warum auch immer.« Er hob die Achseln. »Also gibt es keine.«

Ilaria lachte. »Sicherlich weil sie denkt, der Schutz der Maschera nobile würde dich zu Schandtaten verleiten. Dabei sollte sie längst wissen, dass du dafür keine Maske benötigst.«

»Haha, das musst gerade du sagen.« Er nahm mit den Fingerspitzen Schnupftabak und sog ihn genüsslich ein. »Nein«, sagte er, »der Grund ist Filomenas Geiz. Diese Verkleidung erfüllt keinen Doppelnutzen. Man kann sie nicht mehr in der Kirche tragen, seit dem Verbot des Großen Rates.«

Ilaria lachte. »Weil du so häufig in die Kirche gehst.«

»Nur weil du frömmelst, ist das kein Grund, meine Gewohnheiten infrage zu stellen.«

»Ich frömmele nicht«, sagte Ilaria. »Doch um nochmals auf deine spärliche Maskerade zurückzukommen. Hast du dir niemals die Frage gestellt, dass Filomena dich darin einschränkt, damit sie dir leichter nachspionieren kann?«

Enrico lachte und nieste zugleich. Schnell hob er ein Spitzentaschentuch vor sein Gesicht. »Nachspionieren? Warum sollte sie das tun?« Über den Rand des Tuchs blickte er Ilaria an. »Ah, du denkst das macht sie wegen dir. Du hast mich während des gesamten letzten Carnevale begleitet und niemand hat Verdacht geschöpft. Warum sollte Filomena gerade jetzt argwöhnisch werden?«

Ilaria biss sich auf die Lippen. »Sie … sie hat mein Tagebuch gelesen.«

Enrico verstaute seine Schnupftabakdose und starrte sie entgeistert an. »Du hast doch nicht etwa von unseren Ausflügen hineingeschrieben?«

Sie wich einen Schritt zurück, da seine plötzliche Heftigkeit sie überraschte. »Nein, natürlich nicht. Denkst du ich bin wahnsinnig? Es war so schon schlimm genug, zu hören, wie sie sich in ihrem Büro vor anderen über mich lustig gemacht hat. Als wären meine Gedanken und Träume nur die Dummheiten eines Kindes.« Ihr fröstelte, als sie an die Kälte in der Stimme ihrer Stiefgroßmutter Filomena dachte, die seit dem Tod ihrer Eltern Enricos und ihr Vormund war und somit auch die Geschicke des Palazzo Riguccio leitete.

Er lächelte. »Soso, du hast also an der Wand gelauscht?«

»An der Tür hört man besser.« Sie senkte den Kopf. »Ich habe mein Tagebuch daraufhin sofort vernichtet.«

»Und deine Gedichte?«, fragte er.

»Alle zerstört. Es gibt nichts mehr.«

Enrico sah sie schweigend an. Sie war ihm dankbar, dass er das Thema ruhen ließ. Es tat zu weh.

»Gehen wir jetzt weiter oder willst du hier festwachsen?« Enricos Stimme bebte vor Ungeduld. Er wartete nicht auf Ilaria, sondern lief sofort los. Sie eilte ihm nach.

»Da kommst du ja endlich«, sagte er. »Ich dachte schon, du willst die Nacht vertrödeln.« Er lächelte sie an.

»Habe ich nicht vor.« Ilaria zwang sich, das Lächeln zu erwidern, was ihr jedoch nicht so recht gelang. Wie gern besäße sie Enricos Zuversicht. Doch dieser hatte leicht reden. Im Gegensatz zu ihr stand für ihn weder sein Status noch seine Zukunft auf dem Spiel. Der Preis, erkannt zu werden, war für Ilaria hoch, womöglich zu hoch, doch wer wusste, wie lange sie dieses bisschen Freiheit noch besitzen würde.

Enrico deutete auf den von Fackeln erleuchteten Eingang eines Palazzo. »Dies ist das Ca’ Mandarno.« Ilaria vernahm gedämpfte Musik und Stimmengemurmel aus selbigem. Wie so oft empfand sie Befangenheit bei dem Gedanken, dort hineinzugehen zu all den fremden Menschen.

Offenbar missdeutete Enrico ihr Zögern, denn er sagte: »Die Contessa Mandarno ist bekannt für ihre Salons, in denen sie Dichter, Maler und Philosophen um sich schart.«

Sie nickte leicht. »Eine Dame von Welt also.«

»Gewiss. Zudem ist sie hübsch und äußerst freigiebig in ihrer Gunst.« Er lächelte. »Besonders mir gegenüber.«

»Soso. Ich dachte, die Dame wäre verheiratet.«

»Ist sie auch.«

»Und das hindert dich nicht an einer Affäre mit ihr?«

Er hob die Achseln. »Das machen doch alle.«

»Das ist kein Grund …«

Er unterbrach sie mit einer Handbewegung. »Ilaria, das ist eine Zwangsehe. Sie ist mit einem Mann gestraft, der den ganzen Tag nur jammert, dem man nichts, aber auch gar nichts recht machen kann. Jeder in seiner Umgebung ist schuld an diesem und schuld an jenem. Und wie er zudem aussieht. Hast du ihn jemals gesehen?«

»Ich denke nicht.«

»Verschrumpelt und vertrocknet. Er sieht nicht nur aus wie eine Leiche, er ist eine, nur dass man vergessen hat, ihn einzugraben.«

»Enrico! Spreche nicht so respektlos über die Älteren.«

»Vor was sollte ich Respekt haben? Der Weisheit des Alters?« Er lachte. »Die ist dünn gesät. Beim Conte wirst du sie vergeblich suchen.«

»Die arme Contessa. Ich stelle mir eine Ehe anders vor.«

»Das kann ich mir vorstellen. Weltfremd wie du bist.« Er lief auf den Palazzo zu. »Doch lass uns jetzt hineingehen. Wir wollen die Contessa nicht warten lassen.«

Sie liefen an den Dienern am Eingang vorbei und erklommen die Stufen zum Obergeschoss. Im Saal fielen Ilaria als erstes die vielen Deckenlüstern aus milchigem Muranoglas auf. Die Kerzenflammen wurden vom Terrazzoboden reflektiert, als sei er ein Spiegel. Dieser Portego war weitaus geräumiger als der, den Ilaria vom Palazzo Riguccio kannte. Durch die Butzenscheiben der Loggia am Ende des Saals erahnte Ilaria die Lichter und Arkaden der Gebäude auf der anderen Seite des Canal Grande.

Zahlreiche Menschen befanden sich im Portego. Einige standen in Grüppchen beieinander, andere flanierten durch die ineinander übergehenden Räume des Barockpalastes. Ilaria fühlte sich ein wenig schäbig in den abgetragenen Sachen ihres Bruders, als sie ihren Blick über die Pracht der Gewänder streifen ließ. Die Frauen trugen Kleider in allen Farben und mit Pailletten und Federn geschmückten Masken. Selbst eine Nixe erblickte Ilaria unter ihnen. Halb nackte Faune und Nymphen, die Leiber umwunden von Efeu, die Häupter gekränzt von Wein, scharten sich um die alten Götter. Inmitten von ihnen stand Neptun mit dem Dreizack, als wäre er soeben seinem Kristallpalast in den Tiefen des Meeres entstiegen. Neben den sieben Todsünden verweilten gefallene Engel.

Doch es waren die Gemälde an den Wänden des Portegos, die Ilarias Interesse weckten. Bilder waren für sie Zeitreisen, eingefrorene Augenblicke, konserviert für die Ewigkeit. Die Porträts der männlichen Ahnen des Contes erschienen ihr langweilig gegen die Alltagsszenen aus dem Leben der Stadt.

Auf dem ersten Bild war ein Marktplatz abgebildet. In seinem Mittelpunkt stand eine Frau, die Oliven, Zitronen, Feigen und Mandeln feilbot. Auf dem nächsten Gemälde sah Ilaria einen Mann mit der Maschera nobile. Ilaria erkannte den Ort wieder, doch einige der Gebäude waren jetzt anders als zur Zeit des Malers.

Ilaria ging näher an das Bild heran, um es zu betrachten, da erblickte sie unter einem Arkadengang den Mann mit der Pestmaske. Er sah genauso aus, wie sie ihn das letzte Mal erblickt hatte. Nur er trug diese Maske ohne Augengläser und mit einer Kapuze anstatt eines Hutes, wie es für den Medico della Peste üblich war. Offenbar hatte diese Maske eine längere Tradition als Ilaria gedacht hatte. Heutzutage war sie in der schlichten Variante weniger beliebt, aber dieser eine Mann trug sie noch auf diese Weise zu schwarzer Gewandung, wer auch immer er war. Sie betrachtete die Gondeln, die über den Kanal im Bildhintergrund trieben. Sie waren geschmückt und bunt bemalt. War dies nicht seit etwa zweihundert Jahren verboten?

Ilaria fuhr herum, als die Stimme einer Frau sie aus ihren Gedanken riss. »Willkommen in unserem Palazzo. Die Gemälde sind gelungen, nicht wahr?« Dies war also die Contessa. In der Tat war sie eine sehr hübsche Frau, soweit Ilaria es trotz der Maske erkennen konnte.

Ilaria nickte. »Faszinierend.«

Die Contessa lächelte und strich die Falten ihres Rockes glatt, dessen Farbe der von Enricos Justeaucorps ähnelte. Wo war Enrico?

»Sie sammeln Gemälde?«, fragte Ilaria und hoffte, dass ihre Stimme nicht zu hoch klang, doch die Contessa schien nichts zu merken.

»Die meisten davon stammen aus der Familie meines Gatten.« Die Contessa deutete auf jene, die Ilaria zuvor angesehen hatte. »Auf diese hier ist er besonders stolz.« Sie lächelte Ilaria an. »Sie können sich gerne noch eine Weile hier umsehen, doch ich muss jetzt leider gehen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen, Sior Maschera. Ich muss die anderen Gäste begrüßen. Ich hoffe, Sie fühlen sich hier wohl.«

»Gewiss doch, Eccelenza.« Ilaria lächelte verkrampft. Hatte die elegante Contessa di Mandarno tatsächlich ein Verhältnis mit Enrico oder gab dieser nur an? Ilaria hoffte, dass der Contessa ihre Ähnlichkeit zu ihrem Zwillingsbruder entging. Sie konnte keine Spur von Argwohn in deren Gesicht erkennen. Ihr Lächeln wirkte offen und ungekünstelt.

»In der Bibliothek findet übrigens eine Dichterlesung statt«, sagte die Contessa. »Ich empfehle Ihnen, dieser jungen Stimme Gehör zu schenken.« Sie nickte ihr noch einmal zu und trat dann auf ein paar Neuankömmlinge zu. Das Gespräch mit der Contessa war angenehm gewesen, dennoch atmete Ilaria erleichtert aus.

Sie flanierte durch den Saal und wollte gerade die Bibliothek betreten, da erregte die Stimme einer Frau ihre Aufmerksamkeit. Ilaria wandte sich zu ihr um. Das Äußere der Frau passte zu deren aufdringlicher Stimme. Sie mochte schätzungsweise um die vierzig sein. Sie trug eine Tunika, die sich um ihre Hüften spannte und Ilaria unpassend zu deren gebleichtem Haar erschien.

»Mit so etwas scherzt man nicht«, sagte die Frau zu dem Mann, der neben ihr stand. Dieser lächelte, was grotesk wirkte, denn Blut lief aus seinem Mund. Ilaria sah genauer hin und ertappte sich dabei, zu starren. Es war kein Blut, sondern Cochenillerot, das so geschminkt war, dass es aussah wie fließendes Blut. Rauchfarbener Puder verlieh seinen Augen Tiefe. Sein Gewand war von der Art eines Leichenhemdes. Fangzähne blitzten auf, als er leicht lispelnd sprach: »Es ist kein Scherz, Siora. Ich bin tatsächlich ein Vampyr, ein Untoter, der sich vom Blut Lebender ernährt.«

Die Römerin erschauderte sichtlich, hob schließlich in indignierter Weise ihre Stabmaske vor ihr Gesicht und sagte: »Wie widerlich, oh, wie entsetzlich.«

Ein Mann im Kostüm eines Fauns meldete sich zu Wort. »Ein Handelsreisender erzählte davon, dass in Südosteuropa ganze Dörfer vom wandelnden Tod entvölkert wurden. Man schrieb es zunächst den Seuchen zu, bis man Würgemale an den Hälsen einiger Personen fand. Immer mehr Menschen wurden zu Vampyren. Über ihr Blut gaben sie den Keim des Bösen weiter. Sie schliefen in den Särgen, in denen man sie bestattet hatte. Einzig Kreuze und Weihwasser sowie Knoblauch vermochten sie aufzuhalten.«

Die Römerin sah ihn mit einer Mischung aus Widerwillen und Ekel an. »Bei allem Respekt, Sior, aber das ist gefährlicher Aberglaube.«

Der Faun hob die Achseln. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon?«

Ilaria wandte ihren Blick wieder dem Vampyr zu, doch sah ihn nur noch in der Menschenmenge verschwinden. Offenbar fürchteten sich selbst die Untoten vor beleibten Römerinnen und nutzten jede Gelegenheit, diesen zu entkommen.

»Wenn Sie mich bitte entschuldigen«, sagte der Faun. »Ich habe eine Verabredung.« Auch er ging davon, ohne das Thema weiter aufzugreifen.

Ilaria hielt nach dem Vampyr Ausschau, doch fand ihn nicht mehr. Zwar glaubte sie nicht an die Existenz von wandelnden Leichen, die Blut tranken, doch ihr Wissensdurst war entfacht. Gerne hätte sie mehr darüber erfahren.

Da Ilaria keinen besseren Einfall hatte, betrat sie die Bibliothek, wie die Contessa es ihr empfohlen hatte. Der Dichter stand auf einem Podium und erzählte eine seiner Geschichten. Keineswegs las er sie einfach vom Papier ab, sondern er vermochte es, dem Geschriebenen durch freie Rede und Betonung weitere Nuancen angedeihen zu lassen.

Ilaria gesellte sich zu der Gruppe, die sich vor ihm gebildet hatte. Ein Diener bot ihr ein Glas Weißwein an, das sie dankend nahm. Sie nippte daran. Perlende Süße zog über ihre Zunge. Für einen Moment schloss sie die Augen, nur den Geschmack des Weines und die Stimme des Dichters wahrnehmend.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, hätte sie sich beinahe verschluckt. Unweit von ihr befand sich ihre Tante Lucia, die einzige Schwester ihres Vaters, die sich nicht in einem Kloster befand. Ilaria betrachtete sie verstohlen aus den Augenwinkeln. Ihr Herz schlug dabei schneller.

Lucia trug eine silberne Stabmaske, welche die obere Hälfte ihres Gesichtes verbarg. Hätte Ilaria sie nicht an der Art erkannt, wie sie sich bewegte, so daran, wie sie sich kleidete. Ihr Kleid war ein Albtraum in Silbergrau und Rosa, besetzt mit überdimensionalen Seidenrosen, die sich einen Wettstreit mit üppig angebrachten Schleifchen und Volants gaben. Ihre gepuderte Hochsteckfigur erschien beinahe schlicht, hätte sie nicht auch hier im Übermaß Seidenrosen angebracht.

Neben Lucia lief ihr zwanzig Jahre jüngerer Cicisbeo Lorenzo, der bereits zu Lebzeiten ihres Mannes ihr Begleiter gewesen war. Lorenzo war deutlich größer als Lucia, fiel neben ihr jedoch kaum auf, trug er doch ein schlichtes Ensemble aus grauem Seidensamt. Er beugte sich über Lucia, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Sie senkte ihre Stabmaske, als sie hell auflachte. Lucia hob die Maske wieder vor ihr Gesicht und sah sich im Raum um.

Als ihr Blick über Ilaria glitt und dort einen Moment lang hängen blieb, glaubte sie, sterben zu müssen. Lucia hatte sie erkannt. Es war aus. Lucias Blick wanderte schließlich weiter. Ilaria zog sich so schnell wie möglich, doch langsam genug, dass es nicht auffiel, aus dem Raum zurück.

Im Portego erblickte sie ihn. Er stand am anderen Ende des Saales, nahe der Loggia. Er trug die Maske des Medico della Peste, die eine traurige Realität in nicht allzu ferner Vergangenheit widerspiegelte. Im Gegensatz zum Pestarzt trug er keinen Hut, sondern hatte die Kapuze seines Umhangs über sein Haar gezogen.

Wie an jenem ersten Abend, an dem sie ihn gesehen hatte, überkam Ilaria das Gefühl, ihn weitaus länger zu kennen, als es tatsächlich der Fall war. Die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, war unerklärlich für sie. Ilaria wollte ihn ansprechen, doch verspürte sie Befangenheit. Was sollte sie zu ihm sagen? Was war, wenn sie sich blamierte? Seit dem letzten Carnevale hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Es waren nur Monate vergangen, doch erschien es ihr wie eine Ewigkeit. Sie hatte häufig an ihn gedacht während dieser Zeit. Unvergessen waren seine Anekdoten, seine geistreiche Sprache und Bonmots.

Sie überwand ihre Scheu und wollte sich gerade zu ihm begeben, da vereitelte ein Schrei ihren Plan. Gellend hallte er durch den ganzen Saal und schwoll an, schrill und immer schriller. Er ging über in ein Schluchzen, das erstarb. Ilaria wandte sich um in die Richtung, aus der er gekommen war und erblickte die Contessa Mandarno bewusstlos in den Armen eines älteren Herrn liegen. Eine Frau stand neben ihr und fächelte ihr Luft zu mit einem Straußenfedernfächer.

Auf den Stufen der Treppe zum zweiten Obergeschoss stand ein junger Mann. Sein Haar war wirr und das Gesicht blass.

»Der Conte«, sprach er mit erstickter Stimme, »er ist tot.« Der Mann strich sich mit der Hand über die Augen, sodass es auf Ilaria wirkte, als wollte er die Bilder auslöschen, die er gesehen hatte. »Er wurde ermordet.«

»Ein Mord!« Frauen und Männer schrien durcheinander. Panik breitete sich in atemberaubender Geschwindigkeit aus. Ilaria sah zurück zur Loggia, doch der Mann mit der Pestmaske war verschwunden. Und sie sollte ebenfalls von hier verschwinden. Doch zuvor musste sie unbedingt Enrico finden. Ilaria wirbelte herum, doch ein korpulenter Herr versperrte ihr den Weg. Als sie sich an ihm vorbeizwängte, stieg ekelerregender Geruch nach altem Schweiß vermischt mit Puder und Parfum in ihre Nase. Das Gedränge nahm immer mehr zu.

Ilaria bebte vor Anspannung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei des Stadtsechstels oder die Herren der Nacht eintreffen würden. Letztere liefen regelmäßig Patrouille.

Ilaria eilte durch die Menschenmenge und hielt nach Enrico Ausschau. Er würde sie ebenfalls suchen und den Palazzo nicht ohne sie verlassen, denn sein Verantwortungsgefühl war zu groß. Zudem befürchtete sie, sich ohne ihn nicht zurechtzufinden. In Gedanken sah sie sich bereits stundenlang durch die dunkle Stadt irren. Sie konnte Enrico nirgendwo finden. Er wusste doch, dass sie nicht ohne ihn den Palazzo verlassen und sich Sorgen machen würde. Verdammt, wo war er?

»Die Polizei wird jeden Moment eintreffen«, vernahm sie die Stimme eines Mannes. Kurz erstarrte sie und traf dann eine Entscheidung. Zielstrebig bahnte sie sich einen Weg in Richtung des Ausgangs. Gleichgültig, ob sie Enrico fand oder nicht, sie musste weg von hier und zwar so schnell wie möglich. Sie fühlte sich erdrückt von all den Leibern und ihren unterschiedlichen Gerüchen nach Schweiß, Haarpuder, Parfum und Wein.

Sie war froh, als sie endlich die Treppe erreichte. Viel zu laut erschien ihr das Klappern ihrer Schnallenschuhe auf den Marmorstufen. Doch zu ihrer Erleichterung nahm man kaum von ihr Notiz. Selbst die Diener am Ausgang waren zu sehr damit beschäftigt, die Menschen zu beruhigen, um Ilaria Beachtung zu schenken, als sie an ihnen vorbei hinaus in die Nacht lief.

Sie bog in die erste Gasse ab, um außer Sichtweite zu gelangen. Ihre Schritte hämmerten auf dem Boden der Gasse. Ihr Herz schlug in wildem Takt und ihr Atem kam stoßweise. Ilaria kannte die Gasse nicht, die sie entlang rannte. Sie hoffte nur, wieder zurück zum Palazzo Riguccio zu finden. Sie schlug einen Haken in eine noch kleinere Gasse, die so eng war, dass zwei Frauen in Reifröcken unmöglich aneinander vorbeigehen konnten, zumindest nicht ohne akrobatische Leistungen. Bögen und Wäscheleinen spannten sich in der Höhe zwischen den Hauswänden. Es war hier bedrückend finster. Ilarias Seiten stachen. Keuchend blieb sie stehen und wartete, bis es besser wurde.

Als sie weiterlief, erschien es ihr, als besäßen ihre Schritte ein Echo. Sicherlich lag es an der Enge der Gasse und den hohen Häusern, die jeden Laut zurückwarfen. Wieder blieb Ilaria stehen. Die Schritte verstummten abrupt, doch wenige Sekunden zu spät. Ilaria blickte sich um. Niemand war zu sehen. Sie lief langsam weiter und blieb wieder stehen. Nichts. Hatte sie sich geirrt? Sie hoffte es.

Ilaria eilte weiter. Endlich erreichte sie eine breite Straße. Hier hingen Öllaternen, deren spärliche Lichter vom Nebel reflektiert wurden. Ilaria entdeckte keinen Verfolger. Auf der Straße waren mehr Menschen unterwegs als in den kleinen Gassen. Womöglich war der Verfolger in der Menge untergetaucht. Sie sah Griechen und Albaner und vernahm Sprachen, die sie nie zuvor gehört hatte. Wer auch immer ihr gefolgt war, würde es nicht wagen, ihr etwas zu tun, wenn sich so viele Menschen auf der Straße befanden.

Ilaria atmete erleichtert auf, als sie an einen Platz gelangte, den sie kannte. Von hier aus würde sie zurückfinden. Sie bog in die Gasse ab, die in Richtung des Palazzo Riguccio führte. Doch war der Verfolger wirklich weg? Sie war sich nicht sicher. Gelegentlich glaubte sie, gedämpfte Schritte zu hören und eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrzunehmen. Sie sah schon in jeder Ecke Gespenster!

Endlich erreichte sie den Palazzo Riguccio. Kein einziges Licht brannte im ganzen Haus. Dies war ungewöhnlich für einen Palazzo, nicht jedoch für diesen. Ilaria kannte es nicht anders.

An der Wand wuchs Wein, der sich vor vielen Jahren von der Dachterrasse her ausgebreitet hatte. Zwischen seinen Ranken verborgen war ihre Strickleiter, eine Spezialanfertigung, die Enrico von seinem knappen Einkommen für sie in Auftrag gegeben hatte, wofür sie ihm ewig dankbar sein würde. Ilaria erklomm sie.

Wenig später befand sie sich in ihrem Schlafzimmer und zog die Leiter hinter sich hoch. Sie entkleidete sich, wusch die Schminke ab und bürstete das Puder aus ihrem Haar, bevor sie sich zum Schlafe niederlegte. Während sie den Vorhang ihres Einbaubettes zuzog, dachte sie an Lucia. Hatte sie sie erkannt und nur Diskretion gewahrt wegen der vielen Menschen?

Vielleicht würde Ilaria es Morgen schon wissen, spätestens in wenigen Tagen. Beinahe jeden Tag kam Lucia in den Palazzo Riguccio, um Filomena zu besuchen. Ilaria hatte ein ungutes Gefühl deswegen.

Dann war da noch die Sache mit Enrico. Warum war er so plötzlich verschwunden? Hatte er wirklich ein Verhältnis mit der Contessa, wie er es angedeutet hatte? In diesem Fall kam er als Hauptverdächtiger infrage. Ilaria konnte es sich nicht vorstellen, dass Enrico etwas mit dem Mord an dem Conte zu tun hatte, doch nicht jeder würde denken wie sie.

Ilaria war auch wütend und enttäuscht, dass Enrico sie entgegen ihrer Abmachung allein gelassen hatte. Wenn sie sich nicht auf ihren Zwillingsbruder verlassen konnte, auf wen dann?

Noch ein weiteres Bild schob sich in ihre Gedanken. Sie sah Alessio, den Mann mit der Pestmaske vor sich. Bereits während des letzten Carnevale hatte sie diese verwirrenden Gefühle verspürt, die wuchsen, je häufiger sie ihm begegnete. Damals hatte Ilaria sie für Schwärmerei gehalten, doch sie wichen nicht von ihr. Warum war Alessio so plötzlich aus dem Palazzo verschwunden? Hatte auch er etwas zu verbergen, etwa den Mord am Conte?

In den frühen Morgenstunden fand Ilaria endlich Schlaf, jedoch keine Antworten auf ihre dringlichen Fragen.

 

Der Fluch des Blutes

 

 

 

 

In der folgenden Nacht

»Bonsoir, Alessio. Bist du bereit?« Leise war Jean-François’ Stimme und sanft wie die Berührung von Samt in dunklen Räumen. Alessio verdrängte die Vielzahl der Empfindungen, die sie in ihm auslöste. Empfindungen, die höchst unwillkommen waren.

»Ich halte mich an meine Abmachungen.« Alessio lächelte, obgleich er wusste, dass Jean-François es wegen der Pestmaske nicht sehen konnte.

Jean-François sah ihn nachdenklich an. »Selbst in deinem Palazzo trägst du diese schaurige Maske.«

»Wir nennen sie Häuser, nicht Palazzi. Das Ca‘ steht für die Familie, denn Wohnsitz und Identität einer Familie sind eng miteinander verbunden.«

»Welch komplizierter Symbolismus, der sich hinter unscheinbaren Worten verbirgt.« Jean-François strich sich eine Strähne seines dunkelbraunen, welligen Haares aus dem Gesicht. »So wie die Schönheit, die sich vor mir hinter dieser Maske versteckt. Nimm sie für mich ab, Alessio, bitte.«

Da die Pestmaske ihn bei seinem Vorhaben behindern würde, folge er dieser Bitte. Sein Blick fiel auf all die Masken, die er gesammelt hatte im Laufe der Jahrhunderte: schwarze, weiße und rote, manche mit Federn besetzt wie die goldene, die einst seinem Vater gehört hatte. Diese befand sich, unbenutzt von Alessio, derzeit in seiner Villa auf der Terra Ferma. Die meisten seiner Masken jedoch waren eher schlicht, wie die schwarze, die er bei seinen Aufträgen trug. Sie ließ ihn zu dem Schatten werden, als der er sich fühlte.

»Du trägst die Pestmaske wegen Cassandra, nicht wahr?«, fragte Jean-François. »Nicht Diego oder ich haben dich zu einem Monster gemacht. Sie war es.«

»Sprich nicht so über sie. Ich war bereits zuvor ein Monster. Cassandra wusste es nur noch nicht. Zudem geht sie dich nichts an, gar nichts.«

»Sie nicht, aber du gehst mich etwas an.«

»Fange nicht schon wieder damit an. Sage mir lieber, wohin du willst.«

Jean-François lächelte. »Wie wäre es mit Milano?«

Alessio hob gleichgültig die Achseln. »Eine Stadt ist so gut wie jede andere.«

»Das finde ich nicht, doch jedem seine Meinung.«

Alessio folgte Jean-François hinaus auf die Loggia, wo sie sich gemeinsam in die Lüfte erhoben. Aus der Höhe erblickte Alessio wenig später die Lichter Milanos. An den Häuserecken hingen Öllaternen, umwoben vom Gespinst des Nebels. In einer menschenleeren Gasse ließen sie sich nieder. Dunkel erhob sich vor ihnen der gotische Dom mit seinen zahlreichen Türmen. Einen Augenblick lang betrachteten sie ihn in schweigender Eintracht, bis Alessio sprach: »Einiges bleibt auch nach vielen Jahren unverändert und ist dennoch stets aufs Neue von bedrückender Schönheit.«

»Comme toi, Alessio. So wie du.«

Alessio senkte den Blick, doch nicht so weit, dass er Jean-François nicht ansehen konnte. Dieser stand so nahe bei ihm, dass der Hauch seines Atems über seinen Nacken fuhr wie eine Berührung. In seinen Augen verfing sich das Mondlicht, als er seinen Blick zur Straße wandte.

Alessio sah in dieselbe Richtung und erkannte eine Frau, die näherkam. Ihr scharlachrotes Kleid wippte im Takt ihrer Schritte. Nach Alessios Geschmack war sie zu aufdringlich geschminkt. Auf ihrem Gesicht lag eine Schicht von Puder und Cochenille auf ihren Wangen und Lippen. Auf eine Perücke hatte sie zugunsten ihres eigenen hochgesteckten Haares verzichtet. Das Mantelet, das sie vor der Kälte schützen sollte, offenbarte mehr als es verbarg. Es war offensichtlich, welchem Gewerbe sie nachging. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, doch ihre Augen besaßen jenen kalten Ausdruck, der ihm verriet, dass sie zu viel gesehen hatte.

»Seien Sie gegrüßt, Signores«, sagte sie. Alessio und Jean-François erwiderten den Gruß.

»Sie sind nicht von hier?« Sie lächelte, was die Falten um ihre Mundwinkel vertiefte. »Ich zeige Ihnen gerne die Stadt, wenn Sie möchten.« Sie wartete keine Antwort ab, sondern hakte sich wie selbstverständlich bei ihnen ein. Alessio spürte durch die Kleidung hindurch die Wärme ihres Leibes, einer Wärme, die sein Körper schon lange nicht mehr besaß.

»In der Tat können wir eine erfahrene Führerin gebrauchen«, sagte Jean-François, leicht über sie gebeugt. Sie sah zu ihm auf, gebannt vom Blick dieses Verführers. Der Ausdruck in ihren Augen verriet, dass ihr gefiel, was sie sah.

»Sie sind Franzose?«, fragte sie.

»Merkt man das so deutlich?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es ist nur ein leichter Akzent. Man muss genau hinhören, um ihn zu bemerken.« Sie legte ihren Kopf leicht in den Nacken und befeuchtete mit ihrer Zungenspitze auf laszive Weise ihre Lippen. »Ich habe Ihren Akzent erkannt, weil er mir so vertraut ist. Viele Jahre war ich die Geliebte eines Landsmannes von Ihnen.«

»Ah, wie interessant. Aus welcher Gegend stammte er?«, fragte Jean-François, während er sie in den Schatten unter einem der Balkone führte. Alessio ließ sich mitziehen. Er ahnte, was Jean-François vorhatte.

»Aus der Bourgogne, Mâcon, um genau zu sein.«

Jean-François beugte sich noch ein wenig dichter über sie. »Eine schöne Gegend. Waren Sie dort, Madame?«

Sie nickte. »Ich habe ihn des Öfteren dort besucht.« Ein Lächeln trat bei der Erinnerung auf ihre Lippen. »Ich vermisse die Abende, an denen wir gemeinsam auf der Terrasse saßen und hinaus auf die Saône blickten.« Sie ließ es geschehen, dass Jean-François sie näher zu sich heranzog. Alessio löste sich aus ihrem Griff und umfasste stattdessen ihren Arm.

»Wie die Fluten der Saône«, sprach sie leise, während sie in den mitternachtsblauen Tiefen seines Blickes versank. Mit einem Lächeln sah sie dem Tod ins Angesicht. Es war kein Schmerzensschrei, der ihrer Kehle entkam, als er seine Zähne in ihren Hals schlug, sondern ein Laut der Freude. Jean-François‘ Hand ruhte in ihrem Nacken und berührte ihren Haaransatz.

Alessio wandte seinen Blick davon ab. Er hob ihr Handgelenk an, beugte sich darüber und berührte es sachte mit seinen Lippen. Ihre Hand lag schlaff in der seinen, als er mit seinen Zähnen Haut und Gewebe durchtrennte, um von ihrem Blut zu kosten. Er spürte den Widerhall ihres Herzschlags in seinen Adern. Von berauschender Süße war ihr Blut, das auf seiner Zunge perlte. Ihre Haut duftete leicht nach einem exotischen Parfum. Als er von ihr abließ, liefen dünne Blutfäden aus den Wunden an ihrem Handgelenk. Jean-François gab sie ebenfalls frei und sie wäre gestürzt, hätte er sie nicht sogleich an ihren Schultern gehalten. Er verschloss ihre Wunden mit Vampyrblut und lehnte sie gegen die Wand unterhalb der Loggia, wo sie sogleich sitzend in sich zusammensank. Ihr Kopf war leicht vornübergebeugt. Es wirkte, als wäre sie betrunken.

Alessio und Jean-François liefen weiter.

Wie in alten Zeiten, vernahm Alessio Jean-François’ lautlose Stimme in seinen Gedanken. Alessio schwieg. Er wollte nicht an die Vergangenheit denken, geschweige denn darüber sprechen.

Sie bogen in eine Nebengasse ab, an deren Ende sie zu einer Straße kamen. Alessio wandte seinen Blick gen Himmel. Nieselregen setzte ein und fiel hernieder in silbrigen Fäden. Das Dämmerlicht der im Winde schwankenden Öllaternen wurde vom Nebel reflektierte, der die Konturen der Häuser verwischte. Es roch nach Regen.

Flötentöne schwebten durch die Nacht. Sie kamen aus einem der Häuser, die sich an die Straße reihten. Zielstrebig gingen Alessio und Jean-François darauf zu. Es war ein Bauwerk des Barock, dessen Säulenreihen und ornamentale Fensterbekrönungen Alessio an den venezianischen Palazzo Pesaro erinnerten. Weiße Marmorstufen führten in elegantem Bogen hinauf ins Obergeschoss, wo eine Feier stattfand. Zahlreiche Leuchter hingen an der Decke des Portegos. Gemälde zierten die Wände. Darunter standen, an die Wände gereiht, mit Schnitzereien verzierte Klappstühle aus Walnussholz.

Direkt an dem Portego grenzte der Speisesaal, dessen zweiflügelige Tür weit offen stand. Dieser Raum war rege besucht. Die Menschen saßen beisammen zu Tisch, auf dem auf Glasplatten edle Speisen bereitstanden. Die Düfte eingelegter Sardinen, Seespinnen und geschmorter Kalbshaxen drangen in Alessios Nase. Köstlich sahen die in Wein und Zucker gekochten und mit Gorgonzola gefüllten Birnen aus in ihrer Hülle aus geriebenen Nüssen.

Alessio betrachtete die Köstlichkeiten, die sich ihm darboten, doch nach nichts davon verlangte ihm. Verschwommen erinnerte er sich an die ersten Nächte in seiner Existenz als Vampyr. Verwirrt von der Umwandlung, die sich über Stunden hinwegzog, hatte er damals feinste Speisen zu sich genommen. Doch ihr Geschmack war nicht mehr zu ihm durchgedrungen. Im Gegenteil hatten sie einen entsetzlichen Ekel in ihm erzeugt, sodass er diese sogleich wieder von sich gegeben hatte.

Es gelüstete ihm seither nach etwas anderem, etwas Verbotenen, das Tod und Verdammnis brachte. Mord war etwas, das ihm bereits als Mensch nicht fremd gewesen war, doch das Blut seiner Opfer zu trinken war eine andere Sache. Dieses Verlangen jedoch war von einer Intensität, die er in der ersten Zeit kaum zügeln konnte. Er hatte gelernt, diese Begierde zu bändigen. Nichts war beängstigender, als Opfer seiner eigenen Leidenschaften zu werden. Schwer errungen war diese Herrschaft über sich selbst und dem Dämon in seinem Inneren. Segensreich erwies sie sich in Gesellschaft. In seiner Profession als Meuchelmörder jedoch war sie unentbehrlich.

In einem der Wandspiegel fand sein Blick den Jean-François‘. Ein Hauch von Jasmin umgab ihn, als dieser sich zu ihm herüberbeugte.

»Keinen Hunger heute Abend, mon ami?«, fragte Jean-François und Alessio wusste, dass es nicht die erlesene Vielfalt der Speisen war, die er meinte. Ein Lächeln lag auf Jean-François’ Lippen, doch seine Augen waren nicht auf Alessio gerichtet. Er folgte dessen Blick in Richtung der Loggia und erkannte, was dieser sah.

Die Dunkelhaarige fiel ihm als Erste auf. Sie war größer und schlanker als ihre Begleiterin. Beinahe zu schlank, doch das war es nicht, was Alessios Blick bannte. Es war das Muttermal an ihrer Wange, das sich an derselben Stelle befand, wie bei der Frau, die er nicht mehr aus seinen Gedanken bekam. Dieses Muttermal jedoch war im Gegensatz zu dem anderen nicht echt, sondern ein Mouche aus Seide in Form eines Sterns. Sein geübter Blick, geschärft durch seine besondere Gabe, wusste selbst ohne diese aufdringliche Form Echtes von Unechtem zu unterscheiden, was vielen seiner Geschlechtsgenossen nicht vergönnt war. Allzu oft fielen sie unter den Bann des Künstlichen.

Die dunkelhaarige Frau trug einen mit langen Federn besetzten schwarzen Hut. Ihr Kleid war von cremefarbener Seide mit Schleifen am Ausschnitt und an den ellenbogenlangen Ärmeln. Die Stelle oberhalb ihres Schlüsselbeins, wo die Ader unter ihrer Samthaut pulsierte, zog seinen Blick an. Alessio ertappte sich dabei, zu starren. Er zwang sich, seinen Blick von ihr abzuwenden und betrachtete stattdessen ihre Begleiterin. In ihrem blonden Haar trug sie cremefarbene Tüllschleifen. Von gleicher Farbe war ihr Kleid, dessen Ausschnitt mit Seidenrosen verziert war. Die Jupe, jener Rock unter der vorne offenen Robe, war ebenso wie das Brustteil aus rosa Seide.

Die Blonde besaß weiblichere Formen als die Dunkelhaarige, die beinahe ein wenig mager erschien, dennoch sagte letztere Alessio mehr zu. Er begegnete ihrem Blick aus Augen, die beinahe so dunkel waren wie ihr Haar. Seen bei monddunkler Nacht, in denen man ertrank, sah man zu lange hinab in diese Tiefen. Alessio wollte jedoch in etwas anderem ertrinken, in rubinroten Flüssen.

Abrupt wandte er seinen Blick ab und sah sich selbst im Wandspiegel, an dessen Seiten Kerzen angebracht waren. Die Flammen entließen Rauchfäden in die Luft. Alessio spürte die vibrierende Kraft des Feuers, das nur scheinbar gebändigt war. Um diese Hitze wogten die oberflächlichen Gedanken der Menschen wie Gewässer ohne zielgerichtete Strömung. Zwischen all dem befand sich Jean-François. Er war wie ein reißender Fluss, ein Raubvogel unter Spatzen. Alessio wusste, was dieser vorhatte, bevor er sich den beiden Frauen näherte.

Nein, sprach Alessio mit der lautlosen Sprache seiner Gedanken. Jean-François wandte sich zu ihm um. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. Nichts an seinem Gesicht ließ erkennen, was er dachte.

»Warum nicht?«, fragte Jean-François mit einer Stimme, die war wie das Rascheln von Seide. Alessio glaubte, einen Hauch von Spott darin zu erkennen. Sein Blick folgte der Bewegung von Jean-François’ Hand, als dieser sich damit durchs Haar fuhr. Der Rubinring an seiner Hand glomm im Kerzenlicht wie Höllenfeuer.

Alessio schüttelte den Kopf. »Nicht hier.«

Das Lächeln auf Jean-François’ Gesicht vertiefte sich. »Dann wähle du den Ort. Sie werden uns folgen, wohin wir auch gehen.«

Abermals schüttelte Alessio den Kopf. »Nein, nicht sie.«

Jean-François beugte sich leicht zu ihm herüber. »Wer dann?« Er machte eine Bewegung mit der Hand, die für jeden anderen beiläufig erscheinen musste, nicht jedoch für Alessio.

»Ob diese oder jene ist gleichgültig«, sagte Jean-François.

»Nicht für mich.«