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Der Münchner Kriminalhauptkommissar Helmut Bauer besucht seine Tante Agathe auf dem Dorf. Er will zumindest für ein paar Tage Abstand zur Monotonie seines Berufes und seiner Umgebung gewinnen. Während einer Bergtour, die Bauer ohnehin ziemlich anstrengend findet, hängt ein gefesselter Mann tot an einem Baum. Es ist Ludwig Fellner, ein Almhüttenbewohner und Umweltaktivist von Pro Alp, einer Organisation, die sich gegen den Bau eines geplanten Windkraftprojektes einsetzt. Sein Urlaub ist damit beendet. Er, der Städter, muss sich erst an das Leben im Dorf gewöhnen, wo zudem die Auseinandersetzung um das geplante Windkraftprojekt in einem Gebirgstal die Bevökerung spaltet. Doch nach und nach wühlt er sich durch die Untiefen von Gemeinderat, Theaterverein und verborgenen Leidenschaften.
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Seitenzahl: 257
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Sonnenspitz
Kommissar Bauer und die Berge
Von Wolfgang Schuldlos
Jede vermeintliche Ähnlichkeit der Figuren des Buches mit lebenden oder verstorbenen Menschen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Copyright 2014 EuroKomm Publishing
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
ISBN 978-3-00-045575-9
Sonnenspitz
Eigentlich ist das Leben scheiße. Es kotzt einen an. Bauer sitzt auf einer Bank, auf der er schon so oft gesessen ist. An seinem Glas klebt Bierschaum und er, er klebt fest – hier im seinem Viertel, dem Schlachthof.
Wie viele Male hat er versucht auszubrechen. Wie viele Male ist er gescheitert. Gescheitert an sich, an Frauen oder einfach so.
Helmut Bauer ist nicht da. Er ist weg. Irgendwo verloren da draußen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er einfach zu blöd ist, zu stupid für diese Welt.
Aber wahrscheinlich liegt es auch an ihm. Ihm selbst. Er ist ein Idiot, ein Einzelgänger. Niemand, den man mögen muss.
Natürlich, es ist klar, dass jemand, der bei der Mordkommission arbeitet auch immer Probleme mit dem Leben hat. Doch Bauer hat ein anderes Problem. Und schon alleine das hasst er, weil der Ausdruck ihm nicht passt. Problem. Was ist ein Problem?
Er kennt es nicht. Er will es auch nicht kennen. Warum auch?
„Kathi, noch a Halbe!“, ruft er der Bedienung nach.
Letztlich sitzt er hier allein. Für ihn ist das Alleinsein normal. Aber was heißt normal?
Bauer hasst Beziehungen. Er hasst zu viel Nähe. Aber gerade deswegen ist er einsam.
Bauer findet, dass er raus muss. Weg aus diesem Viertel, weg aus dieser Stadt. Er hat irgendwie genug. Die immer gleichen Gesichter, die immer gleichen Rituale.
Langeweile ist in ihm hochgeschlichen und hat sich festgesetzt in seinem Gehirn. Dort, wo normalerweise der Alkohol sein Werk verrichtet und sich abstruse Gedanken zu einer schlüssigen Erklärung vereinen, warum ein bisher unbescholtener Mensch einen anderen in die Ungewissheit des Todes befördert hat.
Bauer braucht eine Luftveränderung. Und er braucht einmal Abstand zu seiner Arbeit. Vielleicht gelingt es ihm ja sogar, aus dem Kriminalhauptkommissar für kurze Zeit einen anderen Menschen zu formen. Einen, den man mögen kann – und nicht hassen muss.
„Helli, komm raff di mal auf! Eine kleine Tour, warum net?“
Tante Agathe, die Schwester seiner Mutter, war immer resolut. Jetzt erst recht, nachdem sie das siebzigste Lebensjahr überschritten hat.
Bauer hat sie angerufen. Er wollte nur einfach mal vorbeikommen in ihrem kleinen Dorf am Kochelsee. Einfach weg von München, weg vom Schlachthof und weg vom Präsidium. Doch kaum hatte er ihr erzählt, dass er sie besuchen kommen will, hat sie ihm den Vorschlag mit dieser Bergtour gemacht.
Bauer hasst Bergtouren. Freilich, er mag die Berge. Aber er mag die Mühe nicht, um da hinauf zu kommen. Zu anstrengend, zu unangenehm.
„Du, Agath, ich glaub‘, des is‘ nix für mich!“, verteidigt er sich.
„Mei, Bua, du wirst schon sehen, dass das unglaublich wird!“
Bauer überlegt. Er mag es nicht, wenn man ihn zu irgendetwas zwingt, auch wenn es nur sanfter Zwang ist. Bei Tante Agathe ist es natürlich etwas anderes. Er ist ihr irgendwie verpflichtet.
Sie lebt allein, da draußen in Kochel. Irgendwann in den neunziger Jahren zog sie von Niederbayern dorthin. Der späten Liebe wegen. Doch die dauerte nicht lang. Ihr Mann stürzte beim Klettern ab und starb. Und sie? Sie blieb dort kleben.
Jetzt liebt sie das Berggehen. Dort oben ist es genauso einsam, wie inzwischen in ihrem eigenen Leben. Aber dort oben blickt man majestätisch über diese Welt, die doch so beschwerlich scheint.
Schließlich schaut von dort oben alles einfach aus, klein, unwichtig. Agathe sagt, dass sie ohne die Berge schon lange tot wäre. Sie hätte keinen Lebensmut mehr, keinen Spaß am Leben.
Bauer ist sich noch nicht sicher, wie sie das meint. Er kennt sie schon lange, aber er kennt nicht die Gefühle, die sie ihm offenbart. Schließlich war er noch nie auf einem Berg.
Agathe sagt, sie hätte eine leichte Tour ausgewählt. Extra für ihn! Was heißt leicht, wenn drei Stockwerke schon zum Problem werden? Er hat schließlich nachgegeben und jetzt sitzt er da und bindet die Schnürsenkel an seinen Haferlschuhen.
„Agath, ich sag‘ dir nur eins. Wenn ich das nimmer derschnauf, dann dreh‘ ich eiskalt um und geh‘ wieder runter!“
Bauer hofft, dass seine Drohung Wirkung zeigt und seine Tante die ganze Aktion abbläst. Aber sie, sie ist nicht so wie seine Verbrecher, die beim Verhör sitzen und meist ziemlich nervös werden, wenn er ihnen droht.
Als Hauptkommissar der Münchner Kriminalpolizei wendet er manch dubiose Methoden an, dafür ist er bekannt.
Doch bei seiner Tante stößt er auf Granit. Sie ist fest entschlossen, ihn auf diesen Berg zu zerren, die Sonnenspitze. Ein ziemlich kleiner unter den Bergen, die diesen Ort umgeben. Sie will es ihm leicht machen, ihm die Möglichkeit geben auch etwas Genuss zu empfinden, wenn man sich hinauf quält bis zum Gipfel.
„Oiso Bua, auf geht’s!“, entspringt es seiner Tante fröhlich. Doch er, Bauer, hat nur ein mildes Lächeln auf seinen Lippen, das die aufsteigende Verzweiflung kaschiert.
Nach etwa einer Stunde setzt sich Agathe lächelnd auf eine Bank, die neben dem Forstweg steht, den sie empor gehen. Bauer ist noch etwa 50 Meter entfernt, blickt nach oben zu seiner Tante und schießt mit seinen Augen kleine Blitze in Richtung der alten Frau. Wie konnte er sich nur auf so etwas einlassen? Er atmet schwer und das Herz rast in seinem Brustkorb. Schweiß steht auf seiner Stirn unter dem grünen Filzhut und seine Beine fühlen sich schwammig an.
„Mei Bua, du wirst sehen, wennst‘ das nächste Mal auf den Berg gehst, dann geht’s viel leichter!“, tröstet ihn Agathe.
Er hat nur ein mildes Lächeln dafür übrig und lässt sich erschöpft auf die Bank sinken.
„Sag‘ einmal, wie lang müssen wir jetz‘ noch gehen?“, will Bauer von seiner Tante wissen.
„Mei, so lahmarschig, wie du unterwegs bist, Helmut, so eine dreiviertel Stund‘!“
Bauer hallen die Worte leicht in seinen Ohren nach: „Eine dreiviertel Stund‘.“ Quälerei.
Jetzt sitzt er erst einmal hier und ist glücklich, dass er nicht laufen muss. Eigentlich könnte er es jetzt hier länger aushalten.
Doch vielleicht hätte er vor Beginn der Wanderung nicht die drei Weißbiere trinken sollen, die sich nun in Form von Blasendruck bemerkbar machen.
„Du, Agath, ich muss bloß amal bieseln.“ entschuldigt sich Bauer unprätentiös und strebt dem nahen Waldrand zu. Dort stellt er sich breitbeinig auf und ergötzt sich am nachlassenden Druck in seinem Körper. Sein Blick wandert dabei ins nahe Unterholz, das sich vor ihm auftut. Plötzlich verharrt er. Er fixiert mit seinen Augen einen Schuh und eine Hose, die offensichtlich frei in der Luft schweben. Mehr kann er nicht erkennen. Das Blätterwerk ist zu dicht.
Als Bauer seinen Hosenschlitz zuzieht, macht er sich auch schon auf den Weg in Richtung der eigenartigen Entdeckung. Er quält sich durch ein Dickicht aus Sträuchern und Bäumen, bis er schließlich wenige Meter entfernt von der merkwürdigen Erscheinung ist. Doch was er jetzt zu sehen bekommt, lässt ihn leicht deprimiert auf den Boden blicken.
Er wollte eigentlich ausspannen, Ruhe genießen und sich der Natur widmen. Abstand nehmen zur Großstadt, zu seinem Beruf und den Morden mit denen er zu tun hat. Und nun?
Nun hängt da ein Mann, vielleicht Mitte fünfzig, mit auf den Rücken gefesselten Händen und mit einem Strick um den Hals an einem Baum.
Kein schöner Anblick, wenn die Augen aus ihren Höhlen hervorquellen, die Zunge sich aus dem Rachen wölbt und der Wind dem Körper eine gewisse Beschwingtheit verleiht.
Bauer muss leicht lächeln. Schließlich hat der Tote auch etwas Komisches. Er weiß nicht genau, was es ist, aber der Mann schneidet irgendwie Grimassen.
„Helmut, was issen?“, hört er seine Tante rufen.
„Ois guad, Agath. Da hängt nur einer ein bisserl rum!“, ruft er ruhig zurück. Dann zückt er sein Mobiltelefon und verständigt seine Kollegen im nahen Dorf.
Eines weiß er. Dass ihn dieser dubiose Tote auf jeden Fall davor bewahrt hat weiter auf diesen Berg zu wandern. Sonnenspitz‘, was für ein Witz, denkt er. Wenn er spitz ist, dann ganz woanders.
Etwa zwei Stunden später sitzt er im Büro der Kocheler Streifenpolizei. Er hat es unheimlich genossen, dass ihn die Bergwacht bei der Bergung der Leiche mit ins Tal genommen hat. Sollen sich doch diejenigen mit den Bergen abquälen, die das unbedingt wollen. Er nicht!
Bauer gegenüber sitzen zwei Streifenpolizisten in ihren grünen Uniformen, daneben ein Kommissar der Weilheimer Polizei, der für Kochel offiziell zuständig ist.
„Nun, Herr Bauer, sie haben die Leiche gefunden?“, beginnt der Weilheimer das Gespräch, nachdem er sich als Kommissar Herbert Griesecker vorgestellt hat.
„Ja.“ schneidet Bauer in den Raum.
„In welchem Zustand war denn die Leiche?“, fährt Griesecker fort.
„Genau in dem, in dem sie den Mann da runter geholt haben. Fragt’s morgen den Gerichtsmediziner!“
Bauer ist sauer ob der Einfältigkeit seines Gegenübers. Landpolizist, boaniger!
Griesecker hat bemerkt, dass er mit seinen Fragen seinen Kollegen eher nervt. Daher zieht er sich auf eine Floskel zurück:
„Also Herr Bauer, halten sie sich einfach zu unserer Verfügung, falls wir weitere Fragen an sie haben sollten.“
Aha, wenn er meint, denkt Bauer, steht auf und verlässt die Polizeiwache.
„Ludwig, das hat doch alles keinen Zweck! Du musst doch einsehen, dass du dich dem Windpark nicht so mir nichts, dir nichts in den Weg stellen kannst!“, beschwört Nikolaus Merl, der Kocheler Bürgermeister, den alten Senn. Merl ist ein robuster, großgewachsener Mann, Mitte vierzig.
„Schauen sie, Herr Fellner, sie bekommen von uns doch jährlich eine nicht unbeträchtliche Summe für die Nutzung ihrer Almwiesen!“, pflichtet Bert Karell, der Geschäftsführer der Windkraft-Alpen-GmbH, Merl bei.
Ludwig Fellner blickt beiden Männern scharf in die Augen. Er taxiert sie. Wägt ab. Und ist doch entschlossen sich all dem zu wiedersetzen:
„Ich lass‘ mich doch net von euch zwei Batzi übern Tisch ziehen! Da müssts früher aufstehen, Deppen, boanige!“
Fellner ist grantig. Er will seine Ruhe, hier auf seiner Alm. Er braucht hier keine Windkraftanlagen, keine Bürgermeister und keine Gschaftlhuber aus München.
„So, und jetz‘ naus mit euch!“, raunzt er seine Besucher an. Die schütteln nur den Kopf, wenden sich schweigend ab, bis sich Merl doch noch einmal umdreht: „Das wirst du noch bereuen Ludwig, das schwör ich dir!“
Schließlich reißt er die Tür auf und stürzt aus der kleinen Almhütte. Karell folgt ihm schweigend.
Als sich Ludwig Fellner seine Pfeife anzündet, einen Schluck aus seinem Bierkrug nimmt und seine Schnupftabakdose aufklappt, ist er zufrieden. Da müssten’s ihn schon tot aus seiner Hütte tragen, dass er für dieses blödsinnige Projekt wäre! Zu diesem Zeitpunkt weiß er noch nicht, dass Bauer ihn am nächsten Tag tot am Baum hängend finden wird.
Bauer sitzt auf der Eckbank. Vor sich Presssack, Leberkäse, Debreziner und verschiedene Käsesorten. Agathe hat wieder aufgetischt, so wie es Bauers Geschmack ist. Deftig, wurstig und garniert mit einer Halben Bier. Langsam umfasst seine Hand das Glas, hebt es an und führt es an seine Lippen. Bauer riecht den Duft des Hopfens, spürt die kühle Abstrahlung des Schaumes.
Als sein Mobiltelefon zu läuten beginnt, stellt er mürrisch das Glas zurück auf den Tisch.
„Bauer!“ entfährt es ihm knapp, als er das Telefon an sein Ohr hält.
„Hallo, Herr Bauer! Hier ist Unterlechner.“
Bauer verzieht sein Gesicht. Es bedeutet nichts Gutes, wenn ihn der Polizeipräsident persönlich anruft.
„Also, Bauer, ich rufe sie an, weil ich eine Bitte an sie habe!“
„Aha, eine Bitte. Ja und? Was wollen’s?“, will Bauer schroff wissen.
„Nun, sie haben doch diesen toten Mann im Wald gefunden, da wo sie gerade sind?“
„In Kochel, ja genau. Ich mach‘ hier Urlaub.“ entgegnet Bauer knapp. Wohlwissend, dass der Urlaub nun vorbei ist.
„Ich habe mit meinem Kollegen Polizeipräsident Bärlauch aus Rosenheim gesprochen und wir sind beide der Meinung, dass nicht die Kollegen aus Weilheim sich dieses Falles annehmen sollten, sondern sie. Na, was sagen sie, Bauer?“
„Nix.“ murmelt Bauer. Wenn Unterlechner erwartet hatte, dass Bauer in Jubelsprünge verfallen sollte, dann hat er sich geschnitten. Das Gegenteil ist der Fall. Bauer hat absolut keine Lust, sich hier auf dem Land um einen Mordfall zu kümmern. Und jetzt lässt ihm Unterlechner nicht einmal den Hauch einer Wahl. Scheiße, denkt er.
Unterlechner bricht die eingetretene Stille:
„Also Herr Bauer, das finde ich prima, dass sie sich dieses Falles annehmen. Ich bin mir sicher, dass sie den Mörder schnellstens finden werden!“
Man kann die Freude deutlich spüren, die in Unterlechners Sätzen schwingt. Bauer freut sich kein bisschen. Er ist sauer. Nicht mal zwei Wochen kann er Urlaub machen, ohne dass ihm wieder jemand auf die Nerven geht. Scheißjob!
Bauer hat aufgelegt. Das Mobiltelefon liegt wieder neben seinem Teller auf dem Tisch, als er einen enormen Schluck aus seinem Bierglas nimmt.
Am nächsten Tag steht Bauer neben Dr. Hans Brandl an einem Seziertisch. Der Pathologe hat den Toten sozusagen auf Herz und Nieren untersucht. Nun macht auch er seinem Unmut Luft:
„Jetz‘ schaffen’s die Toten aus die Alpen auch schon zu mir. Als wenn ich net genügend zu tun hätt‘!“
„Glaubst du, mir macht es Spaß da draußen rumzuturnen?“, fragt Bauer eher rhetorisch. Nach einer kleinen Pause, in der er seinen Blick über den Körper des Toten wandern lässt, fährt er fort:
„Also, was is‘ jetz‘? Woran is‘ er gestorben der gute Mann?“
„Es handelt sich hier um einen gewissen Luwig Fellner, 56 Jahre, von Beruf Senner auf der Kotalm. Einer Alm zwischen Kochel und Jachenau.“ konstatiert Brandl.
„Der Mann ist offenbar in der Nacht von Montag auf Dienstag gestorben. Ursache: Ersticken. Wahrscheinlich durch den Strick, den er um den Hals trug. Keine Halswirbelverletzungen, nichts.“
Brandl blickt Bauer fragend an, so als ob er erwartet, dass Bauer seinen Sätzen Zweifel folgen lässt. Doch der bleibt still und betrachtet nur weiter den Körper des Toten.
Nachdenklichkeit hat sich in seine Züge geschlichen. Warum hat man diesen Menschen auf diese Weise hingerichtet? Selbst konnte er sich nicht getötet haben. Seine Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt.
Auf dem Weg zurück in sein Büro läuft er dem Polizeipräsidenten in die Arme. Der sich natürlich sofort nach dem Ermittlungsstand erkundigt:
„Und Bauer? Schon eine heiße Spur?“
Bauer murmelt nur mürrisch: „Ja, wie denn? Der Brandl hat den guten Mann doch grad‘ erst aufg’macht!“
„Soso, aha. Ja dann wünsche ich ihnen einen schnellen Ermittlungserfolg! Halten sie mich bitte auf dem Laufenden!“, fordert Unterlechner ihn auf.
Bauer kann nur schief lächeln. Schließlich hat er bisher alle seine Fälle aufgeklärt. Und Unterlechner ist ihm dabei immer penetrant auf die Nerven gegangen. So wird es diesmal auch sein. Darauf kann er sich verlassen.
Jetzt hat Bauer erst einmal Hunger. Immer, wenn er sich ärgert, bekommt er Hunger. Schließlich ist und bleibt er ein Kind des Schlachthofviertels. Bodenständig, rau, schweigsam und dem Essen und Trinken zugetan.
Er hat beschlossen Vroni zu besuchen. Seine frühere Freundin, die jetzt als Standlfrau auf dem Viktualienmarkt arbeitet. Auf dem Weg dorthin wird er sich zwei Leberkäsesemmeln kaufen, die er dann mit einem kühlen Bier bei ihr auf dem Stand verzehren wird.
Er besucht Vroni immer wieder mal, obwohl sie schon lange kein Paar mehr sind. Jetzt sind sie vielmehr Vertraute. Geschwister im Geiste, vielleicht.
„Servus, Vroni!“, begrüßt er sie, als er an ihrem Stand steht. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, sodass sie nicht sehen konnte, als Bauer auftauchte. Jetzt dreht sie sich langsam um und kneift die Augen leicht zusammen. Ein Lächeln umspielt ihren Mund.
„Helli? Du warst ja eine Ewigkeit nimmer da!“, wundert sie sich.
„Ich war beruflich ein bisserl unterwegs, weißt!“, verteidigt er sich.
Vroni ist nicht wirklich verärgert. Sie will Bauer nur ein kleines bisschen provozieren. Sie weiß, dass er damit seine Sprödheit verliert und sich genötigt fühlt, doch etwas mehr zu kommunizieren, als er es normalerweise für nötig hält.
Bauer schiebt seinen Körper langsam in das Innere des Standes. Dabei berühren seine Hände fast unmerklich Vronis Taille. Er weiß, sie hätte diese Berührungen gerne öfter von ihm.
Bauer hingegen will nicht mehr. Zumindest nicht jetzt. Jetzt will er zuerst ein Bier:
„Wie schaut‘ s aus, hast eine Halbe für mich?“
„Hell oder weiß?“, fragt Vroni zurück.
„Am besten weiß.“ entgegnet er, während er behutsam seine Leberkäsesemmeln auspackt und sie auf ein kleines Tischchen legt. Bauer hat sich gesetzt und Vroni stellt ihm ein volles Glas mit Weißbier auf den Tisch. Er nimmt es wortlos, setzt es an die Lippen und trinkt es fast zur Hälfte aus. Nachdem er das Glas wieder abgestellt hat, entfährt ihm ein knappes: „Guat!“
Vroni lächelt zufrieden. Immer wenn Helmut Bauer etwas getrunken hat, dann wird er geselliger, redseliger.
Während Bauer beherzt in eine der Semmeln beißt, beginnt er von seinem aktuellen Fall zu erzählen:
„Ich hab‘ da grad‘ einen Toten in Kochel. Aufg’hängt, weißt. Der passt mir im Augenblick gar net.“
„Was in Kochel? Da wollen’s doch, glaub ich, so einen Windpark in die Berge zimmern.“ entgegnet ihm Vroni.
„Einen Windpark? Aha. Und was is‘ des genau?“, will Bauer von ihr wissen.
„Anscheinend so ein Haufen von so Flügeldingern, du weißt scho‘, was ich mein.“
Bauer nickt. Davon hat ihm seine Tante noch gar nichts erzählt. Naja, es ist ohnehin wieder eine der Torheiten, die sich der moderne Mensch einfallen lässt, wenn es ihm auf dieser Welt zu wohl wird.
Bauer hat aufgegessen und nimmt den letzten Schluck aus seinem Glas.
„Vroni, es war wieder mal nett bei dir. Vergeltsgott für’s Bier.“ bedankt sich Bauer und setzt wieder seinen grünen Filzhut auf, den er zum Essen abgenommen hatte.
„Mach’s guat, Helli!“, verabschiedet sie sich von ihrem Gast, der inzwischen im Gewühl vor dem Stand verschwindet. Vroni blickt ihm etwas sehnsuchtsvoll hinterher. Sie könnten zusammen so glücklich sein, wenn er es nur wollte. Aber Bauer, der bleibt stur. Dazu kennt ihn Vroni nur zu gut.
„Nein, Herr Karell, der Fellner hat keine Verwandten. Sie können also sicher sein, dass wir nun ein Problem weniger haben.“ erklärt Nikolaus Merl seinem Gesprächspartner am Telefon. Dann fährt er fort:
„Wir müssen jetzt versuchen, dass wir die Bürgerinitiative irgendwie diskreditieren. Vielleicht gelingt es uns ja, dass wir den Spöckmeier Toni als Dampfplauderer lächerlich machen. Das wär‘ dann schon ein großer Schritt. Dann hätte ProAlp ein Riesenproblem!“
ProAlp ist eine Bürgerinitiative, die sich kurz nach dem Bekanntwerden der Pläne des Windparks gegründet hatte. Ihr Vorsitzender und Sprecher ist Anton Spöckmeier, der Kreisvorsitzende des Bundes Alpenschutz.
Merl hat aufgelegt. Er ist seinem Ziel wieder ein Stück näher gekommen, der Gemeinde eine neue Gewerbesteuerquelle zu erschließen. Nun lächelt er leicht und schaut auf die Schlagzeile auf der Titelseite der Heimatzeitung:
„Mysteriöser Tod auf 1.000 Metern Höhe: Senner erhängt aufgefunden.“
Bauer ist inzwischen wieder am Kochelsee angekommen. Mit dem Auto war er auf der A 95 Richtung Garmisch-Partenkirchen unterwegs, bis er etwa nach einer Dreiviertelstunde die Ausfahrt nahm und die letzten Kilometer auf der Landstraße zurücklegte. Die Berge waren immer greifbarer vor ihm aufgetaucht, bis er schließlich hier bei seiner Tante ankam, die ihr Haus direkt an einem der zahlreichen Berghänge hat.
Tante Agathe hat ihn schon erwartet und empfängt ihn bereits vor der Haustür:
„Helmut, du glaubst net, wie mich das freut, dass du jetz‘ für den Mordfall zuständig bist. Die Leut‘ im Dorf haben ja schon Angst, dass sie selbst das nächste Opfer sein könnten, weißt!“
Bauer entgegnet leicht mürrisch: „Ja, ja, mich g’freut’s auch.“
Dabei schiebt er sich an seiner Tante vorbei in den Hauseingang.
Er weiß nicht, wie lange er bei ihr wohnen wird. Er weiß nur eines, dass er jedenfalls so schnell wie möglich hier wieder weg will!
Etwa eine Stunde später hört Bauer die Hausklingel. Er hatte sich für ein kleines Nickerchen auf das Sofa gelegt, das seine Tante in ihrem Wohnzimmer stehen hat. Eigentlich ist es eine bayerische Stuben mit Kachelofen, Eckbank, einem großen Bauerntisch und einem Fernseher, der auf einem kleinen buntbemalten Schränkchen steht. Jetzt hat ihn die Klingel hochschrecken lassen. Er ist verärgert.
Bauer hört, wie Agathe die Tür öffnet und danach Wortfetzen eines Gesprächs zwischen ihr und einer männlichen Stimme. Richtig verstehen kann er wenig.
Schließlich nähern sich Schritte und die Tür zur Stuben wird jäh aufgerissen. Tante Agathe steht im Türrahmen und erklärt:
„Helmut, da is‘ jemand für dich. Er sagt, er ist ein Kollege von dir!“
Bauer schwant Übles. Er ahnt, wer nun in der Tür erscheinen wird.
„Servus Helli! Endlich hab‘ ich dich gefunden!“, freut sich Franz Kreuzpeintner, sein Kollege aus dem Münchner Polizeipräsidium.
„Der Unterlechner hat gemeint, nachdem wir Zwei so gut bei diesem Strichermord zusammengearbeitet haben, sollen wir jetz‘ auch wieder miteinander ermitteln. Deswegen bin ich jetz‘ da. Freust dich?“, erkundigt sich Kreuzpeintner.
Bauer ist nicht glücklich. Kein bisschen. Er hatte gehofft, dass er wenigstens in diesem Fall, der so weit von München entfernt ist, wieder alleine ermitteln kann. Und jetzt, von einem Moment zum anderen, hat er Kreuzpeintner wieder am Hals.
Natürlich, er kennt ihn inzwischen ganz gut. Hat sich an ihn irgendwie gewöhnt. Aber verdammt nochmal, sie sind doch kein altes Ehepaar! Unterlechner hätte ihm wenigstens sagen können, dass er ihm Kreuzpeintner ans Bein binden will. Aber der hat es sicher mit Absicht nicht gemacht.
Agathe nützt die entstandene Stille, um Kreuzpeintner freundlich einzuladen:
„Ja, das ist doch wunderbar, dass sie den Helli unterstützen sollen, Herr Kommissar. Also, wenn sie wollen, dann können’s gerne bei uns wohnen! Ich hab‘ ein großes Haus und viel Platz, wissen’s? Seit mein Mann tot ist, da bin ich froh, wenn ich ein bisserl Gesellschaft hab‘!“
Kreuzpeintner lächelt Agathe freundlich an, während Bauer ein noch finstereres Gesicht aufsetzt.
Am nächsten Morgen sitzen beide Männer nebeneinander in Bauers Dienstwagen. Sie sind auf dem Weg zum Kocheler Rathaus, wo sie sich mit dem Bürgermeister unterhalten wollen. Schließlich sollte er am besten über das Projekt des Windparks Bescheid wissen.
Tante Agathe hatte Bauer und Kreuzpeintner am Vorabend mehr über dieses Projekt erzählt. Unter anderem auch über die Bürgerinitiative und darüber, dass der Park auf dem weitläufigen Gelände der Kotalm geplant war.
Bauer weiß nicht, ob das Windpark-Projekt in irgendeiner Form mit dem Tod von Fellner zu tun hat. Aber ausschließen kann er es nicht.
Er lenkt den Wagen auf den großen Parkplatz neben dem Rathaus. Bauer hat keine Schwierigkeiten einen freien Platz zu finden und ihn abzustellen, sodass sie relativ schnell im Vorzimmer des Bürgermeisters stehen, wo sie dessen Sekretärin Monika Feiglinger mit großen Augen verängstigt anstarrt.
„Was, sie sind von der Kriminalpolizei? Oh Gott, oh Gott, oh Gott!
Ja mei, also was wollen’s denn dann vom Herrn Bürgermeister?“, will sie bestürzt wissen.
„Wir wollen nur ein paar Fragen zum geplanten Windpark stellen.“ beruhigt sie Bauer.
„Aha, ja dann sag‘ ich mal dem Herrn Bürgermeister, dass sie da sind. Sekunde bitte!“
Einige Momente später stehen Bauer und Kreuzpeintner in Merls Büro. Der hat sich erhoben und geht mit ausgestreckter Hand auf die Polizisten zu:
„Ja, Grüß Gott meine Herren! Wer von ihnen ist denn Herr Bauer?“
Bauer schaut Merl taxierend an. Dann streckt er langsam seine Hand nach vorn und meint lapidar:
„Meine Wenigkeit.“
Merl ergreift sofort Bauers Hand und schüttelt sie heftig. Kreuzpeintner steht daneben und ist von Merls Geschäftigkeit überrascht. Schließlich sind sie doch hier, um den Bürgermeister zum Windpark und zu Fellner zu befragen. Doch der benimmt sich, wie wenn er ihnen heute noch ein Dutzend Versicherungen verkaufen will.
Bauer mag es nicht, wenn man ihm zu nahe kommt. Erst recht nicht, wenn jemand versucht minutenlang seine Hand zu schütteln und dabei seine glitschig, schweißnassen Hände um die eigene schlingt.
„Lass‘ los!“, entgleitet es ihm.
Der Bürgermeister ist überrascht. Hat ihm doch Bauer gerade ziemlich ruppig seine Grenzen aufgezeigt. Nun versucht er auf die seriöse Bürgermeisterlinie einzuschwenken:
„Ja, natürlich. Äh, wollen’s nicht Platz nehmen?“
Bauer und Kreuzpeintner setzen sich nebeneinander an den kleinen Konferenztisch, der im Bürgermeisterzimmer genau unter einem Bild von Franz Josef Strauß steht.
„Also, Herr Merl“, beginnt Bauer das Gespräch, „wir sind von der Kripo in München und wollen den Mord an Herrn Fellner aufklären.“
„Aha, verstehe, verstehe!“, entgegnet der Bürgermeister.
„Wir haben gehört, dass oben auf der Alm, wo der Fellner gelebt hat, ein Windpark geplant ist?“, fragt Bauer.
Kreuzpeintner sitzt derweilen still neben Bauer und beobachtet den Bürgermeister.
„Ein Windpark?“, Merl zögert leicht verlegen.
„Ja. Ein Windpark.“ entgegnet Bauer und macht einen ziemlich angesäuerten Eindruck.
Merl spürt, dass Bauer verärgert ist:
„Nun, ja, wenn sie mich also so direkt fragen. Ja, da gibt es eine Projektvorstufe, die sich mit derartigen Plänen befasst. Ja, das ist richtig.“
„Und wer plant denn den Park, da oben?“, erkundigt sich Bauer weiter.
Der Bürgermeister rutscht leicht verunsichert auf seinem Stuhl hin und her, bis er schließlich erklärt:
„Das ist die Windpark Betriebs GmbH, eine Gesellschaft, die von mehreren kommunalen Versorgern getragen wird.“
„Aha, und wer ist das alles?“, will Bauer wissen.
„Nun, da sind Firmen aus ganz Bayern beteiligt.“ beantwortet Merl die Frage knapp.
„Auch aus diesem Landkreis?“
„Warum ist denn das so wichtig?“, empört sich der Bürgermeister.
„Herr Bürgermeister, eines muss ihnen klar sein: Ich stell‘ hier die Fragen!“, kontert Bauer verschnupft.
„Ja, schon gut, Herr Bauer. Also, ja, auch aus unserem herrlichen Landkreis. Warum auch nicht? Die Vorteile kommen doch allen zugute?“
Bauer schweigt. Er hat nichts übrig für Karrierepolitiker. Erst recht nicht für solche, die ihren eigenen Vorteil mit dem der Allgemeinheit verwechseln. Davon hat er in München schon genug.
„Jetz‘ sagen’s uns ein bisserl was zum Fellner!“, fordert Bauer Merl auf.
„Ja, der Fellner Luggi. Mei, der Luggi war ein g’selliger Zeitgenosse, halt.“
„Und deswegen hat er auf der Alm g’lebt? Weil er so gesellig war, oder was?“
„Das war vielleicht ein bisserl falsch ausgedrückt. Also konkret gesagt war der Luggi schon ein kleines bisserl ein, wie sagt man, Eigenbrötler.“
„Aha! Inwiefern?“
„Er hat halt seine Launen g’habt, wenn’s wissen, was ich mein‘?“
Bauer ist sauer. Diesem Merl muss er alles mühsam aus der Nase ziehen. So etwas mag Bauer nicht. Er mag es auch nicht, wenn ihn jemand für blöd verkauft:
„Sagen’s amal, sie sind ja wie ein störrischer Esel. Muss man ihnen jedes Wort aus dem Rüssel ziehen?“
Merl hat nun einen überraschten Ausdruck auf sein Antlitz gezaubert. Bauer setzt seine mürrische Fragestunde fort:
„Hat der Fellner irgendwelche Feinde g’habt, hier im Dorf? Oder besondere Freund‘?“
„Nein, ich glaub‘ niemanden. Also nix von beidem, denk ich.“
Bauer hat keine Lust mehr. Dieser Bürgermeister ist wie eine ausgezuzelte Weißwurst. So sehr du dich bemühst, du bekommst einfach nichts mehr hinaus. Und außerdem, a propos Weißwurst. Nach dieser Mühe hat er sich ein paar Weißwürste verdient, findet er. Bauer steht auf, nickt, murmelt einen kurzen Abschiedsgruß und verschwindet zusammen mit Kreuzpeintner in Sekundenschnelle aus Merls Büro. Der ist leicht verunsichert, hätte er doch nur zu gern noch Bauers Hand zum Abschied kurz geschüttelt. Doch Bauer mag es eher gerührt und nicht geschüttelt.
„Wir brauchen eine spektakuläre Aktion, die uns einen Riesen-PR-Hype verschafft, um das Thema Windpark in die Medien zu bringen!“
Toni Spöckmeier blickt in die Runde. Fünf seiner Umweltaktivisten haben sich in seinem Gartenhäusel versammelt, um mit ihm zu besprechen, wie man am besten dieses verhasste Projekt bekämpfen kann. Spöckmeier fährt fort:
„Ihr wisst’s ja, wir haben mit dem Fellner Luggi einen Fels in der Brandung verloren, der uns jetzt mächtig fehlt!“
„Der fehlt uns nicht nur, der bringt unsere ganze Strategie ins Wanken.“ pflichtet Ferdl Moxner bei, ein drahtiger 28-jähriger Kraftfahrer bei Edeka und einer der glühendsten Gegner des Windpark-Projektes.
„Kein Grund nervös zu werden! Schließlich kann er uns vielleicht doch noch helfen, denn wer weiß, wer den Luggi auf’m G’wissen hat!“
Spöckmeier lächelt bei diesen Worten leicht überlegen, ohne den nötigen Ernst zu vergessen. Schließlich fährt er fort:
„Ich hab‘ mir gedacht, wir machen eine spektakuläre Aktion an der Sonnenspitz. Wir seilen uns an dem Steilhang ab, der gut vom Ort aus zu sehen ist und spannen dort ein riesiges Transparent auf: ‚Natur soll Natur bleiben. Kein Windpark in unserer Heimat!‘ Na? Was sagt‘s?“
Die Anwesenden nicken zustimmend und grummeln Worte, wie:
„Ja, genau. Richtig!“
Spöckmeier grinst zufrieden. Er weiß, dass sie mit dieser Aktion ein Riesenmedienecho auslösen werden. Fast so wie Greenpeace, wenn sich wieder einmal Aktivisten von einem Schornstein abseilen.
Bauer und Kreuzpeintner sitzen beim Maurer Wirt, einem Gasthaus im alten oberbayrischen Stil. Außen Lüftlmalerei und innen eine gewisse Behäbigkeit, die sich in der Einrichtung ebenso ausdrückt, wie in der Geschwindigkeit der Bedienungen.
Sie sitzen an einem Tisch, der in der fast leeren Gaststube in einer Art Winkel steht. Etwas abgeschirmt vom übrigen Gastraum und weit genug entfernt von den weiteren Gästen, um nicht verstanden zu werden.
„Also Helli, dieser Merl ist doch ein komischer Kauz, oder?“, beginnt Kreuzpeintner das Gespräch.
„Was, ein komischer Kauz? Des is‘ eher ein Unsympath vor dem Herrn. Politiker eben. Schleimig, verlogen und ekelhaft! Ich hab‘ gedacht, dass des nur ein Phänomen in der Stadt is‘, aber des Land hat aufg’holt. Eindeutig!“
„Meinst du, der hat mit dem Mord was zu tun?“
„Ach, keine Ahnung. Ich mag‘ ihn halt net!“, bekennt Bauer.
In diesen Moment ist er ganz er selbst. Ein Grantler, ein Unsympath und ein Mann, der die Welt nicht mag.
Er kann manchmal an der Welt verzweifeln, wenn ihm nur eine Person quer kommt. Jetzt war es wieder mal passiert und Bauer gönnt sich und der Welt seinen Verdruss. Egal! Jetzt bekommt er erst einmal das Gegenmittel.
„Bitt‘ schön die Herren, die zwei Halbe!“, hört Bauer die Bedienung sagen, als sie die beiden Gläser auf dem Tisch platziert. Bauer nimmt ein Glas, hebt es leicht in die Höhe, nickt Kreuzpeintner zu und setzt es an seine Lippen. Dann beginnt langsam das Gegengift zu wirken. Allmählich entspannt sich Bauers Körper, ein Lächeln huscht auf sein Gesicht und volle Zufriedenheit stellt sich ein, als die Bedienung den Topf mit den Weißwürsten auf den Tisch stellt.
Bauer weiß, dass er nicht aus seiner Haut kann. Nicht so, wie die Weißwurst auf seinem Teller, die nun nackt vor ihm liegt. Die Haut abgestreift, bereit zur Vermählung mit dem Senf. Wie profan doch das Leben manchmal ist, denkt sich Bauer. Manchmal, ja manchmal ist sogar eine Weißwurst besser dran, als er. Doch jetzt will er erst einmal essen.
„Meine Herren und Damen Gemeinderäte“, eröffnet Bürgermeister Merl die montägliche Gemeinderatssitzung, „darf ich um Ruhe bitten!“
Die kleine Glocke in seinen Händen untermauert seinen Appell und langsam sinkt der Lärmpegel im Saal, bis nur noch leises Getuschel zu hören ist.
„Ich darf sie und auch die zahlreich erschienenen Besucher recht herzlich zu unserer zehnten Sitzung in diesem Jahr begrüßen! Auch unsere Kollegen von der Presse heiße ich herzlich willkommen!“
Die Presse liegt dem Bürgermeister besonders am Herzen, hat er doch Ambitionen zu Höherem. Und dazu braucht er die Schreiberlinge eben, die er gerade so scheinheilig willkommen geheißen hat.
„Unser erster und einziger Tagesordnungspunkt ist heute der geplante Windpark auf der Kotalm. Die Windkraft-Alpen-GmbH plant auf einem Gelände im Gemeindegebiet der Jachenau einen Windpark zu errichten. Sie haben sicherlich schon davon gehört. Heute haben wir den Geschäftsführer der Betreibergesellschaft in unserer Mitte, der uns und unseren Bürgern die Pläne näher erläutern wird. Herr Karell, sie haben das Wort!“