Sommer mit Fuchs - Veronika Wiggert - E-Book

Sommer mit Fuchs E-Book

Veronika Wiggert

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Beschreibung

Spannendes Kinderbuch ab 10 Jahren, das von Freundschaft, Natur und einem ganz besonderen Sommer erzählt

Von der Großstadt in den Schwarzwald: Elias ist nicht begeistert. Er muss nicht nur mit seiner schroffen Tante auskommen, sondern sich auch an das Leben auf dem Bauernhof gewöhnen. Doch schon bald ist er fasziniert von den Bergen und Tälern, dem versteckten See, den Waldtieren und vor allem von diesem einen Fuchs, der immer wieder genau da auftaucht, wo auch er ist. Zusammen mit Franka will er das Geheimnis um den Fuchs lüften und eins steht jetzt schon fest: Dieser Sommer ist magisch.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Elias ist nicht begeistert, dass er eine Weile bei seiner Tante im Schwarzwald leben soll. Aber dann lernt er Franka kennen und freundet sich mit ihr an – gemeinsam schwimmen sie im See, erkunden verborgene Pfade und beobachten Waldtiere ganz aus der Nähe. Besonders ein verletzter Fuchs zieht Elias in seinen Bann. Er schwebt in großer Gefahr und Elias setzt alles daran, um ihn zu schützen. Eins ist sicher: Dieser Sommer steckt voller Abenteuer.

Die Autorin

© Privat

Veronika Wiggert wuchs im Süd-Schwarzwald auf und studierte Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim. Nach Aufenthalten in London und Madrid war sie 20 Jahre lang als Journalistin in München tätig, wo sie auch heut noch lebt.

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Thienemann auch!Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor:innen und Übersetzer:innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator:innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

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Viel Spaß beim Lesen!

Veronika Wiggert

Sommer mit Fuchs

Thienemann

Für Hanna und Vincent,

die immer an den Fuchs geglaubt haben

Erstes Kapitel

Ich fahre in die Hölle. Und zwar auf direktem Weg.

»Festhalten, Elias!«, ruft Markus und lenkt sein rotes Auto in die nächste Kurve. Neben uns geht es mehrere Meter tief runter. Ich fühle mich wie in einer Achterbahn, kurz bevor es krass bergab geht.

Markus hat breite Schultern und trägt ein ärmelloses Shirt, aus dem zwei muskelbepackte Oberarme herausschauen. Seine hellbraunen Augen blitzen frech auf, bevor er noch ein bisschen mehr aufs Gas tritt. Hätte nicht gedacht, dass dieser nette Typ so ein Raser ist.

An meinem Fenster fliegen hohe Steinfelsen und Tannenbäume vorbei, die Straße wird plötzlich beängstigend schmal. Spätestens jetzt fühlt sich mein Bauch luftleer an.

Bestimmt knallen wir gleich die Böschung runter. Sicherheitshalber klemme ich mir mein Handy zwischen die Oberschenkel und kralle meine Hände in den Beifahrersitz.

»Jetzt kommt die Kreuzfelsenkurve!«, ruft Markus begeistert. Ein Schild kündigt an, dass die Kurve gleich eine 180-Grad-Wendung machen wird. Natürlich ignoriert Markus das 10 km/h Schild und fährt viel zu schnell hinein, dabei werde ich gegen die Beifahrertür gedrückt. Schon wieder dieses Achterbahngefühl, mit dem Unterschied, dass es mir null Spaß macht.

Als wir heil aus der Kurve rausfahren, atme ich erleichtert auf. Doch Markus rast weiter ins Tal hinunter.

Neben uns tuckern fette LKWs den Berg hinauf, sie kommen uns bedrohlich nah. Ich versuche sie zu ignorieren und schaue stur geradeaus. Mir ist schlecht von den ganzen Kurven.

Erst jetzt bemerke ich, dass meine Flasche umgekippt ist, weil ich den Deckel nicht richtig zugeschraubt habe. Meine Hose ist nass und auf der schwarzen Fußmatte hat sich eine kleine Pfütze gebildet.

»Mist!«, fluche ich. Markus schaut mich amüsiert an. »Ist doch nur Wasser!«

»Ich hasse so was«, entgegne ich genervt.

Im Tal wird Markus endlich langsamer. Hier sieht es aus, wie in der Schlucht aus einem Westernfilm, überall stehen riesige Felsmonster, aus denen Bäume und anderes Gestrüpp herausragen.

Ich schnappe mir wieder mein Smartphone, will unbedingt noch das Spiel beenden.

Nach dieser Höllenfahrt habe ich sowieso keine Lust mehr, mit Markus zu reden. Überhaupt, was haben wir uns schon groß zu erzählen? Ich habe ihn erst vorhin am Bahnhof kennengelernt, als er mich in Titisee-Neustadt abgeholt hat. Titisee ... was für ein alberner Name.

Markus ist so was wie der Stallbursche meiner Tante Barbara, bei der ich die nächsten Wochen verbringen soll. Sie konnte mich nicht selbst abholen, weil eine ihrer Kühe gerade eine schwere Steißgeburt hat.

Markus hat mir erklärt, dass bei so einer Geburt das Kalb mit den Beinen zuerst raus will, und das kann für die Mutter gefährlich werden.

Ist mir eigentlich auch egal, wer mich abholt. Ich wollte sowieso nicht hierher. Ich meine, hallo, zehn Wochen im tiefsten Schwarzwald. Sogar Homeschooling soll ich hier machen. Was hat mir Mama da bloß eingebrockt!

Zum Glück lässt mich Markus jetzt in Ruhe, denn gerade habe ich einen guten Lauf in meinem Spiel; gleich ist mein Game-Gegner k.o.

Plötzlich zieht das Auto noch mal durch, es ruckelt und ich schieße an meinem Gegner vorbei. Das war’s. Wütend funkle ich Markus an. Jetzt hat mir der Typ tatsächlich mein Spiel vermasselt.

Entweder checkt er nicht, dass ich sauer bin, oder es ist ihm egal, denn während wir auf der Schluchtstraße weiterrasen, fragt er mich: »Weißt du, warum das hier Höllental heißt?«

Ohne meine Antwort abzuwarten, sagt Markus:

»Das stammt noch aus dem Mittelalter. Die Franzosen, die damals hier durchfuhren, hatten Angst vor Räubern.« Markus zeigt auf einen riesigen Felsbrocken neben der Straße. »Dort lauerten sie ihren Opfern besonders gerne auf.«

Ich sage immer noch nichts, dafür bin ich gerade zu wütend. Auf Markus, aber vor allem auf Mama.

Es ist allein ihre Schuld, dass ich jetzt hier bin.

Und alles nur, weil sie nicht mit ihrem Leben klarkommt.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann ich meine Tante das letzte Mal gesehen habe, da muss ich noch in der Grundschule gewesen sein. Ich glaube, wir waren auf der Durchreise nach Frankreich.

Meine Tante Barbara ist ziemlich speziell, um es nett auszudrücken.

Doch Mama interessiert das nicht. Sie kümmert sich nur um sich, liegt in einer bescheuerten Klinik rum und will niemanden sehen. Nicht mal mich!

Wenn wenigstens Papa für mich Zeit gehabt hätte, aber der ist mal wieder in Südamerika unterwegs, für eine wichtige Fotostory.

Also werde ich zu Barbara abgeschoben. Ich bin mir sicher, auf diesem Einsiedlerhof, mitten im Nirgendwo, werde ich sterben vor Langeweile.

»Da!«, ruft Markus plötzlich und zeigt mit dem Finger durch die Frontscheibe. »Da ist der Hirsch.«

Ich lache verächtlich. »Wow! Ein Hirsch, was für eine Sensation!«

Markus ignoriert meinen Kommentar und sagt: »Der Legende nach soll der Hirsch aus Todesangst vor einem Jäger auf den gegenüberliegenden Felsen geflüchtet sein. Was für eine Leistung! Ich meine, da sind neun Meter freier Fall dazwischen!«

Er klingt so stolz, als wäre er selbst gesprungen.

Ich starre hinauf zum Hirsch und für einen Moment wünschte ich, selbst einer zu sein und mich mit einem Sprung aus dem Staub zu machen.

Zweites Kapitel

Unsere Höllenfahrt endet in Himmelreich. Kein Scheiß, das Kaff heißt wirklich so.

Ein paar Meter nach dem Ortsschild biegen wir rechts ab und es geht weiter auf einer Landstraße. Überall nur Bäume, Wiesen und Äcker. Ich bin tatsächlich im Nirgendwo gelandet.

Genervt schnappe ich mir wieder mein Smartphone, ein paar YouTube Clips werden meine Laune bestimmt wieder heben.

Tja, nur leider habe ich gerade keinen Empfang in dieser Einöde. War ja klar! So weit ab vom Schuss, wie ich gerade bin. Ärgerlich stopfe ich mein Handy zurück in meinen Rucksack und lasse das Beifahrerfenster herunter. Ich brauche dringend frische Luft, mir wird schon wieder übel von den scharfen Kurven.

Markus lässt mich zum Glück in Ruhe und so schaue ich gelangweilt aus dem Fenster, als plötzlich Markus’ Handy klingelt.

»Oh, da muss ich rangehen«, sagt er hastig und fährt in den nächsten Feldweg. Während er das Auto neben einem Acker parkt, nimmt er gleichzeitig das Gespräch über die Freisprechanlage entgegen und schaut mich vielsagend an.

Gecheckt, scheint wohl wichtig zu sein. Ich steige aus und laufe erst mal ein bisschen planlos auf dem schmalen Weg herum, bis ich am Waldrand einen Rastplatz für Wanderer entdecke. Dort gibt es zwei Holzbänke, einen Tisch und sogar einen Mülleimer. Ich ziehe eine zusammengeknüllte Tüte aus meiner Hosentasche, in der mal Saure Pommes waren und die ich vorhin im Zug verdrückt habe.

Es ist badewetterwarm. Die Sonne scheint direkt in mein Gesicht und bringt meine Wangen zum Glühen, so als würden sie von einem Heizstrahler angeleuchtet. Der intensive Geruch nach Erde und Gras sticht mir in die Nase, vielleicht wegen der Sonnenstrahlen, die sogar das Grün der Wiese noch greller machen. Hier im Schwarzwald ist tatsächlich schon richtig Sommer.

Ich schlüpfe aus meinem schwarzen Hoodie und werfe ihn mir über die Schultern. Neben dem Tisch entdecke ich eine braune Tafel auf der ›Veschperplätzli‹ steht, ich versuche das Wort laut vorzulesen. Klingt nach einer Mischung aus kräftig niesen und in etwas Matschiges treten.

Es gibt sogar eine Übersetzung darunter: ›Ein Platz, um eine Essenspause zu machen‹. Mama hat mir mal erzählt, dass der Dialekt hier Alemannisch heißt und ein bisschen wie Schweizerdeutsch klingt. Ich drehe mich zu Markus’ Auto um, und sehe, dass er immer noch spricht.

Plötzlich höre ich einen schrillen Schrei, der aus einem Gruselschocker stammen könnte und mir eiskalt den Rücken runterläuft.

Ich zögere kurz, schiebe mich dann trotz des beklemmenden Gefühls durch zwei hohe Tannen und etwas Gestrüpp, bis ich mitten im Wald stehe. Es riecht nach Holz, und diesen Balsam, mit dem mich Mama immer eingerieben hat, wenn ich krank war.

In dieser stillen Schattenwelt beschleicht mich sofort ein mulmiges Gefühl. Dasselbe mulmige Gefühl, das mich immer vor Tests in der Schule befällt, wenn ich nicht genug gelernt habe und genau weiß, dass es schiefgehen wird.

Ich überlege es mir anders und will wieder umkehren, doch es raschelt hinter mir.

Ich drehe mich um und entdecke hinter einer Tanne, die so lang wie zwei Busse ist, einen kupferroten, buschigen Schwanz mit weißer Spitze.

Ein Fuchs!

Er versucht vor mir zu fliehen, kommt jedoch keinen Zentimeter weit. Seine Hinterpfote steckt in einem verrosteten Metallverschlag, an dem zwei Bügel sitzen, die wie scharfe Raubtierzähne aussehen.

Ist das etwa eine Falle?

Ich gehe noch etwas näher ran, doch der Fuchs versucht, nach mir zu schnappen, dabei graben sich die Metallzähne noch tiefer in sein Fleisch und er jault schmerzerfüllt auf. Seine Pfote ist voller Blut. Das Winseln ist so erbärmlich, dass mir fast das Herz gefriert.

Ängstlich schaue ich mich um und verstecke mich hinter einem Baum. Ich presse mich fest gegen den Stamm und versuche meine Atmung wieder unter Kontrolle zu kriegen.

Was mach ich denn jetzt? Soll ich Markus holen?

Ich linse rüber zum Fuchs. Er zieht immer noch mit aller Kraft an der Falle, doch keine Chance, sie ist fest mit dem Boden verankert.

Ich würde dem Kerlchen so gerne helfen, aber sollte ich nicht lieber Abstand halten? Füchse können doch alle möglichen Krankheiten übertragen, zum Beispiel Tollwut oder den Fuchsbandwurm.

»Hey Elias, da bist du ja!« Aus dem Nichts ist Markus plötzlich aufgetaucht. »Sorry, das war mein Prof aus der Uni, er ...«

Weiter kommt Markus nicht, denn er hat inzwischen den Fuchs entdeckt und reißt erschrocken die Augen auf.

Ohne lange zu überlegen, läuft er zu dem Tier, dessen Wunde schon so tief ist, dass man sogar das offene Fleisch sieht und brüllt mir zu: »Schnell, dein Pulli!«

Ohne Widerrede werfe ich ihm meinen schwarzen Hoodie zu. Blitzschnell packt Markus damit den Fuchs an Hals und Kopf und drückt ihn fest zu Boden. Jetzt wird das Tier erst richtig wild und versucht sich verzweifelt aus Markus’ Griff zu winden.

Während sich Mucki-Markus mit dem Fuchs abkämpft, gibt er mir weitere Anweisungen:

»Schnapp dir irgendwas, womit du den Beschlag hochdrücken und die Pfote rausziehen kannst.«

Der Fuchs ist wie von Sinnen, zappelt und biegt sich durch; ich spüre ein Pochen in meiner Brust. Meine Hände sind schweißnass und ich kann mich nicht bewegen.

»Mach schon«, schreit Markus mich an. »Ich kann ihn nicht mehr lange halten.«

Ich hole tief Luft, denn ich habe mega Schiss. So nah habe ich mich noch nie an ein wildes Tier gewagt.

Behutsam taste ich mich weiter vor. Jetzt bloß keine schnellen Bewegungen machen. Der kleine, schmale Körper zuckelt mit aller Kraft, doch Markus drückt ein bisschen fester, da ergibt sich der Fuchs endlich seinem Schicksal und bleibt still auf der braunen Erde liegen.

Meine Hände zittern, während ich einen flachen Stein unter den Beschlag schiebe.

»Schnell!«, ächzt Markus.

Vorsichtig drücke ich dagegen und versuche das Metall zu öffnen, doch das ist leichter gesagt als getan. Schließlich nehme ich alle meine Kraft zusammen und siehe da, ich schaffe es, die Zähne geradeso aufzuspannen, dass der Fuchs jaulend seine Pfote herausziehen kann.

Sofort springen Markus und ich zur Seite.

Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwindet das wunderschöne Tier im Wald. Dabei zieht es humpelnd seine rechte Hinterpfote nach.

Erschöpft von der ganzen Aufregung setze ich mich mit angewinkelten Beinen auf den trocknen Waldboden, auf dem Käfer und sonstiges Getier herumkrabbeln. Ich ziehe einen Ast unter meinem Po hervor. Der stört!

Markus setzt sich dazu. »Gut gemacht«, lobt er mich, dann lässt er sich rückwärts auf den Boden gleiten, Arme und Beine von sich gestreckt. Seine Augen sind geschlossen und ich kann seinen Atem hören. Ich würde mich gerne zu ihm legen, aber die vielen Ameisen am Boden halten mich davon ab. Brennt das nicht höllisch, wenn die einen anpinkeln?

Als könnte er meine Gedanken lesen, zieht mich Markus am Arm und sagt: »Komm, leg dich auch hin. So ein bisschen Kraft auftanken im Wald tut gut!«

»Ich weiß nicht«, sage ich zögernd und schlage eine Ameise von meinem Bein.

Markus, der das gesehen hat, grinst jetzt: »So ein bisschen Natur wird dir schon nicht schaden.«

»Na gut«, seufze ich und lege mich neben ihn. Sofort spüre ich wieder kleine Äste und Blätter, die in meinen Rücken drücken.

Ich fühle mich unwohl, denn ich will nicht, dass irgendwelche widerlichen Krabbeltiere in meinem T-Shirt Unterschlupf suchen.

Deshalb lehne ich meinen Rücken lieber an einen Baumstamm. Der sieht relativ insektenfrei aus. Ich schließe meine Augen und lausche dem Rauschen des Windes, der gerade durch die Tannen fährt. Klingt wie das sanfte Flüstern des Waldes. Ein schönes Geräusch. Langsam entspannt sich mein Körper wieder.

»Markus?«

»Ja?«, antwortet er mit geschlossenen Augen. Seine vollen Lippen sind zu einem kleinen Lächeln geformt, so als hätte er gerade einen schönen Traum.

»Der Fuchs hätte sterben können, oder?«

Markus richtet sich auf und nickt. Sein Lächeln ist wieder verschwunden. »Weißt du, es gibt gewisse Jäger hier in der Gegend, die finden, dass es zu viele Füchse bei uns gibt«, erklärt er mir, »und deshalb wollen sie so viele wie möglich töten. Aber dass sie solche Steinzeit-Fallen benutzen, ist wirklich das Letzte.«

»Wie meinst du das?«, bohre ich nach.

»Diese Fallen sind seit über 50 Jahren in Deutschland verboten, und das aus gutem Grund.«

Deshalb der ganze Rost, denke ich. Und laut sage ich: »Wer macht denn so etwas Abscheuliches?«

Markus' Augen verengen sich und starren Augen verengen sich und starren mich an.

»Menschen ohne Gewissen«, erwidert er, sein Lächeln ist verschwunden. »Hier in der Gegend kommt dafür nur einer infrage.«

Drittes Kapitel

Ich würde gerne noch mehr über diese Fuchsjäger erfahren, aber Markus wirkt, als sollte man ihn jetzt besser nicht weiter ausfragen. Wir düsen schweigend weiter über die Landstraße, Markus hat wieder seine Höllenfahrtgeschwindigkeit drauf, doch uns begegnen kaum noch Autos.

Wir rauschen über eine von Laubbäumen gesäumte Waldstraße, vorbei an grünen Wiesen, auf denen schon erste gelbe und rote Frühsommerblumen blühen. Ein brauner Vogel flattert über einem Acker auf der Stelle. Es ist ein Falke, der sich gleich seine Beute schnappen wird. Samir und ich haben auf YouTube mal eine Doku über Falken gesehen, die war echt unglaublich. Ein Wanderfalke kann im Sturzflug sogar über 300 Stundenkilometer schnell werden.

Durch das offene Fenster weht eine Duftwolke aus Gülle und Wiese. Ich verziehe angeekelt das Gesicht. Markus grinst, endlich hat er wieder bessere Laune und seine Augen haben wieder diesen freundlichen, warmen Ausdruck.

Wir biegen nach links ab. Plötzlich sind die meterhohen Tannen überall, so als würde die ganze Gegend darin versinken.

»Warum heißt es eigentlich Schwarzwald?«, will ich wissen. Mir egal, ob die Frage jetzt blöd klingt. Markus scheint nett zu sein, richtig nett. »Ich meine, die Bäume hier sind doch überhaupt nicht schwarz, sondern dunkelgrün.«

»Stimmt«, gibt mir Markus recht. »Der Name stammt noch aus der Zeit der Römer, die das dunkle Waldgebiet hier ›silva nigra‹ genannt haben. Übersetzt heißt das ›schwarzer Wald‹.«

Markus ist jetzt voll in seinem Element. »Wusstest du, dass das alles Weißtannen sind?«

Ich muss grinsen. Hat er vorhin nicht erzählt, dass er in Freiburg studiert und später mal als Lehrer arbeiten will? Das passt auf jeden Fall! Er klingt schon voll wie einer.

Endlich kann ich das schiefe Flachdach des Bauernhauses sehen, in dem meine Tante wohnt. Aus der Nähe wirkt es uralt, so als wäre es aus einer längst vergangenen Zeit gefallen. Das dunkle Holz splittert ordentlich und die weiße Hauswand gehört auch mal wieder frisch gestrichen.

Es fühlt sich komisch an, ohne Mama hier zu sein. Überhaupt, was soll ich hier machen? Ich kenne meine Tante doch kaum. Barbara ist zwar Mamas ältere Schwester, doch die beiden haben wenig Kontakt. Eigentlich nur zu Weihnachten und zum Geburtstag.

Ich werfe einen kurzen Blick auf mein Handy. Na toll, noch immer kein Empfang. Und was, bitte schön, soll ich ohne Handy in dieser Pampa den ganzen Tag machen?

Vor Wut hätte ich am liebsten auf das schwarze Armaturenbrett geschlagen, aber das traue ich mich nicht vor Markus.

Markus parkt sein Auto vor dem Haus, gleich neben einer riesigen Scheune. Ich hatte den Bauernhof viel kleiner in Erinnerung. Er ist bestimmt so groß wie unsere Schule, inklusive Pausenhof.

Sofort fällt mir der breite Holzbalkon auf, an dem zwei große Kästen mit roten und violetten Blumen hängen. Sie sind üppig und bedecken fast den ganzen vorderen Teil des Balkons.

Ich habe da schon mal mit Mama gesessen, kann mich aber nicht mehr genau erinnern, wann.

»Willkommen auf dem Zieglerhof!«, sagt Markus feierlich, als wir aussteigen.

Viertes Kapitel

Zur Begrüßung rennt eine gackernde Schar Hühner panisch an uns vorüber. Als ich die Autotür mit einem kräftigen Rums zuschlage, hört das Gackern kurz auf, um dann noch lauter weiterzumachen.

Auf dem Hof ist es wärmer als im Wald und ich atme unwillkürlich wieder diesen Duft ein – dieses Mal ist es eine Mischung aus Mist, Heu und Frühsommer. Mitte Mai ist es schon so warm wie sonst erst Ende Juni. ›Das liegt am Klimawandel‹, würde unsere Geolehrerin jetzt sagen.

Ich gehe zur offenen Haustür, in die Markus verschwunden ist, und rufe schüchtern in den dunklen Flur: »Markus?« Keine Antwort. Ich bleibe draußen stehen und warte.

Plötzlich ertönt ein lautes Bellen und ohne weitere Vorwarnung kommt ein großer, schwarzer Hund angeschossen. Das wilde Fellknäuel begrüßt mich schwanzwedelnd und hätte mich um ein Haar umgenietet.

Erschrocken trete ich einen Schritt zurück. Von der Größe her könnte der Hund glatt ein Braunbär sein.

Er erinnert mich an Keks aus der Sendung Löwenzahn. Bei meinem letzten Besuch war er aber noch nicht da, daran würde ich mich erinnern.

Als der Hund, immer noch kläffend, an mir hochspringen will, reiße ich instinktiv die Arme nach oben. Dabei fliegt mein nagelneues Smartphone in hohem Bogen in eine schlammige Pfütze.

»Scheiße!«, brülle ich und hebe es sofort auf. Erleichtert stelle ich fest, dass es keinen Kratzer abbekommen hat, an einer Seite aber voller Dreck ist. Ärgerlich versuche ich das Handy mit meiner Hand sauber zu machen.

Da höre ich es laut hinter mir kichern. Genervt drehe ich mich um und entdecke ein dünnes Mädchen in Latzhosen. Sie hat hellrote Haare, die ihr in leichten Wellen über die Schultern fallen, und mindestens eine Million Sommersprossen im Gesicht. Amüsiert mustert sie mich.

Hinter ihr steht Barbara, meine Tante. Hatte ganz vergessen, wie riesig sie ist. Sie trägt einen dunkelblauen Overall und klobige Gummistiefel.

»Hallo Elias«, begrüßt sie mich. Ihre tiefe Stimme klingt wie das Brummen eines Motors.

Auch Markus ist wieder aufgetaucht und zwinkert mir verschwörerisch zu.

»Hallo«, ich gebe Barbara meine Hand und spüre den festen Druck ihrer warmen, schwitzenden Finger.

Barbara ist bestimmt einen Kopf größer als Mama und hat schon graue Haare. Ihr gewaltiger Busen hebt und senkt sich bei jedem ihrer tiefen Atemzüge. Mama ist viel schmaler, auf den ersten Blick würde niemand glauben, dass die beiden Schwestern sind.

Erst jetzt bemerke ich die blonde Frau, die ebenfalls einen Overall trägt und darüber eine große Schürze aus Latex gebunden hat. Sie sieht aus wie das Mädchen, nur in blond und erwachsen.

»Hallo, ich bin Sandra und die Tierärztin hier. Das«, sie deutet auf das rothaarige Mädchen, »ist meine Tochter Franka.« Sandra zieht ihre Schürze aus und fügt lächelnd hinzu: »Wie schön, dass ich dich endlich kennenlerne. Deine Mutter und ich sind zusammen zur Schule gegangen. Wir waren damals die besten Freundinnen.«

Ich nicke nur, habe von dieser Sandra noch nie etwas gehört. Überhaupt, Mama erzählt kaum etwas aus ihrer Kindheit.

Ich spüre Barbaras unangenehmen Röntgenblick auf mir kleben.

»Bist ganz schön groß geworden«, sagt sie und mustert mich von oben bis unten. »Wie alt bist du jetzt?«

»Zwölf«, antworte ich. »Aber in einem Monat werde ich 13.«

»So ein Zufall, ich auch!«, ruft das Mädchen und lacht. »Du, ich treffe mich morgen mit meinen Freunden am Waldsee. Magst du mit?«

Ich spüre, wie ich rot werde und ärgere mich gleichzeitig über mich selbst, dass mich ihre Frage so aus der Fassung bringt.

Aber die Aussicht auf etwas Abwechslung klingt eigentlich gut, deshalb nicke ich und antworte so lässig wie möglich: »Warum nicht?!«

»Super, dann hol’ ich dich morgen um elf Uhr ab«, erwidert Franka und läuft zu ihrer Mutter, die schon im Auto auf sie wartet.

In der Sonne leuchten Frankas Haare wie Kupfer. Wie bei dem Fuchs vorhin. Überrascht stelle ich fest, dass sie keine Schuhe trägt.

Kurz bevor der schwarze Jeep losfährt und seine Reifen auf dem gelben Kies knirschen lässt, winkt mir Franka durch das Autofenster noch mal zu.