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Was liegt hinter den offensichtlichen Dingen? Diese Frage beantworten Jugendliche in diesem Erzählband auf unterschiedlichste Art und Weise. Das Eintauchen in die Welt ihrer phantastischen und abenteuerlichen, schrägen und schrillen, ernsten und nachdenklichen, traurigen und witzigen, grausigen und gruseligen Geschichten lohnt sich. Denn nicht alles im Leben liegt auf der Hand, oder?
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Seitenzahl: 201
Veröffentlichungsjahr: 2015
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MACHT DIE LIEBE, WAS SIE WILL?
Der perfekte Beweis dafür, dass nicht alles nach Plan läuft
Katerina Delis
Mathematik, Beatrice Debrour, Q 12
Helene Hipper
Christopher - Howl Street
Lilly Schmidt
Der Brief
Clarissa Martini
Trotz des Unterschieds
Özge Köse
KANN`S NICHT AUCH MAL EINFACH SEIN?
Dance of Happiness
Julia Schambeck
Die seltsame Begegnung
Laura Habiger
9 / 11
Marina Martic
Anders, als Du denkst
Lana Sartshnari
Der Unfall
Gul Panna Niazi
Schreibclub: Mein Fehltritt
Maria Tsiobanidou
Schulweg
Philipp Busse
Zu früh
Melike Yasar
Mein schönstes Weihnachten
Lilly Barner
WIE RISKANT IST DAS LEBEN?
MASKS
Nina Simon
„Survival“ im Wald - ein Abenteuer mit grünen Männern…
Louis Fliegner
Der Neue
Antonia Platzdasch
Die Höhle
Tino Niedermeyr
Schreck in der Abendstunde
Timon Hassler
Das Letzte, was ich sah
Emilie Rattenberger
Reisen von Maximilian durch die Welt
Maxim Zolotnitski
WO BEGINNT DIE PHANTASIE?
Philadonna
Prajina Sharma
Der verzauberte Garten
Hanna Mirwald
Nachts
Sarah Osterholzer
Dolpiana
Marla Ridzewski
Spaziergang
Paul Wiedenmann
Nachwort
Annette Rosen-Einberger
Katerina Delis
Bevor du meine Geschichte ließt solltest du das über mich wissen: Ich heiße Julie Forner, ich bin 16 Jahre alt und ich habe brustlange braune Haare (Nun ja mittlerweile sind sie schwarz da ich sie gestern nach langem hin und her endlich gefärbt habe). Meine Figur ist ganz normal, ich bin keine von diesen perfekt proportionierten Cheerleadern, aber ich bin auch nicht dick, oder sollte ich lieber „Fett“ sagen? Ach Gott, die heutige Gesellschaft ist einfach nur zum Kotzen! Falls du jetzt eine glamouröse oder unglaublich fantastische Science-Fiction-Geschichte hören willst, dann muss ich dich leider enttäuschen. Mein Leben enthält keine glitzernde Vampire oder mysteriöse Wesen, aber normal ist es keineswegs. Oder warte mal: Beginnen wir mit dem normalen Teil. Es wäre ziemlich dumm, von dir zu verlangen, dass du weißt, wo ich mich gerade befinde, da du es gar nicht wissen kannst. Ich könne es dir auch jetzt erzählen, aber ich glaube, es wäre besser, wenn ich es am Ende erwähne, da ich sonst das ganze Spannungskonzept meiner Geschichte ruinieren würde. Fangen wir damit an, dass ich nicht gerade die Beliebteste in meiner Schule bin. Ich bin eher der Typ Mädchen, das gehorcht und schweigt. In meiner Situation würde: “hört zu und tut so, als würde sie etwas von diesen total hohlen „beliebten Mädchen“ lernen” besser passen, da man es anders in der Official High-School of Washington kaum aushalten würde. Hier ist die Gesellschaft in drei Schichten unterteilt: die erste Schicht sind die Reichen, die Cheerleader, Footballspieler und alle Sportler insgesamt. Dann gibt es die Nerds, die das gesamte Gegenteil der 1. Schicht sind. Sie sind die Schlausten und beschäftigen sich hauptsächlich mit der Schule und irgendwelchen Sachbüchern. Und zu guter Letzt gibt es die Außenseiter. Wir haben unsere eigene Gruppe von Menschen, aber trotzdem müssen wir uns den Beliebten anpassen, da wir sonst noch mehr ausgegrenzt werden. Aber jetzt genug von meiner Schule, beginnen wir mal mit dem 17. November:
Ich kam gerade nach einem misslungenem Schultag nach Hause und wollte die Tür aufschließen, als ich bemerkte, dass ich die Schlüssel zu Hause gelassen hatte. „Mist!“, dachte ich „Was soll ich jetzt nur machen?“. Ich musste unbedingt in das Restaurant, in dem meine Mutter arbeitete, aber wie? Es dauerte ziemlich lange um in die Stadt zu kommen, kein Wunder wir lebten ja, wie Tante Betty aus Miami so schön zu sagen pflegte, „irgendwo im Nirgendwo“. Am Land zu leben ist kein Zuckerschlecken. Die meisten mögen es hier wegen der Ruhe und dem Alleinsein. Naja und ich? Ich hasse es genau deswegen hier. Egal, genug davon! Jetzt geht’s weiter mit meiner Geschichte.
Mein Auto war in der Reparatur und Fahrrad fahren kam bei diesem Wetter nicht in Frage. Eine 15cm hohe Schneedecke bedeckte die Landschaft und es war so kalt, dass es sich so anfühlte, als würden meine Zehen gleich abfallen. Toll, ich hasste Schnee, seitdem mir in der 5. Klasse ein Mitschüler einen Schneeball so hart ins Gesicht geschleudert hatte, dass meine Nase gebrochen war. Jetzt blieb nur noch eine Möglichkeit. Jemand musste mich hinfahren. Also zuckte ich mein Handy und wählte die Nummer meiner besten Freundin. Nur leider ging sie nicht ran und ich musste mir wieder einmal ihre nervtötende Mailbox anhören „Hi hier ist Tessa Burgon… also ich bin es nicht direkt, sondern meine Stimme, aber, ehm, technisch… gesehen bin ich es gerade schon, aber…naja du weißt schon, was ich meine. Hinterlass bitte eine Nachricht nach dem Beep.“ Nach dem Signalton sagte ich: „Tessa geh an dein Handy ran, ich habe sowieso noch nie verstanden, warum du dieses Ding überhaupt hast. Du benutzt es sowieso nicht!“. Tja, jetzt steckte ich ganz schön in der Klemme, Ich scrollte auf meinem Handybildschirm nach unten um nach einer Person zu suchen die mich trotz eines Schneesturms an einem Freitagnachmittag ins Restaurant fahren würde. Als ich bei L war, stolperte ich über den Namen Luke Taylor, einen Nerd. „Das ist es“, dachte ich, Luke würde mich ganz sicher ins Restaurant fahren. Obwohl ich nicht gerade scharf darauf war mit dem Jungen, der schon seit der 6. Klasse auf mich stand, 30 Minuten in einem Auto zu sitzen, wählte ich seine Nummer. Gleich nach dem 2. Klingeln nahm er ab. „Hallo Bree, was gibt’s?“ „Ich hab dir schon 1000 Mal gesagt, dass du mich nicht Bree nennen sollst, Luke.“, fauchte ich mürrisch. „Na gut, also was brauchst du, Bree?“. Ich konnte praktisch sein Grinsen durch das Telefon hören „Kannst du mich zur Turner Straße fahren? Jetzt?“. „Ich bin in 5 Minuten vor deinem Haus“, sagte er. Erleichtert steckte ich mein Handy in die Tasche. Ich hatte kaum Zeit meine Schnürsenkel zu binden und darüber nachzudenken, was ich Luke als Erklärung liefern würde, als er schon mit seinem silbernen Ford um die Ecke gefahren kam. „Ich dachte, du bist erst in 5 Minuten da“, sagte ich, als er sein Fenster runterfahren ließ. Ich wollte dich nur ein bisschen zappeln lassen, neue Frisur? Steht dir.“ antwortete er mit einem Augenzwinkern. Gerade als ich kontern wollte, fragte er: „Steigst du jetzt ein oder willst du erfrieren?“. Widerwillig stieg ich ins warme Auto. Das erste, was ich wahrnahm, war dieser Geruch von Tannenzapfen und Seife, typisch für Lukes Auto, normalerweise würde mich der Geruch von Tannenzapfen abstoßen, aber den Umständen entsprechend wirkte das Auto sogar fast einladend. „Turner Straße oder?“ Ich nickte. „Warum musst du da so dringend hin?“ „Kann dir doch egal sein“, gab ich schnippisch zurück. „Hey, geht das auch ein bisschen netter? Schließlich bin ich derjenige, der dich hinfährt, wohin du willst“, sagte er. „Warum hasst du mich eigentlich so?“ Eigentlich wusste nicht einmal ich so genau, warum ich ihn nicht mochte, er war ein netter Typ und mit seinen grünen Augen und braunen Haaren sah er keineswegs schlecht aus. Aber es war so und daran konnte man auch nichts ändern. Zumindest glaubte ich das. „Na gut. Ins Restaurant, in dem meine Mutter arbeitet und ich hasse dich nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Gerade als er antworten wollte, hörte ich ein ohrenbetäubendes Krachen und mein Körper flog nach vorne. Gott sei Dank hatte ich mich angeschnallt, denn sonst wäre ich durch die Windschutzscheibe geflogen. Oh nein! Ein Unfall! Was ist passiert? Nach einer kurzen Schockstarre blickte ich zu Luke. „Oh mein Gott, LUKE WAS HAST DU GEMACHT?“, schrie ich. „ES IST NICHT MEINE SCHULD! DIE BREMSE HAT NICHT MEHR FUNKTIONIERT!
Bist du verletzt?“, schrie er zurück, wobei er die letzten Worte etwas sanfter aussprach. „Nein, alles in Ordnung. Aber wie konnte das passieren?“, fragte ich. Mit einem Schulterzucken gab er mir zu verstehen, dass er es nicht wusste. „Wo sind wir überhaupt?“-fuhr ich fort. „In Potomac-valley, fünf Kilometer vom Ziel entfernt. Aber warte mal, ich versuche noch mal aus diesem Schneeberg rauszukommen.“, versprach er. Luke zog an der Kupplung und versuchte rückwärts rauszufahren, aber ich hörte nur ein Brummen und das Auto bewegte sich keinen cm. „Da ist etwas am Motor kaputt. Ich ruf den Abschleppdienst an!“ Nachdem er das gesagt hatte, griff er nach seinem Handy und wählte eine Nummer. „Mist, ich hab hier kein Signal“, fluchte er. „Luke, es ist alles deine Schuld: WENN DU DICH AUF DIE FAHRT KONZENTRIERT HÄTTEST ANSTATT MIT MIR ZU FLIRTEN, WÄR DAS ALLES GAR NICHT PASSIERT!“, fauchte ich. „Entschuldige mal, aber ohne mich, wärst du…“. „Das reicht jetzt, streiten bringt uns auch nichts“, unterbrach ich ihn, „Wie lang dauert es von hier zu Fuß zum Restaurant?“, fuhr ich fort. „Bist du verrückt? Ich lasse Rita doch nicht einfach hier draußen stehen“, gab er grimmig zurück. Warum müssen Jungs ihren Autos eigentlich immer Namen geben? „Luke, du hast die Wahl: Entweder du kommst mit mir mit und wir schaffen es ins Restaurant, wo du deinen Abschlepp-Dienst anrufen kannst oder du erfrierst hier im Auto mutterseelenallein“, konterte ich. Stur blieb er sitzen „Na gut, dann halt nicht. Bis auf nie mehr Wiedersehn“, schrie ich und knallte die Autotür zu. Nach ein paar Flüchen stapfte ich durch den Schnee. Ich ging einfach nur geradeaus, betrachtete die Landschaft und dachte über Luke nach. Über alles. Nicht nur den heutigen Tag, sondern über jeden Moment mit Luke, an den ich mich erinnern konnte. So mies war der Typ gar nicht. War ich zu hart zu ihm? Sollte ich noch mal zurück gehen? Es fühlte sich so an, als würde mein Kopf gleich platzen. Ich lief jetzt schon eine ganze Weile und wusste nicht wohin. Ich hatte mich verirrt. „Toll“, seufzte ich. Gerade als ich mich auf die Treppen eines alten Cafes setzen wollte, hörte ich eine Stimme sagen: „Wer hätte gedacht, dass ich ausgerechnet mit dir meinen Freitag Abend verbringen würde?“. „Luke! Was machst du hier? Wie hast du mich gefunden?, fragte ich erstaunt. „Dein Gestampfe ist kaum zu überhören und außerdem war mir langweilig im Auto. Also bin ich gekommen um dich zu suchen, mit Erfolg wie man sieht“. Plötzlich sah ich zwei Schatten auf uns zukommen. Bald erkannte ich Fred und Gregory Stone. Oh nein, die beiden sind in unserer Schule bekannt als „die Schläger-Zwillinge. Obwohl eigentlich Gregory eher das Bild eines Schlägertyps verkörpert, war Fred der Brutalere der beiden. Sie sind optisch gesehen das genaue Gegenteil von einander, sehen sich aber trotzdem in einer gewissen Hinsicht ähnlich. Fred ist klein und schlank und Gregory ist mindestens drei Köpfe Größer als er und ziemlich muskulös. „Na wen haben wir denn da? Julie, ich muss sagen mir ist noch nie aufgefallen, wie hübsch du eigentlich bist“, zischte Fred und streichelte über meine Wange. Mir wurde übel. „Fass sie nicht an du Trampel!“, fauchte Luke und schlug ihm die Hand von meinem Gesicht weg. „Na, na, na Taylor, nicht so aggressiv, ich mach doch gar nichts.“, grinste er und streichelte mir wieder die Wange. „Ich schwöre, Stone, wenn du ihr irgendetwas tust…“, drohte Luke und versuchte sich aus Gregorys festem Griff zu befreien. „Dann was Luke?“, fragte Fred und strich mir diesmal über die nassen Haare. Ich versuchte zurück-zu-weichen aber hinter mir war nur kalte harte Wand. Luke befreite sich aus Gregorys Griff und schlug auf Fred ein. Er verpasste ihm mehrere Tritte und ein Schlag ins Gesicht. „Luke! Hör auf, die sind es nicht wert!“, schrie ich und versuchte seinen Griff von Fred zu lösen. Plötzlich kam Gregory und holte aus um, Luke zu schlagen aber er war schneller und wich aus. „Komm, Bree wir müssen rennen sie sind zu zweit“, sagte er und packte mich am Arm. Wir rannten so schnell wir konnten, und bogen an vielen Häusern ab, aber die Zwillinge folgten uns immernoch. „Wo lang?“, keuchte ich, als wir an einer Kreuzung standen. „Lauf nach rechts, bis du ein großes blaues Haus siehst, dann nach links in ein gelbes Gebäude rein“, antwortete er. Ich hatte keine Zeit und Kraft um nachzufragen, was dieses Gebäude war, also folgte ich einfach seinen Anweisungen. Nach kurzer Zeit kamen wir an einer riesigen dunkelblauen Fabrik vorbei. „Links“, schrie Luke. Ich drehte mich nach links und lief in Rekordgeschwindigkeit, sah, das gelbe Gebäude vor mir und rannte hinein. Keuchend und außer Atem ließ ich mich gegen die Wand fallen und setzte mich auf den harten Boden. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte und wieder reden konnte, schnaufte ich: „Sind sie weg? Sind wir hier sicher?“ Luke nickte „Das war aber knapp“, keuchte ich. „Ja das war es aber wenn dieser schmierige Typ dich noch einmal anrührt, dann…“, drohte Luke, aber ich ließ ihn nicht aussprechen, denn ich machte etwas, von dem ich geglaubt hatte, dass ich es niemals tun würde! Etwas, das mir früher unglaublich erschienen wäre. Ich stand auf, setzte mich neben ihn, schaute in seine Augen und küsste ihn. Es war ein warmes prickelndes Gefühl, Luke zu küssen. Der Kuss fühlte sich ganz anders an als die Küsse, die ich von anderen Jungs bekommen hatte, er war etwas Besonders. „Oh, was war das denn?“, fragte er erstaunt, nachdem sich unsere Münder von einander gelöst hatten. „Luke, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt. Verrückt nicht?“, stellte ich verwirrt fest.
Als Antwort küsste er mich noch einmal.
Helene Hipper
Ich schreibe, so schnell ich kann, denn für Mathe brauche ich immer so lange und ich habe nicht mehr viel Zeit. Meine Finger brennen, als ich gerade das letzte Ergebnis hinschreibe und der Signalton ertönt, der besagt, dass unsere Zeit um ist. Ich atme erleichtert auf. Draußen im Gang wartet meine Freundin Cara auf mich. „Und? Wie war´s?“, fragt sie. „Schon okay. Bin gerade noch fertig geworden. Und bei dir?“ Sie nickt nur. Zusammen machen wir uns auf den Weg nach Hause. Cara wohnt nur ein paar Häuser von mir entfernt, als Kinder haben wir jeden Tag nach der Schule zusammen draußen gespielt. Dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Unsere Freizeit besteht nun hauptsächlich nur noch aus Lernen für unser Abitur, das wir dieses Schuljahr machen. Außerdem sind wir auch schon viel zu alt um zu „spielen“. Zu Hause kocht mein Vater in der Küche und meine kleine Schwester Liv macht am Küchentisch ihre Hausaufgaben. „Hey, wie war Mathe?“, fragt mein Vater mich. „Ja, ganz gut.“ Die Standardantwort. Ich gehe in mein Zimmer, wo überall schon meine Englischunterlagen für die Klausur nächste Woche herumliegen. Als ich das Fenster öffne um ein wenig zu lüften, sehe ich ihn wieder. Da sitzt er wie jeden Nachmittag auf dem Hausdach gegenüber. Seine schwarzen Locken wehen im Wind und seine Wangen sind von der Kälte leicht gerötet. Von meinem Fenster aus kann man ihn gut sehen, und wenn ich mal eine kurze Pause vom Lernen brauche, beobachte ich ihn manchmal. Wie er einfach nur dasitzt, sich nicht rührt, nicht bewegt und einfach in die Leere schaut, fasziniert mich irgendwie. Heute sieht er noch trauriger aus als sonst. Es scheint, als ob seine Augen glasig sind und sein Blick völlig leer. Er tut mir irgendwie leid. „Dad, ich geh ein bisschen an die frische Luft. Bin vor dem Abendessen wieder da!“ Lernen kann ich sowieso nicht vor lauter Neugier, wer dieser Junge ist. Gleich werde ich es erfahren. Draußen dämmert es schon und ich beeile mich über die Straße zu kommen. In dem Haus gegenüber gibt es keinen Fahrstuhl wie bei uns, also muss ich alle 12 Stockwerke zu Fuß laufen. Als ich verschwitzt oben ankomme, öffnet sich plötzlich die Tür, die zum Dach führt. Es ist der Junge. Er geht einfach an mir vorbei, ohne mich zu beachten, als wäre ich nicht da. „Hey, warte mal!“ Er dreht sich stirnrunzelnd zu mir um. „Ähm, wohnst du hier?“ Er schaut mich fassungslos an. „Warum willst du das wissen? Und wer bist du überhaupt?“ Er verunsichert mich total. Was ist mit ihm nur los? „Ja, ähm, also ich heiße Beatrice. Beatrice Debrour. Ich wohne im Haus gegenüber.“ Jetzt, wo er persönlich vor mir steht, sehe ich erst, wie hübsch er eigentlich ist. Seine blauen Augen erinnern mich an ein Meer. „Schön, Beatrice Debrour. Und was genau willst du jetzt von mir?“ Ich zögere kurz, doch antworte dann: „Ich hab dich gesehen. Auf dem Dach, und…“ Ich sehe wie seine Miene sich verdüstert. Er meidet den Blickkontakt, offensichtlich ist es ihm peinlich, dass ihn jemand dort auf dem Dach gesehen hat. „Wie heißt du?“, frage ich ein wenig unsicher. Das erste Mal schaut er mir in die Augen. „Rydian Parms.“ Ich reiche ihm die Hand. „Schön, dich kennen zu lernen, Rydian Parms.“ Der Anflug eines Lächelns ist auf seinen Lippen zu sehen, aber nur für einen kurzen Augenblick. „Ebenfalls, Beatrice Debrour. Und ja, ich wohne hier. Im 7. Stock.“ Eine Zeit lang stehen wir nur schweigend da, aber es ist kein peinliches Schweigen, eher ein „Wir – verstehen- uns- auch- ohne –Worte-Schweigen“. Nach einer Zeit sagt er: „Ich würde dich ja gerne zu mir einladen, aber meine Pflegeeltern sind nicht gerade die gastfreundlichsten und das will ich dir nicht antun.“ „Kein Problem, ich muss so wieso nach Hause, Englisch lernen. Ich mach gerade mein Abitur.“ „Oh Gott, das hab ich zum Glück schon hinter mir, seit letztem Jahr. Fals du Hilfe brauchst… ich bin ziemlich gut in Sprachen.“ Er lacht und ich lache mit. „Danke, werd ich mir auf jeden Fall merken!“ Als ich zu Hause ankomme, ist das Essen schon fertig und Mom ist auch von der Arbeit zurück. Nach dem Essen lerne ich noch ein bisschen Englisch und schlafe dann ein. Der nächste Tag verläuft wie immer. Als ich nach Hause komme, schaue ich gleich aus meinem Fenster. Rydian sitzt auf dem Dach, doch er sieht heute irgendwie anders aus. Er ist nicht mehr ganz so traurig und schaut sich andauernd um. Ich verlasse das Haus und gehe auf die andere Straßenseite und hoch in den 12. Stock. Völlig aus der Puste komme ich oben an. „Oh mein Gott, wie schaffst du das nur ohne Aufzug hier hoch?“ Rydian dreht sich um. „Hey Beatrice!“ „Hi“, keuche ich. Wir lachen. Ich setzte mich neben ihn auf den Steinboden. Es ist ein Flachdach, wie bei meinem Haus. „Welches Fenster ist deins?“, fragt er. Ich zeige auf ein Fenster im 11. Stock. „Das dritte von links.“ Als er es entdeckt, lächelt er. Wir verbringen den ganzen Nachmittag auf dem Dach. Wir reden, lachen und lernen für meine Prüfung. Er ist echt ein guter Lehrer. Er erzählt mir, dass er erst in einem halben Jahr beginnt zu studieren. „Warum erst so spät?“, frage ich ihn. Er verzieht nur den Mund und antwortet: „Na ja, ich wollte nach der Schule erst mal ein bisschen Pause. Jetzt hocke ich den ganzen Tag nur zu Hause rum und manchmal arbeite ich bei meinen Pflegeeltern in ihrem Kiosk.“ Ein paar Tage später, als wir zusammen in die Stadt gehen, erzähle ich ihm von meiner Familie und dass meine kleine Schwester unglaublich gerne zeichnet. „Ich zeichne auch!“, antwortet er sofort begeistert. „Nur weiß ich nie, ob meine Bilder gut sind. Ich habe sie noch nie jemanden gezeigt.“ Ein Strahlen huscht über mein Gesicht und gleich frage ich ihn, ob ich seine Bilder mal sehen darf. „Ähm… Ich weiß nicht…“ Er klingt etwas verlegen, was ich total süß finde. Als ich ihn dann doch überrede, machen wir uns auf den Weg zu seiner Wohnung. „Meine Eltern sind nicht da. Sie kommen erst abends.“, erzählt er mir, während er die Tür aufschließt. Ich betrete die Wohnung. Die Einrichtung ist schlicht, aber schön. Rydian führt mich durch die Wohnung in sein Zimmer. Als ich hineingehe, stockt mir der Atem. Überall hängen Leinwände und Bilder. Die meisten sind eher grau und dunkel gehalten, aber ich entdecke auch ein paar bunte. Warum sind die Bilder denn alle so dunkel? Diese Frage liegt mir auf der Zunge, aber ich traue mich irgendwie nicht sie auszusprechen. Vielleicht will ich die Antwort auch gar nicht hören. Ich glaube, es hat etwas mit seiner Vergangenheit zutun und damit will ich ihn nicht belasten. „Sie sind wunderschön“, stoße ich hervor. Das sind sie wirklich. Sie faszinieren mich auf eine besondere Art und Weise. In der hinteren Ecke seines Zimmers lehnt ein schwarz-weißes Bild mit einem kleinen Jungen und seinen Eltern darauf. Der Junge sieht irgendwie traurig aus und das ganze Bild wirkt generell ziemlich düster. Ich weiß nicht so recht, was ich darüber denken soll. Ist er der kleine Junge? Was wollte er wohl mit dieser Zeichnung ausdrücken? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken oder ihn fragen kann, führt er mich schon wieder raus aus seinem Zimmer, in die Küche und wir essen zusammen zu Abend. Ein paar Tage später holt er mich von der Schule ab. Wir gehen in den Park und lernen für meine Englischprüfung, die ich morgen schreibe. Die ganze letzte Woche habe ich schon gelernt, und ich verstehe den Stoff auch gut, doch ich will noch ein bisschen üben. Und außerdem will ich Zeit mit Rydian verbringen, und da er das alles schon mal durchgemacht hat, passt doch alles perfekt. Nach ein paar Tagen, als wir uns wieder einmal auf dem Dach treffen, komme ich wie immer verschwitzt die Treppen hoch. Als ich die Tür zum Dach öffne, erstarre ich. Da steht Rydian am Rand des Daches. Er weint. Ich habe ihn noch nie weinen sehen, er war zwar oft traurig, doch noch nie hat er geweint. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich. Nun steht er da, die Tränen laufen ihm die Wangen hinunter und sein Blick ist starr nach unten gerichtet. „Rydian, was ist denn passiert?“, frage ich langsam und gehe vorsichtig ein paar Schritte auf ihn zu. Als er mich bemerkt, dreht er sich hektisch um. „Beatrice, du musst gehen. Bitte. Lass mich in Ruhe.“ Seine laute Stimme lässt mich zusammenzucken. Was ist nur mit ihm? Warum benimmt er sich so seltsam? Noch nie habe ich ihn so erlebt. Er ist irgendwie total anders. Seine Art, seine Stimme. Das ist doch nicht der Rydian, den ich kenne. „Rydian. Was ist los?“, frage ich erneut, doch er dreht sich wieder um und starrt weiter hinab. „Geh! Sofort! Beatrice, bitte geh!“, schreit er mich an. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Rydian ist nicht mehr er selbst. So kenne ich ihn einfach nicht. „Ich gehe nicht. Du sagst mir erst mal, was los ist. Rydian bitte rede mit mir!“ Tränen steigen mir in die Augen. Was ist nur mit Rydian los?! Verwirrt und verletzt darüber, dass er sich mir nicht anvertrauen will, schaue ich ihn an. „Ich hab gesagt, du sollst gehen! Lass mich einfach in Ruhe!“ Erneut fahre ich bei dem lauten Klang seiner Stimme zusammen. Warum verhält er sich so? Ich erkenne ihn gar nicht mehr wieder! Seine Haare fliegen wirr durch die Gegend, sein Blick ist leer. Plötzlich tritt er zurück. Weg von dem Dach und kommt auf mich zu. Er packt mich an den Handgelenken und fesselt mich mit seinem Blick. Seinem hasserfüllten Blick. Ich weiß nicht, was ich machen soll, irgendwie