Freund Brutus der Lebensretter - Anne Alexander - E-Book

Freund Brutus der Lebensretter E-Book

Anne Alexander

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Dürfen wir mit Peterle spielen, Frau von Lehn?« fragte Angelika Langenbach. »Wir passen auch gut auf ihn auf.« Sie und ihre Schwester Vicky waren mit dem Rad von Sophienlust herübergekommen. »Daß ihr auf ihn aufpaßt, das weiß ich«, sagte Andrea von Lehn. Sie öffnete die Haustür ganz. »Kommt doch erst mal herein. Oder möchtet ihr keinen Fruchtsaft und keine Kekse? Marianne hat gestern gebacken.« »Was sind es denn für Kekse?« fragte Vicky, Angelikas zehnjährige Schwester. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. In letzter Zeit hatte sie einen Heißhunger auf alles Süße. »Schokoladenkekse und Vanillekipferl«, erwiderte Andrea von Lehn amüsiert. »Ach ja, und dann haben wir noch Nußplätzchen.« »Nußplätzchen mag ich besonders gern«, schwärmte Vicky. Sie wirbelte eine ihrer braunen Haarsträhnen um die Finger.

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Sophienlust – 317 –

Freund Brutus der Lebensretter

Anne Alexander

»Dürfen wir mit Peterle spielen, Frau von Lehn?« fragte Angelika Langenbach. »Wir passen auch gut auf ihn auf.« Sie und ihre Schwester Vicky waren mit dem Rad von Sophienlust herübergekommen.

»Daß ihr auf ihn aufpaßt, das weiß ich«, sagte Andrea von Lehn. Sie öffnete die Haustür ganz. »Kommt doch erst mal herein. Oder möchtet ihr keinen Fruchtsaft und keine Kekse? Marianne hat gestern gebacken.«

»Was sind es denn für Kekse?« fragte Vicky, Angelikas zehnjährige Schwester. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. In letzter Zeit hatte sie einen Heißhunger auf alles Süße.

»Schokoladenkekse und Vanillekipferl«, erwiderte Andrea von Lehn amüsiert. »Ach ja, und dann haben wir noch Nußplätzchen.«

»Nußplätzchen mag ich besonders gern«, schwärmte Vicky. Sie wirbelte eine ihrer braunen Haarsträhnen um die Finger.

»Ich mag am liebsten Schokoladenkekse«, gestand die zwölfjährige Angelika. »Wo ist Peterle denn? Man hört ihn ja gar nicht.« Sie blickte in das mit weißen Schleiflackmöbeln ausgestattete Kinderzimmer.

»Marianne geht gerade mit ihm spazieren«, erwiderte Andrea von Lehn. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »In spätestens einer halben Stunde müßten die beiden zurück sein.« Lachend fügte sie hinzu: »Genug Zeit also, daß ihr euch erst einmal an Keksen und Fruchtsaft laben könnt.« Sie wandte sich an Angelika. »Hilfst du mir beim Tischdecken?«

Angelika nickte. Sie wollte etwas sagen, aber im selben Moment begann das Telefon zu läuten.

»Wo die Gläser und Teller sind, weißt du ja, Angelika«, rief Andrea von Lehn ihr zu. Dann eilte sie zum Telefon. »Die Kekse stehen unter der Fliegenhaube auf der Anrichte.« Sie hob den Hörer ab. »Von Lehn!«

»Bin ich mit dem Tierheim verbunden?« fragte am anderen Ende der Leitung eine mürrische Stimme, ohne einen Namen zu nennen.

»Ja«, antwortete Andrea. »Worum handelt es sich bitte?«

»Um diesen Mistköter, der bei uns seit Wochen herumstreicht! Wozu gibt es hier ein Tierheim, wenn sich keiner um diesen Köter kümmert? Meine ganzen Beete hat er mir zertrampelt. Und vor einer halben Stunde bin ich in einen Hundehaufen getreten. Er lag direkt vor meiner Haustür!« Die Stimme steigerte sich zu den höchsten Tönen.

Andrea von Lehn hielt den Telefonhörer etwas von ihrem Ohr ab. »Bitte, beruhigen Sie sich«, entgegnete sie freundlich. »Bis jetzt hat uns noch niemand gesagt, daß es hier einen herrenlosen Hund gibt. Davon abgesehen muß der Hundekot vor Ihrer Haustür nicht unbedingt von diesem Hund stammen. Es gibt genug Hundebesitzer, die ihre Hunde frei herumlaufen lassen.«

»Natürlich ist der Dreck von diesem Köter«, ereiferte sich der Mann. »Wann wird endlich etwas gegen ihn getan? Die Polizei habe ich schon angerufen, aber die hat mich an Sie verwiesen.«

»Um was für einen Hund handelt es sich überhaupt?« fragte Andrea. Es fiel ihr schwer, weiterhin freundlich zu bleiben.

Sie war überzeugt, daß der Mann aus einer Mücke einen Elefanten machte. Sicher gehörte er zu den Leuten, die sämtliche Tiere nur hinter Gitterstäben duldeten.

»Woher soll ich das wissen? Es ist eine Promenadenmischung. Jedenfalls muß er weg!«

»Wir werden uns um den Hund kümmern«, versprach Andrea und ließ sich von dem Mann Namen und Adresse geben. Ohne einen Gruß legte er auf.

»Die Kekse sind prima«, lobte Vicky, als die junge Frau in die Küche kam. Sie und Angelika hatten es sich am Küchentisch bequem gemacht.

»Wir wollten nicht stören, deshalb sind wir gleich hiergeblieben«, erklärte Angelika, als Andrea sie fragte, warum sie nicht ins Wohnzimmer gegangen seien.

»Ihr hättet ruhig stören können«, meinte Andrea. Sie erzählte von dem Anruf. »Komisch, daß wir bis jetzt noch nichts von einem streunenden Hund erfahren haben. In der Zeitung stand auch nichts davon, daß in der Umgebung ein Hund vermißt wird.«

»Vielleicht hat ein Urlauber ihn ausgesetzt«, vermutete Vicky. »Manche Leute sind doch so gemein und setzen ihre Hunde aus, wenn sie in den Urlaub fahren.«

»Stimmt«, bestätigte ihre Schwester. »Jemand könnte durch Wildmoos gefahren sein und ihn dort ausgesetzt haben. Sicher wird der Hund Hunger haben. So’n armer Kerl!«

»Sollen wir ihn suchen?« fragte Vicky eifrig und rutschte schon vom Stuhl.

»Nein, das laßt lieber sein«, bat Andrea von Lehn. »Wir wissen nicht, ob der Hund gefährlich ist. Tante Isi würde schön mit mir schimpfen, wenn ich euch auf Hundejagd schicken würde und ihr mit Bißwunden nach Sophienlust zurückkommen würdet.« Sie strich Vicky über die Haare. »Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an. Sobald mein Mann zurück ist, wird der sich darum kümmern.«

Angelika lauschte nach draußen. »Ich glaube, da kommt Marianne mit Peterle«, sagte sie und stand nun ebenfalls auf. Sie lief in den Korridor, hockte sich hin und breitete die Arme aus. »Komm, Peterle!« lockte sie den kleinen blonden Jungen, der an der Hand des Hausmädchens den Korridor entlangstapfte.

»Gelika!« Peterle löste sich von der schützenden Hand des Hausmädchens und wackelte auf seinen dicken Beinchen in Angelikas Arme hinein. »Gelika lieb«, sagte er, als das Mädchen ihn fest an sich drückte. Er gab ihr einen schmatzenden Kuß.

»Und ich?« fragte Vicky. Sie hockte sich neben ihre Schwester. »Sagst du mir nicht guten Tag, Peterle?«

»Peterle alle lieb!« Der Zweijährige ließ sich jetzt in Vickys Arme fallen. Auch sie bekam ein sehr feuchtes Küßchen.

Beruhigt ließ Andrea von Lehn ihren Sohn in der Obhut der beiden Mädchen. Sie selbst machte sich daran, zusammen mit Marianne in der Küche das Mittagessen vorzubereiten. Zugleich kochte sie einen nahrhaften Brei für einen Schäferhundwelpen, den Kinder ihr vor einigen Tagen gebracht hatte. Sie füllte den Brei in ein Fläschchen und ging ins Tierheim hin­über, um den Welpen zu füttern.

Andrea von Lehn war noch mit dem kleinen Schäferhund beschäftigt, als ihr Mann heimkehrte. Er hatte im Nachbarort die Rinder eines Bauern geimpft und wollte jetzt noch im Tierheim nach dem Rechten sehen, bevor er zum Essen ging.

Andrea blickte auf, als sein Schatten über sie fiel.

»Peterle ist nicht besser versorgt worden«, meinte Hans-Joachim von Lehn schmunzelnd und stellte seine Arzttasche neben Andreas Stuhl. »Ja, da wünscht man sich, wieder ein Kind oder zumindest ein kleiner Hund zu sein.« Behutsam ließ er seine Finger über den winzigen Bauch des Welpen gleiten. »Wie geht es dem kleinen Racker heute?«

»Wie du siehst, prächtig«, erwiderte seine Frau. Sie blickte zu ihm auf. »Müde?«

»Ziemlich«, gab Dr. Hans-Joachim von Lehn zu. »Hat es in der Zwischenzeit etwas Besonderes gegeben?«

Andrea berichtete von dem streunenden Hund. Liebevoll legte sie den Welpen in sein Kistchen zurück und übergab ihn Janosch, dem Tierpfleger. »Am besten, wir kümmern uns gleich nach dem Mittagessen um den streunenden Hund. Janosch hat bereits eine Box für ihn hergerichtet.«

»Ich werde Nick mitnehmen«, sagte Hans-Joachim von Lehn. Er legte den Arm um die Taille seiner Frau. »Es wird uns bestimmt gelingen, den Hund einzufangen.«

»Welcher Hund kann schon frisch gebratener Leber widerstehen.« An­drea lachte. »Marianne hat bereits die Thermosdose gefüllt.«

*

Verzweifelt schaute Gisela Wolfahrt auf das Chaos aus Tischen, Schränken, Stühlen und Kisten, das die Möbelpacker hinterlassen hatten. Auf der neuen Anrichte in der Küche und im Spülbecken stauten sich Teller mit Essensresten und Bierflaschen. »Dreimal umziehen ist wie einmal abgebrannt«, murmelte sie vor sich hin und rollte die Ärmel ihres Hauskleides auf.

»Nur nicht verzweifeln, Gisela. Wir werden es schon schaffen«, meinte Karl-Heinz Wolfahrt. Zufrieden blickte er sich um. »Wie lange haben wir von einem eigenen Häuschen geträumt, und nun ist dieser Traum endlich Wirklichkeit geworden.« Er umfaßte seine Frau und wirbelte sie im Kreis herum. »Komm, mach ein anderes Gesicht«, forderte er sie auf. »Kannst du nicht wenigstens ein bißchen Freude empfinden?«

»Ich freue mich ja über unser Haus, Karl-Heinz«, sagte Gisela halbherzig und zwang sich zu einem Lächeln. Sie war zweiundvierzig, sah aber bedeutend jünger aus.

»Es klingt aber gar nicht danach«, meinte Karl-Heinz Wolfahrt. »Ich weiß, du denkst an die Schulden, die noch auf dem Haus liegen, aber das schaffen wir spielend. Ich verdiene doch gut. In zehn, spätestens in fünfzehn Jahren haben wir es geschafft. Dann können wir aufatmen.«

»Zehn, fünfzehn Jahre«, wiederholte Gisela. »Dann sind unsere Kinder längst erwachsen, selbst Martina. In fünfzehn Jahren ist sie einundzwanzig und hat vielleicht selbst schon eine Familie.«

»Martina?« Karl-Heinz schüttelte den Kopf. »Nein, unsere Martina wird nicht so bald heiraten. Martina wird einmal studieren. Ich denke an Architektur oder Musik. Ja, warum nicht Musik? Sie ist ja sehr musikalisch. Unsere Martina ist nicht auf den Kopf gefallen. Sie wird sich nicht blindlings in eine Ehe stürzen.«

»Martina ist erst sechs. Wie willst du das jetzt schon wissen?« fragte Gisela skeptisch.

»Martina ist wie ich. Sie tut nichts ohne Überlegung«, behauptete Karl-Heinz Wolfahrt selbstgefällig. »Sie ist das intelligenteste Kind unserer Nachkommenschaft. Eines Tages wird sie Karen und Detlev mühelos überflügeln.«

Ich bin nicht so sicher, ob der Hausbau sehr überlegt war, dachte Gisela, aber sie sprach diesen frevlerischen Gedanken nicht aus. Sie wollte sich nicht mit ihrem Mann streiten. Er würde ihr doch nur vorwerfen, daß schließlich er für die Herbeischaffung des nötigen Geldes sorgen müsse, und nicht sie.

»Laß dir von Karen beim Abwasch helfen. Ich werde mich mit Detlev erst einmal ums Wohnzimmer kümmern«, sagte ihr Mann. »Wo sind die Kinder denn überhaupt?« Er ging zur Küchentür. »Karen, Detlev!« rief er in den Hausflur.

»Karen und Detlev sind draußen, Papa.« Martina stolperte die Treppe vom ersten Stock herab. Sie trug blaue Latzhosen und einen gelben Pullover. Ihre Füße steckten in braunen Sandalen. »Ich habe ihnen gesagt, daß sie nicht hinausgehen dürfen, aber sie sind trotzdem gegangen.«

»Du kannst schließlich nicht verlangen, daß dir Karen und Detlev gehorchen, Martina«, sagte Gisela. »Komm, trink erst einmal ein Glas Milch!«

»Soll ich Karen und Detlev hereinholen, Papa?« fragte Martina eifrig, ohne ihre Mutter zu beachten. »Ich werde ihnen sagen, daß du geschimpft hast.«

»Martina!« Gisela faßte das Kind bei der Hand und zog es in die Küche.

»Fahre das Kind nicht so an, Gisela«, empörte sich Karl-Heinz Wolfahrt. »Ich habe Karen und Detlev extra gesagt, daß sie sich zu unserer Verfügung halten sollen. Mit welchem Erfolg, das siehst du ja. Warum können sie nicht so folgen wie Martina? Warum nicht?«

»Sie haben den ganzen Morgen über fleißig gearbeitet. Jetzt wollten sie sich etwas die Umgebung ansehen. Ist das so schlimm?« Gisela füllte ein Glas mit Milch, drückte ihre kleine Tochter auf einen Stuhl und stellte das Glas vor ihr auf den Tisch. »Ich werde sehen, wo die Kinder sind«, sagte sie zu ihrem Mann und verließ die Küche.

Karen und Detlev Wolfahrt, fünfzehn und siebzehn Jahre alt, standen am Zaun zum Nachbargrundstück und unterhielten sich mit einem blonden jungen Mann. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, daß sie nicht einmal bemerkten, daß ihre Mutter an den Zaun trat. »Guten Tag«, grüßte Gisela freundlich. »Wie ich sehe, sind wir Nachbarn.«

»Wir sind letzte Woche eingezogen«, sagte der junge Mann und stellte sich mit einer kleinen Verbeugung vor: »Reinhold Schuster!«

»Angenehm, Wolfahrt!« Sie reichten einander die Hände.

»Kann ich Ihnen vielleicht etwas helfen?« fragte Reinhold. »So ein Umzug macht immer eine Menge Arbeit. Gott sei Dank haben wir es hinter uns. Meine Mutter behauptet: Dreimal umziehen ist wie einmal ausgebombt.«

Detlev Wolfahrt lachte. »Meine Mutter hat einen ähnlichen Spruch. Sie sagt: Dreimal umziehen ist, wie einmal abgebrannt.«

»Wenn Sie uns helfen wollen, nehmen wir Ihr Angebot gern an, Herr Schuster« sagte Gisela. Sie wandte sich an ihre Kinder. »Vater wartet auf euch. Ihr hättet ihm wenigstens sagen müssen, daß ihr weggeht.«

»Als ob wir noch Babys wären«, maulte Karen. Ihre blauen Augen blitzten zornig auf. »Los, Detlev, gehen wir in die Höhle des Löwen!« Mit einer anmutigen Bewegung warf sie ihre langen braunen Haare zurück.

»Kommen Sie gleich mit, Herr Schuster?« erkundigte sich Detlev.

»Warum nicht?« Reinhold stieg über den Zaun. »So, da bin ich!« Er schlug Detlev auf die Schulter. »Der Einfachheit halber würde ich sagen, wir nennen uns gleich bei den Vornamen, Karen, Detlev! Und vor allen Dingen lassen wir das blöde ›Sie‹ weg! In einigen Tagen würden wir uns ja sowieso nicht mehr mit Herr und Fräulein anreden.«

Zu viert gingen sie zum Haus. Noch bevor Karl-Heinz Wolfahrt etwas zu seinen Kindern sagen konnte, stellte seine Frau ihm den jungen Mann vor. »Herr Schuster hat angeboten, uns beim Rücken der Möbel zu helfen.«

»Danke schön, uns ist jede Hilfe willkommen!« Karl-Heinz Wolfahrt reichte Reinhold die Hand. »Dann wollen wir uns an die Arbeit machen. Hoffentlich bereuen Sie Ihr Angebot nicht noch, junger Mann!«

»Das kann ich mir nicht denken«, erwiderte Reinhold. Er folgte Detlev und dem Hausherrn ins Wohnzimmer.

»So, und wir machen uns an den Abwasch, Karen«, sagte Gisela Wolfahrt zu ihrer ältesten Tochter. Sie drückte ihr ein Geschirrtuch in die Hand. »Werde ich froh sein, wenn wir den heutigen Tag hinter uns haben! Morgen früh wird es schon etwas besser aussehen.« Sie tauchte die Hände ins Wasser.

»Papa war böse, weil ihr weggelaufen seid«, meldete sich Martina zu Wort. »Warum müßt ihr Papa immer ärgern?«

»Es kann nicht jeder so ein Musterkind sein wie du!« fuhr Karen ihre kleine Schwester an. »Sag, hast du nichts zu tun? Mußt du in der Küche herumlungern?«

»Ich sag dem Papa, wie gemein du immer zu mir bist!« Martina rutschte vom Küchenstuhl.

»Dann sag’s ihm eben! Das ist mir doch ganz egal!« Karen drehte sich um und streckte ihrer Schwester die Zunge heraus. »Und das kannst du ihm auch noch sagen!«

»Müßt ihr euch denn ständig zanken?« fragte Gisela. Sie hielt Martina mit nassen Händen fest. »Du wirst dem Papa gar nichts sagen, Martina, oder ich muß einmal ein ernstes Wörtchen mit dir sprechen! Hast du mich verstanden?«

Martina verzog trotzig den Mund. »Sie hat mir die Zunge herausgestreckt, Mama. Darf sie das?« Anklagend wies sie mit dem Zeigefinger auf ihre ältere Schwester.

»Nein, das darf Karen nicht, aber du hast sie dazu herausgefordert. Also seid ihr jetzt quitt. Geschwister sollten einander nicht verpetzen, Martina! Petzen ist eine sehr schlechte Angewohnheit. Du hast auch Fehler. Stell dir einmal vor, Karen und Detlev würden immer gleich zum Papa laufen, wenn du etwas anstellt.«

»Papa schimpft nie mit mir.«

»Ich würde es nicht darauf ankommen lassen, Martina«, entgegnete Gisela ernst. »Und jetzt könntest du ein Tuch nehmen und uns beim Abwaschen helfen.«

»Krieg ich dann auch zehn Pfennig?« Martina klappte die Hände zusammen. »Bitte, Mama, ich möchte mir einen Kaugummi kaufen.«

»Meinetwegen«, gab Gisela nach und wandte sich wieder ihrem Abwasch zu.

»Sechs Jahre müßte man alt sein und Martina heißen«, murmelte Karen sehr deutlich vor sich hin. Laut knallte sie eine Schüssel auf den Tisch.

»Habe ich heute nicht schon genug um die Ohren? Müßt ihr beide mir unbedingt auch noch Ärger machen, Karen?« fragte Gisela erschöpft. »Was hättest du wohl gesagt, wenn ich dir zehn Pfennig angeboten hätte.«

»Ich hätte gelacht«, erklärte Karen unumwunden. Gleich darauf fügte sie beschämt hinzu: »Schon gut, Mutti. Ich hab’s ja gar nicht so gemeint. Warum läßt du uns nicht allein abwaschen? Wir werden schon damit fertig nicht wahr, Martina?« Sie gab ihrer Schwester einen leichten Puff. »Setz du dich mal hin, Mutti, und ruhe dich aus!«

»Wir werden allein fertig«, versicherte Martina einsichtig. »Setz dich nur hin!«

»Also gut!« Gisela trocknete sich die Hände ab.

»Geh in mein Zimmer, Mutti«, bot Karen an. »Du kannst dich auf mein Bett legen. Es ist sogar schon bezogen.« Besorgt schaute sie ihre Mutter an. Sie fand, sie sah wirklich müde und abgespannt aus. In Zukunft wollte sie ihr helfen, wo immer es nötig war.

*

»Nick, da kommt Hans-Joachim!« schrie Henrik von Schoenecker seinem sechzehnjährigen Bruder zu. Er schloß das Fenster und drehte sich um.

»Bin schon soweit!« Dominik von Wellentin-Schoenecker schlüpfte in seine Windjacke und in die Schuhe.

»Kann ich nicht mitkommen, Nick?« bettelte Henrik. »Ich verstehe viel mehr von Hunden als du und Hans-Joachim zusammen!« Er schlug sich an die Brust.

Nick lachte und legte die Hand auf die Schulter des kleinen Bruders. »Wachse erst noch ein Stückchen, Bruderherz!«

»Zwölf müßte man schon sein oder zumindest zehn!« seufzte Henrik. Er zuckte mit den Schultern. »Aber dann würdest du mich auch nicht mitnehmen. Warum nur muß ich der Kleinste in der Familie sein?«

»Mach dir nichts daraus, Henrik. In sieben Jahren bist du sechzehn, und ich bin dann schon ein alter Mann von dreiundzwanzig.«

»Opa Nick!« Henrik grinste. Er hielt die Hände hoch. »Du, ich drücke euch beide Daumen. Und behandelt den Hund ja gut, sonst…« Er machte eine Faust.

»Geht in Ordnung, kleiner Bruder!« Nick schlug Henrik herzlich auf die Schulter, dann eilte er die Treppe hinab.

Zuerst fuhren die beiden zu Herrn Neubrand, der wegen des Hundes am Vormittag angerufen hatte. Dieser zeigte ihnen die Verwüstungen in seinem Garten und fragte, wer für den Schaden, den der Hund bei ihm angerichtet hatte, aufkomme.

»Haben Sie den Hund in Ihrem Garten gesehen?« wollte Nick wissen.

»Nein«, antwortete Herr Neubrand mißgelaunt, »aber das da«, er wies auf seine Blumenbeete, »dürfte wohl für sich sprechen.«

»Das kann auch ein anderer Hund gewesen sein«, gab Hans-Joachim von Lehn zu bedenken.

»Das wollte mir meine Frau auch schon einreden, Herr Doktor, aber darauf lasse ich mich nicht ein. Hier läuft ein Riesenköter herum, und der wird’s auch gewesen sein. Und wenn der Tierschutz-Verein nicht freiwillig den Schaden zahlt, dann werde ich klagen.«

Es fiel Hans-Joachim von Lehn schwer, ein Lächeln zu unterdrücken. »Es tut mir leid, Herr Neubrand, aber Sie werden mit einer Klage kaum durchkommen. Sie können schließlich nicht den Tierschutz-Verein für freiherumlaufende Tiere verantwortlich machen.«

»Das werden wir ja sehen, das werden wir ja sehen!« Schimpfend ging der Mann ins Haus zurück.

»Netter Zeitgenosse«, bemerkte Nick sarkastisch. »Leute gibt’s!«

»Herr Neubrand ist wütend, und das ist verständlich, Nick«, meinte sein Schwager. »Wer weiß, wieviel Liebe und Arbeit er in seinen Garten gesteckt hat. Wir wären auch nicht begeistert, wenn uns so etwas passieren würde.«