Solange du lügst - Sarah Waters - E-Book

Solange du lügst E-Book

Sarah Waters

4,5

Beschreibung

England im 19. Jahrhundert: Susan Trinder wächst im Waisenhaus der zwielichtigen Mrs. Sucksby auf. Gemeinsam mit dem aalglatten Richard Rivers, genannt "Gentleman", plant sie einen großen Coup: Als Zofe will sie sich in das Vertrauen der jungen Erbin Maud Lilly einschleichen, um alsbald die Weichen für deren Heirat mit Gentleman zu stellen. Kurz nach der Eheschließung soll Maud dann ins Irrenhaus abgeschoben werden, um an ihr Vermögen zu kommen. Zunächst verläuft alles nach Plan. Selbst die zärtlich-leidenschaftlichen Gefühle, die Susan schon bald für Maud entwickelt, können sie nicht beirren. Doch plötzlich nehmen die Ereignisse eine atemberaubende Wendung. Zu spät erkennt Susan, dass sie in ein gefährliches Intrigenspiel geraten ist, in dem es nun um Liebe und Tod geht …

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FRAUEN IM SINN

 

Verlag Krug & Schadenberg

 

 

Literatur deutschsprachiger und internationaler

Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

historische Romane, Erzählungen)

 

Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

rund um das lesbische Leben

 

Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.

Sarah Waters

Solange du lügst

Roman

Aus dem Englischenvon Stefanie Retterbush

Für Sally O-J

TEIL I

KAPITEL 1

Damals hieß ich Susan Trinder. Die Leute nannten mich Sue. Ich weiß, in welchem Jahr ich geboren wurde, aber lange Zeit wusste ich nicht, an welchem Tag, und so feierte ich meinen Geburtstag an Weihnachten. Ich glaube, ich bin eine Waise. Meine Mutter ist tot, das weiß ich. Aber ich habe sie nie gesehen, sie bedeutete mir nichts. Ich war Mrs.Sucksbys Kind, wenn ich überhaupt das Kind von irgendwem war. Und als Vater hatte ich Mr.Ibbs, der den Schlosserladen in der Lant Street im Viertel nahe der Themse unterhielt.

Soweit ich mich erinnere, ist dies das erste Mal, dass ich über die Welt und meinen Platz darin nachdenke.

Es gab da ein Mädchen namens Flora. Sie bezahlte Mrs.Sucksby einen Penny dafür, dass sie mich zum Betteln mit ins Theater nehmen durfte. Wegen meiner hellblonden Haare nahmen mich die Leute immer gerne mit zum Betteln. Und da Flora auch hellblondes Haar hatte, gab sie mich immer als ihre kleine Schwester aus. Das Theater, zu dem sie mich an jenem Abend, an den ich gerade denke, mitnahm, war das Surrey am Saint George’s Circus. Das Stück, das sie spielten, hieß Oliver Twist. Es war ganz schrecklich. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie abschüssig die Galerie war und wie tief es hinunterging zum Parkett. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie eine betrunkene Frau nach den Bändern meines Kleides griff, und an das aufflackernde Licht, das die Bühne gespenstisch erleuchtete, und an das Gebrüll der Schauspieler und das Kreischen der Menge. Eine der Figuren war mit einer roten Perücke und einem Schnauzbart ausstaffiert: Ich war mir ganz sicher, dass es in Wahrheit ein Affe war, den man in einen Mantel gesteckt hatte, solche Kapriolen schlug sie. Noch schlimmer war der knurrende Hund mit den leuchtend roten Augen, doch das Allerschlimmste war der Herr des Hundes – Bill Sykes, der Zuhälter. Als er die arme Nancy mit einem Knüppel schlug, sprangen alle Leute in unserer Reihe auf. Jemand warf einen Stiefel auf die Bühne. Eine Frau neben mir schrie: »O du Unmensch! Du Schuft! Sie ist wahrlich vierzigmal mehr wert als ein gemeiner Kerl wie du!«

Ich weiß nicht, ob es wegen der Leute war, die alle aufgesprungen waren – wodurch die Galerie zu schwanken schien–, oder wegen der kreischenden Frau oder wegen des Anblicks, den die arme Nancy bot, als sie so bleich und reglos zu Bill Sykes’ Füßen lag, aber eine entsetzliche Angst überkam mich. Ich dachte, man würde uns alle umbringen. Ich begann zu schreien und ließ mich auch von Flora nicht beruhigen. Und als die Frau, die sich so laut empört hatte, die Arme nach mir ausstreckte und mich anlächelte, da schrie ich noch lauter. Dann begann Flora zu weinen – sie war selbst erst zwölf oder dreizehn, denke ich. Sie brachte mich nach Hause, und Mrs.Sucksby gab ihr eine Ohrfeige.

»Was hast du dir nur dabei gedacht, sie zu so was mitzuschleppen?«, rief sie empört. »Du solltest mit ihr auf der Treppe sitzen. Ich verleihe meine Kinder nicht, wenn man sie mir in einem solchen Zustand zurückbringt – ganz blau im Gesicht vor lauter Schreien. Was fällt dir ein!?«

Sie nahm mich auf den Schoß, und ich fing erneut an zu weinen.

»Schon gut, mein Lämmchen«, gurrte sie. Flora stand wortlos vor ihr und zog eine Haarsträhne über die scharlachrote Wange. Mrs.Sucksby war ein Teufel, wenn sie in Rage geriet. Sie schaute Flora an und klopfte mit dem Fuß, der in einem Hausschuh steckte, auf den Teppich, während sie in ihrem Schaukelstuhl vor und zurück wippte – es war ein großer knarzender Schaukelstuhl aus Holz, in dem nie jemand anderer saß als sie – und mir mit ihrer schweren harten Hand den zitternden Rücken tätschelte.

»Ich kenne deine Tricks«, sagte sie dann leise. Sie kannte jedermanns Tricks. »Was hast du erbeutet? Ein paar Taschentücher – das ist alles? Ein paar Taschentücher und eine Handtasche?«

Flora zerrte an der Haarsträhne, steckte sie in den Mund und kaute darauf herum. »Eine Handtasche«, murmelte sie nach kurzem Zögern. »Und ein Fläschchen Parfum.«

»Zeig her!«, befahl Mrs.Sucksby und streckte die Hand aus.

Floras Gesicht verfinsterte sich. Doch sie fummelte an einem Riss an der Taille ihres Kleides herum und griff hinein, und man stelle sich meine Überraschung vor, als sich herausstellte, dass der Riss gar kein Riss war, sondern die Öffnung einer kleinen seidenen Tasche, die sie in das Kleid eingenäht hatte. Sie zog eine Tasche aus schwarzem Stoff hervor und eine Flasche mit einem Stöpsel an einer silbernen Kette. In der Tasche waren drei Pence und eine halbe Muskatnuss. Vielleicht hatte Flora sie von der betrunkenen Frau, die an meinem Kleid gezerrt hatte. Die Flasche roch nach Rosen, wenn man den Stöpsel abnahm.

Mrs.Sucksby schnupperte daran. »Ziemlich armseliges Diebesgut«, sagte sie, »meinst du nicht auch?«

Flora warf den Kopf zurück. »Ich hätte noch mehr gekriegt«, erklärte sie mit einem Seitenblick auf mich, »wenn sie nicht h’sterisch geworden wäre.«

Mrs.Sucksby beugte sich vor und gab ihr noch eine Ohrfeige.

»Hätte ich gewusst, was du vorhast«, sagte sie, »hättest du gar nichts gekriegt. Lass dir eines gesagt sein: Wenn du ein Kind zum Klauen willst, dann nimmst du eines meiner anderen. Sue nimmst du nicht mehr mit. Verstanden?«

Flora schmollte, nickte aber widerstrebend. Mrs.Sucksby fuhr fort: »Gut. Und jetzt verschwinde. Aber lass das Diebesgut hier, sonst erzähle ich deiner Mutter, dass du dich mit Männern einlässt.«

Dann brachte sie mich in ihr Bett. Zuerst rieb sie die Laken mit den Händen, um sie anzuwärmen, dann beugte sie sich herab und blies mir ihren Atem auf die Finger, um sie zu wärmen. Ich war das einzige von all ihren Kindern, für das sie dies tat. Und dann sagte sie: »Du hast doch jetzt keine Angst mehr, oder, Sue?«

Doch das hatte ich, und das sagte ich auch. Ich sagte, ich hätte Angst, der Zuhälter würde mich finden und mit seinem Stock schlagen. Sie sagte, sie habe schon von diesem Zuhälter gehört, er sei ein Aufschneider.

»Es war Bill Sykes, nicht wahr? Tja, der kommt aus Clerkenwell. Der gibt sich nicht mit unserer Nachbarschaft ab. Unsere Jungs sind zu hart für ihn.«

Ich rief: »Aber Mrs.Sucksby! Sie haben das arme Mädchen nicht gesehen, Nancy, und wie er sie niedergeschlagen und ermordet hat!«

»Ermordet?«, sagte sie da. »Nancy? Nein, die war vor einer Stunde noch hier. Sie hatte nur ein paar blaue Flecke im Gesicht. Sie trägt ihr lockiges Haar jetzt anders, man käme gar nicht auf den Gedanken, dass er je Hand an sie gelegt hat.«

Ich fragte: »Aber wird er sie nicht wieder schlagen?«

Da sagte sie mir, Nancy sei endlich zu Verstand gekommen und habe Bill Sykes endgültig verlassen. Sie habe einen netten Kerl aus Wapping kennengelernt, der ihr einen kleinen Laden eingerichtet habe, in dem sie nun Speckmäuse und Tabak verkaufe.

Sie hob das Haar aus meinem Nacken und breitete es auf dem Kissen aus. Mein Haar war damals wie gesagt sehr hell – obgleich es sich in ein gewöhnliches Braun verwandelte, als ich älter wurde–, und Mrs.Sucksby wusch es immer mit Essig und kämmte es, bis es glänzte. Nun strich sie es glatt, dann hob sie eine Strähne an die Lippen und drückte einen Kuss darauf. »Wenn diese Flora noch einmal versucht, dich zum Klauen mitzunehmen, dann sagst du es mir. Versprochen?«

Ich nickte.

»Braves Mädchen«, sagte sie. Dann ging sie. Sie nahm die Kerze mit hinaus, ließ die Tür aber halb offen. Die Gardine vor dem Fenster war aus Spitze und ließ das Licht der Straßenlaterne herein. Es war dort nie ganz dunkel und auch nie ganz still. Im Stock darüber gab es ein paar Zimmer, in denen hin und wieder junge Männer und Frauen abstiegen. Sie lachten und trampelten herum, ließen Münzen fallen und manchmal tanzten sie. Nebenan lag Mr.Ibbs’ Schwester, die bettlägerig war. Oft schreckte sie aus Alpträumen auf und kreischte. Und im ganzen Haus verteilt lagen – Kopf an Fuß in ihren Wiegen wie Sprotten in Kisten voller Salz – Mrs.Sucksbys Pfleglinge. Zu jeder Tages- und Nachtzeit wachten sie auf und wimmerten oder weinten, jedes noch so leise Geräusch konnte sie wecken. Dann ging Mrs.Sucksby durch die Reihen und verabreichte ihnen ein Schlückchen Gin. Dazu benutzte sie einen kleinen Silberlöffel, und man konnte hören, wie er gegen das Glas der Flasche klirrte.

In jener Nacht jedoch müssen die Zimmer oben leer gewesen sein, und auch Mr.Ibbs’ Schwester blieb still, und vielleicht weil es so ruhig war, schliefen auch die Kleinen durch. An den Lärm gewöhnt, lag ich jedoch wach. Ich lag da und dachte wieder an den grausamen Bill Sykes und an Nancy, die tot zu seinen Füßen lag. Aus einem Haus in der Nähe hörte man einen Mann fluchen. Dann schlug eine Kirchenuhr die volle Stunde – das Läuten tönte eigenartig durch die windigen Gassen. Ich fragte mich, ob Floras Wange von der Ohrfeige wohl noch schmerzte. Ich fragte mich, wie nah Clerkenwell wohl war und wie schnell ein Mann mit einem Gehstock diesen Weg wohl zurücklegen könnte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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